Loe raamatut: «Fürstin des Nordens - Trilogy», lehekülg 5

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Die Glückliche Bettina hatte alle Pflichten wie üblich erfüllt, ihre Kinder zu Bett gebracht und einen Teller mit Gewürzgurken, einigen Scheiben Käse und etwas Trauben gemacht. Zufrieden mit sich und der Welt gelangte sie zum Saal, um den netten Mann eine kleine Stärkung zu bringen. Sie erblickte Gaver und Francesco. Sie ahnte gleich, dass das nicht gut ausging.

„Hütet euch vor den Hexen! Vertraut ihnen nicht. Weist sie an euren Türen ab. Sie sind nichts als ein Zufall der Kräfte, ungeschrieben und unsauber, das blasse, neidische Echo lebender, denkender Geschöpfe. In ihren Herzen ist ein Stein. Sie bauen nicht an, sie gründen nicht, sie pflanzen nicht und ernten nicht. Ihre Entstehung war ein Akt des Stehlens, und sie stehlen von Menschen und entehren die Natur. Der einzige Zweck ihres erbärmlichen Lebens ist ihr Ende. Es ist kein Mord, eine Hexe zu töten. Nja, schlimmstenfalls ein Akt der Nächstenliebe!“ So sprach Gaver voller Inbrunst, aber ohne Betonung so dass sich die einstudierte Rede wie ein Singsang eines dummen Kindes anhörte.

Einige wenige Städter hatten sich in Gruppen zusammengefunden und flüsterten hinter vorgehaltener Hand, während Francesco noch immer mit dem Federkiel in der Hand an seinem Platz saß und ihn anstarrte. Langsam ging ihm die Geduld aus.

„Das habe ich in der Sonntagsschule gelernt“, half Gaver nach und nickte befreiend. „Man kann die Worte austauschen, nja. Statt Hexe sagt man Werwolf, Zigeuner, Diebe, …“

„Ich frage dich zum dritten Mal“, zischte er mühsam beherrscht, „ob wir dir Geld schulden. Es sollte ein Gesetz geben, das schwachsinnige Narren verbietet!“

„Wenn es eins gäbe, müsste ich jeden Tag Überstunden machen, Herr.“

„Das gebe ich dir recht, Gaver.“ Francesco lehnte sich zurück und presste die Fingerspitzen aneinander. Er atmete hörbar ein und lächelte kühl: „Lass uns die Situation betrachten, in der ein eifriger und sehr kleiner Mann einen erstaunlichen Plan entwickelt. Er weiß, dass er Gehalt bekommen sollte aber statt die Fürstin zu fragen, steht er ohne eine Ahnung vor mir und hält die Hand auf. Und so geht es los, und unser Freund hält sich nicht mit Zahlen auf, sondern redet sich um Kopf und Kragen. Denkst du, ich wüsste nicht, dass die Stadtwache nutzlos ist? Den letzten Handtaschenräuber habt ihr vor einem Jahr gehängt. Du bist eigentlich nur da, um das Stadttor zu bewachen. Ich möchte den Tag erleben, an dem es nicht mehr da sein wird. Und dein Gesicht dann sehen.“

Bettina stellte den Teller ab. „Eine kleine Stärkung, Herr.“

Gaver grinste blöd und langte zu.

Sie schlug ihm blitzschnell auf die Hand. „Nicht für dich, Gaver“, kam es wie aus der Pistole geschossen. Es klang wie das Fauchen einer sehr gereizten Leopardin. Schnell wandte sie sich wieder Francesco zu und trug wieder ein sorgenfreies Lächeln zur Schau. „Herr, ich würde Euch kurz sprechen wollen.“

Er nickte widerwillig und ließ sich von ihr mitziehen. Hinter einer Säule flüsterte sie ihm ins Ohr: „Das ist Gaver! Er ist nicht ganz richtig, der Arme. Seid er als Kind vom Kutschbock gefallen ist, ist er etwas langsam. Außerdem trinkt er. Und viel. Eigentlich ist es kein Trinken mehr, sondern ein Saufen. Wir lassen ihn glauben, dass er für Recht und Ordnung sorgt.“

Francesco hörte geduldig zu und nickte ernst. „Ja, verstehe. Eine Frage nur: warum?“

„Könnt Ihr euch vorstellen, wie er auf dem Feld arbeitet oder wie er Lachse fängt? Wir haben alles versucht. Glaubt mir“, sie faltete die Hände und machte ein trauriges, sehr trauriges Gesicht.

„Aber…“

„Bitte. Es ist besser so.“

„Na schön“, stöhnte Francesco und blickte in Gavers Richtung, wie er langsam, ganz langsam sich eine Gurke vom Teller nahm und sie sich in die Hosentasche steckte.

Widerwillig setzte er sich wieder. „Na schön. Du bekommst das Gehalt von vier Monaten plus eine Pfanne aus der Küche. Das ist mein letztes Angebot.“

„Und den Stuhl.“

„Welchen Stuhl?“

„Den Stuhl.“ Gaver zeigte in die Ferne.

„Gaver“, Francesco verbarg den Kopf in seine Hände „das ist ein Thron.“

Das uralte Spiel
1

„Waren viele hier?“ fragte Claudile und sah sich um. Schlammbespritzte Schuhe hatten dutzende Spuren auf dem Parkett hinterlassen, sowie auf dem Läufer, der vom Eingang des Saals bis zum großen Eichentisch führte. Es mussten dutzende gewesen sein.

Francesco sah sie an. Dunkle Ringe hatten sich um seine Augen gebildet. „Die Rechnungen wurden bezahlt. Vergebt mir, Herrin, aber ich möchte nicht darüber sprechen.“

Claudile starrte Korporal Axel an und zuckte mit den Achseln. „Na schön. Das sollte die Leute etwas beruhigen.“ Sie trat vor und deutete mit einem Nicken zu ihrer Begleitung. „Das ist Korporal Axel. Sie… Er würde gerne eine Nacht hierbleiben.“ Sie scharrte mit den Füßen. „Ich wollte mich nicht an dir vorbeischleichen.“

Francesco blickte sie an. Langsam verarbeitete er die Information und sah zum Korporal. „Eure Ladyschaft“, begann er etwas betrübt. „Ihr seid etwas zu jung, um jungen Männern eine Bleibe anzubieten. Das könnt Ihr doch verstehen? Eine Dame ist stehts um Ihren Ruf bemüht. Also wirklich.“

„Er kann ja unten schlafen.“

Francesco beugte sich vor. „Gewisse Dinge werden hier nicht vorkommen! Wisst Ihr was? Ich hatte einen recht anstrengenden Tag. Es dürfte euch freuen zu hören, dass wir die Glückliche Bettina zu unseren Inventar begrüßen dürfen. Ich meine, Personal. Vergebt mir.“ Er massierte sich die Schläfen. „Das Fürstentum im Norden bedauert Ihnen mitteilen zu müssen, dass wir heute geschlossen haben.“

„Fein, fein.“ Claudile scharrte mit den Füßen. „Ich… gehe dann nach oben.“

„Aber ohne Korporal Axel!“

„Was? Nein.“

„Eure Ladyschaft! Es reicht!“

Claudile malte mit den Kiefern und gab klein bei. „Wer ist hier eigentlich die Fürstin? Schön, ist ja gut.“ Sie wandte sich ihrer Begleitung zu. „Du hast es gehört. Wir sehen uns morgen.“

Beide sahen sich an. Ein Kuss wurde ausgetauscht. Dann verschwand Korporal Axel und winkte ihr lächelnd zu.

„Es freut mich, dass Ihr wenigsten Freude an diesem ereignisreichen Tag hattet.“ Francesco trat näher heran und legte seinen Arm um sie. „Hütet Euch vor der Liebe. Sie kann verbrennen oder erkalten.“

Sie setzen sich an den Kamin.

„Fassen wir zusammen“, begann Francesco nach einer Weile. „Der Baron verliebt sich in ein Mädchen, wird krank vor Liebe und tötet die Familie des Mädchens. Weil er sie in den Flammen umkommen sieht, wird er beinahe verrückt vor Kummer und betrinkt sich. Er trinkt viel, unser Baron. Er wird übellaunig, ungerecht und tyrannisiert die Bewohner. Er kümmert sich nicht mehr um den Wald und die Leute. Rechnungen werden nicht bezahlt. Er verfällt in eine trübsinnige Stimmung. Er wird wahnsinnig vor Kummer und lässt alles hinter sich. Versteckt sich in eine Silbermiene, was gewiss schmerzhaft ist. Habe ich etwas vergessen?“

Claudile starrte in die Flammen. „Nein, das ist alles.“ Alexandra Häberlein bleibt tot. Vergib mir, mein Freund, aber ich habe es versprochen.

„Ihr habt Ihn nicht erwischt?“

„Die Spur führte zur Silbermiene, aber nicht von dort fort. Ich konnte nicht runtergehen und nachschauen.“

„Aus offensichtlichen Gründen. Gut gemacht.“

„Es ging eben nicht.“

„Schon gut, das war keine Kritik. Vergessen wir ihn.“

Sie blickte auf, holte ihr Notizbuch hervor und schlug es auf. „Von jetzt an sollte es einfacher werden. Hast du Fritz gesehen?“

Bei dem Gedanken an den kleinen Mann zog Francesco seine Stirn in Falten. „Ich habe ihn nicht mehr seit heute Mittag gesehen. Er sagte, er wolle seine Tante besuchen.“

Sie nickte ernst. „Hast du sein Gesicht gesehen? Er kennt das Buch, das der Baron gelesen hat.“

„Da wäre noch eine Kleinigkeit, Eure Ladyschaft“, begann Francesco ernst. „Ich habe es bislang nicht für nötig erachtet, Euch darauf hinzuweisen, aber es gibt gewisse Dinge, die ich ansprechen muss. Ich habe Verpflichtungen nicht nur Euch gegenüber, sondern auch Eurer Mutter. Sie würde es nicht gutheißen, wenn die Dinge ungesagt im Raum stehen würden. Wir sind allein in einem Land, das uns nicht braucht. Das ist Fakt. Sind wir uns da einig?“ Er blickte streng zu ihr. „Wir müssen von nun an wirklich zusammenhalten und das Reich ganz im Sinne des Khans regieren. Fehler, wie sie Baron Lyren beging, sollten Euch nicht passieren.“

Mucksmäuschenstill saß sie da und knabberte unruhig an ihren Fingernägeln. Feine Schweißperlen breiteten sich auf ihrem Gesicht aus. Er weiß es. Oh, ich Schaf! Natürlich weiß er es. Er ist Francesco de Palma, einer der schlausten Männer, die ich kenne und natürlich…

Francesco griff zu einem Becher Wein und betrachtete die rote Fläche. „Die Gefahr einer Revolte liegt in der Luft. Meint Ihr nicht auch?“

Sofort entspannte sie sich. „Oh, ja. Natürlich.“

„Woran habt Ihr gedacht?“

„Nichts.“ Sie mahlte mit dem Kiefer. „Was würde im schlimmsten Falle passieren?“

„Die Unzufriedenen rotten sich zusammen, es werden Stimmen laut und dann greifen die ersten zu Steinen und Messern. Sobald sie die Hemmung verloren haben, werden sie in einer Meute den Schuldigen suchen und ausfindig machen. Und sie werden einen Schuldigen finden!“ Er blickte gedankenverloren ins Feuer. „Es herrschten vor langer Zeit sogenannte Pogrome in einigen Städten. Andersartige wurden aus ihren Häusern gezerrt und gesteinigt. Ein Mob von sagen wir ein Dutzend Leuten ist zu allem fähig. Sobald sich Frust und Zorn Luft machen, können selbst Ritter in ihrer Rüstung mit Schild und Schwert kaum etwas ausrichten. Ihr seid ein Werwolf, Herrin, aber gegen einen Mob kommt auch Ihr nicht an.“

Sie zog die Beine eng an ihren Körper. „Du wärst überrascht…“

„Nein, Claudile“, sagte er leise. „Ich wäre in dem Moment äußerst enttäuscht, denn wir haben es jetzt in der Hand. Stellt euch eine Mutter vor, die ihr Kind verloren hat und ihr Mann schließt sich solch einem Aufstand an, und stirbt. Sie würde niemals Eure dargereichte Hand entgegennehmen. Und wenn nur zum Schein. Wir müssen handeln. Nicht mit Härte. Wir müssen ihnen zeigen, dass wir es gut meinen. Ihr wollt von allen geliebt werden? Das ist nur natürlich, aber dann müssen wir den armen Menschen das geben, was sie am meisten begehren…“

„Geld.“

Würde“, verbesserte er. „Ich erinnere mich an den Ausspruch eines Zwergenkönigs: Wenn wir nicht unsere eigenen Gesetze einhalten, sind wir nicht besser als die Schlimmsten. Wir müssen ihnen ein Vorbild sein. Noch heute Abend sollten wir ihnen die Hand reichen. Leider“, er trank aus und beugte sich weit vor, „muss ich Euch um einen Gefallen bitten. Es wird hart sein, fürchte ich. Wir reden mit ihnen auf ihrem Boden und reichen unsere Hand. Selbst wenn sie auf sie spucken, müssen wir es von Neuem versuchen. Wieder und wieder.“

„Ich bin… Fürstin. Sollten sie nicht das tun, was ich Ihnen befehle?“

„Was hat es ihnen bis jetzt gebracht? Einen Werwolf als Baron, der sie tyrannisierte. Sie werden sich daran erinnern, glaubt mir. Aber wenn Eure Ladyschaft es versucht, werden sie sich auch daran erinnern. Werdet ein besserer Herrscher. Und ich weiß, Ihr könnt gar nicht anders.“

„Du denkst sehr menschlich“, meinte sie lauernd. „Es gibt in meiner Familie Personen, die dagegen waren, dass du mein Privatlehrer wirst.“

„Wir dürfen nicht zu lange warten, Herrin“, mahnte Francesco. „Wenn es eine Revolte geben wird, wird sie sich um den Pater herumbilden. Da bin ich mir sicher. Ich schlage vor, dass wir ihn aufsuchen und ihn auf unsere Seite ziehen. Für alle sichtbar und auf eine Art, die jeden zufriedenstellen wird. Keine Gewalt, sondern mit einem Trick. Und viel Bargeld.“

Claudile stöhnte gequält auf. „Wir sollen ihn kaufen? Ich glaube nicht, dass er es zulässt.“

Er grinste breit. „Wie gut könnt Ihr Kartenspielen?“

„Bitte?“ Claudile verstand kein Wort. „Ziemlich gut. Was hast du vor?“

Er erklärte es ihr.

Claudile massierte sich den Nacken und stöhnte genervt auf.

2

Fritz steuerte sein Pferd zu den äußeren Wegen westlich des Sägewerks an, passierte den Waldlauf zum Morast und hielt eine halbe Stunde im Galopp auf die Berge zu, bis er den kleinen Trampelweg verließ und das Pferd am Zügel durch das Dickicht des Waldes führte. Hierher verirrten sich wenig Männer des Sägewerks, denn die Kiefern, die hier wuchsen waren noch zu jung und zu dünn und wurden vom Ostwind der Berge klein gehalten. Tatsächlich war er sich sicher, dass niemand die Stelle kannte. Die kleine Berghütte war verfallen, lag im Schatten eines Findlings und roch nach Moder und schlechtem Stroh. In Sichtweite der Hütte band er das Pferd mit den Zügeln an einem Baum und machte vorsichtshalber einen Doppelknoten. Das Pferd scheute immer, wenn der Wind den Geruch des einzigen Bewohners herüberwehte. Mit dem Korb in der Hand ging er auf die Gestalt zu, die draußen auf einer Bank die Sonne genoss.

Er packte Essen und eine Flasche Wein auf den Tisch und setzte sich zu ihm. „Wir haben neue Gäste in der Burg“, sagte Fritz und kramte in seiner Tasche nach Pfeife und Tabak. „Ich gebe ihnen zwei Wochen. Solche Burschen kenne ich. Große Leute aus großen Städten. Wir holen sie schnell vom hohen Ross. Was meinst du?“

Die Gestalt stöhnte leise und beugte sich weit vor, damit ihn Fritz gut verstehen konnte. Die Verbände um Kopf und Körper schränkten seinen Radius ein. Ein Flüstern entrang sich seiner Brust. Fritz nickte verstehend.

„Ja, kann man wohl sagen. Die kleine Welpe versteht was vom Delegieren, aber sie ist zu großspurig. Sie wird es lernen. Wir werden ihr einen Dämpfer verpassen und ihr zeigen, wie es bei uns zugeht…“

Der Bärendrücker war eine Kaschemme. Das einzig Vornehme war der Name, der allerdings nicht einmal Überbleibsel aus besseren Zeit, sondern schlicht und einfach dem Ölgemälde des verhassten Baron Mattes Lyren nachempfunden war. Das Lokal bot normalerweise Platz für dreißig, mit viel guten Willen auch vierzig Gäste, aber der Wirt sorgte dafür, dass selten weniger als siebzig anwesend waren. Die Luft war so dick und verräuchert, dass es völlig sinnlos war, dem Mann hinter der Theke seine Bestellung zu verstehen zu geben; man musste schon brüllen, um sich Gehör zu verschaffen. Was allerdings nur die wenigsten taten. Es hätte auch nicht viel Sinn gehabt – es gab nur die Wahl zwischen lauwarmen Bier und Kartoffelschnaps.

Heute gab es etwas zu feiern. Einige Männer hatten darauf bestanden, Pater Brain auf einen Drink einzuladen – wer sonst hatte den Schneid gehabt, einem Werwolf mal anständig die Meinung zu geigen?

Jemand witzelte, dass, wenn der Pater nicht aufpasste, dieser Tag als Feiertag in die Geschichte eingehen würde. Die Stimmung war gut, denn jeder war sich einig, dass sie mit der neuen Herrscherin nicht viel anzufangen wussten.

Pater Brain saß nach einem anständigen Gelage spät an seinem Platz und betrachtete in Gedanken versunken sein Bier im Becher, als es mit einem Schlag ruhig wurde. Zu ruhig.

Selbst der Wirt beendete seinen Schankdienst und starrte mit offenem Mund zur Tür.

„Frauen sind hier nicht“, begann der Wirt, verstummte aber schnell als Claudile ihm einen warnenden Blick zuwarf.

Die Fürstin und ihr Vertrauter warteten nicht lange ab, sondern bahnten sich einen Weg durch die Menge, bis sie vor Brains Tisch standen. In ihrer Hand einen großen Beutel.

Brain verzog das Gesicht und maß sie mit einem dreisten Blick.

„Falls Ihr mal nicht wissen solltet, was Ihr anziehen müsst“, bemerkte er leise, „dann könnt Ihr die Frauen im Ort fragen, was tres chic ist. Männerhosen sind für Männer – das sagt schon der Name.“

Die Männer grinsten, obwohl niemand wusste, was tres chic eigentlich bedeutete.

„Sehr spaßig“, bemerkte die Fürstin kühl und deutete auf den Stuhl vor sich. „Darf ich mich setzen?“

Er blickte sie aus geröteten Augen an. „Ich weiß nicht recht. Dürft ihr?“

„Ihr meint, weil mir sowieso alles hier gehört? Nun, ich erbitte mir die Gelegenheit euren Verlust wieder wettzumachen.“

Der Pater wollte etwas erwidern, verstummte aber als sie ein Kartenspiel auf den Tisch legte. „Bei einem Spiel?“ Er betrachtete sie nachdenklich. „Wie soll das gehen?“

„Wir beginnen mit einer Goldmünze. Ich lege euch das Kapital aus. Was ihr gewinnt, behaltet ihr und verfügt frei darüber. Ich habe genug dabei.“ Als Unterstreichung wurde der Sack auf den Tisch gelegt. Feine Ohren hörten es verdächtig klimpern.

Ihre Blicke trafen sich. Pater Brain lachte laut auf. Claudile lächelte. Die anderen Männer, die dringend lachen wollten, lachten ebenfalls. Na bitte, wir sind alle Freunde. Nichts schlimmes wird passieren.

Schlagartig wurde Brain ernst. „Das bringt mir meine Familie nicht wieder zurück.“

„Habe ich nie behauptet. Aber die Genugtuung“, erklärte Claudile laut und setzte sich ungefragt hin. „Die Genugtuung, einem Werwolf bei einem einfachen Kartenspiel zu besiegen.“ Sie wandte den Kopf zu den anderen Männern. „Machen wir es doch spannender: Ihr spielt für diese Männer. Wenn ihr gewinnt, bekommt jeder in diesem Raum eine Münze.“

„Pro Spiel?“

„So ist es.“

Francesco, der sich die ganze Zeit ruhig im Hintergrund gehalten hatte, klappte der Kiefer nach unten. „Was?“ gellte er laut auf.

„Und der Wirt führt Buch. Er ist unparteiisch.“

„Einen Moment, Eure Ladyschaft.“

Alle Blicke wechselten zwischen der Fürstin und ihrem Vertrauten.

„Das ist ein Trick“, bemerkte Brain zweifelnd. „Das könnt Ihr nicht ernst meinen!“

Sie zuckte mit den Achseln und lehnte sich zurück. „Ich kann auch gehen und nehme den Sack wieder mit. Dann hast du deine Chance verpasst. Und die Männer gehen leer aus. Es ist deine Wahl. Geht als reiche Männer nach Hause, oder tretet mir nie wieder unter die Augen.“

Stille.

Alle blickten sich verwundert an. Konnte das wahr sein?

„Eure Ladyschaft!“ Francesco beeilte sich nach vorne zu gelangen. „Ich habe im Kopf mal eben überschlagen, wie viele Leute hier sind. Das geht über unsere Finanzen. Ich bitte euch!“ Er hob flehend die Arme und wollte den Sack an sich nehmen. „Wir sollten darüber schlafen. Bitte…“

Pater Brain betrachtete ihn wie ein Insekt, dass sich zu nahe an seine Fliegenklatsche wagte. „Du, Bursche. Verpfeif dich!“

Claudiles Hand hielt den Sack fest, während sie unverwandt Brain anstarrte. „Ja, genau. Verpfeif dich!“

„Hohe Herrin“, Francesco schien einer Ohnmacht nahe. „Ich flehe Euch an…“

„Mein Geld“, stellte sie klar. „Meine Regeln.“

Der Geistliche und die Fürstin starrten sich an. Taxierten einander.

Die Menge hielt den Atem an.

Langsam wuchs ihm ein diabolisches Grinsen im Gesicht, bis Claudile meinte, einer Teufelsfratze gegenüberzusitzen. „Poker, sage ich. Ihr legt aus. Den Einsatz zuerst!“

Claudile malte mit dem Kiefer und nickte ernst. „Abgemacht.“

Die Menge schnaufte vor Begeisterung.

Schnell hatte es sich im ganzen Dorf herumgesprochen. Selbst zur nachtschlafenden Zeit beeilten sich Frauen wie Kinder eilig zur Kaschemme zu gelangen, um etwas von dem Wettbewerb mitzubekommen. Fenster wurden weit geöffnet, damit auch jeder zusehen konnte. Verschlafene Kinder starrten durch den Zigarrennebel verstört zu einem ungleichen Kampf der Klassen: Werwolf gegen Bürger. Und es gab etwas zu gewinnen. Für jeden, der nur zuschaute, gab es eine Münze. Das war mehr als ein Tagessold im Sägewerk. Einzig und allein Francesco blickte niedergeschlagen in die Runde – sehr zum Vergnügen der Menge. Ihr Grinsen wuchs besonders in die Breite, wenn er sich mit einem Taschentuch über die Stirn fuhr.

Karten wurden gemischt und verteilt.

Das erste Spiel.

Brain gewann, und Francesco verteilte den Gewinn unter den Leuten.

Das zweite Spiel.

Claudile gewann. Sie bekam eine Münze.

Und so weiter.

Pater Brain sah auf seinen Stapel mit fast sechzehn Münzen und ihren Stapel mit fast vier Münzen. Es konnte ewig so weitergehen. Die einzig wahren Gewinner waren die Schaulustigen, die sich gegenseitig auf die Schultern klopften und stolz die Münzen zeigten. Sechszehn Gewinne. Es waren fast achtzig Leute zugegen und jeder bekam eine Münze pro gewonnenes Spiel. Rechnet es selbst aus.

Die Menge wurde mutiger, je voller ihre Geldbeutel wurden. Fast stoisch ließen sich die Fürstin und ihr Berater die hämischen Bemerkungen über sich ergehen. Zum ersten Mal fühlten sich die Menschen von Blaqrhiken erhaben.

Pater Brain achtete im Moment aber weder auf das Gedränge rings um ihn herum noch auf den sichtlich nervösen Mann hinter der Fürstin. Er konzentrierte sich voll und ganz auf das Blatt in seiner Hand.

Es war ein Full House. Dazu das schönste Full House, das er seit Jahren gesehen hatte. Drei Asse und zwei Könige, die er auf die Hand bekommen hatte, ohne ein einziges Mal tauschen zu müssen: eine Eins-zu-einer-Million-Chance. Im Übrigen schienen ihm die Karten Hold zu sein. Er war kein Narr und betrachtete sie mit einem bohrenden Blick, der ihm in anderen Landen einen Kopf gekostet hätte.

Sein Gegenüber schien etwas in dieser Art zu befürchten, denn die Blicke, mit denen sie ihn durchbohrte, waren in den letzten Minuten immer nervöser geworden.

Die Menge beobachtete das stumme Duell gespannt. Einen Einsatz wie diesen erlebte man hier nicht jeden Tag. Claudile selbst hatte den Überblick verloren, wie viele Münzen sie an diesem Abend verlieren würde. Einmal wechselte sie einen verzweifelten Blick zu Francesco, der fast schon apathisch die Münzen verteilte, als wären sie Bonbons. Sehr zum Vergnügen der Leute grummelte er Verwünschungen.

Claudiles Augen hatten sich geweitet, auf ihrer Stirn perlte Schweiß, und die Hände, mit denen sie ihre Karten hielt, zitterten. Sie lächelte sogar nicht, als der Wirt mit einem Schnapsglas herüberkam und es ihr hinstellte. Ihre langen Fingernägel kratzten nervös über das furnierte Holz. Niemanden entgingen diese kleine Gesten.

Und dann… Dann hatte es sie wohl beide erwischt, wie man so schön sagt.

Dieses eine Spiel dauerte fast zwei Stunden, und sie hatten sich gegenseitig hochgeschaukelt. Aus dem erbitterten Ringen war ein freundschaftlicher Zweikampf geworden. Keiner von ihnen hatte ein Wort gesprochen, aber die Spannung war beinahe ins Unerträgliche gestiegen.

Claudile legte die Karten aus der Hand und griff in den Beutel, um noch Münzen zu holen. Das hatte sie in der letzten halben Stunde immer häufiger getan, und der Beutel war immer dünner geworden, bis sie die letzte Münze herausfischte. Sie betrachtete das nicht ohne Sorge. Die Menge kommentierte dies mit einem „Oh“.

„Ihr solltet aufhören, Fürstin“, sagte Pater Brain zum ersten Mal.

Claudile wischte sich die schweißnassen Hände ab, knackte mit dem Nacken und legte bedeutungsschwer die letzte Münze hin.

„Tut das nicht. Ihr ruiniert euch, meine Liebe.“

Claudile blickte ihn fast hasserfüllt an, nahm den Beutel und legte ihn auf den Stapel, so als wäre dieser auch etwas wert. „Hälst du mit oder steigst du aus?“

Nervös geworden legte er die zugedeckten Karten vor sich hin und lehnte sich zurück. „Nur, um das zu verstehen, Fürstin“, bemerkte er nachdenklich. „Ihr habt nicht vor, die Steuern zu erheben um die verlorene Barschaft wieder reinzubekommen, oder? Das wäre selbst für einen Wolf unter aller Würde – nicht, dass wir nicht schon etwas anderes erlebt hätten!“

Zustimmendes Gemurmel. Plötzlich blickten nicht Wenige finster drein.

Claudile hatte mit der Frage gerechnet, legte auch ihre Karten weg und holte ein kleines Büchlein hervor. Fachmännisch schlug sie eine Seite auf. „Nach den Büchern habt ihr bis jetzt anständig und regelmäßig die Steuern bezahlt.“

Dagegen gab es nichts einzuwenden. Jeder nickte sich zu. Ja, sie waren alle brave Steuerzahler.

„Das heißt nicht, dass du es nicht tun würdest!“ blaffte Brain und kippte noch einen Schnaps hinter die Binde. Fairerweise sei gesagt, dass auf beiden Seiten sich die leeren Gläser stapelten.

„Ich muss Buch führen“, erklärte sie langsam und steckte das Büchlein wieder weg. „Einmal im Jahr kommt der Schatzmeister und überprüft die Zahlen. Findet er auch nur eine Münze unter dem Teppich, könnte ich alles verlieren. Du kennst meine Mutter nicht“, fügte sie leise hinzu. „Dein Gott vergibt, aber nicht sie.“

Er nickte verstehend. „Aber du könntest es tun, oder nicht?“

„Nein, selbst wenn ich wollte. Und warum sollte ich!?“ Sie grinste angeheitert und lehnte sich weit zurück. „Ich brauche nur den Wald und die Freiheit.“

Brain war ein desillusionierter Mann, der in allem nur Schlechtes sah.

„Ihr Werwölfe“, grummelte er leise und bedachte sie plötzlich feindselig. „Was habt ihr aus diesem Land gemacht!?“

„He, he, he“, protestierte sie. „Du versuchst, mich rauszudrängen.“

Brain zuckte gleichmütig mit den Achseln. „Wer hoch spielt, sollte genug Bargeld mithaben.“

„Gut, dann beenden wir das Spiel. Du hast gewonnen. Und ich habe verloren“, sagte sie gedehnt und stand auf.

Sie wollte Francesco ein Zeichen geben, der gerade an einigen Kindern Münzen verteilte, als plötzlich Brain die Hand hob und abwinkte. „Spar dir die Mühe, Mädchen“, sagte er.

Claudile setzte sich wieder und sah ihn fragend an.

Der Geistliche wirkte ein bisschen verlegen. Offensichtlich taten ihm seine eigenen Worte bereits wieder leid. „Entschuldige“, sagte er leise. „Selbstverständlich kannst du nichts dafür. Willst du mithalten?“

Claudile nickte.

Sie spielten weiter. Es wurde mucksmäuschenstill. Selbst Francesco blickte über die Schultern der Leute und versuchte zu erhaschen, was die beiden eigentlich machten.

Mensch und Werwolf starrten sich lange an.

„Der Baron“, begann Brain stockend und scharrte mit den Füßen, „kam des Nachts und war betrunken. Er hatte tags zuvor den Stadtvogt in zwei Hälften geteilt, als wäre er ein Fisch, den man ausnehmen könnte. Wütend grabschte er nach meiner Frau und ich ging dazwischen.“ Sein Blick ging ins Leere, und für einen Moment erhaschte sie einen Blick in seine Seele. Er schnaufte leise. „Natürlich hatten wir keine Chance. Schließlich… ließ er von uns ab. Das war das letzte Mal, das ich ihn sah.“

Claudile nickte ernst und legte die Karten beiseite. „Ich werde ihn finden.“

Schnell hatte er sich wieder unter Kontrolle. „Was macht ihr mit Euresgleichen?“, fragte er knapp.

„Das Schlimmste.“

„So schlimm?“

Schlimmer.“

Brain nickte zufrieden, und legte auf.

Full House.

Das war der Moment, in dem die Menge vor Jubel explodierte.