Loe raamatut: «DNA», lehekülg 3

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ACHT

Lisa sitzt im Wohnzimmer des großzügigen Hauses im österreichischen Ort Glanz und beobachtet traurig, wie die Abendsonne rot glühend hinter den Bergen des Hohe Tauern Gebirges untergeht.

Es betrübt sie ungemein, dass ihr Bruder Max sich nicht von ihr helfen lassen wollte, es vorgezogen hat, vor einigen Monaten wieder zurück nach Deutschland zu gehen.

Sicher, sie kann seinen Schmerz nachvollziehen, auch sie hat monatelang getrauert, als sie dachte, er wäre bei ihrer Befreiung aus der Gefangenschaft bei Dr. Maikow, gestorben. Sie weiß, wie sehr ihn der Verlust von Nicole schmerzen muss, auch sie wird kaum mit dem Verlust ihrer geliebten Freundin fertig, doch Lisa hätte ihm helfen können. Sie könnte ihm wenigstens einen Teil dieser kaum zu ertragenden, vernichtenden Schmerzen nehmen, wozu hat sie sonst ihre Fähigkeit, wenn sie ihren Freunden und ihrem Bruder damit nicht behilflich sein kann?

Lisa ist mental begabt, sie hat nicht nur die Fähigkeit, Gefühle von anderen Personen wahrnehmen zu können, ja sie kann diese sogar beeinflussen. Lisa ist ein Empath und ein Telepath. Als Nicole damals nach Lisas Befreiung, an dem Verlust von Max fast zerbrochen war, hat Lisa einen Teil des Schmerzes auf sich übertragen und Nicole dadurch wieder Lebensmut gegeben, dies hätte sie so gerne auch für ihren Bruder getan, doch er hat ihrer Hilfe verweigert.

>>Warum tut er das, warum will er sich nicht von mir helfen lassen?<<

>>Er denkt, er würde Nicole verraten, wenn er den Schmerz verdrängt, oder ihn von dir lindern lassen würde.<< Meister Li, der Shaolin-Mönch hat unbemerkt von Lisa das Wohnzimmer betreten.

Lisa war gar nicht bewusst, dass sie die Frage laut ausgesprochen hat.

>>Nicole hat auch lange gebraucht, bis sie sich von mir helfen ließ, doch das hatte damals andere Gründe. Sie hat in mir den Grund dafür gesehen, dass mein Bruder sterben musste, nur weil er mich unbedingt befreien wollte, ist er gestorben. Nicole hat mir später gebeichtet, dass sie vom Kopf her wusste, das ist Unsinn, doch sie konnte dieses Gefühl nicht unterdrücken, dies hatte sie damals davon abgehalten, sich von mir helfen zu lassen.<<

>>Gib deinem Bruder etwas Zeit<<, beginnt der Mönch einfühlsam und legt seinen Arm zärtlich um die Schulter der jungen Frau.

>>Bevor ich Mönch wurde, habe ich als Personenschützer in Nepal gearbeitet, mein letzter Arbeitgeber war ein sehr wohlhabender Mann, der zugegeben, nicht immer ganz legal an seinen Reichtum gekommen ist. Eines Tages, wir fuhren von einem späten Abendessen nach Hause, wurden wir von vier Männern überfallen. Ich war sehr gut, doch den vier bis an die Zähne bewaffneten, zu allem entschlossenen Männern, war ich hoffnungslos unterlegen. Seine Frau kam bei diesem Überfall ums Leben und mein Arbeitgeber wollte wenig später auch seinem Leben ein Ende bereiten. Er hat in seinem Lebenswandel die Schuld am Tod seiner geliebten Frau gesehen. Dass er sie nicht beschützen konnte, hat solch große Schuldgefühle in ihm ausgelöst, dass nicht viel gefehlt hätte und er sich selbst töten wollte. Letztendlich hat er es nicht getan, doch der Schmerz hat ihn fast vernichtet. Er wollte ihn nicht loslassen, er erklärte mir, es fühle sich wie Verrat an, würde er den Schmerz verlieren. Alles was ihn noch mit seiner geliebten Frau verbindet wäre eben dieser Schmerz und deshalb hält er an ihm fest. Ich denke dein Bruder fühlt ähnlich, auch er wird sich Vorwürfe machen, er bestraft sich selbst dafür, dass er sie nicht retten konnte.<<

>>Ging es dem Mann denn eines Tages besser?<<

>>Leider nicht, der Schmerz über den Verlust hat ihn letztendlich getötet, er ist an gebrochenen Herzen gestorben.<<

>>Oh Gott<<, entfährt es Lisa entsetzt.

>>Keine Angst, meine Kleine<<, beruhigt der Mönch die junge Frau, >>das wird Max nicht passieren. Mein Arbeitgeber war allein, nachdem seine Frau von ihm gegangen war, er hatte niemanden, mit dem er trauern konnte, der ihm zur Seite stand. Max hat dich, er hat uns und nicht zu Letzt hat er Samanta. Er wird zurückkommen, du wirst sehen, lass ihm einfach etwas Zeit.<<

>>Ich hoffe du hast recht Meister Li, ich würde ihm so gern helfen und ich vermisse ihn so sehr. Samanta geht es gut, sie ist noch sehr klein und bekommt noch nicht so viel mit, doch ich fühle, dass sie mehr weiß, was um sie herum geschieht als uns allen klar ist. Sie ist ein ganz außergewöhnliches Kind und ich finde es so traurig, dass Max auch nur einen einzigen Tag in der Entwicklung seines Kindes verpasst.<<

***

Es ist einige Wochen her, dass alle Bewohner des Hauses in einem Raum versammelt eine Mahlzeit zu sich nehmen. In den vergangen Wochen hatte jeder Einzelne damit zu tun, den Verlust von Nicole in irgendeiner Weise für sich selbst zu verarbeiten. Nahezu jeder der Bewohner hat mittel-, oder unmittelbar sein Leben, oder doch seine körperliche Unversehrtheit Nicole zu verdanken, so ist es nicht schwer nachzuvollziehen, dass es Zeit gebraucht hat, bis alle wieder einigermaßen unbefangen miteinander umgehen können.

Da sind Denis und Viktor, die beiden Teleporter, auch liebevoll „Springer“ genannt. Denis war mit Lisa im selben Sanatorium, auch bei ihm wurde bereits als Kind, fälschlicherweise die Diagnose Schizophrenie gestellt und er wäre deshalb beinahe ein Opfer von Dr. Maikow geworden. Hätte Lisa nicht den Wunsch geäußert, Denis aus dem Sanatorium nach Österreich zu holen und hätte Nicole ihr nicht dabei geholfen, wäre Denis ein Opfer des skrupellosen Arztes geworden, wie Nicole später herausgefunden hat. Durch einen Zufall, der glücklicherweise Lisas Leben rettete, erfuhr Denis von seiner Fähigkeit der Teleportation. Als Lisa eines Tages angegriffen wurde, spürte Denis ihre Panik, „sprang“ zu ihr und konnte ihr damit das Leben retten.

Teleportation bezeichnet den Transport eines Teilchens, eines Gegenstandes, oder einer Person, von einem Ort zu einem anderen, ohne den Raum dazwischen zu durchqueren. In der Teilchenphysik ist dies bereits seit 1997 Realität, die sogenannte Quantenteleportation, bei Gegenständen und Personen wurde dies jedoch noch nie-mals nachgewiesen.

Viktor ist erst vor Kurzem zur Wohngemeinschaft gestoßen. Er lebte bei Dr. Nikolai Gagarin, dem Ziehsohn von Dr. Maikow, dessen einziges Lebensziel es war, Nicole in seine Gewalt zu bekommen. Viktor war am Überfall, bei dem Nicole ums Leben kam beteiligt, auch er ist ein Teleporter. Er hat Nicole zu Gagarin gebracht, obwohl er gespürt hat, dass sie bereits tot ist. Tödlich getroffen durch einen Kopfschuss. Der einzige Grund, warum er sie dennoch zu Gagarin gebracht hatte, war seine Schwester Olga.

In dem Moment des Überfalls, wurde ihm klar, dass er keine Minute länger bei Nikolai Gagarin bleiben wollte, der Arzt nutze ihn und seine Schwester nur aus. Seine Freundlichkeit ihnen gegenüber war aufgesetzt, er manipulierte sie und erpresste Viktor damit, sich an seiner Schwester zu vergreifen, würde Viktor sich weigern, ihm Nicole zu bringen. Allein aus diesem Grund, um Nachteile für seine Schwester zu vermeiden, ließ sich Viktor darauf ein. Er versuchte Olga davon zu überzeugen, mit ihm zu kommen, Gagarin zu verlassen, doch vergeblich. Das Mädchen hängt sehr an Dr. Nikolai Gagarin und war nicht davon zu überzeugen ihn zu verlassen, selbst dann nicht, als Viktor sie vor die Wahl stellte, entweder er oder der Arzt. Viktor ist nachdem er Nicole im Büro des Arztes zurückgelassen hat, wieder zurück gesprungen und wurde von Dimitri überwältigt, da dieser befürchtete, er wäre nur wieder zurückgekommen, um sich nun auch noch Lisa zu holen.

Inzwischen konnte das Missverständnis aufgeklärt werden und Dimitri, ist froh, dass er den Jungen nur bewusstlos geschlagen hatte und nicht Schlimmeres passiert ist.

Dimitri ist ebenfalls seit Kurzem ein Bewohner des Hauses. Er ist mit allen, die mit in Russland waren, nach Österreich zurückgekehrt. Obwohl er sich sehr in seine Heimat zurücksehnt, erscheint es ihm für den Moment doch sicherer, sich nicht in Russland aufzuhalten. Dimitri und Viktor waren die Einzigen, die bei dem Überfall mitbekommen haben, dass Nicole tödlich verletzt wurde. Max selbst schwerverletzt und Lisa haben erst in Österreich von der Tragödie erfahren.

Dimitri hatte bereits mit Nicoles Vater, Thomas Arnold zusammengearbeitet und versucht, Personen ausfindig zu machen, oder zu befreien, die Opfer von Dr. Maikows Machenschaften waren. Der Arzt versuchte die Fähigkeiten von mental Begabten, meist handelte es dabei um Kinder, zu verstärken. Seine Opfer ließ er dafür entführen und fügte ihnen durch seine Behandlung Schmerzen, oder Traumata zu, von denen sie sich kaum erholten.

Nach dem Tod von Thomas Arnold war Dimitri Nicole behilflich, sobald sie sich in Russland aufhielt und seine Hilfe benötigte. Ihr Verlust geht Dimitri sehr nahe, da in der Zeit, die sie zusammengearbeitet hatten, eine liebevolle Freundschaft entstanden ist.

Des Weiteren ist vor einigen Monaten das Geschwisterpaar, Svetlana und Alexander Gudoy, zu der Wohngemeinschaft gestoßen. Svetlana wurde von Nikolai Gagarin als Falle für Nicole instrumentalisiert. Er ließ das Gerücht streuen, dass er, wie sein Ziehvater Dr. Maikow, auf der Suche nach mental begabten Kindern wäre und setzte Svetlana als Köder ein. Er setzte das Mädchen unter Drogen und folterte sie, mit dem Ziel ihr Gedächtnis zu zerstören. Sein Plan sah vor, dass Nicole sie befreit, mit nach Österreich nimmt, dort einige Wochen verbleibt, von ihm wieder zurückgeholt wird und er dann aus erster Hand erfährt, wie er am besten an Nicole heran kommt.

Das Gedächtnis des Mädchens zeitweise zu zerstören, war nötig, da Dr. Gagarin wusste, dass Lisa Gedankenlesen kann, sein Plan wäre sofort aufgeflogen. Da er jedoch wusste, durch welche Drogen er das Gedächtnis von Svetlana wieder herstellen kann, schien dieser Plan äußerst aussichtsreich. Der Bruder von Svetlana, Alexander Gudoy wurde jedoch misstrauisch und machte sich auf die Suche nach seiner Schwester, was letztendlich zum Scheitern des Planes führte und Dr. Gagarin nicht mehr an Svetlana herankam. Die Verabreichung der Drogen in Verbindung mit einer massiven Folter lösten bei Svetlana nicht nur einen Gedächtnisverlust aus, der zu einem späteren Zeitpunkt von Prof. Dr. Juan Jintao behoben werden konnte, sondern ebenso eine Synästhesie.

Dieser Begriff steht altgriechisch für „mitempfinden“, oder „zugleich wahrnehmen“. Darunter fallen Farbe und Temperatur, beispielsweise die Verbindung – warmes Grün. Töne, Musik und Räumlichkeit werden auf ungewöhnliche Weise verbunden. Menschen, die Wahrnehmungen derartig verknüpfen, werden Synästheten genannt.

Svetlana verknüpft Töne mit Farben, soll heißen sie sieht Töne als Farben. So konnte Svetlana plötzlich Klavierspielen, obwohl sie dies niemals gelernt hatte, ferner sieht das Mädchen auch Sprache in Farben. Sie erkennt, ob jemand lügt, daran, dass sich die Farbe ändert.

Im Normalfall entsteht eine Synästhesie bereits im Kindesalter und wird von den Betroffenen als völlig normal empfunden. Allerdings sind auch Fälle bekannt, in denen eine Synästhesie nach schweren Hirnschädigungen plötzlich aufgetreten sind. Nach neusten Studien sind unterschiedliche Arten der Synästhesie bekannt. Man geht davon aus, dass in etwa vier Prozent aller Menschen Synästhesie haben können. Die Graphem-Farb-Synästhesie, die Svetlana zugeschrieben wird, tritt nach neusten Studien am häufigsten auf. Sie ist die Synästhesie-Form, die bislang am besten untersucht wurde.

Neben den vier genannten Personen halten sich noch der Shaolin-Mönch, Lisa und Prof. Dr. Juan Jintao in der Küche auf. Samanta, Nicoles Tochter liegt bereits friedlich schlafend im Bett.

Lisa würde niemals ungefragt die Gedanken von ihr Nahestehenden lesen, muss sie auch nicht, denn es ist allen Anwesenden anzusehen, dass sie zwar froh sind, wieder einmal gemeinsam zu Essen, doch die Stimmung bedrückt, um nicht zu sagen, von Trauer geschwängert ist. Seit sie ohne Nicole aus Russland zurückgekehrt sind, scheint es so, als ob das Leben und die Freude aus dem Haus verschwunden wäre. Gäbe es nicht die Momente, in denen die kleine Samanta das Haus zum Leben erweckt und jedem Bewohner ein Lächeln aufs Gesicht zaubert, ist die Stille, die in diesem Haus Einzug gehalten hat, fast körperlich spürbar.

Wäre da nicht ihre noch ganz frisch erwachte Liebe zu Alexander Gudoy, würde Lisa verzweifeln, scheitern, an der Kraft, die ihr abverlangt wird, die traurigen Gefühle, welche jeder einzelne Bewohner ausstrahlt, abzublocken. Dies ist leider eines der wenigen Dinge ihrer Gabe, die Lisa nicht sehr gut im Griff hat. Negative Gefühle die unverhofft auf sie einwirken, kann die junge Frau nur schlecht verarbeiten. Je destruktiver die Gefühle sind, umso schwieriger wird es für Lisa diese zu verdrängen. In der Vergangenheit ist es oft vorgekommen, dass sie diese Art der Gefühle nicht abblocken konnte und ihr Körper einen Schutzmechanismus entwickelt hat, damit umzugehen, sie fällt in Ohnmacht.

***

>>Schön dass wir heute endlich wieder einmal alle zusammen sein können<<, ergreift der Professor das Wort und sieht lächelnd in die Runde.

>>Ich sehe jedem einzelnen an, dass er immer noch damit zu tun hat, den Verlust von Nicole zu verarbeiten. Mir ergeht es ebenso, deshalb kann ich die Gefühle eines Jeden nachvollziehen, doch möchte ich heute gerne etwas ansprechen, was uns allen wichtig sein sollte. Wollen wir Nicoles Vermächtnis weiterführen?

Wollen wir ihren Kampf fortsetzen?

Wir haben alle eine Zeit gebraucht, um über ihren Tod hinwegzukommen, was nicht heißen soll, dass die Trauer bereits beendet ist. Jeder hat die Zeit und kann sich so viel Zeit nehmen wie er benötigt, doch für mich fühlt es sich inzwischen so an, als ob Nicole umsonst gestorben wäre, wenn wir nicht langsam wieder beginnen, ihren Kampf weiterzuführen. Auch hätte sie nicht gewollt, dass wir hier herumsitzen und Trübsal blasen. Ich will niemandem zu nahe treten<<, würgt er den Einwurf ab, den Lisa auf den Lippen hat.

>>Wir müssen weitermachen Lisa<<, fährt der Professor an das Mädchen gewandt fort. >>Nicole hätte es so gewollt. Sie hatte recht damit, als sie mutmaßte, dass Viktors Schwester Olga irgendwann erkennen wird, was für ein Mensch Dr. Gagarin ist. In dem Moment, wird sie ernsthaft in Gefahr sein. Das Mädchen wird älter, jetzt kann er sie noch manipulieren, aber wie lange noch? Nicole wollte sie retten und wir sollten es schon allein im Gedenken an Nicole tun, findet ihr nicht?<<

>>Olga wird nicht mit uns kommen<<, wirft Viktor resigniert ein.

>>Vielleicht jetzt noch nicht<<, erwidert der Professor, >>doch wir sollten uns mit ihr in Verbindung setzen, irgendwie. Sie muss wissen, dass es einen Ausweg gibt, sollte sie einen suchen und selbst wenn wir es nicht schaffen, sie zu überzeugen, Dr. Gagarin wird das Werk von Dr. Maikow weiterführen, in der einen oder anderen Weise. Dieser Mann ist gefährlich, wir wissen das und allein deshalb müssen wir versuchen ihn aus-zuschalten.<<

>>Aber „Onkel“, wie soll uns das gelingen, ohne Nicole<<, wirft Lisa zweifelnd ein. >>Hast du die modifizierten Männer vergessen, die uns überfallen haben, wir haben nichts, was wir ihnen entgegen setzen können. Nicole ist nicht mehr unter uns<<, fährt die junge Frau mit zitternder Stimme fort. >>Sie war die Einzige, die eine reelle Chance gegen diese Männer hatte.<<

>>Nun<<, erwidert der Professor lächelnd, >>da bin ich mir nicht mehr so sicher.<<

Das staunende Gemurmel aller Anwesenden ignorierend fährt Prof. Dr. Jintao fort.

>>Wie ihr wisst<<, beginnt er lächelnd mit der Erklärung, >>hat Dr. Nikita Gagarin, der Vater von Nikolai, die Männer mittels einer Operation an der Amygdala, der Bereich des Gehirns, der für Emotionen und die Impulskontrolle zuständig ist, zu gefühllosen Monstern gemacht und da Dr. Maikow dies damals noch nicht ausreichte, den Männern auch noch Adrenalin zur Steigerung ihrer Aggressivität zugeführt. Hätte er es bei der OP belassen, sähen wir nun tatsächlich alt aus, da er aber seinen Hals wie immer nicht voll bekam, wurden den Männern Adrenalinpumpen in den Bauchraum implantiert. Ich muss euch nicht daran erinnern, wie schlecht sich Nikita fühlte, da er für die Erschaffung dieser Monster verantwortlich war, deshalb vertraute er mir an, wie man sie besiegen kann. Nun ja, besiegen ist vielleicht etwas hochgegriffen, doch empfindlich treffen können wir sie alle mal.<<

>>Nun spann uns nicht so auf die Folter Juan<<, mischt sich nun der Shaolin-Mönch ein. >>Wir wissen deine Vorträge im Grunde ja sehr zu schätzen, aber bitte komm endlich zum Punkt.<<

>>Du hast recht mein Freund<<, grinst der Professor den Mönch breit an, >>die Jungs können durch einen gezielten Stromschlag ausgeschaltet werden.

Theoretisch<< – schränkt er ein.

>>Nikita erzählte mir, dass seinerzeit bei einem Versuch einer der Männer aus Versehen an eine Stromquelle gekommen ist, er war zu diesem Zeitpunkt vollgepumpt mit Adrenalin und obwohl der Stromschlag eher leicht war, fiel der Mann um wie ein Brett. Er ist davon nicht gestorben, doch er war Minutenlang außer Gefecht gesetzt und das Beste kommt noch<<, ereifert sich der Professor und blickt triumphierend in die Runde.

>>Weder Dr. Maikow, noch sein Sohn Nikolai haben davon jemals etwas erfahren.<<

NEUN

Ich bin seit einer Woche in Linz und beginne langsam, mich einzuleben.

Die Kollegen sind klasse, wenn man die Frotzeleien, die man als Deutscher in Österreich über sich ergehen lassen muss, nicht zu ernst nimmt, kommt man hier besten klar. Gut ich bin und werde wohl immer der „Piefke“ bleiben, aber damit komme ich zurecht. Die Deutschen, vor allem die Bayern und die Österreicher hat schon immer eine besondere Freund-, Feindschaft verbunden. Stammt wohl noch aus alter Zeit, als beide Länder noch König- und Kaiserreiche waren und nicht selten untereinander verheiratet wurden, bekanntestes Beispiel – Sissi aus Bayern und Franz Josef, Kaiser von Österreich.

Größere Schwierigkeiten bereiten mir die Ränge, die hier aus dem Militär übernommen werden und an die ich mich nur schlecht gewöhnen kann. Bei den deutschen Behörden gibt es den Kriminalkommissar und den Kriminalhauptkommissar, vielleicht noch den ersten KHK, oder den leitenden KHK. Hier bekomme ich es mit einem Major, einem Oberst und vielen weiteren militärischen Rängen zu tun und ich kann mir einfach nicht merken, welcher der höhere ist. Egal, mit der Zeit wird das schon klappen.

Ein Partner wurde mir noch nicht zugewiesen, soll aber noch diese Woche passieren. Zur Zeit verbringe ich viel Zeit damit, mich auf der Dienststelle einzugewöhnen. Alte Fälle durchzusehen und mich mit den Leuten bekannt zu machen.

Bis jetzt habe ich es noch nicht geschafft, mich bei meiner Schwester zu melden, sie hat noch keine Kenntnis davon, dass ich wieder in Österreich bin. Ich bin fest entschlossen, sie bald aufzusuchen, im Moment kann ich den Mut dafür nur noch nicht aufbringen. Geradezu erbärmlich, doch ich schaffe es einfach nicht.

In den wenigen Tagen, in denen ich hier bin, habe ich immer wieder Gespräche über „das Phantom“ aufgeschnappt. Erleichtert stelle ich fest, dass niemand auf die Idee kommt, mit mir darüber zu sprechen, denn ich möchte meine neuen Kollegen nicht anlügen. Im Gegensatz zu ihnen, die obwohl „das Phantom“ seit Langem nicht mehr gesichtet wurde, immer noch davon sprechen, weiß ich sehr genau um wen es sich dabei handelt.

Nicole wurde so genannt, natürlich wusste damals, wie heute niemand, dass es sich um sie gehandelt hat. Es war kurz nach der Befreiung von Lisa, als Nicole dachte ich hätte nicht überlebt und sie damals, wie ich heute, nicht über ihren und sie über meinen Tod hinweggekommen ist. Nicole hat mir erzählt, dass sie nicht schlafen konnte, von Alpträumen geplagt wurde, einfach keine Ruhe fand und deshalb nachts in die Stadt Linz gefahren ist um ziellos durch den Ort zu laufen.

Zufall, oder Schicksal, das kann man sehen wie man will, ist es ihr einige Male gelungen schwere Verbrechen zu verhindern. Dabei blieb es nicht aus, dass einige Personen Zeugen wurden, wie Nicole über Meterhohe Mauern gesprungen ist, oder mit mehreren Männern gleichzeitig gekämpft hat. Da niemand wusste wer sie ist, erhielt sie von der Presse den Namen „das Phantom“. Wie ich jetzt erfahre, ist sie heute noch Gesprächsthema Nummer eins, obwohl dies fast zwei Jahre zurückliegt.

Unglaublich wie schnell die Zeit vergangen ist.

Ich erinnere mich noch als ob es gestern gewesen wäre, als ich Nicole das erste Mal begegnete. Es war in München, in ihrem Elternhaus, Nicole kam aus einem Kurzurlaub aus Italien zurück und fand ihre Eltern ermordet vor. Ich war sofort fasziniert von ihr. Ihre Ausstrahlung fesselte mich vom ersten Moment an. Heute weiß ich, dass ich in dem Moment verloren war, als ich das erste Mal in ihre leuchtend grünen Augen sah. Wir haben uns dann aus den Augen verloren, da sie nach dem Tod ihrer Eltern beschlossen hatte, mit ihrem „Onkel“ Prof. Dr. Juan Jintao nach Österreich zu gehen. Er ist nicht ihr richtiger Onkel, doch wie sie mir einmal erzählte, liebt Juan diese Anrede und da ihr keine Familie mehr geblieben ist, macht es ihr Freude, ihn so zu nennen.

Der Professor wurde von ihrem Vater nach Deutschland geholt, damit er Nicole hilft, mit ihrer Mutation klar zu kommen, er war es auch, der Nicole nach ihrem Unfall operierte und dabei ihre DNA veränderte. Nach dem Verlust ihrer Eltern ist er alles, was Nicole noch an Familie blieb. Wir begegneten uns erst wieder, als ich auf der Suche nach meiner Schwester war, die wegen ihrer mentalen Begabung von Dr. Maikow nach Russland entführt wurde. Ich hatte Lisa damals auf Anraten der Ärzte in ein Sanatorium einweisen lassen, da man eine Schizophrenie bei ihr feststellte. Heute weiß ich es natürlich besser, doch damals war ich so sehr überfordert, dass ich den Ärzten vollkommen vertraute. Noch heute mache ich mir große Vorwürfe deswegen. Wegen mir verbrachte meine kleine Schwester viele Jahre in einem Sanatorium, ich habe ihr die Kindheit gestohlen, das kann ich nie mehr gut machen und was noch schlimmer wiegt, Lisa macht mir nicht einmal einen Vorwurf.

Nicole half mir bei der Suche nach meiner Schwester und wir verliebten uns in dieser aufregenden und gefährlichen Zeit rettungslos in einander. Schließlich fanden wir Lisa in einem sehr schlechten Zustand in einer Klinik in Russland, es gelang uns sie zu befreien und beinahe wäre uns allen die Flucht gelungen. Leider wurde ich, bevor ich ins rettende Flugzeug steigen konnte angeschossen und blieb mehr tot als lebendig auf dem Rollfeld zurück. Um meine Schwester zu retten musste man mich zurücklassen, auch dachte niemand, dass ich die schwere Verletzung überhaupt überleben könnte, am wenigsten ich. Doch ich habe überlebt. Dr. Maikow hat mir das Leben gerettet, er päppelte mich wieder auf, nicht aus Menschenfreundlichkeit, weit gefehlt, ein Köder für Nicole, das war ich für ihn. Denn sie wollte er, koste es was es wolle und es ist ihm sogar gelungen. Er hat Nicole einen Austausch angeboten und sie hat eingewilligt. Ich wusste nicht was vorgeht, da dieser Monsterarzt mich so mit Drogen vollgepumpt hat, dass ich mich nicht mehr an Nicole erinnern konnte.

Am Tag des Austausches hat er es tatsächlich geschafft Nicole in seine Gewalt zu bringen und meine Schwester wäre dabei fast getötet worden. Wäre Denis nicht „gesprungen“ wie alle es nennen, ich kann immer noch nicht fassen, dass Denis sich selbst teleportieren kann, obwohl ich es bereits mit eigenen Augen gesehen habe, wäre Lisa heute nicht mehr am Leben.

Nach langen Wochen des Planens und ungeduldigen Wartens haben wir es endlich geschafft, Nicole aus seiner Gewalt zu befreien. Denis und Lisa haben sie mit vereinten Kräften aus der Gefangenschaft befreit, doch Nicole war nicht mehr sie selbst. Der Gedanke daran, wie er seine Nicole damals vorgefunden hat, treiben Max noch heute die Tränen in die Augen. Seine geliebte Nicole war mehr Tier als Mensch. Dr. Maikow hatte sie gefoltert und ihr eine solche Menge Drogen verabreicht, die für den Tod von mehreren Personen ausgereicht hätte. Die tierischen Gene von Nicole gewannen die Oberhand und nur mit viel Glück ist es Prof. Dr. Juan Jintao gelungen, sie nach vielen Wochen wieder zu heilen. Eine grausame Zeit der Angst und der Hoffnung die Max viel Kraft gekostet hat.

Nicole hat kurz vor ihrer Befreiung Dr. Maikow getötet, bestialisch abgeschlachtet trifft es wohl eher, wenn man der Schilderung von Lisa glauben kann, die den Tod des Arztes mit angesehen hat. Wahrscheinlich würde sie heute nicht mehr leben, wäre Denis nicht auf die Sekunde genau „gesprungen“ um Nicole zu greifen, bevor sie sich auch auf Lisa stürzen konnte, denn Lisa war sich sicher, sie hat meine Schwester nicht erkannt und hätte sie nur eine Sekunde später angegriffen.

Nicole hat auch mich nicht erkannt, es waren furchtbare Wochen der Ungewissheit. Nicht zu wissen, ob sie jemals wieder gesund werden wird. Ihre Erinnerung an uns wieder finden und mich wieder lieben wird. Doch endlich, nach langen Wochen die Erlösung.

Alexander Gudoy taucht auf und trägt ohne es zu wissen, die Rettung für Nicole bei sich. Auf der Suche nach einem Anhaltspunkt, wo er seine Schwester finden könnte, hat Alexander bevor er Russland den Rücken gekehrt hatte, das Büro von Dr. Gagarin, dem Ziehsohn von Dr. Maikow durchsucht und ist durch Zufall auf die Akte von Nicole gestoßen. Darin befand sich eine Medikamentenliste, welche er eher unbewusst eingesteckt hatte. Diese Liste war der Schlüssel für Prof. Dr. Jintao, Nicoles Erinnerungen wieder zurück zu holen. Als der Professor ihm mitteilte, dass er Nicole erfolgreich behandeln konnte, war Max nicht mehr zu halten. Er lief zu ihr und sah es sofort in ihren Augen, sie erkannte ihn, ihre Erinnerung war wieder zurück. Er hatte seine Nicole wieder.

Max bemerkt nicht, dass ihm seit Minuten heiße Tränen über die Wangen laufen, die Erinnerung an die schönsten Monate seines Lebens, die nach Nicoles Genesung folgten, lassen ihn laut aufschluchzen. Er spürt die Liebe seiner geliebten Nicole, meint fast sie riechen, ihre Nähe fühlen zu können, erinnert sich an die Geburt von Samanta und bricht bitterlich schluchzend auf seinem Sofa zusammen. Es sind nicht nur Tränen der Erinnerung, auch weint er zum ersten Mal über den Verlust von Nicole und spürt plötzlich, dass diese Tränen erlösend sind.

Er atmet tief durch und fühlt sich, als ob er zum ersten Male seit er vom Tod von Nicole erfahren hat, richtig durchatmen kann. Er richtet sich auf, wischt die Tränen vom Gesicht und weiß mit einem Mal, dass heute der Tag ist, an dem er nach Hause geht.

Nach Hause zu seiner Schwester und seiner Tochter Samanta.

***

Max zögert nur einen Moment, als er am Tor des Anwesens in Glanz steht. Der Code zum Öffnen ist noch der selbe, er wartet nicht, bis es sich ganz geöffnet hat, sondern drängelt sich durch den schmalen Spalt. Er hat so lange gewartet, dass ihm jetzt die wenigen Sekunden die es dauert, bis das Tor sich öffnet, wie eine Ewigkeit erscheint.

Tief durchatmend betritt er den langen Kiesweg, der ihn zum Haus bringt, sein Fahrzeug hat er vor dem Tor abgestellt. Obwohl er es kaum erwarten kann, endlich wieder auf seine Schwester zu treffen, seine Tochter wieder zu sehen, genießt er doch jeden einzelnen Schritt in diesem wundervollen Garten, der wohin man auch blickt Schönheit und Ruhe wiederspiegelt.

Das Anwesen ist riesig, vor ihm breitet sich eine einfache Rasenfläche aus, nur unterbrochen von einem uralten Baumbestand. Bäume die aussehen, als ob sie bereits seit Anbeginn der Zeit hier stehen würden und eine Ruhe und Würde ausstrahlen, die sofort auf den Betrachter überspringt. Eigentlich wollte Max sofort zum Haus, doch er lenkt seinen Schritt zuerst zum buddhistischen Teil des Gartens. Meister Li hat einen Teil des Geländes abgetrennt und diesen nach traditioneller chinesischer Kunst gestaltet. Nicoles Lieblingsplatz, wenn sie Ruhe und Entspannung suchte, fand sie diese hier.

Wesentliche Gestaltungselemente sind Steine und Wasser, wobei das Wasser wie hier zickzackförmig als Bach angelegt ist und über halbreisförmige Brücken überquert werden kann. Gemäß der daoistischen Philosophie, - den Weg des Lebens, der niemals geradeaus führe, achtsam zu gehen. Ziel der chinesischen Gartengestaltung ist es, Harmonie von Erde, Himmel, Steinen, Wasser, Gebäuden, Wegen und Pflanzen, den so genannten sieben Dingen, zu erreichen. Der Mensch als Achter, kann dann mit ihnen und in ihnen zur vollkommenen Harmonie finden. Wenn man sich in diesem Teil des Gartens befindet, atmet man diese Philosophie, sie wurde in Perfektion umgesetzt.

Max ist ganz versunken in die Schönheit der Umgebung, als er plötzlich eine Bewegung neben sich wahrnimmt.

Es ist Samanta, seine Tochter.

Ihr Anblick versetzt seinem Herzen einen Stich. Es trifft ihn nach wie vor hart, wie ähnlich das Mädchen seiner Mutter sieht, doch diesmal schreckt er nicht davor zurück, er kniet sich nieder, breitet seine Arme aus und das kleine Mädchen quiekt vor Freude und läuft, laut Papa rufend, in seine Arme.

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