Spielend einfach glücklich sein

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Spielend einfach glücklich sein
Šrift:Väiksem АаSuurem Aa

Table of Contents

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1. Vorwort: Mein (Irr-)Weg zum Glück des Seins

2. Schritt 1: Vorbereitungen für den Weg zum Sein

3 Schritt 2: Basiswissen für Dein Spiel

4. Schritt 3: Am Glücksweg der Rollenarbeit

5. Spielend einfach sein: Interaktion & Glück

6. Bonuskapitel: Mehr Wissen am Wegesrand

7. Literaturverzeichnis:

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ibidem Verlag, Stuttgart

Menschen hören nicht auf zu spielen, weil sie alt werden,

sie werden alt, weil sie aufhören zu spielen!

(Oliver Wendell Holmes)

1. Vorwort:
Mein (Irr-)Weg zum Glück des Seins

Wenn man Dich fragen würde, was Glück ist – was wäre Deine Antwort? Gibt man diese Frage in die Internetsuchmaschine Google ein, erhält man 136.000.000 Ergebnisse. Mehr Glück in noch kürzerer Zeit zu finden ist unmöglich. Es gibt also 136.000.000 Möglichkeiten, glücklich zu sein – ein wahnsinniges Angebot. Und trotzdem fühlt sich jeder ab und zu unglücklich, aus den unterschiedlichsten Gründen. Mal, weil man seit zwei Wochen keinen neuen Auftrag bekommen hat, ein anderes Mal, weil die Nachbarin mit Ende 50 schönere Beine hat als man selbst, und dann wieder, weil die Facebook-Seite des Hundes mehr Likes bekommt als die eigene. Man kann also schnell das Gefühl erhalten, dass es mehr als 136.000.000 Gründe gibt, um unglücklich zu sein. Auf dem Konto könnte man mehr haben, auf der Waage gerne etwas weniger, und mehr Liebe und Anerkennung hat noch niemandem geschadet. Doch dieses Glück ist nicht jedem vergönnt. Das Schicksal ist ein Schlawiner. Gedanken wie diese machen alles, nur keinen Spaß. Sie tun sogar weh. Und sie stellen uns immer wieder vor die Herausforderung, Ruhe zu bewahren. „Don't panic!“, wie es so treffend bei „Per Anhalter durch die Galaxis“ heißt, ist einer der weisesten Sprüche, die ich kenne. Er hilft – nicht immer, aber meistens.

Weit verbreitet ist die Auffassung, dass Geld glücklich macht. Nach dem Motto: Mein Haus, mein Boot, mein Hund. Geld ist Status, Geld ist Anerkennung. Geld ist Glück? Nobelpreisträger Angus Deaton, Ökonomieprofessor an der Universität Princeton, hat in seiner Studie mit 450.000 Amerikanern herausgefunden, dass es tatsächlich eine Zahl gibt, die glücklich macht: 75.000 US-Dollar. Laut seiner Umfrage steigt bis zu einem Jahreseinkommen von umgerechnet 61.000 € das Glücksempfinden. Hat man diese Zahl erreicht, ist man glücklich. Danach ist allerdings Schluss. Die Grenze des Glücks ist erreicht. Mehr Geld macht nicht noch glücklicher. Das Glück wäre demnach begrenzt, zumindest finanziell. Glücklicherweise haben die meisten von uns bis zu dieser Grenze noch einen weiten Weg vor sich.

Neben Geld wird ein weiterer Faktor unseres Lebens als der Glücksfaktor schlechthin betrachtet: vertrauensvolle, auf Wertschätzung, Anerkennung und Liebe basierende Beziehungen. Das ist sicher richtig. Alleinsein macht nicht wirklich Spaß. Natürlich ist es wichtig und erholsam, einfach mal für sich selbst zu sein. In sich zu ruhen, zu sich selbst, die innere Erleuchtung zu finden – und im Anschluss den anderen unter die Nase zu reiben, wie glücklich man ist, seit man Yoga, Reiki, Achtsamkeit, Mental Healing, Feng Shui, Gott, Krishna oder Buddha für sich entdeckt hat, ganz nach dem unter PR-Leuten so beliebten Spruch: „Tue Gutes und rede darüber.“ Wenn wir ehrlich sind, will das aber doch niemand hören. Mir wurde bereits im Kindergarten beigebracht, dass es nicht in Ordnung ist, vor anderen Kindern damit zu prahlen, was man alles besser kann. Soll für Erwachsene anderes gelten? Wenn mir jemand erzählt, dass er oder sie zwei Drittel seiner Gage an hungerleidende Kinder in Afrika spendet, dann muss ich darauf antworten: „Oh, das ist aber toll!“ – aber ich fühle mich dann alles andere als glücklich. Ich fühle mich mies. Denn ich spende nicht zwei Drittel meiner Gage, sondern investiere sie in Schokolade, bunte Flip-Chart-Marker und Hundefutter. Würde ich in so einer Situation meinen Gefühlen freien Lauf lassen, wäre es definitiv vorbei mit dem Glücksfaktor „Soziale Beziehung“. Aber glücklicherweise weiß ich, mich zu benehmen.

In unserem Innern wissen wir unbewusst, was es für dieses Glück braucht. Wir wissen, was von uns erwartet wird und was wir tun können, um diese Erwartungen zu erfüllen – zum Beispiel Lächeln und winken. Und unsere Rolle „spielen“, denn wir sind auf soziale Beziehungen angewiesen. Die größte Fähigkeit des Menschen besteht darin, soziale Beziehungen einzugehen, sich auszutauschen und sich selbst zu reflektieren, um zu geben und zu nehmen, um zu helfen, um zu trauern, um zu lieben, um glücklich zu sein – um einfach zu sein. Besonders die Momente dieses Einfach-Seins sind die wertvollsten.

Ich habe nach einigen Irrwegen des Lebens entdeckt, dass ich diese Momente des Einfach-Seins dann erlebe, wenn ich spiele. Allerdings nur selten bei Brettspielen und absolut nie beim Glücksspiel. Bei Glücksspielen wie Roulette spielt man gegen das Schicksal, und das Schicksal gewinnt immer. Daher ist das nichts für mich. Ich bevorzuge das gute, das echte Spiel. Das Spiel, in dem man einfach sein kann, und das findet man nur im Miteinander – wenn man sich mit jemand anderem im Tun synchronisiert, entweder in einem tollen Gespräch oder einer verbindenden Tätigkeit, die manchmal auch daraus bestehen kann, schweigend am Tisch zu sitzen. Momente wie diese sind mein Glück. Ohne zu bewerten, ohne Gedanken darüber, ob sie gut oder schlecht sind, einfach gemeinsam sein im Spiel des Lebens, ob als Kinder, um zu lernen, oder später, um uns in der Gesellschaft zu orientieren. Menschen haben das Spiel im Blut und wir brauchen es wie die Luft zum Atmen. Wir sind der spielende Mensch, der sogenannte homo ludens, dem die Spielfreude wortwörtlich in den Knochen, in seiner DNA1 steckt.

Die Wichtigkeit des Spiels und die darin enthaltenen Möglichkeiten wurden mir allerdings erst durch mein Studium der darstellenden Kunst bewusst. Von meinem Schulabschluss bis dahin bestand mein Leben aber erst einmal aus Versuch und Irrtum, obwohl ich die ersten 18 Lebensjahre ziemlich grandios bewältigt hatte. Die Rolle der braven Schülerin spielte ich 12 Jahre mit ausgezeichnetem Erfolg. Ich wusste in dieser Rolle, was ich zu tun hatte, um die Erwartungen an mich zu erfüllen. Und das tat ich einfach. Alles, was ich dazu brauchte, waren Fleiß und soziale Intelligenz. Ich fühlte mich in dieser Rolle ziemlich wohl, weshalb ich sie auch nicht aufgeben wollte. Ich spielte sie weiter, mit aller Konsequenz. Die erste Konsequenz traf mich gleich vier Monate nach meinem Abschluss, als sich mein damals einziger Berufswunsch mit einem Schlag in Luft auflöste: Mit 18 wollte ich Grafikdesign studieren. Beim letzten Gespräch eines dreistufigen Bewerbungsverfahrens stellte mir meine geliebte Rolle ein Bein: Vor diesem Abschlussgespräch hatte mir ein Professor der Fakultät nebenbei am Kaffeeautomaten erklärt, meine analoge Armbanduhr wäre digital. Das wunderte mich zwar, doch hatte ich in meiner Rolle als brave Schülerin gelernt, Respektspersonen lieber zu glauben, wenn ich Erfolg haben wollte. Daher antwortete ich brav: „Ah ja, das ist ja interessant!“ Im Gespräch vor der Jury wurde mir dann just von diesem Professor die Frage gestellt, ob ich eine analoge oder digitale Armbanduhr tragen würde. Pflichtbewusst, voller Überzeugung und Enthusiasmus antwortete ich: „Natürlich digital!“ Und das war es dann, mit mir als Grafikdesignerin und als brave Schülerin.

Abgesehen davon, dass mich dieser Professor absichtlich getäuscht hatte, hatte er mein uneingeschränktes Vertrauen in Autoritätspersonen stark beschädigt. Daher beschloss ich, diesen Verrat zu rächen und selbst zur Autoritätsperson zu werden. Mein neuer Berufswunsch war Lehrerin. Ich fand, das sei eine gute Idee, weil sich meine geliebte Rolle so nicht allzu sehr verändern müsste. Lediglich die Perspektive würde sich um 180 Grad drehen: Statt einer Person (aus der Perspektive der Schülerin) hätte ich nun einfach 26 (aus der Perspektive der Lehrerin) vor mir. Sport und Englisch auf Lehramt, das war jetzt mein Plan. Zwar war ich in meiner Jugend im Volleyball- und Badminton-Verein, doch die Rolle der Sportlerin mit Leib und Seele hatte ich nie richtig ausgefüllt, das war mir dann doch zu anstrengend. Für das Studium wäre es jedoch ganz gut gewesen, sich nicht nur vorzustellen, diese Rolle einnehmen zu können, sondern sie auch tatsächlich zu verkörpern. Dass dies nicht auf mich zutraf, wurde mir selbst erst klar, als ich bei der Sport-Aufnahmeprüfung in der Disziplin 60-Meter-Kraulen im wahrsten Sinne des Wortes unterging. Es war einfach zu viel. Zu viel Wasser in meiner Nase, in meinen Ohren, in meinen Augen – und zu wenig Kondition in meinen Muskeln. Ich zog mich mit letzter Kraft aus dem Schwimmbecken, schleppte mich in die Umkleide, traf dort auf Sara, die die Aufnahmeprüfung ebenfalls nicht geschafft hatte, fragte sie, was sie denn jetzt machen würde, und als sie antwortete: „Ich schreibe mich für Wirtschaftspädagogik ein!“, stand auch mein nächstes Berufsziel fest: Wirtschaftspädagogik. Klang gut, das genügte. Bis dahin hatte ich mit Wirtschaft noch nie etwas zu tun gehabt. Ich hatte ein mathematisch-naturwissenschaftliches Gymnasium besucht. Aber darüber machte ich mir keine Gedanken, schließlich kannte ich Sara, und das genügte mir. Das Studium war eine noch größere Unbekannte als vermutet. Da gab es Themen, die ich noch nie zuvor gehört hatte: Kostenrechnung und Buchhaltung. Aber ich stellte mich dieser Herausforderung. So lange, bis mich mein Kostenrechnungs-Professor im vierten Semester fröhlich mit den Worten begrüßte: „Herzlich willkommen zum dritten Anlauf, liebe Kollegin. Der Inhalt ist Ihnen ja schon bekannt. Ich werde also in diesem Semester versuchen, Sie mit meinem neuen Anzug zu begeistern.

 

Über drei Jahre hinweg wurde mir eindrücklich bewiesen, dass jeder Beruf, von dem ich gedacht hatte, dass er der richtige für mich sein könnte, unerreichbar war. Ich konnte nichts von dem, von dem ich dachte, dass ich es könnte. Außerdem war mir die Rolle der Studentin irgendwie suspekt. So konnte es nicht weitergehen. Ich musste etwas ändern, und zwar: meine Vorgehensweise. Ich begann, Dinge auszuprobieren, von denen ich bis dahin überzeugt gewesen war, dass ich sie überhaupt nicht konnte: Singen, Gitarre spielen und Schauspielern. Zu jedem dieser Bereiche gab es einen Kurs an der Volkshochschule und ich kehrte 2002 glücklich zurück in meine geliebte Rolle als brave Schülerin.

In den Kursen für Singen und Gitarre spielen hatte ich ziemlich schnell Erbarmen mit meinen LehrerInnen. Nach nur vier Wochen beendete ich unsere gemeinsame Qual. Aber der dritte Kurs, das Schauspielern, schaffte es tatsächlich, mich, mein Denken und mein Handeln zu verändern. Am Ende dieses Kurses trat ich nach Grafikdesign und Sport zu meiner dritten Aufnahmeprüfung an. Diesmal an einer Schauspielschule. Es wurde mein erster Erfolg nach drei Jahren.

Ich war angekommen und durfte von da an Momente des wahrhaftigen Schau-Spiels erleben, in denen man nicht denken durfte, sondern sein musste. Das oberste Ziel des Schauspielers ist es, im Moment, in der Situation, in der Figur zu sein. Und ich war einfach. Ich war im Spiel und damit in der Essenz meiner Existenz angekommen. Mein erster Moment des Glücks, der nach bestandener Aufnahmeprüfung meine Mutter zu folgendem, denkwürdigen Satz veranlasste: „Du willst jetzt nicht etwa Schauspielerin werden, oder?“ Allen Hindernissen zum Trotz: Ja, ich wurde Schauspielerin. Seitdem ist das Spiel mein ständiger Begleiter. Auf der Bühne, als Methode im Training und als Haltung im Miteinander. Mein Ziel ist heute, jede Begegnung, jede soziale Interaktion als gutes und glückliches Spiel zu gestalten. Mit dem Ernst, den es verdient, und der Leichtigkeit, die es braucht.

Wie bei jedem Spiel bedarf es auch für das Spiel des Lebens einer Spielanleitung, um es erfolgreich spielen zu können und darin sein Glück zu finden. Eine solche Spielanleitung soll dieses Buch sein. Eine Anleitung, die ich aus meinen Erfahrungen heraus für mich und mein Leben entwickelt habe. Sie basiert auf Theorien und Methoden aus dem Schauspiel, meinen Erkenntnissen zu sozialen Rollen als Supervisorin und Coach, der Auseinandersetzung mit Theorien von Mead bis Goffman bis hin zu meiner jahrzehntelangen Praxis im sozialen Rollenspiel. Auf diesen Pfeilern hat sich meine Idee darüber entwickelt, wie wir uns das Leben leichter machen können. Dabei handelt es sich um eine Idee, eine Anregung, eine Sichtweise und um eine Wahrheit. Nicht um die Wahrheit, sondern um (m)eine Wahrheit. Auf der Welt gibt es davon unzählige.

Viele Menschen behaupten, sie hätten die eine Wahrheit gefunden und nur sie wären im Recht. Das mag für sie selbst schon stimmen, aber eben auch nur für sie selbst. In meiner Rolle als Anhängerin des Konstruktivismus darf ich dieser Haltung vehement und mit Leidenschaft widersprechen. Im Verständnis des Konstruktivismus lebt jeder von uns in seiner eigenen Welt, in seiner eigenen Wirklichkeit und in seiner subjektiven Wahrnehmung. Ich will Dir daher nicht sagen, was Du tun sollst/kannst/musst, um glücklich zu sein. Das kann ich nicht, denn es ist Dein Leben. Ich kann Dir nur Handwerkszeug zur Verfügung stellen, das Dich Deinem Glück ein Stück näher bringen kann. Wie eine Art Goldwaschpfanne, die Dir dabei hilft, die Goldnuggets des Glücks im Kies und Geröll des Lebens zu finden. In den Fluss musst Du aber selbst steigen, um Dein Gold zu waschen. Das heißt: Du musst selbst etwas tun. Nur dieses Buch zu lesen wird keine Veränderung bringen. Das wusste bereits Goethe, obwohl er mein Buch gar nicht kannte, als er feststellte: „Der Worte sind genug gewechselt, lasset mich endlich Taten sehen.“

Daher: Lasset das Buch beginnen!

1 Hüther & Quarch (2018)

2. Schritt 1: Vorbereitungen für den Weg zum Sein

Bevor Du mit Deinem Weg beginnst, solltest Du, wie für jede gut geplante Reise, Vorbereitungen treffen. Du kannst dazu Landkarten studieren, Google Maps herausfordern oder Reisetipps recherchieren. Das alles bringt Dich bestimmt weiter. Vielleicht sogar bis nach Sommerloch im Kreis Bad Kreuznach oder bis nach Aua in der Gemeinde Neuenstein. Ziele gibt es viele, Wege wohl noch mehr. Wenn Du Dein Sein allerdings nicht in Sommerloch oder Aua finden möchtest, würde ich Dir zur Vorbereitung Folgendes vorschlagen:

2.1 Beginne damit, etwas zu tun

Um Goethe nicht zu enttäuschen: Tue etwas und hole Dir als erstes einen Stift. Ganz egal, ob Kugelschreiber oder Bleistift, einfach einen Stift, der schreibt. Und jetzt beantworte bitte hier an dieser Stelle, spontan und aus dem Bauch heraus, folgende Frage: „Wer bist Du?“ Nicht überlegen! Schreiben!

Nachdem Du nun Deine Antwort notiert hast, folgt sogleich die zweite Frage: „Was war Dein erste Gedanke, nachdem Du meine Frage gelesen hast?“ Und da darfst Du ganz ehrlich sein:

Da ich ziemlich neugierig bin, stelle ich mir natürlich die Frage: Was hast Du notiert? Am ehesten würde ich für die erste Frage eine Antwort wie „Ich bin Marie, Harald, Kerstin, Oliver“ vermuten. Denn mit unserem Namen machen wir nichts verkehrt, egal wer uns gegenüber steht. Als Teil unseres offiziellen, europäischen Begrüßungsrituals passt er zu jeder Situation, ist unverfänglich und ein netter Auftakt für das obligatorische Händeschütteln im Anschluss.

Natürlich kann es auch sein, dass Du Deine Vorstellung etwas ausführlicher gestaltet hast. Dann wäre die Kombination aus Name und Beruf am wahrscheinlichsten, wie zum Beispiel: „Ich bin Marie und ich bin Stewardess.“ Besonders bei offiziellen Anlässen und Personen gegenüber, die wir nicht so gut kennen, gibt diese Variante Informationen über uns preis, die etwas mehr, aber auf keinen Fall zu viel von uns verraten. Mit der Nennung unserer Berufsrolle haben wir für einen kurzen Smalltalk auf jeden Fall unsere Schuldigkeit getan. Sie bietet unserem Gegenüber einerseits die Möglichkeit, das Gespräch durch eine humorvolle Rückfrage, wie z.B. „Sehr interessant. Haben Sie keine Flugangst?“, aufrechtzuerhalten – oder es schnell zu beenden. Dazu eignet sich ein einfaches, aber desinteressiertes „Aha!“ als Rückmeldung.

Neben diesen wahrscheinlichsten gibt es noch unzählige Varianten philosophischer und tiefgründiger Antworten auf meine Frage. Und Deine Antwort auf die zweite Frage? Welcher erste Gedanke setzte die Synapsen Deines Gehirns unter Strom? In der Rolle eines höflichen und diplomatischen Lesers könnte Dein erster Gedanke vielleicht gewesen sein: „Was soll das?“ oder „Echt jetzt?“ Auch geradlinige Gedanken wie „Was soll denn der Sch*“ sind wahrscheinlich. Denn die Frage danach, wer wir sind, stellt uns bereits in den ersten Minuten einer Begegnung vor ein echtes Dilemma: Was soll ich einem Menschen antworten, den ich nicht kenne? Mit welcher Antwort hinterlasse ich den besten Eindruck? Soll ich eher geschäftlich distanziert oder privat offen antworten? Und: Welcher Strick könnte mir daraus gedreht werden? Sicherheitshalber halten wir diese Antwort lieber etwas kürzer. Und wenn wir mal ganz ehrlich sind: Wer von uns weiß tatsächlich schon, wer er ist und wozu er ist, wer er ist? Wir wissen es im besten Fall ein bisschen, haben eine ungefähre Ahnung. Aber wir sind uns nie wirklich hundertprozentig sicher. Daher stellen wir uns diese Frage unzählige Male im Laufe unseres Lebens, immer und immer wieder, bis zu unserem Tod und manchmal sogar darüber hinaus. Wir geben nicht auf. Wie gerne würden wir sagen können: Ich weiß, wer ich bin. Ich bin … und ja, es hat einen Grund, dass gerade ich auf dieser Welt bin, nämlich …

2.2 Stelle Dir die grundlegenden Fragen:
Wer bist Du und wozu bist Du da?

Damit Du diese Aussagen bald sinn-voll zu Ende sprechen und mit Inhalt füllen kannst, lass uns gleich mit dem ersten Schritt der Spielanleitung beginnen: Lass uns klären, wer wir überhaupt sind. Wer ist dieses „ICH“, das uns ein Leben lang begleitet und nach dem jeder fragt? Umgangssprachlich scheint es so, als würden wir uns darüber kaum Gedanken machen. Wir verwenden das Wort „ich“ mit all seinen Varianten wie „mir“ und „mich“ ganz selbstverständlich und mehrmals täglich: „Ich bin motiviert“, „Mir schmeckt Apfelsaft“ oder „Mit einem Spaziergang tue ich mir selbst etwas Gutes“. Diese Formulierungen helfen uns, uns selbst mitzuteilen und auszudrücken. Ich, mir und mich sind nichts anderes als sprachliche Symbole, über die wir ein Bild von uns selbst konstruieren. Wir drücken mit diesen Worten aus, wie wir uns sehen und fühlen, einerseits gegenüber uns selbst und andererseits gegenüber unseren Mitmenschen. Grammatikalisch können wir als Person einmal zum Subjekt (Wer ist motiviert? Ich!) und einmal zum Objekt (Wem schmeckt Apfelsaft? Mir!) werden. Diese grammatikalische Unterscheidung in Subjekt (engl. „I“) und Objekt (engl. „me“) wurde von William James (1842–1910) in die Psychologie übernommen und zur Differenzierung des SELBST verwendet. Dazu definierte James das Subjekt ICH (I) als den aktiven Part, den Akteur unseres Selbst. Als ICH sind wir der Urheber unserer Handlung und unseres Wissens. Ich tue und ich weiß. MIR und MICH (ME) hingegen bilden das Objekt des eigenen Wissens. Ich habe ein Bild von mir und ich weiß etwas über mich. Dieses „subjektive Bild von mir selbst“ wird in der Psychologie als das Konzept unseres Selbst oder auch Selbstkonzept1 bezeichnet.

2.3 Finde erste Antworten im Spiel „Wer bin ich?“

Tatsächlich gibt es auf die eine Frage „Wer bin ich?“ nicht die eine richtige Antwort. Es gibt mehrere, wie es auch die Frage von Richard David Precht vermuten lässt: „Wer bin ich und wenn ja – wie viele?“ Um Dir zu zeigen, welche Antworten das sein können, lass uns ein Spiel spielen! O.k., das ist jetzt ein bisschen unfair, weil Du nicht die Chance hast, „Nein“ zu sagen, wenn Du dieses Buch weiterlesen möchtest. Es ist aber sehr nett von Dir, dass Du mitspielst.

Ich nehme an, dass Du das Spiel „Wer bin ich?“ kennst. Üblicherweise schreibt man den Namen einer Figur auf einen Post-it und klebt seinem Spielpartner diesen Zettel auf die Stirn. Der andere muss durch geschlossene Fragen (nur Ja- oder Nein-Antworten möglich) herausfinden, wer er ist bzw. welcher Name auf dem kleinen, gelben Zettel auf seiner Stirn steht. Nein, Du bist nicht Gott. Wir spielen das ein bisschen anders. Nach meinen Spielregeln. Ich stelle Dir gleich vier Fragen, die Du mit ja oder nein beantworten kannst. Bevor Du allerdings antwortest, biete ich Dir für beide Optionen eine Erklärung. Das soll Dir helfen, Deine Wahl zu treffen und herauszufinden, wer Du sein könntest. Soweit alles klar? So oder so, wir starten jetzt:

Frage 1: Bist Du ein Mensch?

NEIN: Du gehörst demnach wohl einer anderen Kategorie an? Bist Du ein Außerirdischer oder Cyborg!? Dann ist es natürlich grandios, dass Du über die Fähigkeit verfügst, ein Buch zu lesen. Da ich leider über keinerlei Wissen auf dem Gebiet Deiner Kategorie verfüge, ist unser gemeinsames Spiel an dieser Stelle schon beendet. Wenn Du trotzdem weitermachen möchtest, muss ich Dich bitten, für die nächste Frage den Blickwinkel eines Menschen einzunehmen. Vielen Dank.

 

JA: Rein biologisch, also nach der Biosystematik der Lebewesen, bist Du ein Mensch. Der Mensch ist eine Art der Gattung Homo aus der Familie der Menschenaffen, die zur Ordnung der Primaten und damit zu den höheren Säugetieren gehört. Nach heutigem Stand gehören wir nicht nur zur Gattung Homo, sondern sogar zur Gattung Homo sapiens sapiens. Wir sind somit, nach der lateinischen Übersetzung, nicht nur ein einfacher Mensch, sondern ein weiser, gescheiter, kluger und auch vernünftiger Mensch. Das möchte man bei manchen Exemplaren unserer Spezies kaum vermuten. Aber laut Definition sollte dies auf uns alle, die wir Menschen sind, zutreffen. Daher halten wir ganz objektiv fest: Im Sinne einer biologischen Kategorie bist Du ein Mensch.

Frage 2: Bist Du eine Person mit Persönlichkeit?

NEIN: Du bist rein rechtlich keine Person, wenn Du in einem Staat lebst, in dem Du nicht wie jeder andere Mensch über die gleichen Rechte und Pflichten verfügst. Früher galt dies z.B. für Sklaven, die vor Gericht nicht als Person, sondern als Sache / Ding behandelt wurden. Sie durften vollkommen legal verkauft und gekauft werden. In Deinem Fall hoffe ich nun einfach, dass Du diese Antwort ausschließen kannst. Im psychologischen Verständnis hast Du keine Wahl: Da bist Du ganz klar eine Person.

JA: Du bist eine Person, weil die biologische Kategorie Mensch in unserer (europäischen) Gesellschaft durch die rechtliche Kategorie der Person ergänzt wird. Das Wort Person hat demnach keine natürliche, sondern eine soziale Herkunft. Rein rechtlich, in Österreich nach §1 BGB, wird heutzutage jeder lebende Mensch als natürliche Person angesehen, die über Rechte und Pflichten verfügt. Da Personen sich auch zusammenschließen können, musste dafür ebenfalls eine Bezeichnung, die der juristischen Person, gefunden werden. Unternehmen, Vereine, Verbände u.ä. sind somit ebenso Personen, allerdings juristische. In diesem Sinne bist Du eine Person, wenn Du in einem demokratischen Rechtsstaat lebst. Im psychologischen Verständnis bist Du eine Person, da Du Träger einer spezifischen Kombination aus Eigenschaften und Dir Deiner selbst bewusst bist.

Wenn Du wissen willst, was Deine Person mit einer Maske zu tun hat, was es mit Deiner Persönlichkeit auf sich hat und wie Du diese Informationen für Dich nutzen kannst, dann schau in das erste Bonuskapitel ab Seite here. Wenn Dir die Informationen dazu im Moment aber genügen, können wir gleich mit der nächsten Frage anschließen.Woher das Wort „Person“tatsächlich stammt, lässt sich heute nicht mehr eindeutig feststellen. Eine Version besagt, dass sich das Wort „Person“ vom lateinischen Wort „Persona“ ableitet. Als Persona wurde im antiken Theater Roms die Maske des Schauspielers bezeichnet, durch die seine Stimme tönt. Da „durch tönen“ im Lateinischen mit „per sonare“ übersetzt wird, galt die Entwicklung von per sonare über Persona zu Person lange als wahrscheinlich. Mittlerweile wird die Abstammung des Wortes „Person“ eher dem etruskischen Wort „Phersu“ zugeordnet, das ebenfalls mit „Maske“ übersetzt wird.

Frage 3: Hast Du eine Funktion / Aufgabe im Leben?

NEIN: Du hast das Gefühl, keine Funktion oder Aufgabe im Leben zu erfüllen? Dann möchte ich Dir das Bonuskapitel ab Seite here ans Herz legen. Es ist zwar etwas umfangreicher, aber so bietet es Dir die Gelegenheit, doch die eine oder andere Funktion Deines Lebens zu entdecken. Selbstverständlich gilt das auch für alle, die diese Frage zwar mit „JA“ beantworten, trotzdem aber etwas mehr dazu wissen wollen. Viel Spaß, und wir treffen uns im Anschluss Deiner Lektüre wieder hier für die letzte Frage.

JA: Du hast bereits eine Funktion / Aufgabe für Dich im Leben entdeckt, weil Du etwas tust. Du erfüllst eine Funktion für etwas oder für jemanden – ganz egal, ob es sich dabei um eine Firma handelt, für die Du das Eingangstor bewachst, oder ob es sich um eine Dir nahestehende Person handelt, für die Du die Funktion des geduldigen Zuhörers übernimmst. Deine Aufgabe im Leben kann groß, aber auch ganz klein sein. Manche Menschen entscheiden sich für eine einzige Hauptfunktion, andere wiederum für viele verschiedene. Je nach Lebenssituation können sich unsere Aufgaben verändern. Ich freue mich, dass Du Dir in diesem Moment über eine Deiner Funktionen / Aufgaben im Leben bewusst bist.

Frage 4: Ist es Dir möglich, das Leben als Spiel und Dich

als SpielerIn darin zu sehen?

NEIN: Es ist Dir nicht möglich. Du siehst Dein Leben nicht als Spiel. Das Leben ist alles: harte Arbeit, Verzicht, Trauer, Angst und Schweiß. Es ist alles, nur kein Spiel. Es als Spiel zu bezeichnen, würde Dein Leben ins Lächerliche ziehen. Das tut mir sehr leid für Dich. Ich kann diese Sichtweise nachvollziehen und ich möchte sie Dir nicht nehmen. Ich möchte Dich nur bitten, mir die Chance zu geben, Dir davon zu erzählen, was ich unter Spiel verstehe. Ich will Dich nicht von Deiner Meinung abbringen. Ich möchte Dir mit dem nun folgenden Kapitel lediglich eine weitere Möglichkeit zeigen, wie auch Du Dein Leben leichter und glücklicher wahrnehmen kannst.

Du kannst Dich am Ende weiterhin dafür entscheiden, auf diese Frage mit NEIN zu antworten. Für diesen Fall würde ich Dir gerne mit den fünf Säulen der Identität nach Petzold schon jetzt ein Instrument an die Hand geben, das Dir vielleicht in Deiner derzeitigen Situation nützlich sein könnte. Diese Übung findest Du in Kapitel 4.3.3 Petzold und die Identität auf fünf Säulen ab Seite here.

JA: Es ist Dir möglich, das Leben als Spiel und Dich als SpielerIn darin zu sehen. Dann heiße ich Dich herzlich willkommen in meiner Realität.

Mit dieser letzten Antwort gratuliere ich Dir zum Abschluss der Vorbereitungsphase. Damit bist Du bereit, weiter zu gehen. Im folgenden Kapitel werde ich Dir die wichtigsten Inhalte zur sozialen Spieltheorie vermitteln. Dieses Wissen wird Dir dabei helfen, Deine Schritte auf dem Weg zum Sein (noch) selbst-bewusster zu setzen. Nur wenn Du über das nötige Hintergrundwissen verfügst, weißt Du, was Du tust und wozu. Damit wird es Dir leichter gelingen, Irrwegen gekonnt und entspannter aus dem Weg zu gehen.

1 Neyer & Asendorf (2018)