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Loe raamatut: «Winnetou 4», lehekülg 13

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»Dieser Grund ist nicht maßgebend, weil die Spuren nicht so schnell zu verwischen wären, daß die Brüder nicht bemerkten, was während ihrer Abwesenheit hier vorgenommen worden ist. Wo über dreißig Jahre vergangen sind, wird es wohl keinen bösen Schaden machen, wenn noch einige wenige Stunden vergehen. Wir dürfen nicht vergessen, daß ich von Tatellah-Satah an die mittelste der fünf großen Blaufichten gewiesen bin. Er schreibt: Ihre Stimme sei dir wie die Stimme Manitous, des großen, ewigen und allliebenden Geistes!‘ Das ist also so wichtig und so eilig, daß es allem Anderen vorauszugehen hat.«

»Ganz gewiß, ganz gewiß! – Aber wo sind diese blauen Fichten? Wo stehen sie?«

»Gar nicht weit von hier. Komm!«

Ich führte sie nach einer Stelle des Waldes, wo aus dem Boden sich mehrere Felsen erhoben, an deren Fuß ein Wassertümpel lag. Da standen die fünf Silber-Blaufichten, welche Tatellah-Satah meinte. Sie waren bis ganz herunter auf den Boden beästet. Unter diesen Ästen gab es einige wenige dürre. Kaum war mein Blick auf den mittelsten dieser Bäume gefallen, so wußte ich, woran ich war. Das Herzle aber stand da, schaute die Bäume ratlos an, schlug die Hände zusammen und seufzte:

»Da sieht ja eine genau wie die andere aus, nur daß die mittlere ihre Schwestern um einige Ellen überragt! Und auch ein Ast genau wie der andere! So gedrungen, so reich und dicht benadelt! Und dieser Baum, diese Fichte, soll zu dir sprechen? Wie denn, wie? Weißt du es?«

»Ja.«

»Ich nicht!«

»Das glaube ich wohl!«

»Also wie? – Sag es mir!«

»Kannst du Fichte und Tanne unterscheiden?«

»Ich denke!«

»So betrachte die mittlere Fichte genauer! Es gibt da unten einige dürre Zweige, an denen sich nur noch wenige Nadeln befinden. Bitte, zähle sie! Von unten herauf! Und zeige dabei mit dem Finger hin!«

Sie tat es.

»Eins, zwei, drei«, zählte sie. »Vier, fünf, sechs …«

»Halt!« unterbrach ich sie. »Betrachte diesen sechsten, dürren Zweig! Ist das auch Fichte?«

»Nein, sondern Tanne.«

»Merkst du nun, daß der Baum zu reden beginnt?«

»Ah! So ist das, so, so?«

»Ja, so! Kann dieser Tannenzweig an der Fichte gewachsen sein?«

»Gewiß nicht. Man hat den richtigen entfernt und diesen falschen an seine Stelle gebracht. Aber ist das nicht unvorsichtig oder gar gefährlich. Konnte das nicht ebensogut auch jeder Andere außer dir entdecken?«

»Nein. Wenn es grüne Zweige wären, dann ja. Da würde der Tannenzweig mit seiner ganz anderen Benadelung sofort auffallen. Da es aber vertrocknete Äste sind, an denen man nur wenige Nadeln sitzen ließ, konnte nur ich allein den Treffer machen, und zwar auch nur deshalb, weil ich vorher ganz besonders aufmerksam gemacht worden war. Bitte, entferne diesen Zweig!«

»Abbrechen?«

»Nein, sondern herausziehen.«

Sie tat es. Es war an der Stelle des ursprünglichen Astes ein Loch gebohrt und der Tannenzweig dann hineingesteckt worden. Dieses Loch war jetzt zu sehen; aber es hatte nur der Zweig darin gesteckt; es war leer. Nun untersuchte ich den Stamm in der Nähe des Bohrloches. Ganz richtig! Man hatte die Rinde in Form einer Klappe losgelöst und dann mit dem Ast wieder fest angesteckt. Als ich diese Klappe öffnete, fiel ein weißes Papier heraus. Das Herzle griff eiligst zu und rief freudig aus:

»Das ist die Stimme des Baumes‘! Das ist sie! Oder nicht?«

»Gewiß ist sie es.«

»Was so ein Indianer für ein scharfsinniger und gescheiter Mensch ist!«

»Ja«, lachte ich. »Und welch eine beispiellose Klugheit von einer weißen Squaw aus Radebeul, die das Alles sogleich entdeckt!«

Da lachte sie mit und sagte:

»Habe ich diese Entdeckung etwa nicht dadurch eingeleitet, daß ich den Unterschied zwischen Tanne und Fichte sehr wohl kannte? Laß uns lesen!«

Da sie daheim meine Sekretärin ist und fast meine ganze Korrespondenz besorgt, hielt sie sich für berechtigt, auch dieses Blatt zu öffnen und vorzulegen. Sie zog schon die Augenbrauen in die Höhe, um ein möglichst wichtiges Gesicht zu machen; aber diese Wichtigkeit fiel sofort wieder in sich zusammen, und in sehr enttäuschtem Ton erklang die Klage:

»Das kann ich aber nicht lesen – leider, leider!«

»Wohl indianische Bilderschrift?«

»Nein. Es sind englische Buchstaben; aber die Sprache ist fremd.«

»Zeig her!«

»Da! Hier! Aber setzen wir uns! im Stehen begreift man schwerer.«

Sie setzte sich nieder und klopfte mit der Hand neben sich auf den Boden. Man weiß wohl bereits, was ich da zu tun hatte: Ich setzte mich neben sie nieder und las die Zeilen vor. Sie waren im Apatsche von derselben kalligraphisch geübten Hand auf dasselbe sehr gute Papier geschrieben wie der Brief, den ich daheim von Tatellah-Satah erhalten hatte. Die Übersetzung lautete:

»Warum suchtest du nur nach deadly dust? Nach tödlichem, goldenem Staub?

Glaubtest du wirklich, Winnetou, der überschwänglich Reiche, könne der Menschheit nichts Besseres hinterlassen?

War Winnetou, den du doch kennen müßtest, so oberflächlich, daß du es verschmähen durftest, in größerer Tiefe zu suchen?

Nun weißt du, warum ich dir zürnte. Sei mir willkommen, wenn du verstehst, es mir zu sein!«

Das war der Brief des alten »Tausend Jahre«. Ich faltete das Papier zusammen und steckte es ein. Wir sahen einander an.

»Ist das nicht sonderbar?« fragte das Herzle.

»Höchst sonderbar!« nickte ich«, Er schreibt ganz dasselbe, was du gesagt hast. Ich bin beschämt, außerordentlich beschämt!«

»Nimm es dir nicht zu Herzen!«

»O doch! Ich habe da eine Sünde an Winnetou begangen, die ich mir unmöglich verzeihen kann. Und nicht nur an Winnetou allein, sondern an seiner ganzen Rasse! Jetzt bin auch ich überzeugt, daß wir noch mehr und noch viel Wichtigeres finden werden, als ich damals gefunden habe.«

,,Weil der alte Tatellah-Satah es sagt?«

»Nicht nur deshalb, sondern noch viel mehr aus dem Grund, der in Winnetous Charakter liegt. Ich habe tief unter diesem hohen, edlen Charakter hinweggesehen und tief unter ihm hinweggehandelt. Das ist meine Sünde. Er würde gütig lächeln und mir verzeihen; ich aber lächle nicht. Bedenke, daß über dreißig Jahre unnütz vergangen sind! Ein volles Menschenleben! Komm, Herzle, wir müssen graben!«

»Ja, solange die Enters fort sind«, stimmte sie bei.

»Nicht das! Mir ist es jetzt gleich, ob sie da sind oder nicht. Horch! Ich höre ihre Stimmen. Sie sprechen mit Pappermann. Sie sind also schon zurück.«

Ja, sie waren wieder da, und zwar mit einem Prairiehasen, der sich in die Berge herein verlaufen hatte. Sebulon tat wunder, was das für eine Heldentat von ihnen sei; ich aber fiel ihm kurz entschlossen in die prunkende Rede:

»Legt das Häslein her! Vielleicht braten wir es, vielleicht auch nicht. Es gibt jetzt Wichtigeres zu tun.«

Ich hatte die Absicht gehabt, ihnen erst später, wenn wir von hier fort waren, zu sagen, daß wir dagewesen seien, denn ich fürchtete den Einfluß dieses Ortes und seiner Erinnerungen auf ihren Seelenzustand. Oder mit andern Worten, ich hatte psychiatrische Bedenken. Nun aber trieben mich ganz andere Gründe. Ich hatte höhere Rücksichten zu nehmen und fuhr darum fort:

»Ich habe euch eine Entdeckung zu machen, die ich für später aufheben wollte. Ihr befindet euch nämlich über den Ort, an dem wir heut und morgen lagern werden, im Irrtum. Hier liegen nicht Kiowahäuptlinge begraben, sondern der Vater und die Schwester meines Winnetou. Der Tavuntsit-Payah ist unser Nugget-tsil.«

Der Eindruck dieser meiner Worte war ein großer, ja ein sehr großer. Die Brüder standen still; sie bewegten sich nicht; sie sagten kein Wort.

»Habt ihr mich verstanden?« fragte ich.

Da setzte Hariman sich, als ob er zu Boden falle, nieder, schlug die Hände vor das Gesicht und begann laut und bitterlich zu weinen. Nun hob Sebulon seinen finstern und doch flackernden Blick zu mir empor und fragte:

»Ist das wahr, was Ihr sagt?«

»Was könnte ich für einen Grund haben, euch zu belügen?«

»Well! Wir glauben Euch! Das sind also die Gräber von Intschu tschuna und Nscho-tschi?«

»Ja.«

»Deren Mörder unser Vater war?«

»Euer Vater, ja, kein Anderer.«

»Erlaubt, daß ich mir die Gräber betrachte.«

Er ging zunächst zum Grab des Häuptlings und dann zu dem seiner Tochter. Er nahm sie sehr eingehend in Augenschein. Er schien innerlich ruhig zu sein; aber ich sah, daß er, wenn er sich bewegte, wankte. Es war, als ob er auf einem hohen Turmseil gehe und sich heimlich bemühe, die Balance nicht zu verlieren. Dann ging er langsam wieder dahin zurück, wo der Hase lag. Er stieß ihn mit dem Fuß an und sagte in leise knirschendem Ton:

»Auch nur so ein armes Häschen! Wir! Grad wie damals Gates und Clay. Ihr seht, Mr. Burton, daß ich Alles gelesen und mir Alles gemerkt habe, sogar das mit dem Hasen und den alten Tauben, die niemand genießen konnte. Ich möchte Euch bitten, uns einen Dienst, einen Liebesdienst zu erweisen.«

»Welchen?«

»Uns zwei Bilder aus der Vergangenheit dieses Ortes zu zeigen, die zwei für uns wichtigsten Bilder. Versteht Ihr mich?«

»Ich verstehe. Ihr wünscht, daß wir uns jetzt auf die Pferde setzen und ich euch herumführe, um euch Alles zu zeigen, was damals geschehen ist, zum ersten Mal, als Intschu tschuna mit seiner Tochter erschossen wurde, und zum zweiten Mal, als euer Vater mir das Testament entriß?«

»Ja, das meine ich.«

»Das wollte ich tun, um Mrs. Burton die betreffenden Orte zu zeigen. Wollt ihr uns begleiten, so habe ich nichts dagegen. Ich denke aber, daß es besser für euch ist, darauf zu verzichten.«

»Warum?«

»Weil meiner Ansicht nach ein Sohn sehr starke Nerven haben muß, um einen Rundritt zu den Orten auszuhalten, an denen sein Vater solche Taten beging.«

»Wir sind gesund, und unsere Nerven sind es auch. Also ihr wollt?«

»Ja.«

»Wann?«

»Wann es euch beliebt.«

»Also sofort! Ich habe nämlich nicht den Vorzug, sehr geduldig zu sein.«

»Werdet es schon noch werden, wenn nicht jetzt, so doch später. Wir reiten also. Mr. Pappermann bleibt als Wache hier.«

»Sehr gern!« nickte der Alte. »Habe nicht die geringste Lust, mich um derartige alte Stapfen zu bekümmern!«

Er hätte sich wohl gern noch kräftiger ausgedruckt, denn er konnte die Brüder nicht leiden, und besonders Sebulon war ihm direkt verhaßt, doch ließ er es bei dieser Andeutung bewenden. Wir Anderen konnten gleich wieder aufsteigen, denn die Pferde waren noch gar nicht abgesattelt. Wir ritten den Weg, den wir gekommen waren, wieder zurück und dann südwärts bis zu dem Spring, an dem ich damals mit Winnetou, Intschu tschuna, Nscho-tschi, Sam Hawkens, Dick Stone, Will Parker und den dreißig Apatschen gelagert hatte. Das ist in Winnetou Band I Seite 483 zu lesen. Von da aus verfolgten wir die Wege, die ich dann teils gegangen und teils geritten war, bis die Schüsse fielen, von denen Vater und Tochter getroffen wurden. Hierdurch gewannen meine Frau und die Brüder ein klares Bild von der Ermordung derer, die mir so lieb gewesen waren. Wir waren hierbei zu unserem Zelt zurückgekommen, wo ich dann gleich an Ort und Stelle erzählen und erklären konnte, wie es bei dem Raub des Testamentes zugegangen war. Hariman Enters hatte während dieses ganzen Rittes und dieser ganzen Instruktion kein einziges Wort gesprochen und mich kein einziges Mal angesehen. Er tat mir leid. Seine Wangen glühten zuweilen; oft wischte er sich den Schweiß von der Stirn. Er fieberte. Ganz anders sein Bruder. Dieser schien ganz unberührt. Er zeigte eine Ruhe, die selbst ein guter Menschenkenner vielleicht für echt gehalten hätte. Aber seine Augen – seine Augen! Die hatte er nicht in der Gewalt! Die verrieten Alles, Alles! Er war wütend darüber, daß die Streiche seines Vaters nicht so geglückt waren, wie es in dessen Absicht gelegen hatte. Er haßte mich wahrscheinlich noch tiefer und noch glühender, als dieser mich gehaßt hatte. Er war eines jeden Verbrechens, sogar des Mordes, gegen mich fähig. Und doch brauchte ich ihn nicht zu fürchten, wenigstens jetzt noch nicht, weil er mich an Kiktahan Schonka abzuliefern hatte, und zwar, wie sich ganz von selbst verstand, lebendig und vollständig heil.

Auch er bemerkte jetzt die kleine Bodenvertiefung am Häuptlingsgrab. Er betrachtete sie, sann nach und fragte mich dann:

»Hier habt Ihr wohl gegraben, damals?«

»Ja«, nickte ich.

»Da lag das Testament?«

»Ja. Und nicht nur das Testament.«

»Was noch?«

»Das weiß ich nicht; ich werde es aber erfahren. Ich bitte euch, mir eure Spaten zu borgen.«

»Wozu?«

»Um zu graben.«

»Noch einmal? – Hier? – An dieser Stelle?«

»Gewiß, noch einmal! Und an derselben Stelle!«

»So glaubt Ihr wirklich, wirklich, daß damals nicht alles herausgenommen worden ist?«

»Das glaube ich, grad das!«

Da leuchteten seine Augen infolge einer inneren Flamme glühend auf, und seine Stimme klang vor Erregung heiser, als er rief:

»Und da soll ich Euch unsere Spaten borgen! Fällt mir gar nicht ein! Nicht im Traum! Wir graben selbst, wir selbst, mein Bruder und ich!«

Er rannte dorthin, wo die Spaten lagen, holte sie, hielt seinem Bruder einen hin und forderte ihn auf:

»Steh auf, und heule nicht, alte Memme! Du hörst es ja: Das Nest ist nicht ganz ausgenommen worden! Es gibt noch was zu holen! Wahrscheinlich viel, sehr viel! Steh auf; steh auf! Arbeiten heißt es jetzt, arbeiten!«

Hariman hatte sich wieder niedergesetzt und den Kopf gesenkt! Er stieß den ihm angebotenen Spaten von sich und sagte:

»Laß mich! Ich arbeite nicht! Ich rühre keine Hand! Verflucht sei all das Gold und deine Sucht, es Anderen zu entreißen! Du wirst an ihr zugrunde gehen, genau wie er – wie er!«

»So willst du nicht?«

»Nein! Gib dir keine Mühe! Ich habe genug!«

»Feigling! Verdammte Memme!« zischte Sebulon ihn verächtlich an.

Da erhob sich Hariman mit einem schnellen Ruck, trat hart an ihn heran und fragte in zornigem Ton:

»Wer ist die Memme? Du oder ich? Ich habe den Mut, zu kämpfen; du aber hast ihn nicht! Ich will frei sein, frei von diesem Teufel, der uns besessen hat und auch heute noch besitzt. Er ist ohne Gnade und ohne Erbarmen. Er gebietet uns, ihm zu gehorchen oder zugrunde zu gehen. Er fordert von uns das Verbrechen oder den Sühnetod für den Väter. Dir fehlt der Mut, gegen ihn zu kämpfen; darum wählst du das Verbrechen; ich aber wähle … den Tod. Ich wiederhole also die Frage: Wer ist die Memme? Du oder ich?«

»Ich wähle nicht das Verbrechen, sondern ich wähle das Gold, das Gold! Und wenn du nicht hilfst, so nehme ich mir es allein!«

Er warf den einen Spaten hin und begann, mit dem anderen zu graben. Hariman setzte sich wieder nieder.

Da trat Pappermann herbei, griff nach dem am Boden liegenden Spaten und sagte:

»Ich helfe mit. Zwei fördern mehr als einer.«

Sebulon aber fuhr ihn schnell an:

»Fort mit Euch! Ihr habt hier nichts zu suchen! Ich dulde keinen Anderen!«

»Well! Ganz wie Ihr wollt! Ich glaubte, Euch einen Gefallen zu tun!«

Er ließ den Spaten wieder fallen. Sebulon aber arbeitete in einer Weise, als ob er von Sinnen sei. Er tat Stich um Stich, und zwar mit einem Übermaß von Kraft und Eile, als ob keine Minute zu verlieren sei und es sich um Leben und Seligkeit handle. Das Loch wurde tiefer und tiefer. Er starrte nur immer hinein. Er sah weder nach rechts noch nach links. Der Schweiß lief ihm von der Stirn und über die Wangen herunter.

»Das ist Wahnsinn – der offenbare Wahnsinn!« flüsterte meine Frau mir zu. »Er tut, als ob ihm Alles gehöre! Was soll daraus werden?«

»Nichts Gefährliches für uns«, antwortete ich ebenso leise.

»Aber wenn er etwas findet – was dann?«

»Wenn es kein Gold oder Geldeswert ist, wird er es verschmähen.«

»Und wenn es etwas ist, was er nicht verschmäht? Dann kommt es unbedingt zum Kampf zwischen dir und ihm!«

»Zum Kampf? Keinesfalls! Laß mich nur machen, und habe keine Sorge! Es handelt sich hier um unendlich wichtige psychologische Vorgänge, die ich in dieser Weise gewiß niemals wieder zu sehen bekomme.«

»Was hast du von all diesem psychologischen Interesse, wenn du es mit dem Leben bezahlen mußt!«

»Bitte doch, sei vernünftig; sei ruhig! Es geschieht mir nichts, wirklich nichts!«

»Ich möchte es wohl glauben. Aber gib mir trotzdem einen von deinen Revolvern! Ich schieße diesen wahnwitzigen Menschen augenblicklich nieder, wenn er es wagt, die Hand an dich zu legen!«

Das war ihr ernst. Sie hatte wirklich Angst. Die Gute, der es ganz unmöglich ist, einen Wurm oder Käfer unzart zu berühren, wollte aus Liebe zu mir einen Menschen niederschießen! Ich war gerührt, verbarg dies aber und antwortete lachend:

»Liebes Kind, wenn geschossen werden soll und muß, so tue ich es selbst. Ich ziele besser als du. Und nun sei gut und . . .«

»Horch!« unterbrach sie mich. »Was ist es?«

Sebulon hatte nämlich einen Ruf ausgestoßen, einen Jubelruf, und verdoppelte seine Anstrengung. Die Erde flog nur so aus dem Loch heraus! Ich trat hin, um hinabzuschauen.

»Fort, fort!« brüllte er mich an.

»Ich will nur einen Blick hinuntertun!« entschuldigte ich mich.

»Auch das nicht! Fort, oder ich schlage zu!«

Er hob den Spaten hoch empor und sah mich mit drohenden Augen an. Sie waren wie mit Blut unterlaufen. Ich trat zurück und fuhr in beruhigendem Ton fort:

»Darf man denn nicht einmal fragen, warum Ihr jetzt gerufen habt?«

»Das will ich Euch wohl sagen: Ich bin auf Gold gestoßen.«

»Wirklich?«

»Ja – auf etwas Hartes, Breites. Das Loch ist zu schmal. Ich muß es größer machen. Aber ich allein, ich allein! Wer mir zu nahe kommt, den schlage ich nieder, sei er, wer er sei!«

Er arbeitete weiter; ich aber kehrte an meinen Platz zurück.

»Siehst du, daß ich Recht habe?« begann das Herzle ihre Warnungen aufs neue. »Er wollte dich erschlagen!«

»Wird es aber nicht tun. Bitte, kompliziere mir die Situation nicht durch deine Angst! Du hast absolut keinen Grund, dich zu beunruhigen!«

Da beruhigte sie sich, obgleich der Eindruck, den Sebulon machte, keineswegs geeignet war, dieser Beruhigung Vorschub zu leisten. Bisher hatte er sich den Schweiß von Zeit zu Zeit abgewischt; nun tat er das nicht mehr. Die Nässe rann in großen, schweren Tropfen herunter. Das Gesicht erschien geschwollen; die Augen traten mehr und mehr hervor. Er ächzte und stöhnte, erst nur zuweilen, nun aber fast bei jedem Spatenstich. Er ermüdete. Er mußte dann und wann innehalten, um Atem zu holen. Seine Arme begannen zu zittern. Seine Bewegungen wurden ungewiß. Es war ein häßlicher, ein überaus häßlicher Anblick, den er bot. Er glich einem Dämon, einem bösen Geist, dessen Betrachtung für sterbliche Augen unerträglich ist.

Da endlich wieder ein Freudenruf ! Und wieder einer und abermals einer!

»Vater, Vater, du bist hier! Du hilfst mir! Ich weiß es; ich fühle es! Ich danke dir; ich danke dir!«

Nachdem er dies im Ton des Entzückens ausgerufen hatte, wendete er sein verzerrtes Gesicht uns zu und drohte:

»Keiner darf heran, keiner! Wer es wagt, diese Schätze zu berühren, den schlage ich tot, sofort und augenblicklich tot! Merkt euch das!«

Das Loch war breit und tief geworden. Er stieg hinein. Es ging ihm bis an den Gürtel. Er bückte sich nach innen und hob Etwas empor. Er legte es auf den Rand. Es war ein tönernes Gefäß. Er brachte noch eines zum Vorschein und noch eines; dann ein viertes und fünftes. Hierauf grub er noch eine Weile tiefer, stieg sodann heraus, tat einen langen, schweren Atemzug und sagte:

»Fertig! Das ist Alles! Weiter gibt es nichts!«

Hariman hatte von ihm abgewendet gesessen. jetzt drehte er sich um, sah die Gefäße, stand auf und näherte sich seinem Bruder.

»Ah, da kommst du doch!« höhnte dieser. »Aber glaube ja nicht, daß du Etwas davon bekommst! Es ist mein, Alles mein, Alles mein!«

»Nichts ist dein!« antwortete Hariman.

»Wem sonst?«

»Es gehört Mr. Burton, keinem Anderen. Winnetou hat es für ihn vergraben, für ihn allein

»Beweis, Beweis!« lachte Sebulon. »Dieser Mr. Burton hat sich vor dreißig Jahren geholt, was ihm gehörte. Das Testament. Alles Andere ließ er liegen; es war nicht sein! Heut habe ich es gefunden. Ein Fund wie jeder andere Präriefund. Nach dem Gesetz des Westens gehört er dem Finder, also mir, nur mir!«

»Falsch, grundfalsch!« widersprach Hariman. »Was wußtest du von diesem Schatz? Mr. Burton aber kannte ihn. Er wollte ihn holen, wollte graben. Er bat um unsere Spaten. Du hast ihm nicht nur deinen Spaten, sondern auch deine Arme, deine Arbeitskraft geliehen. Du grubst in seinem Namen; du grubst für ihn. So ist es; so steht es, und niemand kann es ändern.«

»So? So?« zischte Sebulon. »Das sagst du, mein eigener Bruder! Woher weißt du, daß ich für ihn gegraben habe, nicht aber für mich, für mich? Hast du das etwa von mir gehört? Nein! Oder von ihm? Nein! Er hat ruhig zugesehen, als ich arbeitete, und nicht gesagt, daß es für ihn sein soll. Und als er an das Loch kam, um hinabzuschauen, und ich ihn fortwies, da hat er gehorcht; da hat er sich entfernt, ohne auch nur den allergeringsten Anspruch auf das zu erheben, was sich in dem Loch befand. Verstanden? Diese fünf Schatzgefäße sind also mein Eigentum. Und ich will den sehen, der den Mut besitzt, sie mir streitig machen zu wollen! jetzt hilf! Ich will sie öffnen!«

Das Herzle sah mich besorgt und fragend an. Ich antwortete leise: »Warten wir, was sich drin befindet. Auf keinen Fall ist es Gold.« »Vielleicht doch.«

»Nein. Ich habe aufgepaßt. Für Gold war es nicht schwer genug. Nur Geduld!«

Die Tongefäße waren von quadratischer Gestalt, von blaubrauner Farbe und mit indianischen Figuren verziert. Man erkannte sie sofort und auch schon von weitem als gebrannte Töpferarbeiten aus einem Moqui- oder Zuni-Dorfe. Sie waren aus einem oberen und einem unteren Teil zusammengesetzt, der erstere auf den letzteren gestülpt, die Verbindungslinie mit einem Kitt überzogen, der keine Feuchtigkeit hindurchließ. Außerdem waren sie noch mit starken, geölten Bastschnüren umwickelt und verknotet. Ich vermutete auch aus diesem Grund, daß der Inhalt kein Metall, sondern irgendein Gegenstand sei, der vor allen Dingen vor Feuchtigkeit zu beschützen gewesen war.

»Also komm und hilf!« forderte Sebulon seinen Bruder nochmals auf. »Aber nimm dich in acht, daß wir nichts zerbrechen!«

Sie setzten sich miteinander zu den Gefäßen nieder und begannen, zunächst die Umschnürung zu entfernen. Hariman tat dies in ruhiger und bedächtiger Weise, Sebulon aber hastig, nervös und ohne Geduld. Wie vorhin seine Arme gezittert hatten, so bebten jetzt seine Hände und Finger.

»Die verfluchten vielen Knoten!« klagte er. »Es geht so langsam, so langsam! Und doch ist der Vater da, der Vater! Ich fühle es an der Aufregung, an der Leidenschaft, die mich zersprengen möchte. Mach schnell, mach schnell! Aber zerbrich nichts, ja nichts! Es darf kein einziger Bruch, kein Riß entstehen!«

Als die Schnüre von den ersten zwei Gefäßen entfernt waren, machten sich die Beiden daran, den Kitt mit den Messern zu entfernen. Das war eine zeitraubende Arbeit, weil er sich im Verlauf der Zeit in Stein verwandelt hatte. Dabei sprach Sebulon in Einem fort auf seinen Bruder ein, von Silber, von Gold, von Perlen, von alten, mexikanischen toltekischen, aztekischen oder gar altperuanischen Schmucksachen und Geschmeiden. Er bildete sich das Teuerste, das Köstlichste ein, was es gibt. Das artete nach und nach in hirnverbranntes, verrücktes Schwatzen aus, welches man eben nur des psychologischen oder vielmehr psychiatrischen Interesses wegen ertrug. Sie hielten gleichen Schritt in ihrer Arbeit. Als der Eine fertig war, war es auch der Andere. Jeder konnte sein Gefäß nun öffnen, tat es aber noch nicht. Die Spannung war zu groß. Man holte erst Atem.

»Rate! Was ist drin!« rief Sebulon mit zuckenden Lippen und fast kreischender Stimme. »Gold? Diamanten . . .?«

»Ich rate nicht«, antwortete Hariman. »Machen wir auf!«

»Gut! Ich zähle! Eins . . . zwei … drrrrrrrei … !«

Die beiden Deckel flogen zu gleicher Zeit auf. jeder schaute in sein Gefäß. Jeder griff hinein, um den Inhalt herauszunehmen, aber still, ganz still. Es ertönte kein Ruf der Überraschung, der Freude oder gar des Jubels. Sie betrachteten, was sie in den Händen hielten.

»Ein Lederpaket!« sagte endlich Sebulon.

»Ja, ein Lederpaket«, stimmte Hariman bei.

»Etwa mit Gold?«

»Nein. Dazu ist es zu leicht.«

»Diamanten? Geschmeide?«

»Auch zu leicht.«

»Gar Banknoten?«

Seine Augen blitzten wieder auf. Fünf solch Pakete mit Banknoten! Welch ein Vermögen!«

»Auf, auf! Schneiden wir auf! Schnell, schnell!« rief er aus.

Die Riemen wurden zerschnitten und die Lederteile auseinander geschlagen.

»Bücher!« sagte Hariman enttäuscht.

»Bücher! Tod und Teufel! Nur Bücher!« brüllte Sebulon. »Weg mit ihnen, weg, weg!«

Er schleuderte sie fort.

»Aber was für Bücher?« warnte Hariman. »Schau doch erst nach! Es kann ja Geld drin liegen!«

Sofort holte Sebulon das weggeworfene Volumen wieder her, um es zu prüfen, warf es aber sehr bald noch weiter von sich als vorher.

»Geschriebene Seiten, lauter geschriebene Seiten!« zürnte er. »Mit nichtssagenden Überschriften und mit dem geliebten Namen Winnetou!«

»Bei mir hier auch«, erklärte Hariman, der sein Paket inzwischen auch einer Untersuchung unterworfen hatte.

»So weg damit, immer weg! Und dafür die andern drei her! Ich hoffe, daß sie Besseres enthalten!«

Man kann sich denken, daß ich den Verlauf dieser Szene nicht so gleichgültig verfolgte, wie ich mir den Anschein gab. Hier war mir jedes einzelne Blatt oder Blättchen, jedes Stiickchen Leder oder Bastschnure heilig. Ich ließ die Beiden nur deshalb gewähren, weil sie mir die Arbeit abnahmen. Aber verletzen oder gar verderben durften sie mir nichts; das verstand sich ganz von selbst. Jetzt nun, als sie die beiden nächsten Gefäße hernahmen, ging das Oeffnen derselben dem ungeduldigen Sebulon nicht schnell genug. Er schnitt und riß die Umschnürung in bebender Eile herunter und rief dabei aus:

»Das geht Alles zu langsam, viel zu langsam! Der Kitt wird nicht wieder aufgekratzt, denn das erfordert zu viel Zeit. Wir schlagen die Gefäße einfach entzwei. Da sehen wir sofort, was sie enthalten!«

Da ging ich schnell zu ihnen hin und sagte:

»Entzweigeschlagen wird hier nichts! Diese Gefäße enthalten das Vermächtnis eines großen, edlen Verstorbenen. Sie haben für mich einen größeren Wert als Gold und Edelsteine. Ich dulde nicht, daß man sie zerbricht!«

Er stellte das, was er in den Händen hatte, neben sich hin, griff zum Spaten, sah mich drohend an und fragte:

»Und wenn ich sie dennoch zerbreche, was dann?«

»Pshaw! Ihr kommt ja gar nicht dazu!«

»Wieso?«

»Ich schlage Euch nieder, daß ihr zur Erde fliegt wie ein umgefallener Sack!«

»Ah, wirklich, wirklich? Versucht das doch einmal! Merkt aber vorher auf, was ich Euch sage: Ihr seht den Spaten in meiner Hand. Mit ihm zerschlage ich zunächst das Gefäß, und dann, wenn Ihr nur die geringste Bewegung gegen mich wagt, zerschmettere ich Euch mit ihm den Schädel! Nun tut, was Ihr wollt!«

Er hob den Spaten hoch, um seine Drohung auszufahren, und ich ballte schon die Faust zum angekündigten Hieb; da aber stand auch schon das Herzle neben mir und sagte:

»Nicht du, sondern ich!«

Sie schob mich zur Seite, trat hart an Sebulon heran und befahl:

»Nieder mit dem Spaten, nieder!«

Sie streckte dabei die Hand gebieterisch aus. Man sah ihr an, daß es ihr gar nicht einfiel, einen Widerstand zu erwarten. Er fuhr, fast möchte ich sagen, erschrocken zusammen und schaute ihr in die Augen. Ihre beiderseitigen Blicke hingen für kurze Zeit aneinander. Da senkte er den seinen, und er senkte auch den Spaten.

»Werft ihn weg!« kommandierte sie.

Er ließ ihn fallen.

»Setzt Euch wieder nieder!« forderte sie ihn in weniger strengem Ton auf.

Er tat auch das.

»So! Nun fahrt in Eurer Arbeit fort, aber vorsichtig und anständig! Es darf nicht der geringste Riß oder Sprung entstehn! Ich hoffe, Ihr tut mir das zu Liebe!«

»Zu Liebe, ihr zu Liebe!« erklang es kleinlaut aus seinem Munde. »Was soll man von mir denken, daß ich gehorche! Diese Augen, diese Augen! Hariman, sag es ihr, sag es ihr, damit wenigstens er mich nicht für einen Feigling hält, der sich vor ihm fürchtet!«

»Was ist‘s?« fragte sie den Genannten.

Er antwortete:

»Mein Bruder kann Eure Augen nicht ertragen, Mrs. Burton. Gleich vom ersten Augenblick an. Er sagte es mir sofort, nachdem er Euch gesehen hatte, und er hat es mir bis jetzt schon zehnmal, schon zwanzigmal wiederholt.«

»So ist es!« klagte Sebulon. »Diese Augen, diese niederträchtigen, unausstehlichen blauen Augen! Sie tun mir weh! Sie plagen und quälen mich! Schaut weg von mir, Mrs. Burton, schaut weg! Sonst tue ich Alles, Alles, was Ihr wollt!«

Da setzte sie sich neben ihn nieder, berührte mit ihrer Hand leise seinen Arm und antwortete:

»Wenn Ihr doch immer nur tätet, was ich will, so tätet Ihr stets das Richtige!«

Er zuckte den von ihr berührten Arm und stöhnte »Alle Teufel! Nun faßt sie mich sogar an!«

»Ich werde es nicht wieder tun. Es geschah ganz ohne Absicht«, entschuldigte sie sich. »Nun aber bitte, die Gefäße wieder zur Hand! Ich bleibe dabei und schaue zu.«

Er griff gehorsam nach dem seinen und sagte, zu Hariman gewendet:

»Also, entfernen wir den Kitt! Aber behutsam, sehr behutsam, damit ja nichts zerbricht! Verstanden?«

Er nahm, als ob gar nichts vorgefallen sei, die unterbrochene Arbeit von neuem auf. Und es tat sie so die sorgfältig und so bedächtig, daß ich mich im stillen schier verwundene. Das Herzle aber lächelte leise und glücklich.

Sie fühlt sich immer so froh, wenn es ihr gelungen ist, etwas Böses in Gutes zu verwandeln. Zwar kehrte die frühere Hast bei Sebulon nach und nach zurück; aber er widerstrebte ihr; es gelang ihm, sich zu beherrschen, wenigstens bis zu dem Augenblick, an dem er so weit war, das Tongefäß öffnen zu können. Da holte er tief, tief Atem und rief dann aus:

»Verzeihung, Mrs. Burton! Wenn es wieder nur Bücher sind, so sollen sie Euer sein! Wenn es aber Gold oder dem Ähnliches ist, so gebe ich es nicht her! Um keinen Preis! Soll ich nachschauen?«

»Ja«, antwortete sie.

Er entfernte den Deckel und sah hinein.

»Ganz dasselbe Lederpaket!« stöhnte er.

Er nahm es heraus, öffnete es und durchsuchte es.

»Wieder nur geschriebene Zeilen, weiter nichts, weiter nichts! Es ist ein Unglück, ein Jammer, eine Schande! Und du?«

Diese Frage war an seinen Bruder gerichtet, der sein Paket soeben auch geöffnet hatte. Er zeigte es her und antwortete:

»Auch nur Schreibereien, nichts Anderes!«

Da sprang Sebulon auf und jammerte:

»Ich muß Atem holen, Atem! Es packt mich die Wut! Mich rührt der Schlag!«

Vanusepiirang:
12+
Ilmumiskuupäev Litres'is:
30 august 2016
Objętość:
610 lk 1 illustratsioon
Õiguste omanik:
Public Domain

Selle raamatuga loetakse