Loe raamatut: «DER SCHÄMS-SCHEUSS-VIRUS», lehekülg 3

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Dat Alienotranslatonium

mönsterlandsk platt van Hannes Demming

So, Hiärm, nu geit mi van dienen besten Dubbelkorn äs üörndlick enen in! Nä, nich so’n minn Pinnken! Niëhm män forts en richtigen Hüüldopp orre, no biätter, dat Waterglas dao! Dann vertell ick di, wat mi up den Weg nao hierhen passeert is, un ick kann di säggen: Sowat häs du silliäwe no nich haort.

Also: Ick gaoh aohne Arg an den Kamp van den aollen Tönne Farwick längs; meteens häör ick in de Lucht so’n gediegen Geluud: en fien Brummen, äs wäör en helen Imm unnerweggens, blaots dat et dao jä gar keine Immen mähr giëwen kann, sietdem dat Tönne sienen Mais alltied met düt nieë Pestizid besplentert. Un äs’k nao buowen kiekem wat seih ick dao? En … Ding, dat blänkert un schiëmert un kümp ümmer daiper un daiper. Ick denk: Dat sall wull ene van düsse niemodernen Drohnen sein, de vandage üöwerall harümflaigt. Aower Pustekoken! Dat was keine Drohne, dat was en echt flaigend Unnerschäölken, äs m’ iähr uut Filme un uut’t Färnseihen kennt. Un de lannde direkt vüör mi up den Patt. Naja, »lannen« is vlicht nich de päössige Uutdruck. Eenfack in de Lucht staohnbliëwen is et, äs wäör’t uphangen an en Faam, den m’ nich seihn kann. Jä, un dann geiht buowen an den runnen Dack van dat Dingen ‘ne Klappe up, un drei lüttke, gröne Kärlkes stiegt uut un smiet’t sick up den Rand von dat flaigend Unnerschäölken vüör miene Augen in Posentur: diärtig Zentimeters haug, Klöör äs en Kohschiëtt orre, wann’k en lück vüörneihmer küern sall, äs den Wackelpeter met den künstlicken Ruukmüsekensmack, den wi fröher sunndags van Moder äs Naoiätsel kregen. Vader moch den pattu nich, aower wi fief Blagen häbt us ümmer üm siene Portion fochten.

Ach, ick kuomm in’t Quatern, also wieder! Du fräöggs, of’k mi verfeert häff? Wat ‘ne Fraoge! Ick doch nich. Daoför mösses du mi wull kennen.

‘ne Bangebüxe sin’k silliäwe nich west, un wann, dann här’t in mien Liäwen heel annere Situationen giëwen, wao’k mi här verferen konnt, tom Bispiël tijaohr, äs Beisenküötters Anni bi den Füerwehrball direkt vüör mi up den Disk kleide un an dansen fonk: Iähr Rock flaug hauge, un … ick keek in’t Paradies. Kärl, nä! … Sägg äs, wat büs du kniepig met den Sluck! Ick wedde, du häs no teminnst ene Pulle ächter’t Schapp in de Upkamer staohn. To, laot’t laupen! … Nu geiht’t wier, hä!

Also, wao was ick staohnbliëwen? Jau, richtig: De drei Kärlkes, de haren so’n Technik-Gerai bi sick, en Apparat met viële bunte Lämpkes un twee Dutz Knaip un en Luudspriäker vüörne dran. Un dann fongen se an küern: Et was män een Twittern un Quinkeleren un Fiepen, un wat menns du, wat dann passeerde? Du räöds et nich! … Akraot: Vüörne uut den Luudspriäker kamm dat, wat se saggen, in Haugdüütsk wier haruut, orre, biätter säggt, in ‘ne Spraoke, de m’ vandage so äs Haugdüütsk beliektekent.

»Hi, Alter«, sagg also dat ene van de grönen Kärlkes, »nun mal keine Panik auf der Titanic! Wir sind nämlich in ganz friedlicher Mission hier: peace, love and happiness und so weiter. Dass wir ausgerechnet in deinem Sektor aufgeschlagen sind, das liegt daran, dass das hier eine echt geile Gegend ist, alles so schön grün, genau wie bei uns zu Hause.«

Un dann vertall et wat daovan, dat iähre Maschine use Spraoke düör »Abhören des bildlosen Tonfunks«, lährt här, un twaorens, äs wi so säggen daien, »auf der Frequenz 105,5 Megahertz«.

Dann mook et iärst maol en Päusken un keek mi an, äs dai et wat van mi verwaochten. Un ick, sotosäggen Repräsentant van alle Mensken up usen Globus, smiet mi in de Buorst un sägge to em: »Kieksüh, dat freit mi aower unüesel, dat ji just use schöne Mönsterland för juen iärsten Besöök up den Planeten Ärde uutsocht häbt. Wi Mönsterlänner sind nämlicks en düör un düör gastfröndlicken Slagg Lüde. Wisse, et giff Mensken, de us nich lieden müegt un säggt, we bi us kaim, de möss iärst maol en Sack Saolt, hunnert Pund Töttken un dusend Näppe dicke Bauhnen met us vertehren, ähr dat he hier willkuommen wäör. Dat is apatt bar Afgunst, frie erfunnen un heel un deel luogen. Ick här mi aower freit, wann ji …«

Män dao miärk ick, dat de drei mi gar nich tolustern, sunnern engaolweg up den Apparat kiekt, also de Maschine, we Menskenspraoke üöwersetten kann. De Lämpkes sind nämlicks in ene Tour an’t Glinstern, löchtet nervös up, maol raud, maol blao, maol giäl, maol witt, maol gröön, maol pink un so wieder, äs in’t Kauphuus van Oktober an en Wiehnachtsbaum met siene bunten Lechtkes, Kuegeln un Kärßen.

»Ist ja voll krass!«, mennt dat ene van de Männkes to de twee annern, wieldes et mähr äs hibbelig an de Knaip van de Maschine harümdreiht un fummelt, un de Maschine dööt nix anners, äs alls, wat et sägg, in Eins-Live-Düütsk to üöwersetten. »Ich glaub, ich pack es nicht! Die Lieferfirma hat uns doch garantiert, dass die Box alles perfekt checken würde, was die Erdlinge hier im Sektor so reden! Da wird der Oberste Rat aber ordentlich was zu reklamieren haben. Ich hoffe nur, die schieben uns das nicht in die Sandalen, von wegen Bedienungsfehler oder so …!«

Un häs du mi nich seihn häbt se den Kasten wier inpackt un sind in iähre Ufo-Kiste verswunnen. Klappe to! Wegg sind se. Ick staoh dao, krigg dat Muul nich to un kiek iähr nao.

Äs ick wier bikuommen was, häwwick mi natürlick üöwerleggt, waorüm de iähre Maschine nich funktioneerde. Un dann wuor mi upmaol klaor: De hele Misere is natürlick de WDR inschuld, ümdat he siet Jaohr un Dag dat mönsterländske Platt links liggen läött. Anners hären de grönen Männkes iähren Wunnerapparat jä Wiäke för Wiäke met ‘ne üörndlicke Mule vull Platt foern konnt; un dann här et hier söcke Problemen nich giëwen.

‘t magg apatt sein, dat se annerwao auk Malessen kriëgen hären, tom Bispiël in Klein Muffi orre in’n Ruhrpott orre … in Brüssel.

Ninny

Warum ich Vegetarier geworden bin? Das will ich Ihnen gerne erzählen, uns bleibt ja noch ein bisschen Zeit, bevor die Nacht zu Ende ist.

Ich war damals dreizehn Jahre alt, und meine Eltern und ich lebten in einem kleinen Kotten draußen auf dem Land. Dort war es selbstverständlich, dass man sich Tiere hielt: Keine Schoßtiere, so wie die Leute in der Stadt, sondern Hühner, Kaninchen und vielleicht sogar ein Schwein oder eine Kuh. Wir hatten allerdings neben einem Hühnerhof nur noch einen Stall mit ein paar Kaninchen, die zu füttern und mit frischem Heu und Stroh zu versorgen im Laufe der Jahre zu meiner Aufgabe geworden war. Natürlich hatte ich so wie, glaube ich, jedes Kind in meiner Situation auch ein Lieblingskaninchen, das ich besonders verwöhnte und des Öfteren auf den Arm nahm, um sein seidenweiches Fell zu streicheln. Dieses Kaninchen, ein rot-weißes, hatte ich Ninny getauft, und es war uns erst ein paar Wochen vor dem seltsamen Ereignis, von dem ich Ihnen erzählen will, von einem Bauern überlassen worden.

In jenem Sommer lag ich eines Abends noch wach in meinem Bett, denn es war viel zu warm zum Schlafen. Draußen stand der Vollmond am Himmel, und in der Ferne heulten ein paar Hunde. Vielleicht hatten sie die Witterung eines Fuchses aufgenommen, der unter dem Mond über die Felder schnürte? Plötzlich hörte ich durch das offene Fenster ein Geräusch drüben von den Kaninchenställen her. Mit einem Schlag war ich hellwach. Es wäre nicht das erste Mal gewesen, dass ein Fuchs oder ein anderes kleines Raubtier versucht hätte, an unsere Kaninchen heranzukommen. Ich stand sofort auf, schlüpfte in meine Schuhe und kletterte zum Fenster hinaus, ohne allzu viel Lärm zu machen; meine Eltern wollte ich auf keinen Fall wecken, denn mein Vater wäre sonst bestimmt selber zum Kaninchenstall hinübergegangen, die Schrotflinte in der Hand, und hätte mir befohlen, im Haus zurückzubleiben, damit ich ihm nicht vor die Waffe lief. Auf dem Weg zum Stall nahm ich sicherheitshalber eine Schaufel zur Hand, die an der Wand lehnte; die würde genügen, um so einen kleinen Räuber fürs Erste zu vertreiben. Angst hatte ich natürlich keine, die ganze Sache war für mich bloß ein großes Abenteuer.

Als ich den an einer Seite offenen Kaninchenstall erreichte, war dort keine Spur von einem Eindringling zu entdecken. Die Kaninchen waren auch alle ganz ruhig, was sie nicht gewesen wären, wenn sich ein Raubtier in ihrer Nähe herumgetrieben hätte. Wahrscheinlich hatte ich mich bloß verhört, oder vielleicht war es nur eine Katze gewesen, die über eines der Dächer lief. Bevor ich aber ins Haus zurückging, trat ich doch tiefer in den Stall hinein. Ja, die Käfige waren alle ordentlich verschlossen, keines der Gitter beschädigt. Dann sah ich im gleißenden Mondlicht etwas, das mir den Atem stocken ließ.

In einem der Kaninchenkäfige in der mittleren Reihe, dem Käfig, in dem auch Ninny wohnte, lag ein Mensch – ein sehr kleiner Mensch, ein Kind vielleicht. Dieses Kind, wenn es denn eines war, nahm aber immerhin so viel Platz ein, dass den drei Kaninchen, die den Käfig bewohnten, kaum noch Platz blieb. Sie hatten sich in einer Ecke zusammengedrängt, aber aufgeregt waren sie nicht. Stattdessen schnupperten sie neugierig an der kleinen Gestalt herum, fast so, als sei ihnen der Geruch angenehm und vertraut. Nein, es waren nur zwei, nicht drei. Das dritte – Ninny! – war verschwunden. Völlig verwirrt trat ich dichter an die Reihe mit den Käfigen heran. Tatsächlich kann ich mich nicht mehr genau daran erinnern, was ich in diesem Moment sagte, aber es wird wohl »Was machst du da?« oder etwas ähnlich Dummes gewesen sein.

Die Antwort war ein leises Lispeln, kaum zu vernehmen. Es klang wie »Ach, bitte, lass mich heraus!«, und genau das tat ich, ohne weiter darüber nachzudenken. Ich stellte die Schaufel beiseite, denn vor einem Kind brauchte ich ja wohl keine Angst zu haben, zog den dicken Holzstift heraus, mit dem das Käfigschloss gesichert war, und öffnete die Tür. Sofort kroch das Kind ganz geschickt rückwärts aus dem Käfig heraus, ließ sich zu Boden gleiten und richtete sich dann vor mir zu seiner ganzen Größe auf. Klein war es, aber kein Kind, sondern ein zierliches Mädchen, das in etwa mein eigenes Alter haben mochte. Im gleißenden Mondlicht sah ich, dass es nackt war und wunderschön. In seinem seltsam rot und weiß gescheckten Haar, das mich sehr an das Fell von Ninny erinnerte, klebten noch ein paar Strohhalme. Trotz seiner Nacktheit schien dieses Mädchen keine Scheu vor mir zu haben, sondern stand einfach nur da und schaute mich aus feuchten und liebevollen Augen an, während seine kleine Nase ein wenig in meine Richtung schnupperte, fast so, als wolle es damit meine Witterung aufnehmen.

»Wie bist du in den Käfig hineingekommen?«, brachte ich irgendwie heraus, und: »Wo ist denn Ninny?«

»Aber ich bin Ninny«, sagte das Mädchen mit seinem allerliebsten Lispeln. Als es sprach, konnte ich sehen, dass seine Schneidezähne länger und kräftiger waren als die eines normalen Menschen, sodass seine Zunge beim Sprechen immer ein wenig daran anstoßen musste.

Mit einem Mal wurde mir klar, dass es sich bei diesem wunderschönen Wesen wirklich um das dritte Kaninchen handelte, das zusammen mit den beiden anderen normalerweise den Käfig bewohnte. Die beiden anderen mochten ganz gewöhnliche Kaninchen sein, aber dies hier war etwas ganz Besonderes, ein Wunder der Natur, ein Werkaninchen.

Unwillkürlich trat ich einen Schritt näher und strich Ninny behutsam über den Kopf. Ihr Haar fühlte sich weich und ganz seidig an, genau wie Kaninchenfell. Und Ninny schmiegte sich so zutraulich an mich, wie sie es schon in ihrer Existenzform als Kaninchen getan hatte, rieb ihr Näschen an meiner Wange und knabberte ein bisschen mit ihren kräftigen Zähnen an meinem Ohr. Ihr Atem war süß und roch nach Heu und Stroh und vielleicht ein bisschen nach Mohrrüben.

Ganz hinten im Stall lag ein Haufen Stroh zum Auspolstern der Käfige, und dorthin führte sie mich oder ich sie, genau vermag ich das heute nicht mehr zu sagen … Sie erzählte mir, dass sie sich immer nur bei Vollmond für ein paar Stunden in ein Menschenmädchen verwandele, von Mondauf- bis Monduntergang. An die Wochen zwischen diesen Verwandlungen aber könne sie sich nur schemenhaft erinnern, da sie in dieser Zeit eben nur ein Tier sei, ohne klares Zeitempfinden, ohne Sprache und ohne all die anderen höheren Denkfunktionen, die das Wesen eines Menschen ausmachten. Was ihr aber im Gedächtnis geblieben sei, das seien meine Liebkosungen, und diese wolle sie nun noch einmal erleben, doch diesmal in ihrer Gestalt als Mensch, sodass sie sich zumindest alle vier Wochen, wenn sie sich für eine Nacht wieder in einen Menschen verwandele, endlich ganz genau daran erinnern könne.

So verbrachten wir die Nacht zusammen im Stroh, und ich entdeckte, dass ihr auch noch an anderen Stellen ihres Körpers Überreste vom Fell ihrer Kaninchenexistenz geblieben waren: wie ein Flaum unter den Achselhöhlen und, ganz besonders zart, als kleines Stückchen Fell ganz versteckt tief drunten zwischen ihren überraschend kräftigen Schenkeln.

Schließlich ging die Nacht zu Ende, und sie bat mich mit ihrem süßen Lispeln, ihr wieder in den Käfig zurückzuhelfen, denn ihre Rückverwandlung stehe unmittelbar bevor. Also verschränkte ich meine Hände zu einer Räuberleiter, und sie stieg hinauf und kroch in den Käfig zu den beiden anderen Kaninchen zurück. In diesem Moment verschwand die obere Wölbung des Vollmonds hinter dem Horizont, und ihre Verwandlung setzte ein.

Wie soll ich diesen Vorgang beschreiben? In der einen Sekunde war sie noch ein Mensch, in der nächsten wieder ein Kaninchen, ganz ohne jene merkwürdigen und oft schmerzhaften Zwischenstufen, wie man sie aus erfundenen Geschichten über Werwölfe oder andere Wertiere kennt. Nur in ihren Augen meinte ich noch einen Funken von intelligentem Erkennen zu sehen, aber dann erlosch auch der, und sie war wieder »nur« ein Tier. Ich streichelte noch einmal ihr rot-weißes Fell, was sie sich gern gefallen ließ, reichte ihr eine Mohrrübe und verschloss den Käfig wieder mit dem Holzstift.

Als ich am nächsten Morgen aufwachte, kam mir mein nächtliches Erlebnis zunächst wie ein Traum vor. Aber ich hatte immer noch ein paar Strohhalme in den Haaren, die ich natürlich sorgfältig abzupfte, bevor ich mich zu meinen Eltern an den Frühstückstisch setzte; andernfalls hätten sie mich bestimmt gefragt, wo ich mich in der Nacht herumgetrieben hatte. Direkt nach dem Frühstück eilte ich hinunter zum Kaninchenstall, und dort fand ich das Stroh an der Rückwand des Schuppens so zerwühlt vor, wie ich es von letzter Nacht her in Erinnerung hatte. Ninny war auch schon wach, tollte mit den beiden anderen Kaninchen in ihrem Käfig umher, und als ich das Stroh auf dem Käfigboden durch frisches ersetzt hatte und sie und die anderen mit Heu, Mohrrüben und einer Handvoll Klee fütterte, die ich auf dem Weg zum Kaninchenstall ausgerupft hatte, weil ich wusste, dass es ihre Lieblingsspeise war, da wirkten ihre Augen so tierhaft und stumpf wie eh und je vor ihrer nächtlichen Verwandlung in einen Menschen. Also war es vielleicht doch nur ein Traum gewesen.

Sie können sich vielleicht vorstellen, wie ich dem nächsten Vollmond entgegenfieberte. Eigentlich hatte ich Sommerferien, jene Zeit also, von der man als Kind hofft, dass sie nie vorübergeht, weil an ihrem Ende der trübe Schulalltag erneut beginnt, aber diesmal konnten die Tage nicht schnell genug verstreichen. Die Spiele mit meinen Freunden, das Herumstreifen im Wald, das Baden in den stillen Teichen nahebei und das Angeln am Bach hatten überhaupt keinen Reiz für mich, was die Freunde erst mit einem amüsierten Kopfschütteln und dann mit zunehmender Gereiztheit und Ablehnung quittierten. Nach den ersten Tagen traf ich mich gar nicht mehr mit ihnen und hielt mich im Grunde nur noch in der Nähe des Kaninchenstalls auf, wo ich mich fast die ganze Zeit über mit Ninny beschäftigte, die von Tag zu Tag immer zutraulicher wurde.

Manchmal nahm ich sie aus dem Käfig und ließ sie, natürlich erst, nachdem ich unseren Hund in seinen Zwinger gesperrt hatte, frei auf dem Platz vor dem Schuppen herumlaufen. Wenn ich dann ihren Namen rief, spitzte sie die Ohren und kam zu mir herübergehoppelt, um ihre aufmerksam schnuppernde Nase an meiner Handinnenfläche zu reiben. Dass diese Berührung mich insgeheim in höchste Ekstase versetzte, vermochten meine Eltern natürlich nicht zu ahnen.

Trotzdem mochte mein seltsames Verhalten ihnen Sorge bereiten, aber sie ließen mich warum auch immer gewähren, wofür ich ihnen damals sehr dankbar war. Vielleicht dachten sie ja, ich spielte Zirkusdompteur oder dergleichen. Wäre ich nur ein wenig älter gewesen, hätte ich von ihnen vielleicht die Erlaubnis erbeten, in die nächstgrößere Stadt fahren zu dürfen, um dort in der Bibliothek nach Büchern über Werwölfe und andere Wertiere zu stöbern, aber zum einen war ich nie ein großer Leser, und zum anderen war die Stadt so weit entfernt, dass es in der damaligen Zeit für einen Dreizehnjährigen nicht ganz einfach gewesen wäre, allein dorthin zu gelangen.

Also nahm ich das Wunder – wenn es sich denn tatsächlich ereignet hatte, woran ein Teil meines Verstandes immer noch zweifelte – einfach ohne jede Erklärung hin und nahm es als das, was es offensichtlich auch gewesen war: nämlich ein Akt unbegreiflicher Magie, der ohne mein Zutun geschehen war und mein Leben von Grund auf verändert hatte.

Irgendwann hatten sogar diese seltsam unwirklichen vier Wochen ein Ende. Der Vollmond kam. Als die Nacht noch kaum hereingebrochen war und meine Eltern gerade eben schliefen, tappte ich auf leisen Sohlen aus dem Haus und hinüber zum Kaninchenstall, wo ich Ninny aus ihrem Käfig holte. Diesmal sollte sie die Verwandlung nicht in der Enge ihres Käfigs erleben, sondern in Freiheit. Also nahm ich sie behutsam in meine Arme und setzte mich mit ihr auf den Strohhaufen an der Rückwand des Schuppens. Dann wartete ich, während meine Augen zwischen ihr und dem Horizont hin und her schweiften.

Ich will nicht verleugnen, dass es immer noch einen Teil in mir gab, der mich einen Träumer, einen Narren, ja einen Verrückten schimpfte. Aber auf diesen Teil gab ich nichts, denn ich wusste, dass er unrecht hatte.

Mit einem Mal war der Vollmond da, und die Verwandlung ging vor sich, so schnell und lautlos, dass ich eigentlich nichts davon mitbekam, außer einem merkwürdigen und wunderbaren Gefühl auf der Haut, als Ninnys Fell, das zuvor ihren ganzen Körper bedeckt hatte, zu diesen kleinen Fellflecken auf dem Kopf, unter ihren Achseln und tief drunten zwischen ihren Schenkeln zusammenschrumpfte, während es sich überall sonst auf ihrem Körper in menschliche Haut verwandelte. Vielleicht war dies die schönste Liebkosung von allen, die ich in dieser Nacht erfuhr.

Natürlich erkannte Ninny mich wieder. Die Zeit seit ihrer letzten Verwandlung, so erzählte sie mir mit ihrem niedlichen Lispeln, habe sie wie in einem wunderbaren Traum verbracht. Aber nun sei sie wach, und darum sollten wir die wenigen Stunden, die ihr blieben, nicht mit Gesprächen über das, was sie in ihrer Tiergestalt erlebt hatte, vergeuden. Und das taten wir auch nicht.

Als die Nacht vorüber war, verwandelte sie sich in meinen Armen zurück in das rot-weiße Kaninchen; erst danach setzte ich sie in ihren Käfig zurück, wo ich sie in Sicherheit vor unserem Hofhund, dem Fuchs und anderen Räubern wusste. Auch diesmal hatte ich ihr wieder eine Handvoll Klee mitgebracht, und sie fraß ganz zufrieden davon, während ich ihr den Nacken kraulte und daran dachte, dass ich sie schon in vier Wochen in ihrer menschlichen Gestalt wiedersehen würde. Jetzt, da ich wusste, dass ich beim ersten Mal nicht bloß geträumt hatte, würde mir die Zeit bis dahin ja vielleicht nicht mehr so endlos vorkommen.

Ein paar Tage später begann die Schule wieder, und das Leben ging wieder seinen gewöhnlichen Gang, auch wenn ich natürlich so viel Zeit wie möglich mit Ninny verbrachte. Tatsächlich gewöhnte ich mir an, nach dem Mittagessen meine Schulbücher mit hinunter in den Stall zu nehmen und meine Hausaufgaben dort zu machen, die Hefte beim Schreiben auf den Ranzen gelegt. Ninny hatte ich dann meistens vorher aus ihrem Käfig genommen, und sie hoppelte um mich herum, während ich schrieb, oder schmiegte sich zufrieden an meine Seite, solange ich bäuchlings im Stroh liegend meine Lektionen lernte.

Eine Woche nach Schulbeginn gab es in unserer Klasse einen schrecklichen Aufruhr, ich weiß gar nicht mehr genau, wegen was. Ich glaube, einer der Jungen, ein Freund von mir, hatte einem anderen Jungen etwas aus dem Ranzen gestohlen, der Lehrer hatte es dem Oberlehrer gemeldet, und daraufhin wurde die ganze Klasse so lange verhört, bis man den Schuldigen gefunden hatte. Als ich nach Hause kam, war ich immer noch so aufgeregt, dass ich meinen Eltern während des gesamten Mittagessens haarklein erzählte, was an diesem Morgen alles geschehen war; was ich unterdessen aß, darauf achtete ich nicht. Fleisch in einer dicken braunen Soße, dazu Gemüse und Kartoffeln, die übliche Mahlzeit eben, auch wenn es Fleisch bei uns nicht an jedem Tag der Woche in so großen Mengen gab wie an diesem.

Nach dem Essen und nachdem es meinen Eltern gelungen war, meinen Redefluss zu stoppen, erinnerte ich mich wieder an Ninny, an die ich in den letzten Stunden ausnahmsweise einmal nicht gedacht hatte, und lief hinunter zum Kaninchenstall, um ihr, auch wenn sie natürlich nichts davon verstehen würde, die ganze Geschichte gleich noch einmal zu erzählen.

Aber Ninny war nicht in ihrem Käfig, dort drängten sich nur die beiden anderen Kaninchen ein wenig verängstigt aneinander. Dann begriff ich, was ich an diesem Mittag gegessen hatte, und rannte hinter den Schuppen, wo ich mich erbrach, bis nur noch Galle kam.

Ninnys Fell fand ich später neben dem Hauklotz in einem Kellerraum. Ich beerdigte es zusammen mit den Knochenresten, die ich aus der Küche stahl, an einer besonders schönen Stelle in unserem Blumengarten. Danach fiel ich in ein Fieber, von dem ich mich erst nach Wochen und Monaten vollends erholte. Von diesem Tag an habe ich nie wieder auch nur einen einzigen Bissen Fleisch zu mir genommen.

Das also ist der Grund, warum ich nach dem Ende meiner Schulzeit Tierpfleger geworden bin und – ganz im Gegensatz zu Ihnen – vollständig darauf verzichte, Tiere zu essen. Andererseits möchte ich aber natürlich auch nicht gerne selber gegessen werden … und darum werden Sie es mir gewiss nicht verübeln, wenn ich mich nun von Ihnen verabschiede und Ihr Gehege verlasse, bevor der Vollmond untergegangen ist.

Unsere Unterhaltung können wir dann ja in einem Monat fortsetzen.

Tasuta katkend on lõppenud.