Loe raamatut: «Always Differently», lehekülg 8
Dr. Hauser lachte über ihren Gesichtsausdruck. »Wirke ich so furchteinflößend auf Sie?«
Seine Stimme war beruhigend und seine lockere Art steckte beinah an. Er riss einen Witz nach dem anderen. Vermutlich war sie im Comedy Club gelandet, statt in der Klinik, und neben ihr lief Otto Waalkes’ Bruder im weißen Kittel. Zumindest schaffte er es, dass sie sich einigermaßen entspannte. Doch das war nicht das Einzige, was dazu beitrug.
Hinter ihr war Dr. Pfeiffer mit den anderen Kittelträgern. Sie unterhielten sich leise über Schwester Else. Dennoch bekam sie das ein oder andere davon mit. Aber das Wichtigste, was sie dabei hörte, war, Schwester Else sollte zur Verantwortung gezogen werden, und das baute Katarina in ihrer derzeitigen Situation am meisten auf. Was für ein innerer Vorbeimarsch.
Juhu, die Hexe kommt aufs Schafott. Das geschieht ihr ganz recht.
»So, hier sind wir im Vorhof zur Hölle. Gleich geht es ab in den OP«, sagte Dr. Hauser. »Sie haben davor aber nicht etwa Angst?«
Als ihn Katarina daraufhin wenig begeistert ansah, grinste er.
»Nur keine Sorge, das wird ein Kinderspiel. Doch zuvor müssen Sie mir dieses Informationsblatt unterschreiben.« Er hielt ihr ein Klemmbrett unter die Nase. »Da drin stehen alle Risiken und Komplikationen, die eventuell auftreten könnten. Darüber kläre ich Sie jetzt kurz auf.«
Katarina nickte ab und zu, hörte aber nicht hin, als Dr. Hauser das Wesentliche zur Operation erklärte. Sie wollte gar nicht erst wissen, was passieren könnte. Unterschreiben musste sie ohnehin, sie hatte gar keine andere Wahl, wenn sie ihr Baby retten wollte. Außerdem war sie momentan sowieso nicht aufnahmefähig. Ihm genügte das zum Glück.
»Haben Sie dazu Fragen?«
Natürlich nicht, wie auch. Sie schüttelte den Kopf.
»Lesen Sie sich das trotzdem kurz durch und unterschreiben Sie dann.«
Lesen. War das wieder mal einer von Dr. Hausers Scherzen? Katarina war nicht in der Lage, das Klemmbrett festzuhalten, geschweige denn zu lesen. Die Schwester hatte ihr zwischenzeitlich einen Venenzugang gelegt, darum konnte sie schlecht zufassen. Also hielt Dr. Hauser für sie das Klemmbrett.
»Ist okay«, sagte Katarina kurze Zeit später.
»Gut, dann unterschreiben Sie bitte.« Er reichte ihr einen Kugelschreiber.
Sie hob ihren Arm und nahm den Stift, konnte ihn jedoch nur mit Mühe festhalten, so stark zitterte ihre Hand. »Ich glaube, das wird nichts.«
»Das sollte es aber, wenn Sie Ihr Baby retten wollen. Versuchen Sie es, irgendwie, nach Schönschrift wird hier selten bewertet. Sie sollten mal meine Hieroglyphen sehen.«
»Tun’s auch drei Kreuze? Die würde ich vielleicht hinbekommen.«
»Ich hätte damit kein Problem, nur sieht das die Klinikleitung etwas anders. Und ohne darf ich nicht anfangen.«
»Das habe ich geahnt. Na ja, da versuche ich es auch mal mit Hieroglyphen.«
Katarina schmierte eine Art Strich unter das Papier, geschmückt mit Kanten und Wellen.
Dr. Hauser lachte. »Entschuldigung, dass ich lache. Ist das ein geheimes Codewort oder eher die Messkurve eines EKGs? Aber es sollte ausreichen. Gut gemacht.«
Katarina wurde in den OP gebracht. Noch vor wenigen Minuten herrschte um sie herum ein riesen Tohuwabohu und jetzt waren Ärzte und Schwestern völlig entspannt. Doch diesen Anschein erweckte es allein nur für sie. Jeder Handgriff saß präzise und schneller, als sie erwartet hatte, ging es los.
»Ich bin Dr. Fröhlich, Ihre Anästhesistin.«
Hinter der komplett vermummten Person, die sie soeben ansprach, erkannte sie die Stimme einer Frau. Sie nahm Katarinas Hand und zog ihren Mundschutz herunter.
»Ich bleibe während der kompletten Operation bei Ihnen und werde Ihnen jeden Schritt erklären, bevor ich etwas tue. Sie brauchen also gar keine Angst zu haben.«
Dr. Fröhlich war angenehm. Katarina fühlte sich bei ihr gut aufgehoben.
»Haben Sie irgendwelche Allergien?«
»Sie meinen außer meiner Allergie gegen Krankenhäuser? Nur Heuschnupfen.«
Nebenbei steckte eine Schwester Katarina einen Clip zum Puls messen an den Finger und legte eine Blutdruckmanschette um ihren Arm.
»Wann haben Sie das Letzte gegessen?«
»Gestern Abend, nur einen Joghurt. Nach der OP nehme ich aber gern ein ganzes Grillhähnchen.«
»Na, wenn es weiter nichts ist«, witzelte die Ärztin. »Ich rede mal mit dem Klinikleiter. Aber zuvor setze ich Ihnen diese schicke Maske hier auf. Sie machen ein kleines Nickerchen und sobald Sie munter werden, ist alles vorbei. Na, wie klingt das?«
»Unter den gegebenen Umständen ganz gut, würde ich sagen.«
»Das will ich doch meinen. Sind Sie bereit?«
»Nein, aber Sie lassen mir ja keine Wahl.« Katarina lächelte matt, versuchte es zumindest.
»So bin ich, tut mir leid. Achtung, jetzt kommt die Maske.«
Dr. Fröhlich stülpte Katarina das Teil über Mund und Nase. Sie bekam keine Luft und befürchtete, darunter zu ersticken. Panisch hob sie die Maske an und atmete gierig ein. Ihre Herzfrequenz schnellte nach oben.
»Ganz ruhig«, sagte die Ärztin. »Atmen Sie ganz normal ein und aus. Konzentrieren Sie sich darauf und blenden Sie alles andere aus.«
»Ist das die Narkose«, fragte Katarina beklommen.
»Nein, das ist nur Sauerstoff. Ich sage Ihnen vorher alles, was ich mache. Beruhigen Sie sich.«
Nur Sauerstoff, das war okay. Dr. Fröhlich drückte ihr die Maske wieder aufs Gesicht. Sie konzentrierte sich und schloss die Augen, bis sie darunter fast normal atmen konnte.
»Der Puls ist wieder akzeptabel«, hörte sie die Schwester flüstern.
»Ich beginne jetzt mit der Narkose«, sagte Dr. Fröhlich. »Nicken Sie, wenn Sie dazu bereit sind.«
Katarina atmete tief ein und nickte. Sie wollte nur noch alles schnell hinter sich bringen. Für die Ärzte war das nicht der erste Kaiserschnitt, also würde es schon nicht so schlimm werden.
»Es geht los. Zählen Sie bitte laut bis zwanzig.«
Auch das noch. Wie um Himmels willen soll ich mit dem Ding auf meinem Gesicht sprechen? Die werden davon nicht ein Wort verstehen. Aber was soll’s, ich versuch’s.
»Eins, zwei, drei.« Schäfchen zählen hat mir noch nie beim Einschlafen geholfen. »Zehn, elf, zwölf.« Mal sehen, was sie sich ausdenken werden, wenn ich bei zwanzig bin.
Während Katarina zählte, beobachtete sie aus halbgeöffneten Augen die zwei maskierten Chirurgen am Fußende des OP-Tisches. Sie blickten beide in ihre Richtung und sagten etwas. Sie verstand es nicht, die Töne drangen wie durch Watte an ihre Ohren. Sprachen sie mit ihr? Sie wollte fragen, doch im selben Augenblick wurde ihr der Blickkontakt mit einem grünen Tuch versperrt. Verdammter Mist.
»Gut, wir fangen jetzt an zu schneiden. Sie ist so weit.«
Scheiße, nein. Ich bin noch nicht so weit!
Katarina bekam einen Schreck. Die beiden Maskierten hatten also doch zu ihr gesprochen. Wahrscheinlich wollten sie wissen, ob sie schon eingeschlafen war. Hatten die denn gar nicht gesehen, dass ihre Augen offen waren? Dieses blöde grüne Tuch. Was trieben die hinter ihr eigentlich? Zumindest die mussten doch merken, dass sie noch wach war.
Wo zur Hölle war sie hier hingeraten. Erst die Hexe Schwester Else und dann sollte sie auch noch bei vollem Bewusstsein aufgeschnitten werden. Was war das nur für ein verdammter Sadisten-Verein. Sie wollte rufen, aber die Scheißmaske hinderte sie daran. Keine Chance, jetzt half nur noch Augen fest zukneifen und auf das Unvermeidliche warten.
Die Operation war eine Sache von wenigen Minuten. Diese waren maßgeblich und entschieden über Leben und Tod des Babys und nicht zuletzt über Katarinas Gesundheit.
Ihr Bauch lag frei und war blank vom Waschen mit dem Desinfektionsmittel. Dr. Hauser stand neben ihr. Sein Blick ruhte auf Dr. Fröhlich, der Anästhesistin. Er wartete auf ihr Zeichen.
Nur wenige Sekunden später hob sie die Hand und nickte.
»Gut«, sagte Dr. Hauser, »wir fangen jetzt an zu schneiden. Die Patientin ist so weit.«
Es war nicht seine erste Sectio, schon unzählige Male hatte er solch eine Operation durchgeführt. Für ihn war es ein Kinderspiel, das er beinah im Schlaf beherrschte.
Er legte los. Das messerscharfe Skalpell lag zwischen seinen Fingern. Spielend glitt er damit über die butterweiche Haut der Bauchdecke. Unmittelbar quoll Blut aus dem horizontalen Schnitt.
»Na, was ist denn, Dorothea«, mahnte er die OP-Schwester, »kommen Sie schon, machen Sie mit. Ich kann nicht arbeiten, wenn alles voller Blut ist.«
Dorothea erschrak. Sie hatte getrieft. Das war ein inakzeptabler Fehler. Aber zum Glück winkte nach dieser OP der Feierabend. Sie war fix und fertig, siebzehn Stunden Dienst am Stück. Schuld daran war dieser gottverdammte Personalmangel, wie in jeder Klinik. Doch das rechtfertigte keine Entschuldigung, und das wusste sie.
Sofort griff sie nach Pinzette und Tupfer und entfernte rasch das Blut. Darauf riss Dr. Hauser sorgfältig das Gewebe mit den Fingern auseinander. Schicht für Schicht. Zuerst das Fettgewebe, dann die Hülle aus Bindegewebe, die darunterliegende Muskulatur und zuletzt das Bauchfell. Er war konzentriert, arbeitete präzise und flink. Die Gebärmutter lag nun frei. Öffnen. Kein Problem. Nur ein kleiner Schnitt und die Fruchtblase war zu sehen. Bis dahin lief alles wie am Schnürchen, doch jetzt ging es ans Eingemachte.
»Verdammte Scheiße«, bemerkte er trocken. »Sieht nicht gut aus.« Wieder ein Schnitt. »Zum Teufel mit meiner ständigen Vorahnung. Grüne Pampe, ich hab’s doch gewusst. Absaugen!«
Schwester Dorothea beseitigte jetzt schnellstens das schlammig grüne Fruchtwasser. Anschließend packte Dr. Hauser zu und hob das Neugeborene heraus.
»Abnabeln.«
Das Baby war schlaff und seine Haut schimmerte blau. Kein Reflex, kein Puls.
»Keine Atmung«, rief er. »APGAR gleich null, schwere Depression.«
Umgehend übernahm die Hebamme das Baby. Sie wickelte es in ein warmes Tuch und eilte mit ihm hinüber zum Reanimationstisch. An der Wand darüber glühte ein Wärmestrahler. Sie legte das Baby darunter, trocknete es ab und positionierte es auf den Rücken. Unter seine Schultern schob sie eine schmale Windelrolle. Das Ganze dauerte nur wenige Sekunden. Ihre Handgriffe waren geübt und zeugten von Erfahrung.
Jetzt übernahm Dr. Teddy, was garantiert nicht sein echter Name war, aber zumindest sah er aus wie einer.
»Kolbenspritze«, wies er die Hebamme an. »Die Atemwege sind von Mekonium blockiert.«
Sie reichte ihm das Werkzeug und hielt eine Sekretschale bereit. Dr. Teddy saugte schnellstens ab. Mund, Rachen, Nase – sieben Sekunden. Wortlos drückte er der Hebamme die Kolbenspritze zurück in die Hand. Gleich darauf schnippte er mit dem Finger gegen die Fußsohlen des Babys und prüfte via Stethoskop dessen Herzfrequenz.
»Nichts. Beatmung.«
Er setzte die Maske dicht über Mund und Nase des kleinen Gesichtchens und presste vorsichtig den Beatmungsbeutel zusammen. In der Zwischenzeit befestigte die Hebamme ein Pulsoxymeter am Füßchen, um permanent Herzfrequenz und Sauerstoffgehalt im Blut zu messen.
»Kein Puls«, sagte sie. »Periphere Sättigung von zwanzig Prozent.«
»Mist«, fluchte Dr. Teddy leise. »Übernehmen Sie die Beatmung. Und Sauerstoff erhöhen auf einhundert Prozent.«
Dreißig Sekunden.
»Keine Veränderung.«
»Okay, dann also Thoraxkompression«, entschied Dr. Teddy.
Die Hebamme beatmete jetzt im Wechsel zur Herzdruckmassage. Weitere dreißig Sekunden vergingen.
»Herzfrequenz bei null.«
»Weiter.«
Beatmen, Herzdruckmassage, messen. Noch immer Stillstand. Wiederholung.
»Keine Herzfrequenz.«
»Noch mal. Komm schon, Kleiner. Mach mit.«
Die Zeit arbeitete gegen sie. Aufgeben? Nein. Auf keinen Fall, noch nicht.
»Weitermachen.«
Inzwischen waren drei Minuten vergangen.
»Atme! Atme!«
Die Sauerstoffsättigung stieg von zwanzig auf vierzig Prozent.
»Nach wie vor kein Puls«, sagte die Hebamme.
Und wieder: beatmen, Herzdruckmassage, messen.
Vier Minuten.
Dr. Teddy verabreichte Adrenalin.
Beatmen, Herzdruckmassage, messen. Die Sättigung stieg auf über achtzig Prozent.
»Wir haben einen Puls«, sagte die Hebamme erleichtert.
»Ja!«, rief Dr. Teddy. »Na endlich.«
Der Puls war da, schwach, aber vorhanden. Die Herzfrequenz lag nun bei fast sechzig Schlägen pro Minute und stieg allmählich.
Beatmen, Herzdruckmassage, messen nach dreißig Sekunden.
»Siebzig Schläge pro Minute.«
»Okay, das reicht.« Damit beendete Dr. Teddy die Thoraxkompression. »Gut gekämpft, mein Kleiner. Gleich hast du’s geschafft.«
Die Hebamme beatmete weiter und der Puls kletterte. Nur wenige Sekunden, dann stabilisierte er sich bei reichlich hundert Schlägen pro Minute.
Das Baby war ein Kämpfer. Es hatte sich durchgeboxt und atmete endlich ohne fremde Hilfe.
Katarina lag in ihrem narkotischen Schlummer und ahnte nichts von den dramatischen Sekunden, in denen das Leben ihres Babys am seidenen Faden hing. Um ein Haar hätte sie es verloren, noch ehe sie seinen kleinen Körper auch nur ein einziges Mal in ihren Armen gehalten hätte.
Während Dr. Teddy ihr Kind ins Leben zurückholte, lag sie noch immer auf dem OP-Tisch.
»Oxytocin«, sagte Dr. Hauser. »Drei Einheiten sollten genügen.«
Schwester Dorothea bereitete die Spritze vor und reichte sie an den Doktor weiter. Gezielt jagte er das Hormon direkt in Katarinas Blutkreislauf.
Monatelang hatte ihre Plazenta als ein Dienstleister in Sachen Versorgung geschuftet. Und sie war gut in ihrem Job. Doch nun war ihre Arbeit getan. Sie wurde nicht länger gebraucht und war lediglich ein nutzloses Überbleibsel vergangener Tage. Ein ziemlich undankbarer Job, aber so spielte das Leben.
Die Plazenta löste sich allmählich von der Gebärmutter. Ein geübter Griff und Dr. Hauser entfernte das untauglich gewordene arme Ding. Das Gröbste war geschafft. Noch Gebärmutter und Bauchschichten vernähen – fertig.
»So, Frau Dr. Fröhlich«, sagte er abschließend, »jetzt sind Sie wieder gefragt.«
Prinzessin bestellt, Prinz geliefert
Hier flüstert jemand.
Es war kaum hörbar, dennoch war sich Katarina vollkommen sicher.
Da! Schon wieder. Unmittelbar an ihrem Ohr. Nein, doch nicht. Es musste weiter entfernt sein. Zudem war das Flüstern eher nur undeutliches Genuschel.
Da klemmt wohl jemandem ein Batzen Watte zwischen den Zähnen, dachte sie amüsiert.
Sie hatte Schwierigkeiten, davon auch nur ein Wort zu verstehen. Eine Weile versuchte sie es noch, aber es war einfach zu leise und sie wurde müde davon. Ihre Augen hatte sie gar nicht erst geöffnet. Das sparte zum einen viel Kraft, zum anderen war es der Grund dafür, dass sie gleich wieder einschlief.
Ein paar Minuten vergingen, bis Katarina erneut munter wurde. Ihr war kalt, sie zitterte und fühlte sich zunehmend unwohl.
Da! Schon wieder dieses Nuscheln. Demnach war sie nicht allein im Raum. Wer war dieser Nuschler bloß und woher überhaupt kam das Gebrabbel? Sie überlegte, fand aber keine vernünftige Erklärung dafür. Sie war doch in ihrem Schlafzimmer, oder nicht? Ein blöder Gedanke, wo sonst sollte sie sein. Wahrscheinlich schlief sie gerade und steckte in einem von diesen realen Träumen. Das festzustellen, war nicht sehr schwer. Sie musste sich nur umschauen. Eine fremde Umgebung bedeutete Traum. Andernfalls lag sie in ihrem Bett und die Stimmen waren Einbildung.
Ihre Augen waren noch immer geschlossen. Sie waren schwer wie Blei, so wie sich auch ihr ganzer Körper anfühlte, total erschöpft und müde. So müde. Woran lag das nur? Sie konnte sich absolut nicht an gestern erinnern. Welcher Tag war heute und wie spät war es jetzt? Musste sie schon aufstehen, hatte sie irgendeinen Termin? Vielleicht bei Dr. Fleischer oder Hanni oder sollte sie heute zur Akupunktur kommen?
Mein Gott, was war nur los mit ihr. Diese Grübelei machte sie ganz verrückt. Sie musste schleunigst raus aus dem Bett. Wenn sie nur nicht so schrecklich müde wäre. Nur noch fünf Minuten. Aber was, wenn sie doch einen Termin hatte? Nein, sie durfte nicht liegenbleiben. Sie konnte ja ganz langsam loslegen und erst einmal die Augen öffnen. Dann würde sie schon nach und nach munter werden.
Scheiße, ist das schwer.
Ihre Augäpfel rollten haltlos hin und her. Es war so verdammt anstrengend und sie so müde. Ihre Augen fühlten sich an wie zugekleistert, aber sie wollte nicht aufgeben, noch nicht. Sie zwang sich weiterzumachen. Jetzt! Ihre Lider zuckten, flatterten. Ja! Geschafft. Zumindest einen Spaltbreit. Träge blickte sie durch den Raum, bis sich ihr Unterbewusstsein meldete und sie wachrüttelte.
Das hier ist nicht mein Schlafzimmer. Ich liege auch nicht in meinem Bett. Also doch nur ein Traum.
»Sie wacht auf.«
Dieses Mal hörte sie die Stimme klar und deutlich. Plötzlich tauchte in ihrem Sichtfeld das Gesicht einer älteren Frau auf. Die Stimme musste zu ihr gehören. Sie tätschelte Katarinas Hand.
Wer zum Teufel ist das?
Für gewöhnlich kannte sie die Personen, die ihr im Traum erschienen. Sehr seltsam.
»Es ist alles prima verlaufen. Kommen Sie erst einmal ganz in Ruhe zu sich.«
Hä? Wovon spricht diese Frau?
Das Verrückte daran war, die Worte beruhigten Katarina. Sie riefen eine Erinnerung in ihr wach. Bloß welche. Ihre Gehirnzellen arbeiteten auf Hochtouren. Sie hatte die Lösung beinah, doch vor ihr lag noch immer eine Wand aus dickem, waberndem Nebel. Sie starrte an die Zimmerdecke und grübelte.
Wo steckt denn überhaupt Felix, schoss es ihr durch den Kopf.
Suchend blickte sie sich um. Was war das? Weißer Stoffvorhang, Monitore, Apparate, Infusionsständer. All das realisierte sie erst jetzt.
Infusionsständer? Herrgott noch mal, ich bin in einem Krankenhaus!
Mit einem Mal reihte sich ein Puzzleteil an das nächste. Der Nebel lichtete sich. Und plötzlich hatte Katarina ein Schreckensbild vor Augen – Schwester Else.
Nein, all das hier war ganz bestimmt kein Traum. Schlagartig erinnerte sie sich an das komplette Drama. Doch was war mit ihrem Baby? Die Frau hatte gerade gesagt, alles wäre gut verlaufen und sie würde doch wohl nicht lügen. Andernfalls hätte sie garantiert geschwiegen. Also musste es ihm gutgehen. Ja, ganz sicher. Der Gedanke beruhigte sie.
Katarina wusste jetzt, wo sie war. Der Stress der letzten Tage, die Ungewissheit und die Sorge um ihr Baby waren vorbei. Es war noch einmal alles gut ausgegangen, Gott sei Dank.
Noch immer war sie schrecklich müde und konnte die Augen kaum offen halten. Ihre Lider waren schwer und fielen dauernd wieder zu. Das mussten Nachwirkungen von der Narkose sein. Sie wollte sich ausruhen und einfach nur schlafen. Aber eine Frage hatte sie noch und darauf brauchte sie dringend eine Antwort.
Katarina hob ihren Arm und wackelte dabei mit den Fingern. Sie war zu schlapp, um zu rufen. Es funktionierte, die Schwester kam sofort zu ihr.
»Mein Baby, es ist doch bestimmt ein kleines Mädchen, oder nicht?«
»Viel besser«, flüsterte die Schwester, »es ist ein ganz süßer kleiner Junge.«
Das war ein Schlag ins Gesicht. Jahrelang hatte sie von einem Mädchen geträumt. Und nun? Ein Junge. Was für eine Katastrophe. Wäre sie im Augenblick nicht so furchtbar müde gewesen, würde sie jetzt laut losheulen.
Als Katarina das nächste Mal aufwachte, lag sie noch immer im selben Krankenbett. Die Umgebung allerdings war eine andere. Sie befand sich jetzt nicht mehr im Aufwachraum, sondern in einem Zimmer. Und das war gar nicht mal so schlecht. Sogar viel besser als die schaurigen Visionen, die sie normalerweise mit solch einer Klinik verband. Hier war absolut nichts weiß. Die Wände waren gelb, so auch die Vorhänge. Möbel aus Holz, und zwar braun.
Katarina war fassungslos. Hätte sie das mal vorher gewusst. Es war nicht unbedingt ein Wohlfühlparadies, doch zur Erholung ganz passabel. Und das wollte sie, jedenfalls für ein paar Minuten, bis sie sich fit genug fühlte, um mit ihrem Baby nach Hause zu gehen. Üblich waren im Schnitt drei Tage, aber sie wollte es nicht übertreiben. Wozu auch. Wie sie mit einem Baby umzugehen hatte, wusste sie auch ohne Anleitung.
Dummerweise wurden Wünsche von der Realität meist ins Aus katapultiert. Und so wie es den drei kleinen Schweinchen mit ihrem Strohhaus erging, wurden auch Katarinas Wünsche ohne Vorwarnung weggefegt. Doch diesmal war das für sie okay. Der Grund dafür war Felix. Er kam ins Zimmer. Sie wollte ihn umarmen und richtete sich dazu auf. Falsch. Vielmehr machte sie nur den Ansatz.
»Scheiße«, quiekte sie entsetzt.
Was für eine blöde Idee. Ihr Bauch brannte augenblicklich wie glühende Kohlen und ihr Hals kratzte furchtbar. Sie bekam einen Hustenanfall. Ein weiterer brennender Schmerz jagte durch ihre Bauchdecke.
»O Gott, die Naht ist aufgerissen.«
Es fühlte sich zumindest so an. Mit weit aufgerissenen Augen sah sie zu Felix und atmete ganz vorsichtig ein und aus. Jetzt bloß keine schnelle Bewegung. Langsam schob sie die Decke zur Seite.
»Aua, aua, aua. Verdammt. Ich kann nichts sehen«, flüsterte sie. »Ich kann meinen Kopf nicht heben, das tut scheiße weh. Sieh mal, bin ich voller Blut?«
»Nein, da ist nichts«, sagte Felix.
»Gib mal die Fernbedienung. Nein, nicht die vom Fernseher, die vom Bett.«
Katarina stellte das Kopfteil in fast aufrechte Position und wagte einen Blick auf ihren Bauch. Doch statt einer Blutlache, wie sie vermutet hatte, war da nur ein überdimensionales Pflaster. Darüber trug sie einen riesigen Slip oder eher ein riesiges Netz mit Einlagen.
»Meine Güte, ich sehe aus, wie ein gewickelter Rollbraten. Unwiderstehlich und verführerisch.«
Felix grinste, er dachte ganz sicher das Gleiche.
Auch das noch. In ihrem Körper steckte ein grässlicher Schlauch mit Beutel. Ein Blasenkatheter. Na wie toll. Andererseits gar nicht mal schlecht. So musste sie wenigstens nicht zur Toilette gehen, was bei diesen Schmerzen auch vollkommen unmöglich war.
»Ich befürchte, ich werde heute nicht mit nach Hause kommen«, nuschelte sie unverständlich zwischen ihren fast geschlossenen Lippen. Sie wagte dabei kaum, den Mund zu bewegen. Die kleinste Vibration löste heftige Schmerzen aus. Bisher hatte sie nicht einmal ansatzweise geahnt, wie viele ihrer Bewegungen mit den Bauchmuskeln verbunden waren.
»Ich bin mir sicher, dass du auch morgen noch hierbleiben wirst.«
»Ja, wahrscheinlich. Wie ging es dir denn, als sie mich weggebracht haben?«
»Wie schon, total beschissen. Ich war fast rasend vor Angst.«
Als Katarina in den OP gebracht wurde, blieb Felix allein zurück. Er rannte auf den Flur, doch da war niemand außer ihm. Keiner, der auf seine Fragen antworten würde. Was war mit seinem Baby. War es tot, lebte es? Und Katarina, schwebte sie in Gefahr? Eine Schwester kam in seine Richtung und lief an ihm vorbei.
»Halt«, brüllte Felix aufgebracht.
Erschrocken blieb die Schwester stehen, hörte sich aber an, was er zu sagen hatte.
»Dazu kann ich leider nichts sagen. Doch ich frage nach und sobald ich etwas weiß, gebe ich Ihnen Bescheid. Okay? Sie müssen sich gedulden. Warten Sie hier bitte so lange.«
Die Zeit kroch im Schneckentempo dahin. Minute um Minute sah Felix auf die Uhr. Er hoffte und flehte. Lief den Gang auf und ab. Setzte sich. Lief weiter. So ging das eine ganze Stunde lang. Niemand kam, um ihn mit einer Nachricht zu erlösen. Dann endlich, die Schwester tauchte auf. Sie lächelte – ein gutes Zeichen.
»Ihrer Frau geht es gut, dem Baby auch. Sie sind Papa eines kleinen Jungen.«
Felix musste sich setzen. Die Aufregung der letzten Minuten war zu viel. Seine Knie wurden weich und er befürchtete, nicht länger stehen zu können. Mit einem Mal fielen der ganze Druck und die Anspannung von ihm ab. Er fühlte sich plötzlich schwach und müde.
»Wollen Sie mitkommen und Ihr Baby sehen?«
Sofort war Felix wieder auf den Beinen. »Aber ja doch. Auf jeden Fall.«
Aufgeregt lief er neben der Schwester her bis zum Ende des Ganges. Hier war das Zimmer mit den Neugeborenen. Er warf einen Blick durch die Scheibe und hätte beinah losgeheult, als er die vielen Bettchen sah. In einem davon lag also sein kleiner Sohn.
»Wir müssen auf die andere Seite«, sagte die Schwester zu ihm. »Es ist der Raum gegenüber.«
Felix drehte sich um. Über der Tür stand Intensivstation. »Was zum Teufel …!« Erschrocken starrte er die Schwester an.
»Machen Sie sich keine Sorgen. Ihrem Kind geht es so weit gut.«
In groben Umrissen klärte sie ihn über das Geschehen während der Operation auf.
»Deshalb braucht es die nächsten Tage noch sehr, sehr viel Ruhe. Wir können nur kurz hineingehen. Und es muss im Inkubator liegenbleiben, bitte nicht herausholen.«
»Und meine Frau?«
»Sie liegt noch im Aufwachraum. Ich bringe Sie später zu ihr.«
In diesem Augenblick, als Felix seinen kleinen Sohn zum ersten Mal erblickte, kamen ihm tatsächlich die Tränen.
»Wie soll denn der Kleine heißen?«
»Wir wollen ihn Fritz nennen.«
Fritz, der Name klang seltsam, jetzt, da er ihn zum ersten Mal laut aussprach.
»Du liebe Güte, nein«, verbesserte er sich. »Er wird Franz heißen, nicht Fritz.«
Er war ziemlich durcheinander und schüttelte über sich selbst den Kopf. Aber Franz, ja irgendwie klang auch der Name komisch.
»Mein Gott«, lachte Felix leise, »nicht Fritz, nicht Franz, wir nennen ihn natürlich Fratz.«
Felix erzählte Katarina alles, nur das Kapitel Entbindung und Intensivstation ließ er weg. Sie sollte sich erst einmal ausruhen und nicht unnötig aufregen.
»Ich fahre jetzt mal nach Hause«, sagte Felix. »Die Schwester meinte, du wirst den restlichen Tag viel schlafen, wegen der Narkose und so. Ich bin auch ganz schön fertig. Wir sehen uns morgen wieder.«
Toll, allein in der Krankenhaushölle, dachte Katarina, nachdem er gegangen war. Doch so übel war es hier gar nicht und beide brauchten jetzt etwas Ruhe, Felix genauso wie sie.
Katarina starrte vor sich hin, als sie etwas aus dem Augenwinkel bemerkte, das ihre Neugier weckte. Eine hellblaue Karte, sie lag auf dem kleinen Nachttisch neben ihr. Verwundert griff sie danach.
»Liegt das Ding die ganze Zeit schon da?«
Auf der Karte war lediglich eine Art Kinderzeichnung, nichts Dolles. Sie schaute auf die Rückseite. Handschriftliche Daten und ein winziger Fußabdruck. Gewicht, Größe, Kopfumfang.
»Ach herrje, richtig, das Baby.«
Das hatte sie in den letzten beiden Stunden völlig verdrängt. Sie las die Daten ein zweites und danach noch ein drittes Mal. Für Katarina waren sie wie die eines Fremden. In ihr regte sich absolut nichts. Sie spürte keinen Bezug zu diesem Kind.
»Sollte ich nicht Muttergefühle haben?«
Sie war seit wenigen Stunden eine frischgebackene Mama. Das jedenfalls hatte ihr die Schwester erzählt. Aber sie hatte ihr Baby bisher noch nicht einmal zu Gesicht bekommen. Normalerweise bekamen Mütter ihr Neugeborenes nach der Geburt sofort in den Arm gelegt, wegen der Bindung zwischen Mutter und Kind. Das kannte sie aus dem Fernsehen. Doch sie spürte nichts außer Schmerzen. Nichts in Hinsicht Muttergefühle.
»Wie fühlt sich so etwas eigentlich an? Oje, vielleicht habe ich überhaupt keine.«
Möglich, dass der Kaiserschnitt daran schuld war. Darüber hatte sie in einer der vielen Zeitschriften gelesen. Bei dieser Art Geburt war nur der Körper, aber nicht der Geist anwesend. Folglich durfte die Frau die Entbindung nicht bewusst miterleben, die letztlich jedoch eine Mutter ausmachte.
Dem trauerte Katarina sicher nicht nach. Sie war froh, dass sie bei dem ganzen Theater nicht bei sich war. Darauf konnte sie gut verzichten. Außerdem brachten ihre momentanen Schmerzen das Fass ohnehin schon zum Überlaufen.
Und falls es nicht am Kaiserschnitt lag, dann an dem Baby selbst. Sie wollte keinen Jungen. Obwohl sie schon während ihrer ganzen Schwangerschaft so ein unterschwelliges Gefühl hatte, dass es kein Mädchen würde. Nur hatte sie das bis heute sehr gut verdrängt.
Die Entscheidung Mutter zu werden, war ursprünglich eine reifliche Überlegung von ihr. Schließlich hatte sie das Kind ein ganzes Leben an der Backe. Zumindest ziemlich lange, während der besten Jahre ihres Lebens. Da durfte sie nichts dem Zufall überlassen und ein Junge kam gar nicht infrage. Wie also konnte das passieren?
Katarina konnte sich nur schwer mit dem Gedanken an einen Jungen anfreunden. Der war doch gar kein richtiges Baby, sondern bloß ein Mann reduziert auf Zwergengröße. Und mal ganz ehrlich, was war an Männern schon niedlich. Nichts. Niedlich waren nur kleine Mädchen. Einem Jungen konnte sie nicht mal ein Kleidchen anziehen oder kleine Zöpfe flechten. Der steckte immer nur in Hosen. All ihre Träume verpufften mit einem Schlag und lösten sich in Luft auf.
»Das ist so verdammt ungerecht.«
Unglücklich suhlte sie sich in ihrem Kummer, bis sie darüber einschlief.