Loe raamatut: «Kunstprojekt (Mumin-)Buch», lehekülg 16

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c) Layout

Bereits beim Betrachten der ersten Textseite offenbart sich, wie sich die Gestaltung stetig ändert. In Kometjakten ist die erste Seite des Texts durch eine schwarze Linie zweigeteilt (Abb. 35). Im oberen Teil ist auf einer Illustration Mumintrollet zu sehen, wie er gedankenverloren auf einer Brücke steht, die über einen Fluss führt. Rechts von ihm ein Strauch, links von ihm ein Briefkasten, der an einem Pfahl befestigt ist. Darüber hängt ein Wegweiser, der nach links zeigt. Gegen unten wird die Illustration durch eine Linie vom Text abgetrennt. Ausserdem scheint sie eine Art Damm zu bilden für das Wasser des Flusses, welches sich sonst über die Seite zu ergiessen droht. Gegen unten wird der Text abermals durch eine Linie begrenzt, die jedoch wesentlich dünner ist und nicht über die ganze Seite verläuft. Darunter befindet sich eine Fussnote, die darüber aufklärt, wie man das Wort „Mumintrollet“ ausspricht: „*Uttalas med tonvikt på första stavelsen“ „*Wird mit Betonung auf der ersten Silbe ausgesprochen“.

Abb. 35:

Illustrierte Seite aus Kometjakten.

In Mumintrollet på kometjakt kommt dieselbe Illustration vor, nur wurde sie in dieser Ausgabe in der unteren Hälfte der Seite gesetzt (Abb. 36). Die Fussnote findet sich nicht mehr, wie auch die beiden Linien, die in Kometjakten noch vorhanden waren. Dadurch ist die Dreiteilung der Buchseite der ersten Version aufgehoben. In Kometen kommer wandert die Illustration wieder in den oberen Teil der Seite, wodurch sie mehr ins Blickfeld rückt (Abb. 37). Die Linien wurden jedoch nicht wieder eingefügt. Ferner wird ebenfalls die Veränderung deutlich, die sich im Erscheinungsbild von Mumintrollet abzeichnet. Verfügt er in der neusten Version doch über deutlich rundere und fülligere Konturen. In allen Versionen ist der erste Buchstabe durch die Grösse stark hervorgehoben.

Abb. 36:

Illustrierte Seite aus Mumintrollet på kometjakt.

Abb. 37:

Illustrierte Seite aus Kometen kommer.

Der Vergleich der ersten Seite offenbart, in welch hohem Masse die einzelnen Gestaltungselemente volatil sind und daher ihre Positionen immer wieder verändern. Das nächste Beispiel der Buchgestaltung ist die Szene, in der Mumintrollet und seine Freunde auf dem Weg zu den Wissenschaftlern einen Berg besteigen müssen. Dabei sind sie gezwungen, eine steile Felswand zu erklimmen, wobei sie von einem Kondor attackiert werden.

In Kometjakten wird dies wie folgt dargestellt: Besagte Felswand verläuft entlang der Kante der linken Seite. Die physische Beschaffenheit des Buchs wird genutzt, um zu demonstrieren, wie steil und hoch die Felswand ist. Weiter zu sehen sind Snusmumriken, Sniff und Mumintrollet, die auf einem kleinen Vorsprung stehen und sich Schutz suchend an die Felswand drücken (Abb. 38). Mumintrollet blickt ängstlich über die linke Schulter nach hinten. Dort befindet sich besagter Kondor, mit weit gespreizten Flügeln und ausgefahrenen Krallen, als wolle er die Freunde jeden Augenblick packen. Er blickt die Gruppe wütend an. Der Kondor befindet sich auf der Buchseite unterhalb des Texts, wobei beim linken Flügel Bild und Text miteinander zu verschmelzen scheinen. Als Ganzes rahmt die Illustration den Text in einer L-Form. Dabei handelt es sich um eine Einrahmungstechnik, die Westin bereits bei Janssons Illustrationsarbeiten für Solveig von Schoultzs Nalleresan (1944) feststellt und für die Künstlerin als charakteristisch befindet.1 Inhaltlich ist der Text auf dieser Seite jedoch noch nicht an dieser Stelle angelangt. Erst auf der gegenüberliegenden Seite erfährt der Leser, was exakt geschieht und dass die Gruppe glimpflich davon kommt. Die Gestaltung trägt hier also auch zur Spannung bei.

Abb. 38:

Illustrierte Seite aus Kometjakten.

In Mumintrollet på kometjakt findet sich dieselbe Illustration dieser Szene, jedoch in stark abgeänderter Form (Abb. 39). Die vertikale Komponente ist gänzlich verloren gegangen und damit auch der visuelle Eindruck der imposanten Felswand. Die Illustration ist bedeutend kleiner und nicht annähernd gleich dominant. Sie verläuft nun horizontal am oberen Seitenrand. Die Felswand wird lediglich noch angedeutet und läuft nicht mehr, wie in der vorigen Version, entlang der ganzen Länge der Seite, was den Eindruck der Gefährlichkeit des Unterfangens der Gruppe deutlich dämpft. Text und Bild sind mehr oder weniger synchron. In Kometen kommer ist die Szene layouttechnisch abermals gänzlich umgestaltet (Abb. 40). Weder Mumintrollet und seine Freunde noch die Felswand sind zu sehen. Übrig geblieben ist lediglich der Kondor, der oben an der Seite schwebt, mit ausgebreiteten Flügeln, mit denen er den Text zu umarmen scheint. Sein Blick ist ebenfalls nach unten auf den Text gerichtet, wo berichtet wird, wie der mächtige Vogel genau über den Figuren stehen bleibt. Ausserdem trägt er noch zwei Jungtiere mit sich.

Abb. 39:

Illustrierte Seite aus Mumintrollet på kometjakt.

Abb. 40:

Illustrierte Seite aus Kometen kommer.

Perry Nodelman schreibt bezüglich Bildern in Bilderbüchern: „[…] they exist primarily so that they can assist in the telling of stories.“2 Die Analyse offenbarte jedoch, dass die Funktionalisierung der Illustration weit darüber hinaus geht. “The page is an expressive space for text, space, and image […].”3 Diese Aussage Bonnie Maks wird durch die analysierten Beispiele bestätigt. Nicht nur wird durch die Gestaltung eine spannungsgeladene Interaktion zwischen Text und Illustration herbeigeführt, sondern das Buch in seiner Gegenständlichkeit wird auch in dieses Gefüge integriert.

Beim nachfolgenden Beispiel handelt es sich um die Begegnung von Mumintrollet und seinen Freunden mit einem Zyklon, wobei sowohl Hemulens Briefmarkenalbum wie auch Mumintrollet, Sniff und Snusmumriken von ihm erfasst werden.

In Kometjakten ist diese Szene auf einer Doppelseite beschrieben (Abb. 41). Auf der linken Seite wird erzählt, wie der Zyklon die drei Freunde erfasst. Illustriert aber ist in der oberen linken Ecke Hemulens Briefmarkenalbum, aus dem zahlreiche Briefmarken herausfallen und den Text einrahmen. Das Album öffnet sich gegen rechts. Im Text wird diese Szene jedoch erst auf der gegenüberliegenden Seite beschrieben: „I detsamma kom en liten cyklonunge farande, dök in under trädroten och fick tag i hemulens frimärksalbum och virvlade det högt opp i luften.“ (KJ 151) „Im selben Moment kam ein kleiner Zyklonjunge angebraust, tauchte unter die Baumwurzel und erfasste Hemulens Briefmarkenalbum und wirbelte es hoch in die Luft hinauf.“ Oben auf der linken Seiten steht, wie die Freunde vom Zyklon erfasst werden: „Tjutande kom cyklonens första härolder farande genom den nakna och ödelagda skogen. De ryckte medaljstjärnan från mumintrollet och blåste den rätt opp i en grantopp, de snurrade Sniff fyra varv runt och försökte knycka snusmumrikens hatt ifrån honom.“ (KJ 150) „Heulend kam der erste Bote des Zyklons über den nackten, zerstörten Wald. Er entriss Mumintrollet seinen Medallienstern und blies ihn hinauf auf einen Baumwipfel. Er wirbelte Sniff viermal herum und versuchte, Snusmumrikens Hut zu klauen.“ Zu sehen ist dies jedoch auf der rechten Buchseite. Entlang des unteren Seitenrandes sind hintereinander Sniff, Mumintrollet und Snusmumriken abgebildet, wie sie in die Fänge des Zyklons geraten. Durch die Anordnung der Illustrationen entsteht eine Klammer, die die Doppelseite als Bild rahmt. Von der oberen linken Ecke bis zur unteren rechten Ecke. Die Illustrationen, das Briefmarkenalbum und die Figuren sind einander zugewandt. Die Szene erhält so eine starke Dynamik, der Sog des Zyklons wird über die Seiten hinweg nachempfunden. Ferner sei hier noch auf die Fussnote hingewiesen.

Abb. 41:

Illustrierte Seite aus Kometjakten.

In Mumintrollet på kometjakt ist dieses asynchrone Verhältnis von Bild und Schrift aufgelöst worden (Abb. 42). Das bedeutet, auf der Seite, auf der beschrieben ist, wie die Figuren vom Zyklon erfasst werden, ist auch dies oben horizontal abgebildet. Entsprechend ist auf der gegenüberliegenden Seite, auf der der Text vom Briefmarkenalbum erzählt, das vom Wind geraubt wird, auch dieses zu sehen. Ebenfalls horizontal oben an der Seite verlaufend, ohne den Text einzurahmen. Durch die Anordnung von Text und Bild entsteht quasi ein Windkanal, der über die Buchseiten hinweg zieht. In dessen Sog werden die Figuren und das Briefmarkenalbum von rechts nach links katapultiert, sodass sie beinahe Gefahr laufen, aus dem Buch hinaus respektive auf die nächste Seite geblasen zu werden. Der nachgebildete Sog des Windes hat nichts an Stärke eingebüsst, die Kreisförmigkeit des Zyklons, die bei der Komposition in Kometjaken deutlich zur Geltung kommt, findet sich hier jedoch nicht mehr. Durch diese Anordnung wird aber intensiver zum Blättern animiert. Dies wird zusätzlich durch den Text unterstützt, der unten auf der rechten Seite weiterläuft und so ebenfalls zum Blättern zwingt.

Abb. 42:

Illustrierte Seite aus Mumintrolet på kometjakt.

In der jüngsten Ausgabe Kometen kommer sind die beiden Illustrationen nicht mehr auf der gleichen Doppelseite anzutreffen. Das bedeutet, der Akt des Blätterns wurde hier nochmals stärker in die Gestaltung miteinbezogen und damit eine Dimension, welche sich vor allem auf das Tempo und den Rhythmus der Erzählung auswirkt und tatsächlich auch das Buch in seiner physischen Form in die Gestaltung miteinbindet.4 Auf der einen Seite befindet sich oben die Illustration der drei Figuren, die vom Wind erfasst werden (Abb. 43). Der Text auf der gleichen Seite endet jedoch mit Hemulens Aufschrei. „Och så skrek Hemulen, värre än en mistsiren. Stormen […].“ (KK 123) „In diesem Moment fing der Hemul an zu schreien, und das klang schlimmer als eine Heulboje. Der Sturm […].“ (KM 150). Der Text läuft auch in diesem Beispiel auf die nächste Seite aus und provoziert daher das Blättern. Ausserdem endet der Text mit dem Wort „Stormen“ „der Sturm“ und damit auch an einer dramaturgisch geschickten, weil spannungsgeladenen, Stelle und lädt dadurch zusätzlich zum Blättern ein. Blättert man, so erblickt man in der linken oberen Ecke der nächsten Seite den Grund für Hemulens Aufschrei: Die Illustration zeigt Hemulens Briefmarkenalbum, wie es ebenfalls vom Zyklon erfasst wird (Abb. 44). Auch hier fallen Briefmarken heraus. Dies lässt bereits Dramatisches erahnen.

Abb. 43:

Illustrierte Seite aus Kometen kommer.

Abb. 44:

Illustrierte Seite aus Kometen kommer.

5.2.1. Zusammenfassung

Titel wandeln sich um, Widmungen und Fussnoten werden entfernt oder hinzugefügt, Illustrationen werden umgestaltet, wandern und verändern ihre Position. Dies bringt die Analyse der unterschiedlichen Versionen von Kometen kommer deutlich zutage. Mit anderen Worten: Das Buch ist ein Objekt, in dem nichts konstant ist. Janssons Gestaltungskonzept erweist sich insofern als regelrecht subversiv, als dass es sich immer wieder, also in jeder Überarbeitung, überholt, für nichtig erklärt und so das Buch als Artefakt in Frage stellt. Die Betrachtung der unterschiedlichen Versionen zeichnet ein Bild eines Kunstprojekts, welches sich über mehrere Jahrzehnte stetig verändert hat. Die Prozesshaftigkeit von Janssons Wirken, welche in den vorherigen Kapiteln bereits angesprochen wurde, wird hier auf einer materiellen Ebene erneut zementiert durch die Unstetigkeit der Form. Es handelt sich bei jeder Umarbeitung um die erneute Appropriation des Kunstwerks im Sinne einer Aneignung. Aneignung wiederum „[…] ist im Kontext materieller Kultur auch als materielle Umgestaltung von Dingen zu verstehen.“1

Konkret wurde das visuelle Erscheinungsbild anhand des Umschlags, der Titelseiten sowie exemplarischen Beispielen der Seitengestaltung untersucht. Mit dem stetigen Verändern der Titel wird immer wieder ein Fokuswechsel vorgenommen: Von einer Jagd nach einem Kometen, bei der in der zweiten Version zusätzlich eine Figur in den Mittelpunkt gerückt wird, bis zum Gegenteil in der neusten Version, welche im Titel die Ankunft des besagten Kometen ankündigt. Die Cover zeichnen diese Entwicklung nach. Die Klappentexte stehen in einer engen Verbindung mit dem Cover, ergänzen dieses, was den Informationsgehalt betrifft oder widersprechen dem Cover. Das Cover und der Klappentext bilden den Buchumschlag, der erst als Ganzes betrachtet seine volle Wirkung entfaltet. Die Titelseiten offenbarten sich als grafische Formexperimente, bei dem vor allem die Positionierung der Künstlerin in Form des Autornamens wechselt. Das Seitenlayout basiert auf einer avancierten Inszenierung des Zusammenspiels von Bild und Schrift. Darüber hinaus offenbart das Gestaltungskonzept ebenfalls die Rolle des Buchs in seiner Körperlichkeit im Gestaltungskonzept. Es wird in die Gestaltung miteinbezogen und so auch inszeniert. Genauer wurde etwa evident, welche Bedeutung der Seitenkante oder dem Blättern zukommt. Entsprechend offenbart sich erst dann die ganze Komplexität des Arrangements, wenn man das Objekt Buch als Gestaltungselement in die Untersuchung miteinbezieht.

Die Prozessualität von Tove Janssons Schaffen, welche sich hier durch die Umarbeitungen äussert, impliziert weiter einen äusserst pragmatischen Umgang mit ihrem Material, der einer hierarchischen Betrachtung, in der zwischen der Originalversion und den übrigen Ausgaben unterschieden wird, ihre Legitimation entzieht. Auf diese Weise laden die Muminbücher letztlich zum Sinnieren über die Finalität des Kunstwerks ein, was eine poetologische Reflexion fernab des Inhalts der Werke ermöglicht. Erst eine derartige Betrachtung lässt das „Buch als eigenständige und für sich genommen schon signifikante Form aus dem Schatten der Autorität seines Inhalts“ treten. 2

5.3. Die Bilderbücher
5.3.1. Hur gick det sen?
a) Titelseiten

Der Schmutztitel ist eine weisse Seite mit derselben Perforation, wie sie auf dem Cover zu finden ist. Es scheint, als reiche besagtes Loch durch das gesamte Buch. Auf diese Art wird dessen Tiefe, dessen Volumen in den Fokus gerückt. Die Rückseite des Schmutztitels und das Titelblatt bilden gemeinsam ein Bild, welches sich über einen Seitenaufschlag erstreckt. Auf der rechten Seite ist eine Figur in menschlicher Gestalt zu sehen, etwa ein Verleger oder auch eine Art Zirkusdirektor. Der theatrale Aspekt, der bereits beim Umschlag etwa mit der roten Farbe angedeutet wurde, verstärkt sich hier weiter. Mit einer einladenden Handbewegung präsentiert er dem Leser die Hauptfiguren, die auf der gegenüberliegenden Seite zu erblicken sind: Mymlan, Mumintrollet, der eine Milchkanne in der Hand hält, und Lilla My. In der anderen Hand hält die Figur eine überdimensionierte Schere. Daneben ist zerschnittenes Papier zu sehen. Ein Papierstreifen scheint sich durch das Ausschneiden des Lochs über ihm ergeben zu haben. Oben auf der Seite findet sich schliesslich mit dem Text „Hålen är klippta hos Gebers!“ „Die Löcher sind bei Gebers ausgeschnitten!“ ein expliziter schriftlicher Hinweis darauf, gekoppelt mit dem Namen des Verlags, für den die Löcher charakteristisch sein sollen. Damit wird das wohl zentralste Gestaltungselement des Kunstwerks als solches pointiert wie auch der mechanische Aspekt der Buchproduktion.1 Die Schrift ist in roter Signalfarbe gesetzt und mit einem Ausrufezeichen versehen. Ferner findet sich in der unteren linken Ecke derselben Seite eine Widmung: „Tillägnat Putte“ „Putte gewidmet“. Die Widmung steht auf einer Tafel oder einem Blatt Papier. Zwischen dem Papier sitzt eine kleine Figur, die im Unterschied zum Verleger über kein menschliches Aussehen verfügt.

Die rechte Seite ist dominiert vom erwähnten Ensemble der Erzählung. Von ihnen waren bis anhin nur die Porträts durch das Loch zu sehen. Hinter ihnen, in der Form der Perforation, der Himmel mit den weissen Wolken, der ebenfalls dank dem Loch bereits von aussen sichtbar war. Die Perforation wird dieses Mal lediglich durch die Form der Illustration angedeutet. Über ihnen ist in vergleichsweise kleiner, dezenter Schrift der Autornamen gesetzt, unterhalb der Figuren der Kurztitel des Buchs. Titel dieser Art bezeichnet Arnold Rothe als phatisch. Phatische Titel stellen eine kommunikative Verbindung her,2 beispielsweise indem der Leser direkt angesprochen wird, wie dies hier der Fall ist. Mit der Frage „Hur gick det sen?“ wird die zentrale Frage nach dem weiteren Verlauf der Erzählung an den Leser abgegeben. Sie erinnert ausserdem stark an die im Text vorkommende Frage „Vad tror du att det hände sen?“ „Was glaubst du, geschah dann?“, die am Ende jedes Textabschnitts schier mantrisch wiederholt wird und den Leser direkt auffordert, auf die nächste Seite zu blättern. Der Titel ist Ausdruck des im Buch so zentralen Überraschungsmoments, welches durch den eben erwähnten Refrain im Text wie etwa auch durch die am Anfang des Kapitels besprochenen Perforationen provoziert wird.

b) Tanzende, hüpfende und schreiende Buchstaben

Der Text in Hur gick det sen? hat weder eine einheitliche Schriftart noch einen fixen Platz, wodurch Jansson mit den gängigen Traditionen bricht und die Leser vor neue Herausforderungen stellt. Jansson imitiert durchgehend eine Handschrift, die jedoch stark variiert. Solche Schreibschriften stehen je nach Kontext etwa für Exklusivität oder Individualität, konstatiert Jürgen Spitzmüller.1 Im Falle von Jansson verstärkt die verwendete Schreibschrift das künstlerische Element. Der Text wird von den Bildern absorbiert und auf unterschiedlichste Weise in diese integriert. Text findet sich in Hur gick det sen? plötzlich überall auf der Seite, etwa in einer Wolke oder in einem Baum. Teilweise finden sich gar schriftliche Mitteilungen an die Leserschaft in Form eines Briefes oder auf Hinweisschildern. Durch diese metafiktionalen Elemente fördert Jansson ein partizipatives Lesen. Der Leser wird selbst Teil der Geschichte, kann diese sogar mitgestalten. Wenn sich Text nicht mehr an die Konventionen hält, wie und wo Worte in einem Buch platziert werden, verwandeln sich Worte in Bilder, erwähnt Elina Druker.2 Dies wiederum bezeichnet Sybille Krämer als Schriftbildlichkeit. Ihre Definition lautet wie folgt:

Sie [Schriften] verbinden Attribute des Diskursiven wie des Ikonischen und verkörpern in dieser ihrer Mischform ein Kraftfeld, das weder der „reinen“ Sprache noch dem „blossen“ Bild zueigen ist. Es ist dieses in der Verknüpfung von Sprachlichem und Bildlichem wurzelnde Potenzial der Schrift, auf welches der Begriff „Schriftbildlichkeit“ zielt.3

Tatsächlich sind in Hur gick det sen? die Grenzen zwischen Text und Bild unscharf. Dies manifestiert sich ebenfalls darin, dass der Text nicht immer deutlich durch ein Textfeld vom Bild getrennt ist. Das Bild, welches Hemulen zeigt, der Mumintrollet und Mymlan mit einem riesigen Staubsauger einsaugt,4 demonstriert anschaulich, wie fliessend Jansson die Grenze zwischen Text und Bild gestaltet, indem Hemulens Füsse in das weiss grundierte Textfeld eindringen. Dadurch lässt sich auch nicht mehr klar erkennen, ob nun Bild oder Text die Basis der Erzählung ausmacht. Jansson erreicht so eine dominierende Wirkung des Visuellen, die sich durch das ganze Buch zieht. Eine solche Konzeption hat jedoch weitreichende Konsequenzen für die Rezeption. Indem Jansson mit Buchstaben Bilder malt, nimmt sie den Fokus weg vom lexikalischen Inhalt des Textes hin zur Typografie, zum Bildhaften, und setzt dessen Wirkung gezielt ein. Mit anderen Worten, Jansson arbeitet mit mikrotypografischen Elementen. Mikrotypografie beinhaltet unter anderem die Auszeichnung, das heisst die „[…] Hervorhebung durch Fettdruck, Kursiven, Kapitälchen, Unterstreichung, Sperrung, Schriftmischung etc. […].“5 Die Leserichtung wird nicht mehr klar vom Text gesteuert, wodurch der Adressat gefordert ist, die Seiten auf eine ganz neue Art zu lesen. Die Buchseiten in Hur gick det sen? gleichen eher künstlerisch gestalteten Gemälden, die als Ganzes gesehen werden können.

So wie Bilder die Wirkung von Text verstärken können, so kann auch Text durch sein Erscheinungsbild seine lexikalische Bedeutung auf unterschiedlichste Weise verstärken, abschwächen, erklären oder ergänzen, da neben der bereits erwähnten Schriftart und der Platzierung auch typografische Gestaltungselemente wie Grösse, Dicke oder Schriftrichtung wichtige Bedeutungsträger sind,6 deren sich auch Jansson bedient. Einerseits instrumentalisiert Jansson die Buchstaben, um das Geschehen bildlich nachzuahmen, indem sie etwa Bewegung oder Grösse der Charaktere in der Schrift sichtbar macht. So wird der Name der kleinen Lilla My in kleinen Lettern geschrieben, während der grossen Gestalt des Hemuls auch in Form von grossen Buchstaben Ausdruck verliehen wird, wie wie auf dem bereits erwähnten Bild von Hemulen mit dem Staubsauger ersichtlich ist. Dasselbe Bild zeigt weiter Mymlans und Mumins rasante Fahrt durch den Schlauch des Staubsaugers, die auch im Schriftbild durch wellenförmige Zeilen und schräge Buchstaben nachgeahmt wird. Andererseits werden auch im Text enthaltene Konnotationen durch die visuelle Ausgestaltung des Schriftbildes sichtbar gemacht. Auf dem Beispielbild stechen die Worte „hemska tratt“ „unheimlicher Trichter“ (Trichter steht für die Düse des Staubsaugers) durch grosse, fette, schwarze Buchstaben hervor, die die Gefahr ausdrücken, die vom Staubsauger ausgeht. Ausserdem ist die Grösse der Buchstaben auch ein Hinweis auf die Lautstärke des Staubsaugers. Weiter charakterisiert Jansson Figuren auch durch ein spezifisches Schriftbild. Besonders deutlich wird dies bei der liebenswürdigen Muminmamman. Spricht sie, sind die i-Punkte und die Punkte über den Umlauten Herzen.

All dies veranschaulicht, wie Jansson die typografischen Stilmittel nicht nur unter ästhetischen, sondern auch unter emotionalen Gesichtspunkten verwendet und damit gezielt Emotionen transportiert. Das Transportieren von Gefühlen wird vor allem bei den zahlreichen emotionsgeladenen Ausrufen der Figuren deutlich und als Hinweis für den Leser interessant, da hier die Gestalt der Schrift Informationen liefert, die aus den Bildern nicht immer ersichtlich sind. In diesem Sinne nimmt Jansson hier, ähnlich wie die Regieanweisungen bei einem Theaterstück, selbst eine Textwertung vor, indem sie etwa Worte durch eine visuelle Hervorhebung betont und so auch die Leseart beeinflusst. Mündlichkeitsmerkmale wie Lautstärke, Betonung oder Rhythmik markiert Jansson ebenfalls optisch durch Schriftgestaltung und Interpunktion. Dadurch ergibt sich ein äusserst heterogenes Schriftbild, was die Ausdruckskraft der einzelnen Worte erhöht, da Schriftgestalt ihre Wirkung vor allem auch durch Kontraste entfaltet.7 Die Bildlichkeit von Schrift mischt sich in das ein, was sich sprachlich vermittelt. Dabei stört, vertieft, ergänzt sie den Text oder codiert ihn mehrfach, äussert sich diesbezüglich Aleida Assman.8

Schriftfarbe und Hintergrundfarbe können als weitere bedeutungstragende Elemente angeführt werden, die Jansson verwendet. Die Hintergrundfarbe der Schrift in Hur gick det sen? ist meistens weiss. Ausser wenn sich die Figuren in einem Raum befinden. Der Text ist dann vollständig im Bild integriert und nicht in einem Textfeld mit anderer Hintergrundfarbe vom Rest abgesetzt. So etwa beim Bild des Hauses der Hattifnattar (Abb. 1), da wechselt Jansson die Schriftfarbe von Schwarz in Weiss und in ein zur dramatischen Szene passendes aggressives, bedrohliches Purpur, das stark mit dem schwarzen Hintergrund kontrastiert, gleichzeitig aber das Purpur des dramatischen Nachthimmels wieder aufnimmt. Dies ist das einzige Mal, dass Jansson hier zu anderen Schriftfarben greift, was deren Signalwirkung verstärkt.

Žanrid ja sildid
Vanusepiirang:
0+
Objętość:
338 lk 47 illustratsiooni
ISBN:
9783772000928
Õiguste omanik:
Bookwire
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