Loe raamatut: «Kunstprojekt (Mumin-)Buch», lehekülg 8

Font:

„Papa, sag mal, später bist du doch mit den Hatifnatten ausgerissen, oder?“ „Na ja“, sagte der Muminvater verlegen. „Kann sein. Aber das war viel, viel später. Ich weiss noch gar nicht, ob ich es überhaupt mit ins Buch aufnehmen soll.“ „Doch, unbedingt!“, sagte das Schnüferl. „Hast du da dann ein Lotterleben geführt?“ (MWJ 104)

Das Schreiben in seiner Körperlichkeit äussert sich ebenfalls in konkreten physischen Symptomen: „När Mumintrollets pappa hade hunnit precis såhär långt i sina memoarer blev han så gripen av sin olyckliga barndom att han måste ta igen sig ett slag.“ (MM 22f) „Als der Muminvater an dieser Stelle seiner Memoiren angelangt war, erschütterte ihn die Erinnerung an seine unglückliche Jugend so sehr, dass er sich eine Weile erholen musste.“ (MWJ 23). An anderer Stelle ruft Muminpappan aus: „Kan ni tänka er, jag blir alldeles våt i tassarna när jag läser om den där spöknatten!“ (MM 122) „,Man sollte es nicht glauben, aber ich kriege tatsächlich ganz feuchte Pfoten, wenn ich über diese Gespensternacht lese!‘“ (MWJ 147). Die dargelegten Phänomene zeigen Pappan abermals nicht nur als Autor, sondern auch als Rezipient seiner eigenen Geschichte, was wiederum den stetigen Kreislauf der Produktion und Rezeption veranschaulicht.

Bei den übrigen Rezipienten offenbaren sich im Laufe des Gesprächs verschiedene Interpretationsarten des Gehörten, die zu einem Spannungsverhältnis unter den Zuhörern führen. So wird sogar die Wahl des Protagonisten zum Streitpunkt: „Du [Pappan] har ju ändå använt min pappa Rådd-djuret som hjälte i boken? Jag har hela tiden trott att Joxaren var hjälten, sa Snusmumriken.[…] Era gamla pappor är bara bakgrund, utbrast Mumintrollet […].“ (MM 59f) „,Immerhin ist mein Vater, das Schusseltier, doch der Held in deinem Buch, oder?‘ ,Ich war die ganze Zeit der Meinung, der Jojoks sei der Held‘, sagte der Schnupferich.[…] ¸Eure ollen Väter gehören bloss zum Hintergrund‘, platzte Mumin heraus […].“ (MWJ 68). Die Zuhörer sind sich nicht nur bei der Wahl des Protagonisten uneinig, auch sympathisieren sie mit unterschiedlichen Figuren: „Hur kunde ni glömma Rådd-djuret vid sjösättningen, sa Sniff förebrående.[…] Det som bekymrar mig är att min pappa fick sin pyjamas full med gelé, sa Snusmumriken.“ (MM 60f) „,Wie konntet ihr nur meinen Vater beim Stapellauf vergessen?‘, sagte das Schnüferl vorwurfsvoll. […] ,Was mir sorgen macht, ist, dass der Schlafanzug meines Vaters voller Gelee wurde‘, sagte der Schnupferich.“ (MWJ 69).

Das von Pappan im Prolog definierte Ziel, ein lehrreiches Buch zu schreiben, erweist sich anhand von Sniffs Verarbeitung des Gehörten als erfüllt. Pappan liest die Stelle vor, an der Joxaren von Hemulens moster zurechtgewiesen wird, weil er raucht: „Han är alldeles för liten för att röka. Han borde dricka mjölk, det är nyttigt, och då får man varken skakande tassar, gul nos eller skallig svans.“ (MM 59) „,[…] Bist viel zu klein zum Rauchen. Solltest Milch trinken, das ist gesund, davon kriegt man weder zittrige Pfoten noch eine gelbe Schnauze oder einen kahlen Schwanz.‘“ (MWJ 67). Sniff nimmt sich ihre Worte auch sogleich zu Herzen: „Låt honom inte röka!“[…] Hemulens moster säger att man får skakande tassar, gul nos och skallig svans av det!“ (MM 60) „,Lass ihn nicht rauchen‘, schrie das Schnüferl. ,Die Tante der Hemulin sagt, dass man davon zittrige Pfoten, eine gelbe Schnauze und einen kahlen Schwanz kriegt!‘“ (MWJ 69), ruft er daher aufgebracht aus, als Mamman Pappan die Pfeife bringen möchte.

c) Metalepse als Klimax

Der genaue Endpunkt von Pappans Schreibarbeit wird mit einer exakten Zeitangabe seinerseits markiert: „Memoarerna fullbordades idag, sa pappan med grumlig röst. Slutorden nedskrevs fyrtiofem minuter över sex.“ (MM 156) „,Die Memoiren wurden heute abgeschlossen‘, verkündete der Muminvater mit belegter Stimme. ,Die Schlussworte kamen fünfundvierzig Minuten nach sechs zu Papier.‘“ (MWJ 191). In stilvoller Atmosphäre versammelt sich sein Umfeld, um den letzten Teil von Pappans Buch zu hören. Alle haben sich dem feierlichen Anlass gebührend angezogen und Mamman hat Essen und Getränke vorbereitet. Dieses Zeremoniell erinnert stark an eine Theateraufführung. Ein Eindruck, der sich vor allem im darauf folgenden Epilog verstärkt, wo sich die beiden Erzählebenen in einem grossartigen Showdown vereinen.

Der krönende Abschluss wird jedoch bereits viel früher mit einer Metalepse angekündigt, wie auch Evelyne Arizpe festhält.1 Nämlich als plötzlich der Knauf vom Dach des Navigationsraums von Pappans Boot, ein Gegenstand der Binnenerzählung, in der extradiegetischen Erzählebene erscheint. Wie man dank Pappans Ausführungen weiss, ist dieser während eines Sturms auf hoher See abhanden gekommen:

Idag hade Mumintrollets pappa slagit sig ner på sandstranden med sin son, Snusmumriken och Sniff. Medan han läste för dem om den förfärliga stormen lät de blickarna vandra över havet som sensommaroroligt rullade sina vågor mot stranden. De tyckte sig se Haffsårkestern flyga som ett spökskepp genom stormen med deras pappor ombord.[…] Titta där ligger nånting som har flutit iland! Spring och plocka upp det! [Pappan] De satte iväg. Vad är det för nånting? Sa Snusmumriken. Det var stort och tungt och liknade en lök. Säkert hade det flutit omkring i havet väldigt länge för det var fullt av sjögräs och snäckor. Här och var satt lite guldfärg kvar på det spruckna träet. Mumintrollets pappa tog trälöken i sina tassar och tittade. Och medan han tittade blev hans ögon större och större och till slut dolde han dem med tassen och suckade. Ungar, sa han med högtidlig och lite osäker röst, detta som ni nu ser är knoppen på navigationshyttens tak på flodbåten Haffsårkestern! (MM 87f)

Heute hatte der Muminvater sich mit Mumin, dem Schnupferich und dem Schnüferl am Sandstrand niedergelassen. Während er ihnen von dem fürchterlichen Sturm vorlas, liessen sie ihre Blicke übers Meer wandern, das seine spätsommerlich bewegten Wellen auf den Strand zurollte. Sie glaubten, die „Mehrmussick“ wie ein Geisterschiff durch den Sturm fliegen zu sehen, mit ihren drei Vätern an Bord.[…] „Schaut mal, da ist etwas an Land getrieben! Lauft hin und holt es!“ [Muminvater] Sie flitzten davon. „Was kann das nur sein?“, sagte der Schnupferich. Es war gross und schwer und erinnerte an eine Zwiebel. Bestimmt war es schon sehr lange im Meer umhergeschwommen, es war nämlich voller Seegras und Muscheln. An dem gesprungenen Holz haftete hier und da noch ein wenig Goldfarbe. Der Muminvater nahm die Holzzwiebel in die Pfoten und sah sie an. Und während er das Fundstück ansah, wurden seine Augen grösser und grösser, bis er sie schliesslich mit einer Pfote bedeckte und einen Seufzer ausstiess. „Kinder“, sagte er feierlich mit bewegter Stimme, „das, was ihr hier seht, ist der Knauf vom Dach des Navigationsraums des Flussbootes ,Mehrmussick‘“! (MWJ 103ff)

Eine Metalepse ist nach Scheffel ein narrativer Kurzschluss, bei dem infolge einer Rahmenüberschreitung die Grenze zwischen extra- und intradiegetischer Erzählebene beziehungsweise zwischen Erzählen und Erzähltem, aufgehoben wird.2 Solche Phänomene können durch die Kombination von schriftstellerischer Kreativität und leidenschaftlicher Vorlesekunst herbeigeführt werden, erklärt Saskia Heber.3 So auch in Muminpappans memoarer. Das Kapitel über den grossen Sturm auf dem Meer wird der Gruppe am Strand vorgetragen. Das Setting und die Intensität von Pappans Ausführungen lassen beim Publikum das Gehörte vor ihren Augen Gestalt annehmen, sodass sie das Erzählte zu sehen glauben. Das Umkippen der Lektüre in rezeptive Imagination wird laut Aleida Assmann durch Schwellensignale angekündigt. Die Wellenbewegung des Meeres kann als ein solches Signal betrachtet werden. Das Erscheinen von Dingen und Figuren bezeichnet Assmann als ein Epiphanieerlebnis.4

Der gänzliche Kollaps der beiden Erzählebenen findet, wie erwähnt, im Epilog statt. Im Gegensatz zu den Vorworten, die es in zwei unterschiedlichen Versionen und vor allem auf unterschiedlichen Erzählebenen gibt, existiert nur ein Epilog, der auf der extradiegetischen Erzählebene angesiedelt ist. Plötzlicher Wind und Regen leiten dort die dramatisch inszenierte Klimax ein. Schliesslich kündigt ein dreimaliges Poltern an die Tür effektvoll eine Ankunft an. Die Tür wird daraufhin zur Verbindung der intra- und extradiegetischen Ebene, durch die die Väter, das Gespenst sowie weitere Figuren der Binnenhandlung nacheinander erscheinen und ihren Auftritt haben. Sämtliche Figuren treffen zusammen, was mit einem grossen Fest gefeiert wird. Die Handlung schliesst wie in einem Theaterstück. Alle Figuren sind wiedervereint, 40 Jahre nach den Begebenheiten, die die Memoiren beschreiben, bemerkt diesbezüglich auch Jones.5 Sonja Klimek bezeichnet das Versetzen einer Figur mit ihrem Körper auf eine höhere diegetische Ebene als eine aufsteigende Metalepse.6 Dieser Wechsel der Erzählebene wird von den Figuren jedoch nicht thematisiert. Mit anderen Worten: Durch die Metalepse wird die Fiktion als solche bewusst entlarvt. In Bezug auf narrative Instrumente wie die Metalepse äussert sich Genette wie folgt:

Alle diese Spiele bezeugen durch die Intensität ihrer Wirkung die Bedeutung der Grenze, die sie mit allen Mitteln und selbst um jeden Preis der Unglaubwürdigkeit überschreiten möchten, und die nichts anderes ist als die Narration (oder die Aufführung des Stücks) selber […].7

Auch er betont demnach den durch die Metalepse provozierten Fiktionsbruch. Der Höhepunkt des Festes bildet die feierliche Ankündigung, dass die Abenteuer fortgesetzt werden sollen: „I morgon, upprepade Mumintrollets pappa med ungdomligt glänsande blick. I morgon fortsätter Äventyret! ropade Fredrikson. Vi flyger iväg med Haffsårkestern! Allihop. Mammor, pappor och barn!“ (MM 167) „,Morgen‘, wiederholte der Muminvater mit jugendlich leuchtendem Blick. ,Morgen geht das Abenteuer weiter!‘, rief Fredriksson. ,Wir fliegen mit der ,Mehrmussick‘ davon! Alle miteinander. Mütter, Väter und Kinder!‘“ (MWJ 205). Die Erzählung kann von Neuem beginnen. Der Schlusssatz lässt diesbezüglich keine Zweifel: „En ny port mot det Otroliga, det Möjliga, en ny dag där allting kan hända om man inte har nånting emot det.“ (MM 168) „Ein neues Tor ins Unglaubliche und ins Mögliche, ein neuer Tag, an dem alles geschehen konnte, wenn man es nur wollte.“ (MWJ 206).

3.1.3. Zusammenfassung

Die Untersuchung brachte zutage, in welch hohem Masse Muminpappans memoarer seine eigene Entstehungsgeschichte nicht nur einfach erzählt, sondern vor allem reflektiert und problematisiert. Ganz zu Beginn wird Pappan bereits als Autor introduziert. Als Autobiograf ist er in besonderem Masse gezwungen, sich im Spannungsfeld von Fiktion und Wirklichkeit zu verhalten. Er sieht sich jedoch nicht in erster Linie faktischer Korrektheit verpflichtet, sondern opfert diese vielmehr gern zugunsten der Spannungssteigerung. Des Weiteren wird Muminpappan als Autor auf widersprüchliche Weise dargestellt. Selbst inszeniert er sich als Originalgenie, dem Kreativität und Inspiration über alles geht. In der bildlichen Darstellung hingegen zeigt sich ein altmodisches Autorkonzept, symbolisiert durch Schreibfeder und Tintenfass. Der anschliessend präsentierte Kreationsprozess von Pappans Autobiografie zieht sich durch das ganze Buch. Er zeichnet sich vor allem dadurch aus, dass er immer wieder unterbrochen wird. Mit anderen Worten, es wird immer wieder zwischen der Rahmen- und der Binnenhandlung gewechselt. In der Rahmenhandlung entsteht eine Vortragssituation, in der Pappan das Geschriebene einem Publikum vorträgt. Es kommt also zu einer „Szene“ im Sinne einer „Inszenierung“. Die Schreibszene ist immer an eine Leseszene gekoppelt. Mehr noch, sie scheinen sich gar gegenseitig zu bedingen. In der Folge kommt es zu einem Gespräch über die Binnenhandlung, Pappans Autobiografie. Dabei werden sowohl Pappan als Schriftsteller wie auch der von ihm geschriebene Text kommentiert und auch kritisiert. Diese Struktur erlaubt es den Zuhörern, sich bis zu einem gewissen Grad auch direkt in den Kreationsprozess einmischen zu können. Die Übergänge zwischen den beiden Erzählebenen, zwischen der Schreibszene und der Leseszene, ist durch Gesten wie das Öffnen und Schliessen des Buchs oder des Deckels des Stiftes, welcher Pappan benutzt, deutlich markiert. Dies ist vergleichbar mit dem Öffnen und Schliessen des Vorhangs bei Theateraufführungen. Bei einer derartigen Beobachtung der Architektur der Erzählung wird der oben bereits erwähnte mise en abyme Charakter besonders deutlich. Auf einer abstrakteren Ebene wird durch die mehrstimmige Erzählweise eine Werkgenese gezeichnet, in der erstens die Grenzen zwischen Lesen und Schreiben respektive zwischen Produzent und Rezipient nicht mehr klar zu ziehen sind. Gezeigt wird, wie diese Komponenten in einem, theoretisch unendlichen, schöpferischen Kreislauf zu oszillieren beginnen. Die porösen Grenzen zeigen sich zweitens ebenfalls in der Erzählweise. Die verschiedenen Erzählebenen werden ebenso durchlässig, bis sie schliesslich gänzlich kollidieren.

3.2. Farlig midsommar

Bereits das Cover macht das zentrale Thema des Buchs deutlich: prominent platziert, auf dem Wasser schwimmend und hell beleuchtet von einem übergrossen Mond, ist eine Theaterbühne zu erkennen. Der Titel des Buchs weckt unmittelbar Assoziationen zu Shakespeares A Midsummer Night’s Dream, wie in der Forschung schon mehrfach konstatiert wurde. Es ist das Muminbuch, welches sich gänzlich dem Theater und vor allem dem Theater im Theater verschrieben hat. „The play’s the thing“, meint auch Evelyne Arizpe zum Inhalt von Farlig midsommar.1 Diese einleitenden Worte machen bereits deutlich, dass dem Wort „Szene“ in „Schreibszene“ im Sinne von „Inszenierung“ in diesem Buch besondere Bedeutung zukommt. Farlig midsommar besteht aus einer Rahmen- und aus einer Binnenerzählung. Die Rahmenhandlung enthält mehrere Handlungsstränge und Handlungsorte, die sich alle um die Theaterbühne gruppieren. Sie bilden die Grundlage für die zahlreichen Auf- und Abgänge der Figuren und die sich daraus ergebenden Irrungen und Wirrungen, die augenblicklich an eine klassische Komödie denken lassen. Wenn schliesslich auf der Theaterbühne, einem der Schauplätze der Rahmenhandlung, ein Stück aufgeführt wird, wird dieses zum Stück im Stück oder wie es Westin formuliert: zur Tragödie in der Komödie.2

Die Analyse konzentriert sich im ersten Teil auf die Annäherung der Figuren an das Theater als konkreten Raum sowie dem Theater beziehungsweise dem Drama als Kunstform. Der zweite Teil beschäftigt sich mit dem performativen Akt der Aufführung des Stücks im Stück. Als Ausgangslage dient die Hypothese eines ständigen Diskurses über die Dichotomie zwischen Fiktion und Realität, der den Reflexionen über das Theater und das Drama zugrunde liegt. Auf einer stofflichen, poetologischen wie auch performativen Ebene.

3.2.1. Das Theater
a) Blosse Materialität

Annette Simonis erwähnt in ihrem Artikel einen Malerwettstreit zwischen Zeuxis und Parrhasios. Zeuxis malte Trauben, die so echt wirkten, dass sie Vögel anlockten. Parrhasios seinerseits malte einen derart echt anmutenden Vorhang, dass Zeuxis verlangte, man solle ihn beiseiteschieben und das Bild zeigen, das er dahinter vermutet. „Die gemalten Trauben suggerieren in der artistischen Perfektion ihrer Ausführung eine materielle Präsenz, die eine derart intensive sinnliche Ausstrahlung hat, dass die Vögel sich der Illusion hingeben, es handle sich um Natur, nicht Kunst.“ Zeuxis Reaktion bringt das Verlangen zum Ausdruck, „nach dem materiellen Stoff zu greifen und zu tasten, dessen Anwesenheit auf der visuellen Wahrnehmungsebene lebhaft suggeriert wird.“1

Damit erklärt Simonis ebenfalls die Kernproblematik des ersten, äusserst verstörenden Aufeinandertreffens der Charaktere mit dem Theater: Mit der Dichotomie von Illusion und Realität wird in Farlig midsommar ein Spannungsfeld eröffnet, in dem dieses Verhältnis anhand des Topos des mundus inversus verhandelt wird. Das Mumintal wird von einer Flutkatastrophe heimgesucht, bei der das Haus der Muminfamilie überschwemmt wird. In dieser Notsituation bietet ihnen eine verlassene Theaterbühne Zuflucht, die plötzlich als rettende Arche erscheint. Mit dem Einzug ins Theater betreten die Muminfamilie und ihre Freunde unbekanntes Terrain, welches sie sich zu eigen machen versuchen – auf eine äusserst taktile und körperliche Art und Weise, indem sie sich an die neue Umgebung im wahrsten Sinne des Wortes herantasten. Dabei ist jedoch nichts das, was es zu sein scheint. Im Theater gibt es Spiegel, die das Bild verzerren, Treppen und Türen, die ins Nichts führen, ja sogar der verlockende Apfel ist aus Holz. Das nachfolgende Zitat veranschaulicht dies:

Homsan letade marmelad. Kanske sylt går lika bra, sa han och petade i en burk. Målad gips, sa Mymlans dotter. Hon tog ett äpple och bet i det. Trä, sa hon. Lilla My skrattade. Men Homsan var bekymrad. Allt omkring honom föreställde nånting annat än det var, lurade honom med vackra färger, och när han sträckte ut tassen var det bara papper, trä eller gips. Guldkronorna var inte trevligt tunga och blommorna var pappersblommor, fiolerna hade inga strängar och lådorna ingen botten och böckerna gick inte ens att öppna. (FM 40f)

Der Homsa suchte nach der Marmelade. „Hier ist Kompott, vielleicht tut es das auch“, sagte er und steckte den Finger in ein Einmachglas. „Angemalter Gips“, sagte die Tochter der Mümmla. Sie nahm einen Apfel und biss hinein. „Holz“, stellte sie fest. Die Kleine Mü lachte. Aber der Homsa war bekümmert. Hier stellte alles etwas anderes dar, als es in Wirklichkeit war. Alles täuschte ihm mit leuchtenden Farben etwas vor – wenn er die Pfoten danach ausstreckte, war es jedoch nur aus Pappe, Holz oder Gips. Die goldenen Kronen lagen nicht schön schwer in der Hand und die Blumen waren aus Papier, die Geigen hatten keine Saiten, die Kisten keinen Boden und die Bücher liessen sich nicht einmal aufschlagen. (SM 46f)

Dieser mundus inversus bringt die Gruppe an ihre Grenzen. Boel Westin spricht gar von einer regelrechten Kulturkollision.2 Neben diesen ersten physischen Erfahrungen mit dem Theater wird die Gruppe auch mit für sie gänzlich unbekannten respektive missverständlichen Begriffen konfrontiert: „Rek-vi-si-ta, läste hon. Rekvisita. Ett riktigt skurknamn!“ (FM 40) „,Re-qui-si-te‘, las sie. ,Requisite. Typischer Schurkenname!‘“ (SM 45), ruft Mymlans dotter aus. Bezüglich ihres Aufenthaltsorts bringt erst Emma, die Theaterratte oder Faktotum, wie Jones sie bezeichnet3, Licht ins Dunkel. Schonungslos führt sie der Gruppe deren Unwissenheit vor Augen:

[…] Ni som tror att sufflörluckan är ett skafferi! Ni som tror att scenen är salongen och att kulisserna är tavlor! Ridån är en gardin och rekvisitan en farbror! Hon blev alldeles röd i ansiktet och nosen skrynklades ända upp i pannan. Jag är glad, skrek hon. Jag är glad att scenmästare Filifjonk (måhanvilaifrid) inte kan se er! Ni vet ingenting om teater, mindre än ingenting, inte ens skuggan av ett ingenting![…] Vad är en teater? viskade Mumintrollets mamma oroligt. Jag vet inte, svarade Muminpappan. Det verkar som om man borde ha reda på det. (FM 57)

„[…] Den Souffleurkasten halten sie für eine Speisekammer! Die Bühne halten sie für einen Salon und die Kulissen für Bilder! Den Bühnenvorhang nennen sie Gardine! Die Requisite ist eine Person!“ Sie wurde ganz rot im Gesicht und rümpfte die Schnauze bis zur Stirn hinauf. „Bin ich froh“, schrie sie. „Bin ich froh, dass Bühnenmeister Filifjonk (er ruhe in Frieden!) euch nicht sehen kann! Ihr wisst überhaupt nichts vom Theater, weniger als nichts, nicht einmal den Schatten von einem Nichts!“[…] „Was ist das – ein Theater?“, flüsterte die Muminmutter beunruhigt. „Weiss nicht“, antwortete der Muminvater. „Aber es scheint etwas zu sein, das man kennen sollte.“ (SM 66)

Schliesslich fasst Emma das Essenzielle des Theaters in ihrer eigenen Definition zusammen und zementiert dabei das bereits erwähnte mundus inversus Motiv: „Teater är det viktigaste i världen för där visar man folk hur det kunde vara, och vad de längtar efter att vara fast de inte törs, och hur de är. En uppfostringsanstalt, utbrast Muminmamman förskräckt.“(FM 96) „,Theater, das ist das Wichtigste auf der Welt. Dort zeigt man den Leuten, wie sie sein könnten. Man zeigt ihnen, wie sie gern wären, und schliesslich, wie sie wirklich sind.‘ ,Eine Erziehungsanstalt‘, rief die Muminmutter erschrocken aus.“ (SM 112f).

Zum besseren Verständnis des Theaterraums fertigt Emma als erstes eine Skizze an: „Hon tog en bit papper och ritade darrigt upp en teater för Mumintrollets mamma. Hon förklarade vad allting var och skrev upp det för att mamma inte skulle glömma bort det.“ (FM 97) „Sie nahm ein Stück Papier, zeichnete der Muminmutter mit zittriger Hand ein Theater auf, erklärte, was alles bedeutete und schrieb es auf, damit die Muminmutter es nicht vergass.“ (SM 113). So entsteht ein Abbild des Chronotopos, in dem die Figuren agieren.4 Innerhalb eines viereckigen Rahmens ist die Frontansicht eines Theaterraums zu erkennen. Darüber stehen eine Signatur und eine Widmung. Jeder Bestandteil des Theaterraums ist beschriftet, teilweise auch markiert. Angefangen vom Vorhang über die unterschiedlichen Requisiten bis ihn zur wichtigsten Schauspielerin, der Primadonna. In der Skizze aufgeführt sind viele der Gegenstände, die später in der Erzählung eine Relevanz haben werden. So etwa der Mond, der explizit angesprochen wird, die Primadonna hat ebenfalls einen folgenreichen Auftritt und die eingezeichnete Drehbühne wird auch wichtig werden. Schliesslich beginnt Emma, detailreich und ausführlich die Stimmung im Theater anhand eines konkreten Beispiels, der Kleopatra-Aufführung, zu beschreiben. Das nachfolgende Zitat enthält Emmas Ausführungen:

Jag hade som vanligt tänt rampljuset i solnedgången, och just innan ridån gick upp knackade jag tre gånger i scengolvet. Sa här! Varför det? frågade Mymlans dotter. För effektens skull, sa Emma och hennes små ögon blänkte till. Ödesbetonat, förstår ni. Ridån går upp. En röd strålkastare belyser Kleopatra – publiken drar efter andan…Var Rekvisitan också där? frågade Homsan. Rekvisitan är en plats, förklarade Emma. Ett rum för allt som behövs när man spelar teater. Primadonnan var underbart vacker, dyster…Primadonnan? frågade Misan. Ja, den allra viktigaste av alla skådespelerskorna. Den som alltid spelar den roligaste rollen och alltid får vad hon vill. Men bevare mig för…Jag vill vara en primadonna, avbröt Misan. Men jag ska ha en sorglig roll. En roll där man skriker och gråter. Då får du spela i ett sorgespel, ett drama, sa Emma. Och dö i sista akten. (FM 98)

„[…] Wie immer hatte ich bei Sonnenuntergang das Rampenlicht angemacht, und kurz bevor der Vorhang aufging, klopfte ich dreimal auf den Bühnenboden. So!“ „Warum denn das?“, fragte die Tochter der Mümmla. „Wegen der Wirkung“, sagte Emma und ihre kleinen Augen funkelten. „Schicksalsschwer, versteht ihr? Der Vorhang geht auf. Ein roter Scheinwerfer beleuchtet Kleopatra – das Publikum hält den Atem an…“ „Hat Requisite auch mitgemacht?“, fragte der Homsa. „Die Requisite ist ein Ort“, erklärte Emma. „Ein Zimmer, in dem alles aufbewahrt wird, was man braucht, wenn man Theater spielt. Die Primadonna war wunderschön, düster…“ „Die Primadonna?“, fragte die Misa. „Ja, das ist die allerwichtigste Schauspielerin, die immer die schönsten Rollen spielt und alles kriegt, was sie will. Aber um die würde ich lieber einen grossen B…“ „Eine Primadonna, das ist es, was ich sein will“, unterbrach die Misa sie. „Aber ich möchte eine traurige Rolle haben. Eine Rolle, in der man schreien und weinen darf.“ „Dann musst du in einem Trauerspiel mitspielen, in einer Tragödie“, erklärte Emma. „Und im letzten Akt sterben.“ (SM 114f)

Speziell hervorzuheben sind die materiellen Komponenten, welche explizit erwähnt werden: Der Vorhang, der die Bühne rahmt und sie dadurch als solche präsentiert. Die erwähnte Lichteinstellung ist ebenfalls zentraler Bestandteil der Inszenierung der Bühne. Das Klopfen als körperlicher Initiationsritus, als akustische Ankündigung des Spielbeginns wurde bereits in Muminpappans memoarer erwähnt. All die erwähnten Komponenten formen die Rahmung der Inszenierung in einem stofflichen Sinn. Schliesslich wendet sich das Gespräch Begriffen wie „Rekvisitan“ und „Primadonnan“ zu, deren Bedeutung geklärt werden muss. Auch findet eine Annäherung an ein explizites Genre statt, wenn über die Spezifika der Tragödie gesprochen wird. Danach wendet sich die Unterhaltung weg vom Theater als Raum hin zum Theater als Kunstform und gipfelt schliesslich im Entschluss, selbst ein Theaterstück zu schreiben.

Žanrid ja sildid
Vanusepiirang:
0+
Objętość:
338 lk 47 illustratsiooni
ISBN:
9783772000928
Õiguste omanik:
Bookwire
Allalaadimise formaat:
epub, fb2, fb3, ios.epub, mobi, pdf, txt, zip