Loe raamatut: «Kunstprojekt (Mumin-)Buch», lehekülg 9

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b) Kunstform

Dies geht einher mit einer Abkehr von der Auseinandersetzung mit einer allgemeinen Theatermetaphorik hin zur Schreibszene beziehungsweise dadurch auch zu einer poetologischen Reflexion des Theaters als Kunstform. Zu Beginn des Kapitels „Om hur man skriver ett skådespel“ „Darüber, wie man ein Schauspiel schreibt“ zeigt eine Illustration den schreibenden Pappan. Mit Papier und Stift in der Hand sitzt er inmitten von zahlreichen losen Blättern Papier, teilweise zerknüllt. Neben ihm Mamman mit einer Schüssel voller Süssigkeiten.1 Damit wird die Wahl des Stückeschreibers bereits vorweggenommen. Diese fällt schnell auf Pappan, der als Schriftsteller schliesslich bereits über Erfahrung in diesem Bereich verfügt: „Du skulle säkert kunna skriva ett skådespel om Emma hjälpte till, sa hon. Du har ju skrivit dina memoarer och det är säkert inte svårt att rimma?“ (FM 99) „,Bestimmt könntest du ein Schauspiel schreiben, wenn Emma dir dabei hilft‘, sagte sie. Schliesslich hast du deine Memoiren geschrieben, und es kann ja wohl nicht besonders schwierig sein, sich ein paar Reime auszudenken?‘“ (SM 115f), ist sich Mamman sicher.

Der Schreibprozess zeichnet sich in erster Linie durch ein rasantes Tempo aus: „På kvällen hade Mumintrollets pappa skådespelet färdigt och läste upp det för de andra.“ (FM 100) „Am Abend hatte der Muminvater das Stück fertig geschrieben und las es den anderen vor.“ (SM 116f). Im Unterschied zu Muminpappans memoarer wird hier der Text fertiggestellt, bevor er vorgetragen wird. Dennoch handelt es sich auch hier um einen dialogischen Schreibprozess. Als Dramatiker ist Pappan einer antiken Regelpoetik verpflichtet, mit deren Paradigmen er sich erst vertraut machen muss. Sogleich wird Pappan von Emma auf seine Formfehler bezüglich Versmass und Inhalt hingewiesen: „Han ska skriva hexameter! Hexameter! Inte rimma.[…] Skriv nu om alltsammans på hexameter. Och kom ihåg att i ett ordentligt sorgespel i gammal god still ska alla vara släkt med varandra.“ (FM 100) „,Sie müssen Hexameter schreiben! Hexameter! Keine Reime.‘[…] ,Schreiben Sie jetzt das Ganze noch einmal in Hexametern. Und denken Sie daran, zu einem anständigen Trauerspiel in gutem alten Stil gehört, dass alle miteinander verwandt sind.‘“ (SM 117f). Es wird also ex negativo demonstriert, wie ein Drama formal zu schreiben ist. Während sich Emmas Feedback vor allem auf formale Aspekte beschränkt, betreffen die Rückmeldungen der übrigen Zuhörer den Inhalt. Dabei treten spannenderweise ganz unterschiedliche inhaltliche Konzepte zutage, die ein weites Gattungsspektrum abdecken, welches vom Märchen bis zum Krimi reicht. Auch Wünsche die Rolle betreffend werden bereits angebracht, was auf die folgende Inszenierung des Stücks hindeutet:

Och där finns inte en enda prinsessa? Kan det inte få sluta bra? Det är så sorgligt när folk dör. Det är ett sorgespel, kära du, sa Muminpappan. Och då måste nån dö i slutet. Helst alla utom en och kanske den också. Det har Emma sagt. Pax för mig att dö i slutet, sa Misan. Och får jag vara den som slår ihjäl Misan? bad Mymlans dotter. Jag trodde Muminpappan skulle skriva en detektivhistoria, sa Homsan besviken. Nånting där alla blir misstänkta och man har en massa trevliga ledtrådar att fundera över. (FM 100f)

„Und keine einzige Prinzessin kommt darin vor. Und warum darf es nicht gut ausgehen? Ich finde es so traurig, wenn die Leute sterben.“ „Liebling, es ist nun mal ein Trauerspiel“, sagte der Muminvater. „Und dazu gehört, dass irgendjemand am Schluss stirbt. Am besten alle, bis auf einen, und vielleicht der auch noch. Das hat Emma gesagt.“ „Ich darf am Schluss sterben – ausgemacht!“, rief die Misa. „Und darf ich die Misa erschlagen?“, bat die Tochter der Mümmla. „Ich hab geglaubt, der Muminvater schreibt ein Kriminalstück“, sagte der Homsa enttäuscht. „Irgendwas, wo alle verdächtigt werden und es eine Menge interessanter Spuren und Beweise gibt, an denen man herumrätseln kann.“ (SM 118)

Pappan zeigt sich zutiefst gekränkt über die geäusserte Kritik und stellt auch hier gleich das ganze Projekt in Frage. Abermals ist es Mamman, die ihn für ein Weitermachen motivieren kann. Als Ansporn erhält Pappan Süssigkeiten:

Mumintrollets pappa reste sig sårad och samlade ihop sina papper. Om ni inte tycker om mitt skådespel kan ni ju göra ett nytt själva, sa han. Älskling, sa Mumintrollets mamma. Vi tycker det är underbart. Gör vi inte? Jodå, sa allesammans. Där ser du, sa mamman. Alla tycker om det. Bara du ändrar på innehållet och skrivsättet lite grand. Jag ska se till att ingen stör dig och du ska få ha hela karamellskålen bredvid dig när du arbetar! (FM 101)

Der Muminvater stand auf und sammelte seine Papiere gekränkt ein. „Wenn euch mein Schauspiel nicht gefällt, könnt ihr euch ja selbst ein neues schreiben“, sagte er. „Liebling“, sagte die Muminmutter. „Wir finden es wundervoll. Tun wir das etwa nicht?“ „Doch, natürlich“, sagten alle im Chor. „Bitte sehr“, sagte die Muminmutter. „Es gefällt allen. Wenn du nur den Inhalt und die Art, wie es geschrieben ist, ein bisschen änderst. Ich werde dafür sorgen, dass niemand dich stört, und während der Arbeit darfst du die ganze Bonbonschüssel neben dir stehen haben!“ (SM 118f)

Auch die Überarbeitung des Stücks geht daraufhin mit grosser Intensität und Geschwindigkeit vor sich. Der Schreibprozess wird gar als ein rauschähnlicher Zustand beschrieben: „Muminpappan arbetade och arbetade. Ingen talade eller rörde sig. Så fort ett papper var fullskrivet läste han upp det. Mumintrollets mamma fyllde på karameller hela tiden. Alla var upphetsade och förväntansfulla.“ (FM 101) „Der Muminvater schrieb, was das Zeug hielt. Niemand sprach ein Wort oder wagte es, sich zu rühren. Kaum war eine Seite voll geschrieben, las er sie vor. Die Muminmutter füllte unaufhörlich Bonbons nach. Alle waren aufgeregt und voller Erwartung.“ (SM 119). Weitere Details über den eigentlichen Schreibakt werden nicht enthüllt, auch wird der Leser vorerst über den Titel wie auch den genauen Inhalt des Dramas im Dunkeln gelassen. Der Akt des Stückeschreibens erscheint äusserst gerafft im Gegensatz zur ausführlichen Thematisierung der Inszenierung des Stücks.

3.2.2. Die Inszenierung

[…] das Schreiben hält sich bei und an sich selbst auf, indem es sich selbst thematisiert, reflektiert und problematisiert, und schafft so einen Rahmen, durch den es aus dem Alltag herausgenommen, gleichsam auf einen Bühne gehoben ist, auf der es sich präsentiert und darstellt […].1

In Farlig midsommar geschieht dies im wahrsten Sinne des Wortes, indem das Geschriebene auf einer Bühne dargestellt wird, also ein Medienwechsel stattfindet. Gleichermassen handelt es sich dabei jedoch nicht nur um eine Aufführung des Inhalts, sondern auch des Schreibens selbst beziehungsweise der Kreation von Fiktion. Patricia Waugh äussert sich diesbezüglich wie folgt:

The examination of fictionality, through the thematic exploration of characters „playing roles“ within fiction, is the most minimal form of metafiction.[…] Such novels tend to present characters who are involved in a duplicitous situation requiring the perpetration of some form of pretence or disguise. These characters usually appear as inauthentic artists. They may be professional artists such as actors, writers or painters. Or they may be artists because they assume roles which destroy their own and others’ integrity and existential freedom, through the confusion of „role“ with „self“, or appearance with reality.2

Waugh betont also das Verhältnis von Fiktion und Wirklichkeit, das durch eine Inszenierung thematisiert wird. In Farlig midsommar wird Pappans literarische Vorlage in eine Aufführung transportiert. Dies entspricht laut Erika Fischer-Lichte der Definition des mise en scène.3 Zweimal kommt es zur Aufführung des Stücks im Stück. Einmal bei der Generalprobe, ein weiteres Mal bei der Premiere. Die beiden Aufführungen repräsentieren zwei unterschiedliche Perspektiven. Die Geschehnisse werden bei der Generalprobe aus der Perspektive der Schauspieler, bei der Premiere aus der Perspektive der Zuschauer geschildert. Dabei steht die Diskrepanz zwischen dem Rollen „Ich“ und dem realen „Ich“, respektive zwischen Fiktion und Wirklichkeit, im Mittelpunkt.

a) Die Generalprobe

Das Kapitel Om generalrepetitionen „Über die Generalprobe“ enthält eine weitere Illustration des schreibenden Pappan. Die visuelle Schreibszene zeigt ihn inmitten zahlreicher loser Blätter, die um ihn herum flattern.1 Auch sein Schreibwerkzeug fliegt durch die Luft. Pappan selbst ist nicht sitzend dargestellt, sondern ebenfalls in Bewegung. Er scheint gar zu tanzen. Dies kann als eine Illustration dessen gesehen werden, was Martin Stingelin beschreibt, wenn „das Schreiben im allgemeinen, das Schreibwerkzeug im besonderen einen Schriftsteller in seinen Dienst nimmt“, ihn „engagiert“ in der Bedeutung „zum Tanz auffordert.“2 Mit anderen Worten, das Schreiben wird als ein performativer Akt dargestellt, als eine „Szene“. Anders als der Titel des Kapitels vermuten liesse, ist Pappan mit der Arbeit an seinem Stück bei Weitem noch nicht fertig: Die Generalprobe steht unmittelbar bevor, hinter den Kulissen schreibt Pappan jedoch nach wie vor an seinem Stück. Bemüht, die Änderungsvorschläge der Schauspieler ad hoc einzuarbeiten. Der Akt des Schreibens beginnt sich schliesslich mit dem Akt des Aufführens zu überschneiden, respektive der Übergang verläuft nicht entlang klarer Grenzen. Während Pappan das Stück hinter der Bühne fertig schreibt, übt Misan ihren Text und Mammans Kostüm erweist sich bei der Anprobe als zu klein. Des Weiteren führt der Inhalt des Stücks zu Auseinandersetzungen. Das Durcheinander nimmt ein solches Mass an, dass das ganze Projekt abermals zu scheitern droht.

Doch die Generalprobe beginnt schliesslich mit dem Auftritt von Mymlans dotter. Noch immer ist weder Titel noch der genaue Inhalt des Theaterstücks bekannt. Anhand des Monologs von Mymlans dotter erkennt Boel Westin strukturell jedoch ein Spiel mit der antiken Regelpoetik: „Mymlans inledningsmonolog är späckad av högstämd retorik. Ingredienserna är av klassiskt märke – död, oskuld, blod, öde.“ „Mymlans Einleitungsmonolog ist voll feierlicher Rhetorik. Die Zutaten sind klassischer Art – Tod, Unschuld, Blut, Schicksal.“3 All die erwähnten Elemente sind jedoch nur in Textfetzen angedeutet. Die Rhetorik des Dramas sei lediglich in den Konturen und einigen Repliken zu erahnen, meint auch Jones.4 Dies veranschaulicht folgendes Beispiel:

Dör jag i natt fast min oskuld mot himmelen ljudeligt / skriar / vände sig havet i blod och till aska den vårliga marken / skön som en knoppande ros och med ungdomens dagg / på min panna / skövlas jag gräsligt och grymt av ett oomkullrunkeligt / öde. (FM 113)

„Sterb ich heut Nacht, obwohl mein unschuldig Herz gen Himmel laut flehet, wandelt das Meer sich in Blut und in Asche die blühende Flur. Wie eine Rose so lieblich, mit jugendlich zarter Gestalt, mähet ein grausames Schicksal mich roh und wütend darnieder.“ (SM 131)

Das antike Drama wird laut Boel Westin auch an anderer Stelle angedeutet: „Lejon, sorgespel och en invecklad genealogi konnoterar det antika dramat eller t ex Shakespeare […].“ „Löwe, Trauerspiel und eine komplizierte Genealogie konnotieren das antike Drama oder beispielsweise Shakespeare […].“5

Die eingeführte Dichotomie zwischen Fiktion und Wirklichkeit ist in einer zugespitzteren Form in der Gegenüberstellung zwischen Rolle und realem „Ich“ weiterhin präsent. Das nachfolgende Zitat zeigt, wie durch das Aus-der-Rolle-Fallen der Schauspieler die Illusion gebrochen wird:

Muminpappan märkte att han hade läst fel och tog om: …ack, skall kronan berövas mig nu av min systersons faster? Mumintrollets mamma stack in nosen och viskade: Skall kronan berövas mig nu av min sonhustrus syster! Ja, ja, ja, sa Muminpappan. Jag hoppar över det här. Han tog ett steg mot Mymlans dotter som gömde sig bakom spegelskåpet och sa: Darra du otrogna mymla och hör hur det gräsliga lejon rasande skakar sin bur och ryter i hunger mot månen! Det blev en lång paus…i hunger mot månen! upprepade pappan högre. Ingenting hände. Han vände sig mot vänster och frågade: Varför ryter inte lejonet? Jag skulle inte ryta förrn Homsan hissade månen, sa Emma. Homsan stack fram ur kulisserna. Misan lovade göra en måne och det har hon inte gjort, sa han. Bra, bra, sa Muminpappan hastigt. Misan kan ta sin entré nu genast för jag har i alla fall kommit ur stämningen. (FM 113f)

Der Muminvater merkte, dass das nicht stimmte, und begann von vorn: „…ach, soll die Krone nun rauben mir meines Grossneffens Tante?“ Die Muminmutter streckte die Schnauze vor und flüsterte: „Soll die Krone nun rauben mir meines Schwiegersohns Schwester!“ „Ja, ja, ist schon gut“, sagte der Muminvater. „Das lasse ich aus.“ Er machte einen Schritt auf die Tochter der Mümmla zu, die sich hinter der Frisierkommode versteckte, und sagte: „Zittre, oh treulose Mümla, und hör, wie der grässliche Leu rasend schüttelt den Käfig und heulet vor Hunger zum Mond!“ Dann entstand eine lange Pause. „…heulet vor Hunger zum Mond!“, wiederholte der Muminvater lauter. Nichts geschah. Er wandte sich nach links und fragte: „Warum brüllt der Löwe nicht?“ „Ich soll doch erst brüllen, wenn der Homsa den Mond hochgehisst hat“, sagte Emma. Der Homsa streckte den Kopf aus den Kulissen. „Die Misa hatte versprochen einen Mond zu machen, hat es aber nicht getan“, sagte er. „Schon gut, schon gut“, sagte der Muminvater rasch. „Die Misa kann jetzt gleich ihren Auftritt haben, ich bin sowieso nicht mehr in der richtigen Stimmung.“ (SM 132f)

Beim Aus-der-Rolle-Fallen wird „ex persona das Geschehen als Theater, die Schauspieler als eben solche und letztlich auch die Zuschauer als Theaterpublikum exponiert“, erklärt Manfred Pfister.6 Die Illusionsbrüche zeigen die Gemachtheit des Theaters in aller Deutlichkeit.

Die Figuren werden nicht nur erzähltechnisch zu Schauspielern, indem sie plötzlich auf der Binnenebene agieren, sondern sie transformieren sich auch auf einer materiellen Ebene in Charaktere des Stücks im Stück. Grosse Symbolkraft diesbezüglich hat die Kostümierung der Figuren. Dadurch wird der Wechsel zwischen den Erzählebenen visualisiert: „Mumintrollets pappa kom in från vänster med en mantel vårdslöst kastad över axeln […].“ (FM 113) „Der Muminvater kam von links herein, einen Umhang lässig über die Schulter geworfen […].“ (SM 132), wird etwa Pappans Kostüm beschrieben. Die Kostüme werden gar funktionalisiert, um den Wechsel zwischen Rolle und realem „Ich“ zusätzlich zu thematisieren. So führt Misans langes Kleid, welches sie optisch als Schauspielerin markiert, dazu, dass sie im wahrsten Sinne des Wortes aus der Rolle fällt. Sie stolpert darüber und stürzt von der Bühne in das Boot von Zuschauern. Dadurch wird die Grenze zwischen der extra- und der intradiegetischen Erzählebene physisch überschritten. Erzähltechnisch entspricht dies einer Metalepse:

Hon tog ett häftigt steg, snavade i sammetsklänningen och ramlade över rampen ner i igelkottens båt. Åskådarna hurrade och hissade upp Misan på scenen igen. Ta det lugnt bara, fröken, sa en äldre bäver, och hugg huvudet av henne med detsamma! Av vem? frågade Misan förvirrad. Er sondotters faster förstås, sa bävern uppmuntrande. (FM 115f)

Sie machte einen heftigen Schritt, stolperte über das Samtgewand und fiel über die Rampe in das Boot des Igels. Die Zuschauer schrien hurra und hievten die Misa wieder auf die Bühne. „Immer schön ruhig bleiben, Gnädigste“, sagte ein älterer Biber. „Am besten, Sie schlagen ihr jetzt gleich den Kopf ab!“ „Wem denn?“, fragte die Misa verwirrt. „Der Tante Ihrer Schwiegertochter natürlich“, sagte der Biber ermunternd. (SM 134)

Das Resultat ist die totale Desorientierung Misans. Auf der Bühne wird der Schreibakt in einem metaphorischen Sinn als die Kreation von Fiktion dargestellt. Die von Rüdiger Campe beschriebenen Widerstände entstehen hier nicht etwa durch das Schreibwerkzeug, sondern beispielsweise durch die Kostümierungen, die solche in Form von Fiktionsbrüchen verursachen. Wie das Schreibwerkzeug sind diese Widerstände hier stoffliche Komponenten der (Schreib)Szene. Von den Zuschauern wird Misan jedoch wieder auf die Bühne zurück gehoben und zum Weitermachen ermutigt, sie helfen ihr gar mit dem Text. Der Rest des Publikums applaudiert im Glauben, der Sturz gehöre zum Stück. Die Erzählebenen kollidieren, was ein Chaos anrichtet, wie Pappans Bestürzung über die Reaktion des Publikums verdeutlicht: „De har missförstått alltihop, viskade Muminpappan till Mumintrollets mamma. Kom in så fort du kan är du snäll!“ (FM 116) „,Sie haben alles missverstanden‘, flüsterte der Muminvater der Muminmutter zu. ,Komm bitte so schnell du kannst auf die Bühne!‘“ (SM 134). Emma hatte bereits erwähnt, dass das Publikum das Stück nicht verstehen werde. Ihre dunklen Prophezeiungen diesbezüglich bewahrheiten sich. Um den Illusionsbruch weiter zu verdeutlichen, bricht schliesslich die Figur des Löwen, dargestellt von zwei Biebern in einem Kostüm, bei seinem Auftritt auseinander, sinnbildlich für die Fiktion, welche ebenfalls in sich zusammenbricht:

Till slut kom lejonet in. Det hade en bäver i frambenen och en bäver i bakbenen. Publiken vrålade av glädje. Lejonet tvekade, så gick det fram till rampen och bockade sig, varpå det gick av på mitten. Publiken klappade i tassarna och började ro hem. (FM 116)

Endlich kam der Löwe auf die Bühne. In seinen Vorderbeinen steckte ein Biber und in seinen Hinterbeinen auch. Das Publikum johlte vor Entzücken. Der Löwe zögerte, dann wanderte er vor an die Rampe und verbeugte sich, worauf er in der Mitte auseinander brach. Das Publikum klatschte Beifall und begann nach Hause zu rudern. (SM 135f).

b) Die Premiere

Bei der Premiere kommt es zur zweiten Aufführung des Stücks im Stück. Dabei wird jedoch eine Umkehrung des Blickwinkels vollzogen. Wurden bei der Generalprobe die Geschehnisse aus der Perspektive der Schauspieler geschildert, wird nun die Sichtweise der Zuschauer eingenommen. Dementsprechend findet sich kein Blick hinter die Kulissen, dafür werden Snusmumrikens Vorbereitungen für den Theaterbesuch geschildert. So wird beschrieben, wie er seine Kinderschar für den Theaterbesuch herausputzt. Ausserdem stellt Snusmumriken sicher, dass sie alles Nötige dabeihaben: „Har ni näsdukar, för det här är ett drama?“ (FM 129) „,Habt ihr Taschentücher dabei, das ist nämlich ein Trauerspiel.‘“ (SM 150), fragt Snusmumriken daher. Ein Zeremoniell, welches bereits aus Muminpappans memoarer bekannt ist, wo sich die Zuhörer für das grosse Finale ebenfalls festlich anziehen. Das Theater wird auch hier wieder als ständige Konfrontation zwischen Wirklichkeit und Ideal präsentiert.1 Eine Schwierigkeit, die nun aus der Perspektive der Zuschauer dargestellt wird, die in diesem Bereich vor grosse Herausforderungen gestellt werden.

Diese betreffen einerseits die inhaltliche Ebene, wie etwa im Falle des Hemulen. Seine Rezeption des Stücks wird durch unerfüllte Erwartungen gestört. Er erinnert sich an eine Theateraufführung, welche er vor langer Zeit gesehen hat und seiner Meinung nach viel besser war: „Det här är fånigt, sa en hemul i polismössa som satt i båten bredvid. Det liknar inte alls det där vackra skådespelet jag såg som ung.“(FM 133) „,Ausgesprochen albern, das alles‘, sagte ein Hemul, der im Nachbarboot sass und eine Polizistenmütze aufhatte. ,Das erinnert überhaupt nicht an dieses schöne Stück, das ich in meiner Jugend gesehen habe.‘“ (SM 155). Andererseits äussern sich die Herausforderungen im Unvermögen, zwischen Rolle und realem „Ich“ differenzieren zu können. Bei Snusmumriken wird besonders deutlich, dass er auf der Bühne Mitglieder der Muminfamilie und nicht deren Rollen erkennt, weshalb das Theaterstück auf ihn äusserst befremdlich wirkt:

Snusmumriken stirrade på scenen. Hans pipa slocknade. Han såg Mumintrollets pappa komma in från vänster och läsa upp nånting underligt om en massa släktingar och ett lejon.[…] Mer och mer förvånad såg Snusmumriken Mumintrollets mamma komma in på scenen. Vad går det åt hela muminfamiljen? tänkte han. Nog har de alltid haft sina idéer, men det här! (FM 132f)

Der Schnupferich starrte die Bühne an. Seine Pfeife erlosch. Er sah den Muminvater von links auf die Bühne kommen und seltsame Dinge über eine Menge Verwandte und einen Löwen aufsagen.[…] Mit wachsendem Staunen sah der Schnupferich die Muminmutter auf die Bühne kommen. Was ist bloss in die Muminfamilie gefahren?, dachte er. Sie sind ja schon immer eigen gewesen, aber das hier! (SM 154)

Lilla My, ebenfalls nicht in der Lage, zwischen ihrer Schwester und der Rolle, die sie spielt, differenzieren zu können, wird angesichts der Geschehnisse auf der Bühne immer unruhiger: „Tyst, tyst, det är bara ett skådespel […].“ (FM 132) „,Psst, sei still, das ist doch nur ein Schauspiel.‘“ (SM 154), versucht sie Snusmumriken erfolglos zu beruhigen. Als dann auf der Bühne ein Löwe ihre Schwester anzugreifen droht, gibt es für Lilla My kein Halten mehr. In Panik um ihre Schwester stürmt sie die Theaterbühne: „Rädda min syster! skrek hon. Slå ihjäl lejonet! Och plötsligt tog hon ett desperat skutt upp på scenen, rusade fram till lejonet och bet det i bakbenet med sina små vassa tänder. Lejonet skrek och gick av på mitten.“ (FM 134) „,Rettet meine Schwester!‘, schrie sie. ,Schlagt den Löwen tot!‘ Und plötzlich machte sie einen verzweifelten Satz auf die Bühne, stürzte sich auf den Löwen und biss ihn mit ihren scharfen kleinen Zähnen ins Hinterbein. Der Löwe schrie und brach in der Mitte auseinander.“ (SM 156). Abermals bricht der Löwe auseinander, mehr noch, der Löwe als Kunstfigur wird gar brutal zerschlagen.

Fällt in der Generalprobe eine Schauspielerin in den Publikumsraum, ist es hier eine Zuschauerin, die die Bühne stürmt. Eine Konsequenz des Perspektivenwechsels. Dabei wird Lilla My plötzlich Teil des Theaters. Westin sieht Elemente der Tragödie wie Anagnorisis und Peripetie allein in dieser Szene verwirklicht.2 Die Anagnorisis wird verwendet, um eine verwickelte Handlung letztlich zu einem guten Ende zu führen. Diese Szene steht am Anfang genau dieses Prozesses. Der Rest des Publikums folgt Lilla My auf die Bühne. Mit dem Verschwinden der Grenze zwischen der extra- und der intradiegetischen Erzählebene verschwinden ebenfalls die formalen Grenzen wie etwa das Versmass:

[…] och de märkte att ingen talade på hexameter längre utan alldeles som vanligt. Det hade de ingenting emot, för nu förstod man äntligen vad skådespelet handlade om. Det var om nån som hade flutit bort i en stor våg, upplevat hemska saker och sen hittat hem igen.[…] Nu tycker jag de spelar bättre, sa Hemulen. (FM 134)

[…] und dann merkten sie, dass niemand mehr in Hexametern sprach, sondern wieder ganz normal. Das war ihnen nur recht, jetzt konnte man endlich verstehen, wovon das Stück handelte. Es ging um eine Person, die von einer grossen Flutwelle weggeschwemmt worden war und nach schlimmen Erlebnissen endlich nach Hause zurückgefunden hatte.[…] „Jetzt spielen sie besser, finde ich“, sagte der Hemul. (SM 156)

Paradoxerweise transformiert sich das Stück jedoch jetzt, wenn es als solches in seiner klassischen Form gar nicht mehr existiert, zu etwas Verständlichem und für die Zuschauer Interpretierbaren. Endlich wird auch eine längst überfällige Zusammenfassung des Inhalts des Stücks gegeben. Diese deckt sich mit der Rahmenhandlung, wo alle auf die Rückkehr des verschwundenen Mumintrollet hoffen. Der mise en abyme Charakter des Stücks im Stück offenbart sich erst jetzt gänzlich. Nicht nur dem Publikum gefällt das Stück nun bedeutend besser, auch die Schauspieler betrachten diesen totalen Kollaps als vollen Erfolg:

Skådespelet blev roligare och roligare. Hela publiken klättrade småningom in på scenen och deltog i handlingen genom att äta upp inträdesavgiften som dukades fram på salongsbordet. Mumintrollets mamma befriade sig från de besvärliga kjolarna och sprang hit och dit och delade ut kaffekoppar.[…] Muminpappan strålade över den stora framgången och Misan var lika lycklig som på generalrepetitionen. (FM 134f)

Das Schauspiel wurde immer lustiger. Nach und nach kletterte das ganze Publikum auf die Bühne und nahm an der Handlung teil, indem es die Eintrittsgebühren aufass, die auf dem Salontisch aufgestellt wurden. Die Muminmutter wurde von den lästigen Röcken befreit, rannte hin und her und verteilte Kaffeetassen.[…] Der Muminvater strahlte über den grossen Erfolg und die Misa war genauso glücklich wie bei der Generalprobe. (SM 157)

Die Zuschauer mischen sich ins Geschehen, Muminmamman ihrerseits entledigt sich ihres Kostüms, was einem Ritual des Rolle ablegens gleichkommt. Laut Manfred Pfister wird das Höchstmass an Publikumsaktivität dann erreicht, „wenn das Publikum nicht nur in einen verbalen Dialog mit den Darstellern des Spiels im Spiel tritt, sondern handelnd interveniert.“3 In Fischer-Lichtes Terminologie handelt es sich dabei um einen Rollenwechsel.4 Hier wird jedoch nicht nur das dichotomische Subjet/Objekt-Verhältnis, also das Verhältnis zwischen Zuschauer und Schauspieler, aufgelöst, sondern auch „das Verhältnis zwischen Kunst-/Theaterereignis und sozialem Ereignis5, gleicht doch die geschilderte Szene nun eher einem Volksfest als einer Theateraufführung.

Mumintrollets Ankunft leitet schliesslich die Klimax ein. Es kommt zum grossen Showdown als Hemulen, der die Gruppe um Mumintrollet kurz zuvor eingesperrt hatte und sich nun unter den Zuschauern befindet, die Freunde wiedererkennt und sie sofort festnehmen möchte. Das dramatische Aufeinandertreffen entfacht das Interesse der Zuschauer von Neuem. Überzeugt, dies gehöre zur Handlung des Stücks, beobachten sie das Geschehen auf der Bühne: „Publiken som en stund varit lite förvirrad, förstod nu att skådespelet fortsatte. De ställde kaffekopparna ifrån sig och slog sig ner på rampen för att titta på. Ta fast dem! skrek Hemulen ilsket. Åskådarna applåderade.“ (FM 135) „Das Publikum, das eine Zeit lang leicht verblüfft gewesen war, begriff jetzt, dass die Aufführung weiterging. Sie stellten ihre Kaffeetassen ab und liessen sich auf der Rampe nieder, um zuzuschauen. ,Nehmt sie fest!‘, schrie der Hemul erbost. Die Zuschauer applaudierten.“ (SM 158). Hemulen ist nun Teil des Theaterensembles, von den Zuschauern bejubelt.

Mumin wird zu Unrecht von Hemulen verdächtigt, seine Ordnungsschilder zerstört zu haben. Tatsächlich aber befinden sich Geschädigter (Hemulen) und Täter (Snusmumriken) nebeneinander im Publikum. Snusmumriken gibt sich als Übeltäter zu erkennen. Der darauf folgende Angriff Hemulens auf Snusmumriken verhindert Emma, die die Drehbühne in Gang setzt und auf diese Art alles im wahrsten Sinne des Wortes durcheinanderwirbelt. Mehrmals tritt sie als Intrigantin hervor, die eine wichtige Katalysatorfunktion für die Handlung inne hat, sowohl in der Rahmen- wie auch in der Binnenhandlung. Emmas manipulatives Wirken wird jedoch nicht entdeckt, wie Jones festhält.6 In der Folge überschlagen sich die Ereignisse in einem grossen Tohuwabohu. Rahmen- und Binnenhandlung kollidieren nun endgültig, sodass der Showdown der Rahmenhandlung auch zum Showdown der Binnenhandlung wird. In diesem Durcheinander gelingt den Ankömmlingen und Snusmumriken eine spektakuläre Flucht. Die Zuschauer, nach wie vor der Meinung, eine Theateraufführung zu sehen, sind begeistert: „Bravo! Bravo! Dacapo! skrek åskådarna.“ (FM 137) „,Bravo! Bravo! Da capo!‘, schrien die Zuschauer.“ (SM 160). Erneut steht Hemulen als vermeintlicher Schauspieler im Zentrum der Aufmerksamkeit: „Hemulen lyckades äntligen befria sig från vridscenen, skogsungarna och de hurrande åskådarna som kastade blommor på honom.“ (FM 138) „Endlich gelang es dem Hemul, sich von der Drehbühne und den Waldkindern zu befreien und von den hurra rufenden Zuschauern, die ihn mit Blumen bewarfen.“ (SM 161). Erika Fischer-Lichte nennt dies einen performativen Widerspruch, denn Hemulen ist nun Teil einer Aufführung, über die er sich negativ geäussert hat.7 Auch die übrigen Verbindungen der verschiedenen Handlungsstränge werden nun aufgelöst: Filifjonkan und Emma treffen endlich aufeinander und Snusmumriken erkennt, wer Lilla My ist, nämlich seine Schwester.

Die Inszenierungen, so machten die Ausführungen zur Generalprobe und der Premiere deutlich, sind (Schreib)Szenen, indem sie die Kreation von Fiktion verhandeln. Dabei wird das Verhältnis von Fiktion und Wirklichkeit konstant problematisiert, vor allem auch mit Hilfe materieller Komponenten des Theaters wie etwa der Bühne oder den Kostümen.

Žanrid ja sildid
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338 lk 47 illustratsiooni
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9783772000928
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