Lass uns verloren gehen

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Lass uns verloren gehen
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Kathrin Noreikat

Lass uns verloren gehen

Dieses ebook wurde erstellt bei

Inhaltsverzeichnis

Titel

Über das Buch

Über die Autorin

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 37

Kapitel 38

Kapitel 39

Kapitel 40

Kapitel 41

Kapitel 42

Kapitel 43

Kapitel 44

Kapitel 45

Kapitel 46

Kapitel 47

Danksagung

Quellenangaben für die Gedichte

Impressum neobooks

Über das Buch

Kathrin Noreikat

Lass uns verloren gehen

Elinborg Steinhausen, genannt Elin, ist eine erfolgreiche Krimiautorin. Regelmäßig belegen ihre Bücher die Bestsellerlisten.

Auf einer ihrer zahlreichen Lesungen lernt sie Lorenz Berringer kennen. Er ist ein international gefragtes Männermodel, auf den Laufstegen von Paris und Mailand zuhause und zierte schon so manches Zeitschriftencover. Auf seinen Reisen liest Lorenz viel, am liebsten die Kriminalromane von Elin Steinhausen.

Obwohl ihre beiden Welten grundverschieden sind, verlieben sich Elin und Lorenz ineinander. Als Elins Ehemann von ihrer Affäre erfährt, wirft er sie aus dem Haus. So zieht Elin bei Lorenz ein.

Dem Glück des jungen Paares scheint nichts mehr im Wege zu stehen, bis Lorenz auf einmal spurlos verschwindet. Als Elin dann noch einen Erpresserbrief erhält, ist sie verzweifelt.

Wird sie Lorenz je wiedersehen?

Über die Autorin

Kathrin Noreikat wurde 1976 in Esslingen geboren. Sie machte eine Ausbildung zur Sortimentsbuchhändlerin. Danach arbeitete sie einige Jahre in einer Buchhandlung in Freudenstadt. Nach einer Weiterbildung zur staatlich geprüften Betriebswirtin war sie bei einem Kinder- und Jugendbuchverlag in München. Seit einigen Jahren lebt sie in Aachen und arbeitet bei einem Institut der RWTH Aachen University im Bereich PR.

Kapitel 1

Sie biss sich auf die Unterlippe. Als er die Hotellobby betrat, erkannte sie ihn sofort. In Natura sieht er noch heißer aus, als auf den Fotos im Internet. Ich werde Brandblasen bekommen, wenn ich ihn berühre, dachte sie. Er schaute in ihre Richtung und sie winkte ihm mit einer kleinen Handbewegung zu. Hatte er das gesehen? Ja, denn er lächelte und kam mit schnellen Schritten auf sie zu. Sie war sich nicht sicher, wie sie ihn begrüßen sollte, doch er gab ihr selbstsicher einen leichten Wangenkuss. Ihr schoss das Blut in den Kopf und hoffte nicht rot zu werden.

An der Bar bestellten sie einen Mojito für sie und er nahm einen Gin Tonic. Langsam legte sich ihre Nervosität und ihre Gesichtsfarbe musste sich wieder normalisiert haben, denn der Mann war ein unterhaltsamer Gesprächspartner. Er machte ihr Komplimente, scherzte mir ihr.

„Darf ich dich etwas Persönliches fragen?“

Der Mann antwortete und zwinkerte ihr dabei zu: „Du darfst mich alles fragen und alles mit mir machen.“

„Wie lange machst du diesen Job schon?“

Ihre Frage blieb unbeantwortet, denn in diesem Moment erkundigte sich der Barkeeper: „Möchten die Herrschaften noch etwas trinken?“

Sie zögerte, doch er antwortete für sie: „Noch einen Mojito für die Dame und für mich noch einen Gin Tonic.“

Nachdem sie ihre Gläser geleert hatten, schlug er vor, hinauf auf das Zimmer zu gehen. Sie nickte. Das Zimmer lag im fünften Stock, war geschmackvoll eingerichtet, besaß ein Bett, das mindestens doppelt so breit war, wie ihr eigenes und ein Badezimmer mit Dusche. Er zog die schweren Vorhänge zu und bat um seinen Umschlag.

„Ach so, ja klar“, stotterte sie, überreichte ihm einen offenen Briefumschlag, in dem sich Geld befand. Ohne nachzuzählen steckte er den Umschlag in seine Tasche.

Die Frau stand unschlüssig im Raum. Wie würde es jetzt weiter gehen?, fragte sie sich gespannt. Er lächelte ihr freundlich zu: „Wie wäre es, wenn ich dich erst mal massieren würde?“

„Ja. Gern“, antwortete sie.

Während sie ihre Kleidung ablegte und sich nur in der schwarzen Spitzenunterwäsche auf das breite Bett legte, holte er eine kleine Flasche mit Massageöl aus seiner Tasche. Unter seinen geschmeidigen Berührungen lösten sich ihre Verspannungen. Ein tiefer Schauer durchlief ihren Körper, als sie spürte wie seine Hände vom Nacken weiter hinunter zum Rücken und Gesäß wanderten. Geschickt öffnete er den Verschluss ihres BHs, zog ihr den Slip aus. Dann drehte er sie behutsam auf den Rücken. Er stand neben dem Bett und knöpfte sich langsam das schwarze Hemd auf. Er genoss es, wie sie jede seiner Bewegungen mit einem sehnsüchtigen Blick verfolgte, bemerkte wie sie ihr beim Anblick seines durchtrainierten Oberkörpers der Atem stockte. Sie setzte sich auf und öffnete den Reißverschluss seiner Hose. Nun wollte sie alles an ihm sehen.

Später trennten sie sich ihr Körper voneinander. Er legte seinen Arm um ihre Schultern und sie schmiegte sich an seine Brust. Irgendwann murmelte er: „Es ist Zeit“.

Mit einer fließenden Bewegung stieg er aus dem Bett. Im Badezimmer duschte er rasch, während sie im Bett liegen blieb, sich rekelte. Zurück im Zimmer beobachtete sie, wie er sich anzog und seine Tasche nahm. Er küsste sie auf die Wange. „Ich gehe dann jetzt.“

 

„Okay“, murmelte sie und fügte hinzu: „Es hat Spaß mit dir gemacht!“

„Ja, mir hat es auch gefallen.“

Sie hörte wie die Zimmertür sich schloss. Lange konnte sie nicht einschlafen. Die Erinnerung an seine Berührungen auf ihrer Haut, verursachte ihr eine Gänsehaut. Das war das wagemutigste, was sie bisher getan hatte. Ich werde es nochmal wagen, versprach sie sich.

Kapitel 2

Elinborg Steinhausen schloss die Tür des Bauernhauses auf. Sofort kam ihr Oskar entgegengelaufen, strich um ihre Beine und miaute.

„Hallo“, begrüßte sie den getigerten Kater.

Sie zog die hochhackigen Schuhe aus und ließ sie achtlos in der Diele liegen. Bernd regte sich jedes Mal darüber auf. Aber das war nur einer der vielen Streitpunkte, die sie die letzten vier Jahre begleiteten. Irgendwann war plötzlich ihre Liebe abhandengekommen, wie anderen Leuten ein Hut oder Regenschirm. Aber weder sie noch Bernd hatten daraus Konsequenzen gezogen. Also blieben sie verheiratet, arrangierten sich mit ihrem Alltag. Sie waren ohnehin beide beruflich viel unterwegs und sahen sich unter der Woche kaum.

Bernd war nicht zuhause, wie sie in der Garage beim Einparken bemerkt hatte. Der schwarze A8 fehlte. Sicherlich war er wie jeden Freitagabend im Golfclub.

Sie zog den Trolley hinter sich ins Schlafzimmer und stellte ihn dort ab. Oskar lief ihr hinterher. Wie immer, wenn sie von einer mehrtägigen Lesereise zurückkam und ihr Mann nicht zuhause war, drehte sie eine Runde durch das Haus. Das Bauernhaus lag etwas abseits eines Dorfes oberhalb des Rursees in der Eifel. Um das Grundstück verlief eine hohe Hecke, daher würde ein Einbruch nicht sofort bemerkt werden. Nur wenn Bernd und sie länger verreist waren, schaute eine Nachbarin nach dem Haus und kümmerte sich auch um den Kater. Elinborg knipste in der Küche das Licht an, ging weiter in den großzügigen Wohn- und Essbereich. Die Einrichtung war ganz im Landhausstil, wie sie es so gerne mochte. Eine gläserne Terrassentür führte hinaus in den großen Garten. Das Arbeitszimmer ihres Mannes betrat sie nicht, denn das war sein Reich. Als letztes ging sie in ihr Arbeitszimmer. Die Regale waren vollgestopft mit Büchern und Ordnern. Selbst auf dem Fußboden stapelten sich Bücher. Auf dem hellen Eckschreibtisch stand ihr Computer. Dort schrieb sie ihre Kriminalromane. Der Anrufbeantworter blinkte, sie hörte die Nachrichten ab.

„Sie haben drei neue Nachrichten. Erste neue Nachricht ...“, sagte die Computerstimme.

„Grüß Gott Frau Steinhausen, hier spricht Kurt Weinert“, hörte sie ihren Verleger mit bayrischem Akzent sprechen. „Ich darf Ihnen mitteilen, dass wir nun die dritte Auflage von Band vier ihrer Krimireihe drucken lassen. Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Tag. Auf Wiederschauen.“

Die zweite Nachricht stammte von Frau Maridakis: „Hallo Frau Steinhausen. Ich muss mich krankmelden. Ich werde nächste Woche wieder zum Putzen kommen. Wiedersehen.“

„Peter Lohauser von `Der schöne Garten´. Guten Tag. Der Abgabetermin für ihren Artikel war gestern. Bitte rufen Sie mich zurück. Auf Wiederhören.“

Elinborg schlug sich mit der Hand auf die Stirn: „So ein Mist, das habe ich total vergessen.“

Nach dem Abitur hatte sie Journalismus studiert und eine erste Anstellung bei dem monatlichen Magazin „Der schöne Garten“ erhalten. Mittlerweile schrieb sie dafür nur noch unregelmäßig Artikel. Vielleicht sollte sie damit ganz aufhören, überlegte sie. Das Honorar war lächerlich gering und sie hatte auch keine Lust mehr über Gartenthemen zu schreiben.

Am nächsten Morgen beim Frühstückstisch fragte Elin ihren Mann: „Wie war es gestern im Golfclub? Es ist wohl spät geworden, oder?“

„Ich glaube, es war nach Mitternacht als ich nach Hause kam. Neben dir muss wohl erst eine Bombe einschlagen, damit du aufwachst“, erwiderte Bernd hinter der Tageszeitung.

„Kannst du die Zeitung nicht zur Seite legen, wenn du mir antwortest?“

Bernd blickte kurz hinter der Zeitung hervor und sagte: „Im Golfclub war es ganz nett. Zufrieden?“ Dann las er die Zeitung weiter.

Er war zehn Jahr älter als sie. Sein Haar war grau meliert und er trug schon seit seiner Kindheit eine Brille. Nächstes Jahr würden sie seinen 50. Geburtstag sicher im Golfclub feiern.

„Als Staatsdiener muss ich eben immer informiert sein und meine Zeit zum Lesen ist begrenzt“, stellte er klar. Elinborg stöhnte, denn er musste immer das letzte Wort haben. Bernd war Staatsanwalt für Wirtschaftskriminalität. Im Lauf der Jahre hatte er sich zu einem ehrgeizigen Vertreter der Anklage entwickelt. Das Gesetz war seine Religion und das Gesetzesbuch seine Bibel. Seine Plädoyers waren ausgefeilte Statements für Recht und Ordnung.

„Willst du noch eine Tasse Kaffee? Sonst räume ich den Tisch ab.“

„Nein danke.“

Als Elin den Tisch abgeräumt hatte, sagte sie zu Bernd, der immer noch die Zeitung las: „Ich bin in meinem Zimmer. Mittagessen gibt es um 12:30 Uhr.“

„Okay“, antwortete er beiläufig.

In ihrem Arbeitszimmer checkte die Autorin ihre E-Mails.

Eine Nachricht von der Presseabteilung ihres Verlages:

„Liebe Frau Steinhausen,

nach der erfolgreichen Vorstellung Ihres Krimis letzte Woche auf der Leipziger Buchmesse kann ich Ihnen jetzt schon einen Pressespiegel zu Ihrem Krimi „Endstation Alexanderplatz“ zu schicken. Mit freundlichem Gruß aus München Sabine Nickl“

Eine lange E-Mail von ihrer Schwester Thorunn, die sie später in Ruhe lesen würde. Außerdem eine Nachricht von ihrer Freundin Margriet: „Liebe Elin, danke der Nachfrage. Das Gespräch mit meinem Hausarzt war unangenehm. Er meinte, ich würde mir seine Zuneigung nur einbilden. Er bat mich sogar nicht mehr in seine Praxis zu kommen …“

Eine weitere E-Mail aus der Marketingabteilung des Verlages:

„Sehr geehrte Frau Steinhausen, im Anhang finden Sie Ihren Lesereiseplan für die nächsten beiden Monate. Bei Fragen stehe ich Ihnen selbstverständlich zur Verfügung. Mit freundlichen Grüßen Valerie Volzner.“

Die Lesereisen machten Elinborg viel Spaß und brachten Abwechslung in ihren Alltag. Eine Anekdote besagte, als Hugo von Hofmannsthal einmal pleite war, sei er auf eine ausgedehnte Tournee gegangen. Damals entwickelte sich auch das Programm, nach dem Autorenabende bis heute ablaufen: Einführung, Lesung, Gespräch und „geselliges Beisammensein“.

Nachdem Elinborg ihre Mails bearbeitete hatte, loggte sie sich auf ihrer eigenen Website ein. Hier fügte sie die Lesereisedaten für Juni ein. Eigentlich wollte sie diese Tätigkeit schon längst bei einer Agentur in Auftrag geben, aber bis jetzt hatte sie nicht einmal die Zeit gefunden nach Agenturen zu suchen.

Es klopfte an ihrer Tür und Bernd streckte sein Kopf ins Zimmer.

„Ich werde jetzt zum Golfen fahren.“

Sie drehte sich auf ihrem Schreibtischstuhl um und sah ihn überrascht an:

„Willst du nicht mit mir Mittag essen?“

„Nein. Ich esse im Clubhaus.“

„Aha.“

„Kommst du heute Abend?“

„Wohin?“

„Ins Clubhaus. Dietmar feiert doch seinen 50. Geburtstag.“

Elinborg schüttelte den Kopf.

„Nein. Das wird mir zu spät. Ich bin morgen zu einer Matinée eingeladen, da muss ich ausgeschlafen sein.“

Bernd machte ein enttäuschtes Gesicht. „Wie du meinst“, sagte er und schloss die Tür.

Kapitel 3

Wie jeden Morgen befand sich eine genau abgewogene Menge an selbst gemischten Müsli in einer Schale. Lorenz Berringer schüttete Milch dazu und ließ die Schüssel zunächst unberührt stehen. Das Müsli musste erst etwas einweichen. Zu Musik machte er sein tägliches Workout. Danach nahm er aus dem, immer reichlich gefüllten Obstkorb, eine Banane und einen Apfel und schnitt diese in Stücke. Das Obst warf er zu dem Müsli in die Schale.

Er wohnte ganz oben in einem Penthouse mit Dachterrasse in einem modernen Mehrfamilienhaus. Da es für Ende März ungewöhnlich warm war, setzte er sich mit seinem Frühstück auf die große geflieste Dachterrasse. Von hier aus sah Lorenz Berringer auf die Häuser von Aachen, die Kirchturmspitze von Sankt Jakob und eine bewaldete Anhöhe mit einem Drehturmcafé.

Nach dem Frühstück ging er unter die Dusche und zog sich im Schlafzimmer an. Sein Blick fiel auf eine schwarzweiß Porträtaufnahme von ihm selbst, die über dem Bett hing. Er konnte sich noch gut daran erinnern, wann sie aufgenommen wurde. Es war eines der ersten Fotos, die für seine Sedcard entstanden war. Lorenz Berringer war zwar kein Supermodel, wie Sean O´Pry, der eine Millionen Euro im Jahr verdiente, doch mit einer Größe von 1,84 Meter, der athletischen Figur, der geraden Nase und dem stets gepflegten Dreitagebart war er doch ein international gefragtes Männermodel.

Wie üblich stand samstagvormittags Sport in seinem Terminkalender. Da er kein Auto besaß, war er viel mit dem Fahrrad oder mit den öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs. So radelte er zum Fitnessstudio am Europaplatz, dabei kam er auch an der Buchhandlung Weyhe vorbei. Im Schaufenster hing ein großes Plakat. Darauf stand, dass am morgigen Sonntag um 11 Uhr eine Matinée mit der bekannten Krimiautorin Elin Steinhausen geben würde. Lorenz kannte die Romane um Kommissar Krassek, denn er las oft und gerne spannende Romane. Gelegenheiten zum Lesen gab es für ihn viele, in der Bahn, im Flugzeug und in der Wartezeit bei den Castings.

Spontan hielt das Männermodel an und betrat die Buchhandlung.

„Ich habe zwei Eintrittskarten für eine Lesung gekauft. Sie findet morgen in der Buchhandlung Weyhe statt. Magst du mitkommen?“, fragte Lorenz seinen Freund Cornelius Ackermann im Fitnessstudio. Der Mann mit dem blonden Bürstenhaarschnitt und dem breiten Rücken, der von allen nur Conny genannt wurde, wiederholte skeptisch: „Eine Lesung? Am Sonntag?“

Die Männer standen auf zwei nebeneinander stehenden Crosstrainern und wärmten sich auf.

„Ja, die Autorin ist wirklich gut. Sie liest aus ihrem neusten Krimi.“

„Nee. Ich bin morgen im Stadion.“

„Schade“, murmelte Lorenz. Wem sollte er jetzt die zweite Karte geben?

Als die Männer zu den Rudermaschinen wechselten, fiel Lorenz eine blonde Mittzwanzigerin ins Auge, die sich gerade auf den Hocker der Schulterpresse setzte. Sie hieß Mandy, erinnerte er sich. Sie bemerkte seinen Blick, lächelte. Lorenz ruderte noch einige Male, stand dann auf und ging zu ihr hinüber. Conny sah ihm interessiert hinterher und beobachtete ihr Gespräch aus der Ferne.

„Warum bist du zu der Blonden gegangen? Was willst du von ihr?“, fragte Conny neugierig als Lorenz wieder zu der Rudermaschine zurückkehrte.

„Ich habe sie gefragt, ob sie morgen mit mir zu der Lesung möchte.“

„Und?“

Lorenz zeigte mit dem Daumen nach oben.

„Mensch! So auf Literatur zu machen, ist eine echt gute Masche von dir“, meinte Conny bewundernd.

„Ich weiß nicht, was du meinst.“

„Gib doch zu, dass du die Blonde ins Bett haben willst.“

Lorenz verdrehte die Augen. „Du denkst wohl immer nur an das eine, oder?“

Conny grinste breit. „Kann schon sein.“

Ihr Training beendeten die Männer nach einer Stunde mit fünfzehn Minuten Cardio, um anschließend in die Sauna zu gehen. Nur mit einem Handtuch bekleidet, betraten sie die Sauna, legten das Handtuch ab und setzten sich auf die Holzbank.

Die Wärme tat gut. Lorenz fuhr sich gedankenverloren mit der flachen Hand über seinen muskulösen Oberkörper, spannte ihn dabei gerade so stark an, dass sich die Rillen zwischen den Muskelpacks so vertieften, dass die Finger leicht darin hängen blieben. Conny beobachtete ihn dabei und kommentierte verächtlich: „Wir wissen alle wie schön du bist.“

Lorenz lächelte etwas gequält, nahm sein Handtuch und sagte: „Ich gehe schon duschen. Wir treffen uns draußen.“

Das Wasser war nach der Wärme in der Sauna erfrischend. Lorenz cremte sich in der Umkleidekabine sorgfältig mit Bodylotion ein, dabei entdeckte er an seinem Unterarm einen blauen Fleck. Woher habe ich den denn?, fragte er sich verärgert. Er konnte sich als Model keine blauen Flecken leisten.

Wie jeden Samstag ging Lorenz nach dem Fitnessstudio noch mit seinem Freund in ein italienisches Self-Service-Restaurant. Dort aßen sie Salat mit Blattspinat und Ziegenkäse und eine Pizza mit Fleischbällchen und Peperoni. Die Pizza war so groß wie ein Wagenrad. Conny machte sich gleich mit großem Appetit über sie her.

 

„Conny, du kannst noch so viel trainieren, deine Figur ändert sich nicht, wenn du danach so eine riesige Pizza isst“, urteilte das Männermodel. Er befürchtete nämlich, dass ihm jeden Moment die Hemdknöpfe seines Freundes entgegenspringen würden.

Mit vollem Mund erwiderte Conny: „Ich gönne mir eben was! Du isst ja immer nur Salat. Bald wirst du ein Kaninchen sein.“ Er musste so sehr über seinen eigenen Witz lachen, dass er sich dabei verschluckte. Lorenz klopfte seinem Freund auf den Rücken. Lachen konnte er über den Witz allerdings nicht.

Kapitel 4

Elinborg Steinhausen zog ein blaues Kleid an. Um ihren Hals wickelte sie locker ein farblich passendes Tuch. Ihr langes haselnussbraunes Haar flocht sie zu einem Zopf. Dann nahm sie ihre Tasche mit ihrem Leseexemplar und ging zur Garage. Der schwarze Audi A8 ihres Mannes parkte neben ihrem roten Renault Twingo. Bernd war erst nach Mitternacht vom Golfclub heimgekommen. Jetzt lag er noch schnarchend und nach Alkohol und Zigaretten riechend im Bett. Sie hatte ihm an der Kaffeemaschine ein Post-it hinterlassen: „Ich bin bei einer Matinée. Bitte rufe mich nicht, wie beim letzten Mal, wieder an. Gegen 15 Uhr werde ich wohl zurück. Elin.“

Eine halbe Stunde vor Beginn der Matineé betrat die Autorin die Buchhandlung Weyhe. Wie viele kleine Buchhandlungen war sie vollgestopft mit Büchern. Ihre Kriminalromane lagen stapelweise an der Kasse aus. Auf einem extra aufgestellten Tischchen war ein Frühstücksbuffet aufgebaut. Herr Weyhe begrüßte sie und erklärte, dass die Matinée aufgrund des warmen Wetters draußen stattfinden würde. Auf der langgezogenen Terrasse stand ein Tisch. Dahinter sollte die Autorin Platz nehmen. An der Anzahl der Stühle schlussfolgerte Elinborg, dass das Publikum überschaubar werden würde. Sie atmete erleichtert aus, denn sie war jedes Mal nervös, vor allem vor großem Publikum.

Langsam trafen die ersten Gäste ein. Die meisten waren offensichtlich Stammkunden, denn Herr Weyhe begrüßte viele mit ihrem Namen.

Nachdem alle Plätze belegt waren, Herr Weyhe jedem Gast eine Tasse Kaffee oder Tee angeboten hatte, bat der Buchhändler um Aufmerksamkeit.

„Liebe Gäste, willkommen zu unserer heutigen Matinée! Ich begrüße besonders herzlich Frau Elin Steinhausen.“

Während Herr Weyhe sprach, musterte Elin das gemischte Publikum. In der ersten Reihe saß ein älteres Ehepaar mit einem noch älter aussehenden Dackel und eine junge Frau in einem grünen Kleid, dessen Dekolleté nach ihrem Geschmack zu tief ausgeschnitten war. Gleich dahinter saß ein Mann, der aussah, als ob er den Preis für den sexiest Man alive gewonnen hätte. Die blonde Frau neben ihm himmelte ihn an, was nicht zu übersehen war. Dann erkannte die Autorin noch einen Mann mit zottligem roten Bart, der Atomkraftgegner zu sein schien, denn auf seinem T-Shirt stand „Tihange abschalten!“

Der Buchhändler fuhr fort: „Frau Steinhausen wird nun aus ihrem neusten Krimi `Endstation Alexanderplatz´ lesen. Wir sind alle gespannt, wie Kommissar Krassek den Fall wieder lösen wird.“

Das Publikum applaudierte. Elinborg atmete einmal tief durch und begann:

„Wie Sie vielleicht wissen, ermittelt Kommissar Krassek im Berlin der 20er-Jahre. Es waren die `Goldenen Zwanziger´ ...“ Nach diesen einleitenden Worten zu dem historischen Hintergrund schlug sie das Buch auf. Es war ihr eigenes Leseexemplar, das mit Eselsohren und zahlreichen farbigen Post-it-Zetteln markiert war.

Vorlesen war nicht einfach. Elinborg Steinhausen hatte deswegen sogar mehrmals einen Schauspieler als Lehrer engagiert, der mit ihr übte. Eine Lesung sollte die Zuhörer fesseln, Interesse am Buch wecken und zum Kauf animieren. Daher betonte sie die wörtliche Rede und machte Pausen, um die Spannung aufrecht zu halten.

Während des Lesens hob die Autorin immer wieder den Kopf, schaute ins Publikum. Sie endete mit: „Plötzlich wurde ihm eiskalt. Er durchsuchte systematisch das ganze Büro. Doch die Mappe mit den Beweisfotos blieb verschwunden.“

Das Publikum spendete begeistert Beifall. Nachdem der Beifall verebbt war, erklärte Herr Weyhe, dass es nun eine halbstündige Frühstückspause geben würde. Die Zuhörer strömten in die Buchhandlung und bedienten sich am Buffet. Auch Elin ging hinein und füllte sich einen Becher mit Kaffee.

Der attraktiv aussehende Mann stand auf einmal neben ihr um sich ebenfalls einen Becher Kaffee zu nehmen. Sie sahen sich an und der Mann sagte: „Wie Sie immer die Spannung in ihren Krimis erzeugen, ist grandios. Einmal vergaß ich sogar aus dem Bus auszusteigen, als ich die Szene las in der Kommissar Krassek den Mörder in der Kanalisation verfolgte.“

Elin nickte, denn sie glaubte dem Mann. Irgendwie faszinierte sie dieser Mann. Sie konnte es aber nicht genau benennen, was es war.

„Danke sehr“, sagte sie. Elin sah ihm nach, wie er in einer geschmeidigen und selbstsicheren Bewegung zu der Frau mit den blonden Haaren ging.

Nach der Pause las die Autorin an einer anderen Stelle im Buch weiter. Wieder hörte ihr das Publikum gespannt zu und applaudierte nach den Schlussworten.

Wie nach jeder Lesung folgte nun der Verkauf des Buches, sowie die Signierstunde. Für das Signieren hatte Elin immer mehrere blau schreibende Stifte dabei. Schon stand die Frau mit dem tief ausgeschnittenen Kleid vor ihr.

„Können Sie bitte für Petra hineinschreiben?“, und reichte der Autorin das eben gekaufte Buch.

Schwungvoll schrieb die Autorin ihren eigenen Namen und „Für Petra“ auf die erste Buchseite.

Als nächstes bat ein Mann um ein Autogramm. „Für Lorenz.“

Jetzt weiß ich wie du heißt, dachte Elin und lächelte ihn an. Sie signierte ihm sein Buch und als sie es ihm zurückgab, berührten sich kurz ihre Hände. Elin meinte, einen kleinen Stromschlag erhalten zu haben. Es war nicht unangenehm, sondern es war ein angenehmes Kribbeln gewesen.

Der Mann bedankte sich und ging. Elinborg signierte weiter, konnte jedoch aus den Augenwinkeln heraus beobachten, wie er mit seiner Begleitung sprach. Die Blonde schüttelte den Kopf, daraufhin verließen sie die Buchhandlung. Als kein Gast mehr da war, packte die Autorin ihr Leseexemplar in ihre Handtasche. Herr Weyhe bedankte sich für ihr Kommen und überreichte ihr ein Geschenk.

„Das ist doch nicht nötig, Herr Weyhe“, sagte sie. Trotzdem nahm sie das Geschenk an, das nach der Verpackung zu urteilen, wohl ein querformatiger Bildband war.

Sie verabschiedeten sich voneinander und Elinborg trat aus der Buchhandlung. Geschafft, dachte sie erleichtert, wobei ihr solche Veranstaltungen auch viel Spaß machten. Plötzlich verspürte sie Hunger. Auf das in Alufolie eingewickelte Käsebrot in ihrer Handtasche hatte sie wenig Appetit. Da sie sich gut in der Stadt auskannte, wandte sie sich nach rechts. Nach nur wenigen Schritten war sie auf einem großen belebten Platz gekommen, der von dem mittelalterlichen Rathaus dominiert wurde. Schon Kaiser Karl hatte in dem darin befindenden Krönungssaal gespeist. Zahlreiche Restaurants und Cafés hatten sich um das Rathaus angesiedelt. Tische und Stühle standen draußen auf dem Platz. Die Leute genossen die Frühlingssonne und nahmen ein spätes Mittagessen zu sich oder tranken nur eine Tasse Kaffee. Elinborg schaute sich nach einem freien Sitzplatz um. Beim Italiener waren alle Tische besetzt, beim „Schwanen“ ebenso. War noch ein Platz beim Mexikaner frei? Sie blickte sich suchend um. Saß da nicht der gut aussehende Mann, der Lorenz hieß? Er las in einem Buch. Es war „Endstation Alexanderplatz“, wie sie es sofort am Cover erkannte. Der Stuhl neben ihm war unbesetzt. Wo war denn seine Begleitung, die Frau mit den blonden Haaren?

Die Autorin zögerte einen Augenblick. Sollte sie ihn fragen, ob sie sich zu ihm setzen dürfte? Mehr als Nein konnte er auch nicht sagen. Ansonsten würde sie eben das Käsebrot auf der Rückfahrt essen müssen. Entschlossen ging sie auf den Mann zu.

„Hallo! Darf ich mich zu Ihnen setzten?“

Der Mann sah auf, lächelte als er sie erkannte.

„Frau Steinhausen. Ja, klar!“

Er schlug das Buch augenblicklich zu, legte es auf den Tisch und streckte ihr die Hand entgegen: „Lorenz Berringer.“

„Elin Steinhausen, aber das wissen sie ja“, lachte sie und fragte: „Wo ist denn ihre Frau?“

„Sie ist nicht meine Frau. Mandy ist nur eine Bekannte von mir. Sie hatte Kopfschmerzen und wollte lieber nach Hause gehen.“

„Ach so.“

Ein Kellner kam an den Tisch. „Guten Tag. Was darf ich Ihnen bringen?“

„Ich nehme eine Cola light und den Burrito mit Schmorgemüse“, sagte die Autorin. Lorenz Berringer bestellte den großen Salat mit Hähnchenbrust und ein stilles Wasser.

„Sie haben einen ungewöhnlichen Vornamen. Woher kommt er?“, fragte er.

„Eigentlich heiße ich Elinborg, aber das mag ich nicht besonders. Meine Eltern waren in Island im Urlaub gewesen, daher haben sie meiner Schwester und mir isländische Vornamen gegeben.“

„Waren Sie selbst auch schon in Island?“

„Ja, schon öfters. Die Insel ist wunderschön, besonders im Winter. Erst im Februar waren mein Mann und ich dort und haben ...“, begann Elinborg begeistert zu erzählen.

„Sie sind verheiratet?“, unterbrach Lorenz sie.

„Ja. Mein Mann ist Staatsanwalt in Köln.“

„Dann wird Ihnen ihr Mann sicher schon die ein oder andere Idee für einen Kriminalfall geliefert haben, oder?“, vermutete Lorenz.

Elin verneinte: „Mein Mann arbeitet viel und hat nicht besonders viel Phantasie.“

Das Essen wurde vom Kellner gebracht. Während des Essens unterhielten sie sich über Kommissar Krasseks Vorliebe für Filme. Lorenz schlug vor: „So oft wie Krassek ins Kino geht, sollte er vom Kinobesitzer Rabatt bekommen, finde ich.“

„Da stimme ich Ihnen zu. Doch in den 20er-Jahren nannte man es nicht Kino, sondern Lichtspielhaus. Zu dieser Zeit konnte sich der Film als Massenmedium durchsetzen. Deutschland hatte damals in Europa sogar die meisten Lichtspielhäuser“, berichtete Elinborg.

„Sie gehen sicher auch oft ins Kino?“

Wieder verneinte Elin: „Ich bin schon ewig nicht mehr ins Kino gegangen. Mein Mann hat Platzangst und wir müssten dann immer am Rand sitzen. Das mag ich nicht, denn die besten Plätze im Kino sind die, hinten in der Mitte.“

Nach dem Essen verschwand Elinborg kurz im Restaurant. Lorenz Berringer genoss derweilen die warme Märzsonne. Sie ist eine attraktive Frau, dachte er. Nur schade, dass sie verheiratet ist.

Er bemerkte, dass die Autorin ihr Leseexemplar mit dem Stift auf dem Tisch liegen gelassen hatte. Auf einmal kam ihm ein verrückter Gedanke. Aus seiner Tasche holte er einen Zettel. Er griff zum Signierstift und schrieb hastig, aber doch leserlich: „Wenn Sie mal wieder ins Lichtspielhaus gehen möchten, rufen Sie mich an.“

Darunter notierte er seine Handynummer. Den Zettel steckte er anschließend wahllos zwischen zwei Seiten in das Leseexemplar. Den Stift heftete er wieder an das Buch.

Als Elinborg wieder zurück war, bestellten sie noch zwei Tassen Espresso und unterhielten sich weiter angeregt, bis die Autorin bedauerlicherweise feststellte, dass es schon spät war.

Nachdem sie beide beim Kellner bezahlt hatten, sagte Elin: „Es war schön, Sie kennengelernt zu haben, Herr Berringer.“

„Wir sollten unsere Unterhaltung bei Gelegenheit fortführen“, schlug der Mann vor.