Loe raamatut: «Fesseln des Verlangens»
Kelly Stevens
Fesseln des Verlangens
Erotische Novelle
ELYSION-BOOKS
1. Auflage: Mai 2017
VOLLSTÄNDIGE AUSGABE
ORIGINALAUSGABE
© 2017 BY ELYSION BOOKS GMBH, LEIPZIG
ALL RIGHTS RESERVED
UMSCHLAGGESTALTUNG: Nadine Willers
LAYOUT &WERKSATZ: Hanspeter Ludwig
ISBN (vollständiges Buch) 978-3-96000-066-2
ISBN Ebook „Fesselnde Spiele“ 978-3-96000-0686
ISBN Ebook „Fesseln des Verlangens“ 978-3-96000-0679
Inhalt
Ankunft
Einladung
Verdacht
Liebesbeweise
Phönix
Ankunft
Ich bin eine starke Frau.
Zumindest hat Kylan das immer gesagt. Aus seinem Mund hat es sich wie Kritik angehört. Dabei fühle ich mich schon unsicher genug.
Weil ich anders bin.
Das fängt schon bei meinem Namen an. Phuong ist vietnamesisch und bedeutet Phönix. Bei der Namensgebung hat sich meine vietnamesische Mutter durchgesetzt.
Alle Frauen in meiner Familie sind stark und gewohnt, sich durchzusetzen. Meine Großmutter zog ihre Tochter alleine auf und weigerte sich strikt, den Namen des Vaters preiszugeben. Vermutlich ein amerikanischer GI mit afrikanischen Wurzeln, denn meine Haut ist für eine Vietnamesin recht dunkel. Mein Vater ist Franzose, der als Tourist Asien bereiste, bis er meine Mutter traf. Drei Tage später flog sie mit ihm nach Frankreich, heiratete ihn und blieb dort. Entsprechend habe ich zwar asiatische Gesichtszüge mit großen, mandelförmigen Augen und glänzende schwarze Haare, bin aber für eine Asiatin sehr groß und dünn. Ein hübscher Kleiderständer, wie mir an der Uni mal ein Mann wenig feinfühlig sagte.
Vielleicht hätte ich als Model Karriere machen können, denn angesprochen wurde ich diverse Male. Aber die Idee, mich stundenlang rumkommandieren zu lassen und auf Kommando zu lächeln, gefiel mir nicht.
Bereits als Kind hatte ich laut meinen Eltern ein ausgeprägtes Gerechtigkeitsempfinden, das mich später zu einem Jurastudium führte. Obwohl meine Mutter nicht studiert hat, legt sie viel Wert auf Bildung. Meine Eltern unterstützten und bestärkten mich immer darin, meinen Weg zu gehen.
Er führte mich nach einem Studium in Nantes nach London, wo ich die letzten zwei Jahre bei einer renommierten Rechtsanwaltskanzlei arbeitete und nebenberuflich meinen Master in Internationalem Recht mit Schwerpunkt Ethik und Menschenrechte machte. Dort lernte ich auch Kylan kennen.
Beruflich hat er mit seiner Aussage, dass ich stark bin, sicher recht. Nicht alle von uns können in Designerkleidern und High Heels durch London laufen und sich einen amerikanischen Schauspieler als Mann angeln, aber Praktika beim Internationalen Gerichtshof in Den Haag und bei den Vereinten Nationen in verschiedenen Ländern kann auch ich vorweisen. Ab morgen auch eine Anstellung in Barcelona, zwar zunächst nur befristet für sechs Monate, aber bei einer renommierten, staatsnahen Organisation, die sich auf Flüchtlingsthemen spezialisiert hat.
Doch damit bin ich wohl zu stark für Kylan, obwohl er nie den Eindruck erweckte, dass er mir meine eigene Karriere nicht gönnen würde. Ansonsten hätte ich mich in London nach einer neuen Stelle umgesehen. Erst, als das Angebot aus Barcelona schon auf dem Tisch lag, versuchte er, es mir madig zu machen. Ich hielt dagegen: Es ist eine große Chance für mich, und ein halbes Jahr geht schnell vorbei.
Kylan sieht das anscheinend anders, denn ich stehe gerade am Gepäckband in der Ankunftshalle in Barcelona und lese ungläubig zum gefühlt zehnten Mal die Nachricht, in der er mit mir Schluss macht, weil wir »unterschiedliche Lebenspläne« haben. Sogar bei Facebook hat er seinen Status schon auf »Single« zurückgesetzt. Blöder Idiot!
Ich ziehe meinen Koffer vom Gepäckband, schultere meine Yogamatte sowie meinen Tagesrucksack und stürme Richtung Ausgang. Wie ein Klischee abserviert zu werden tut weh, vor allem, weil es ohne jegliche Vorwarnung kam. Anderthalb Jahre lang waren wir zusammen. Was ist während der paar Stunden, seit wir uns zuletzt gesehen haben, mit ihm geschehen? Ich hatte mich wirklich auf diese Chance gefreut und gedacht, Kylan freue sich mit mir. Er wollte mich sogar in ein paar Wochen besuchen kommen.
Na warte, denke ich, dir werde ich’s heimzahlen. Ich werde mich auf den nächsten glutäugigen Spanier stürzen, der mir über den Weg läuft. Überhaupt werde ich während dieser Zeit in Barcelona nichts anbrennen lassen, jede Chance nutzen, die sich mir bietet, um -
Vertieft in meine Wut bekomme ich nicht mit, wie mich jemand überholen will. Er oder sie rempelt mich dabei an, sodass ich stolpere und mit einem Mann zusammenpralle. Undeutlich bekomme ich mit, dass meine Yogamatte ihm einen Kinnhaken versetzt, während sich etwas Heißes auf mein T-Shirt ergießt und mich kurz nach Luft schnappen lässt.
Wir fluchen gleichzeitig, er auf Spanisch, ich auf Englisch.
Reklamation ans Universum: vielen Dank für die prompte Lieferung des glutäugigen Spaniers, aber die Umstände des Zusammentreffens sind leider mehr als ungünstig!
Er schaut mich grimmig an, wodurch ich sehen kann, dass seine Augen nicht glutäugig, aber seine Iriden fast schwarz mit kleinen orangefarbenen Sprenkeln sind. Außerdem hat er schwarze Haare, die ihm fast bis zur Schulter reichen, und einen schwarzen Vollbart. Auf den ersten Blick würde ich ihn auf Mitte bis Ende Dreißig schätzen.
Ich schaue grimmig zurück und fahre ihn auf Spanisch an: »Können Sie nicht aufpassen?«
Er antwortet auf Englisch: »Sie schulden mir einen Kaffee.«
Ein Blick erklärt, wieso: Bei dem Aufprall hat er sein Heißgetränk auf uns beide verteilt. Inzwischen ist es glücklicherweise nicht mehr heiß, sondern nur noch unangenehm feucht. Außerdem haben sein blaues Hemd und mein cremefarbenes Top dunkelbraune Flecken.
Wieso schulde ich ihm einen Kaffee, schließlich war er derjenige, der nicht auf sein Getränk aufgepasst hat? »Sie schulden mir Geld für die Reinigung.«
Um seine Mundwinkel zuckt es. Blöder Macho! Sind denn alle Männer auf diesem Planeten Idioten?
»Louis!«, höre ich plötzlich hinter mir eine Frauenstimme rufen. Der Mann vor mir schaut hoch, und sein Gesichtsausdruck verändert sich: anstatt grimmiger Missbilligung ist dort aufrichtige Freude zu sehen. Er tritt einen Schritt zur Seite, breitet die Arme aus, und im nächsten Moment wirft sich ihm eine junge Frau in knappen Jeansshorts und einem roten Top an den Hals. Sie hat lange dunkle Locken, die fast bis zur Taille reichen, endlos lange Beine und Kurven an genau den richtigen Stellen.
Na bitte, das Klischee ältere Männer und jüngere Frauen scheint international verbreitet zu sein. Die beiden haben nur noch Augen füreinander. Ich verzichte auf eine weitere Auseinandersetzung und gehe hoch erhobenen Hauptes mit meinem Gepäck Richtung Ausgang.
Für die Fahrt in die Stadt gönne ich mir ein Taxi. Zwar liegt das möblierte Appartement, das ich übers Internet gefunden habe, recht zentral, aber mit meinem Gepäck – und jetzt auch noch dem Kaffeefleck mitten auf der Brust – ist das praktischer als öffentliche Verkehrsmittel.
Mein neues Zuhause ist knapp zwanzig Quadratmeter groß. Neben einem Wohn-Schlafraum beinhaltet es eine Mini-Küche und ein kleines Duschbad. Wände und Möbel sind neutral in überwiegend cremeweiß gehalten, ein paar Kissen und die Vorhänge setzen ein paar blaue und grüne Akzente. Frisch und freundlich, obwohl das Haus schon älter ist. Aber die Wohnung ist bezahlbar und liegt nur knapp zwei Kilometer von meiner Arbeitsstelle entfernt, sodass ich dorthin laufen kann. Nach all der U-Bahn-Fahrerei in London freue ich mich darauf, mehr Zeit draußen verbringen zu können. Die Spanier sitzen gerne in der Sonne oder in Café-Bars, und Barcelona soll einen langen Sandstrand mit einer palmengesäumten Promenade haben.
Dass ich teilweise auch am Wochenende arbeiten muss, ist mir natürlich klar, aber ich hoffe, dass sie mir etwas Freizeit zugestehen. Schließlich hilft es niemandem, wenn die – noch dazu schlecht bezahlten – Helfer vor Erschöpfung zusammenklappen.
Das war noch so etwas, das Kylan nicht verstand: dass ich bereit war, für einen so niedrigen Lohn zu arbeiten. »Da hättest du das Geld doch gleich spenden können«, war seine abfällige Meinung. Aber mir geht es darum, selbst zu helfen. Außerdem möchte ich die Berufserfahrung auch in meinem Lebenslauf stehen haben.
Mein Koffer ist schnell ausgeräumt. Ich schiebe ihn in eine Ecke und betrachte mein neues Reich. Hier bin ich also, eine frischgebackene Singlefrau in einer fremden Stadt. Mal wieder.
Ich rolle meine Yogamatte auf dem Holzboden aus und mache meine Übungen, um erst einmal runterzukommen. Yoga praktiziere ich erst, seit ich im hektischen London lebe, aber es erdet mich immer wieder wunderbar. Anstatt mich über Männer im allgemeinen und Kylan im Besonderen zu ärgern, freue ich mich auf mein neues Leben.
Vier Wochen später fange ich an, zu verstehen, was Kylan mit »Sklavenarbeit« meinte, als er mir den Job in Barcelona ausreden wollte. Zwar sind meine Kollegen nett und hilfsbereit, aber es gibt einfach zu viel Arbeit und zu wenig Zeit, alles zu schaffen. Permanent sind wir am Limit, und sogar ich, die von der doppelten Belastung aus Vollzeitjob und Teilzeitstudium einiges gewohnt bin, komme allmählich an meine Grenzen, obwohl ich noch nicht lange hier bin. Selbst die ehrenamtlichen Helfer, die uns unterstützen, sind nur ein Tropfen auf dem heißen Stein, denn auch sie müssen eingearbeitet werden, was wiederum von unserer Zeit abgeht. Bisher hatte ich noch keinen einzigen freien Tag, höchstens mal ein paar freie Stunden. Aber unsere Arbeit ist wichtig und wird wertgeschätzt. Deshalb bin ich hier, rede ich mir ein, um Erfahrungen zu sammeln und anderen Menschen zu helfen, nicht, um mich zu vergnügen.
Irgendwelche heißblütigen Spanier, mit denen ich Kylan eifersüchtig machen könnte, habe ich bisher noch nicht gefunden. Vielleicht ist das besser so, denn für einen Freund hätte ich gar keine Zeit, und der Typ für One-Night-Stands bin ich nicht. Eigentlich. Die spontane Idee, mich auf den nächsten glutäugigen Spanier zu stürzen, entsprang alleine meiner Wut auf meinen Ex.
Gerade befinde ich mich in einer Café-Bar in der Innenstadt und gönne mir eine kurze Pause, ein seltener Genuss. Ich könnte stundenlang hier sitzen und die Atmosphäre auf mich einwirken lassen, wie viele Spanier es tun, aber im Büro gibt es noch viel zu erledigen.
Ich trinke meinen Café con leche aus und will gerade gehen, als ein Mann meine Aufmerksamkeit erregt. Er sieht aus wie der Typ, mit dem ich am Flughafen zusammengestoßen bin. Wie hatte die Frau, die er erwartete, ihn genannt, Louis?
Natürlich Louis. Ich weiß den Namen noch ganz genau, genauso genau wie ihren Tonfall und seinen Gesichtsausdruck, als er sie sah und in seine Arme schloss.
Wem mache ich hier eigentlich etwas vor? Der Typ ist mir seit unserer ersten Begegnung nicht mehr aus dem Kopf gegangen.
Jetzt kommt er auch noch in die Café-Bar, wo ich immer noch am Tresen stehe, um zu zahlen. Ja, er ist es. Er stellt sich neben mich, um seine Bestellung aufzugeben, und ich kann es mir nicht verkneifen, ihn mit »Denkst du immer noch, dass ich dir einen Kaffee schulde, Louis?«, anzusprechen.
Er sieht mich überrascht an. Erst allmählich sehe ich Erkennen in seinem Blick. »Die Yogamatte vom Flughafen?«
Als Yogamatte bin ich noch nie bezeichnet worden. Ich versuche, ihm einen bösen Blick zuzuwerfen, aber das wirkt wenig, wenn man einen halben Kopf kleiner ist als der Empfänger. Er riecht gut, nach irgendetwas holzig-herbem mit leichter Zitrus-note. Außerdem sieht er noch besser aus, als ich es in Erinnerung hatte. Er hat sich von seinem Vollbart getrennt, eine Mode, die mir persönlich sowieso nicht gefällt. Sein verbliebener leichter Bartschatten gibt ihm etwas Verwegenes, genauso wie die Nase, die nicht ganz gerade ist. Für einen Spanier ist er relativ groß. Sein schlanker Körper und die Art, wie er sich bewegt, deutet darauf hin, dass er ziemlich fit sein muss. Geschäftsmann wird er nicht sein, denn er trägt keinen Anzug, sondern dunkle Jeans und einen schwarzen, leichten Rollkragenpullover. Obwohl ich ihn am liebsten in aller Öffentlichkeit an mich ziehen und küssen würde, sage ich kurz angebunden: »Also? Café solo, cartodo, con leche?«
Noch einmal werde ich es nicht anbieten. Als die Bedienung kommt, sage ich ihm, dass ich meinen Kaffee zahlen werde und einen für Louis. Der Mann hinter der Theke wirft ihm einen fragenden Blick zu. Louis bestellt kurz angebunden einen Cortado und ein Glas Wasser.
Ich zahle beide Getränke und wende mich gerade zum Gehen, als Louis’ Worte mich stoppen: »Du hast mich mit deiner Yogamatte erschlagen, Miss Prim-and-Proper.«
Mein erster Gedanke ist, zu antworten »Verklag mich doch«, ein Insider-Witz aus der englischen Kanzlei. Aber wer den nicht kennt, könnte meine Antwort schnell missverstehen. Stattdessen sagte ich: »Dafür siehst du noch ziemlich lebendig aus.« Und wieso bezeichnet er mich als prüde und korrekt?
Er lacht. »Du bist immer noch in Barcelona? Ich dachte, du seist nur auf der Durchreise.«
»Nein, ich arbeite hier.« Und meine Zeit ist knapp, setze ich in Gedanken hinzu. Es war nicht mein Plan, mich länger mit ihm zu unterhalten. Nun ja, nicht mein ursprünglicher Plan, verbessere ich meine Gedanken.
»Bist du Yogalehrerin?«
»Nein, ich …« Ich stoppe mitten im Satz. Das meinte er mit Yogamatte, nicht meine Figur! Ich werde rot und komme mir unglaublich dumm vor. Noch nicht einmal die Ausrede meines schlechten Spanisch habe ich, denn er spricht Englisch mit mir, wie ich erst jetzt bemerke. Ziemlich perfektes Englisch, mindestens genauso gut wie ich, die mehrere Jahre lang dort gelebt hat.
Aber ihm erzählen, wo und als was ich lebe und arbeite, will ich trotzdem nicht. »Yoga ist nur ein Hobby«, beende ich meinen Satz lahm.
Er nickt, ohne Durchblicken zu lassen, ob er sich damit auskennt oder nicht. Zwar gibt es auch hier Yogaschulen, aber es sind nach wie vor mehr Frauen als Männer, die es praktizieren.
»War schön, dich getroffen zu haben«, sage ich, »aber ich muss jetzt wieder los.«
»Ihr Ausländer, nie habt ihr Zeit.« Er klingt amüsiert, was mich auf die Palme bringt.
»Nicht jeder kann einfach so in den Tag hinein leben«, erwidere ich schärfer als beabsichtigt. Manche Menschen müssen jeden Tag ums Überleben kämpfen, ergänze ich in Gedanken.
»Du denkst, das tue ich?«
Zum Teufel mit prüde und korrekt. Zum Teufel mit Öffentlichkeit. Zum Teufel mit der Frau vom Flughafen. Ich trete auf Louis zu, verschränke meine Hände in seinem Nacken und küsse ihn, bevor ich es mir anders überlegen kann.
Einen Moment versteift er sich, wirkt überrascht. Dann öffnet er die Lippen, um meiner Zunge Einlass zu gewähren. Seine Hände legen sich auf meinen Po und ziehen mich eng an ihn. So eng, dass meine Nippel gegen seinen Pullover reiben und meine Scham sich gegen seine drückt. Unwillkürlich schnappe ich nach Luft. Jetzt ist er derjenige, der den Kuss vertieft, mich gegen die Bartheke drängt, bis ich zwischen seinem warmen Körper und dem harten Holz gefangen bin. Das Blut rauscht in meinen Ohren, ich habe die Augen geschlossen, um die Menschen um uns herum auszublenden. In diesem Moment gibt es nur noch diesen fremden Mann und mich. Was als kleines Spiel begonnen hat, ist völlig außer Kontrolle geraten.
Es ist Louis, der mich abrupt freigibt. Ich blinzele desorientiert, bis mir wieder klar ist, wo ich bin: die Bar, die fremden Menschen um mich herum, die Gespräche, die verstummt zu sein scheinen.
Während mein Herz immer noch doppelt so schnell schlägt wie normal und ich völlig durcheinander bin, sieht Louis kühl und überlegen aus.
»Ich würde mich gerne mit einer Einladung revanchieren. Ruf mich an.« Er schiebt mir seine Karte zu. Darauf steht nur sein Vorname und eine Handynummer, nichts weiter. Kein Logo, kein Firmenname, keine Adresse, nichts.
Einen Moment beäuge ich die Karte misstrauisch, aber er kann mich schließlich nicht zwingen, ihn anzurufen. Er hätte auch nach meiner Nummer fragen können, aber die hätte ich selbstverständlich nicht ohne Weiteres rausgerückt. Ich bin misstrauisch – das hat mein Job mit sich gebracht. Selbst, wenn ich gerade mitten in einer Bar geküsst worden bin, dass ich immer noch weiche Knie habe.
»Danke«, antworte ich so neutral wie möglich und stecke die Karte ein. Natürlich werde ich ihn nicht anrufen. Selbst wenn er ein gutaussehender, glutäugiger Spanier mit sexueller Anziehungskraft ist, der genau mein Typ ist!
Ich rufe keine fremden, liierten Männer an!
Missmutig betrachte ich Louis’ Visitenkarte. Zu Hause hatte ich endlich Zeit, sie mir in Ruhe anzuschauen, aber auch die Rückseite war leer. Das Papier ist strukturiert und fühlt sich edel an, die schwarze Schrift auf weißem Grund ist schwungvoll, aber unprätentiös. Ich versuche, seinen Vornamen zusammen mit seiner Handynummer zu googeln, bekomme aber keine Treffer.
Nach einem letzten Blick stecke ich die Karte in meinen Kalender. Ich besitze tatsächlich noch einen schön verzierten Kalender in Buchform, in den man richtig hineinschreiben kann und der eine Tasche hat, in der man Notizen, Fahrkarten und ähnliches aufbewahren kann. Mein eigenes Smartphone ist mir schon mehrfach gestohlen worden, meistens bei der Arbeit, weil ich es nicht immer mit mir herumtragen darf. Mein buntes Notizbuch hingegen hat mir noch nie jemand geklaut. Es ist individuell, genau wie ich. Meine Kollegen haben zwar liebevolle Späße darüber gemacht, dass ich noch nicht ganz in der Neuzeit angekommen bin, aber das stört mich nicht. In Spanien gehen die Uhren langsamer als in London, es ist insgesamt weniger hektisch und stressig. Mein Notizbuch passt zu diesem Lebensgefühl.
Dass ich immer mehr in Spanien ankomme, zeigt sich auch daran, dass ich endlich beginne, mich nach einer Yogaschule umzusehen. Beim Yoga kommt es mir sehr auf die Umgebung, den Raum, die Gerüche, die allgemeine Atmosphäre an und natürlich auf die Yogalehrer, ihre Stimme, ihr Unterrichtsstil. Ich fühle mich sowohl bei ruhigem Yin Yoga als auch bei kraftvollem Ashtanga Yoga oder beim dynamischem Vinyasa Yoga wohl. Jedes zu seiner Zeit. Manchmal ist mir mehr nach einem langsamen, meditativen Stil, manchmal will ich mich einfach nur auspowern.
Schließlich finde ich tatsächlich ein Studio, das bis spätabends Kurse anbietet. Es liegt am Meer, und von den Unterrichtsräumen aus hat man durch die großen Glasfronten einen phantastischen Blick aufs Wasser. Zwar ist es eher hochpreisig, aber dafür ist es nicht völlig überfüllt wie einige andere Studios, die ich ausprobiert habe. Das Beste ist, es liegt fußläufig zu meinem Appartement.
Entsprechend laufe ich eines Abends nach meiner Stunde an der Strandpromenade entlang, meine Yogamatte eingerollt über der Schulter, als ich vor mir ein Paar endlos lange Beine in Jeansshorts sehe. Dies allein ist in Barcelona kein ungewöhnlicher Anblick, aber in Verbindung mit ihren langen dunklen Locken bin ich mir sicher, dass es sich um die junge Frau handelt, die Louis am Flughafen erwartete. Ein Blick in ihr Gesicht bestätigt dies. Heute trägt sie ein weich fallendes, zitronengelbes Top und sehr hohe High Heels, die ihre Beine noch länger erscheinen lassen.
Von Louis fehlt allerdings jede Spur. Stattdessen ist sie mit einer Gruppe junger Männer unterwegs.
Sie geht mich nichts an, sage ich mir, während ich in eine Seitenstraße einbiege, die zu meiner Wohnung führt. Mein Job hat mir die Augen geöffnet, dass es jede Menge Menschen gibt, die sich aus Not oder anderen Gründen ausbeuten lassen – sei es, dass sie für einen Hungerlohn arbeiten, sei es, dass sie sich in illegale Geschäfte verstricken lassen oder eben, dass Frauen sich von Männern aushalten lassen.
Trotzdem muss ich zugeben, dass die junge Frau sich ehrlich gefreut hatte, Louis zu sehen, und er sie. Vielleicht ist es zwischen ihnen ja doch wahre Liebe. Wünschen würde ich es ihnen.
Wieso denke ich überhaupt immer noch über Louis nach? Mein Plan, mich auf den nächsten glutäugigen Spanier zu stürzen, war sowieso Quatsch.
Selbst, wenn er phantastisch küssen kann.
Keine drei Tage später, als ich gerade von der Mittagspause zurückkomme, sehe ich Louis erneut. In einer so großen Stadt schon ein ungewöhnlicher Zufall, aber vielleicht wohnt oder arbeitet er in der Nähe des Cafés?
Heute trage ich keine Yogamatte. Dafür hat er eine große Kameratasche bei sich. Wieder ist er alleine unterwegs.
»Sieh an, die Yogaschülerin, die mich geküsst hat. Du hast mir gar nicht deinen Namen gesagt.«
Ich werde rot. Geschieht ihm wahrscheinlich nicht alle Tage, dass ihn eine fremde Frau küsst. Kein Wunder, dass er sich daran erinnert.
Einen Moment zögere ich, weil mein Name wirklich nicht alltäglich ist. Normalerweise stelle ich mich flüchtigen Bekanntschaften, von denen ich ausgehe, dass ich sie nie wieder sehen werde, mit Anna oder Marie oder einem anderen Allerweltsnamen vor. Doch aus irgendeinem Grund, der mir selbst nicht klar ist, mache ich bei Louis eine Ausnahme. »Phuong.«
»Phuong.« Er lässt sich den fremdländischen Klang auf der Zunge zergehen, als wolle er ihn schmecken. »Du hast mich nicht angerufen, Phuong.«
»Das ist richtig.« Ich will mich weder erklären noch verteidigen müssen.
Er mustert mich. »In Spanien ist es unhöflich, Einladungen nicht anzunehmen.«
Ich runzele die Stirn. Stimmt, er hatte sich mit einer Einladung revanchieren wollen, aber ich war mir nicht sicher, ob das nicht nur eine Floskel war. »In anderen Ländern sagt man so etwas, ohne es zu meinen. Etwa im Stil von ‚bis bald‘.«
»Hast du deshalb nicht angerufen, weil du dachtest, ich hätte es nicht ernst gemeint?«
Es ist mir lieber, dass er das denkt, als irgendetwas anderes. »Tut mir leid. Ich bin wohl noch nicht lange genug hier, um mich mit allen spanischen Sitten und Gebräuchen auszukennen.« Nur, dass Zärtlichkeiten in der Öffentlichkeit nicht gerne gesehen werden, das habe ich schon mitbekommen. Leider erst, nachdem ich ihn in der Bar geküsst hatte.
Er nickt, als würde er mir zustimmen. Um gleich darauf zu sagen: »Gib mir deine Nummer.«
»Nein, ich habe deine Karte, und jetzt, wo ich weiß …«, beginne ich.
»Gib mir deine Nummer.«
Seine Stimme klingt einschüchternd und erweckt genau damit meinen Widerstand. Mein Blick bleibt an seinem Mund hängen, diesen Lippen, mit denen er mich geküsst hat. Schon wieder beschleunigen sich mein Herzschlag und meine Atmung, meine Brustwarzen ziehen sich zusammen. Trotzdem bleibe ich hart. »Nein.«
»Nein?«
»Ich werde dich anrufen.« Mit unterdrückter Rufnummer, notiere ich innerlich.
Louis zieht seine Kamera aus der Tasche und überprüft irgendetwas. Heutzutage, wo fast jeder mit einer kleinen Digitalkamera oder seinem Smartphone fotografiert, fällt das Riesenteil auf. Er schraubt ein Objektiv vor das Gehäuse und macht einige Bilder von unserer Umgebung. Dann richtet er das Objektiv auf mich.
Sofort halte ich meine Hand vor die Linse. »Ich mag es nicht, fotografiert zu werden.«
»Schade.«
Das werde ich nicht kommentieren. Ich sehe ihm zu, wie er die Kamera auseinander schraubt und wieder wegpackt.
»Also, Phuong, wann rufst du mich an, damit ich dich zum Essen einladen kann?«
Er gibt nicht auf. Allmählich werde ich unruhig, weil ich wieder an die Arbeit muss. Außerdem, weil inzwischen einige Leute auf uns starren. »Bald«, weiche ich aus.
»Das genügt mir nicht.« Er zieht eine Postkarte aus seiner Tasche und schreibt etwas darauf. Namen und Adresse eines Restaurants, wie ich erkennen kann. Kurz blickt er auf. »Heute? Morgen? Übermorgen?«
Hat er nie Pläne für den Abend, dass ich die freie Auswahl habe? Mental gehe ich meinen eigenen Kalender durch. Wirklich Zeit habe ich nie, aber es reizt mich, mehr über ihn zu erfahren, deshalb werde ich versuchen, mir ein paar Stunden freizuschaufeln. »Übermorgen.«
»Phönix. Phuong lautet übersetzt Phönix.«
Louis hat sich tatsächlich die Mühe gemacht, nach der Bedeutung meines Namens zu suchen? Ich bin ein klitzekleines bisschen beeindruckt. Er küsst mich zur Begrüßung auf beide Wangen, während ich stocksteif vor ihm stehe. Jeder Instinkt in mir schreit, meine Lippen auf seine zu legen, meinen Körper an seinen zu pressen, mit meinen Händen über seine Haut zu fahren, und noch viel mehr. Aber wahrscheinlich würden wir dann des Restaurant verwiesen. Was schade wäre, denn es duftet verführerisch. Genauso wie Louis.
»Wie schön, dass du Zeit für mich hast.«
Klingt seine Stimme etwa sarkastisch? »Ich arbeite viel.«
»Auch abends?«
»Auch abends.«
Er scheint mir nicht zu glauben, aber das ist mir egal. Meine Arbeit geht vor Vergnügen. Das war schon in meiner Kindheit so und hat sich nahtlos durch Schule, Studium und Job gezogen. Nur deshalb bin ich heute da, wo ich bin.
Ja, ohne Freund und in einem unterbezahlten Job, der dir jegliche Freizeit nimmt, flüstert eine hässliche Stimme in meinem Kopf. Während vor dir ein toller Mann sitzt, der das Leben genießt und jede Frau haben kann, die er will, und den auch du willst.
Ich bringe sie zum Schweigen.
Louis hat ein Restaurant an der Strandpromenade ausgewählt und lässt keinen Zweifel daran, dass er mich einlädt. In Spanien ist es üblich, dass man mit Freunden essen geht, selbst, wenn man wenig Geld hat. Es ist Teil der Kultur, Essen ist ein Gesellschaftsereignis. Um uns herum sitzen viele Paare oder kleinere Gruppen, die sich alle angeregt unterhalten und gute Laune zu haben scheinen.
Nur ich bin gerade stumm wie ein Fisch, als mir auffällt, dass ich nach Wochen in Spanien außer meinen Kollegen und ein paar Leuten aus dem Yogastudio noch so gut wie niemanden kenne.
Apropos stumm wie ein Fisch: Es gibt eine große Auswahl an fangfrischem Fisch, und Louis erzählt mir von den Gerichten, als wäre er der Chefkoch persönlich, kein offensichtlicher Stammgast. Nach kurzer Überlegung entscheide ich mich für Seezunge. Zu meiner Überraschung bestellt Louis das Gleiche. Als Vorspeise empfiehlt er Oktopussalat, der hier angeblich sehr gut sein soll.
Ich verzichte mit dem Hinweis, dass ich abends normalerweise nicht so viel esse. Louis bestellt trotzdem eine Portion, die, als sie serviert wird, auch sehr lecker aussieht. Als er meinen Blick bemerkt, schiebt er seinen Teller in die Mitte des Tisches.
»Probier«, fordert er mich auf.
Kurz zögere ich, dann nehme ich doch eine Gabel. Der Oktopus ist zart und zergeht fast auf der Zunge. Kapern, frischer Zitronensaft, Olivenöl und Kräuter geben ihm ein phantastisches Aroma. Das frische Weißbrot, das dazu gereicht wird, brauche ich gar nicht.
»Bedien dich«, bittet Louis mich, das Gericht mit ihm zu teilen. Doch ich schüttele den Kopf. »Das schmeckt wunderbar, aber dann bin ich gleich satt.«
So habe ich noch eine Weile den Geschmack im Mund – und kann Louis beobachten. Heute Abend hat er sich rasiert, sodass er etwas zivilisierter wirkt als bei unserem ersten Treffen oder in der Bar. Als ich ihn geküsst habe. Mein Blick geht erneut zu seinen Lippen, die sich so wunderbar weich auf meinen angefühlt haben, zu seinen dunklen Augen mit den unverschämt langen Wimpern bis zu seinen Händen mit den langen, gepflegten Fingern. Vielleicht ist er doch Geschäftsmann? Hart zu arbeiten scheint er jedenfalls nicht, auch, weil er ständig Freizeit zu haben scheint.
Tasuta katkend on lõppenud.