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Kendran Brooks

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4. Abenteuer der Familie Lederer

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Vorgeschichte

Januar 2010

Februar 2010

März 2010

April 2010

Mai 2010

Juni 2010

Juli 2010

August 2010

September 2010

November 2010

Oktober 2010

Dezember 2010

Impressum neobooks

Vorgeschichte

Gehetzt blickte sich der junge Mann um, spähte angestrengt zurück zur Straßenmündung, durch die er Sekunden zuvor in diese schmale Gasse gerannt war. Als die Verfolger auftauchten, verzerrten sich seine Gesichtszüge wie unter Schmerzen und seine Augenlider begannen zu flackern, zeigten echte Verzweiflung. Vor kaum zehn Minuten wollten sie ihn direkt vor seiner Wohnung abfangen. Natürlich verschwand er sogleich, war ihnen bislang glücklich entwischt.

Noch stärker presste sich sein Körper gegen die Wand in seinem Rücken, wollte mit dem tiefen Schatten verschmelzen. Die Hetzjagd durch die nächtlichen Straßen hatte ihn in dieser kalten Januarnacht völlig außer Atem gebracht und seine Lungen verlangten gierig nach Sauerstoff. Doch der junge Mann atmete bloß flach, hechelte die Luft ein und aus wie ein Hund. Seine Ohren dröhnten und er hörte all die Geräusche der Stadt wie durch Watte. Mit weit aufgerissenen Lidern starrte er zu den vier Männern hinüber, beobachtete jede ihrer Bewegungen, wie sie zusammenstanden und sich leise unterhielten, Armbewegungen ausführten, in verschiedene Richtungen deuteten. Langgezogene Dampfwolken verließen ihre Münder, hüllen die vier immer wieder ein. Die Augäpfel des jungen Mannes zuckten nervös und sein Körper vergaß vor Aufregung zu blinzeln. Auch die Kälte spürte er kaum mehr, wie sie in seine Knochen hineinkroch.

Die vier Verfolger schienen seine Spur verloren zu haben.

Zwei wandten sich nach rechts, entschwanden seinem Blickfeld. Doch die beiden anderen traten in die Gasse, kamen langsam aber stetig näher. Sie rüttelten und drückten an den Türen, die an manchen Stellen links oder rechts in Gebäude führten, sahen auch hinter den beiden Müllcontainern nach, öffneten sogar ihre Deckel und blickten kurz hinein. Immer näher kamen sie seinem Versteck, diesem tiefen Schatten entlang der Hausmauer auf der rechten Seite der Gasse. Jeden Moment konnten sie ihn entdecken, brauchten dazu vielleicht nur noch sechs oder sieben Schritte näher zu kommen.

Dass seine Atmung stockte, bemerkte er nicht einmal. Sein Kopf drehte aber nach rechts, weg von den Verfolgern, tiefer in die Gasse hinein. Dabei suchten seine Augen fieberhaft nach einem Ausweg, irrten bis ans Ende und zum hohen Maschendrahtzaun, der den Hinterhof einer Spedition abgetrennte. Viel zu hoch, um darüber zu klettern. Er fühlte es instinktiv.

Dann hatte er sich auch schon entschieden, drückte sich entschlossen mit Armen und Händen von der Wand in seinem Rücken ab, spurtete los, schräg über die schmale Gasse auf die andere Häuserseite zu, glitt auf der festgetretenen Schneedecke beinahe aus, fing sich stolpernd auf, hetzte weiter. Schon sprang er an der Mauer drüben hoch, warf seine Arme weit nach oben, erwischte mit den Fingern den untersten Tritt der hochgezogenen Feuerleiter, zog sie mit seinem Körpergewicht zu sich herunter.

Ein kurzes, doch überaus starkes Glücksgefühl durchfloss ihn heiß und die innere Erregung verlieh ihm zusätzliche Kräfte. Seine Füße fanden wie von selbst Halt auf der untersten Sprosse, drückten ihn hastig die Leiter hoch.

Schon bei seinem so plötzlichen Auftauchen aus dem Häuserschatten rannten seine beiden Verfolger los, erreichten nur Sekunden nach ihm das Ende der Feuerleiter. Doch der junge Mann war ihnen bereits weit voraus. Nur noch vier Meter bis zur Kante des fünfstöckigen Gebäudes ... noch dreieinhalb ... drei.

Die Trenchcoats waren unten stehen geblieben, hatten dem Flüchtenden aus kalten Augen nachgeblickt, griffen fast synchron in die Innenseite ihrer Mäntel, zogen großkalibrige Pistolen mit langen Schalldämpfern hervor und legten ruhig auf den Fliehenden über ihnen an. Ohne erkennbares Zögern drückten sie ab. Ein Doppelknall, nur wenig lauter als beim unsachgemäßen Öffnen von Champagnerflaschen, zerriss die nächtliche Ruhe.

Eine der Kugeln erwischte den jungen Mann am Gesäß, riss eine tiefe Furche aus Hosenstoff und Haut, streifte weiter oben sein linkes Schulterblatt und verschwand im Nachthimmel. Die zweite traf besser, fuhr ihm nahe seines Afters in den Körper, glitt am Beckenknochen ab, fetzte durch Dickdarm und Leber, drang durch das Zwerchfell in den Brustkorb, durchbohrt den rechten Lungenflügel und verließ seinen Leib nahe des Schlüsselbeins.

Der tödlich Getroffene spürte keinen Schmerz. Doch sein Körper erstarrte augenblicklich und seine Hände begannen zu zittern, lösten sich nun von der Sprosse der Leiter. Wie in Zeitlupe kippte sein Körper nach hinten weg, fiel gespenstisch lautlos in die Tiefe, prallte wie ein Sack voller Kartoffeln mit einem dumpfen Laut auf dem harten Pflaster auf.

Die beiden Männer in Trenchcoats hatten den Sturz mit unbeweglichen Minen beobachtet, traten bloß ein paar Schritte zur Seite, machten dem fallenden Leichnam Platz. Wortlos richteten sie die Läufe ihrer Waffen auf den Kopf des Ermordeten, schossen je eine weitere Kugel in seine Stirn, knapp über seinen offenstehenden, starren Augen. Knochensplitter, Blut und etwas Gehirnmaße spritzten davon.

Ohne erkennbare Hast steckten sie ihre Waffen zurück in die Holster unter ihren Mantelaufschlägen. Dann kauerte sich der eine von ihnen kurz zum Toten hinunter und schob ihm ein Päckchen in die Brusttasche der halboffenen, innen gefütterten Jeansjacke. Der zweite blickte sich währenddessen lauernd um, suchte die Gasse nach möglichen Zeugen für den Mord ab. Doch die Tat hatte niemand beobachtet und selbst der Knall der Schüsse lockte keine Neugierigen an.

Sie wandten sich ab, schlenderten lässig den Weg zurück, trafen an der Straßenmündung die beiden anderen Verfolger. Zu viert gingen sie zurück zu ihrem Einsatzfahrzeug, einem dunkelblauen Ford Transit ohne Werbeaufschrift. Er war ihnen vom Haus des Ermordeten bis hierher gefolgt, wartete seither mit leise brummendem Motor und eingeschaltetem Standlicht an der Ecke zur Delancey Street auf ihre Rückkehr.

Die vier Männer stiegen hinten ein. Der letzte schloss die Flügeltüre, ein anderer schaltete die Lichtquelle am Dach des Busses ein. Sie hockten sich auf die schmalen Holzbänke, die links und rechts an den Fahrzeugwänden angebracht waren. Dann setzte sich der Wagen auch schon mit einem leichten Ruck in Bewegung.

Alle vier Männer besaßen glasig-kalte Fischaugen, die keine Gefühle zeigten. In ihren Gesichtern regte sich nichts, waren wie Masken. Sie blickten sich nicht an, sprachen lange Zeit auch kein Wort. Sie glichen Fremden, die sich auf einer Bahnfahrt zufällig im selben Abteil zusammenfanden, sich gegenübersaßen, aber nichts voneinander erfahren wollten.

Plötzlich ruckte der Kopf von einem der beiden Mörder hoch und sein Mund verzog sich ärgerlich, machte aus seinem Gesicht eine angewiderte Fratze. Gleichzeitig fasste er an sein linkes Hosenbein unterhalb des Knies.

»Schau dir bloß diese Sauerei an, Herb«, meinte er wütend und wedelte dabei mit dem Stoff zwischen seinen Fingern herum, »das war bestimmt deine Kugel«, fügte er vorwurfsvoll hinzu.

Am Hosenaufschlag klebten ein paar gräulich-braune, längliche Tropfen, wohl Gehirnmaße des Toten. Das fette Gewebe sprenkelte den schwarzen Stoff, ähnlich den Lehmspritzern, wie sie von Baustellenlastwagen beim Vorbeirollen auf Fußgänger und Fahrradfahrer verspritzt wurden.

»Mach deswegen bloß keinen Aufstand, Jimmy«, war die gleichgültig klingende Antwort seines Kollegen, »Langley wird dir die Reinigungskosten bestimmt ersetzen.«

Januar 2010

»Herr Lederer, zuallererst möchte ich Ihnen dafür danken, dass Sie sich so kurzfristig die Zeit für dieses Meeting genommen haben. Wir baten Sie zu uns, weil wir Ihren Rat in einer etwas diffizilen Angelegenheit benötigen.«

Der Sechzigjährige fixierte mit dem scharfen Blick eines hungrigen Adlers den wohl fünfzehn Jahre jüngeren Mann am Ende des Konferenztisches, schien ihn mit seinem Blick geradezu hypnotisieren zu wollen.

Jules Lederer, der Problemlöser aus La Tour-de-Peilz, war für diesen Nachmittag ins Grand Hotel Kempinski nach Genf gebeten worden. Die Einladung an ihn erfolgte über einen Auftragsdienst, der außer dem Ort und dem Zeitpunkt keine weiteren Angaben machte. Wer ihn nach Genf beordert hatte, wusste Jules also nicht. Er ging trotzdem hin. Denn das Auflösen von Geheimnissen war nicht nur Teil seines Berufs, sondern seine große Leidenschaft.

 

Auch der Mann an der Rezeption des Kempinski hatte ihm nichts verraten, schickte ihn bloß hoch zu einer der Bel Horizon Suiten. Hier hatte Jules angeklopft und war sogleich von dem älteren Mann eingelassen worden.

Die Suite war abgedunkelt. Im Vorraum brannte kein Licht. Nur aus einem der angrenzenden Räume drang ein wenig Helligkeit heraus, schuf lange Schattenbilder. Der Ältere hatte Jules in diesen Salon hineingeführt, hieß ihn am Ende des langen Konferenztisches Platz nehmen, im Schein einer Tischlampe, die seine Augen blendeten und zuverlässig verhinderte, dass er erkennen konnte, was links und rechts vom Tisch saß oder stand.

Eine zweite Tischlampe war auf den älteren Mann am Kopfende gerichtet, der ihn an der Tür eingelassen hatte, ließ ihn durch den riesigen Schatten hinter ihm bedrohlich aussehen.

Jules konnte einige männlich geformte und behaarte Hände auf der spärlich ausgeleuchteten Tischplatte erkennen, was auf mindestens ein halbes Dutzend weitere Anwesende schließen ließ.

Bei seinem Eintreten waren flüsternde Stimmen zu hören gewesen. Doch die Gespräche waren längst verstummt. Und so schuf die Dunkelheit mit den tiefen Schatten zusammen mit dem Schweigen eine fast körperlich zu spürende Stimmung einer Verschwörung.

Der ältere Mann am Kopfende des Tisches, war für Jules Lederer durchaus kein Unbekannter. Franz-Xaver Wermelinger, Vorsitzender des Vereins privater Banken, trat regelmäßig mit klugen Kommentaren zur Wirtschaftslage oder zu den Entwicklungen auf dem Schweizer Finanzplatz in den Medien auf. Jules hätte nur zu gern gewusst, wer die übrigen Anwesenden waren.

Direkt zu seiner Rechten trug einer am kleinen Finger der linken Hand einen Ring. Jules erkannte im goldgefassten Lapislazuli das eingravierte Wappen. Es zeigte eine Lilie mit Schwert. De Castell, assoziierte Jules Gehirn, wahrscheinlich der Privatbankier Frédérick de Castell aus La-Chaux-de-Fonds.

Der Mann daneben trug keinen Ring an seinen schlanken, langen Pianistenfingern, ja nicht einmal Manschettenknöpfe oder eine Armbanduhr. Doch seine Handrücken waren mit dichten Büscheln recht langer, tiefschwarzer Haare überwuchert, erinnerten an einen Schimpansen. Falls auch er ein hochrangiger Bankier wie Wermelinger und De Castell war, dann konnte es sich nur um Martin Brechtbühl handeln, CEO der HNB aus Zürich. Brechtbühl galt als Senkrechtstarter auf dem Schweizer Finanzplatz, hatte sich in wenigen Jahren und dank einiger spektakulärer Erfolge in die Herzen der Investoren gedrängt. In seiner kleinen, aber feinen Privatbank wurden ein halbes Dutzend Fonds mit einer Gesamtsumme von über zehn Milliarden Franken verwaltet. Zweihundert handverlesene Ultra-High-Net-Worth Individuals, deren Privatvermögen er sich annahm, ergänzten sein gut laufendes Geschäft, wie man sich erzählte.

»Doch bevor ich auf die Details unserer Besprechung komme, möchte ich von Ihnen die Zusage erhalten, dass Sie absolutes Stillschweigen über den Inhalt dieser Unterredung bewahren werden, egal, ob sie anschließend für uns tätig sein werden oder nicht.«

Die Stimme Wermelingers riss Jules aus seinen kurzen Gedankengängen. Der Problemlöser aus La Tour-de-Peilz trug sein dichtes, dunkelbraunes Haar ein wenig zu lang, so dass sich die Haarspitzen im Nacken auf dem Hemdkragen stülpten. Seine ebenfalls braunen Augen blickten völlig ruhig, zeigten Verlässlichkeit. Die mittelgroße Nase, der recht schmale Mund mit den sinnlichen Lippen, verrieten Beharrlichkeit. Sein ganzes Gesicht war länglich geformt, wirkte darum sehr sportlich, ja fast schon asketisch, da sich seine Wangenknochen leicht unter der gebräunten Haut abzeichneten. Die Mundwinkel hatten sich bei den Worten von Wermelinger zu einem spöttischen Lächeln verzogen, was ihm für einen Moment das Antlitz eines Wolfs verlieh, dynamisch und durchaus anziehend auf der einen Seite, gleichzeitig aber auch höchst bedrohlich wirkend.

»Diskretion ist mein Geschäftsprinzip. Doch das wissen Sie längst, meine Herren, sonst hätten Sie mich wohl kaum hierher bestellt.«

Wermelinger starrte Lederer ein wenig verärgert an, vielleicht weniger über den leichten Spott in seinen Worten als über seinen Gesichtsausdruck. Der Vorsitzende des Vereins privater Banken atmete scharf ein, schien sich eine Erwiderung zurecht zu legen. Doch noch bevor er damit ansetzen konnte, meldete sich eine andere Stimme am Tisch, direkt aus der Dunkelheit heraus.

»Lass gut sein, Franz, und komm doch bitte gleich zur Sache.«

Wermelinger ruckte seinen Kopf unwillig herum, starrte auf den Punkt, wo sich das Gesicht des Sprechers befinden musste, schien die Schwärze mit seinem Blick durchdringen zu können und stumme Zwiesprache mit dem Mann zu halten. Nach zwei Sekunden wandte er sich wieder Jules zu.

»Also gut, Herr Lederer. Kommen wir direkt auf den Punkt zu sprechen, warum wir Sie eingeladen haben. Sie wissen, dass eine unserer Banken in den letzten drei Jahren unter heftigen Anfeindungen durch die amerikanische Administration zu leiden hatte?«

Jules nickte leicht mit dem Kopf.

»Bestimmt wissen Sie auch, dass die amerikanische Steuerverwaltung mit ihrer Drohung eines Strafverfahrens das Ziel verfolgte, unseren Bundesrat zum Aufweichen des Bankkundengeheimnisses zu zwingen und dass die IRS dieses Ziel auch teilweise erreicht hat?«

Wiederum nickte Jules, warf jedoch gleichzeitig ein: »... wobei dies erst durch das jahrelange Fehlverhalten der Bank in tausenden von amerikanischen Steuerfällen möglich wurde.«

Diese Entgegnung trug Jules zwei ärgerliche Grunzer am Tisch ein und auch Franz-Xaver Wermelinger kaute sichtlich an der Klarstellung, wie seine ärgerlich aufblitzenden Augen verrieten.

Aus der Dunkelheit aber schob sich eine weitere Hand auf die spärlich beleuchtete Tischplatte, machte eine beschwichtigende Geste in Richtung des Vorsitzenden. An ihrem Handgelenk saß eine Rolex GMT Master II Ice, wie Jules als Liebhaber und Sammler wertvoller Armbanduhren unschwer erkannte. Das war genau das Uhrenmodell, das sich der ehemalige Präsident der von der Steuersache betroffenen Großbank vor ein paar Jahren gleich im halben Dutzend gekauft hatte. Dies jedenfalls erzählte man sich in der Bankenszene kopfschüttelnd. Wer zum Henker brauchte sechs exakt gleiche Armbanduhren, zum Stückpreis von einer halben Million Franken?

Die Rolex GMT Master II Ice war mit über zweitausend Brillanten besetzt, wie Jules nur zu gut wusste. Ihre fünfundzwanzig Karat an Diamanten fabrizierten selbst im Licht der Tischlampen ein glitzerndes Feuerwerk.

Sieht für eine Herrenuhr doch reichlich schwul aus, lautete das Urteil von Jules über den teuren Chronographen, sie passt wohl eher an das Handgelenk von Elton John, statt an das eines ernsthaften Bankers.

Wermelinger hatte seine scharfe Entgegnung zurückgehalten, räusperte sich bloß laut und vernehmlich, fuhr dann mit einer etwas heiser klingenden Stimme fort. Sie allein verriet, unter welch innerer Anspannung der Vorsitzende des Vereins der privaten Banken stand.

»Lassen wir diesen Teilaspekt vorerst beiseite, Herr Lederer. Die Klärung von Schuldfragen ist nicht unser Anliegen heute. Ich will stattdessen kurz die bekannten Tatsachen aus unserer Sicht zusammenfassen.«

Noch einmal pausierte Wermelinger, schien sich neu zu sammeln.

»Die amerikanischen Behörden haben unter Beteiligung der amerikanischen Regierung und mit Hilfe des US-Parlaments versucht, das Schweizer Bankkundengeheimnis zu demontieren. Dabei bedienten sie sich auch unlauteren, ja kriminellen Mitteln. Nur dank diesen konnten sie einen solch massiven Druck auf die Bank und auf unsere Landesregierung aufbauen, so dass wir letztlich den USA große Zugeständnisse beim Bankkundengeheimnis einräumen mussten. Die hier Versammelten sind eine private Interessengruppe. Wir haben uns zum Ziel gesetzt, den USA für den ungesetzlichen Angriff auf unseren Finanzplatz einen gehörigen Denkzettel zu verpassen. Das ist der Grund für die Einladung an Sie.«

»Und wie stellen Sie sich diesen Denkzettel vor?«

Jules Stimme klang weiterhin ruhig, doch der Spott war gänzlich daraus verschwunden, hatte einem kühlen, geschäftlich-sachlichen Tonfall Platz gemacht, was Wermelinger mit Zufriedenheit registrierte.

»Die hier Versammelten vermuten, dass viele Behörden der USA mit Terroristen, Rebellenorganisationen und Gottesfanatikern zusammenarbeiten. Wir glauben auch, dass der NSA, die CIA und selbst das FBI und das Heimatschutzministerium enge Verbindungen zu Verbrechersyndikaten unterhalten und diese im Kampf um die Macht auf der Erde rücksichtslos einsetzen.«

»Und wie gelangten Sie zu diesen Annahmen?«

Die Frage von Jules war eher rhetorisch und nicht etwa als Widerwort gedacht.

»Nicht nur die USA überwachen die weltweiten Finanzströme. Auch den Banken in der Schweiz fällt eine gewichtige Rolle zu. Gewisse Transaktionen haben einzig den Zweck der Terrorfinanzierung oder der Unterstützung von politischen oder militärischen Umstürzen. Natürlich fehlen uns dafür die letzten, unwiderlegbaren Beweise, um die Verwicklungen der amerikanischen Regierung und ihren Behörden stichhaltig nachzuweisen. Wir besitzen auch kein vollständiges Bild über die Größenordnungen der Transaktionen...«

»...und beides soll ich Ihnen beschaffen?«

Die Frage von Jules klang wie eine Feststellung.

Wermelinger nickte.

»Verstehen Sie, Herr Lederer. Die hier Versammelten möchten in den Besitz unleugbarer und unwiderlegbarer Beweise für die kriminellen und verfassungswidrigen Machenschaften der US-Regierung, ihrer Behörden und Geheimdienste und nicht zuletzt auch von einzelnen Parlamentariern in Senat und Repräsentantenhaus gelangen. Damit meinen wir im besonderen Maße all die Männer und Frauen, die sich in der Vergangenheit mit ganz besonderer Härte gegen die Interessen der Schweiz gewandt haben.«

»Sie meinen, gegen das Schweizer Bankkundengeheimnis und den Finanzplatz, nehme ich an? Wir sollten doch präzise bleiben.«

Der Spott hatte sich in Jules Stimme zurückgemeldet.

»Von mir aus auch das«, winkte Wermelinger ungeduldig ab.

»Wie groß, glauben Sie, sind Ihre Erfolgsaussichten?«, meinte nun Jules lächelnd, »immerhin geht es gegen eine Weltmacht, die mehr als ein Dutzend verschiedener Geheimdienste unterhält und sich das größte Militärbudget aller Nationen leistet.«

Wermelinger schluckte hörbar, so als wenn ihm die Tragweite der Aufgabe erst in diesem Moment wirklich bewusst geworden wäre. Doch seine Stimme zeigte ausgesprochene Härte als er weitersprach.

»Vor vierzig Jahren haben wir die USA bereits einmal in die Knie gezwungen. Diesen Sieg werden wir heute auf einem anderen Gebiet wiederholen. Wir werden dieser verlogenen Nation voller Schaufenster-Moralisten einen gehörigen Schlag versetzen, der sie vor der versammelten Weltöffentlichkeit und für eine sehr lange Zeit bloßstellt und sie so in ihre Schranken weist.«

»Spielen Sie mit dem Sieg vor vierzig Jahren auf den Goldstandard des US-Dollars an und wie er unter der Führung der Gnomen aus Zürich in den 1970er Jahren gebrochen wurde, Herr Wermelinger, worauf der US-Dollar bis zum heutigen Tag immer weiter an Wert verlor?«

»Es waren zum Teil die Väter und Großväter der heute hier Versammelten, die damals die notwendige Weitsicht und die Beharrlichkeit besaßen, um diesen wirtschaftlich so dringenden Wechsel zu erzwingen und damit die damals schon größte Militärmacht auf Erden erstmals zu besiegen.«

Jules Lederer schüttelte ablehnend seinen Kopf.

»Der Großvater gründet das Unternehmen, der Vater baut es weiter aus und der Sohn führt es in den Bankrott«, meinte er dann salopp und wenig respektvoll, was mit weiteren, unwirschen Grunzern und ärgerlichem Gemurmel aus der Dunkelheit quittiert wurde.

Auch der Blick von Wermelinger zeigte nun offenen Zorn.

»Sie sind wohl doch der falsche Mann für diese Aufgabe«, warf er Lederer den Fehdehandschuh hin. Der Vorsitzende des Vereins der privaten Banken war der andauernden Provokation von Jules Lederer leid, »wir werden uns jemand Anderen suchen müssen.«

Doch Jules begann nun entwaffnend jugendlich zu lächeln und entgegnete Wermelinger sanft: »Ich bin schon der Richtige. Doch ich bin kein Depp, meine Herren. Immerhin verlangen Sie von mir, ich soll gegen eine Nation vorgehen, die im Inland genauso wie im Ausland einige zehntausend Agenten beschäftigt, weltweit Spionage betreibt, Krieg verdeckt oder offen führt und, wie Sie selbst zugeben, mit Terroristen und Verbrechersyndikaten eng zusammenarbeitet. Wie groß, glauben Sie, sind da meine Chancen? Ich meine nicht die Chancen auf Erfolg bei der Datenbeschaffung, sondern die Aussichten zu überleben?«

 

Bevor Wermelinger auf diese Frage eingehen konnte, meldete sich dieselbe Stimme, die sich schon zuvor einmal eingeschaltet hatte und die Jules wohlbekannt war, wieder aus der Dunkelheit zu Wort.

»Lass mich bitte antworten, Franz. Ja, Herr Lederer, um genau diese Fragen zu klären, sitzen wir hier zusammen. Wir benötigen Ihren Rat und Ihre Einschätzung, ob eine solche Sache überhaupt machbar ist, wie man dabei vorzugehen hat und wer sie letztendlich für uns durchziehen kann, falls Sie selbst kein Interesse daran haben sollten. Wir sind durchaus nicht naiv, Herr Lederer, ganz bestimmt nicht. Doch wir wollen den USA unter allen Umständen die Maske der verlogenen Moral vom Gesicht reißen. Dafür sind wir bereit, einen entsprechend hohen Betrag auszulegen.«

Jules blickte in Richtung der Stimme, die er vor zwei Jahren auf mehreren Tonbandaufnahmen abgehört hatte. Es war die Stimme des damaligen CEO der Großbank, die durch Selbstverschulden in die Fänge der US-Justiz geriet. Jules wusste, dass dieser Mann und seine Familie damals von der CIA erpresst wurden, so dass er seine Bank durch fehlgeleitete Spekulationen beinahe in den Ruin trieb. Erst die massiven finanziellen Probleme der Bank hatten es den Behörden der USA letztendlich ermöglicht, mit der Drohung einer Strafanzeige wegen Steuervergehen nachhaltigen Druck auf die Schweizer Regierung auszuüben und so die Zugeständnisse beim Bankkundengeheimnis abzupressen. Jules konnte die Wut des Mannes auf die USA und ihre Behörden darum gut verstehen.

»Mit genügend Geld ist in der heutigen Zeit fast alles machbar«, beantwortete Jules die eine Frage des Bankiers, »aber welche Summe möchten Sie zur Finanzierung des Auftrages anlegen? Ich muss den Betrag kennen, um die Chancen für einen Erfolg richtig einschätzen zu können.«

Nicht Wermelinger antwortete ihm diesmal, sondern der Mann mit der strahlenden Rolex am Armgelenk, die er weiterhin wie eine Trophäe auf der Tischplatte liegen hatte und sie beständig funkeln ließ.

»Unser Etat beläuft sich auf fünfzig Millionen Schweizer Franken, Herr Lederer. Doch er kann weiter aufgestockt werden, falls sich dies als erforderlich erweisen sollte. Wie aber müsste man Ihrer Meinung nach ein solches Vorhaben überhaupt angehen und vorantreiben? Wo ansetzen?«

Jules leckte sich kurz über die Lippen und überlegte sich die Antwort gründlich. Dann sprach er nur zögerlich weiter. Jeder im Raum hörte seiner Stimme an, dass er sich seine Worte sehr genau zu Recht legte.

»Fünfzig Millionen werden mit großer Sicherheit ausreichen. Die meisten Menschen sind käuflich, auch Geheimnisträger in hohen Funktionen. Man kann sich Informationen über illegale Tätigkeiten also leicht beschaffen. Doch Sie, meine Herren, möchten stichhaltige, unwiderlegbare Beweise in ihre Hände bekommen. Die kann man nur durch das Sammeln einer ausreichend großen Mengen an Dokumenten und Transaktionen aus unterschiedlichen Quellen erbringen. Für ein solches Unterfangen würde ich mich auf den Off-Shore-Finanzplätzen, zum Beispiel auf den Bermudas oder auf Cayman Island umsehen. Sie dürften als Drehscheiben zum Austauschen und Verschieben illegaler Gelder dienen. Gleichzeitig müsste man auch die Briefkastenfirmen in Delaware und Nevada durchleuchten und auf diese Weise mögliche Verbindungen zwischen den US-Behörden und den Drogenkartellen in Mexiko auf der einen Seite und mit Terrorgruppen in Lateinamerika auf der anderen Seite herausfiltern.«

»Warum Lateinamerika und nicht die arabische Welt mit ihrer Terrorfinanzierung? Wir haben zum Beispiel deutliche Hinweise auf ein Doppelspiel zwischen Teheran und Washington, in dem auch hohe Militärs aus Israel irgendwie eingebunden scheinen. Möglich wäre bestimmt auch das Aufdecken von Beeinflussungen und Bestechungen verschiedener afrikanischer Regierungen und Rebellenorganisationen mit Hilfe von Geld- und Waffengeschenken aus Washington.«

Die Worte von Wermelinger kamen rasch und scharf über seine Lippen. Sie zeigten deutlich, in welche Richtung er und vielleicht auch andere der im Raum Anwesenden vorausgedacht hatten.

»Zwei Gründe sprechen gegen Afrika und gegen die arabische bzw. muslimische Welt.«

Jules Stimme zeigte dieselbe Schärfe und Klarheit.

»Da sind zum einen die riesigen kulturellen, religiösen und sprachlichen Barrieren zu diesen Ländern. Ein Moslem verrät in der Regel nur ungern einen anderen Moslem an einen Christen. Sein Preis wäre entweder ausgesprochen hoch oder er würde andere, nicht-monetäre Vergünstigungen verlangen.«

Was genau er mit nicht-monetäre Vergünstigungen meinte, ließ Jules offen.

»Zum Zweiten ist die Karibik und Mittelamerika fest in den Händen der US-Finanzwirtschaft. Die Behörden der USA können direkten Einfluss auf ihre einheimischen Banken ausüben. Darum werden sie hier mit Sicherheit weit sorgloser operieren als in Afrika oder in der arabischen Welt. Denn diese werden von den europäischen Banken dominiert.«

Wermelinger starrte ihn aus weit aufgerissenen Augenlidern glotzend an, schien nach Gegenargumenten zu suchen. Aber auch die anderen Anwesenden dachten über die Worte von Jules nach.

Der Rolex-tragende ehemalige Präsident der geschädigten Großbank meinte nach einer Weile des Schweigens: »Ja, Ihre Kurzanalyse scheint mir recht zutreffend zu sein, Herr Lederer. Ich denke, ich spreche im Namen aller Anwesenden, wenn ich sage, dass Sie sich mit Ihrer Stellungnahme für die Aufgabe bereits glänzend qualifiziert haben. Doch werden Sie den Auftrag von uns übernehmen?«

Der letzte Satz, so leicht dahingesagt, als wenn es um den Austausch einiger Dichtungsringe in den Armaturen seiner Badewanne ginge, ließ eine fühlbare Spannung im Raum entstehen, ein beinah hörbares Lauern der Männer im Dunkeln.

»Ich werde Herrn Wermelinger meine Kontoverbindung mitteilen. Sobald die erste Tranche der fünfzig Millionen Franken darauf eingetroffen ist, starte ich das Projekt.«

*

»Auf ein privates Wort, Herr Lederer«, meldete sich noch einmal die Stimme aus der Dunkelheit, die Jules längst als diejenige von Franz Waffel, dem ehemaligen CEO der erpressten Bank identifiziert hatte.

»Ja?«

Jules drehte seinen Kopf in Richtung des Sprechers.

»Ich und meine Familie wurden vor einigen Jahren von der CIA erpresst. Irgendjemand muss dies herausgefunden und einen Lauschangriff auf mein privates Wohnhaus angeordnet haben. Später hat mich diese Person sogar erpresst.«

»Ja?«

»Ich möchte, dass Sie für mich herausfinden, um welche Person es sich beim Erpresser handelt.«

Jules schwieg kurz und überlegte, wie er auf diese im Grunde genommen recht spaßige Bitte reagieren sollte. Immerhin war er es selbst gewesen, der die Anbringung der Wanzen in der Villa des ehemaligen CEO angeordnet hatte und später die Kosten der Überwachung bei Waffel selbst einfordern ließ. Doch an Stelle einer flachsigen oder gar spöttischen Bemerkung meinte Jules völlig sachlich: »Wie oft wurden Sie denn bislang erpresst?«

»Einmal«, kam nach kurzem Zögern die Antwort.

»Und um welchen Betrag ging es dabei, wenn ich Fragen darf?«

»Vierhundert tausend Dollar.«

»Und wann genau fand diese Erpressung statt?«

»Etwa vor eineinhalb Jahren.«

Jules wartete zwei Sekunden ab, bevor er weiterfuhr.

»Dann war es wohl keine richtige Erpressung, sondern bloß das Eintreiben von Auslagen. Der Betrag ist im Grunde genommen lächerlich gering, gemessen an Ihren damaligen Einkünften oder Ihrem heutigen Vermögen. Und wenn seitdem keine weiteren Forderungen bei Ihnen eingetroffen sind, dann haben Sie es überstanden und werden wohl auch in Zukunft in Ruhe gelassen.«

»Ich möchte trotzdem wissen, wer dieser Kerl war«, beharrte der ehemalige Bankdirektor auf seine Bitte, »immerhin hat er durch das Abhören meiner Telefonate die Privatsphäre meiner gesamten Familie auf das Gröbste verletzt.«

Die Mundwinkel in Jules Gesicht verhärteten sich. Gleichzeitig strahlten seine Augen eine plötzliche Kälte aus, die jeden Zweifel an der Kompromisslosigkeit nach einer Entscheidung ausräumte.

»Herr Waffel, ich weiß, welche Rolle Sie beim Angriff der Amerikaner auf Ihren ehemaligen Arbeitgeber gespielt haben. Ich weiß ebenfalls, wer die vierhundert tausend Dollar von Ihnen später einfordern ließ. Ich könnte Ihnen also seinen Namen heute nennen. Doch das würde nichts an den Tatsachen ändern. Sie haben Ihren damaligen Arbeitgeber direkt ans Messer der Amerikaner geliefert, Sie und vielleicht auch Ihr Vorgesetzter«, damit drehte Jules sein Gesicht bewusst auf die andere Seite des Tisches, blickte direkt in die Richtung des Mannes mit der funkelnden Rolex GMT am Handgelenk. Der Angesprochene schien sich ertappt, zog seine zuvor so lässig auf dem Tischblatt abgelegte linke Hand zurück, verbarg sie in der Dunkelheit.