Loe raamatut: «ENGELSMÖRDER», lehekülg 3

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Donnerstag, 9. Oktober

Holz saß bereits seit drei Stunden in Präsidium, als gegen zehn Uhr sein Telefon einen externen Anruf anzeigte.

„Guten Morgen Herr Kommissar Holz. Ich bin Ursula Ulme.“ Holz erschrak und er merkte, wie sein Blutdruck nach oben schoss. „Aber eine andere Ursula Ulme. Keine Angst. Ich bin nicht tot. Ihr Kollege hat mich direkt zu Ihnen durchgestellt, da er wusste, worum es geht.“

Holz war irritiert.

„Woher kannten Sie den Namen des Opfers? In der Presse und den Fahndungsblättern wird dieser nicht erwähnt.“ Ursula Ulme lachte. „Wenn ich Ihnen gleich den Hintergrund erzähle, wissen Sie, woher ich ihn kannte.“ Holz antwortete in typischem Berliner Dialekt. „Na, denn schießen Sie mal los.“

„Ich habe vorhin in der Berliner Morgenpost von dem schrecklichen Mord am Lietzensee gelesen und ich glaube, ich könnte Ihnen vielleicht weiterhelfen. Gestern morgen klingelte ein gut aussehender, etwas muskulöser Mann mit wunderschönen blauen Augen und dicken Lippen bei mir an der Haustüre in Kreuzberg. Er suche seine alte Freundin Ursula Ulme. Es gebe in Berlin laut seinen Recherchen nur drei Stück und eine davon sei ich. Er war ziemlich enttäuscht, als er sah, dass ich nicht seine Ursula war. Aber unabhängig davon fanden wir uns auf Anhieb sehr sympathisch. Obwohl wir uns nicht kannten, ließ ich ihn auch ohne Widerstand seinerseits in meine Wohnung hinein. Wissen Sie, ich habe da noch Erfahrung aus meiner Vergangenheit als Escort Girl und anderen gleichwertigen Berufungen. Diese Männer erzählen einem beim ersten Kennenlernen direkt so viele Dinge, um ihre anfängliche Schüchternheit zu bewältigen, bevor es dann losgehen kann. Wir sind wie Friseusen, oder wie man heute sagt, „Hair-Stylistinnen“. Wir wissen alles, dürfen es aber keinem sagen. Er sagte mir, dass er normal auf blonde Damen stehen würde. Ich bin im Moment eindeutig dunkelhaarig, falle also eigentlich gar nicht in sein Beuteschema. Außerdem wären ihm meine Füße zu groß. Wir verbrachten intensive Stunden zusammen auf meinem Sofa. Danach zog er sich wieder an, bedankte sich und stieg in die Bahn, da er noch nach Charlottenburg musste, um die andere Ursula Ulme zu suchen. Und jetzt ist in Charlottenburg eine Dame ermordet worden, zu der das gesamte Umfeld passt. Für mich kann es sich nur um die von ihm erwähnte Ursula Ulme handeln. Hatte ich selbst da eventuell Glück?“

„Das kann ich Ihnen nicht direkt sagen Frau Ulme, aber es sieht so aus, dass Sie nicht in sein Raster reingepasst haben. Seien Sie froh. Sonst hätte es anders enden können. Teilen Sie mir bitte Ihre Adresse mit. Ich werde sofort einen Durchsuchungsbeschluss anfordern. Die Spurensicherung wird bei Ihnen vorbeikommen. Verlassen Sie am besten Ihre Wohnung und warten vor dem Haus, damit nicht noch mehr Spuren beseitigt werden.“

Frau Ulme zögerte zunächst und zweifelte an, ob dieses wirklich notwendig sei, da sie ja den Überfall mit angenehmen Nebentätigkeiten überlebt habe. Allerdings wusste sie, dass sie nach ihrem Anruf mit so etwas rechnen musste. „Ich fühle mich mit der Polizei zwar nicht sehr positiv verbunden, Herr Hauptkommissar, aber ich bin mir der Wichtigkeit bewusst und werde Sie in meine Wohnung lassen.“ Holz fügte mit deutlich lauterem Tonfall hinzu, dass sie danach noch zum Polizeipräsidium zur Täterbeschreibung und zum Erstellen eines Phantombildes vorbeikommen müsse. Er selbst ließ sich allerdings für diese um zwei Uhr geplante Täterbeschreibung von einem Kollegen vertreten. Die Beschreibung vor Ort, so stellte sich später heraus, stimmte genau mit ihrer damaligen telefonischen überein. Holz fuhr zügig zu Ursulas Adresse, um sich ein eigenes Bild zu machen. Da die Parkplatzsituation in dieser Ecke sehr schlecht war, stellte er seinen Wagen mit Warnblinkern direkt quer auf den Bürgersteig vor den Hauseingang. Die Haustüre zu ihrer Wohnung stand offen und die Spurensicherung war beeindruckt davon, was sie so alles finden konnte. Das Sofa entpuppte sich als große Liebes-Liegewiese.

“Guten Tag Frau Ulme. Na, dann erzählen Sie mal, was Sie so alles mit dem Mann gemacht haben, haha. Scherz bei Seite.“

Ursula Ulme konnte nicht verstehen, was an dieser normalsten Sache der Welt so besonders lustig sein sollte. Holz kam ihr diesbezüglich ziemlich unentspannt, ja geradezu spießig vor.

„Was man so macht, Herr Kommissar, wenn man scharf aufeinander ist. Mein Besucher riss sich sein perfekt sitzendes Hemd vom Oberkörper und alles andere bis auf die Socken natürlich auch. Wir spielten zunächst ein psychisch und körperlich gewünschtes Rollenspiel, und hatten danach intensiven Sex miteinander.

Unterhalten haben wir uns danach auch noch.“

Holz dachte kurz nach und stellte fest, dass dieses extreme sexuelle Handeln nicht unbedingt in das Raster des Mörders passte. Seine Opfer wurden zwar grausam getötet, allerdings hatte er sie bisher nie sexuell missbraucht. Seiner Meinung nach war es nicht ein perverser und dekadenter Mörder.

„Um was für Rollenspiele handelte es sich genau?“ Ursula Ulme zögerte.

„Die genaue Praxis werde ich Ihnen ersparen. Ich kann Ihnen aber sagen, dass ich die dominante Herrin über ihn war. Er war mir unterwürfig und ich habe in meinem Rollenspiel genossen, ihn zu erniedrigen und zu demütigen. Er selbst liebte deutlich erkennbar die physische, aber auch psychische Dominanz. Nach Beendigung des Spiels haben wir uns trotzdem gesagt, wie sehr wir uns lieben. Ich selbst weiß oft nach solchen Rollen nicht mehr, ob es stimmt und man seinen Sklaven eventuell wirklich liebt. Das Gehirn ist zu dem Zeitpunkt nicht auf Rationalität eingestellt. Auf jeden Fall schworen wir uns ewige Treue und Liebe.“ Holz konnte sich Ursula so richtig bildlich als Domina vorstellen. Ihre rauchige Stimme trug mit Sicherheit dazu bei.

„Ich hatte das Gefühl, dass es sich trotzdem um einen gebildeten, kultivierten Mann handelte, der eine unterwürfige Neigung hatte. Während unseres lockeren Gesprächs auf dem Sofa ging es hauptsächlich um Sexpraktiken. Er holte eine kleinere Schnapsflasche aus seinem Mantel heraus und trank sie mit einem Zug leer. Ich bilde mir ein, dass er auch schon bei seiner Ankunft nach Alkohol roch.“

„Was fiel Ihnen besonders an ihm auf?“

„Er nannte mich, wie immer „Engel“.“

„Wie immer?“ fragte Holz irritiert.

Ulme zündete sich hektisch eine Zigarette an. „Mit immer meinte ich sein Verhalten an diesem Tag. Er nannte mich die ganzen Stunden so.“

Holz merkte eine plötzliche innere Unruhe bei ihr. „Er hatte sogar ein Kondom in seiner Hose. Als er dieses hektisch aus der Hosentasche rausriss, fiel mir auf, dass ein kleiner süßer Erzgebirgsengel mit einem Gebäckstück in der Hand herausfiel. Er sagte mir im Liebesrausch, dass er außer diesem Engel noch drei weitere Engel habe. Einen mit einer Weinflasche in der Hand, einen mit einer goldenen Feder und goldenem Buch in der Hand, sowie ein Engelspärchen mit Trennwand. Und einen Piloten-Räuchermann in einem Holzflugzeug. Engel könnten fliegen, sagte er, aber auch sehr grausam sein. Aber diese könnte man trotzdem lieben. Wenn sie sich dann auf bestimmten Regionen der Erde niederließen, müsste man darauf achten, dass ihnen nichts passiert.“

Holz entnahm diesen Äußerungen, dass es sich neben einem sexsüchtigen Sklaven und einem tendenzmäßigen Alkoholiker auch noch um einen psychischen Sonderfall handeln musste. Aber das war der Zuständigkeitsbereich seiner Kollegen der Polizeipsychologie, die ihn nach der hoffentlich zeitnahen Festnahme analysieren müssten. Dieses Gefasel kam Holz merkwürdig vor. Die Gedankenpause von Holz wurde durch die erneute Ansprache von Ulme unterbrochen. „Außerdem würde er auf Leder stehen, weshalb er während unseres Schäferstündchens seine alten Lederhandschuhe trug. Vor unserer Verabschiedung bat er mich noch etwas mit Leder anzuziehen, damit er sich sein Leben lang an diese wundervollen Stunden erinnern dürfte. Selbst das Kondom zog er mit den widerlichen Lederhandschuhen über. Das zeugte schon von einer gewissen Routine. Das mache ihn noch mal besonders an. Die Handschuhe selbst waren bereits ziemlich abgeschürft und voller alter und frischer Flecken, was ich wirklich eklig fand, aber er wollte es so. Die Zeit, die er bei mir war, verging wie im Fluge. Er hatte ein Tattoo mit breiteren Streifen in der Höhe seines Halses. Etwas daneben einen Totenkopf, aber das haben ja viele solcher durchgeknallten Typen, die bei mir sind. Wir verabschiedeten uns mit den Worten, dass es schön war und man sich im Leben ja immer zweimal sieht.“

„Danke Frau Ulme. Wissen Sie, wo Ihr Kunde gearbeitet hat, oder was er sonst nebenbei gemacht hat?“

Ulme öffnete ihre mit pinkfarbenen Flamingos bedruckte Handtasche und holte sich ihr Benzinfeuerzeug mit Revolveremblem heraus. Sie entnahm den letzten Filter-Zigarillo aus einer Metallschachtel und zündete ihn mit dem Feuerzeug an. Statt Holz direkt zu antworten zog sie zunächst provokativ lange und voller Genuss am Filter. Ihre knallrot lackierten Fingernägel leuchteten durch die Rauchwolke des Zigarillos hindurch. „Lieber Kommissar Holz, ich habe in meinem Job durchaus andere Dinge zu vollziehen, als meine Klienten zu fragen, was sie beruflich machen, oder was sie außer der Treffen mit mir in ihrer Freizeit unternehmen. Meinen Sie, es interessiert mich, ob einer nach unserem Liebesspiel noch mit seinem Hund Gassi geht? Bei meiner Arbeit wird so gut wie nie gesprochen. Es handelt sich dabei eher um ein richtiges Pantomimenspiel. Man muss keine Sprache benutzen. Jeder hat seine Rolle und ist sich derer bewusst. Geredet wird dabei nicht. Was ich damit sagen möchte, ist, dass ich weder weiß, was er beruflich noch privat macht. Vielleicht besitzt er ja einen Großhandel für Likör oder Ähnliches.“ Ulme lachte laut los, bis sie von ihrem typischen Raucherhusten gestoppt wurde.

„Ich verstehe“, sagte Holz. „Sie meinten, dass er Ihnen am Hauseingang mitteilte, dass die tote Ursula Ulme eine alte Freundin von ihm gewesen sei. Hat er Ihnen darüber vielleicht nicht doch noch etwas erzählt?“

Ulme reagierte entnervt. „Können Sie sich nicht mehr daran erinnern, was ich Ihnen gerade eben gesagt habe? Ich weiß sonst gar nichts. Sie können mir gerne weitere Fragen stellen, aber diese werden alle ohne Antwort bleiben.“

Holz war die Enttäuschung anzusehen. Er war sich nicht ganz sicher, ob sie ihm auch wirklich die Wahrheit sagte. „Wir nehmen diese neuen Angaben von Ihnen heute nach Ihrer separaten Aussage der Details noch einmal gegen fünf Uhr im Präsidium auf. Selbstverständlich haben wir sie schon hier aufgezeichnet und notiert, aber ein Besuch im Präsidium ist unumgänglich.“

Einige Zeit später wartete Holz auf die Ergebnisse der parallel durchgeführten Durchsuchung.

“Hereinspaziert lieber Kollege. Was konnten Sie bei der KTU herausfinden?“

„Mehr als Sie vielleicht dachten. Wir haben nun noch seine Spermaspuren, seine Speichelspuren und natürlich die üblichen anderen Infos wie Haare und Hautschuppen. Diese sind absolut identisch mit denen aus Freiberg.“

„Spermaspuren? Handelte es sich bei diesem Mord doch um ein Sexualdelikt? Wurde das Opfer missbraucht?“

„Nein. Der Tod dieser Dame scheint ihn so erregt zu haben, dass er neben ihrem Körper und teilweise noch auf demselben seine dementsprechenden persönlichen Spuren hinterließ. Interessant ist noch, dass im Blut der Toten ein Schlafmittel und Alkohol nachgewiesen werden konnten. Auch hierbei handelt es sich um dieselben Mittel wie in Freiberg. Die beiden Tattoos am Oberkörper sind uns ja bereits bekannt.“

„Danke Ihnen. Es handelt sich also bei beiden Morden um denselben Täter.“

Holz musste diese Erkenntnisse in Kürze seinem Freiberger Kollegen Voigt mitteilen. Zuvor jedoch lief er zügigen Schrittes im Treppenhaus in den vierten Stock.

Ursula Ulme saß bereits rauchend auf der langen Bank im Gang und wartete auf ihn.

„Ihnen ist bewusst, dass in öffentlichen Gebäuden nicht geraucht werden darf?“

Sie zog erneut an ihrem Zigarillo und blies den Qualm demonstrativ in Richtung der gegenüberliegenden Wand, an der ein Fahndungsblatt hing. Beide gingen in den nächstliegenden Raum, in dem Holz, zusammen mit einer Kollegin, die Täterbeschreibung und das Phantombild erstellten. Außer der bereits bekannten Informationen ergaben sich keine weiteren Neuigkeiten. Ein Messer habe sie nicht gesehen, da er eine Art Aktentasche mit sich trug.

„Was hat er mit der Aktentasche gemacht? Sie könnte ein wichtiges Beweisstück für uns sein.“

„Die hat er, als er unten im Innenhof zur Ausgangstüre ging, in den Container geworfen. Das habe ich noch beim Herunterschauen vom Balkon gesehen. Da jetzt mit Sicherheit Ihre Frage kommt, wann er geleert wird, muss ich Ihnen leider die enttäuschende Antwort geben: gestern.“

Holz war wütend. „Was ist Ihnen noch Besonderes aufgefallen?“

„Mir fiel auf, dass er sich beim Anblick meiner Messer in der Küche auf den Boden schmiss und schrie.“

Holz war erneut bewusst, dass es sich um einen extremen Psychopathen handeln musste. Lediglich Fingerabdrücke hatten sie noch keine. Sämtliche persönlichen Daten der lebenden Frau Ulme wurden aus Sicherheitsgründen auch gespeichert. Lieber zu viele Informationen als zu wenige, dachte sich Holz, als er zurück in sein Büro lief. Seine Hand griff gerade zum Telefon, als ein interner Anruf ertönte. Es war erneut sein Kollege der KTU.

„Fast hätte ich es vergessen. Frau Ulme hatte in ihrem Domina-Schrank, der mit diversen Utensilien gefüllt war, auch ein Engelskostüm.“

Holz war von den ganzen Informationen von Ursula sowie von denen der KTU erschlagen. Er war sich sicher, dass das Engelskostüm in diesen Fällen eine nicht untergeordnete Rolle gespielt haben dürfte. Allerdings kannte Ursula Ulme ihn vorher nicht. Holz war verzweifelt. Er grübelte, wo sie den Täter finden könnten. Trotz der vielen Details tappten sie noch absolut im Dunkeln. Holz war sich sicher, dass demnächst wieder ein Mord passieren würde. Es war nur eine Frage der Zeit, wann und wo er zuschlagen würde. Ein psychisch labiler Mann mit Alkoholproblemen, einem Messer bewaffnet und Holzengeln in der Tasche. Was für eine perverse Mischung. Voraussichtlich dürfte es sich bei dem nächsten Opfer um eine Frau handeln, die etwas mit Wein zu tun hat, dann einer anderen die schreibt, einer weiteren, die eventuell auf Weltreise geht, und einer, die aus Liebe ermordet wird. Oder vielleicht sollte das nächste Opfer sogar ein Mann sein? Alles viel zu weitgefächerte Optionen, die man trotz sehr kreativer Fantasie so gut wie nicht voraussagen konnte. Was hatten die vier Tattoo- Streifen und der Totenkopf damit zu tun? Handelte es sich dabei nur um Bilder, die der Täter schön fand, oder hatten sie einen tieferen Hintergrund? Wie hingen die Engel damit zusammen? Wer gehörte zur Zielgruppe des Mörders? Warum ein Kriegsmesser? Warum bisher diese beiden Frauen? Holz wusste, dass es sich bei den beiden Morden um denselben Täter handeln musste, der jedes Mal dasselbe Ritual zu vollziehen schien. Bestätigt wurde seine Vermutung zudem durch die übereinstimmenden Daten. Kannten sich die Opfer? Aber wo und wie könnten sie ihn überführen? Verzweifelt gab er persönlich die noch fehlenden Täterinformationen in das Datenanalysesystem ein, als kurz danach sein Telefon klingelte. Es war Kommissar Voigt aus Freiberg.

„Hallo Herr Kollege Holz. Sie haben ja, wie ich gerade eben zufällig sehen konnte, noch äußerst wertvolle Informationen über den Täter herausfinden können.“ „Guten Abend Herr Kollege Voigt. Sie sind mir zuvorgekommen. Ich wollte Sie auch noch als krönenden Abschluss dieses Tages kontaktieren. Zunächst einmal ist es perfekt, dass Sie sich die frisch eingegebenen Daten bereits angeschaut haben. Wie Sie wissen, sind unsere beiden Opfer in Sachsen und in Berlin von demselben Mann ermordet worden. In Kürze dürfte er erneut zuschlagen, und das beunruhigt mich und mit Sicherheit auch Sie sehr. Meine Hoffnung beruht darauf, dass ihn jemand anhand der Fahndungsblätter erkennt und wir ihn noch vor einer weiteren Tat überführen können.“

„Ich werde auch weiterhin hier in Freiberg nach wichtigen Spuren suchen, sodass wir den Mörder zusammen überführen werden. Zusammen sind wir stark. Wir bleiben in ständigem Kontakt, lieber Kollege Holz. Meine Recherchen laufen in vollem Gange, allerdings bisher leider ohne nennenswerten Erfolg. „Nabend“ wie man bei uns auf Sächsisch sagt, auf gut Deutsch, „Guten Abend.“

„Dit is pyramidabel“, wie man bei uns in Berlin sagt, also „das ist großartig“, antwortete Holz und bedankte sich.

Müde und etwas hoffnungslos fuhr er durch das erleuchtete Berlin nach Hause.

Freitag, 10. Oktober

Freiburg, Hauptstadt im Schwarzwald, bekannt durch seine „Bächle“ und das Freiburger Münster. Umgeben von einer traumhaften Natur. Man könnte meinen, dass in dieser Idylle die Welt noch in Ordnung sei. Leider wurde diese Vorstellung einer perfekten und harmlosen Umgebung in der letzten Zeit schon häufiger zerstört. Diese Erfahrung musste nun auch Marathon Läuferin Petra Reichenbach in den Weinbergen des nah gelegenen Glottertals machen. Es war erst der Start ihrer beliebten Laufstrecke hinauf zum 1241 Meter hohen Kandel, als ihr in den Weinbergen einfiel, dass sie nach Verlassen ihres Hauses vor lauter Hektik vergessen hatte, den Wasservorrat ihres Rucksacks aufzufüllen. Sie wusste aber, dass es nach zwei weiteren Umrundungen direkt an einer Weinhütte, eine beliebte Brunnenquelle gab, die gutes Trinkwasser hatte. Beim Aufdrehen des Hahns bemerkte sie, dass etwas in die Öffnung gesteckt wurde. Es war ein gerollter, in Plastik verpackter Zettel. Als sie ihn herauszog, öffnete, ausrollte, und las fingen ihre durchtrainierten muskulösen Beine an zu zittern. Nervös zog sie ihr Handy aus der Tasche und rief die Polizei in Freiburg an.

„Hier Petra Reichenbach aus dem Glottertal. Ich habe soeben in einer Quelle in den Glottertäler Weinreben beim Joggen, in dem Hahn einer Quelle einen Zettel gefunden und gelesen. Auf diesem steht „Ich, der Engelsmörder, bin überall und stehe vielleicht gleich auch schon hinter Dir. Also pass gut auf, denn sonst bist Du bald das dritte Opfer.“

Petra hatte erst gestern in der Badischen Zeitung von den beiden Mordfällen des Engelsmörders in Freiberg und Berlin gelesen und auch den Hinweis der Polizei, alle möglichen Informationen bundesweit mitzuteilen. Das Phantombild und einige wichtige Hinweise waren darin groß abgebildet. Allerdings hätte sie nie gedacht, dass er sich irgendwann im Hoch-Schwarzwald aufhalten würde.

„Guten Tag hier Mordkommission Freiburg, Hauptkommissar Geigele. Wo genau sind Sie? Wir kommen sofort vorbei, um Spuren zu sichern und Beweise wie den Zettel sicherzustellen. Bleiben Sie am besten die ganze Zeit am Apparat, damit Sie eine gewisse Sicherheit haben.“

Petra Reichenbach setzte sich etwas versteckt in eine Reihe der alten, abgeernteten, aber noch mit großen, rötlich gefärbten Weinblättern bewachsenen Rebstöcke. „Ich befinde mich am Ende des Weinlehrpfades in den Reben.“

Die Zeit bis zur Ankunft der Polizei kam ihr ewig vor. Die Spurensicherung suchte das gesamte Terrain ab und stellte einige Proben sicher. Geigele nahm die Daten von Petra Reichenbach auf und übergab ihr seine Visitenkarte. Sie versprach ihm, jederzeit mobil erreichbar zu sein. Auf dem Weg zum Polizeipräsidium merkte er, wie sehr ihn diese Mitteilung in innere Unruhe versetzte. Die Untersuchungen der KTU hatten oberste Priorität und die Kollegen arbeiteten unter Hochdruck an den Ergebnissen. Allein der Gedanke, dass sich der Engelsmörder in seiner Region aufzuhalten schien, war für ihn unerträglich.

Die KTU Untersuchungen des Zettels und der entnommenen Proben aus dem Erdreich sowie die Fußabdrücke am Fundort ergaben, dass es sich nicht um den Serienmörder handeln konnte. Die Daten waren eindeutig einer Frau zuzuschreiben, wie man auch den Urinspuren hinter dem Brunnen entnehmen konnte. Es musste sich um eine Person handeln, die durch eine Art Mitläufereffekt für Aufmerksamkeit sorgen wollte. Die Vermutung, dass es sich um eine ganz bestimmte Patientin der nahe liegenden psychiatrischen Klinik handeln könnte, wurde nach dem parallel durchgeführten Verhör und der über sie zur Verfügung stehenden Daten verworfen. Diese hätte laut Klinikleitung die einzige Person sein können, zu der diese Art von psychologischem Verhalten gepasst hätte. Fest stand, dass die „Mitläuferin“ schwarze Haare hatte. Nach vorheriger Abnahme der Fingerabdrücke von Frau Reichenbach, wurden die Fingerabdrücke vom Zettel und der Plastikverpackung, in der er steckte, genommen. Hinzu kamen noch Faserspuren von Leder, also einer Lederjacke oder Lederhose. Kommissar Geigele beschloss nach Durchsicht der Datenbank, seine beiden Kollegen in Freiberg und Berlin im Rahmen einer Videokonferenz zu kontaktieren, um potenzielle Fehler bei der Tätersuche zu vermeiden.

„Schönen guten Tag Herr Kommissar Voigt und Herr Kommissar Holz. Wie Sie der soeben bei Ihnen eingegangenen Eilmeldung entnehmen konnten, könnte mit einer sehr großen Wahrscheinlichkeit der nächste Mord des Engelsmörders in unserer Freiburger Region geschehen. Wir wissen zwar, dass der Zettel nicht von ihm, sondern von einer Frau geschrieben und verteilt wurde, allerdings liegt es nahe, dass ein zukünftiger Mord trotzdem hier stattfinden könnte. Einer der von Ihnen, Herr Kommissar Voigt, in das System eingegebenen, in Freiberg gekauften Engel, hielt eine Weinflasche in der Hand. Hier um Freiburg herum ist eine sehr große und gute Weinregion.“

„Das ist doch ziemlich bei den Haaren herbei gezogen lieber Herr Kollege Geigele“ erwiderte Voigt energisch.

Es gibt so viele Weinregionen in Deutschland. Meine Zeugin Elisabeth Winkler sagte mir damals, dass er andeutungsweise Hessisch sprach. Es könnte also genauso gut sein, dass er jemanden im Weingebiet an der hessischen Bergstraße tötet.“ Voigt lachte leicht genervt. Man sah auf dem Monitor, wie sich seine Gesichtsfarbe von blass in Rot änderte.

Kommissar Holz aus Berlin glättete die angeheizte Stimmung. „Fakten, Fakten, Fakten. Das ist wichtig. Das nächste Opfer wird blond sein, es wird weiblich sein, und der Täter kannte es schon vorher ziemlich gut. Sie wird etwas mit Wein zu tun haben, sei es als Verkäuferin oder als Eigentümerin eines Weinguts oder Weinladens. Er wird überrascht tun, sie zu sehen, er wird mit ihr essen und trinken gehen, ihr das Schlafmittel per Flüssigkeit geben und sie dann nach dem Einschlafen voraussichtlich an der Stelle töten, an der sie einschlief. Und zwar mit dem alten Piloten-Messer durch drei gezielte Stiche in den Hals. Dann wird er ihr den Erzgebirgs-Engel mit der Weinflasche in der Hand in den blutigen Hals legen und eventuell eine erneute Botschaft als gerollten Zettel in den Mund schieben. Wir können jetzt unter anderem nur darauf hoffen, dass die in der Presse abgebildeten und in den öffentlichen Gebäuden hängenden Phantombilder und Angaben ausreichen, um ihn vor einer neuen Tat zu überführen. Jetzt im Herbst sind zum Beispiel immer noch so viele Weinfeste, dass die Wahrscheinlichkeit, ihn irgendwo dort zu überführen, sehr gering ist.“

Alle drei Kommissare verabschiedeten sich mit dem Ziel, die Fälle weiterhin mit größter Intensität in der Hoffnung zu bearbeiten, kein weiteres Opfer mehr registrieren zu müssen.

Kommissar Geigele fuhr nach dem Gespräch direkt zum Flughafen, um seine Frau vom einwöchigen Urlaub auf Lanzarote abzuholen. Eigentlich hätte er am Liebsten einen Bekannten geschickt, da ihm die beiden Mordfälle innerlich keine Ruhe ließen. Allein der Gedanke, dass jede Sekunde eine neue Person voraussichtlich auch noch in seiner Region ermordet werden könnte, kostete ihn zahlreiche Nerven. An Schlaf in den nächsten Nächten Tagen dürfte kaum zu denken sein. Alles was wir bisher haben, grübelte er, ist zwar schon viel, aber eigentlich wieder nichts, das uns besonders gut in diesen Fällen weiterhelfen könnte. Geigele fuhr zum Flughafen und sah, dass der Flieger seiner Frau zwanzig Minuten Verspätung hatte. Er setzte sich fast meditierend auf eine Bank im Ankunfts-Terminal und schaute in die Menge, als ihm beim Vorbeigehen einer Fluglinien-Crew plötzlich ein Gedankenblitz in den Kopf schoss. Die beschriebenen Streifen, die der Mörder als Tattoo hatte, sahen mit etwas Fantasie aus wie die Kapitänsstreifen auf einer Pilotenuniform. Könnte er eventuell auf dieser Erkenntnis weiter aufbauen? Seine Frau kam aus dem Ankunfts-Terminal heraus und umarmte ihn. Das Interesse von Geigele jedoch konzentrierte sich erneut auf eine weitere Crew, die an ihnen vorbeilief.

„Hallo mein Schatz. Freust Du Dich denn überhaupt nicht, dass ich wieder zurück bin? Du machst so einen weggetretenen Eindruck.“

„Doch doch, natürlich freue ich mich sehr. Ich hatte nur gerade eben so eine Art „Eingebung“ im Rahmen der Ermittlung eines Falles mit einem Serienmörder. Schatz, ich werde Dich jetzt zu Hause absetzen, allerdings danach gleich weiter ins Präsidium fahren, um dort noch wichtige Details zu klären. So zu sagen, um aus diversen Glasscherben ein Mosaik zusammenzusetzen.“ Geigele fuhr seine sonnengebräunte und entspannte Frau ohne Tempolimit nach Hause und verabschiedete sich hektisch mit einem Kuss von ihr.

Im Präsidium fixierte er seine Arme neben einer großen Teetasse aufgestützt, die vorbeifahrenden Autos der nahe liegenden Schnellstraße. Seinen Gedanken ließ er dabei freien Lauf. Deutete bisher in den Fällen weiteres auf den Bereich des Luftverkehrs hin? „Natürlich“ dachte Geigele sich. Die Tote in Berlin hatte laut System ebenfalls ein Tattoo mit einem Flugzeug auf dem Rücken. War der Mörder ein Pilot und was hatte das Flugzeug auf dem Rücken der Toten damit zu tun? Bei dem Opfer in Freiberg kaufte der Mörder einen Piloten als Räuchermännchen. Alles ziemlich herbeigesponnene Dinge, aber weitere Recherchen diesbezüglich könnten mit Sicherheit Fortschritte bringen. Vorausgesetzt, es sollte sich bei dem Streifen-Tattoo wirklich um Kapitäns-Streifen handeln. Fantasie hatte in seinem Beruf schon bei so manchen Fällen zum Ergebnis geführt. Geigele behielt diese Gedanken zunächst für sich, um von seinen anderen Kollegen nicht ausgelacht zu werden.

Unkonzentriert fuhr er nach Hause zu seiner Frau, die bereits voller Ungeduld auf ihn wartete.

„Schatz“, sagte er fast euphorisch. „Lass uns etwas essen gehen. So hast Du keine Arbeit, und ich komme hoffentlich auf andere Gedanken. Außerdem können wir uns dann auch endlich in Ruhe über Deinen Urlaub unterhalten.“

Ohne zu zögern liefen beide Arm in Arm zu ihrem Lieblings-Italiener und genossen den gemeinsamen Abend in der wunderschönen Freiburger Altstadt.

Tasuta katkend on lõppenud.

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