Loe raamatut: «Schöne Heimat»
SCHÖNE HEIMAT
Traditionelle Küche wiederentdeckt
und neu interpretiert
für Charlie
und für Madru, Leo, Cosi,
Lucy und Brenda,
ihre Generation und alle, die kommen
von Kit Schulte
Fotos von Nora Novak
Illustration von Claire Cook
INHALTSVERZEICHNIS
ÜBER DIESES BUCH
VORWORT
WIE ICH ZUM FOODIE WURDE
WAS IST ÜBERHAUPT DEUTSCHES ESSEN?
DER SÜDEN
DER NORDEN
DER MITTLERE WESTEN
DER OSTEN
BERLINER KÜCHE
WILDES
ÜBERS SAMMELN UND ESSEN VON WILDPFLANZEN
BLÜTEN VON BÄUMEN UND STRÄUCHERN DAS SAMMELN VON WILDPFLANZEN
FLIEDERBLÜTEN
FICHTEN- UND TANNENSPROSSEN
HOLUNDERBLÜTEN
LINDENBLÜTEN
HOPFENSPROSSEN
MAHONIENBEERE
ROSENBLÜTEN
HAGEBUTTE
SCHLEHE
WILDKRÄUTERSALAT
WILDKRÄUTER-PESTO
LÖWENZAHNBLÜTEN
WILDER FLADEN
BRENNNESSEL
WALDMEISTERBOWLE
SALZ UND PFEFFER
KRÄUTER UND GEWÜRZE IN DER DEUTSCHEN KÜCHE SENF
VERGESSENER GESCHMACK UND HAUSGEMACHTE DELIKATESSEN
DIE ARCHE-PASSAGIERE SLOW-FOOD DEUTSCHLAND
SCHWARZE WALNÜSSE
KRÄUTERSALZ
KRÄUTERZUCKER
SOLEIER
QUITTEN
MÖHRENGRÜNPESTO
FRANKFURTER GRÜNE SAUCE
EINGELEGTE GURKEN
RUMTOPF
CASSIS
BREMER KAFFEEBOHNEN
BROTZEIT
SAUERTEIG – STARTER UND BROT
ROTE-BETE-BUTTER
GERÄUCHERTE FORELLEN-PATÉ
KRÄUTERBUTTER UND KRÄUTERQUARK
ROHES SCHOKOLADEN-HASELNUSS-MUS
WECHSELNDE JAHRESZEITEN, WECHSELNDER APPETIT
FLAMMKUCHEN
HAFERKUCHEN MIT KARAMELLISIERTEN ZWIEBELN UND KRÄUTERPESTO
KRABBENSALAT
EINGELEGTE HERINGE
ROTE-BETE-HERING-SALAT
FLÄDLESUPPE
SUPPEN UND EINTÖPFE
HOCHZEITSSUPPE
KLARE GEMÜSEBRÜHE
GRÜN-WEISSE SELLERIEWURZELSUPPE MIT PETERSILIENSAFT
PAPRIKASUPPE
WURZELGEMÜSESUPPE
WILDKRÄUTERSUPPE
STANGENBOHNENEINTOPF
SOMMEREINTOPF MIT PFIFFERLINGEN
SPANISCH FRIKKO
SALAT
SALATE DER SAISON
KRAUTSALAT
KLASSISCHER GURKENSALAT
KARTOFFELSALAT
GERASPELTER ROHER WURZELGEMÜSESALAT
SCHNITTLAUCH-EIER-SALAT
GEMÜSE, DER FOKUS DES TELLERS
VEGETARISCHE UND VEGANE GERICHTE
PASTA MIT HOKKAIDO-KÜRBIS, PFIFFERLINGEN, JUNGEN ERBSEN UND SPINAT
BUCHWEIZENRISOTTO MIT OFENFENCHEL, JUNGEN ERBSEN UND PESTO
SAISONALES OFENGEMÜSE AUF ROTE-BETE-KARTOFFELPÜREE
WEISSER SPARGEL, GESCHWENKTE KRÄUTERKARTOFFELN, WACHTELEIER UND SAUCE HOLLANDAISE
VEGETARISCHE MAULTASCHEN MIT PILZEN UND SPINAT IN KLARER BRÜHE
SELLERIESCHNITZEL AUF ROTKOHL
SCHMORGURKEN MIT BRATKARTOFFELN
PILZPFANNE
UNGARISCHES SAUERKRAUT MIT SCHWARZWURZELN
TRADITIONELLE FLEISCHGERICHTE
EINE KLEINE AUSWAHL FÜR FLEXITARIER
KOHLROULADEN MIT GESCHWENKTEN KRÄUTERKARTOFFELN
KÖNIGSBERGER KLOPSE MIT KARTOFFELN
GULASCH MIT SPÄTZLE
BRATWURST MIT SELLERIE-KARTOFFELPÜREE UND SAUCE
GEBACKENES HÄHNCHEN / GEBACKENER TRUTHAHN MIT WURZELGEMÜSE
AUS FLÜSSEN, SEEN UND DEM MEER
FISCHGERICHTE
KABELJAU (SKREI) IN WEISSWEIN-MEERRETTICHSAUCE MIT SAISONGEMÜSE
FORELLE MÜLLERIN-ART MIT KARTOFFELN UND GURKENSALAT
GEBACKENE SCHOLLE AUF FENCHEL MIT KRÄUTERKARTOFFELN UND GRÜNEM SALAT
NACHTISCH
PUDDINGS, FRÜCHTE UND KOMPOTT
SCHOKOLADENPUDDING
RHABARBER-SOUFFLÉ
PFANNKUCHEN
KAISERSCHMARRN
GEWÜRZPFLAUMEN IN ROTWEIN
ROTE GRÜTZE MIT MUSCOVADO-VANILLEPUDDING
APFELSTRUDEL
KAFFEE & KUCHEN
VERSUNKENER OBSTKUCHEN
GEDECKTER OBST-BISKUIT-KUCHEN MIT GESCHLAGENER SAHNE
KLEINER NUSSIGER SCHOKOLADENKUCHEN
PFLAUMENKUCHEN
PRINZREGENTENTORTE
KALTER HUND
GETRÄNKTER ZITRUSKUCHEN
EIN PAAR PRAKTISCHE TIPPS
VON FELDERN, BÄUMEN UND WIESEN
ÜBER OBST, GEMÜSE, WILDPFLANZEN UND KRÄUTER
SPINAT
LAUCHZWIEBEL, FRÜHLINGSZWIEBEL
RHABARBER
WEISSER SPARGEL
HOLUNDERBLÜTEN
FLIEDER
LINDENBLÜTEN
FICHTEN- UND TANNENSPROSSEN
GURKE
MAIRÜBCHEN
ERDBEERE
KIRSCHE
KOPFSALAT
KOHLRABI
KAROTTE (MÖHRE, GELBE RÜBE)
MORCHEL
MANGOLD
RADIESCHEN
ERBSE
HIMBEERE
BROMBEERE
STACHELBEERE
BLAU- UND HEIDELBEERE
JOHANNISBEERE
APRIKOSE
PFIRSICH
SAUBOHNE/ACKERBOHNE
GARTENBOHNE/STANGENBOHNE
BLUMENKOHL
ZUCCHINI
TOMATE
KARTOFFEL
ZWIEBEL
PFLAUMEN/ZWETSCHGEN
MIRABELLE
BIRNE
APFEL
PASTINAKE
PAPRIKA
FENCHEL
HOLUNDER
PFIFFERLING
KOHL
SCHWARZKOHL
QUITTE
FELDSALAT
SELLERIEWURZEL
ROTE BETE
SCHWARZWURZEL
KÜRBIS
TOPINAMBUR
MEERRETTICH
ROSENKOHL
PETERSILIENWURZEL
PILZE
GRÜNKOHL
PORTULAK
HAGEBUTTE
SCHLEHE
TAKE A WALK ON THE WILD SIDE
UNSER WILDES ERBE
BÄRLAUCH
TAUBNESSEL
LÖWENZAHN
GÄNSEBLÜMCHEN
BRENNNESSEL
GIERSCH/GEISSFUSS
WALDMEISTER
KNOBLAUCHSRAUKE
VOGELMIERE
KLEINER SAUERAMPFER
BORRETSCH
MALVE
SPITZWEGERICH
MELDE
BIBLIOGRAFIE
REZEPTREGISTER
ÜBER
KIT SCHULTE, AUTORIN, CHEF
NORA NOVAK, FOTOGRAFIN
CLAIRE COOK, ILLUSTRATORIN
IMPRESSUM
Lassen Sie sich inspirieren …
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ÜBER DIESES BUCH
IN DIESEM BUCH FINDEST DU
•Eine Erkundung der großen Vielfalt saisonaler Kräuter- und Gemüsesorten, die in der deutschen Küche verwendet werden, einschließlich wild gesammelter Pflanzen
•Den Ansatz, traditionellen Rezepten eine frische und moderne Note zu verleihen, vegane und vegetarische Alternativen zu traditionellen Rezepten
•Einen persönlichen Einblick in die kulinarische Geschichte Deutschlands, mit Beschreibungen zu den Wurzeln der Produkte, zu Rezepten und Traditionen
•Eine Ermutigung zum Experimentieren
•Den Ansporn, köstliche Dinge von Grund auf, ohne vorgefertigte Industrieprodukte, zuzubereiten
NICHT IN DIESEM BUCH FINDEST DU
•Rezepte mit überwiegend fleischlastigen, klischeehaften deutschen Bestandteilen, also etwa Schweinshaxe mit Sauerkraut
•Rezepte, die vorverpackte industrielle Lebensmittel als Zutaten auflisten
•Wissenschaftlich geprüfte Angaben zu essbaren Wildpflanzen
NEUE REGELN
•Fokus auf feldfrische biologische oder naturbelassene regionale und saisonale Produkte
•Gezielte Verwendung von Butter und Sahne als Geschmacksverstärker und nicht als Grundlage für Saucen oder als Einsatz als Kochfett
•Verzicht auf Fleisch- und Milchprodukte in traditionellen Rezepten
•Gemüse als Mittelpunkt eines Gerichts
•Keine Verwendung von vorverpackten industriellen Zutaten
MASSEINHEITEN
EL | = | Esslöffel |
TL | = | Teelöffel |
l | = | Liter |
ml | = | Milliliter |
g | = | Gramm |
kg | = | Kilogramm |
°C | = | Celsius |
SYMBOLE
= | glutenfrei | |
= | vegan | |
= | vegetarisch |
Da der Mensch nun einmal so beschaffen ist, Herz, Körper und Gehirn alle miteinander vermengt und nicht in getrennten Behältnissen untergebracht […], ist ein gutes Dinner von großer Bedeutung für ein gutes Gespräch. Man kann nicht gut denken, gut lieben, gut schlafen, wenn man nicht gut gespeist hat.
Virginia Woolf
aus „Ein eigenes Zimmer“
VORWORT
Was ist eigentlich die zeitgenössische Esskultur in Deutschland, wenn man sie von außen betrachtet? Welche Traditionen haben die Deutschen, und was hat sich in den letzten 50 Jahren geändert?
Durch meinen langjährigen Aufenthalt in den USA, quasi meiner zweiten Heimat und Zweitwohnsitz, habe ich mich lange mit dieser Frage beschäftigt. Ich habe dieses Buch mit Blick auf ein englischsprachiges Publikum geschrieben. Es richtet sich an alle, die sich für eine innovative, frische und moderne deutsche Küche interessieren – für gelegentliche Deutschland-Besucher ebenso wie für kürzlich Zugezogene oder dauerhaft hier lebende Kochfreunde. Die meisten englischen Bücher zur deutsche Küche neigen dazu, die stereotypische Vorstellung zu betonen, dass deutsches Essen ausschließlich aus Schnitzel, Sauerkraut, Bratwurst, Spätzle usw. besteht. Heutzutage sehen wir jedoch, vor allem in Großstädten und urbanen Gebieten, einen Trend zur regionalen, frischeren und moderneren Küche, die eine Vielzahl nachhaltiger und gesunder Zutaten verwendet.
Dieses Buch erschließt die Welt der regionalen, saisonalen und zeitgenössischen Küche Deutschlands. Ein persönlicher Rückblick auf die kulinarischen Traditionen und handwerklichen Methoden der letzten etwa 50 Jahre ließ mich traditionelle Gerichte, vergessene Geschmäcker und nachhaltige Methoden wiederentdecken. Was einst für meine Großeltern zum kulinarischen Alltag gehörte, wie das Sammeln und Verarbeiten von Wildkräutern und Pflanzen, ist plötzlich zu einem hippen, zeitgenössischen Trend geworden. Doch ist gerade in den USA viel Wissen darüber verloren gegangen.
Indem ich den Schwerpunkt auf Gemüse und Kräuter lege, interpretiere ich traditionelle fleisch- und milchlastige Rezepte neu und verwandle sie in frische, gesündere Gerichte, oft mit gesammelten Wildpflanzen und Wildkräutern verfeinert. Ich hoffe, ich kann dich mit der Perspektive von außen nach innen zum Nachdenken über unsere eigene Esskultur animieren – und so auch zum Experimentieren mit wilden Aromen und Rezepten.
In diesem Buch konzentriere ich mich auf die Vielfalt saisonaler Gemüsesorten und verwandle einige traditionelle Fleischgerichte in herzhafte vegetarische oder vegane Alternativen. Gemeinsam gehen wir auf eine Reise, um die frischen, köstlichen und gesunden Wurzeln der traditionellen deutschen Küche zu finden.
Meine Geschwister, meine Mutter und ich beim Sonntagsfrühstück im Jahr 1970. Fast alles war ausgepackt und auf Platten angerichtet: geräucherter und gekochter Schinken, Leberpastete, Weichkäse, Butter, gekochte Eier und Toast.
Seit den 1860er-Jahren ist es in deutschen Familien der Oberschicht (und auch in solchen, die danach strebten, zur Oberschicht zu gehören) üblich, an Sonn- und Feiertagen Porzellangeschirr mit dem bekannten „Zwiebelmuster“ zu verwenden; es wurde ursprünglich 1740 von der Meissen Porzellanmanufaktur hergestellt.
WIE ICH ZUM FOODIE WURDE
Ich bin in Arnsberg aufgewachsen, einer kleinen westfälischen Provinzstadt inmitten der alten Bundesrepublik Deutschland. Meine Mutter führte den Haushalt für eine siebenköpfige Familie. Sie kochte klassisches deutsches Essen nach regionalen Rezepten, entweder von meiner Großmutter überliefert oder aus deutschen Kochbüchern entnommen. Diese traditionelle Erziehung bedeutete drei Mahlzeiten am Tag: Frühstück, Mittagessen und Abendbrot.
Frühstück war und ist immer noch eine aufwendige Angelegenheit in ganz Deutschland, besonders sonntags. Meine Familie versammelte sich um einen gedeckten Tisch, darauf Aufschnitt, Käse, gekochte Eier, Brötchen, Toast, selbst gemachte Marmelade, Quark, Zuckerrübensirup und Nutella. An Wochentagen, wenn wir frühmorgens zur Schule eilen mussten, lieferte uns der örtliche Bäcker eine riesige Tüte warmer Brötchen an die Tür, die wir schnell mit einem der oben genannten süßen Aufstrichen aßen.
Das Mittagessen war die wichtigste Mahlzeit des Tages. An Wochentagen wurde es um 13 Uhr serviert, wenn unser Vater seine Mittagspause machte und wir Kinder von der Schule nach Hause kamen. Es bestand in der Regel aus zwei Gängen: einem warmen Hauptgericht und einem Nachtisch, z. B. Joghurt oder Obst. Meistens gab es Schweinefleisch in allen Variationen, begleitet von Kartoffeln, Kohl, Blumenkohl, Kohlrabi, grünen Bohnen, Lauch oder im Sommer Salat. Meine Mutter servierte auch Suppen und Eintöpfe.
Wie viele andere deutsche Ehefrauen und Mütter nach 1955 kochte meine Mutter Gerichte, bei denen das Fleisch immer die Hauptrolle spielte, Gemüse und Kartoffeln nur eine Nebenrolle: Würstchen, Schweinekoteletts, Schnitzel, Braten, Gulasch, Leberkäs etc., dazu eine Beilage. Und da meine Mutter weder Nudeln noch Reis mochte, haben wir immer Kartoffeln gegessen. Als Kind habe ich deshalb geglaubt, dass Kartoffeln aus Deutschland stammen. Erst viel später und zu meiner großen Überraschung habe ich erfahren, dass sie von spanischen Kolonialisten aus Südamerika nach Europa gebracht wurden. Aber das ist eine andere Geschichte.
Im Sommer gab es bei uns Gurken, Blatt- und Tomatensalat. Meine Mutter und ich waren die Einzigen in der Familie, die Pilze liebten, und so waren frische Pfifferlinge oder Steinpilze im Spätsommer und Herbst ein rarer Genuss. Rot- und Weißkohl, Wirsing und Rosenkohl wurden im Herbst und Winter (über) gekocht serviert. Im späten Frühjahr und Sommer wurde es dann wieder frischer, wenn Kohlrabi, Blumenkohl und Lauch erneut auf dem Speiseplan standen.
Eine siebenköpfige Familie in einem großen Haus zu managen und dabei ein Niveau zu halten, das Ehemann, Nachbarn und Freunde beeindruckte, machte sich meine Mutter zur Aufgabe. Es war ihre Leidenschaft, aber auch ihr Fluch. Frische Produkte und selbst zubereitete Speisen hatten für sie keine Priorität, da der Einkauf und die Zubereitung viel Zeit und Mühe kosteten. Stattdessen ließ sie Tiefkühlkost liefern, füllte eine Vorratskammer mit Konserven, und einmal im Jahr fand ein ganzes Schwein, das bereits in Stücke zerlegt war, ein neues Zuhause in unserer XXL-Tiefkühltruhe.
Das Abendbrot war oft eher eine Laissez-faire-Angelegenheit. Meine Mutter bereitete eine große Platte vor, darauf mit Käse und Aufschnitt belegte Brotscheiben, manchmal zusätzlich mit Gurkenscheiben. Wir durften während des Essens fernsehen – Zeichentrickfilme und amerikanische TV-Serien der 1970er-Jahre.
Mein Vater wuchs auf einem Bauernhof auf und erbte eine tiefe Leidenschaft für die Natur und ein ausgeprägtes Naturbewusstsein. Wenn er nicht gerade als Ingenieur arbeitete, kümmerte er sich um seine Forellenzucht mit drei Teichen, um seinen Bio-Gemüsegarten und fand fast täglich Zeit für Waldspaziergänge.
Mit zehn Jahren lernte ich, eine Forelle zu fangen, zu töten und zu säubern. Als Kind war das eine aufregende Aufgabe, die immer mit dem Verzehr der geräucherten, gekochten oder gebratenen Forellen endete. Viele Freunde meiner Eltern waren Jäger, und so wurden Forellen gegen Reh, Wildschwein, Kaninchen und manchmal Fasan getauscht. Das Fleisch wurde eingefroren und von meiner Mutter an Feiertagen oder zu anderen besonderen Anlässen zubereitet.
Ich verließ meine Heimatstadt und Deutschland mit 17 Jahren als amerikanische Austauschschülerin in Missouri. Meine Gastmutter war ebenfalls Deutsche und mit einem ehemaligen amerikanischen Offizier verheiratet, den sie nach dem Krieg in Frankfurt kennengelernt hatte. Das Essen in Missouri war dem, was ich von zu Hause kannte, sehr ähnlich. Ausnahmen waren Hamburger, Hotdogs und so etwas wie Deutscher Schokoladenkuchen (eine amerikanische Erfindung).
Ich verlängerte meinen Aufenthalt, um in Atlanta, Georgia, Kunst zu studieren. Hier verliebte ich mich in einen Kunststudenten, der zum Koch ausgebildet war. Als wir zusammen in eine WG gezogen waren, nahm er mich zu einem riesigen überdachten Bauernmarkt mit. Mein erster Besuch dort hinterließ einen tiefen Eindruck und veränderte meine Beziehung zum Essen und zu Lebensmitteln von Grund auf. Wir kauften Zutaten für ein einfaches, frisches Gericht, darunter eine meiner damals absoluten Lieblingskombinationen: frische Fettuccine-Nudeln mit frischem Estragon und Jakobsmuscheln in Weißweinsoße. Nach dieser Erleuchtung hörte ich auf, Fleisch und Kartoffeln zu essen, und stürzte mich kopfüber in die vegetarische Küche.
Die Fischteiche meines Vaters im Sauerland.
Meine Großmutter väterlicherseits beim Salatpflücken, ca. 1950.
Ich erinnere mich gut an mein erstes vegetarisches Kochbuch, „The Enchanted Broccoli Forest“ von Molly Katzen. Es inspirierte mich, Geschmäcker aus fernen Kulturen zu erforschen, und ich erstellte lange Listen mit Gewürzen, die ich kaufen wollte, und träumte von exotischen Gerichten. Ein weiteres Jahr in Kalifornien war für mich der Beginn eines ganz neuen Kapitels: die Entdeckung der mexikanischen Küche.
Nach meiner Rückkehr und einem Studium in Berlin zog es mich erneut nach San Francisco, wo ich 13 Jahre blieb. In Kalifornien gab es eine große Auswahl an frischen biologischen Produkten, die ich oft in der Berkeley Bowl, einem berühmten Bauernmarkt, besorgte. Wenn Heimweh gelegentlich Heißhunger auf deutsches Essen auslöste, gab es zum Glück Lehr’s German Specialties in San Franciscos Noe Valley. Dieser kleine Laden hatte fast alles, was man zur Befriedigung dieses Heimweh-Hungers brauchte: Quark, Landjäger, Rollmops, Bahlsen Butterkekse (um Kalten Hund zu machen), Kinder Schokolade, Hanuta und eine große Auswahl an Haribo Gummibärchen.
Meine Großmutter mütterlicherseits bereitet Spargel-Schinken-Röllchen vor, ca.1975.
Schließlich zog ich wieder zurück nach Deutschland und wohnte in der Nähe des Winterfeldtplatzes in Berlin-Schöneberg, wo einer der berühmtesten Bauernmärkte der Stadt, der Winterfeldtmarkt, jeden Mittwoch und Samstag stattfindet. Jahrelang hatte ich alle möglichen Küchen, Lebensmittel und Gewürze kennengelernt, aber ich war erstaunt, wie vielfältig das Angebot an Gemüse und Obst in meinem Heimatland ist. Hatte ich etwas verpasst? Wann hatte sich das deutsche Essen über Bratwurst, Kartoffeln und Sauerkraut hinaus entwickelt?
Ich begann, mich intensiver mit der traditionellen deutschen Küche zu befassen, erinnerte mich an Rezepte, mit denen ich aufgewachsen war, und lernte Gerichte kennen, die meine Mutter nie gekocht hatte. Mein neuer Fokus waren frische, regionale und saisonale Bio-Produkte anstelle von Fleischgerichten, begleitet von zerkochtem Gemüse und Kartoffeln.
Das traditionell gekochte deutsche Essen ist schwer und ungesund – nicht wegen der Zutaten, sondern weil das Gemüse meist zuerst zerkocht und dann in zu viel Sahne und Butter ertränkt wird, sodass ein schwerfälliger, beigefarbener Brei entsteht. Das muss nicht so sein!
Als Resultat meiner anhaltenden Leidenschaft für Kulinarik habe ich ein Business in Berlin gegründet. „Schöne Heimat – a culinary exploration of Berlin & Beyond“. Mit dieser Kombination aus Markttour, Kochkurs und Lunch für englischsprachige Touristen habe ich ein Format gefunden, um meine Leidenschaft und das angelernte Wissen über unsere Esskultur zu teilen. Ich habe mich trotz des Missbrauchs des Wortes „Heimat“ durch die Nazis dafür entschieden, es zu benutzen. Es ist ein wunderbares Wort, das zahlreiche Bedeutungen beinhaltet und besonders geeignet ist, um kulinarische Erinnerungen, Geschmäcker und Gerüche zu beschreiben. Ich hoffe, meine Verwendung von „Heimat“ kann dazu beitragen, diese in ein anderes Licht zu rücken.
„Schöne Heimat – a culinary exploration of Berlin & Beyond“ richtet sich an alle, die einen authentischen und modernen Einblick in den kulinarischen Lebensstil Berlins suchen und ihre Reiseerfahrungen bereichern wollen, jenseits der unpersönlichen Touren und klassischen Touristenattraktionen.
Ich hoffe, dass ich dich mit diesem Buch zu einer Wieder- oder Neuentdeckung unserer Esskultur inspirieren kann, denn: Essen ist mehr, als unseren Hunger oder unsere Gelüste zu stillen. Essen ist eng verwoben mit Geschichte, Kultur, dem Land, Jahreszeiten, Wetter, Politik, der Gesundheit unseres Körpers und unserer Agrarkultur. Die moderne deutsche Küche umfasst Ideen und Praktiken, die ein breites gesundheits- und umweltbewusstes Publikum ansprechen. Bio-Diversität, nachhaltige Landwirtschaft, Ernährung, Tierschutz und die wirtschaftlichen Interessen von Unternehmen und ländlichen Gemeinden sind in Deutschland, wie auch an vielen anderen Orten der Welt, Teil eines wichtigen aktuellen Dialogs.