Loe raamatut: «Kleine Quittenkantate für Kastratensopran und Querflötenquintett»
Klaus Nüchtern
Kleine Quittenkantate
für Kastratensopran und Querflötenquintett
Nüchtern betrachtet:
76 pflegeleichte Kolumnen
und vier voll fette Vorworte
Falter Verlag
© 2005 Falter Verlagsgesellschaft m.b.H.
1011 Wien, Marc-Aurel-Straße 9
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Alle Rechte vorbehalten.
Keine unerlaubte Vervielfältigung!
1. digitale Auflage: Zeilenwert GmbH 2016
ISBN ePub: 978-3-85439-542-3
ISBN Kindle: 978-3-85439-552-2
ISBN Printausgabe: 978-3-85439-348-1
Inhalt
Cover
Titel
Impressum
Klaus Nüchtern: Danksagung, Entschuldigung und Widmung
Tobias Heyl: Nüchterns München
Brigitte Hilzensauer: Ein Mann von Welt
Paulus Hochgatterer: Mama, Papa, Gaugau
Am Frühling muss noch gefeilt werden
Nicht alles ist in Ordnung auf dieser schönen Welt
Gutes gehört doch geschätzt!
Schmalz und andere suprige Substanzen
Halbwelttypen in meiner Mundhöhle
Aus allen Rohren
Ein Mann wird älter
Außerplanmäßiger Halt in Hallwang-Elixhausen
Ich hab noch eine Buckelwalbag in Berlin
Der Rest der großen weiten Welt (außer München)
Wenn das Wünschen noch helfen würde
Quellen
Anmerkungen
Danksagung, Entschuldigung und Widmung
Von allen Sängern, die sich einen Satz heiße Ohren einfangen werden, sollten sie sich je unterstehen, um die Hand meiner Tochter, ach was, die Hand irgendeiner Tochter anzuhalten, habe ich Julio Iglesias (www.julioiglesias.net) immer für den dämlichsten Arsch gehalten. Gibt es ein widerlicheres Gesülze als „To All the Girls I Loved Before“? Ich glaube kaum. Was für eine strunzdumme und taktlose Geste: ein mickriger Song, und damit soll dann die ganze Heerschar der Verflossenen bei Laune gehalten werden und sich nicht mehr einkriegen können vor Dankbarkeit und Gefühlsdösigkeit. Weil es aber unmöglich ist, hier jeder Leserin, jedem Leser persönlich und namentlich zu danken und all den anderen Menschen, die bislang zu meiner kometenhaften Karriere als Kleinkolumnist beigetragen haben (ich sage nur: Aus-lands-le-sun-gen!1), will ich auch diesmal nur die Vorwortschreiber und die Vorwortschreiberin herausheben und mich bei ihnen dafür bedanken, dass sie ein paar Zentner Esprit und Herzensbildung mit stupender stilistischer Leichtigkeit zwischen die Deckel dieses Büchleins gewuchtet haben, sodass allein die Beiträge von Brigitte Hilzensauer, Tobias Heyl und Paulus Hochgatterer Erscheinen, Verkaufspreis und Erwerb der „Kleinen Quittenkantate“ rechtfertigen. Ich stehe aber nicht an zuzugeben, dass es abseits der Vorworteschinderei auch noch weitere Beweggründe gibt, bereits publiziertes Kolumnengut buchförmig zu bündeln. Die meisten fallen unter die sieben populärsten Todsünden. Zumindest einer sei dennoch erwähnt. Er verdankt sich dem Umstand, dass ich seit vorigem Sommer bei den Tagen der deutschsprachigen Literatur in Klagenfurt mitjurieren darf und es sich der Dienst habende Moderator dort nicht hat nehmen lassen, im Zuge der allmorgendlichen Jurorenvorstellung mein kolumnistisches Gesamtwerk aufzuzählen, was im Publikum jedes Mal mit hörbarer Heiterkeit aufgenommen wurde. Potzwetter!, dachte ich, wenn schon ein so schlichter, vom Verlagschef genehmigter Zweite-Wahl-Titel wie „Kleines Gulasch in St. Pölten“ für Gekicher sorgt, dann wollen wir da doch einmal das ein oder andere Schäuferl nachlegen; außerdem schreibt zum Beispiel Jurykollege Burkhard Spinnen Bücher im selben Takt, in dem unsereiner Krankenscheine ausfasst – da sieht man mit so einem windigen Zwei-Buch-Werk schnell aus wie ein südmährischer Schneidermeister ohne Hosen! Zudem möchte ich doch schauen, wo die „Crazy Bärenfellmütze“ bleibt, wenn der Moderator auch noch die „Quittenkantate“ vom Blatt lesen muss – dem Manne will ich doch ein wenig zu beißen geben.
Ich muss mich hier also wohl bei Ernst Grandits entschuldigen, sollte er sich im Juni angesichts eines etwaigen mnemotechnischen Malheurs einen Knopf in den Kopf reden. Entschuldigen will ich mich auch bei Robert „Freund, der wo Gitarre kann“ Rotifer. Der Mann wäre natürlich ob seiner generösen Gastfreundschaft und sonstiger charakterlicher Vorzüge (siehe das Kapitel „Der Rest der großen weiten Welt (außer München)“) zum Vorworteschreiber prädestiniert, wäre er nicht ein gleichsam in sich ruhendes alliteratives Atom2, das jeglichen anlautenden Hs vollständig enträt. Robert Rotifer soll sich aber auf jeden Fall für das nächste Mal als gebucht betrachten, sollten Gott, Welt und Verlagschef das dann noch wollen. So bleibt mir nichts anderes, als die „Kleine Quittenkantate“ dem Andenken an Roberts Katze Molly zu widmen, der Königin der Zutraulichkeit, die im letzten Jahr freiwillig aus dem Leben geschieden ist – was wir Hinterbliebenen zu respektieren haben. Möge ihr im Katzenhimmel ein flauschiges Federbett bereitet sein.
Klaus Nüchtern Wien, 20. Jänner 2005
Nüchterns München
Nüchtern mag München. Das ist für mich ein Glück, denn ich wohne in München. Regelmäßig reist er in unsere Stadt und quartiert sich in meiner von Eichhörnchen umtanzten Jugendstilvilla ein, die den treueren unter den Lesern seiner Kolumnen langsam ein Begriff sein sollte. Das sichert mir eine zwar bescheidene, aber dauerhafte Stellung in der Statisterie seiner Kolumnen. Für so etwas muss man dankbar sein – gerade hier bei uns in Deutschland, wo die soziale Kälte immer bedrohlicher durch die Fugen unserer nur noch schlecht isolierten Fenster dringt.
Was aber mag Nüchtern an München? Ehrlich gesagt: Ich kenne Nüchterns München kaum. In der Innenstadt bevorzugt er ein Lokal, um das unsereins aus verschiedenen guten Gründen einen weiten Bogen macht (das muss wenigstens hier einmal gesagt werden). Seine Sakkos kauft er in Boutiquen, die auch erfahrenen München-Flaneuren bis dato verborgen geblieben waren (an dieser Stelle: Danke für den Tipp!). Nüchtern lehrte mich das Sortiment Münchner Zigarrenhändler schätzen, das ich ganz einfach zu den Selbstverständlichkeiten einer doch eigentlich kultivierten Großstadt gerechnet hatte. Sogar die DVD-Abteilung eines Drogeriemarkts vermag ihn in Begeisterung zu versetzen; ich kann und mag es bis heute nicht glauben, dass es Derartiges in Österreich nicht geben soll. Kurz: Ich kenne keinen Gast, der es wie Nüchtern verstünde, einer Stadt durch hochdifferenzierten Konsum so elegante Komplimente zu machen. (Nur einmal wurde er giftig: als er auf dem Viktualienmarkt, dem Naschmarkt sehr wohl ebenbürtig, keine gelben Rüben fand. Kein Wunder. Die besorgen wir, wenn überhaupt, beim Futtermittelhändler.)
Aber mag München Nüchtern? Für den Einzelhandel ist das überhaupt keine Frage. Auch Münchner Journalistenkollegen treffen sich gern auf ein Stamperl mit der „Stalinorgel unter den österreichischen Metaphernschleudern“, wie man Nüchtern in Deutschlands Medienmetropole – augenzwinkernd, schulterklopfend – gerne tituliert. Der Falter aber (und mit ihm die hier versammelten Kolumnen) hat es in München über den Geheimtipp nie hinausgebracht. Wer fährt auch schon von hier aus nach Salzburg, Innsbruck oder Kufstein, nur um sich schnell mal am Bahnhof eine Zeitung zu kaufen?
Und doch. Zu seiner ersten Lesung in München, seinem ersten Auslandsauftritt überhaupt, kamen massenhaft Frauen (junge! hübsche!!) in ein Szenelokal, das, Sie erraten es, unsereins vorher nicht einmal dem Namen nach kannte. Nüchtern war von deren Anblick schwer beeindruckt. Und die Mädels schlossen Nüchtern sofort ins Herz, bald musste er nur noch die Augenbrauen hochziehen – wie er es ja nicht selten und völlig unspektakulär zu tun pflegt –, und im Saal erhob sich hysterisches Kreischen. Seit diesem Abend werde ich in München gefragt, ob es wahr sei, dass ich den Nüchtern kenne. Ich gebe mir dann Mühe, sehr cool zu wirken. Klar kenne ich ihn. Und zwar verdammt lange schon.
Tobias Heyl
Ein Mann von Welt
Als ich Klaus Nüchtern das erste Mal in voller Lebensgröße sah, saß er in einem Café in der Meidlinger Hauptstraße und schrieb etwas in ein kleines schwarzes Buch. Ich hatte mich mit ehemaligen Kolleginnen getroffen, wir kreischten und lachten am Nebentisch und benahmen uns ganz allgemein so unwürdig, wie es nur Frauen über vierzig können. Gelegentlich warf ich einen Blick hinüber zum Poeten; der schrieb ungerührt weiter in sein Büchlein und verzog keine Miene. Nur gelegentlich ein leichtes, schmerzliches Zucken um die Mundwinkel …
Nicht ohne Bangen schlug ich einige Tage später den Falter auf. Doch kein Wort über johlende Weiber, die sich nicht altersgemäß verhalten und besser die Enkel hüten sollten. Stattdessen eine kleine, feine Betrachtung über die beschauliche Ruhe in der Prater-Hauptallee …
Da wusste ich: Der Mann ist Pädagoge, und zwar einer von der ganz ausgefuchsten Sorte. Keine Watschen, sondern Umarmungen. Wo der Wald-und-Wiesen-Kolumnist ätzt, gurrt Nüchtern. Wo andere Stilblüten sammeln, produziert er Metaphern wie der Stör den Kaviar. Wo geringere Talente höhnen, ist er Rhapsode.
Kriegt einer Kiefersperre angesichts Schlankheitswahn, Sushipest, Gourmetgesäusel, 3-Sterne-Inflation? Klaus Nüchtern brät Wurstschüsserl und lässt Schmalz aus.
Stößt es jemandem sauer auf ob peinlicher Weinkennerprosa? Klaus Nüchtern trinkt Bier.
Fühlt sich ein anderer von Maßschuhgeknatter, Tommy-Hilfiger-Anoraks, diagonal gestreiften Hemden, Frauen im Powerdress optisch belästigt? Klaus Nüchtern trägt Puma-Sneakers, schräge T-Shirts. Und Hosen, du glaubst es kaum.
Seufzen mindere Geister nach der Sonne? Klaus Nüchtern greift in die Saiten und preist Regen und Nebel. Kriegen Kulturmenschen Bauchgrimmen bei Beachvolleyballturnieren am Wörthersee? Klaus Nüchtern zeltet im Mühlviertel. Und zwar bei Wind und Kälte. Steigt manchem der Blutdruck bei Autolärm, Staus und Abgasen? Klaus Nüchtern fährt mit der Bundesbahn. Oder geht gleich zu Fuß.
So entsteht durch Extrapolation allgemach der Umriss eines Mannes von Welt: ein Gegenbild zu den schleimig-windigen (falls diese taktil gewagte Doppelung erlaubt ist) New-Economy-Fuzzis, denen man gern ein Downgrading in die Holzklasse verpassen würde. Ein Mann, der die Segnungen der Provinz in der Stadt zu finden weiß und das urbane Getue als das eigentlich Provinzielle entlarvt.
Zwar hetzt der Kolumnist im Rösselsprung zu Lesungen in halb Europa, zwar japst er im Stadtmarathon mit (hier, ich gesteh’s, kamen mir Bedenken), zwar schätzt er Burt Bacharach (!), doch was sollen diese Ausrutscher neben solch zivilisatorischer Leistung. Ein Nüchternologe der Zukunft sollte sie neben seinen Verdiensten als Literaturkritiker und neben dem 2006 erschienenen, weitum gepriesenen Roman nicht vergessen.
Für mich jedenfalls hat das schaurige Kürzel KHG eine neue, schönere Bedeutung erhalten. Es lebe das Dreigestirn wunderbarer Kolumnisten deutscher Zunge: K(laus Nüchtern), H(arald Martenstein), Max G(oldt).
Brigitte Hilzensauer
Mama, Papa, Gaugau
Den Geistesmenschen kennzeichnet in aller Regel eine depressive Grundpersönlichkeit, das heißt, das in tiefen Schichten fundamentierte Wissen um die Tatsache, dass das Leben trotz intensivster intellektueller Tätigkeit erstens endlich und zweitens scheiße ist. Vor dem sofortigen Suizid bewahrt den melancholisch Kundigen vor allem ein Mechanismus, den die psychoanalytische Terminologie „Regression im Dienste des Ich“ nennt, was nichts anderes bedeutet als den Rückgriff auf Verhaltensweisen einer Entwicklungsphase, in der noch Unendlichkeit und Wonne vorherrschten: Man frisst bis zum Aufstoßen, säuft bis zum Wegdämmern, spielt mit dem Geschlechtsorgan und brabbelt immer das Gleiche. Als Leser der Betrachtungen des Geistesmenschen Nüchtern weiß man um seine Neigung zu Bigos, Haggis, piemontesischem Schweinebauch und allen anderen Speisen, die apokalyptische Ausschüttungen von Gallenflüssigkeit zur Folge haben; man weiß um seine mit Sicherheit rein psychogene Fischallergie (von Fisch wird man halt im Allgemeinen nicht satt, und dass er fetten Karpfen und Räucheraal in Wahrheit tadellos verträgt, gibt er nicht zu) und darum, dass er naturtrübes Bier vor allem deswegen mag, weil es annähernd den gleichen Eiweißgehalt besitzt wie Muttermilch (Schnaps liefert die notwendige finale Sedierung. Über Nüchterns kindische Oenophobie wollen wir jetzt nicht reden); man weiß schließlich, dass er gelegentlich Masturbationsfreiräume für Büroangestellte fordert, und ist zugleich ein wenig froh darüber, dass einem der Grad seiner kulturellen Anpassung eine eingehendere Auseinandersetzung mit der Frage nach den Spielarten der Genitalmanipulation bis dato erspart hat.
Aus abwehrtheoretischer Sicht schwer zu toppen wird Nüchtern freilich erst dort, wo er sich in jene Gefilde begibt, in denen Geistesmenschenexistenzen ihre eigentliche Grundlegung erfahren – an die Wurzeln der Sprache. Weitaus kühner als jene Schreibenden, die in ihrem Regredieren weitestenfalls in die Phase der Zwei- oder Dreiwortsätze, der interpunktionslosen Wortkaskade oder der paralogischen Assoziation gelangen, hechtet er zurück an den Anfang des zweiten Lebensjahres, dorthin, wo das Kind stabend beginnt, die Welt begrifflich zu fassen: „Mama“, „Papa“, „Gaugau“. Und wie eben ein sprachspielendes Kind Lust an seinen Hervorbringungen hat, so hat sie Nüchtern sichtlich auch: Unter „Konzentration kontemplativer Kräfte“ und „Schärfung sämtlicher Sinneswahrnehmungen“ trotzt er mit „Schmiss und Schwung“ sowohl „Mixmoguln“ als auch „Mineralmemmen“, sowohl „Zimtzicken“ als auch „akademisch ausgeschlafenen Auskennern“. Lust gibt Kraft, das kennt man, und für ein den Suizid aus Seinsverdruss abwehrendes Kulturwesen bedeutet das, aus der Regression durchzustarten und in die schiere Sublimierung abzuheben. Das führt dann dazu, dass wir den Autor dabei antreffen, wie er unter „kontrollierendem Kellnerauge“ „der Lektüre feministischer Romane durch den Verzehr von Rohscheiben und Rettich einen würdigen Rahmen verpasst“, bevor er „im Stadtpark Schnee auf schmusenden Schnurrbärten schmelzen“ sieht. Gelegentlich brechen noch archaische, körperbezogene Ängste durch, verursachen „Pinkelpanik“ oder eine „intestinale Insubordination“, lassen ab und zu ein „Darmdrangdrama“, wenn nicht sogar eine „Adventappendizitis“ befürchten. Letztlich ist jedoch das alles auf den „Fettfaschismus“ der „Brunello-Bagage“ zurückzuführen, einer „immer illuminierten illustren Interessengemeinschaft idiosynkratischer ibishotelinkarzerierter Intelligenzbestien“ – und wie man sieht, schwebt er schon wieder weit über dem Weh der Welt dahin, in den höchsten Sphären alliterativer Artefakte, und ganz gehörig „rauscht es durch seine Rübe“. Man selbst fühlt sich im Vergleich dazu zwar ein wenig wie ein „dröger Downtempo-Dachs“, aber ich denke, das macht nichts.
Paulus Hochgatterer
Am Frühling muss noch gefeilt werden
Ich breche eine Lanze für den Nebel
Zugegeben, angesichts der derzeitig erstaunlich lichten Wetterlage, gegen die ich auch absolut nichts einzuwenden habe – nicht umsonst wurde die „Wintasun“ von den führenden Barden dieses Landes in unvergänglichen Liedern gepriesen –, ist es heikel, eine Lanze für den Nebel brechen zu wollen; auch will ich mir keineswegs nachsagen lassen, kein Mitgefühl für jene aufzubringen, die in Schwermut versinken, wenn man ihnen die große Lampe ausknipst … Andererseits: Die Sonne hat die besten PR-Agenturen der Welt, sämtliche heimische Spitzenkolumnisten zählen und loben die Februarsonnentage, da kann ich schon aus schierem Distinktionsgewinnlertum nicht anders, als dem Nebel ein bisschen den Nacken zu kraulen. Seine Macht wird zudem auch oft grotesk übertrieben. Selten beherrscht er unser kleines Land wirklich flächendeckend, meist reißt er, fährt man aus Wien raus, bereits nach Wiener Neustadt auf. Und wenn er sich einmal so richtig einnistet, soll man das demütig als Wink des Schicksals oder göttlichen Fingerzeig hinnehmen. Eine uns gewiss nicht übel gesonnene Macht will uns damit sagen: „Du musst jetzt nicht immer nur in die Natur laufen und meine prächtige Schöpfung anglotzen, du kannst auch ruhig mal daheim vor dem Fernsehgerät hocken – das habe ich doch auch nicht aus lauter Jux und Tollerei erfunden. Fröne dem Schlaf und dem Beischlaf, und lass den Stand der Sonne nicht das Szepter schwingen über deinen Tag, denn siehe, ich habe den Nebel geschaffen, auf dass er tilge den Unterschied zwischen a.m. und p.m. und den Menschen in sich lauschen mache, ob ein Frühstück oder ein Nachtmahl ihn gelüste.“ Der Nebel ist wie ein guter Verteidiger, er macht die Räume eng und die Stube süß. Dort soll man sitzen, ein gutes Buch oder einen wertvollen Film in sich reintun und jede Menge von den Schokozimtmandeln aus der Bioconfiserie Hubmann, die es bei Bipa zu kaufen gibt und die das Geilste sind, was Menschen kriegen können, denen die Morphiumspritze mehr als nur einen Hauch zu dekadent ist. So hat sich der Schöpfer das ausgedacht.
Die Sonne macht die Schulter schmerzen
Die für das derzeitige Wetter Verantwortlichen sollen die Lanze, die ich in der Vorwoche für den Nebel brach, nicht missverstehen. Es ist nur so wie mit vielem anderen (etwa mit heimischen Hendlgrillketten): Wenn ich nicht lobe, macht’s wieder keiner – und das hat sich der Nebel echt nicht verdient! Es ist halt sein gottverdammter Job, dicht zu machen, ein meteorologisches Catenaccio aufzuziehen – da soll man sich nicht drüber beschweren. Dass damit nichts gegen „the fat old sun“ (Pink Floyd) gesagt werden soll, versteht sich doch eh von selbst. Jetzt, wo wer auch immer „the controls for the heart of the sun“ (Pink Floyd) wieder im Griff hat, wollen wir das natürlich genauso gutheißen. Man soll die saisonalen Angebote wertschätzen und nicht immer alles haben wollen: Bockbier gibt’s zu Weihnachten und Ostern, Gansl im November, Spargel von April bis Juni und Spaß im Februar. Dann muss auch wieder mal Schluss sein mit Spaß und Spargel. Aber auch die Saison des Auswurfhochhustens soll jetzt, bitte, mal ein Ende nehmen, da kommt ja doch nichts raus bei! Also wollen wir uns der Sonne durchaus mit einem freundlichen „Hallo!“ zuwenden. Wir tun das übrigens ohnedies – ob mit oder ohne „Hallo!“. Als heliotrope Wesen bieten wir der Sonne automatisch die größtmögliche Körperfläche dar, weswegen es in diesen Tagen auch vermehrt zu Körperkollisionen kommt: Am gefährlichsten ist es, wenn der Winkel zwischen Gehrichtung des Passanten und der Scheinrichtung der Sonne 90 oder 270 Grad beträgt, denn dann müssen die Menschen seitwärts gehen, und es kommt häufig zu leichten bis mittelschweren Schulterverstauchungen, ja selbst Seitenbandzerrungen und Seitenschädeltraumata sind keine Seltenheit. Andererseits passiert auf diese Weise auch manch Schönes: Die Körper laufen ineinander, stürzen gemeinsam zu Boden, lernen sich kennen und manches mehr und erfreuen einander bis zum Abendrot oder Morgengrauen. Das sind die wahren Ursachen der so genannten „Frühlingsgefühle“, denen auf diese Weise endlich eine wissenschaftliche Basis gegeben werden kann.
Der kurze Frühling der Kontrolleure
Es ist Frühling und die Straßen sind voll von Männern, die aussehen wie Playmobilbauarbeiter. Ich habe keinen Grund, an der Authentizität dieser poetischen Beobachtung meiner Tochter zu zweifeln. Nachdem die Niederschrift dieser Kolumne synchron zur Wiederholung des Winterbeginns stattfindet, habe ich nur leider keine Gelegenheit, mich an diesem Anblick zu ergötzen. An sich müssten jetzt eigentlich Playmobilpolarforscher die weiß bedeckten Straßen füllen oder mit ihren Polarforscherfahrzeugen über den Morzinplatz tuckern, aber über den laufen nur vom Schnee überraschte Tunichtgute, die niemand haben, der sie zu Hause mit einer frischen Bauchfilzpeitsche in die feuchte Tuchent prügelt. Natürlich hätte ich meiner Tochter erklären können, dass es sich bei den playmobilbauarbeiterähnlichen Herren in den meisten Fällen um Fahrscheinkontrolleure handelt, die in ihrer Freizeit in Retroschwulenbands spielen, aber man soll den Kindern die Welt nicht kaputterklären. Das hemmt nur die Fantasie und treibt den Nachwuchs in die Arme von fragwürdigen Investmentbankern, die ihr Geld in Fonds anlegen, die dahinschmelzen wie der frische Schnee auf den Schnurrbärten von im Stadtpark schmusenden Fahrscheinkontrolleuren. Das muss nicht sein. Viel schöner ist es, wenn man den Frühling durch den Kauf von extravagantem Schuhwerk feiert, mit dem man den Playmobilbauarbeitern ein kleines freudiges Flackern in die Augen zaubert. Das derzeit avancierteste Modell auf dem Hightech-Sneaker-Sektor etwa zeichnet sich durch eine kesse Kombination von Orange und einem türkislichen Hellblau aus und stachelt mich zu subtilen Exzessen kühner Kombinatorik an, während sich Tochter zu brombeerfarben glänzenden Stiefeletten hat hinreißen lassen. Die passen ganz prächtig zu ihrem neuen maronifarbenen Sportrock, und ich habe ihr vorgeschlagen, dass sie zum schulinternen Faschingspartythemennachmittag als Kastanienreis auf Fruchtspiegel gehen soll. Das Schlagobershäubchen kann ja echt kein Problem sein. Und die ewigen Punschkrapfen stellt sie damit locker in den Schatten!