Loe raamatut: «ok ist eh ok»
Klaus Nüchtern
ok ist eh ok
Nüchtern betrachtet: 74 fesche Kolumnen mit zwei funkelnden Vorworten von Harald Martenstein und Harald Tautscher
Falter Verlag
© 2009 Falter Verlagsgesellschaft m.b.H.
1011 Wien, Marc-Aurel-Straße 9
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Alle Rechte vorbehalten.
Keine unerlaubte Vervielfältigung!
1. digitale Auflage: Zeilenwert GmbH 2016
ISBN ePub: 978-3-85439-544-7
ISBN Kindle: 978-3-85439-554-6
ISBN Printausgabe: 978-3-85439-428-0
Inhalt
Cover
Titel
Impressum
Harald Martenstein: Mein erstes und letztes Vorwort
Harald Tautscher: Jawollll! Genau so!
Klaus Nüchtern: „Naja, muss ja. Und selber?“
Ein Vater ringt um Schlaf
Man findet keine Freunde mit Salat
Schlichtheit ohne Scham
Verschiedene Formen der Fortbewegung
Jetzt war ich auch schon in New York
Das Harte und das Zarte
Auf der Suche nach dem geglückten Tag
Freundschaft zwischen Tier und Mensch
Was man tragen soll
Wo’s langgeht, kann ich gerne sagen
Quellen
Fußnoten
Mein erstes und letztes Vorwort
Neulich bin ich von einem Kollegen, einem österreichischen Kultkolumnisten, um ein Vorwort zu seiner neuen Kolumnensammlung gebeten worden. Das ist ein netter Herr, nicht mehr ganz jung, also habe ich zugesagt, obwohl es ja, glücklicherweise, viele nette, nicht mehr ganz junge Herren gibt auf der Welt. Wenn die alle Vorworte wollen, dann gute Nacht.
Warum hat Schiller keine Vorworte für Goethe geschrieben? Warum schreibt Walser keine Vorworte für Grass? Das ist ein minderes Genre. Ein Buch ist ein Baum. Eine Kolumne ist eine Staude. Ein Vorwort ist Löwenzahn. Vorworte reißen es irgendwie nicht. Nachrufe – ja! Aber ich wünsch keinem was Böses.
Also: Dies ist, ich schwöre es, das einzige Vorwort, das ich in meinem Leben verfasse. Sollte morgen Wolf Haas kommen, sage ich nein, sollte übermorgen Grass kommen, antworte ich nicht mal. Ich schreibe auch kein Supervorwort, ich schreibe eines, das gerade mal okay ist. Okay ist okay, es muss nicht immer super sein.
In den Kolumnen, die ich dann zugeschickt bekommen habe, ist mir als Erstes aufgefallen, dass darin vom Berliner Landwehrkanal die Rede ist, da wohne ich, und von der Schriftstellerin „Svealena Kutschke“. Dies ist in der vorliegenden Sammlung mein Lieblingsname und das exakte Gegenteil von „Klaus Nüchtern“. Eine Svealena Kutschke kann doch gar nicht poetischer oder origineller oder in sich Gebrochener schreiben, als sie sowieso schon heißt. Am besten zum Publizieren geeignet sind erwiesenermaßen klare, facetten- und spannungsarme Namen wie „Schiller“, „Grass“, „Haas“ oder „Nüchtern“, da kann man sich im Text noch steigern, auch wenn es nicht jedem gelingt. Witze über Namen – das ist unterste Schublade. Nun, gebt den Leuten eine Kommode, und sie werden die unterste Schublade öffnen.
Zu der Kunstform Kolumne ist zu sagen, dass sie kurz ist und nicht sehr systematisch und dass der Kolumnist immer über sich selber schreibt. Angeblich schreiben Kolumnisten über alles, in Wirklichkeit ist das Gegenteil der Fall, sie schreiben immer über das Gleiche, ihre Befindlichkeit, aber jedes Mal auf eine andere Weise. Die Schallplatte, die der Kunstform Kolumne am nächsten kommt, stammt von der slowenischen Band Laibach und enthält zwölf verschiedene Versionen des Songs „Sympathy for the Devil“. Je länger man eine Kolumne schreibt, desto schwieriger wird es übrigens, das ist ähnlich wie beim Schraubenzudrehen.
Klaus Nüchtern, der das schon sehr lange tut, wobei er die Qualität nicht nur hält, sondern eher verschärft, ist wieder so ein Großer, Dünner. Österreicher sind ja seltsamerweise fast immer entweder ewig schlaksig und bubenhaft wie Udo Jürgens und Jörg Haider oder fett wie Hermes Phettberg und Helmut Qualtinger. Als ich unlängst erwachte, lag meine Frau neben mir und sagte: „Wenn du dich jetzt in einen Österreicher verwandelst, dann habe ich entweder großes Glück oder großes Pech. Also lass es lieber.“
Meine Lieblingssätze aus der vorliegenden Sammlung:
3. Gebt den Leuten eine Kommode, und sie werden die unterste Schublade öffnen. 2. Okay ist okay, es muss nicht immer super sein. 1. Als ich unlängst erwachte, lag meine Frau neben mir. Mein Lieblingswort aus der vorliegenden Sammlung: Popscherldoktor.
Harald Martenstein
Jawollll! Genau so!
„Nüchtern betrachtet“ ist eigentlich ein analoges Facebook. Seit neunzehnhundertirgendwann erzählt Klaus Nüchtern seine Alltagserlebnisse. Leserinnen und Leser der Kolumne wissen so ziemlich alles über ihn.
Er kocht gerne (asiatisch, Innereien, Suppen), wandert in der näheren Umgebung, ist gastfreundlich veranlagt, schätzt Gastgärten und Gerstensäfte, beschreibt detailgetreu normale und eigenartige körperliche Zustände, ihre Auswirkungen und die manchmal daraus resultierenden Besuche bei professionellen Beratern und Heilern. Er hat eine klare Vorstellung davon, wie Unterhaltungsmedien funktionieren oder aber auch gefälligst zu funktionieren haben, er bügelt gerne, ist ein gewiefter Einkäufer von Lebensmitteln und Haushaltsartikeln auf Märkten und in Supermärkten.
Gerne stelle ich mir da ja vor, welche Niederlagen auf smarte Profiler bekannter Handelsketten lauern, die mittels Kundenkartenauswertung das eklektische Kaufverhalten Nüchterns auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen haben und durch auf ihn zugeschnittene Sonderangebote in Profit übersetzen müssen. Eine Jobverlustdichte, vergleichbar der im Investmentbankwesen anno 2009, Quartal eins, ist da nicht zu verhindern.
Wir nehmen regelmäßig am Familienalltag (daheim und auf Reisen) teil, erfahren von außergewöhnlichen Hobbys (Vögel beobachten, Wolken fotografieren), sportlichen Vorlieben, musikalischen Grenzerfahrungen, innerstädtisch geprägten Angewohnheiten und Ausdrucksformen seiner Freunde und Bekannten.
Das hohe literarische Niveau der wöchentlichen Mitteilungen wird neuerdings auch mit Preisen bedacht. Das ist gut. Die Ingredienz aber, welche mich Woche für Woche die Texte lesen lässt, ist dieser Stil, der die immer sehr expliziten und intimen Wahrnehmungen so in Szene setzt, dass sie weder verletzend noch untergriffig sind, auch wenn schon mal körperliche Züchtigungen, z. B. in Form kräftiger Tachteln, angedroht und eingefordert werden.
„Nüchtern betrachtet“ hat Groove, einen Groove vergleichbar mit einer Max-Nagl- oder Ken-Vandermark-Komposition (vgl. www.handsemmelrecords.com). Wie Musik bescheren mir diese Geschichten regelmäßig kleine Alltagshöhepunkte, besonders auch dann, wenn die beschriebenen Begebenheiten und deren Analysen sich mit eigenen Wahrnehmungen decken und ein innerlich sattes „Jawollll! Genau so!“ auslösen.
Klaus Nüchtern gehört zu einer raren Spezies: Er ist Entertainer und Humanist.
Harald Tautscher
„Naja, muss ja. Und selber?“
Wenn Dirk Merbach, der Artdirector des Falter, und ich einander nach längerer Pause wieder in den Redaktionsräumlichkeiten begegnen, pflegen wir rituell den Standard sinnentleerter minimalistischer Bürokommunikation zu erfüllen: „Und?“ „Naja, muss ja. Und selber?“
Eh. Irgendwie muss man das alles ertragen, über die Runden kommen, zugleich aber auch aufpassen, dass das Leben nicht zu einem einzigen „Naja, muss ja“ verkommt. Die Zeit eilt im Sauseschritt, und man eilt mit, sollte aber doch unterwegs ein paar Pflöcke einschlagen und ein paar Faxen machen. Das ist auch der Grund, warum nun bereits der fünfte Sammelband mit Kolumnen erscheint: „Naja, muss ja. Und selber?“
Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Ich mach das gerne. Ich muss das nicht machen, aber wenn ich schon mal da bin, kann ich auch gleich jahraus, jahrein Kolumnen schreiben. Und nachdem der Verlag meinen Hinweis, dass es jetzt wieder Zeit wäre, ein Buch draus zu machen, mit einem wohlwollenden „Okaaay“ quittierte, und ich darüber hinaus den Eindruck habe, dass jene Teile der Weltbevölkerung, in die Einblick zu haben ich mir einbilde, diesem Projekt eventuell nicht ganz unfreundlich gegenüberstehen, wird das jetzt eben einfach gemacht.
In einer wohlwollenden und, wie ich finde, klugen Besprechung (und das muss durchaus nicht Hand in Hand gehen) eines meiner ersten Kolumnenbände gefiel es dem Rezensenten, die Regellosigkeit des darin Versammelten und die Einsicht des Autors herauszustreichen, dass Kolumnenschreiben im Grunde vollkommen „pointless“ sei. But is it? Schon klar, das Zeug jener abertausenden Spaßvögel, Edelfedern und Gesinnungsclowns, die das auch machen, ist – von einigen glänzenden Ausnahmen abgesehen – totaler Mist, Müll und Missbrauch von Materie, aber meine Sächelchen sind mitunter doch ganz hübsch.
Es stimmt auch nicht ganz, dass ich damit nichts wollen würde. Es geht mir schon – worum sonst? – ums Gute, Wahre und Schöne. Ich versuche bloß, mich zwischen dem leitartikelnden Gedröhne der Bescheidwisser und dem relativistischen Gefasel postmoderner Weiß-auch-nicht-so-Genaus mit ein bisschen Anmut hindurchzuschlängeln. Als Schmiermittel gelangt dabei unter anderem (Selbst-)Ironie zum Einsatz, die aber oft missverstanden wird. Sie ist nämlich nicht dazu da, um sein Leben ständig in Gänsefüßchen zu setzen und – „kicher, kicher!“ – gegen jedes Ernsthaftigkeitsansinnen und jegliche Kritik zu immunisieren. Eher schon dient sie dazu, ernst sein zu dürfen, ohne Ernst machen zu müssen. Die Ironie, die ich meine, ironisiert vielleicht schon wieder die Ironie, indem sie deren zum Zwang und zur Manier gewordene Uneigentlichkeit unterläuft und etwas auch genau so meint, wie’s gesagt ist. Ich glaube, darüber sollten wir alle gemeinsam ein bisschen nachdenken.
Klaus Nüchtern
Ein Vater ringt um Schlaf
Wir haben verschlafen
Als ich unlängst erwachte, lag meine Frau neben mir. Ich erkenne das gleich, weil meine Frau ziemlich groß ist. Das gefällt mir sehr gut, denn eine Frau, bei der man erst zweimal hinschauen muss, damit man sieht, ob sie im Bett liegt, würde ich nicht wollen. Man hätte ständig Angst, sie zu überrollen oder irrtümlich auf ihr einzuschlafen. Wäre man nicht sicher, ob die Frau im Bett liegt, würde man eventuell versucht sein, die Bettdecke wegzureißen, und dann wohl in jedem Falle furchtbar erschrecken – egal, ob die Frau nun drunterliegt oder nicht.
Erschrocken bin ich aber auch, weil: Wenn am Dienstag der kleine Zeiger auf acht und der große auf zwölf steht und meine Frau neben mir liegt, herrscht Ausnahmezustand. Ich also: „Muss Hannah heute erst später in die Schule?“ Und sie: „Wiiiesooo? Wie spät ist es denn??“ Und ich: „Der kleine Zeiger steht auf acht und der gro …“ Und sie: „Uaaaaaah, Apokalypse, zischendes Pech und brennender Bimstein!!“ Und dann auch noch: „Das äst dä Vernächtong! Dä totale Verrrnächtongg!!“ Immer wenn meine Frau ausflippt, beginnt sie zu reden wie ein Hitlerimitator. Es ist dann ganz falsch, gegensteuern und beruhigend auf sie einwirken zu wollen: „Schau, irgendwie ist es auch süß, wenn wir alle verschlafen. Das haben wir noch nie gemacht, und die Welt dreht sich trotzdem weiter …“ Das wäre genau die verkehrte Reaktion gewesen. Daher ich, reaktionsschnell und ganz richtig: „Där Ontergang, där Ontergang. Onsere Tochter soll säch dä Zähne potzen ond do rofst dir einen Bezahlkraftwagen!“ Ich habe dann sehr souverän dafür Sorge getragen, dass unsere Tochter nur die Russischstunde versäumt hat. Ich bitte die Frau Klassenvorstand der 3B, die Verspätung zu entschuldigen. Sollte es notwendig sein, reiche ich gerne eine handschriftlich unterfertigte offizielle Entschuldigung nach, wiewohl es viel offizieller eigentlich nicht mehr geht.
Ansonsten würde ich die Einführung eines Tages des Verschlafens anregen wollen. Das könnte – aus gegebenem Anlass – durchaus der 11. Dezember sein, an dem dann unentschuldigtes Zuspätkommen bis zu maximal zwei Stunden nach dem üblichen Arbeits- oder Schulantritt zulässig wäre, und zwar bis, sagen wir, 14 Uhr. Hernach könnten nur mehr etwaige Schichtarbeitersonderregelungen schlagend gemacht werden. Die Grundversorgung mit medizinischer Akutleistung und aufputschenden Heißgetränken müsste gewahrt bleiben.
Ich bin das Amerika der Tagediebe
Dieses Land ist eine Nation von Frühaufstehern. Und obwohl ich mich schon längst aus den geschützten Gefilden dissidenter Langschläferei verabschiedet und in den Mainstream der Kernaufstehzeit eingeklinkt habe – nur im Schutze eines sorgsam synchronisierten Familienferienrhythmus vermag ich bis in den hellen Vormittag hinein zu schlafen –, ist mir diese morgendliche kollektive Betriebsamkeit unsympathisch. Wenn ich aufstehe, sitzt man visà-vis schon an den Terminals und tätigt Termingeschäfte oder verkauft Heizdecken online, und auf den Dächern der Nachbarschaft, die allesamt ausgebaut werden, um Raum für trainingsjackentragende Enddreißiger zu schaffen, die sich Sorgen um die Kindergartenplätze ihrer ungeborenen Kinder machen, stehen die Bauarbeiter und denken an Poliebe mit Paarhufern. Ich vergönne echt allen alles, aber es wäre doch schön, wenn auch mal eine Ruhe wär.
Neben der breiten Masse der Frühaufsteher gibt es nämlich auch noch ein Netzwerk an Tagedieben, die in erster Linie damit befasst sind, die Nacht zum Tag zu machen. Diese Gemeinschaft akustischer Spontanterroristen funktioniert nach dem Muster von Al-Kaida („jeder kann mitmachen“) und hat sich die Zerrüttung meiner Person zum Ziel gesetzt. Ich bin für die quasi Amerika. Ihr verabscheuungswürdiges Tun ordnen meine Feinde einer perfiden Pragmatik unter: Interne Differenzen, die unter anderen Umständen zum Bürgerkrieg führen würden, werden für die Dauer der Kampfhandlungen völlig ignoriert: Solange es nur gegen mich geht, kommen die verfeindeten Völkerschaften des Balkans ganz prächtig miteinander aus, und auch der Wiener Feinrippnazi geht gerne ein Stück des Weges mit dem jungen Austrotürken, der sich einen Dreck um die „Einhaltung von grundlegenden Wertehaltungen“ (Bundesminister Johannes Hahn) schert und stattdessen nach Mitternacht per Handy lautstark mit irgendeiner blöden Schnitte herumplärrt, weil die ihm die Ficklizenz entzogen hat: „Du bist so behindert!“ Selber behindert, du Arsch!!
Jetzt könnte ich schlafen, würden sich die Südslawen nicht gerade supergut verstehen. Und spätestens zum Morgenrot schnürt wieder der Feinrippnazi durchs Grätzel, um lautstark Bronchialschleim abzuhusten. Sollen doch alle was davon haben! Meinen Feinden ist das natürlich wurscht, die haben sich mittlerweile in den Schlaf gelärmt.
Die Gesellschaft könnte mich brauchen
Obwohl ich keinerlei Ehrgeiz habe, als „Österreichkritiker“ apostrophiert zu werden (wenn schon, dann „Weltkritiker“, eigentlich aber lieber „Vizekonsul des Lichts“), bin ich keineswegs mit allem einverstanden. Ich finde es zum Beispiel – nimm das, Austropurist! – echt ätzend, dass es hierzulande umöglich ist, früh aufzustehen. Unlängst verließ ich um halb sechs das Bett, was doch ziemlich früh ist, auch wenn die selbstgefälligen Gesinnungsproletarier mich jetzt wieder an die alleinerziehenden Mütter erinnern werden, die in den Filialen der Brotbackketten malochen müssen. Hätten sie halt was Gscheites gelernt und den Kindsvater etwas sorgfältiger ausgewählt! Außerdem muss wegen mir niemand in aller Herrgottsfrüh Aufbacksemmeln in den Ofen schieben, ich esse Toast und Schwarzbrot. Was ich eigentlich sagen wollte: Nicht genug, dass das Frühaufstehen aufgrund der neoliberalen Sommerzeit luxmäßig eh keinen Unterschied mehr macht, tun das bis auf ein paar lichtscheue Tunichtgute mittlerweile auch alle. Die Straßen, Straßenbahnen und Airport-Shuttles sind voll von Frühaufstehern, die im Dienste des internationalen Kapitals an der Entregelung der Tageszeiten und Lebensrhythmen arbeiten. Überall Businessdarsteller, die mit schwappschutzdeckelbewehrten Pappbechern oder Edelstahlthermotassen unschön vom Erdenrund abstehen: „Hallöchen im All, wir auf Terra haben keine Zeit, uns daheim ein Käffchen zu brühen. Wir haben Termine, Dates und Ausbildung, damit wir unsere Jobs behalten oder noch geilere kriegen können.“
Die selbstgefälligen Gesinnungsproletarier sollen jetzt aber mal selber was hackeln und mich mit Belehrungen verschonen. Ich weiß das alles schon! Und ich weiß, dass die Gesellschaft nicht bloß schlechtrasierte Telekom-CEOs braucht, die den Terror ständiger Erreich- und Verfügbarkeit vorantreiben, sondern auch solche, die Alternativen dazu verkörpern – Typen wie mich. Zugegeben, in Wirklichkeit bin ich einer von denen, die Wein predigen und Wasser trinken, aber das müsste nicht so sein. Ich kann auch gerne täglich bis um elf, na, sagen wir: bis halb neun ratzen und hernach mit einem Baguette unterm Arm durch halb Wien flanieren. „Seht“, würden die Leute ausrufen, „so geht’s also auch!“ Eine Gesellschaft müsste sich so einen doch leisten können! Man gebe mir also Geld dafür, und ich mache das.
Der Traum vom Schlafen
Wenn kurz vor Redaktionsschluss großer Stress herrscht, legt mein Chef seinen Platinkolbenhalter behutsam auf die krokolederne Schreibunterlage und schnürt auf seinen Kreppsohlen lautlos durch die Büros. Manchmal legt er mir kandierte Kirschen aufs Keyboard, massiert mir den Nacken oder onduliert mein Haar. Unlängst ließ er sacht ein Blatt Papier auf meinen Schreibtisch niedergleiten. Der Artikel über das rechtsradikale Potenzial unter den jungen Männern Mecklenburg-Vorpommerns war nur teilweise leserlich, daher dürfte wohl das vollständig kopierte Gedicht von Durs Grünbein die Botschaft dieser unverhofften Sendung gewesen sein. Es trägt den Titel „Exaltation im Schlaf“, beginnt mit den Zeilen „Wie tief man sinken kann, kaum ist das Licht/Gelöscht und von den Schultern fällt die Schwere“ und endet mit diesen: „Steif auf dem Rücken liegend, überfällt es mich –/, Ein Tapir war ich, an den Ufern fern des Orinoco.‘“
Na, das ist ja ganz hübsch. Und praktisch obendrein. Denn wenn Durs Grünbein meinen Wappentapir für sein Dichten heranziehen kann, dann darf doch auch ich seinem Gedicht hinterherkolumnieren und mich dem Schlaf widmen, der, so will’s der Grünbein, „von allen Lebenslagen die extremste“ sei. Das ist schön gesagt, aber halt schon auch ein bisschen so dahergedichtet, denn an sich ist der Schlaf ganz alltäglich und sein Ausbleiben in der Regel extremer als sein Eintreten. Man muss natürlich kein großer Freund der Psychoanalyse oder anderer komplizierter Weltanschauungen sein, um zu ahnen, dass während des Schlafs auch ordentlich was los sein kann, aber der Traum vom Schlafen sieht anders aus.
„Der schönste Schlaf ist sanftes Sinken, während deine Füße stinken“, schrieb Grünbein in einem Jugendgedicht anlässlich einer Interrailreise nach Skandinavien; und wieder einmal erweist sich, dass Alter in der Dichtung nichts bedeuten muss, am allerwenigsten Weisheit, Reife und Vollendung. Wenn man nach dreivierteldurchwachten Bahnfahrten durch halb Europa todmüde am Campingplatz ankommt, den Schlafsack aufbreitet und dann in der Sonne eindöst und ein paar Stündchen am Stück selig ratzt – das will ich Schlaf nennen!
Fein sein, zuhause bleibn
Vom vergangenen Sonntag ist zu berichten, dass er vom Bruch zweier Rituale begleitet wurde. Normalerweise umfasst der Sonntag körperliche Ertüchtigung in jahreszeitenabhängigen Formaten, die von der Besteigung des Hohen Lindkogels bis zur Praterrunde reichen können, die traditionsgemäß in der Luftburg endet. Nachdem die Frau an meiner Seite aber aus ungeklärten Gründen unter Magen- und ich aus sehr geklärten Gründen unter Kopfschmerzen litt, wurde vom Verlassen des Hauses abgesehen. Und nachdem die Kopfschmerzen ursächlich damit zusammenhingen, dass Freunde am vorhergehenden Abend gute Laune und Geschenkkörbe vorbeigebracht hatten, fielen auch die traditionsgemäßen Pommes mit Aioli als TV-Dinner zum „Tatort“ aus (ein Gericht, das ich aus Nigel Slaters Kochbuch „Einfach gut essen“ habe – beides, Gericht wie Buch, kann ich sehr empfehlen).
Normalerweise löst das Stubenhocken bei mir bald einmal Kasernierungsdepressionen aus, aber diesmal vertrug ich es erstaunlich gut. Bekanntlich rührt ja fast alles Unglück des Menschen von dem Umstand her, dass der nicht ruhig in den eigenen vier Wänden auf seinem Hintern sitzen kann. Die wunderbare Schauspielerin Julianne Moore hat vor einiger Zeit in einem Interview gestanden, dass sie nicht gerne ausgehe und nun endlich einen Mann gefunden habe, der ihr darin ein guter Begleiter sei. Mit Julianne Moore würde auch ich jederzeit nicht ausgehen, und vielleicht gelingt es mir ja, sie als Ehrenpräsidentin der soeben von mir gegründeten Society for Staying at Home (SSH) zu gewinnen.
Das Konzept von „Ausgehen“ habe ich übrigens noch nie verstanden. Man geht ins Wirtshaus oder ins Theater, aber man geht doch nicht aus! Ausgehen tut allenfalls das Bier – dann muss man zur Tankstelle. Ausgehen ist so etwas wie eine hypermobile Form von Party. Bei einer Party begibt man sich in gutbeschallte und schlechtgelüftete Räume, um auf Leute zu treffen, neben denen man nicht einmal in der Straßenbahn zu stehen kommen will; und beim Ausgehen sucht man gleich eine ganze Reihe solcher Räumlichkeiten auf: zuerst Happy Hour in der Ballermannbar, dann ab ins Multiplexx mit Nachos und Popcorn, hernach Disco und dann noch zu einer Party, die ein Typ gibt, den keiner kennt, bei der man aber gratis zu Koks und Bumsbekanntschaft zu kommen hofft. Und dann reihert man doch wieder nur aufs Parkett und macht andere uncoole Sachen. Wozu?!