Loe raamatut: «Die Erde ist uns anvertraut»
Leonardo Boff
Die Erde ist uns anvertraut
Leonardo Boff
Die Erde ist uns anvertraut
Die Eine ökologische Spiritualität
Aus dem Portugiesischen übersetzt von Bruno Kern
Butzon & Bercker
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ISBN 978-3-7666-1355-4
E-BOOK ISBN 978-3-7666-4125-0
EPUB ISBN 978-3-7666-4126-7
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Umschlagfoto: © Clinton Friedman – getty images
Umschlaggestaltung: Christoph Kemkes, Geldern
Satz: Schröder Media GbR, Dernbach
Druck: Bercker Graphischer Betrieb, Kevelaer
Inhalt
Einleitung: Das Prinzip Erde
Erstes Kapitel: Die Lebensgeschichte der Erde
1. Wie die Erde entstand und Gestalt gewann
2. Die Besonderheit der Erde
3. Wie die Kontinente entstanden
4. Die schönste Ausdrucksgestalt: das Leben
5. Das menschliche Leben bricht sich Bahn
6. Die große Zerstreuung und die Zivilisationen
7. Die aktuelle Phase der Erdgeschichte: die Mundialisierung
Zweites Kapitel: Die Erde als Gaia und Gemeinsames Haus
1. Die Entdeckung der Erde
2. Gaia, die neue Weise, die Erde zu sehen
3. Die Verwüstungen, denen die Erde ausgesetzt war und ist
4. „Wir sind Erde, die empfindet und liebt.“ – Was bedeutet dieser Satz?
Drittes Kapitel: Die Bedrohungen, denen Gaia ausgesetzt ist
1. Die gekreuzigte Erde
2. Warnende Stimmen
3. Das Fallbeispiel Amazonien
Viertes Kapitel: Das Ende der Gattung Mensch?
1. Die Erde wird eines Tages verschwinden
2. Bedeutet der weltweit durchgesetzte Kapitalismus Selbstmord?
3. Reale Möglichkeit des Endes der Gattung Mensch
4. Konsequenzen des Verschwindens der Menschheit
5. Wer könnte uns in der Evolution des bewussten Lebens ersetzen?
6. Wie sieht die Theologie das mögliche Ende der Gattung Mensch?
Fünftes Kapitel: Die Option für die Erde und die Dringlichkeit der Ökologie
1. Die Ökologie als Antwort auf die Krise der Erde
2. Die unterschiedlichen Dimensionen von Ökologie
a) Umweltökologie: die Gemeinschaft des Lebens
b) Politische und soziale Ökologie: nachhaltige Lebensweise
c) Mentale Ökologie: ein neues Denken und ein neues Herz
d) Integrale Ökologie: Wir gehören dem Universum an
3. Kann uns die Nanotechnologie retten?
4. Die ökologische Ethik: Sorge und Verantwortung für den Planeten
Sechstes Kapitel: Ein neues Paradigma der Zivilisation
1. Überwindung des herrschenden Paradigmas
2. Das Paradigma und seine Grundzüge
3. Die Gemeinschaft des Lebens
4. Das Universum: Ausdehnung, Selbstschöpfung und Selbstorganisation
5. Das Paradigma der Komplexität und die Logik der Gegenseitigkeit
6. Hat das Universum eine geistig-spirituelle Dimension?
7. Der Gottespunkt im Gehirn
8. Das Ganze in den Teilen und die Teile im Ganzen
Siebentes Kapitel: Planetarische Ethik und Spiritualität
1. Tragödie oder Krise und Chance?
2. Ein neues Modell der Produktion, der Verteilung und des Konsums
3. Orientierungspunkte für eine notwendige Moralität
4. Spiritualität der Erde
Achtes Kapitel: Die Erdcharta: jenseits der Entzauberung
1. Wie die Erdcharta entstand
2. Die wichtigsten Inhalte der Erdcharta
3. Verständnis, Mitgefühl und Liebe zur Erde
a) Für die Gemeinschaft des Lebens in Verständnis sorgen
b) Für die Gemeinschaft des Lebens in Mitgefühl sorgen
c) Für die Gemeinschaft des Lebens in Liebe sorgen
4. Die Erdcharta: von Neuem bezaubert
Neuntes Kapitel: Praktische Vorschläge, um Gaia zu schützen
1. Veränderungen in unserem Denken
2. Veränderungen im alltäglichen Leben
3. Veränderungen in Bezug auf die Umwelt
4. Ökologische Ratschläge des Padre Cícero Romão
5. Ökologische Prinzipien eines Meisters und Weisen
Schluss: Feier der Mutter Erde
Anmerkungen
Literaturverzeichnis
Einleitung
Das Prinzip Erde
Niemals zuvor wurde so viel über die Erde gesprochen wie in jüngster Zeit. Man könnte fast meinen, die Erde sei erst vor Kurzem entdeckt worden. Die Menschen haben unglaublich viele Entdeckungen gemacht: Indigene Völker, die in noch nicht erkundeten Waldgebieten verborgen lebten, neue Lebewesen, ferne Länder und ganze Kontinente … Doch die Erde selbst ist nie wirklich entdeckt worden. Es bedurfte erst der Tatsache, dass wir die Erde verließen und sie von außerhalb sahen, um sie als Erde zu entdecken, als das Gemeinsame Haus und die Weltkugel, wie sie sich vom dunklen Hintergrund des Universums abhebt.
Dies geschah in den Sechzigerjahren des vorigen Jahrhunderts im Zuge der sowjetischen und nordamerikanischen Raumfahrten. Die Astronauten übermittelten uns Bilder, die man niemals zuvor gesehen hatte, und sie beschrieben sie mit bewegenden Worten. So sagten sie zum Beispiel: „Die Erde kommt einem wie ein Weihnachtsbaum vor dem dunklen Hintergrund des Universums vor“; „sie ist unbeschreiblich schön, leuchtend, blau-weiß, sie hat in meiner Hand Platz und ich kann sie mit meinem Daumen verdecken.“ (White 1987) Andere zeigten angesichts der Erde Gefühle der Ehrfurcht und Dankbarkeit, ja sie beteten sogar. Alle kehrten sie aus dem Weltall mit einer neu entfachten Liebe zum Gemeinsamen Haus, unserer guten, alten Erde, unserer Mutter, zurück.
Dieses Bild von der von außerhalb betrachteten Weltkugel wurde via Fernsehen in der ganzen Welt verbreitet und findet sich auf großen Postern in den Schulklassen. Es erweckt in uns ein Gespür für die Heiligkeit und schafft ein neues Bewusstseinsstadium. Aus der Perspektive der Astronauten, vom Weltall aus, bilden Erde und Menschheit eine Einheit. Wir leben nicht nur auf der Erde. Wir sind die Erde, die aufrecht geht, wie es der argentinische Dichter und Sänger Atahualpa Yupanqui ausdrückte (Galasso 1992, 102 und 184). Wir sind die Erde, die denkt, die Erde, die liebt, die Erde, die träumt, die Erde, die verehrt, die Erde, die sich um Andere sorgt. Wir gehören zu den vielen Söhnen und Töchtern, die die Erde hervorgebracht hat und die gemeinsam die große Gemeinschaft des Lebens bilden, angefangen von den Bakterien, den Pilzen, den Viren, den Pflanzen, den Fischen und den Tieren bis hin zu uns Menschen.
Doch in jüngster Zeit sind schwerwiegende Bedrohungen sichtbar geworden, die die Erde in ihrer Gesamtheit betreffen. Daher rührt die neuerliche Sorge um sie, denn sie ist die Vorbedingung von allem: Sie ist es, die die Existenz aller Lebewesen aufrecht erhält und allererst ermöglicht; sie ist die Grundbedingung aller unserer Vorhaben. Ohne die Erde ist nichts möglich (Hart 2006, 61 – 78). Doch die Erde ist nun erkrankt, weil sie Jahrhunderte lang die Aggression vonseiten der Gattung Mensch zu ertragen hatte – jenes Menschen, der zugleich homo sapiens (intelligent) und demens (dumm) ist. Beim Menschen handelt es sich um eine Gattung, die nur allzu oft bewiesen hat, dass sie zum Brudermord, zum Völkermord fähig ist, indem sie Menschen und ganze Ethnien ausgerottet hat, und die nun möglicherweise die Ökosysteme und das Leben vernichtet und auf tragische Weise auch die lebendige Erde selbst töten kann.
Die Daten, die der IPCC (Intergovernmental Panel on Climate Changes, das heißt der wissenschaftliche Beirat der UNO zu Fragen des Klimawandels) im Zeitraum vom 2. Februar 2007 bis zum 17. November in Valencia veröffentlicht hat, machen uns bewusst, dass wir in eine neue Epoche der Erde eintreten, in die Phase der globalen Erwärmung, die plötzliche und irreversible Veränderungen bewirken wird. Diese Erderwärmung kann je nach Region zwischen 1,4 und 6 Grad Celsius schwanken. Im globalen Durchschnitt wird sie sich zwischen 2 und 3 Grad Celsius bewegen. Diese Erwärmung, die grundsätzlich etwas sein könnte, was der Physiologie der Erde eigen ist, hat sich in den letzten Jahrhunderten durch das Handeln des Menschen stark beschleunigt. Das menschliche Handeln ist nun ihre Hauptursache. Die klimatischen Veränderungen sind anthropogen, das heißt, der Mensch und der von ihm ins Werk gesetzte Industrialisierungsprozess, der nun schon drei Jahrhunderte andauert und seine Spuren in der Umwelt hinterlässt, sind deren Hauptverursacher.
Diese Veränderungen machen sich im Abschmelzen der Polkappen, in Taifunen, in länger anhaltenden Dürreperioden, verheerenden Überschwemmungen, im kontinuierlichen Rückgang der Artenvielfalt, in einer noch nie da gewesenen Wüstenbildung (die bereits 40 % des Bodens betrifft), in einer alarmierenden Trinkwasserknappheit und einer Zerstörung der Wälder bemerkbar. Wenn wir hier nichts unternehmen, erwartet uns ein trostloses Szenario: Das Leben von Millionen Menschen könnte ernsthaft bedroht sein.
So wie wir auf unverantwortliche Weise zur Zerstörung beigetragen haben, müssen wir nun dringend an der Regeneration der Erde arbeiten. Die Heilung der Erde fällt nicht vom Himmel, sie muss vielmehr das Ergebnis unserer Mitverantwortung und einer erneuten Sorge der gesamten Menschheitsfamilie sein (Colon 2007, 108 – 119). Deshalb bildet die Option für die Erde den neuen zentralen Bezugspunkt des weltweiten Denkens und der weltweiten historisch-gesellschaftlichen Praxis. So dramatisch die Situation auch ist: Wir glauben dennoch fest daran, dass der Mensch nach Millionen Jahren Evolutionsgeschichte nicht für ein solch tragisches Ende vorherbestimmt ist. Er hat keinen Grund, zum Satan der Erde zu werden, er kann vielmehr ihr Schutzengel sein. Seine Berufung ist es, für die Erde Sorge zu tragen wie jemand, der einen Garten – wie den Garten Eden – kultiviert (Boff 2002, 89 – 93). Dies ist die Lehre, die den ersten Seiten der Heiligen Schrift der Juden und Christen, die mit dem Buch Genesis beginnt, entnommen werden kann.
Angesichts dieser Situation ist die Erde tatsächlich zum großen Objekt der Sorge und Liebe der Menschen geworden. Sie ist nicht das physische Zentrum des Universums, wie man in der Antike und im Mittelalter annahm, doch sie wurde in den letzten Jahren zum Zentrum der Affektivität der Menschheit (Toolan 2001, 22 – 44). Wir haben keinen anderen Planeten, auf dem wir wohnen könnten. Hier haben wir uns entwickelt. Von hier aus betrachten wir das gesamte Universum. Hier lieben, weinen, hoffen, träumen wir und empfinden Ehrfurcht. Von der Erde aus beginnen wir unsere große Reise zum Jenseits, zum neuen Himmel und zur neuen Erde.
Allmählich entdecken wir, dass der höchste Wert darin besteht, das Weiterbestehen des Planeten Erde – des Erbes, das uns das Universum und Gott übereignet haben, um es zu behüten und zu vervollkommnen – sicherzustellen. Doch dieser Wert besteht auch darin, die physisch-chemischen, ökologischen und geistigen Bedingungen für die Selbstverwirklichung der Gattung Mensch, der gesamten Gemeinschaft des Lebens und jedes einzelnen ihrer Mitglieder so umfassend und solidarisch wie möglich zu garantieren (O’Murchu 2002, 197 – 206).
Aufgrund dieses neuen Bewusstseins sprechen wir vom Prinzip Erde, das eine neue Radikalität begründet. Jeder Wissenszweig, jede Institution, jede spirituelle und religiöse Tradition und jede einzelne Person müssen sich folgende Frage stellen: Was mache ich, um die gemeinsame Heimat, die Erde, zu erhalten und ihre Zukunft zu sichern, die aus dem bereits 13.700 Millionen Jahre alten Universum hervorgegangen ist und es wert ist, weiter zu bestehen? Auf welche Weise trage ich dazu bei, dass die Menschheit weiterhin am Leben bleiben, sich entwickeln und ihr weltweites Projekt verwirklichen kann? Das ist der Sinn unseres vorliegenden Buches „Die Erde ist uns anvertraut“: Die Lösung für die Erde fällt nicht vom Himmel.1
Die hier dargebotenen Überlegungen stehen in engem Bezug zum Hauptanliegen, das uns in den letzten Jahren beschäftigt und seinen Niederschlag in Vorlesungen, Tagungen und Artikeln gefunden hat (s. meine einschlägigen Zeitschriftenartikel und Bücher im Literaturverzeichnis).
All diese Überlegungen haben zum Ziel, eine neue Liebe und ein überwältigendes Gefühl der Ehrfurcht für die Erde zu erwecken. Diese Erde ist, wie wir weiter unten sehen werden, ein lebendiger Großorganismus, sie ist Gaia (griechisch: Erde), unsere gemeinsame Heimat, die Pacha Mama (Mutter Erde) unserer lateinamerikanischen Völker, die Mutter und Schwester des Franz von Assisi und von uns allen. Unser Schicksal ist an das ihre geknüpft. Und weil wir Erde sind, wird es ohne die Erde keinen Himmel für uns geben.
Angesichts der dramatischen Situation aufgrund der Klimaveränderungen scheint es uns dringend notwendig zu sein, das Prinzip Erde und die Option für die Erde zu betonen. Die Heilung der Erde wird das Ergebnis einer neuen Praxis sein, die von der Logik des Herzens, der Sorge, dem Mitleid, der Mitverantwortung, der empfindsamen Vernunft und der spirituellen Intelligenz geprägt ist. Diese Eigenschaften werden uns helfen, zu einem vernünftigen, solidarischen und demokratischen Umgang mit den Ressourcen und Gaben zu finden – sie alle sind endlich, einige sind erneuerbar und andere nicht –, die die Erde für die Gemeinschaft des Lebens bereithält.
Erstes Kapitel:
Die Lebensgeschichte der Erde
Die überwiegende Mehrheit der Menschen kennt nicht die Geschichte des Hauses, das sie bewohnt: der Erde. Sie kennt nicht einmal ihr eigenes unmittelbares ökologisches Umfeld. Sie weiß nicht, wie sich die Böden gebildet haben, wie alt die Berge ihrer Region sind, wie viele Tier- und Pflanzenarten das lebendige Ökosystem bilden. Sie kennt kaum die Geschichte der Menschen in der eigenen Gegend, weiß kaum, wer sie früher bewohnt hat, welche Helden, Künstler, Dichter, Heilige und Weise es dort gab. Wir alle sind mehr oder weniger ökologische Analphabeten, wissen nichts über den Ursprung der Erde und unsere eigenen Anfänge. Viele interessiert es nicht einmal, warum sie auf dieser Welt sind, was ihre besondere Stellung innerhalb der Gesamtheit der Lebewesen ist, und noch viel weniger beschäftigt sie die Frage, welches ihre Aufgabe angesichts des Universums und der Gemeinschaft des Lebens ist.
Nun, da die Erde und die Menschheit Gefahr laufen, großen Schaden zu nehmen, möchten wir dringend wissen, wie wir in diese Situation geraten sind. Doch zuvor ist es notwendig, die Biographie der Erde zu kennen und zu wissen, wie wir selbst aus ihrem Inneren, aus ihrem geheimnisvollen und aufnahmebereiten Mutterschoß hervorgegangen sind.
1. Wie die Erde entstand und Gestalt gewann
Im Folgenden möchten wir in knapper Form die Hauptabschnitte des Lebens der Erde beschreiben (vgl. Boff 1995; Brahic 2001; De Duve 1997; Hawking 1992, 2001; Küng 2007).
Zuerst gab es die Ursprungsquelle allen Seins, diesen unbenennbaren und praktisch unendlichen energetischen Hintergrund, der dem gesamten Universum und jedem einzelnen Wesen, das existiert, zugrunde liegt. Die Astrophyiker nennen das „Quantenvakuum“. Das ist eine in gewisser Weise unzutreffende Bezeichnung, denn das Vakuum, auf das man sich bezieht, ist alles andere als ein Vakuum im landläufigen Sinne. Es ist von einer unergründlichen und geheimnisvollen Energie erfüllt. Es ist das Zuvor des Zuvor, allem vorausliegend, was existiert und existieren kann, selbst dem Raum und der Zeit.
Zweitens: Aus diesem geheimnisvollen energetischen Hintergrund ging ein unendlich kleiner Punkt hervor, der jedoch von außerordentlicher Dichte und unvorstellbar heiß war. In ihm war alles in verdichteter Form da: Energie, Materie, Information, Raum, Zeit und praktisch alle Wesen, die später im Lauf der Evolution entstanden sind. Wir wissen nicht, warum, aber dieser Punkt dehnte sich aus, bis er schließlich die Größe eines Apfels erreichte, und explodierte mit einem Knall, der so gewaltig war, dass die Wissenschaftler sein entferntes Echo noch heute über die sogenannte „Hintergrundstrahlung des Universums“ vernehmen können. Dabei handelt es sich um eine Strahlung von äußerst niedriger Frequenz und konkret von drei Grad Kelvin.
Unmittelbar nach dieser großen Explosion entstanden Materie und Antimaterie zu praktisch gleichen Anteilen. Innerhalb einer Milliardstel Sekunde begann alles so weit abzukühlen, dass die ersten Elementarteilchen, die Quarks und die Antiquarks, entstehen konnten. Diese stießen nun miteinander zusammen und begannen sich gegenseitig zu zerstören. Sie setzten dabei ein energiehaltiges Photon frei. Die Symmetrie war aber nicht vollkommen. Innerhalb einer jeden Einheit von je einer Milliarde Quarks und Antiquarks gab es ein Quark zu viel. Und genau aus dieser überaus kleinen Restmasse bildete sich das gesamte Universum, das sich über eine riesige Ausbreitung von Gasen und daraus entstehender Materie entwickelte. In dem Maße, in dem es sich abkühlte, bildeten sich weitere Elementarteilchen wie die Protonen, die Neutronen, die Elektronen, die Positronen und die dunkle Materie. Aus der Verschmelzung dieser Elementarteilchen entstand das erste, einfachste Element, das Helium, das das gesamte Universum erfüllt. Es entstand Hunderttausende von Jahren vor dem Wasserstoff.
Die Ursprungsenergie, die einfach „Energie X“ genannt wird, entwickelte sich zu den vier Kräften, die dem gesamten Kosmos und jedem Wesen in ihm zugrunde liegen: Die Gravitation, die elektromagnetische Kraft, die starke und die schwache Kernkraft. Zusammen mit der Lichtgeschwindigkeit bilden diese vier Kräfte die kosmologischen Grundkonstanten. Sie alle wirken stets zusammen und verwandeln so das ursprüngliche Chaos in neue Ordnungen und komplexe Strukturen. So machen sie aus der Expansion einen Prozess der Evolution, der Entwicklung zu immer höherer Komplexität, Ordnung und Selbstorganisation (Autopoiese).
Drittens: Nach Abermillionen von Jahren verdichtete sich dieses erste Gas immer mehr. Es bildeten sich daraufhin die großen roten Sterne, die wie wahrhafte Hochöfen funktionierten, denn in ihrem Inneren herrschte ein andauernder Zustand der Blasenbildung und atomarer Explosionen. Daraus gingen die ersten physisch-chemischen Elemente hervor, die uns vom Periodensystem Mendelejews her bekannt sind, wie Kalzium, Schwefel, Silizium usw. Die roten Sterne leuchteten Abermillionen Jahre lang, dann hörten sie auf zu strahlen, und alle Elemente wurden aus ihrem Inneren in alle Richtungen hinausgeschleudert.
Viertens: Mit der Explosion bildeten sich im Universum auf unregelmäßige Weise unvorstellbar große Gaswolken, die sich aufgrund der Schwerkraft verdichteten und so zirka hundert Milliarden Milchstraßen und Milchstraßenhaufen entstehen ließen. Jede von ihnen umfasste etwa 200 Milliarden Sterne, in deren Innerem sich andere, schwerere Elemente bildeten, die für den heutigen Zustand des Universums wesentlich sind. Unsere Galaxie, die unter dem Namen „Milchstraße“ bekannt ist, hat eine Größe, die hunderttausend Lichtjahren entspricht.
Fünftens: Einer dieser Sterne ist von besonderer Art, denn er ist unsere kosmische Großmutter, der Vorfahr unserer heutigen Sonne. In seinem Inneren bildeten sich die übrigen Elemente wie Sauerstoff und Schwefel, die die Grundlage des Lebens bilden, Phosphor, der die Photosynthese ermöglicht, Kohlenstoff und Stickstoff, die für die Kombinationen, die den Strukturen des Lebens zugrunde liegen, für die Erbinformation, das Gedächtnis und das reflexive Bewusstsein fundamental sind. Auch dieser Stern explodierte, nachdem er Abermillionen Jahre lang geleuchtet hatte, und auch seine Elemente wurden über das gesamte Universum hinausgeschleudert. Ohne das Opfer seiner Existenz wären die Erde, das Leben allgemein und das menschliche Leben im Besonderen unmöglich gewesen.
Sechstens: Die riesige Gaswolke, die sich im Anschluss an die Explosion bildete und die voller Trümmer jeglichen Typs und jeglicher Größe war, wurde immer dichter, bis sie einen leuchtenden Stern bildete. So entstand vor fünf Milliarden Jahren die Sonne, wie wir sie heute kennen, die Herrscherin unseres Sonnensystems. Die Trümmer, die unter dem Namen Planetoiden bekannt sind, bildeten Haufen, aus denen schließlich die Planeten entstanden, die noch heute die Sonne umkreisen. Einer davon ist die Erde, die erst ca. 100 Millionen Jahre nach Bildung des Sonnensystems entstand.