Loe raamatut: «Meine Seele gehört dir»
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Epilog oder Meine Seele gehört dir
Meine Seele gehört dir
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Meine Seele gehört dir
Lisa Lamp
Erstausgabe
Juli 2021
© 2021 DerFuchs-Verlag
D-74889 Sinsheim
info@DerFuchs-Verlag.de DerFuchs-Verlag.de
Alle Rechte vorbehalten.
Das Werk, einschließlich aller Teile, ist urheberrechtlich geschützt.
Alle Rechte, insbesondere die der Vervielfältigung, Verbreitung, Übersetzung und Verfilmung liegen beim Verlag. Eine Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen ohne Genehmigung des Verlags ist strafbar.
ISBN 978-3-96713-022-5 (Taschenbuch)
ISBN 978-3-96713-023-2 (ePub)
Für Sonja!
Weil ich dank dir weiß, dass es nie zu spät ist, um nach dem Glück zu streben, das wir alle verdienen. Manchmal ist es das Kämpfen wert, um die Liebe seines Lebens zu finden.
Kapitel 1
Früh aufstehen war mir zuwider. Besonders im Winter, wenn es draußen noch dunkel war und es einem vorkam, als wäre es mitten in der Nacht. Viel lieber wäre ich in meinem überdimensionalen Bett, das für eine Person eindeutig zu groß war, liegen geblieben und hätte mich in meiner kuscheligen Decke eingerollt. Trotzdem riss mich der Wecker erbarmungslos aus dem Schlaf und hörte einfach nicht mehr auf zu klingeln.
Das nervige Piepsen klang viel zu laut in meinen Ohren und ich drückte mir das Kissen auf mein Gesicht, um mich vor dem Lärm zu schützen. Ich wusste, dass die meisten Leute mich für einen Morgenmenschen hielten, weil ich immer perfekt zurechtgemacht war, doch an manchen Tagen wollte auch ich bloß liegen bleiben und so tun, als wäre die Schule abgebrannt.
Aber das war etwas, das ich mir nicht leisten konnte, wenn ich einen guten Schulabschluss wollte. Der war in dieser Gegend unerlässlich, um zur Gesellschaft dazuzugehören. Auf keinen Fall wollte ich mir meine Zukunft verbauen, nur um einmal ausschlafen zu können. Letztendlich konnte ich ja am Wochenende länger schlafen. Deshalb schnaubte ich nach gut zehn Minuten frustriert, weil mich die gedämpften Klänge nicht wieder einschlafen ließen. Ich fuhr mir mit dem Handrücken über meine kitzelnde Nase, die Gott sei Dank nicht mehr entzündet war. Das ganze Wochenende hatte ich mit einer Erkältung gekämpft, doch pünktlich zum Wochenstart hatte ich sie überwunden. Es wäre auch eine Schande gewesen, mit tropfender Nase im Unterricht zu sitzen und gebrauchte Taschentücher auf meinem Tisch zu horten. Widerlich menschlich nannte meine Mom das, schließlich zeigte es, dass wir keine perfekten Wesen waren, sondern ebenfalls die Grippe bekamen.
Ich bewegte meine müden Knochen aus dem Bett und gähnte ausgiebig, während ich mir den Schlaf aus den Augen rieb. Halb gebeugt schlurfte ich ins angrenzende Badezimmer und sah in den Spiegel, nachdem ich meine Brille, die wie jeden Morgen am Waschbeckenrand lag, aufgesetzt hatte. Schläfrig blickten mir zwei kristallblaue Augen entgegen, als ich mir die Zähne putzte und meine Haut mit Seife säuberte.
Ich fand mich an den meisten Tagen schön mit meiner hellen Haut und den geschwungenen Lippen, trotzdem hatte ich immer etwas zu meckern. Egal, ob es um einen Pickel ging, der genau dann auftauchte, wenn ich es am wenigsten gebrauchen konnte, oder um eine Strähne, die einfach nicht richtig sitzen wollte. Obwohl ich Mädchen kannte, die weitaus schlimmer dran waren als ich, hörte ich täglich die Stimme meiner Tante im Kopf, die mir sagte, ich könnte mich noch so sehr anstrengen, würde aber niemals perfekt sein. Immer wieder zeigten mir die Kleinigkeiten, dass ich nie so aussehen würde, wie meine Cousinen, die perfekte Kopien meiner Tante waren. Sie war bereits zum zweiten Mal zur schönsten Schauspielerin gekürt worden.
»Isabella, bist du schon aufgestanden?«, rief meine Mom aus der Küche und ich war sogar zu müde, um sie zu korrigieren.
Jahrelang hatte ich sie gebeten, mich nicht Isabella, sondern Isa zu nennen, doch sie wehrte sich strikt, meinen schönen Namen zu verschandeln, wie sie selbst sagte. Dass ich ihn nicht mochte, ignorierte sie dabei gekonnt.
»Ja«, schrie ich, bevor ich meinen Pyjama auszog und zusammengelegt auf der Kommode neben den Handtüchern ablegte.
Es war ein Ritual, das ich mir seit meiner frühesten Kindheit eingeprägt hatte. Niemals würde meine Wäsche zerknüllt auf dem Boden in einer Ecke liegen, wie es bei den meisten Jugendlichen der Fall war.
»Sehr gut. Beeil dich, sonst kommst du zu spät!«, hörte ich noch, bevor ich unter die Dusche sprang und meine Umgebung ausblendete.
Ich liebte meine Mom, aber seit sie nicht mehr arbeitete, überwachte sie jeden meiner Schritte. Das war für ein Mädchen mitten in der Pubertät eine Qual.
Unter dem Duschkopf ließ ich das heiße Wasser über meinen Körper fließen und lehnte mich an die Wand, um zu entspannen und den Halbschlaf abzuschütteln. Ich hatte einen anstrengenden Tag vor mir. Zum einen mussten wir in Kunst unsere Bilder fertigstellen, zum anderen war es dringend nötig, den Stoff in Literaturgeschichte zusammenzufassen, wenn ich dieses Jahr meinen Notendurchschnitt halten wollte. In nicht einmal drei kurzen Wochen würde die Prüfungsphase beginnen und ich fühlte mich absolut unvorbereitet, obwohl ich schon seit Tagen lernte.
Nachdem ich fertig war und meine Haut trocken rubbelte, verschwand die Müdigkeit ein wenig und meine Motivation kehrte zurück. Ich schlüpfte in die weiße Bluse, die ich mir gestern zurechtgelegt hatte, und zog meinen schwarzen, perfekten Faltenrock an, der knapp meine Knie bedeckte. Kürzer wäre nuttig gewesen und länger zu prüde.
Ich band mir die blonden Haare zu einem Zopf, da sie mir sonst ins Gesicht fielen, und legte mir die Silberkette meiner Grandma um, die ich seit ihrem Tod täglich trug. Ich hatte meine Granny geliebt. Sie hatte mich verteidigt, mich mit ihrer unbeschwerten Art aufgeheitert und mir das Gefühl gegeben, ihr eigenes kleines Wunder zu sein. Der Verlust war hart für mich gewesen. Plötzlich war da niemand mehr, der meine Tränen trocknete oder mich zum Lachen brachte. Stattdessen hatte ich einen grauen Grabstein, auf dem ihr Name stand und die Erinnerung an schrottreifes Metall, das mit viel Fantasie entfernt an ein Auto erinnerte, in dem sie stets saß, ehe ein betrunkener Fahrer sie gerammt hatte.
Ein letztes Mal kontrollierte ich mein Aussehen im Spiegel und schluckte die aufkommenden Tränen hinunter, bevor ich die Treppe hinablief, um zu frühstücken.
»Du siehst fantastisch aus, Engelchen«, meinte mein Dad, wofür ich ihm ein Lächeln schenkte.
Dad war vollkommen anders als meine Mom, auch wenn er kaum da war, um das zu beweisen. Er hätte mich ebenfalls schön gefunden, wenn ich mit Jogginghosen und Turnschuhen aus dem Haus gegangen wäre, während Mom mir bereits einen Vortrag hielt, wenn ich Socken zu offenen Schuhen anzog oder mehr als drei Farben trug.
Mein Dad küsste mich auf den Kopf und ich schaufelte mir seelenruhig Pancakes mit Butter, Marmelade und Ahornsirup auf den Teller. Von meiner Mom kassierte ich dafür einen angeekelten Blick, aber den versuchte ich, so gut es ging, zu ignorieren und die Schuldgefühle wegzuschieben. Mir war bewusst, wie viele Kalorien ich gerade in mich hineinstopfen wollte, doch heute war mir einfach danach. Zur Not würde ich das Abendessen ausfallen lassen, um nicht zuzunehmen. Das reichte meiner Mom allerdings nicht. Ihr wäre es am liebsten, ich würde auf Frühstück und Abendessen verzichten, um ja kein Gramm zuzulegen. Dabei hatte ich nie mit Übergewicht zu kämpfen gehabt, ganz im Gegensatz zu Mom. Sie hatte als Jugendliche zu viel auf den Rippen gehabt. Vielleicht hatte sie deshalb solche Panik, wenn es um mein Gewicht ging. Es war sehr mühsam für sie gewesen, so dünn zu werden, wie sie es jetzt war. Meine Mutter hatte mit Gewichtsproblemen gekämpft, bis sie Dad traf und ihr die Meinung anderer wichtiger wurde, als ihre Liebe zu Schokolade und Co.
Ich widmete mich lieber Liliane, meiner kleinen Schwester. Sie war wie ich mit einem flachen Bauch gesegnet. Dennoch passte sie nicht ins Familienbild. Sie hatte das Aspergersyndrom, weshalb sie von meinen Eltern vor der Gesellschaft versteckt und privat unterrichtet wurde. Das war auch der Grund, warum Mom immer zuhause war. Ganz verstehen konnte ich das Verhalten meiner Familie nicht. Ich liebte meine Schwester und auch, wenn sie manchmal eigenartig auf alltägliche Situationen reagierte, hielt ich sie für das süßeste Mädchen, das ich kannte. Mit ihren acht Jahren war sie schon schlauer als viele, die doppelt so alt waren wie sie. Aber was tat man nicht, um die Nachbarn glauben zu lassen, man hätte ein hoch begabtes, statt ein in ihren Augen fehlerhaftes Kind? Richtig: alles.
Mom hatte ihren Job gekündigt, die Putzfrau und die Köchin entlassen und traf ihre Freundinnen nur noch außer Haus, wenn Lilly Unterricht bei ihrer Lehrerin hatte. Die war sogar dazu gezwungen gewesen, eine Verschwiegenheitsklausel zu unterschreiben, bevor sie anfangen durfte.
»Hörst du mir überhaupt zu, Isabella?«, unterbrach Mom meinen Gedankengang und klopfte neben mir auf den Tisch.
»Entschuldige, was hast du gesagt?«, fragte ich, aß etwas von den Pancakes und schenkte mir ein Glas Milch ein.
»Ich habe dich gefragt, ob du schon mit Emilia gesprochen hast. Schrecklich, was da passiert ist.«
›Ja, wahnsinnig schrecklich‹, dachte ich sarkastisch.
Emilia war seit Jahren meine beste Freundin oder das, was dem am nächsten kam. Wahrscheinlich, weil wir sehr ähnlich aufwuchsen und unsere Eltern zusammen arbeiteten. Ihr Vater war ein Spitzenanwalt in einer Kanzlei, die meinem Dad gehörte. Wir hatten praktisch keine andere Wahl, als uns anzufreunden, immerhin spielten wir bereits im Sandkasten zusammen. Trotzdem wusste ich, dass unsere Beziehung eher einer Zweckgemeinschaft glich. Ich war in der Schule beliebt und nahm Emilia auf jede Party mit, sodass sie ebenfalls zu den Coolen gehörte. Dafür war Emilia immer an meiner Seite und ich lief nie Gefahr, allein zu sein.
»Sie hat ein C in Geschichte geschrieben und keinen Unfall gehabt, Mom«, antwortete ich genervt und stellte die Milch wieder in die Mitte des Tisches, woraufhin Lilly anfing zu kreischen.
Verdammt! Ich hatte das Päckchen auf einen anderen Platz zurückgestellt und das mochte meine Schwester absolut nicht. Schnell verschob ich die Milch an die richtige Stelle und streichelte Liliane über den Arm, um sie zu beruhigen. Sie war nicht anstrengend, aber sie hatte ihre Eigenheiten und eine davon war, dass jedes Lebensmittel seinen Platz am Tisch hatte, weil sie sonst durcheinander kam.
»Wenn du mich fragst, ist ein C genauso schlimm, Isabella«, konterte Mom und ich musste den Drang unterdrücken, die Augen zu verdrehen.
»Was ist, wenn ich ab jetzt nur noch Cs nach Hause bringe? Oder Ds? Hast du mich dann nicht mehr lieb?«, wollte ich wissen und aß ein weiteres Stück meiner Pancakes, während ich auf das Urteil meiner Eltern wartete, das prompt kam.
»Du bist keine C-Kandidatin, Isabella. Du bist für mehr bestimmt«, wiederholte Dad die Floskel, die ich schon kannte, seit ich allein aufs Töpfchen gehen konnte.
Bei Dad wusste ich, dass er nur Moms Worte wiedergab, aber Mom glaubte den Schwachsinn wirklich, das sah ich an ihrem Gesichtsausdruck. Zwischen ihren gezupften Augenbrauen hatte sich eine Falte gebildet und ihre Lippen waren gespitzt.
Diese Diskussionen waren gefährlich, weil sie zu Konflikten führten, die ich nie gewann und am Ende arbeitete ich nur noch härter. Trotzdem hätte ich das Gespräch gerne weitergeführt, um zu erfahren, ob meine Mom mir knallhart sagen würde, dass ich dann nicht mehr ihre Tochter wäre, doch es hupte vor der Tür, bevor ich zu einer Erwiderung ansetzen konnte. Ich liebe dich, Em! Eilig stopfte ich mir noch zwei Bissen in den Mund und packte meine Sachen zusammen. Ich verabschiedete mich von meiner Familie, wobei ich Lilly, die mit einem ihrer zwei blonden Zöpfe spielte, wie jeden Morgen genau zwei Mal auf den Scheitel küsste. Meine Schwester mochte Routine. Es war eine ihrer Macken, die ich so sehr an ihr liebte, weil ich bei ihr immer Ruhe und Struktur fand, egal, wie chaotisch mein Leben gerade war.
Kapitel 2
Schon beim Verlassen des Hauses grüßte ich Emilia, die mich jeden Montag und Mittwoch zur Schule abholte. Ihre langen braunen Haare streiften das Lenkrad und glitzernde grüne Augen zwinkerten mir zu, als ich zu ihr in das Fahrzeug stieg und sie den ersten Gang einlegte.
»Bereit für einen neuen Tag in der Hölle?«, erkundigte sich Em belustigt und meine Stimmung hob sich.
Emilia war, trotz der vielen Nachhilfestunden, schlecht in Mathematik, weil sie den logischen Zusammenhang nicht nachvollziehen konnte. Deshalb hatte sie angefangen, die Schule, die sie einst geliebt hatte, jeden Tag mehr zu hassen. Der Druck, immer zu den Besten gehören zu müssen, hatte ihren Hass weiter geschürt und das Verhältnis zu ihrer Mom zerstört, die ihr ähnlich wie meine eigene Erzeugerin alles abverlangte.
Aber auch in unserer Freundschaft war durch Ems schlechte Leistungen ein Knick entstanden. Je schlechter ihre Noten wurden, desto mehr hatte Emilia das Gefühl, sich mit mir messen zu müssen, auch wenn es nur um Banalitäten ging, wie, wer früher seinen ersten Kuss erlebte oder wer schneller die neue Handtaschenkollektion im Schrank hatte. Em war bei allem die Erste und das schien ihr Selbstwertgefühl zu stärken. Obwohl es mich manchmal nervte, war es mir das wert, sie an meiner Seite zu haben.
Lachend nickte ich und Em fuhr los, wobei sie immer fünf Meilen oberhalb der Geschwindigkeitsbegrenzung lag. Sie war eine vorsichtige Fahrerin und hatte noch nie einen Unfall verursacht, doch sie wurde mindesten zweimal in der Woche wegen überhöhter Geschwindigkeit angehalten. Kein Polizist würde der Tochter des Staranwalts deshalb den Führerschein wegnehmen, aber es hagelte saftige Geldstrafen, über die Em sich freute. Sie legte es darauf an, ihren Dad zu verärgern, um wenigstens ein paar Minuten am Tag von ihm beachtet zu werden.
Kurze Zeit später kamen wir, mit Kaffee vom nächsten Supermarkt bewaffnet, bei der einzigen Schule im Ort an. Wie vor jedem klassischen Schulgebäude wuselten auch bei uns die Schüler umher und versuchten, zu ihrem Spind zu gelangen oder noch einmal die Vokabeln, die in der nächsten Stunde geprüft werden würden, zu wiederholen.
Sobald ich aus dem Auto stieg, begann mein ganzer Körper zu zittern. Kälte kroch in meine Knochen und ich musste die Jacke enger um meine Schultern ziehen. Frustriert kniff ich meine Augen zusammen und setzte meine Sonnenbrille auf, während ich mich wieder einmal über das Wetter ärgerte. Wir befanden uns mitten im Winter, aber die Sonne schien brutal auf uns hinab und kündigte den nahenden Frühling an. Schnell rannten wir über den Vorhof und wollten schon ins Gebäude gehen, um uns vor den eisigen Temperaturen in Sicherheit zu bringen, als ein lauter Krawall unsere Aufmerksamkeit auf sich zog. Auf dem Parkplatz schlugen zwei Jungs, die nicht älter sein konnten als Em und ich, aufeinander ein. In der Nähe stand ein Mädchen mit einem hinterhältigen Grinsen im Gesicht und ergötzte sich sichtlich an der Situation. Ihre Lippen waren belustigt verzogen, sie wickelte eine Strähne um ihren Finger und hob arrogant das Kinn, als wollte sie damit beweisen, dass sie großartig genug war, sodass sich zwei Kerle um sie zankten. Widerlich.
»Diesmal bist du zu weit gegangen, Gonzalez«, rief der Hüne mit braunem Haar und boxte seinem Gegner in die Magengegend.
Alejandro Gonzalez zahlte es seinem Angreifer heim, indem er ihm direkt ins Gesicht schlug und einen Tritt gegen das Schienbein verpasste.
»Komm runter, Alter. Ich habe deine Freundin nicht angefasst«, verteidigte der Schwarzhaarige sich und wäre die Situation nicht so ernst gewesen, hätte ich gelacht.
Alejandro fickte jede, die sich ihm anbot. Er war ein Casanova, der alles vögelte, was nicht bei drei auf den Bäumen war. Die Frauen lagen ihm zu Füßen, rannten ihm regelrecht hinterher, denn sie fanden ihn atemberaubend. Auch ich musste zugeben, dass der Latino mit den braunen Augen, die an flüssige Schokolade erinnerten, nicht zu verachten war, wenn man seinen miesen Charakter außer acht ließ.
Kurz vor meinem sechzehnten Geburtstag hatte ich mich Hals über Kopf in ihn verliebt. Naiv wie ich damals war, hatte ich ihm sogar meinen ersten Kuss geschenkt. Am Tag danach hatte er kaum ein Wort mit mir gesprochen. Ich war am Boden zerstört gewesen.
Natürlich hatte ich versucht, mit ihm zu reden, aber ab diesem Tag hatte er mich geschnitten und sich für immer verändert. Er fing an, sich zu prügeln, zu rauchen und jeden Tag eine andere Schnalle abzuschleppen. Lange hatte ich dabei zugesehen und mir gewünscht, die Zeit zurückdrehen zu können, weil ich dachte, ich hätte etwas falsch gemacht. Doch irgendwann hatte ich die Hoffnung aufgegeben und mein Leben weitergelebt. Na gut, nicht irgendwann, sondern nachdem Alejandro beschlossen hatte, so gut wie jedes Mädchen auf der Schule zu vögeln und anschließend wegzuwerfen. Seitdem hatte ich nur noch negative Gefühle in Bezug auf Alejandro, die leider manchmal mit mir durchgingen, wenn wir aneinandergerieten.
Wieder prügelte Alejo auf das Gesicht seines Gegners ein, der einfach nicht aufhörte, ihn zu beleidigen. Ein widerwärtiges Geräusch war zu hören, als die Nase des Hünen brach und Blut aus seinen Nasenlöchern spritzte. Die umstehende Masse riss schockiert die Augen auf, außer ein paar Anfeuerungsrufen schritt jedoch niemand ein, um den Kampf zu beenden. Das Blut des Verletzten verteilte sich auf den Kontrahenten und immer wieder knallte einer von ihnen auf den harten Boden.
Allein vom Zusehen hatte ich schon Schmerzen. Wie mussten sich die Kämpfenden erst fühlen?
Ein weiteres Knacken erklang, aber ich konnte nicht erkennen, welcher Knochen in Mitleidenschaft gezogen oder welcher der beiden verletzt wurde. Fäuste flogen durch die Luft, Kinnhaken wurden ausgetauscht und zur Krönung trat Alejo seinem Angreifer in den Schritt. Der Hüne fluchte und verzog schmerzhaft das Gesicht, bevor er sich erneut brüllend auf Alejo stürzte, der unfaire Mittel nutzte, um schnellstmöglich aus dem Kampf herauszukommen. Sicher nicht, um in den Unterricht zu gehen, wahrscheinlicher war eher, dass er sich die nächste halb nackte Schülerin suchen würde, deren Freund ihm morgen eins aufs Maul hauen wollte.
»Hört sofort auf mit dem Schwachsinn oder ich hole die Rektorin«, schrie ich, als der Hüne nun seinerseits anfing die Nase von Alejo zu bearbeiten, der seine Arme erhoben hatte, um sein kantiges Gesicht zu schützen.
Sein Kinn war bereits rot verfärbt. Bestimmt würde die Stelle anschwellen.
Verärgert starrten mich die Schaulustigen an, doch ich hatte nur Augen für die Streitenden, die ihre Zurschaustellung von Muskelkraft unterbrochen hatten.
»Was mischst du dich überhaupt ein, Streberin?«, zischte Alejandro und tastete seine Rippen auf Verletzungen ab.
»Wenn zwei testosterongesteuerte Halbwüchsige ihre primitiven Konfliktlösungsversuche vor der ganzen Schule austragen, kann ich als Schulsprecherin nicht wegsehen. Stellt euch vor, jemand schaut sich euer inkompetentes Verhalten ab und wird auch zum Vollpfosten!«, verteidigte ich mich und setzte ein selbstbewusstes Grinsen auf, obwohl ich mich alles andere als das fühlte.
Alejandros Blick ließ meine Knie weich werden und ich spürte, wie mein Mund trocken wurde. Seine Augen strahlten mich an und seine geröteten Wangen ließen ihn verboten gut aussehen. Obwohl mein Verstand Alejo abgrundtief hasste, schien mein Herz das noch nicht begriffen zu haben. Es pochte in meiner Brust und ich verdankte es der Kälte, dass niemand sich fragte, warum ich plötzlich rot anlief.
»Entschuldigen Sie bitte, Eure Königliche Hoheit, dass wir keinen roten Teppich ausgerollt haben, als Sie uns mit Ihrer Anwesenheit beehrt haben«, konterte er und deutete eine Verbeugung an, die ihn wie einen Butler aus dem achtzehnten Jahrhundert wirken ließ. Fehlten nur noch der Anzug und die weißen Handschuhe.
Sein Gegner war schon längst im Hintergrund verschwunden und wieder mal hieß es Alejandro gegen Isabella. Auch wenn ich peinlichst darauf achtete, mich nicht in Alejos Nähe aufzuhalten, kam es zwischendurch immer wieder zu Auseinandersetzungen der unangenehmen Art. Selbst wenn ein Gespräch normal startete, endete es, wie gerade eben, in einer Katastrophe.
»Eure Hoheit?«, wiederholte ich angesäuert und bahnte mir einen Weg durch die Schüler, die mir bereitwillig Platz machten.
Sie erwarteten eine große Show und leider bekamen sie diese meist geliefert, wenn der Schulcasanova und ich uns gegenüberstanden. Das Lächeln auf meinen Lippen war verrutscht und nun zierte eine ausdruckslose Maske mein Gesicht, während es in meinem Hirn ratterte.
»Tut mir leid, dass nicht jeder wie ein Bauer spricht und Kleidung trägt, die mehr Löcher hat als ein Sieb. Wenigstens weiß ich, dass man seine Probleme auch ohne Mord und Totschlag beseitigen kann. Doch davon verstehst du sicherlich nichts.«
Meine Stimme klang schrill in meinen Ohren und meine Hände waren zu Fäusten geballt. Alejos Verhalten regte mich auf, noch schlimmer war jedoch, dass ich mich schon wieder auf eine Diskussion mit ihm eingelassen hatte. Wann würde ich endlich aus meinen Fehlern lernen? Das endete nie gut!
»Ich würde lieber nackt zur Schule kommen als in den Fetzen, die du Kleidung nennst, aber dann würdest du wahrscheinlich spontan erblinden, ungebumste Ziege«, schrie er und lachte zum Schluss lauthals, als er mein Zusammenzucken bemerkte.
In der Umgebung konnte ich einige Mädchen hinter vorgehaltener Hand kichern hören. Ich spürte einen Stich in meiner Brust und mein Herz setzte einen Schlag lang aus, bevor ich mich wieder gefasst hatte. Ich war achtzehn Jahre alt und noch Jungfrau. In der heutigen Gesellschaft ein Makel, aber es hatte sich einfach nie ergeben. Nichtsdestotrotz war das ein Punkt, der mich verletzen konnte, weil es mir aus Gründen, die ich selbst nicht verstand, unangenehm war. Alejo benutzte diesen Fakt immer wieder gegen mich, obwohl mir nicht klar war, woher er von meiner Jungfräulichkeit wusste. Hatte ich es irgendwem erzählt? Oder hatte ich mich mit meinen Reaktionen auf seine Angriffe selbst verraten?