Loe raamatut: «Warum tut er das?», lehekülg 2

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Teil I

1
Das Rätselhafte

Achten Sie auf die Worte dieser Frauen:

Er besteht aus zwei verschiedenen Menschen. Ich habe das Gefühl, mit Dr. Jekyll und Mr. Hyde zu leben.

Er will mir nicht wirklich weh tun. Er verliert nur die Kontrolle.

Alle anderen finden ihn großartig. Ich weiß nicht, was ihn an mir so aufregt.

Er ist in Ordnung, wenn er nüchtern ist. Aber wenn er betrunken ist, muss ich aufpassen.

Ich habe das Gefühl, er ist nie zufrieden mit dem, was ich tue.

Ein paar Mal hat er mir Angst gemacht, aber die Kinder rührt er nie an. Er ist ein großartiger Vater.

Er beschimpft mich mit ekelhaften Namen, und eine Stunde später will er Sex. Ich verstehe das nicht.

Manchmal bringt er meinen Verstand durcheinander.

Die Sache ist die, dass er mich wirklich versteht.

Warum tut er das?

Dies sind die Worte von misshandelten Frauen, die ihre Ängste und inneren Konflikte in ihren Beziehungen beschreiben. Jede dieser Frauen weiß, dass etwas falsch läuft – sehr falsch –, aber sie kann nicht sagen, was es ist. Jedes Mal, wenn sie glaubt, dass sie ihren Partner durchschaut hat, dass sie endlich versteht, was ihn stört, passiert etwas Neues, etwas ändert sich. Die Teile weigern sich zusammenzupassen.

Jede dieser Frauen versucht, der Achterbahnfahrt, zu der ihre Beziehung geworden ist, einen Sinn zu geben. Lesen Sie Kristens Bericht:

Als ich Maury zum ersten Mal traf, war er der Mann, von dem ich geträumt hatte. Es schien zu schön, um wahr zu sein. Er war charmant, witzig und klug, und das Beste war, dass er verrückt nach mir war. Ich öffnete mich ihm gegenüber und erzählte ihm von den schwierigen Dingen, die ich in den letzten Jahren durchgemacht hatte, und er war bei all dem so sehr auf meiner Seite. Und er war so wild darauf, Dinge zu tun – was immer ich tun wollte, er machte mit. Das erste Jahr etwa, in dem wir zusammen waren, war großartig.

Ich kann nicht genau sagen, wann die Dinge sich zu ändern begannen. Ich glaube, es war ungefähr zu der Zeit, als wir anfingen zusammenzuwohnen. Es begann damit, dass er sagte, er brauche mehr Raum. Ich fühlte mich verwirrt, denn vorher hatte es immer so ausgesehen, als sei er derjenige, der jede Sekunde zusammen sein wollte.

Dann fing er an, immer mehr Kritik und Beschwerden zu äußern. Er sagte, dass ich die ganze Zeit nur am Reden wäre und dass ich egozentrisch sei. Vielleicht bin ich es – es stimmt, dass ich viel rede. Aber vorher hatte es den Anschein, als könne er nicht genug von mir hören. Er meinte, dass ich nichts aus meinem Leben mache. Ich weiß, dass er große Ambitionen hat, und vielleicht hat er recht, dass ich mehr unternehmen sollte. Aber ich bin glücklich mit dem, was ich habe. Und dann war es mein Gewicht. Er schien die ganze Zeit zu meckern, dass ich mehr trainieren müsse und dass ich nicht darauf achte, was ich esse. Das tat, ehrlich gesagt, am meisten weh. Er schien immer seltener Sex haben zu wollen, und wenn ich jemals versuchte, das Liebesspiel zu initiieren, vergessen Sie es.

Wir sind immer noch zusammen, aber ich habe das Gefühl, dass er mich verlassen wird. Ich kann ihm anscheinend nicht das geben, was er braucht. Ich versuche es, aber er sieht das nicht so. Und jetzt, wenn er wirklich wütend oder frustriert ist, sagt er Dinge, die mich entmutigen. Vor ein paar Tagen sagte er: „Du bist eine faule Schlampe, die nur einen Mann sucht, von dem sie leben kann, wie deine Mutter.“ Ich verstehe das nicht; ich habe viel zu unserem Leben beigetragen. Ich habe die letzten zwei Jahre, seit unser Baby da ist, nicht mehr gearbeitet, aber ich bereite mich darauf vor, bald wieder anzufangen. Ich glaube nicht, dass er es wirklich so gemeint hat, aber trotzdem …

Er sagt, ich habe mich sehr verändert, aber ich bin mir nicht immer so sicher, ob ich diejenige bin. Manchmal erscheint er mir für ein paar Tage wieder wie der Mann, in den ich mich verliebt habe, und ich mache mir Hoffnungen. Aber dann entgleitet er mir wieder und er ist so unzufrieden mit mir. Irgendwie provoziere ich ihn, aber ich weiß nicht, was ich falsch mache.

Kristen war durch mehrere Fragen beunruhigt. Was war mit dem Mann geschehen, den sie so sehr geliebt hatte? Warum hat er sie immer wieder beschimpft? Was konnte sie tun, um seine Ausbrüche zu verhindern? Warum dachte er, sie sei diejenige, die sich verändert hatte?

Andere misshandelte Frauen erzählen Geschichten, die sich deutlich von Kristens unterscheiden, aber sie sind genauso verwirrt wie sie. Hier ist, was Barbara beschreibt:

Fran ist irgendwie sehr ruhig und schüchtern. Aber er ist dabei knuddelig süß, und ich habe mich in ihn verknallt, als ich ihn zum ersten Mal traf. Ich musste wirklich selbst auf ihn zugehen. Es war schwer, ihn aus der Reserve zu locken. Wir wollten ausgehen und uns unterhalten und ich konnte es kaum erwarten, ihn wiederzusehen. Aber es vergingen drei Wochen, und er sagte, er habe sich nicht wohl gefühlt oder seine Schwester sei in der Stadt oder was auch immer. Ein paar Mal vergaß er Verabredungen, die wir hatten.

Nun, schließlich öffnete er sich. Es stellte sich heraus, dass er schon einmal sehr verletzt worden war. Er war oft betrogen worden, und Frauen hatten ihm einige ziemlich gemeine Dinge angetan. Er hatte Angst davor, eine engere Beziehung einzugehen.

Nach und nach kam er wieder aus sich heraus, aber ich war definitiv die Aktive. Ich versuchte, ihm zu zeigen, dass ich nicht wie die anderen Frauen bin, mit denen er zusammen gewesen war. Ich flirte nicht. Ich produziere meinen Körper nicht vor anderen Männern, das ist einfach nicht mein Stil. Aber Fran wollte es nicht glauben. Er sagte immer, ich würde einem Mann am Nebentisch schöne Augen machen, oder dass ich jemanden abchecke, der an uns vorbeigeht. Es tut mir leid für ihn, dass er so unsicher ist. Seine Mutter hat seinen Vater betrogen, als er heranwuchs, und das hat es wohl noch schlimmer gemacht.

Ich wollte ihn unbedingt heiraten, weil ich dachte, dann würde er das Gefühl haben, dass ich ihm gehöre, aber er wollte sich nur sehr ungern binden. Als wir endlich den Bund fürs Leben geschlossen hatten, war er eine Zeit lang vertrauensvoller. Aber dann kam die Eifersucht zurück, und sie ist nie mehr weggegangen. Ich habe ihn jahrelang immer wieder gebeten, einen Therapeuten aufzusuchen, aber er wird dann wirklich wütend und sagt, dass mit ihm alles in Ordnung sei.

Vor ein paar Tagen waren wir auf der Geburtstagsfeier seines Freundes und ich hatte ein tolles Gespräch mit dessen Bruder. Wir haben uns nur unterhalten – ich meine, der Typ ist nicht einmal süß. Nun, plötzlich sagte Fran, dass wir nach Hause gehen müssten, weil er schlimme Kopfschmerzen hätte. Auf der Heimfahrt stellte sich heraus, dass der wahre Grund Eifersucht war. Er fing an, mich anzuschreien, sagte, er habe es satt, dass ich ihn vor anderen Leuten demütige, „dass ich eine Show abziehen würde“ und so weiter und so fort. Er hämmerte mit der Faust auf das Armaturenbrett, und zwei oder drei Mal stieß er mich gegen die Autotür. Jedes Mal, wenn ich ihm sagte, es sei nicht wahr, ging er durch die Decke. Also hörte ich auf, das zu sagen. Unsere Kinder saßen auf dem Rücksitz; das hat sie zu Tode erschreckt.

In meinem Alter ist es schwer, daran zu denken, ihn zu verlassen. Von vorne anzufangen, scheint jetzt so schwierig zu sein. Ich wünschte nur, er würde etwas Hilfe bekommen.

Barbara kämpfte mit anderen Problemen als Kristen. Warum konnte Fran ihr nicht vertrauen, und warum isolierte er sie von anderen Menschen? Warum konnte er nicht sehen, dass er ein Problem hat, und sich Hilfe holen? Wollte er sie eines Tages ernsthaft verletzen? Würde ihr Leben jemals besser werden?

Auf den ersten Blick ähneln Maury und Fran sich nicht: Der eine ist jung, beliebt, energisch und durchsetzungsfähig; der andere ist sozial unbeholfen, passiv und leicht zu verletzen. Fran ist manchmal körperlich gewalttätig, Maury hingegen nicht. Aber sind sie so unterschiedlich, wie sie scheinen? Oder haben beide unter der Oberfläche tatsächlich die gleichen Probleme, die ihr Verhalten bestimmen? Dies sind einige der Fragen, auf die wir in den folgenden Kapiteln Antworten finden werden.

Betrachten Sie einen weiteren Bericht von Laura:

Paul ist ein toller Kerl. Wir sind etwa sechs Monate miteinander gegangen und leben jetzt schon seit mehreren Monaten zusammen. Wir sind verlobt. Er tut mir so leid. Seine Ex-Frau beschuldigt ihn, sie misshandelt zu haben, das ist jedoch eine totale Lüge. Er hat einen Fehler gemacht, nämlich, dass er sie betrogen hat, und sie ist wild entschlossen, ihn dafür zu bestrafen. Sie wird vor nichts zurückschrecken. Jetzt sagt sie sogar, er sei gewalttätig, und sie behauptet, er habe sie ein paar Mal geschlagen und ihre Sachen zerbrochen. Das ist doch lächerlich! Ich bin jetzt seit über einem Jahr mit ihm zusammen und ich kann Ihnen sagen, er ist überhaupt nicht so. Paul hat nie auch nur die Hand gegen mich erhoben. Er hat vielmehr versucht, mir zu helfen, mein Leben in Ordnung zu bringen, und er war wirklich für mich da. Als ich ihn kennenlernte, ging es mir schlecht, ich war deprimiert und ich trank zu viel, und jetzt geht es mir durch ihn so viel besser. Ich hasse diese Schlampe, weil sie ihm diese Dinge vorwirft. Wir werden gemeinsam daran arbeiten, das Sorgerecht für seine Kinder zu bekommen, denn sie ist außer Kontrolle geraten.

Laura fragte sich, wie Pauls Ex-Frau einen so reizenden Mann der Misshandlung beschuldigen konnte. Sie war darüber so wütend, dass sie mehrere Warnzeichen in ihrer eigenen Beziehung zu Paul nicht bemerkte.

Wenn Kristen, Barbara und Laura sich zusammensetzen und ihre Aufzeichnungen vergleichen würden, würden sie feststellen, dass ihre Partner nicht unterschiedlicher sein könnten. Die Persönlichkeiten der drei Männer scheinen Meilen voneinander entfernt zu sein, und ihre Beziehungen gehen sehr unterschiedliche Wege. Doch Maury, Fran und Paul haben tatsächlich weit mehr gemeinsam, als man auf den ersten Blick sieht. Ihre Launen, ihre Ausreden, ihre Einstellungen – sie alle sprudeln aus derselben Quelle. Und alle drei sind missbrauchende Männer.

Die Missbrauchstragödie

Missbrauch in Beziehungen betrifft eine unvorstellbar hohe Zahl von Frauen. Selbst wenn wir Fälle von rein verbaler und psychischer Misshandlung beiseitelassen und nur die körperliche Gewalt betrachten, sind die Statistiken schockierend: Laut dem Bundeskriminalamt (BKA) wird jede Stunde eine Frau Opfer einer Körperverletzung durch ihren Partner. Das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend berichtet, dass jede dritte Frau irgendwann in ihrem Leben Opfer von körperlicher oder sexueller Gewalt durch ihren aktuellen oder früheren Partner wird. Die emotionalen Auswirkungen von Gewalt durch den Partner sind ein wesentlicher Faktor bei Selbstmordversuchen und eine der Hauptursachen für Alkohol- und Drogenmissbrauch bei erwachsenen Frauen. Kriminalstatistiken zeigen, dass fast jeden dritten Tag eine Frau in Deutschland von ihrem Partner oder Ex-Partner ermordet wird und dass diese Morde fast immer eine Vorgeschichte von Gewalt, Drohungen oder Stalking haben.

Die Misshandlungen von Frauen sind schockierende Erlebnisse im Leben von Kindern. Millionen von Kindern werden jedes Jahr Zeuge eines Angriffs auf ihre Mütter – eine Erfahrung, die traumatisierend wirken kann. Kinder, die häuslicher Gewalt ausgesetzt sind, zeigen öfter auffälliges Verhalten in der Schule, haben Aufmerksamkeitsprobleme, sind aggressiv, leiden unter Depressionen und flüchten sich in Drogenmissbrauch als Ausdruck ihrer kindlichen Not. Gewalt gegen Frauen ist Studien zufolge die Ursache für etwa ein Viertel der Scheidungen von Paaren mit Kindern und führt in ca. der Hälfte der Fälle dazu, dass das Sorgerecht angefochten wird.

So alarmierend dieses Bild auch ist, wir wissen auch, dass körperliche Übergriffe nur ein Aspekt der Misshandlungen sind, denen Frauen ausgesetzt sein können. Es gibt Millionen weitere Frauen, die nie geschlagen wurden, die aber mit wiederholten verbalen Übergriffen, Demütigungen, sexuellem Zwang und anderen Formen des psychischen Missbrauchs leben, oft begleitet von wirtschaftlicher Ausbeutung. Die Narben von erlittenen seelischen Grausamkeiten können so tief und lang vorhanden sein wie Wunden von Schlägen oder Ohrfeigen, sie sind aber oft nicht so offensichtlich. Tatsächlich berichten mehr als die Hälfte der Frauen, die körperliche Gewalt durch einen Partner erlebt haben, dass die emotionale Misshandlung durch den Mann ihnen den größten Schaden zufügt.

Die Unterschiede zwischen dem verbal misshandelnden Mann und dem körperlichen Angreifer sind nicht so groß, wie viele Menschen glauben. Das Verhalten beider Täterarten hat die gleichen Wurzeln und wird von den gleichen Gedanken getrieben. Männer beider Kategorien folgen ähnlichen Veränderungsprozessen beim Überwinden ihres missbräuchlichen Verhaltens – falls sie sich ändern, was leider nicht der Normalfall ist. Außerdem gibt es nicht immer eindeutige Kategorien. Körperlich angreifende Männer beleidigen ihre Partnerinnen auch verbal. Psychisch grausame und manipulative Männer neigen dazu, nach und nach auch körperliche Einschüchterung einzusetzen. In diesem Buch werden Sie Täter in einem Spektrum antreffen, das von denen, die nie Gewalt anwenden, bis zu denen, die wahrlich Furcht einflößend sind, reicht. Das Ausmaß ihrer Gemeinsamkeiten wird Sie vielleicht erschrecken.

Eine der Schwierigkeiten, chronische Misshandlungen in Beziehungen zu erkennen, ist, dass die meisten misshandelnden Männer einfach nicht wie Missbrauchstäter wirken. Sie haben viele gute Eigenschaften, auch Phasen, in denen sie freundlich, herzlich und humorvoll sind, vor allem in der ersten Zeit einer Beziehung. Die Freunde eines Täters mögen große Stücke auf ihn halten. Er ist vielleicht erfolgreich im Beruf und hat keine Probleme mit Drogen oder Alkohol. Er mag einfach nicht in das Bild eines grausamen oder einschüchternden Mannes passen. Wenn eine Frau also das Gefühl hat, dass ihre Beziehung außer Kontrolle gerät, ist es unwahrscheinlich, dass sie ihren Partner als Misshandelnden wahrnimmt.

Die Symptome der Misshandlung sind da, und die Frau sieht sie in der Regel: eine eskalierende Häufigkeit von Herabsetzungen. Die frühere Großzügigkeit wandelt sich mehr und mehr zu Egoismus. Verbale Ausbrüche, wenn er gereizt ist oder wenn er sich nicht durchsetzen kann. Ihre Beschwerden werden ständig gegen sie selbst gerichtet, als wäre alles ihre eigene Schuld. Seine Einstellung wächst, dass er besser als sie weiß, was gut für sie ist. Und es entsteht in vielen Beziehungen ein wachsendes Gefühl der Angst oder Einschüchterung. Aber die Frau sieht auch, dass ihr Partner ein Mensch ist, der manchmal fürsorglich und liebevoll sein kann, und sie liebt ihn. Sie möchte herausfinden, warum er sich so aufregt, damit sie ihm helfen kann, den ständigen Wechsel von Höhen und Tiefen zu durchbrechen. Sie wird in die Komplexität seiner inneren Welt hineingezogen und versucht, Hinweise aufzudecken, indem sie einzelne Aspekte hin und her bewegt und versucht, ein kompliziertes Puzzle zu lösen.

Besonders verwirrend sind die Stimmungsschwankungen des Täters. Er kann von Tag zu Tag oder sogar von Stunde zu Stunde eine völlig andere Person sein. Manchmal ist er aggressiv und einschüchternd, sein Ton ist hart, seine Worte sind äußerst demütigend und beleidigend, sein beißender Spott und Zynismus ohne Grenzen. Wenn er sich in diesem Modus befindet, scheint nichts, was sie sagt, eine Wirkung auf ihn zu haben, außer dass es ihn noch wütender macht. Ihre Perspektive zählt in seinen Augen nichts, und alles ist ihre Schuld. Er verdreht ihre Worte, sodass sie immer in die Defensive gerät. So viele Partnerinnen meiner Klienten haben mir gegenüber beklagt: „Ich kann einfach nichts richtig machen.“

In anderen Momenten klingt er verwundet und verloren, sehnt sich nach Liebe und nach jemandem, der sich um ihn kümmert. Wenn diese Seite von ihm auftaucht, wirkt er offen und bereit zur Heilung. Seine Wachsamkeit scheint nachzulassen, sein hartes Äußeres wird weicher und er kann die Eigenschaft eines verletzten Kindes annehmen, schwierig und frustrierend, aber liebenswert. Wenn seine Partnerin ihn in diesem entmutigten Zustand erlebt, fällt es ihr schwer, sich vorzustellen, dass er sie jemals wieder misshandeln wird. Die Bestie, die ihn zu anderen Zeiten beherrscht hat, scheint nichts mit der empfindlichen Person zu tun zu haben, die sie jetzt erlebt.

Früher oder später aber legt sich der Schatten wieder über ihn, als hätte dieser ein Eigenleben. Wochen des friedlichen Miteinanders mögen vergehen, aber schließlich findet sie sich wieder unter Beschuss, und sie beginnt sich zu fragen, ob sie vielleicht diejenige ist, die nicht ganz richtig im Kopf ist.

Erschwerend kommt hinzu, dass jeder, mit dem sie spricht, eine andere Meinung über die Art seines Problems hat und darüber, was sie dagegen tun sollte. Ihr Seelsorger rät ihr vielleicht: „Liebe heilt alle Schwierigkeiten. Schenke ihm dein Herz ganz und gar und er wird den Geist Gottes finden.“ Ihr Therapeut spricht eine andere Sprache und sagt: „Er löst in Ihnen starke Reaktionen aus, weil er Sie an Ihren Vater erinnert, und Sie lösen in ihm wegen seiner Beziehung zu seiner Mutter Dinge aus. Jeder von Ihnen muss daran arbeiten, nicht die Trigger-Punkte des anderen zu drücken.“ Ein genesender alkoholkranker Freund äußert: „Er ist ein Wut-Junkie. Er kontrolliert dich, weil er vor seinen eigenen Ängsten Angst hat. Du musst ihn dazu bringen, dass er an einem Zwölf-Schritte-Programm teilnimmt.“ Ihr Bruder sagt vielleicht: „Er ist ein guter Kerl. Ich weiß, dass er manchmal die Beherrschung dir gegenüber verliert – er ist wirklich schnell reizbar –, aber mit deinem Mundwerk ist es auch nicht immer leicht. Ihr beide müsst das zum Wohle der Kinder in Ordnung bringen.“ Und dann, als Krönung ihrer Verwirrung, hört sie vielleicht von ihrer Mutter oder dem Lehrer ihres Kindes oder von ihrer besten Freundin: „Er ist gemein und verrückt, und er wird sich nie ändern. Er will dich nur verletzen. Verlasse ihn jetzt, bevor er etwas noch Schlimmeres tut.“

All diese Menschen versuchen zu helfen, und sie alle reden über denselben Täter. Aber er sieht aus jedem Blickwinkel anders aus.

Die Frau weiß aus dem Zusammenleben mit dem misshandelnden Mann, dass es keine einfachen Antworten gibt. Freunde sagen: „Er ist gemein.“ Aber sie kennt viele Situationen, in denen er gut zu ihr ist. Freunde sagen: „Er behandelt dich so, weil er damit durchkommt. Ich würde nie zulassen, dass mich jemand so behandelt.“ Aber sie weiß, je stärker sie mit der Faust auf den Tisch haut, desto zorniger und einschüchternder reagiert er. Wenn sie sich gegen ihn wehrt, lässt er sie dafür bezahlen – früher oder später. Freunde sagen: „Verlasse ihn.“ Aber sie weiß, dass es nicht so einfach sein wird. Er wird versprechen, sich zu ändern. Er wird Freunde und Familienmitglieder dazu bringen, Mitleid mit ihm zu haben und sie unter Druck zu setzen, ihm eine zweite Chance zu geben. Er wird schwer depressiv werden, sodass sie sich Sorgen machen wird, ob es ihm gut geht. Und je nachdem, was für ein Missbrauchstäter er ist, wird sie wissen, dass er gefährlich wird, wenn sie versucht, ihn zu verlassen. Vielleicht befürchtet sie sogar, dass er versuchen wird, ihr ihre Kinder wegzunehmen, wie es einige Täter tun.

Wie soll sich eine misshandelte Frau bei diesem Durcheinander ein vernünftiges Bild machen? Wie kann sie genug Einblick in die Ursachen seines Problems gewinnen, um zu wissen, welchen Weg sie wählen soll? Die Fragen, vor denen sie steht, sind dringende Fragen.

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