Spätes Glück in Kanada

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Spätes Glück in Kanada
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Manfred Wiedemann

SPÄTES GLÜCK IN

KANADA

DIE BEICHTE

KINDHEIT EINES

OPTIMISTEN

Engelsdorfer Verlag

Leipzig

2017

Bibliografische Information durch die Deutsche Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

Lektorat: Ingrid Riedelsheimer

Copyright (2017) Engelsdorfer Verlag Leipzig

Alle Rechte beim Autor

Hergestellt in Leipzig, Germany (EU)

www.engelsdorfer-verlag.de

INHALT

Cover

Titel

Impressum

Die Beichte

Spätes Glück in Kanada

Kindheit eines Optimisten

DIE BEICHTE

Das behäbige Dorf lag unweit südlich der Donau, im schwäbisch-bayerischen Flachland. Es war ein großer Ort mit vielen kleinen und einigen großen Bauern. Nur wenige Arbeiterfamilien ergänzten die Bewohner. Mehrere Krämerladen, Handwerker, vom Schmied über Maurer, Schreiner, Schneider usw., gab es im Ort. Eine Molkerei und eine stolze Brauerei mit zahlreichen Gaststätten waren nicht zu übersehen. Weite Felder und Wiesen lagen um das Dorf und ein Moorgebiet, die sogenannte „Höll“. Sie war ein Schatz der Natur, was aber damals nicht als solcher gesehen wurde. Es war eine Plage durch unzählige Mücken und Bremsen dort zu arbeiten und vor allem den Torf zu stechen. Eben die „Höll“. Ein stattlicher Wald, hauptsächlich mit Fichten bestanden, ergänzte die Landschaft. Von diesem Wald wird später noch zu reden sein. Dieses Bild bot sich dem Betrachter in den fünfziger Jahren dem Besucher.

Es gab eine Volksschule mit acht Schulklassen und eine große Kirche von der ein bekannter Maler einmal sagte, diese Kirche habe keinen Stil, es sei eben eine einfache Bauernkirche. Die Bewohner, zu neunzig Prozent Katholiken, waren zumeist fromme Leute und besuchten, die Schulkinder und ältere Leute beinahe täglich, in der Kirche die Messe. So blieb es nicht aus, dass aus dem Dorf innerhalb weniger Jahre zwei junge Männer zum Priester geweiht wurden und mit großem Pomp dort ihre Primiz feierten. Der eine hatte eine steile Karriere innerhalb des Priesterstandes vor sich. Man vermutete sogar, er würde es bis zum Bischof bringen, der andere ging ins Fränkische einige Zeit als Kaplan. Beide stammten aus größeren Bauernhöfen.

Nun war nicht abzusehen, wann es die nächste Primiz im Ort geben würde, denn ein neuer Kandidat war nicht in Sicht. Doch dem Mesner des Ortes ließ die Sache keine Ruhe und so hielt er Ausschau nach einem neuen Anwärter für das Priesteramt. Und er wurde fündig. Nach Rücksprache mit der Lehrerin, die beinahe katholischer als der Pfarrer war und des Religionslehrers des Knaben, war ein neuer geeigneter Junge gefunden. Der Name dieses Jungen war Walter.

Dieser Religionslehrer hatte den Titel eines Benefiziaten und damit komme ich zurück zum eingangs erwähnten Wald. Vor etwa dreihundert Jahren gab es hier einen Grafen, der bei einem Mordfall einen Meineid geschworen hatte. Und der sah die Rettung seiner Seele darin, dass er für die Gemeinde Gutes tun müsse, indem er der Kirche und dem Ort seinen Wald schenkte. Und um die Sache ganz sicher zu machen, richtete er für die Gemeinde ein Benefizium ein. Das bedeutete, dass er dafür ein Haus für einen weiteren Geistlichen zu bauen hatte und für dessen Auskommen durch eine Stiftung sorgen musste. Die Gegenleistung war ein tägliches Gebet aller Gläubigen für den adligen Herrn. Damit, so meinte er, war der liebe Gott für seine Sünde sicher entschädigt, denn was wog wohl schwerer: Die Sünde des Meineids oder die vielen guten Taten. Er starb mit großer Zuversicht in höherem Alter.

Doch zurück zu unserem Priesterkandidaten. Die Freude über den Fund dieses Knaben war groß, auch wenn die Sache einen Haken hatte. Der Knabe Walter war armer Leute Kind und die konnten das Geld für ein Studium nicht aufbringen. Wo aber ein Wille ist, ist auch ein Weg und man würde schon irgendwie eine Lösung finden. Wichtig war jetzt, dass die Eltern des Jungen auch einverstanden waren, denn darüber geredet hatte bisher weder mit seinen Eltern, noch mit ihm niemand. Aber es musste doch für die armen Leute eine Ehre sein, die Aussicht auf einen Geistlichen aus der Familie zu haben. Die Mutter des Buben war hellauf begeistert von der Geschichte, der Vater eher skeptisch. Er behielt aber seine Zweifel für sich, denn er konnte sich, ohne im Ort ein Ketzer zu sein, nicht erlauben, dagegen zu argumentieren. Der Bub wurde ohnehin nicht gefragt, denn der würde nicht wagen, diese Ehre auszuschlagen. Natürlich informierte die Mutter die gesamte Verwandtschaft über diese erfreuliche Entwicklung ihres Jüngsten. Sie erzählte das auch allen Bekannten, egal, ob die das hören wollten oder nicht. Und ganz besonders auch ihrer Schwester, die eine Nonne war und in der afrikanischen Mission lebte. Sie versprach, viel für den Jungen zu beten.

Nach den großen Ferien wechselte Walter aufs Gymnasium und galt fortan als Kandidat für das Priesteramt. Seine Mitschüler akzeptierten dies, auch wenn manche ihn hänselten und ihn mit „Herr Hochwürden“ … anredeten. Durch die Macht des Pfarrers, der in einer Predigt die Sache ansprach, wurde aber diesem Hänseln schnell ein Ende gemacht.

Nun, der Bub hatte keine Schwierigkeiten auf dem Gymnasium, denn er war ja ein intelligenter Junge. Auch wenn ihm das Lernen lateinischer Vokabeln manchmal zu viel wurde und er lieber mehr Freizeit, etwa zum Fußballspielen, gehabt hätte. Ein Problem aber waren die ständigen Geldnöte. Er war ja, wie wir wissen, das Kind armer Eltern. Aber auch das ließ sich leidlich lösen, denn der Mesner, der ja selber auch nicht reich zu bezeichnen war, steckte ihm heimlich öfter mal ein paar Mark zu. Ob dieses Geld aus der Sonntagskollekte oder aus dem Opferstock stammte, blieb das Geheimnis des Mesners. Jedenfalls hatte der deswegen kein schlechtes Gewissen, denn die Angelegenheit diente ja einem guten Zweck.

Die Jahre vergingen und das Abitur rückte näher. Der junge Walter, inzwischen neunzehn Jahre alt geworden, bestand auch hier, auch wenn es nicht die besten Noten waren.

Er war zu einem hübschen jungen Mann herangewachsen und so manches junge Mädchen warf schon mal ein Auge auf den sauberen Burschen. Auch dem entgingen die Blicke der Schönen nicht und er überlegte, ob er den Priesterberuf nicht an den Nagel hängen solle, schließlich standen ihm nun die Türen für ein anderes Studium offen. Jedenfalls hatte das mit den Mädchen schon seinen Reiz. Und da er nicht aus Holz war, traf er sich schon mal mit dem einen oder anderen Mädchen und dabei kam es dann zu einem Kuss. Das Problem war, dass ein anderes Studium auch Geld kostete und er niemand hatte, der ihm das finanzieren würde.

In seinen Zweifeln besuchte er den Ortspfarrer um sich diesem anzuvertrauen. Dass der ihm aber zureden würde, den gefassten Plan zu verlassen, war nicht zu erwarten. Im Gegenteil. Dieser machte ihm Vorwürfe, er wäre ein undankbarer Bursche und nun einmal für das Priesteramt ausersehen. Und er wäre ein gewissenloser Frevler, wenn er den eingeschlagenen Weg nicht fortsetzen würde. Zudem müsse er zugeben, dass auch ihm in jungen Jahren Zweifel gekommen wären und er diese aber durch das Gebet überwunden hätte. Leider änderten sich die Zweifel durch ein Gebet des Aspiranten nicht und die Entscheidung über seinen weiteren Werdegang blieb ihm selbst überlassen. Er überlegte hin und her und kam zu dem Entschluss, dass er den begonnenen Weg fortsetzen müsse. Er dachte auch daran, dass das Leben eines Pfarrers nicht das schlechteste sei, man konnte dies am Leben des hiesigen Pfarrers sehen.

Er besuchte also das Priesterseminar mit einigen anderen jungen Männern und fühlte sich nach einer Eingewöhnungszeit recht wohl in diesem Institut. Das Leben nahm dort seinen Gang. Und dass hier neben dem Studium auch regelmäßig Gottesdienste stattfanden war ja zu erwarten und gehörte zur Ausbildung. Es blieb nur wenig Zeit für andere Dinge und an die Mädchen zu denken verbot sich von selbst. So gingen ein paar Jahre dahin, er war mit der Entwicklung ganz zufrieden.

Eines Nachts, unser Seminarist hatte einen sehr gesunden Schlaf, mit einer Eigenart. Wenn ihn jemand durch Berührung weckte, schlug er ohne zu erwachen kräftig aus, was seine Zimmergenossen schon einmal schmerzlich erfahren mussten. Eines Morgens erschien einer seiner Lehrer, der ja ein Geistlicher war, beim gemeinsamen Frühstück mit einem blauen Auge. Walter wunderte sich sehr darüber und auf Befragen erklärte ihm einer seiner Schlafnachbarn recht geheimnisvoll, dass er, Walter, ihm das blaue Auge geschlagen habe, als dieser zu ihm ins Bett schlüpfen wollte. Dadurch verwirrt, erkannte er, dass es hier um Homosexualität ging und auf Nachfrage sagte ihm ein Kommilitone, dass dies hier im Seminar ganz normale Praxis sei.

Entsetzt über so viele Schwule ging sein erster Weg zum Regens des Seminars, um diesem mitzuteilen, dass er das Seminar sofort verlassen würde, denn er könne so nicht leben. Der aber erklärte ihm in aller Ruhe, dies wäre eine Ausnahme von der er nichts gewusst habe und er würde die Konsequenzen ziehen. Es wäre jedenfalls kein Grund, alles aufzugeben. Schließlich habe Gott dem Menschen die Sexualität gegeben und die mache auch vor Priestern nicht halt. Und der Teufel habe auch ihn schon versucht. Die Konsequenzen konnte Walter nicht erkennen, aber er wusste ja nicht, wie der Regens mit seinem Bruder im Geiste verfahren hatte. Walter hatte jedenfalls vor dem Mann seine Ruhe.

 

Doch Walter wusste nicht wie es weitergehen sollte und meldete sich krank. Er ließ keinen Menschen an sein Bett und überlegte krampfhaft, was er tun könne. Der Austritt aus dem Seminar wäre wohl die sauberste Lösung. Aber zwei Jahre Theologiestudium waren fast vorbei, ein neues Studium zu beginnen verbot sich schon aus Geldnot und etwas anderes hatte er nicht gelernt. Die einzige Möglichkeit war, einen Handwerksberuf zu erlernen. Aber welcher Meister wollte schon einen Theologiestudenten mit einundzwanzig Jahren als Lehrling haben. Es blieb ihm also nichts anderes übrig als weiter zu machen. Er würde künftig auf der Hut sein und sich noch deutlicher wehren als in dem unbewussten nächtlichen Erlebnis. Er schlief nur noch sehr unruhig und das Studium fiel ihm schwer. Aber auch für die Mädchen hatte sich sein Interesse bei den wenigen Stadtbesuchen gelegt. Walter wollte nur noch allein sein.

Die Jahre vergingen, er wurde wieder ruhiger, aber er war nie mehr der fröhliche junge Mann von einst. Er vertraute niemand seine bösen Erlebnisse an, auch nicht seinem Ortspfarrer, den er wohl oder übel bei seinen Ferien besuchen musste.

Die Weihe zum Diakon ließ er innerlich fast teilnahmslos über sich ergehen. Er wusste noch immer nicht, wie er sich entscheiden sollte und ob der Priesterberuf für ihn das Richtige sei. Er hoffte, die Zeit würde für ihn arbeiten. Und weil er sehr gläubig war, würde Gott ihm helfen, das Rechte zu tun.

In der Zeit als Diakon kam er in eine kleine Dorfpfarrei, wo er einem alten Pfarrer das Leben erleichtern sollte. Dieser Pfarrer konnte nur noch seine wichtigsten Aufgaben erfüllen, also täglich eine Messe lesen; die sonntägliche Predigt ließ er meist ausfallen. Der Mann war voller Güte, aber recht altmodisch. Seine „Schäflein“ liebten ihn, waren aber unzufrieden, weil er nur noch das unbedingt Notwendige tun konnte. Das Schwerste für ihn war, eine Beerdigung abzuhalten. So geschah es immer wieder, dass ein Pater aus einem nahen Kloster für ihn einspringen musste. Diese Herren aber kannten die Leute aus dem Dorf nicht und die Leute waren deshalb meist enttäuscht von so einer Beerdigung. Man erwartete, dass der Seelsorger den Lebensweg des Verstorbenen mit viel Lob nachzeichnen würde. So war es seit Menschengedenken.

Nun war es an Walter, am Sonntag oder auch bei einer Trauung zu predigen, und eben nach dem Geschmack der Dorfbewohner eine Beerdigung feierlich zu begehen. Anfangs begegneten ihm die Christen mit viel Misstrauen und Walter spürte, dass er bei den Leuten noch nicht angekommen war. Aber durch seine Art zu predigen schlug dieses Misstrauen bald in Sympathie um und er fühlte sich recht wohl in dieser Kirchengemeinde. Als aber seine erste Beerdigung anstand, fühlte er sich doch fast überfordert. Der alte Pfarrer erzählte ihm den Lebensweg des Verstorbenen und meinte, die Leute wären damit sicher zufrieden. Mehr sollte er dabei nicht sagen. Walter überlegte sehr lange, wie er diese Ansprache gestalten könne, folgte dem Rat seines „Chefs“ nur in aller Kürze und fügte in seiner Rede ausführlich an, dass ein Christ auf seinem letzten Weg nichts zu befürchten habe, denn der Herrgott sei ein liebender Gott und im Himmel sei Freude darüber, weil wieder ein ehrlicher Mensch nach einem erfüllten Leben sein Ziel erreicht habe. Damit hatte er die trauernde Gemeinde erreicht und war im Dorf angekommen. Es folgte für ihn eine schöne Zeit in seiner Arbeit als Diakon.

Nach einem Jahr aber stand die Priesterweihe für ihn an. Er hatte sich gut darauf vorbereitet und freute sich auf das große Ereignis. Endlich sollte er Priester werden. Mit weiteren fünf Kandidaten fand die Weihe im Bischofsdom statt. Dabei mussten sich die sechs ausgestreckt auf den Boden legen, zum Zeichen der Demut vor Gott, nicht vor dem Bischof. Walter gingen dabei seltsame Gedanken durch den Kopf. Es war seine endgültige Entscheidung für diesen Beruf. Seine Zweifel waren wie weggeblasen. Und es hinterließ einen unauslöschlichen, positiven Eindruck wie in einem Rausch.

Nach ein paar Tagen folgte die Primiz in seinem Heimatdorf. Sie wurde nicht mit dem gewohnten Pomp wie bei den Vorgängern gefeiert, er war ja das Kind armer Eltern. Aber es war doch ein großes Fest. Der Ortspfarrer lobte ihn mit rührenden Worten. Und er sagte, was es für ein Segen für seine Familie und für die ganze Gemeinde sei, wieder einen Priester aus dem Ort zu haben. Und der Herrgott habe ihn erhört, denn er hätte viel für den Primizianten gebetet. Die Leute kamen von weit her, denn um den Segen eines Neupriesters zu erhalten, soll man sich nach katholischem Volksglauben ein Paar Schuhe durchlaufen. Walters Mutter war überglücklich und auch sein Vater schien zufrieden zu sein. Nun, Walter war jetzt Priester.

Er überlegte, ob er in die Mission gehen solle, da hätte er wohl die Ruhe, die ihm trotz all der Feierlichkeiten und dem guten Gefühl bei der Priesterweihe so fehlte, wiederfinden können. Die Entscheidung fiel ihm schwer. Aber es hatte ja noch ein paar Wochen Zeit; er wollte diese freie Zeit so gut wie möglich genießen.

*

In diese Zeit fiel ein großes Schützenfest im Dorf. Er hatte die Ehre, bei dem Feldgottesdienst zu predigen. Die Leute waren begeistert von seiner Art zu reden, auch wenn er sich selber dabei nicht so wohl gefühlt hatte. Man nötigte ihn aber auch, zur weltlichen Feier zu gehen, auch wenn er dazu keine Lust verspürte. Und als der Dorfpfarrer ihn aufforderte, doch mit einem der Mädchen zu tanzen, lehnte er entrüstet ab. Doch er, der Pfarrer sagte, er hätte das früher auch gemacht und es sei ja keine Sünde. Da entschloss er sich, wohl oder übel, mit einem Mädchen, das die Tochter eines reichen Bauern war, der viel für sein Studium gespendet hatte, zu tanzen. Es machte ihm wenig Freude und er war ja auch kein guter Tänzer. Es fehlte ihm sowohl die Übung, wie auch das Können. Trotzdem kam ein sonderbares Gefühl in ihm hoch, als das Mädchen, das nicht sehr hübsch war, sich aber eng an ihn schmiegte und er die vollen Brüste des Mädchens deutlich fühlte. Es war beinahe so wie früher, als die jungen Mädchen sich nach ihm umsahen. Walter hatte inzwischen auch einige Gläser Wein getrunken und kam in eine sonderbar melancholische Stimmung. Er wollte jetzt nur noch nach Hause. Als er sich von den Honoratioren verabschiedete, gab er auch der Tochter des Lehrers, der vor einem Jahr zugezogen war und die recht hübsch war, die Hand und bemerkte deren eigenartigen etwas verschämten Blick.

In seinem Elternhaus angekommen, wollte ihm die Mutter noch ein Glas Wein aufdrängen, doch Walter sagte, er sei jetzt sehr müde und wolle nur noch ins Bett. Er konnte lange nicht einschlafen, verrichtete sein Nachtgebet, aber der Schlaf wollte sich nicht einstellen. Er schob das auf das Fest, das ihn doch mehr Kraft gekostet hatte als er glaubte. Und er sah immer wieder die Augen der hübschen Lehrerstochter.

Am nächsten Tag, er hätte beinahe die Frühmesse, die er zu lesen hatte, verschlafen, fühlte er sich wie ein anderer Mensch. Es waren schwere und doch wohlige Gedanken in ihm, die er sich nicht erklären konnte. Eines aber war ihm ganz plötzlich klargeworden. In die Mission würde er nicht gehen, das stand für ihn fest. Und wieder sah er die schönen Augen der Lehrerstochter vor sich.

Walter würde in einer großen Stadt eine Stelle als Kaplan antreten und alles Weitere auf sich zukommen lassen. Es hatte wenig Sinn, sich darüber jetzt Gedanken zu machen. Das Ordinariat hatte ihn ja schon eingeplant.

Die Tage in seinem Heimatdorf vergingen nur allzu schnell und der Ruf in die Großstadt kam. Walter hatte sich noch mit vielen Glückwünschen von seinen Schulfreunden, vom Pfarrer und allen wichtigen Menschen im Dorf und natürlich seinen Eltern verabschiedet und war gespannt auf die Dinge, die nun kommen sollten. Seine Mutter weinte Tränen vor Glück und die Schwester der Mutter bedauerte in einem langen Brief, dass sie leider zur Primiz nicht kommen konnte und dass sie sicher sei, ihr Beten habe dazu beigetragen, dass ihr Neffe nun Priester sei. Der skeptische Blick seines Vaters aber war Walter nicht entgangen. Aber es war zu spät, eine Aussprache mit dem Vater herbeizuführen; er hätte dies längst tun sollen.

*

Walter fuhr in die große Stadt und suchte gleich die Pfarrei auf, in die er gerufen worden war. Auf sein Läuten öffnete ihm eine Frau im Alter von etwa vierzig Jahren und begrüßte ihn freundlich mit den Worten: „Sie sind sicher der neue Kaplan, ich werde Sie gleich dem Herrn Pfarrer melden!“ Dass er ein Priester war, konnte man leicht an seinem Talar erkennen, denn es war damals üblich, den Rock des Geistlichen zu tragen. Hinter der Haushälterin stand ein kleiner Junge im Alter von ungefähr vier, fünf Jahren.

Walter war auf seinen neuen „Chef“ sehr gespannt und wurde angenehm überrascht. Der Pfarrer war ein freundlicher älterer Herr von vielleicht fünfundsechzig Jahren. Er begrüßte ihn mit den Worten: „Da sind Sie ja, junger Freund, man hat Sie mir schon lange angekündigt.“ Walter bedankte sich mit den Worten, „Hochwürdiger Herr Pfarrer, ich hoffe, Sie werden mit mir zufrieden sein, es ist ja meine erste Stelle als Kaplan. Ich werde mich bemühen, Sie nicht zu enttäuschen“. Der Pfarrer lächelte und bedeutete ihm gleichzeitig, er könne sich den „Hochwürden“ ruhig schenken, denn sie wären ja beide Diener des Herrn. Und diese wären nicht hochwürdig, sondern wie gesagt Diener. Und nicht nur Diener des Herrn, sondern und vor allem Diener ihrer Gemeinde. Seine Haushälterin, das Fräulein Marie, solle ihm sein Zimmer zeigen, denn er würde doch im Hause wohnen wollen? Dann aber solle er gleich wieder zu ihm kommen, denn sie hätten ja einiges zu besprechen. Walter bejahte das sehr gerne, hätte dieses erste Treffen doch auch anders ausfallen können.

Das freundliche Fräulein Marie begleitete ihn auf sein Zimmer, das im ersten Stock des Hauses gelegen, nicht sehr groß, aber gemütlich eingerichtet war. Neben dem Bett befand sich ein Schreibtisch, ein Tisch mit ein paar Stühlen und ein geräumiger Kleiderschrank. An der Wand hing ein großes Kruzifix und daneben eine Madonna. Auf dem Fensterbrett standen blühende Topfblumen. Fräulein Marie zeigte ihm noch ein kleines Badezimmer, direkt neben seinem Zimmer gelegen und erklärte ihm, dass es ausschließlich ihm gehöre. Damit ging sie.

Walter dachte, dass er nun das große Los gezogen habe, aber er wollte die Dinge doch nicht überstürzt angehen. Man konnte nicht wissen …

Nachdem er sich frisch gemacht hatte, ging er wieder zu dem freundlichen Pfarrer, der ihn mit einem Glas Wein willkommen hieß. Walter erschien dies alles ein wenig unwirklich. Das hätte ja auch anders kommen können. Sie besprachen die Formalitäten, den Gottesdienst und den Religionsunterricht, den er an einem Gymnasium zu geben hatte, nicht ohne darauf hinzuweisen, dass die Stadtkinder etwas schwieriger sein könnten als man sich dachte; so der Pfarrer. Später, nach dem Mittagessen, wollte er ihm die Kirche und die Sakristei zeigen. Danach zog Walter sich zurück auf sein Zimmer.

Nach einem kurzen Tischgebet nahm man das Essen ein und Walter schmeckte es vorzüglich. Er überlegte, ob es nicht vorwitzig sei, der Köchin ein Kompliment zu machen, tat es dann aber doch. Den Pfarrer schien das nicht weniger als die Köchin, die leicht errötete, zu freuen. Er meinte, dass die Kochkünste seiner Marie sein Problem seien, man könne dies unschwer an seinem Bäuchlein erkennen. Und der Herr Kaplan solle daran denken, damit es dem nicht so wie ihm ergehe.

Nun besuchten die beiden Herren die Kirche und die Sakristei. Die Kirche war ein eher schmuckloser Bau, wohl aus dem vorigen Jahrhundert. Doch sie war sauber und in gutem baulichen Zustand. Walter fiel auf, dass nur ein Beichtstuhl vorhanden war und sprach den Pfarrer darauf an. Er hätte noch nie eine Kirche mit nur einem Beichtstuhl gesehen. Der Pfarrer meinte, der würde vollauf genügen, denn die Stadtmenschen würden die Beichtgelegenheit sehr spärlich nutzen. Außer ein paar älteren Frauen sei selten jemand im Beichtstuhl zu sehen. Und die Kirche sei erst etwa sechzig Jahre alt, man habe damals wohl schon geahnt, dass die Gläubigen nicht mehr so oft beichten wollten. Auf einen weiteren Kommentar dazu verzichtete er.

 

Er erklärte Walter nur noch, er müsse am Nebenaltar, gleichzeitig mit ihm jeden Werktag die Messe lesen und alles Weitere würde sich finden. Über die Sonntagsordnung würde noch zu sprechen sein. Für den Religionsunterricht gebe es einen Stundenplan. Er müsse die Stunden, in denen er, der Pfarrer eingetragen sei, nur durch seinen Namen ersetzen, dann sei die Sache schon in Ordnung. Er gebe nicht so gerne Religionsunterricht, denn es sei für ihn mit den jungen Leuten recht anstrengend. Und er hoffe, dass dies einem jungen Kaplan leichter fallen würde.

Damit waren die Formalitäten zunächst erledigt und die beiden Herren gingen zurück ins Pfarrhaus, jeder in sein Zimmer.

*

Nun kam also der Alltag. Walter las jeden Werktag die Messe an seinem Seitenaltar, während der Pfarrer am Hochaltar stand. Am Sonntag hatte er die „Frühmesse“ zu halten und der Pfarrer las das Hochamt und predigte. Die Messe werktags war nur von wenigen Gläubigen besucht und auch am Sonntag gab es überschaubare Teilnehmer. Die Predigt des Pfarrers war sicher hörenswert, aber von begeisterten Besuchern konnte man auch nicht reden.

Walter hatte inzwischen im Pfarrhof fast so etwas wie Familienanschluss. Dass er regelmäßig im Pfarrhaus zum Essen eingeladen war, wurde zur Selbstverständlichkeit. Und neben Pfarrer, Köchin und Walter war auch immer der kleine Johannes mit am Tisch, den der Pfarrer einmal als Sohn seines Neffen vorgestellt hatte und den Walter schon bei seiner Ankunft zum ersten mal gesehen hatte. Somit konnte man ja auch quasi von einer Familie sprechen.

Der Pfarrer bot Walter während eines Sonntagsessens an, doch auch einmal am Sonntag zu predigen. Walter war natürlich darüber sehr erfreut, fragte aber, ob der Pfarrer dies ihm auch zutraue. Der meinte nur, nach der Predigt des Walter würden auch nicht weniger Kirchgänger als bisher erscheinen, denn noch weniger könnten es sicher nicht werden. Das klang zwar nicht sehr überzeugend, das zu ändern läge nun aber in Walters Hand.

Der nächste Sonntag kam und Walter hatte seine erste Predigt für den Pfarrgottesdienst vorbereitet. Wie zu erwarten, waren nicht mehr Besucher als sonst anwesend, aber von der Predigt waren der Pfarrer und auch die Köchin und wohl auch die Kirchenbesucher begeistert. Der Pfarrer meinte, er könne sich jetzt ja seine Predigt schenken, denn Walter wäre einfach großartig gewesen. Gleichzeitig fragte er ihn, wie er denn im Religionsunterricht vorankomme. Walter meinte, dass er sich nach den Aussagen des Herrn Pfarrers die Sache schwieriger vorgestellt habe, er habe nur wenig Ärger mit den Schülern. Da meinte dieser überraschend: „Ich bin der Meinung, wir sollten das förmliche Herr und Fräulein weglassen und uns beim Vornamen ansprechen. Das gelte selbstverständlich auch für die Marie. „Wenn Sie einverstanden sind ... ich bin der Josef“. Und mit einem Blick auf Marie war auch dies zustimmend geregelt. Walter war begeistert und willigte dazu nur zu gerne ein. Nach einem weiteren, eher belanglosen Gespräch ging man auseinander.

Walter dachte, dass er es hier wirklich gut getroffen habe und dass man ein Leben als Priester, wenn es so verläuft, doch recht gut ertragen könne. Er dachte aber auch über das Verhältnis des Pfarrers mit seiner Haushälterin und dem kleinen Johannes nach, wurde sich darüber aber nicht schlüssig. Nun, es würde sich halt im Laufe der Jahre so ergeben haben, denn etwas Schlechtes traute er dem liebenswürdigen Herrn nicht zu. Und wenn doch, war es etwas Schlechtes, mit seiner Angestellten so zu leben?

Walter hatte am folgenden Montag eine Religionsstunde im Gymnasium zu geben und traute seinen Augen nicht, als er dort eine junge Lehrerin sah, die er kannte. Es war die Lehrerstochter aus seinem Heimatort. Sehr erfreut über diesen Zufall begrüßte Walter die junge Frau. Er hatte sie in seinem Dorf für ein junges Mädchen gehalten. So jung aber konnte sie nicht mehr sein, wenn sie hier Lehrerin war. Aus dem Mädchen war eine hübsche Dame geworden und die einstige Schüchternheit hatte sie auch abgelegt. Die schönen Augen aber hatte sie behalten. Sie erzählte nur kurz, sie gebe Mathe und Sport.

Walter war bei seinem weiteren Unterricht zerstreut und konnte sich nicht wie sonst konzentrieren. Er musste immer wieder an die Lehrerstochter denken und sah ihre Augen vor sich. Nun, die Sache würde sich sicher von selbst erledigen; es war halt ein Zufall und er war ja auch mit seinem Leben mehr als zufrieden.

Er ging wie öfters auch heute ins Hallenbad, denn seine sportliche Figur wollte er trotz Maries guter Küche erhalten. Wie immer waren dort auch Mädchen im Badeanzug zu sehen, doch das hatte noch nie einen Eindruck auf ihn gemacht. Er freute sich zwar, wenn er ein hübsch gewachsenes Mädchen sah, aber das war es dann auch. Mädchen hatten ihn nicht zu interessieren und haben ihn auch nicht interessiert.

Beim Abendessen im Pfarrhaus fragte ihn Josef, wie es in der Schule sei und ob es etwas Besonderes gegeben habe. Und als Walter ihn nach längerer Zeit wieder mit „Herr Pfarrer“ anredete, merkte dieser seine Verwirrung. Er sprach ihn aber nicht auf seine Zerstreutheit an. Jeder hatte einmal einen solchen Tag, das wusste auch der Pfarrer nur zu gut. Wir sind alle nur Menschen, dachte er sich.

Das Leben nahm seinen gewohnten Gang und die Zeit verging. Walter hatte seit dem einen Mal nie mehr die hübsche Lehrerin getroffen und war wieder der alte geworden. Er dachte zwar noch öfters an sie als ihm lieb war, aber es war gut so wie es war.

Wieder kam ein Sonntag und Walter hatte zu predigen. Da er schon des Öfteren gepredigt hatte, kamen viel mehr Besucher in den Gottesdienst als früher und auch junge Leute waren da. Darunter erkannte er auch die hübsche Lehrerstochter. Auch wenn in der Kirche noch der eine oder der andere Platz frei geblieben war, der Gottesdienst war gut besucht. Er sprach davon, dass unser Gott ein liebender Gott sei, und es läge nicht in Gottes Absicht, die Menschen zu bestrafen. Schließlich habe er die Menschen selbst erschaffen und freue sich über seine Schöpfung. Und er wäre ein verzeihender Gott, er wisse ja um die Unzulänglichkeiten von uns Menschen. Wieder hatte er die Zuhörer auf seiner Seite und brachte den Rest des Gottesdienstes schnell hinter sich, was den meisten Leuten, vor allem den jungen, sehr gut gefiel.

Leider gab es auch „Christen“, denen seine Art der Messfeiern nicht so gut gefiel und die wussten, wie man im Pfarrhaus zusammenlebte. Sie nahmen Anstoß daran, dass dort eine doch noch recht junge Haushälterin die beiden Herren versorgte und bezweifelten, dass mit den Herren und der Köchin alles in Ordnung war. Die gleichen Leute hatten schon früher, als der Pfarrer noch jünger war, dem auch damals ein Verhältnis mit der Köchin unterstellt und dies auch dem Bischof schriftlich mitgeteilt. Und so folgte ein Schreiben des Ordinariates an den Kaplan, wozu dieser Stellung nehmen musste. Natürlich verlief die Geschichte im Sande, denn sie war ja völlig haltlos. Walter aber sprach die Sache in seiner nächsten Predigt an und sagte, dass er wohl wisse, dass man sich über ihn beschwert habe und er auch wisse, von wem eine solche Unterstellung käme. Damit war diese Geschichte vom Tisch. Es war wohl am besten, den Bock gleich bei den Hörnern zu nehmen.

Es kam wieder ein Montag und das war der Tag an dem Walter wieder ins Schwimmbad ging. Er zog seine üblichen Bahnen und wollte das Bad schon verlassen, als er gerade noch sah, dass ein junger Mann einer jungen Frau das Oberteil von ihrem Badeanzug mit einem Ruck vom Leib riss und damit aus dem Becken sprang. Mit ein paar kräftigen Zügen war auch Walter am Beckenrand, sprang heraus und entriss dem Lümmel das Teil des Badeanzugs der Frau. Gleichzeitig versetzte er dem Unhold mit einem Haken, der einem Boxer zur Ehre gereicht hätte, einen Schlag, der diesen auf den harten Boden streckte. Er nahm das Oberteil und schwamm damit zu der Frau, die krampfhaft versuchte, ihre nackten Brüste zu bedecken. Walter erschrak, denn er blickte in zwei ihm wohlbekannte Augen.

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