Loe raamatut: «Der Mythos des Athamas in der griechischen und lateinischen Literatur», lehekülg 7

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III.4.1 Vorgeschlagene Rekonstruktionen

Zum Schluss wird eine Auswahl von verschiedenen, für dieses Werk1 angebotenen2 Rekonstruktionen präsentiert, damit sich der Leser eine Vorstellung der erkennbaren Handlung des ‚Phrixos‘ machen kann.

A) Welckers Vorschlag

Dieser Forscher ergänzt den Inhalt des ‚Phrixos‘ von Euripides mit der 2. und der 3. Fabel von Hygin1.

Welcker platziert die tragische Aktion in ThebenTheben und die Reihenfolge der erhaltenen Fragmente, die hier nach Kannichts Ausgabe angedeutet werden – Welcker konnte sie selbstverständlich nie einsehen – siehe 824, 822, 822a, 820a, 829, 826, 828, 833, 836, 831, 832, 834, 825 und 835 KannichtEuripidesPhrixos A-B:Frg. 824 KannichtEuripidesPhrixos A-B:Frg. 824 KannichtEuripidesPhrixos A-B:Frg. 824 KannichtEuripidesPhrixos A-B:Frg. 824 KannichtEuripidesPhrixos A-B:Frg. 824 KannichtEuripidesPhrixos A-B:Frg. 822 KannichtEuripidesPhrixos A-B:Frg. 822a KannichtEuripidesPhrixos A-B:Frg. 820a KannichtEuripidesPhrixos A-B:Frg. 829 KannichtEuripidesPhrixos A-B:Frg. 826 KannichtEuripidesPhrixos A-B:Frg. 828 KannichtEuripidesPhrixos A-B:Frg. 833 KannichtEuripidesPhrixos A-B:Frg. 836 KannichtEuripidesPhrixos A-B:Frg. 831 KannichtEuripidesPhrixos A-B:Frg. 832 KannichtEuripidesPhrixos A-B:Frg. 834 KannichtEuripidesPhrixos A-B:Frg. 825 KannichtEuripidesPhrixos A-B:Frg. 835 Kannicht.

Welcker zufolge gehört Frg. 819 KannichtEuripidesPhrixos A-B:Frg. 819 Kannicht zum von Ino rezitierten Prolog. Das Frg. 822 KannichtEuripidesPhrixos A-B:Frg. 822 Kannicht2 wird von Athamas ausgesprochen: Der Aiolide „fühlt (wie Oedipus) in seiner Gattin Trost“3. Ino, deren Rede der Chor im Frg. 823 KannichtEuripidesPhrixos A-B:Frg. 823 Kannicht preist, spricht mit Athamas. Wenn der Bote aus Delphi zurückkehrt, spricht Ino mit ihm und verwendet die Wörter vom Frg. 822a KannichtEuripidesPhrixos A-B:Frg. 822a Kannicht; ApollonApollon will Ino gemäß, dass das Königspaar die Silos nicht öffnet, genau wie im Frg. 820a KannichtEuripidesPhrixos A-B:Frg. 820a Kannicht4 zu lesen ist, wenn Phrixos nicht aufgeopfert wird. „Da Athamas den Sohn zu opfern sich weigert, so dringt Ino in ihn“5 laut den Fragmenten 829, 8266 und 828 Kannicht. Phrixos, dessen Mut das Frg. 833 KannichtEuripidesPhrixos A-B:Frg. 833 Kannicht zeigt, ist bereit, freiwilligfreiwillig für die Stadt zu sterben. Der Diener aber enthüllt im letzten Moment die IntrigeIntrige; er selbst, Athamas oder der Chor spricht aus, was über diesen Diener im Frg. 831 KannichtEuripidesPhrixos A-B:Frg. 831 Kannicht zu lesen ist. Athamas bestraft seine Frau mit derselben Qual, die sie sich für Phrixos wünschte, nämlich auf dem Opferaltar zu sterben; „Das Feuer des Altars ist berührt“7 nach Frg. 836 KannichtEuripidesPhrixos A-B:Frg. 836 Kannicht. Der Aiolide spricht die Verse des Frg. 832 KannichtEuripidesPhrixos A-B:Frg. 832 Kannicht. Der Chor kann die Trauer um Ino nicht zurückhalten: Frg. 834 Kannicht und vielleicht 836 KannichtEuripidesPhrixos A-B:Frg. 836 Kannicht. Das Frg. 835 KannichtEuripidesPhrixos A-B:Frg. 835 KannichtEuripidesPhrixos A-B:Frg. 834 Kannicht bezüglich Ino könnte von dem Chor, dem Diener, Phrixos oder Athamas8 stammen. Schließlich rettet Liber Ino, seine AmmeAmme. Die I-L-M-Version, die man am Ende der 2. Fabel von Hygin lesen kann, wird von Welcker nicht in Euripides’ Tragödie eingeschlossen: „Diese Katastophe aber ist dem Phrixos fremd, zu welchem dagegen nothwendig noch gehört, was Hygin in das folgende Kapitel, mit der Ueberschrift P h r i x u s, gesetzt hat“9. Der Chor sollte aus Bürgern von ThebenTheben, aus KadmosKadmos’ Nachfahren, bestehen.

B) Hartungs Vorschlag

Dieser Forscher kombiniert die Angaben von Apollodor und Hygin: „Argumentum, id quod Welckerus cognovit, continetur iis, quae Hyginus c. 2. refert, quibuscum congruit narratio Apollodori“1.

Die Reihenfolge der Fragmente nach Hartungs Vorschlag und immer gemäß der Ausgabe von Kannicht ist folgende: 819, 820, 830 = 822a, 831, 832, 824, 827 = 820a, 825, 829, 828, 833, frg. inc. 854, 835, 822, 834 Kannicht. Darüber hinaus ist Hartung der Ansicht, dass Inos Verschwörung mit den örtlichen Frauen genauso inszeniert war wie derjenige der Frauen von Limnos gegen ihre Männer.

Hartung zufolge „prologum ab Inone actum esse fragmenta ostendunt, quibus de patre et cognatis eius exponitur“2. Er führt das Frg. 819 Kannicht als Beispiel an; in diesem Prolog sollte man auf Europas Ritt auf dem Stier hinweisen, wie es im Frg. 820 Kannicht zu lesen ist. Diesem Forscher zufolge entspringt Inos Intrige ihrer Lust auf Rache aufgrund der Demütigung durch Athamas, der die von Nephele geborenen Kinder ihren eigenen vorzieht. Der Diener des Frg. 830 = 822a Kannicht, der vom Aioliden nach Delphi geschickt wurde, wird von Hartung als „antiquus domus Cadmeae famulus“3 betrachtet, weswegen Ino keine Schwierigkeit hat, ihn für ihre Intrige zu überreden. Der Diener nimmt Inos Bestechung an (Frg. 831 Kannicht). Darauf folgt das Lied und der Tanz des Chors, „qui non potest ex viris, sed ex feminis reginae familiaribus constitisse“4. Athamas weigert sich, wie Hygin andeutet, indem er argumentiert, dass die Götter, vor allem JupiterJupiter5, ein solches Opfer nicht verlangen könnten (Frg. 832 KannichtEuripidesPhrixos A-B:Frg. 832 Kannicht). Ino gibt vor, des Knaben Erbarmen zu finden (Frg. 824 Kannicht), was der Chor bestätigt (Frg. 827 = 820a Kannicht). Gewagt ist die Behauptung Hartungs: „Sine dubio celare oraculum rex et, si necesse ait, potius suam, quam filii, vitam populo condonare constituit“6; bei keinem griechischen oder lateinischen Autor ist zu lesen, dass Athamas statt seines Sohnes zu sterben wünschte. Der Chor bedauert die weibliche Grausamkeit. Der Sprecher des Volkes erscheint und fordert das Opfer von Phrixos (Frg. 825; 829; 828 Kannicht). „Perseveranter rege recusante, cum periculum domui regiae immineret, Phrixus ultro se immolandum obtulit“7. Die Großherzigkeit des Knaben lässt ein stark philosophisch geprägtes Gebet entstehen (Frg. 833 Kannicht und vielleicht auch Frg. Inc. 854 Kannicht). Phrixos wird zum Opferaltar geführt; das Geständnis der Dienerin oder des Dieners findet nach Hartung nicht auf der Bühne statt, sondern wird von einem Boten berichtet. Das Frg. 836 Kannicht könnte eine Spur dieser Rede sein, deren Ende im Frg. 835 Kannicht erhalten ist. Das Frg. 822 (Frg. 2+4, Verse 10–13) Kannicht könnte einen Teil der Worte des Aioliden überliefern. Der Chor singt in diesem Moment (Frg. 834 Kannicht). Dionysos steigt aus dem Himmel herab und rettet Ino und ihr Kind, als sie zum Opferaltar geführt werden; weiterhin würde er Phrixos und Helle den Wahnsinn schicken, die von ihrer Mutter durch den berühmten goldenen Widder gerettet werden würden. Es ist nicht ganz klar, aber es scheint, dass Hartung Dionysos all dieses sagen lässt. Dieser Gott würde Helles SturzSturz und Phrixos’ Ankunft in Kolchis ankündigen8.

C) Schmitts Vorschlag

Schmitt meint, dass die Handlung ‚dieses‘ Phrixos wahrscheinlich in Hyg. Fab. IIHyginusFab. II1 überliefert wird; derselben Meinung ist auch Welcker, der noch die 3. Fabel heranzog: „[Es] scheint der Inhalt der Tragödie vollständig gegeben durch Hygin f. 2 und 3“2.

Wie für Praxithea in Euripides’ Erechtheus, ist es möglich, dass Ino in ‚der Tragödie‘ Phrixos Athamas zu überzeugen versucht, das vom Orakel geforderte Opfer durchzuführen. Von diesem ἀγών sind die Frg. 822–823; 828; 826; 829; 832 Kannicht erhalten.

Möglicherweise wurde dieses Streitgespräch zwischen Anhängern und Verleumdern von Phrixos still beobachtet. Am Ende des Streits würde er sich, wie Menoikeus in Phoinix, entscheiden, freiwilligfreiwillig sein Leben für die Stadt zu opfern; Danach würde Phrixos in einer Rede seine Bereitschaft zu sterben bekanntgeben, wie es auch bei anderen freiwilligen Opfertoden üblich war3. Dem Frg. 833 Kannicht gemäß vermutet Schmitt, „erwartet Phrixos das wahre Leben erst nach dem Tode“4. Wahrscheinlich drückte Athamas seine Resignation am Ende der ῥῆσις mit den Versen des Frg. 821 Kannicht aus. Aus den erhaltenen Fragmenten ist nicht zu schlieβen, ob das Volk Druck auf Athamas machte, Schmitt hält aber diese Tatsache für sehr wahrscheinlich; „es wäre eine Vorstufe zur Iph. Aul., wo das ungeduldige Heer die Opferung der Jungfrau verlangt“5. Hygin erzählt, wie eine Dienerin oder ein Diener Inos Intrige enthüllt und dem Opfer von Phrixos ein Ende setzt: „Das klingt ganz nach einer Tragoedie, und in der Tat ist in zwei Fragmenten des Phrixos (830 und 831) von einem Sklaven die Rede“6. Um die allgemeine Tradition anzunehmen, die Phrixos’ FluchtFlucht nach Kolchis überliefert, denkt Schmitt, dass Dionysos als deus-ex-machina erschien und dem Athamantiden befahl, nach Kolchis zu fahren – als StrafeStrafe für den Angriff gegen seine StiefmutterStiefmutter7.

D) Van Looys Vorschlag

Dieser Gelehrte meint, „Ino prononce le prologue dans lequel elle explique la généalogie (frg. 819–820), mentionne son mariage avec Athamas, sa répudiation sur ordre de HeraHera, et son retour après le depart de Nephele“1.

Ino verbrennt den Samen und überredet den nach Delphi entsandten Boten auf der Bühne, dass er das Opfer von Phrixos fordere. Der Chor sollte aus einer Gruppe von Inos Dienerinnen bestehen. Nach Van Looy ist die Reihenfolge des Werkes folgende:

 1. Episode: Athamas erfährt vom verfälschten Orakel, weigert sich aber, seinen Sohn zu opfern und befiehlt dem Boten zu schweigen.

 1. Stasimon: Der Chor versteht Athamas’ Zustand, erinnert ihn aber an die Not des Volkes und die schlimmen Folgen des Ungehorsams einem Gott gegenüber.

 2. Episode: Ino erfährt durch Athamas vom Orakel und erinnert ihn an seine Verpflichtung, es zu befolgen. Der Koryphäe preist sie (Frg. 822–823 Kannicht). Der Abgeordnete des Volkes tritt vor Athamas und verlangt die Erfüllung des Orakels; Athamas weigert sich (Frg. 825–829 Kannicht).

 2. Stasimon: Der Chor singt und lobt das Allgemeingut vor dem persönlichen Gut.

 3. Episode: Athamas, der sich weiterhin weigert, seinen Sohn zu opfern, betritt die Bühne; es entsteht ein Agon zwischen Athamas und Ino, die sich für den Opfertod ausspricht. Dann wird die freiwilligfreiwillige Hingabe Phrixos’ zum Opfertod offenkundig (Frg. 824, 833, 829? Kannicht).

 3. Stasimon: Der Chor rühmt den Heldenmut des Knaben.

 4. Episode: Der SklaveSklave enthüllt alles; Athamas glaubt ihm nicht und befiehlt Ino zu sich. Anfangs bestreitet sie die Aussage des Sklaven, gesteht aber am Ende alles (Florenz Papyrus, Frg. 831, 835?, 836, 837? Kannicht).

 4. Stasimon: Der Chor erschrickt vor Inos Verbrechen und huldigt Phrixos’ Tugend.

 Epilog: Athamas überlässt Phrixos seine StiefmutterStiefmutter Ino, Dionysos aber, der als deus-ex-machina erscheint, rettet sie und bestraft sowohl Phrixos als auch Helle mit dem Wahnsinn; er erwähnt auch Nepheles Zutun und die Rettung ihrer Kinder durch den Widder.

Wie man sehen kann, setzt Van Looy auf den Opfertod von Phrixos, „emprunté par Euripide à Phérécide“2. Er schneidet auch das Problem der Einfügung von Helle in die Bestrafung durch Dionysos an: Wenn sie in der Tragödie nicht aufgetreten ist, warum sollte sie dann auch mit Wahnsinn geschlagen werden?

III.4.2 PhrixosPhrixos A

Euripides hat zweifellos zwei Tragödien mit dem Titel Phrixos geschrieben; hier soll nun die erste analysiert werden.

Van Looy meint, „la première a dû être un échec, mais le thème continuait à obséder le poète“1; möglicherweise sind einige Verse von der ersten Tragödie zur zweiten gewandert. Zusammen mit Jouan denkt er, „l’action se déroule probablement devant le palais d’Athamas en Thessalie (situé peut-être à Halo)“2. Die Personen wären Athamas, Phrixos, Ino und ein Diener; der Chor würde aus thessalischen Frauen bestehen.

Die List des verbrannten Samens und die Erscheinung des Dionysos als deus-ex-machina kämen in dieser Tragödie vor; was beide Werke nach Van Looy unterschied, war die Darstellung von Phrixos’ Opfertod, „librement consenti dans B, imposé dans A“3. Die Ähnlichkeit beider Tragödien war derart, dass sie diesen Forscher4 zu der Auffassung veranlasst, es sei richtiger und genauer, von zwei Versionen eines einzigen Themas zu reden als von zwei Tragödien zu sprechen, wie es schon früher angedeutet wurde.

Webster vermutet seinerseits, „in Phrixus A, if the main story was Phrixus’ adventures in Kolchis, Euripides may have left Athamas and Ino in Thessaly because this was only prologue information“5; diese Idee aber wird von Jouan / Van Looy6 kritisiert: Dass sich die Handlung dieses Dramas in Kolchis entwickelt, ist zurückzuweisen. Webster mutmaßt, dass Euripides die Lokalisierung von ThessalienThessalien nach BöotienBöotien im zweiten Phrixos vornimmt, um einen großen Kontrast zu setzen, nicht zum ersten Phrixos, sondern zu seiner Ino, wo Athamas und Kadmos’ Tochter auch erscheinen.

A) Die Handlung

Bevor die Handlung dieser Tragödie analysiert wird, muss man mit Jouan / Van Looy bedenken: „L’état fragmentaire des deux « hypotheseis » rend toute conclusion aléatoire“1; aus diesem Grund sind alle hier vorliegenden Vorschläge mit Vorbehalt anzunehmen.

Dank der beiden in zwei Papyri von Oxyrhynchos erhaltenen Hypothesen kann man die Handlung des ersten und des zweiten Phrixos vermuten und eine bessere Vorstellung dieser Tragödien gewinnen. Nun sollen diese beiden Texte analysiert werden.

Luppe erklärt, wie sich einige Teile von P. Oxy. 3652 mit P. Oxy. 2455 überschneiden, eine Tatsache, die zum dritten Mal in Euripides’ Hypothesen auftaucht. Das erste Mal geschah es mit dem 1966 veröffentlichten P. Oxy. 2544, der aus dem 2. und 3. Jh. v. Chr. stammt und den Anfang des Phoinix beinhaltet. Das zweite Mal geschieht es mit dem 1968 veröffentlichten, aber bis 1979 nicht als solche anerkannten P. Mich. Inv. 1319; dieser Papyrus verknüpft sich mit P. Oxy. 2455 Frg. 107 der Tragödie Temenos. Der dritte Beleg, der die Hypothesis des ersten Phrixos betrifft, ist der aus dem 3. Jh. n. Chr. stammende P. Oxy 3652 Sp. II 16–31, der sich mit einigen Zeilen von P. Oxy. 2455 Sp. XVI 221–232 + Frg. 78 überkreuzt. Mit anderen Worten, die Quellen für die Rekonstruktion dieser Hypothesis sind die letzterwähnten Papyri von Oxyrhynchos, P. Oxy. 2455 ed. Turner (s. Austin) und P. Oxy. 3652 ed. Cockle.

P. Oxy. 2455 „consists of 138 fragments, only the first eighteen at all substantial, of a roll of hypotheses of Euripides’ plays“2, wie Lloyd-Jones erläutet; diese Sammlung ist ähnlich entweder Callimachus’ Diegesis oder den Hypothesen der Werke von Euripides in PSI 1286. Der Papyrus gibt normalerweise den Titel der Tragödie, die erste Zeile und eine kleine Zusammenfassung des Werkes an. Erhalten sind die Hypothesen der Tragödien, deren Titel mit folgenden Buchstaben beginnen: von M bis O und von C bis X. Leider ist der Zustand dieses wesentlichen Papyrus nicht so gut. Luppe weist darauf hin: „die Zeilen des ‚neuen‘ Papyrus sind, wie jeweils die Zeile mit dem Zitat des Anfangsverses und die erste Text-Zeile zeigt, etwas breiter (durchschnittlich 2 Buchstaben) als die ‚alten‘ (29 bis 31 gegenüber 27 bis 29 Buchstaben)“3.

Hier sind die zwei Texte nach Luppe4:


P. Oxy. 2455 P. Oxy. 3652
1 Φρῖ[̣ξο]ς̣ πρῶ̣τος, οὗ ἀρχή 1 Φρ[ῖξος πρῶτος, οὗ ἀρχή·
2 εἰ μὲν τόδ᾿ ἦ̣μ̣αρ ̢ π̡ ρωτοσ, ἦν κακουμ̢̣ έ- 2 εἰ ̡ μ̣ὲν τόδ ἦμ̣ ̢ αρ πρῶτον ἦν κακουμένοι.
3 νωι. ἡ δ᾿ ὑπόθεσις· 3 Ἀ̣θάμας υἱὸς μὲ[ν] ἦν Αἰολου· βασιλεὺς δὲ
4 Ἀθάμας υἱὸς μὲ[̣ν] ἦ̣ν Αἰολου· βασιλεὺς 4 Θετταλῶν ε [
5 δὲ Θετταλία̣ς [ε – - -] δὲ παῖδα̣[ς] ἐκ 5 Φρῖξον· ἔτι δὲ [
6 [Νεφ]έλης Ἕλ̣λ[ν τε κ]α̣ὶ Φρῖξον [.]..[ 6 Κάδμο]υ παιδ.[ κα-
7 ..].εν Εἰν.ι τη[. Κάδμο]υ πα[ιδ – - – 7 τὰ τῶν προγόν̣[ων έπιβουλὴν ἐμηχανή-
8 [.]ο̣[ κα]τ̣ὰ δὲ τῶν̣ π̣[ρο- 8 σατο καθάπερ [φο τὸν τῆς μη-
9 [γ]όν̣ω[ν ἐπιβουλὴν] ἐμηχανᾶτο κα]θά- 9 τρυιᾶς πικρὸν .[ ηι· συγκα-
10 π̣ε̣ρ̣ φο̣[ τ]ὸ̣ν τῆσ μητρυι[ᾶ]ς 10 λέσασα γὰρ τῶν [Θετταλῶν γυνα[ῖκας ὅρ-
11 πικρὸν̣[ ]ηι· συνκαλέ- 11 κοις κατησφαλ[ίσατο
12 [σασα γὰρ τῶν Θετταλῶν γ]υ̣να[ῖκας ὅρ- 12 νον ἐπὶ τὴν χ.[
13 ἀκαρπίας [[αγει.̣]] [
14 λυσιν, εἰ Φρῖξοσ [σφαγείη Διί – - –
15 εἰς Δελφοὺς ἀπ[̣ ἄγγε-
16 λον ἔπεισε ὡς .[

Wichtig ist es nun, die bedeutungsvollen Züge dieser Fragmente kurz zu analysieren. Für die Zeile 7 des ersten Papyrus meint Luppe: „Εἰνωι̣ [sc. scheint] eher ein Akkusativ mit einem – gerade in diesem Papyrus häufigen – überflüssigen Iota als ein Schreibfehler für den Dativ Εἰνοῖ zu sein“5. Lloyd-Jones liest sie folgendermaßen: συνώικησ-]εν [ε]ἴνωι τῆ[ι Κάδμο]υ πα[ιδὶ, es sei denn, dass das Iota nach ινω „one more of the intrusive iotas so common in this manuscript“6 und folglich έπήγαγ]εν zu lesen sei. Für die Zeile 9 desselben Papyrus bevorzugt er das Wort ἐμηχανήσατο – wie man in den Zeilen 7 und 8 von P. Oxy. 3652 annehmen kann – dem Terminus ἐμηχανᾶτο, denn die erste ist die übliche für die Aufzählung von Hypothesen verwandte Verbalform. 1986 schlägt er für die Zeilen 5–6 vor: πα[ῖδας δὲ | τ]ο[̣ύτωι οὐκ ἔτεκεν. Diese Behauptung ist meiner Meinung nach schwer zu begründen: „Diese Frau fürchtet das Leben einer StiefmutterStiefmutter, die wie eine Mutter ihr Leben Kindern widmen muß, die ihr ganz fremd sind, also Sorgen und Pflichten einer Mutter hat, ohne doch selbst Mutter zu sein“7. Nirgendwo aber wird Ino als unfruchtbar dargestellt, ein Motiv, das ihr Leben bitter machen könnte.

Für den Satz von καθάπερ8, meint Luppe9, dass Cockle den richtigen Pfad zeigte, als er dieses Wort mit φο[βουμένη verband. Luppe lehnt Parsons’ Vorschlag (μὴ τ]ὸν τῆς μητρυιᾶς πικρὸν θ[̣άνατον πάθ]ηι) ab, „denn von einem sprichwörtlichen bitteren Tod der Stiefmutter, wie ihn diese Ergänzung doch wohl voraussetzt, ist m.W. nichts bekannt“10. Aber in derselben 2. Fabel von Hygin wird Ino zu der Qual verurteilt, auf dem Opferaltar zu sterben, was auch als ‚ein bitterer Tod‘ zu betrachten ist. Zeile 11 des zweiten Papyrus will – meiner Ansicht nach zutreffend – das wahrscheinliche ὅρ]|κοις κατησφαλ[̣ίσατο mit der Verschwörung, den Samen zu verbrennen, in Verbindung bringen.

Letztendlich sind die Unterschiede zwischen beiden Texten geringfügig. So hat man eine kleine Variante Θετταλíας (Z. 5 von P. Oxy. 2455) – Θετταλῶν (Z. 4 von P. Oxy. 3652), oder z.B. das Verb ἐμηχανᾶτο (Z. 9 des ersten Papyri) statt des möglichen ἐμηχανήσατο (Z. 7–8) von P. Oxy. 3652. Hier ist der von Luppe vorgeschlagene Text11:


1 Φρῖξος πρῶτος, οὗ ἀρχή·
2 εἰ μὲν τόδ ἦμαρ πρῶτον ἦν κακουμένωι.
(ἡ δ᾿ ὑπόθεσις)
3 Ἀθάμας υἱὸς μ ̢ ὲ[ν] ἦν Αἰολου· βασιλεὺς | δὲ
4 Θετταλῶν (-ίας). ε[ἴχε(ν) δ(ὲ παῖδα[ς]) ἐκ | [Νεφ]έλης Ἕλλη[ν (τε) κ]αὶ
5 Φρῖξον. ἔτι δὲ [ἐπέγημεν ([ἐ]πέ|[γη]μεν‘δ᾿’) Ἰνὼ τὴ[ν τοῦ (τοῦ om. A)
6 Κάδμο]υ παιδα[ς δὲ | τ]ο[ύτωι; οὐκ ἔτεκε(ν); κα-
7 τὰ (δὲ) τῶν προ|γόν ̢ ω[ν έπιβουλὴν] ἐμηχανή-
8 σατο (-νᾶτο) καθά|περ ̢ φο[βουμένη τ]ὸν τῆς μη-
9 τρυιᾶς πικρὸν β[ίον περὶ ἑαυτ]ῆι· συγκα-
10 λέ]σασα γὰρ τῶν [Θεττάλων γ]υνα[ῖκας ὅρ-
11 κοις κατησφαλ[ίσατο πυρὸν πεφρυγμέ-
12 νον ἐπὶ τὴν κα[τασπορὰν διδόναι. τῆς δὲ
13 ἀκαρπίας [ἔπεισε γενήσεσθαι (bzw. ἐπίστωσεν ἔσεσθαι) ἔκ-
14 λυσιν, εἰ Φρῖξος [σφαγείη Διί· τὸν γὰρ
15 εἰς Δελφοὺς ἀπ[οσταλησόμενον ἄγγε-
16 λον ἔπεισε ὡς λ[έγοι τοῦτο κεχρησμέ-
17

Das P. Oxy. 2455 (Z. 236–241) enthält den letzten Teil der Hypothese, der in das P. Oxy. 3652 nicht überliefert wurde.


Der erhaltene Text lautet: Luppes Version:
]-τ̣ο[̣ [ μητρὶ (- – -) ἑαυτῶ]ι ̣π̣ó[̣ρον
[…]ηι· τ[ κ]ινδυν[ π[̣ορισάσ]ηι· τ[οῦ φυγεῖν ἐκ κ]ι̣νδύν[ου·
διδόν[αι] ων[ ἀ]ναγκαιό- διδόν[αι] ω̣ν[ ἀ]ναγκαιό-
τερον ἡγησά[μεν ]νος· ἤ πατρὶ κίνδυνον τερον ἡγησά[μεν ]νος· ἤ πατρὶ κίνδυνον
ἐπιστήσαν[τ.(.)] δ̣ι̣ὰ̣ γυναῖκα. ἐπιστήσαν[τ.(.)] δ̣ι̣ὰ̣ γυναῖκα.

Luppe meint, „es ginge um die Rettung durch Nephele aus der Gefahr, in die Athamas seinen Sohn der Ino wegen (die seine Opferung forderte) gebracht hatte“13.

Dieser Text unterscheidet sich wesentlich von dem Vorschlag, den E.G. Turner, der erste Herausgeber des Textes, anbot und den Luppe in einem früheren Artikel kritisiert hatte14; Turner liest die Textstelle so: ἀ]λλ[᾿ ἀ]ναγκαιό|τερον ἡγησά[̣με]νος ἤ̣ πατρικὸ̣ν κε[ρ]αυνὸν ἐπιστήσαν[τα] δ̣ι̣ὰ̣ γυναῖκα, und vermutet als mögliches Subjekt entweder Dionysos oder HermesHermes oder sogar ApollonApollon15. Lloyd-Jones16 bringt Turners Übersetzung der Zeilen 39–40: „but thinking it (or him) more closely akin than one who set in motion his father’s thunderbolt because of a woman“. Eine genauere Leseart der Textstelle dank einer vergrößerten Abbildung, „löst das Rätsel und lässt den ‚väterlichen Blitz‘ im Nichts verschwinden“17. Zum oben geschriebenen Text bietet Luppe eine Alternative dar:


238 διδόν[τ]ω̣ν [ἐπιμελεῖσθαι ἀ]ναγκαιό- τερον ἡγησά[̣με
]νος ἤ πατρὶ κίνδυνον
240

„Von welchen Personen gesprochen wird, lässt sich allenfalls raten“19, fasst Luppe zusammen; er deutet darauf hin, dass sich ἐπιστήσαν[τ- entweder auf Phrixos oder sogar auf Melikertes oder am wahrscheinlichsten auf Learchos beziehen könnte. Mit διδόν[τ]ω̣ν würden Phrixos und Helle angedeutet. Der Vater ist angeblich Athamas, die Frau Ino. Es gilt aber nicht als sicher.

Wie schon vorher gesagt, benutzt Lloyd-Jones die Information dieser Handschrift, um Wilamowitz’ Fehler deutlich zu machen: Der deutsche Gelehrte hatte in Analecta Euripidea bestritten, dass zwei Tragödien mit dem Titel Phrixos existierten.

Kannicht hat persönlich beide Papyri untersucht und meint „Phrixi I argumentum quantum nunc in P. Oxy. 2455+3652 exstat (test. iia) cum Apollod. BiblApollodorosApollod. I 9, 1. I 9, 1“20. Er nimmt an, dass die Geschichte von Athamas, Ino und Phrixos aus den Ereignissen zweier Orte entstanden ist: Der eine Ort ist Laphystios, ein Berg in BöotienBöotien mit dem Tempel von JupiterJupiter Laphystios, der andere ist die Stadt HalosHalos, in der thessalischen Phthia.

Zum Schluss lässt sich die Handlung folgendermaßen zusammenfassen: Athamas, Aiolos’ Sohn, war im ersten Phrixos König von ThessalienThessalien. Er heiratete Nephele, die ihm Helle und Phrixos gebar; daraufhin heiratete er erneut Ino. In diesem Drama wurde auch über eine StiefmutterStiefmutter, die die Frauen aus Thessalien zusammengerufen hatte, über die Sterilität, über eine Befreiung, nachdem Phrixos etwas zugestoßen ist21, über Delphi und über eine Überzeugung22 geredet. Die Szene sollte in Thessalien, und zwar in der Stadt HalosHalos stattfinden. Die Personen waren Athamas, Ino, Phrixos, …

Aélion denkt, dass die Rekonstruktion des ersten Phrixos schwieriger ist als die des zweiten. E.G. Turner glaubte nach der Meinung von Aélion23, dass es in beiden Phrixos um dasselbe Thema ging. Interessanter ist Websters Überlegung, ob es sich bei diesem Drama nicht um Phrixos’ AbenteuerAbenteuer in Kolchis handeln könnte24; laut Aélion will Webster dadurch die unterschiedliche Lokalisierung des Königs Athamas in der jeweiligen Tragödie rechtfertigen; meiner Meinung nach wird dieser Punkt auf diese Weise nicht geklärt25. Auf jeden Fall ist es sehr wahrscheinlich, dass es in einem der zwei Phrixos um ein Rettungsschema ging, worauf Aélion hinweist: „un personnage affronté à un danger grave, qui menace sa vie ou sa liberté, finit par lui échapper, au terme d’une action qui s’achève de façon heureuse“26; in der Tat ist dieses Schema so generell, dass es für fast jedes Theaterstück gilt.

Kannicht zufolge27 schrieb Riedweg das Frg. 835 Kannicht und Frg. 490; 624 Kannicht / SnellEuripidesPhrixos A-B:Frg. 490 Kannicht / SnellEuripidesPhrixos A-B:Frg. 835 KannichtEuripidesPhrixos A-B:Frg. 624 Kannicht / Snell der Adespota dieser Tragödie zu.