Loe raamatut: «Schöner fremder Himmel»

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Marco Frohberger (Hrsg.)

SCHÖNER FREMDER HIMMEL

Texte zum Antho? – Logisch! Literaturpreis 2013


edition ♦ karo Literaturverlag

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über www.dnb.d-nb.de abrufbar. Marco Frohberger, Herausgeber

SCHÖNER FREMDER HIMMEL. Texte zum Antho?-Logisch! Literaturpreis 2013 Verlag Josefine Rosalski, Berlin 2013

1. Auflage © 2013 edition ♦ karo

Literaturverlag Josefine Rosalski, Berlin

www.edition-karo.de und www.antho-logisch.de

Alle Rechte vorbehalten:

Nachdruck oder Vervielfältigung nur nach ausdrücklicher Genehmigung der Herausgeber und des Verlages

Umschlaggestaltung: Christian Horn, www.nulleinsmedien.de

Lektorat: Christiane Abspacher

1. digitale Auflage: Zeilenwert GmbH 2013

ISBN 9783937881935

Inhalt

Cover

Titel

Impressum

Schöner fremder Himmel

Vorbemerkung

Die Preisträger

1. Platz LINNI LIND

Zweifache Nacht

2. Platz CHRISTIANE SCHWARZE

Weiße Welt

3. PlatzJENIFER BECKER

Fishing Salmons and Stuff

ROLF POLANDER

Albert

ANGELA KREUZ

Tamam

THOMAS KRAUSE

Der Chemiebaukasten

MITRA GAAST

Somewhere in Belgium – Der gläserne Tag

CHRISTIAN BAIER

Interieur

IRA GARLIC

Ein surreales Märchen oder Wie der Wolkensammler das Land verändert

DANIEL MYLOW

Der Fluss geht zum Meer

MARIKA BERGMANN

Zuckerwattenwolkenhimmel

MICHAEL JANSSEN

Aufstieg

ULRICH BERGMANN

Himmelblau mit schwarzem Rand

ESTHER ACKERMANN

Im Licht

IRMI KISTENFEGER-HAUPT

Es war einmal – Il était une fois

LINE JUST-GASSEN

Bergungsarbeiten

ANTONIA SPOHR

Kopf in den Wolken

CHRISTINA ANGELIS RUMP

Allerherrenländereinerlei

FILIPPO SMERILLI

20.06., vier Uhr früh

ULRIKE SABINE MAIER

Himmel zu Staub

SABINE ALT

Abrahams Seelen

TANJA SHAHIDI

Himmelblau

PARVIZ AMOGHLI

14.21 Uhr

FRIDOLIN SCHLEY

Leere Räume erinnern sich an uns

SABRINA BLUME

Der Käfig

AXEL ROITZSCH

Der rote Faden

ROBERT FORKEL

Zirrus

ANKE HÜPER

Jede Menge Mortadella

BIRGIT JENNERJAHN-HAKENES

Bunter Donner

LIESELOTTE DEGENHARDT

Paris kann warten!

MARCO FROHBERGER

Kalter Regen

ZU DEN AUTOREN

Fußnoten

SCHÖNER FREMDER HIMMEL

Der Literaturpreis Antho? – Logisch! geht 2013 in sein fünftes Jahr und hat mittlerweile an Zuspruch, Unterstützung und Vielfalt gewonnen. Es ist jedes Mal aufs Neue spannend, diesen Nachwuchswettbewerb zu organisieren, der aus immer neuen Elementen besteht: Thema, Texten, Autorinnen und Autoren.

Auch diesmal haben wir uns viele Gedanken zum Thema gemacht. Einige konspirative Sitzungen, Besprechungen und eine Menge Notizzettel waren nötig, um für das fünfte Jahr etwas zu schaffen, das in dieser Form seinesgleichen sucht. Der schöne fremde Himmel ist unsere Faszination daran, mit Text zu arbeiten und uns mit Literatur auseinanderzusetzen. Und der Himmel hat Wort gehalten: Fast 500 Kurzgeschichten haben uns auch heuer wieder überrascht.

An dieser Stelle sei allen Teilnehmerinnen und Teilnehmern für die Mühe gedankt, Texte aus aller Welt einzusenden.

Die Vorjury um Rike Frohberger hat es sich nicht leicht gemacht, alle Texte zu sortieren, zu kategorisieren, zu lesen, nochmal zu lesen und schließlich zu bewerten.

Von den Besten aus diesen Einsendungen können Sie sich in diesem Buch überzeugen. Ob es nun der Stuhl aus einem Antiquariat ist, der die Beine übereinander schlägt, oder die dichte Poesie vom Ankommen und von der Sehnsucht – es gibt so viele Himmel.

Der Jury gehörten an: Ute Weiherer, Regisseurin; Manfred Rothenberger, Direktor des Instituts für moderne Kunst Nürnberg; und Heinz Neidel, Publizist.

Es hat sich gezeigt, dass die Jurymitglieder in diesem Jahr nicht nur sehr sympathisch, sondern auch überaus kompetent waren. Sie haben sich durch anonymisierte Texte gekämpft, haben gelesen, getrunken, diskutiert, getrunken, gestritten, getrunken, recherchiert, verhandelt, entschieden und dann auf die Sieger angestoßen.

Kunst und Kultur aber sind nichts ohne ihre Förderer und Stifter: Besonderer Dank gilt hier der Stadt und dem Kulturamt Fürth, vor allen Dingen, weil wir ab 2013 ein Teil unseres eigenen Literatur-Kosmos sein dürfen, nämlich ein Teil des LESEN! Festivals, das Claudia Floritz mit viel Liebesmüh und Geduld auf die Beine gestellt hat. Darauf sind wir sehr stolz.

Dr. Thomas Jung, dem Oberbürgermeister der Stadt Fürth und diesjährigen Schirmherren der Preisverleihung, gilt unser Dank für seine unermüdliche Unterstützung dieses Projektes; er hatte uns schon bei der Geburt unseres Literaturpreises in jeder Hinsicht beigestanden.

Christian Horn, der bereits für die Umschlaggestaltung der Bände Augenblick (2008) und Jetzt (2010) verantwortlich zeichnete, hat auch in diesem Jahr dem Himmel seine ganz eigene Farbe verliehen.

Christiane Abspacher, unsere Lektorin, hat gefeilt und geschliffen, redigiert und korrigiert und den Texten eine runde Form verpasst.

Um für Kontinuität zu sorgen und eine Weiterentwicklung anzustreben, haben wir mit dem renommierten Literaturverlag edition karo von Josefine Rosalski eine Ehe geschlossen, auf deren weitere Zusammenarbeit wir uns sehr freuen. Josefine Rosalski hat uns den Mut und die Zuversicht geschenkt, auf die wir aufbauen können.

Einunddreißig Autorinnen und Autoren zeigen uns nun ihren ganz persönlichen schönen fremden Himmel.

Marco Frohberger

Herausgeber

ANMERKUNG DES HERAUSGEBERS

Diese Anthologie präsentiert 31 Kurzgeschichten von Einsendern zum 5. Antho? – Logisch! Literaturwettbewerb, der für unveröffentlichte Kurzgeschichten von maximal sieben Seiten Länge zum Thema Schöner fremder Himmel ausgeschrieben wurde. Der Wettbewerb wendet sich an Schriftstellerinnen und Schriftsteller, die in deutscher Sprache schreiben.

2005, im Jahr der Premiere des Wettbewerbs, nahmen ca. 760 Autoren teil. 2007 erreichten uns ca. 1000 Kurzgeschichten. 2010, erstmals unter der Prämisse „postalische Einsendung“, nahmen fast 500 Bewerber teil. Im Jahr 2012 waren es rund 400 Menschen aus Frankreich, Schweiz, Elfenbeinküste, England, Spanien und vielen anderen Ländern.

Eine Vorjury wählte aus den Einsendungen die besten Texte aus, die für eine Veröffentlichung vorgesehen wurden. Die zweite Jury um Heinz Neidel, Publizist, Ute Weihrerer, Regisseurin, und Manfred Rothenberger, Direktor des Instituts für moderne Kunst Nürnberg, entschied über die Preisvergabe.

Der erste Preis ist mit 750 Euro dotiert, der zweite mit 500 und der dritte mit 250. Die Preisgelder für die ersten drei Plätze gingen an:

LINNI LIND, Platz 1, für „Zweifache Nacht“

CHRISTIANE SCHWARZE, Platz 2, für „Weiße Welt“

JENIFER BECKER, Platz 3, für „Fishing Salmons and Stuff“

1. PLATZ
Zweifache Nacht Linni Lind

Zuerst, das gebe ich zu, war’s ein Kurzes zu viel. Zweitens war mir zum ersten Mal aufgefallen, was zweifache Nacht heißt. Drittens gab’s ein Fest, das herkam wie keins. Die Gäste und ich, das war dann wohl viertens, befanden sich nämlich, säuberlich nebeneinander gelegt, auf einer Eselskarre. Vor uns galoppierte ein scheußliches Scheusal, das uns, jedenfalls schien es mir so, vom Jenseits ins Diesseits beförderte. Die Gastgeber (Physiker und Frau) waren verschwunden. Desgleichen die Oma, die uns am Abend zuvor das Märchen vertickte. Ich sah mich noch nach den ständig herumhüpfenden Enkeln um, doch die hatte, Gottlob, der Erdboden verschluckt. Nach und nach verließen nun auch noch die rechts und links von mir Liegenden (freilich ohne zu grüßen) das Gefährt, das stückweit, wiehernd die Peitsche schwingend, im Schritttempo fuhr und mich, in ruckweiser Verschlimmerung meiner misslichen Lage, schließlich allein auf harten Brettern zurückließ. Zweifellos war es nun mein Verstand, der mir einredete, ich läge auf keinem Karren, müsse nur von dieser zum Schlafen ungeeigneten Gartenbank weg und Schritt für Schritt meinen Fußstapfen folgen: würde alsdann die Oma (mitsamt ihrer schrecklichen Enkel) auffinden, desgleichen bestimmt auch die Gäste – könnte außerdem den Gastgeber fragen, warum eine Nacht zweifach ersäuft.

>>> Zuerst kam mir das Märchen zurück:

Es war einmal ein kleiner Mensch, der hüpfte am Tag viel herum, quacksalberte, lachte und schrie. In den dunklen Nächten versank er in tiefen Schlaf und krabbelte erst wieder gegen Mittag aus finsteren Ecken hervor. Und wie er heranwuchs und weniger viel herumsprang, da war er schon so oft in solch nächtlichen Winkeln verschwunden, dass er sich selbst bei helllichtem Tag nicht mehr beikam. So ging er in Gedanken all diesen Finsternissen noch einmal nach, ging auch draußen die Feldwege hin und zurück und schnüffelte, um seiner Ausrichtung willen, seinen Fußstapfen so ähnlich wie ein Trüffelschwein nach. Einmal, als er so seinen Spuren nachging, traf er eine bucklige Frau, die hatte schlohweißes Haar und erinnerte ihn an den aufrechten Gang. Sie sagte: Liebes Schnüffelschwein, welchem Pilz gehst du nach? Weil der kleine Mensch das eben nicht wusste, sagte er nichts. Die Alte hatte ein Einsehen und sagte: Du wirst einmal werden wie ich. Schau also nicht heute schon auf deine Füße. Blick in die Wolken, die Sonne, den Regen. Als der kleine Mensch tat, was sie sagte, verschwanden die Fußstapfen alle auf einmal und die Nächte waren selten noch finster.

>>> Danach der Gastgeber (Physiker!), wie er sagte:

Man kann nicht mit absoluter Sicherheit sagen, wann ein Mensch für sich etwas gewinnt oder verliert. Was soll man da einer buckligen Frau Rede entnehmen? Das Schnüffeln entmündigt das Aufrechtgehen? Oder entmündigt das aufrechte Gehen vielleicht das Schnüffeln?

Darauf einer der Gäste: Habt ihr mal ein aufrechtes Bier da?

Der Physiker errechnete die Unschärfe seiner Gedanken und wies mit Begeisterung auf unser Misstrauen hin. Gab zu bedenken, dass das Betrachten die Dinge verforme, verlangte aber im gleichen Atemzug von uns die Bereitschaft, uns auf unerklärbare Erklärungen einzulassen, und sagte: Hört nicht auf Bucklige, schaut nicht in finstere Winkel, schaut in die Quanten! Lasst euch von denen ins Jenseits … befördern wie einen Code!

Wir: …? (Verstanden wir Kot?)

Der Physiker: Nehmt die Hand von der Nase! Auch Kot ist im Code. Stellt euch nur einmal, fuhr er geduldig fort, ein unfassbar großes Feld vor, auf dem vor Milliarden Jahren alles chaotisch angelegt war und woraus – hätte nicht Eva in ihren Apfel gebissen – ein paradiesisches Paradies hätte werden können.

Ein junger Gast: Wenn nicht der Schlaf in dunkle Ecken … wenn nicht das Bier … vermutlich in Kot, wenn nicht der Kot mutmaßlich in Energie …

Die Oma (seufzte): Dass doch das Paradies schöner wäre!

Der Physiker (als wir ihn baten, endlich die Gläser zu füllen): Da also dieses Feld aus zig Trilliarden kleinen – er zog einen Bleistift vom Ohr, zeichnete lauter Kügelchen aufs Tischtuch, gab jedem mehr oder weniger schwarze Kreuze (sagte, sie gradieren physikalische Eigenschaften) und bestand darauf, dass diese auf das Tuch gezeichneten Kügelchen nun ebenfalls Quanten seien. Nannte die chaotischsten unter ihnen „Materie“, andere der Einfachheit halber „Atome“, nicht, weil sie etwa das Gleiche wären, sondern damit wir uns darunter etwas vorstellen könnten. Behauptete, dass auch wir jetzt solche Kügelchen seien. Großmütterchen, fuhr er dann fort, sah erst die Oma, dann der Reihe nach uns an: Ihr oder diese herumhüpfenden Gören könnt gar nicht viel tun, denn Zeugung und Geschlechtsakt gehen ganz ohne euch vor sich, eben quantenphysikalisch.

Wir: schütteten Wein nach und fühlten uns entspannt und erleichtert. Durften jetzt unseren Planeten neutral betrachten. Uns ganz ohne Geistesgestörtheit in vino veritas fallen lassen; denn weder würde (während eines Koitus) ein uns infizierender Code in uns gelangen, noch beim Baby wieder heraus.

Der Gastgeber: Bedacht, Bedacht! Bei der Geburt infizierten euch zwar nur eure Eltern, aber die erkrankten doch wohl schon an ihren. Und die? An Urahnen oder früheren Sündern! Erkranken, sich anstecken, kann zigfaches Pech über euch …

Der junge Gast von vorhin: Wäre Morphium nicht …?

Der Gastgeber klatschte in die Hände und rief: Prost dem griechischen Schlafgott! Aber sind da nicht noch Mohammed, Jesus und Buddha? Er nannte noch David, den Ehebrecher, Goliath, den Widersacher, und sagte: Diese Gangster schwirren nun alle durch eueren Körper. Selbst von Merkur, dem Gott des Warenaustausches, seid ihr nicht frei. Quanten, gelobte er, sind alles! Quanten sind Energie in den Gärten der Liebe, des Wachsens und des teuflischen Fehltritts. Quanten sind und waren Chaos, Erleuchtung, Hass, Tod, Sünde, Laster, Hölle und Gier. Gier über den ganzen Planeten!

Die Frau des Physikers: Verlangen wir den Planeten?

Der Physiker, wie von der Wespe gestochen: Verlangen? Und dann?

Dann begann er zu schreien: Es gibt in diesem Mistbeet des Immersoweiter Momente, die wie zweifache Nacht mit betäubendem Lärm einschlagen. (…!) Die eine solche Verwüstung anrichten, dass sie die unsterblich geglaubten Reste Goliaths mit einem Schlage vernichten! Die den Plan meiner Kügelchen (er zeterte jetzt zum Tischtuch hin) ins Nichts …

Die Oma: Und ohne dass ihr es bemerkt, gerät eure Wahrheit ins Aus! Und aus dem Opa wird eine Oma geboren!

Ein Gast: Wahrscheinlich ein Mamakindchen. Käme bloß mal ein Wüstling wie David raus, oder ein waschechter Bastard!

Ich: Und wir Quantenleute können bloß sitzen und warten?

Der Physiker: Wie gern würde doch einer seine Molekülchen mal einer Hexe verpassen. Er deutete jedoch mit gemischten Gefühlen auf diese Potenz (von Einfaltung und Entfaltung) hin, die von alleine einsetze, nannte sie „Drehung um die eigene Achse“, sah uns an, nickte und sprach: Ihr werdet ihn noch erleben! (…?) Fügte auf unser Nichtwissen den „Spin“ hinzu und zauberte eine Flasche Fernet-Branca unterm Tisch hervor.

Wir mussten noch einmal zu diesem Feld, auf dem wir angelangt waren, mussten uns dort haushohe Wellen vorstellen … bis einer: Herrschaft ja, sieht ja aus wie Wüste und Lotterleben sagte und der Physiker wieder nickte: Wir kämpfen bis auf die nackte Erde (dann, ziemlich kleinlaut): Und wo wir gestern scheiterten, beginnen wir heute noch einmal, um morgen dasselbe zu versuchen. Unser Tun zieht sich über die ganze Weltkugel hin, denn jedes Quant ist wie ein Anruf von außerhalb: gigantischen Informationswellen ausgesetzt. Solltet ihr aber denken, na, gut, alles ist menschlich, dann gebt auf keinen Fall zu, dass ihr vorprogrammiert seid. (Wir ließen uns Wein einschenken.)

Der Gastgeber erhob sein Glas: Prost den Quanten! Prost eurem Code!

Ein Jugendlicher (so angetrunken wie angestunken): Vertrauen wir auf unser Geschick! Hicks! Errichten wir Lebensräume und Hypothesen! Bin überzeugt, dass wir das alles uns selber verdanken! Müssen euch Besserwisser, hicks, nix fragen! Pfeifen a - auf eure Be - denken! Zum Wohle dieser (Hicks) Gesellschaft!

Der Physiker: Aber, aber! Bist ja mit deinem Geschick dem Taschenspieler so nah wie dem Kobold, der sich gemäß einem kodierten Trick ins Gewissen einschleicht, um dort zu essen, zu koten und Fett anzusetzen. Setzt du nur auf dein Hicks? Spürst du kein Wachsen der Psyche, kein bisschen Anlass, manchmal wie deine Mama zu schaudern? Keinerlei Bammel, mein Freud?

Ein Gast: Freudscher Versprecher!

Die Frau des Physikers: Befreit doch den Kümmerling mal. Seht ihn doch mal als normalen Menschen … wie er da so bescheiden, nur eben betrunken, am Fenster steht.

Der Physiker: Vielleicht könnten seine Kopfmolekülchen die Glasscheibe als Öffnung verstehen …, wir: Könnten sie! Könnten aber auch was Entgegengesetztes …, sieht also der arme Trunkenbold im Fenster das Nichtoffen (den Quanten so lieb wie das Offen), passiert weiter nichts. Sieht er aber das Offen, sieht er … (der Betrunkene: bloß nicht die nackte Erde) eine noch viel nacktere Frage: Wie kann man nun dieses Stück Erde (falls es das nicht von alleine schon tut) zum Wachsen bringen? In seinem Kopf, ganz zweifellos, würden Synthese und Antithese aneinander geraten wie Partisanen an ihren Aggressor.

Die Frau des Physikers: Wenn die bucklige Frau kein Einsehen hätte! Wenn sie den jungen Mann nicht fragen würde, was suchst du vor deinen Füßen, sondern: Mach’s wie ich! sagt. Bepflanz dieses Stück Erde wie einen Garten. Denn wo, in welchen Wolken wächst schon gutes Gemüse? (Wir: …! …?)

Die Oma: Ein kleiner Mensch soll sich bescheiden, sonst wird er nie eine Oma. Zieht doch wohl jeder seine Karre …, wer will denn, HerrGottJa, dagegen was haben?

Der Gastgeber: PotzBlitzJa!

Ich meine, es war jetzt die Frau, die uns das Märchen auftischte:

Es war einmal ein Mädchen, das schleppte einen uralten Code mit sich rum. Es mühte sich damit ab, zog ihn wie ein Scheusal im Bollerwagen hinter sich her. Es machte das, da es ein gutes Herz hatte, gern; hoffte doch insgeheim, dass das Ziehen eines Tages, wenn es größer würde, ein wenig leichter ginge.

Und wie es heranwuchs, wurde der Bollerwagen kleiner und das Ziehen um einiges leichter. Da dachte das Mädchen: Jetzt habe ich mich so viele Jahre an das Scheusal gewöhnt, das allerwege munter die Peitsche hinter mir her schwang, und möchte doch lieber das Wägelchen ein wenig mehr füllen. Es nahm also von den Feldsteinen welche, die wie Tatzen oder Fratzen aussahen, und legte sie in den halbleeren Karren. Es nahm auch liegen gebliebene Knochen oder verworfene Hörner von Kühen, Ziegenkrallen, verkohlte Stöcke und legte das alles hinein, um das Fuhrwerk wieder auf Trapp zu bringen.

So geschah es, dass das Ziehen wurde wie vordem. Das Mädchen freilich ging bald gekrümmt und seine Haare waren schlohweiße Zotteln geworden. Und wenn es so in die Ferne zog, konnte man meinen: Ein scheußliches Gefährt treibt einen alten Esel voran.

Der Gastgeber: Sehe, ihr klebt wie angegossen am Glas. Schaut tief hinein – wartet doch quantentheoretisch jetzt auf den Spin! Oder möchtet ihr kurz einmal denken, im Ernst jetzt, die Karre stehen lassen? Aber das werdet ihr nicht tun – der Quantentheorie nach vielleicht aber doch?

2. PLATZ
Weiße Welt Christiane Schwarze

Akwasi tunkt mit der rechten Hand ein Fufu-Bällchen in die scharfe Pfeffersoße. Schluckt dann die klebrige Masse aus Maniok und grüner Kochbanane, ohne zu kauen, hinunter.

Er beobachtet das einlaufende Frachtschiff.

Als schließlich eine Containerbox nach der anderen am Haken eines Kranes in die Höhe gehievt wird, fühlt er sich seinem Traum ganz nah.

Hier am Rande des Meeres kann Akwasi tief atmen. Kein beißender Rauch in seinen Lungen.

Kein Gestank nach verschmortem Kunststoff. Keine heißen Flammen, die gemeinsam mit der sengenden Sonne seine Haut glühen lassen.

Selbst seine Füße brauchen nicht aufzupassen, denn hier knirschen unter den Gummilatschen keine scharfen Glassplitter.

Der Bauch des Schiffes ist gefüllt mit dem, was die Ferne hinter dem Meer ausgespuckt hat. Kaputte Computer, Waschmaschinen, Kühlschränke.

Akwasi stellt sich diese ferne Welt weiß vor und silbrig-glänzend.

Die Hafenarbeiter sagen: „Dorthin ist es weit.“

Akwasi schreckt das nicht. Als er mit seinem großen Bruder Yawo den Berg Atiwiredu überquert hat und zu Fuß bis in die Hauptstadt Accra gelaufen ist, dauerte der Weg auch viele Tage.

Er riecht gebratenen Fisch. Kauft aber keinen. Fufu-Bällchen sind billiger und müssen reichen.

Denn seit er den Stern gefunden hat, spart er jeden Pesewa. Immer wenn er hundert beisammen hat, lässt er sie in einen Cedi wechseln. Den Geldschein steckt er dann zu den anderen in einen Beutel, den er immer bei sich trägt.

Yawo hat laut gelacht, als er ihm den Stern zeigte, und auf das Wrack eines Autos gedeutet.

Doch er lässt sich nicht abbringen. Sterne glänzen vom Himmel. Also muss da, woher der Stern kommt, der Himmel sein.

Akwasi hat eines Abends beobachtet, wie junge Männer sich in einem Container versteckt haben und dieser kurz darauf von dem Kran auf ein Schiff gehoben worden ist.

Yawo hat gesagt: „Viele gehen hier weg, doch nur wenige kommen dort an.“

Das silbrige Weiß stapelt sich inzwischen auf offenen Lastwagen. Akwasi kennt ihr Ziel. Der Himmel hinter dem Meer wirft seinen Müll auf die große Halde am Stadtrand von Accra.

Seine Hände kennen jeden Griff: Mit einem Stein das Glas der Bildschirme zerschlagen und die Rechner zertrümmern. Festplatten und Kabel in ein Feuer werfen. Warten bis sich dicke schwarzgelbliche Schwaden mit dem Rauch der vielen anderen Feuer auf der Deponie vereinen. Wenn der Kunststoff verbrannt ist, mit Wasser löschen. Aus den schwarz verkrusteten Resten Kupfer und Aluminiumteile herausholen. Diese seinem älteren Bruder bringen. Yawo gibt ihm dann ein paar Pesewas und verkauft das Metall einem Händler.

Hundert Pesewas sind ein Cedi. Das weiß Akwasi. Aber nicht wie viel Cedi er dem Mann geben muss, damit er auch ihn in einem Container versteckt.

Doch er hat sich dessen Gesicht an dem Abend genau eingeprägt. Und erkennt ihn deshalb sofort wieder. Neben dem Fischverkäufer redet er mit jungen Männern, die ihm Geldscheine geben.

Akwasi stellt sich vor ihn und zeigt ihm seinen Beutel. Der Mann greift schnell zu und sagt: „Komm morgen Abend.“

Warum nur grinst er schief bei diesen Worten? Warum tuscheln einige der jungen Männer und andere blicken ihn mitleidig an?

Akwasis Hand umklammert den Stern.