Loe raamatut: «Die katholische Kirche im Pressediskurs»
Marianne Franz
Die katholische Kirche im Pressediskurs
Eine medienlinguistische Untersuchung österreichischer und französischer Tageszeitungen
A. Francke Verlag Tübingen
© 2016 • Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG
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E-Book-Produktion: pagina GmbH, Tübingen
ePub-ISBN 978-3-8233-9025-1
Inhalt
Vorwort(e)
1 Einleitung1.1 Forschungsobjekt1.2 Hypothesen(1) Einfluss der Nachrichtenfaktoren sowie der Welt- und Wertvorstellungen(2) Themenselektion(3) Inhaltliche Darstellung(4) Redaktionelle Besonderheiten(5) Länderspezifische Besonderheiten (Vergleich Österreich – Frankreich)1.3 Untersuchungsdesign1.4 Aufbau der Arbeit
2–6 Wissenschaftliche Grundlagen
2 Medien- und Kommunikationswissenschaft2.1 Medien aus kommunikationswissenschaftlicher Sicht2.2 Massenkommunikation2.3 Kommunikatorforschung2.3.1 Nachrichtenwerttheorie2.3.2 Verwandte Ansätze: Gatekeeping, News-Bias, Agenda-Setting, Framing2.4 Medieninhaltsforschung2.4.1 Medieninhalte oder: Gibt es objektive Berichterstattung?2.4.2 Inhaltsanalyse2.5 Zusammenfassung
3 Medienlinguistik3.1 Die Sprache(n) der Medien3.1.1 Mediale Kommunikationsbedingungen3.1.2 Besonderheiten der Pressesprache3.2 Sprache-Bild-Texte3.2.1 Was ist ein Medien-Text?3.2.2 Bildsorte „Zeitungsbild“3.2.3 Sprache-Bild-Bezüge3.2.4 Funktionen von Zeitungsbildern3.3 Zusammenfassung
4 Textlinguistik4.1 Merkmale der Pressetextsorten4.1.1 Informationsbetonte Pressetextsorten4.1.2 Meinungsbetonte Pressetextsorten4.1.3 Pressetextsorten mit informations- und meinungsbetonten Elementen4.2 Aktuelle Tendenzen der Pressetextsorten-Entwicklung4.3 Zusammenfassung
5 Diskurslinguistik 5.1 Diskurstheorie nach Foucault 5.2 Diskursanalysen in der Linguistik 5.3 Kritische Diskursanalyse nach Jäger 5.4 Zusammenfassung
6 (Pragmatische) Semantik6.1 Typen und Mittel der Bewertung mit Sprache6.1.1 Bewertungstypen: Explizite und implizite Bewertungshandlungen6.1.2 Sprachliche Bewertungsmittel6.2 Zusammenfassung
7–8 Gesellschaftspolitischer Kontext
7 Katholische Kirche und Staat 7.1 Das österreichische Kooperationssystem 7.2 Die französische Laizität 7.3 Zusammenfassung
8 Katholische Kirche und Medien8.1 Österreich8.1.1 Beziehung(-sproblem) „Kirche, Medien und Staat“8.1.2 Medienberichterstattung über die Kirche8.2 Frankreich8.2.1 Beziehung(-sproblem) „Kirche, Medien und Laizität“8.2.2 Medienberichterstattung über die Kirche8.3 JournalistInnen im Interview zur Beziehung „Kirche, Medien und Staat“8.3.1 Österreichische Journalisten8.3.2 Französische JournalistInnen8.4 Zusammenfassung
9–10 Presselandschaften
9 Die Presse in Österreich und in Frankreich9.1 Die Presse in Österreich9.1.1 Journalismus auf Österreichisch9.2 Die Presse in Frankreich9.2.1 Journalismus „à la française“9.3 Zusammenfassung
10 Porträt der untersuchten Tageszeitungen10.1 Der Standard10.1.1 Daten und Fakten10.1.2 Leitlinie10.1.3 Der Standard und religiöse Berichterstattung10.2 Die Presse10.2.1 Daten und Fakten10.2.2 Leitlinie10.2.3 Die Presse und religiöse Berichterstattung10.3 Kronen Zeitung10.3.1 Daten und Fakten10.3.2 Leitlinie10.3.3 Kronen Zeitung und religiöse Berichterstattung10.4 Aujourd’hui en France10.4.1 Daten und Fakten10.4.2 Leitlinie10.4.3 Aujourd’hui en France und religiöse Berichterstattung10.5 Le Figaro10.5.1 Daten und Fakten10.5.2 Leitlinie10.5.3 Le Figaro und religiöse Berichterstattung10.6 Le Monde10.6.1 Daten und Fakten10.6.2 Leitlinie10.6.3 Le Monde und religiöse Berichterstattung10.7 Zusammenfassung
11–13 Katholische Kirche im Pressediskurs: Textanalyse
11 Inhaltsanalyse11.1 Korpus11.2 Methode11.3 Auswertung11.3.1 Umfang der Berichterstattung11.3.2 Themenfrequenz11.3.3 Distribution der Nachrichtenfaktoren11.4 Zusammenfassung
12 Bildanalyse12.1 Korpus12.2 Methode12.3 Auswertung12.3.1 Formale Bildmerkmale12.3.2 Pragmasemantische Bildmerkmale12.3.3 Semantische Sprache-Bild-Bezüge
13 Diskursanalyse13.1 Korpus13.2 Methode13.3 Auswertung13.3.1 Bewertungen in informations- und in meinungsbetonten Pressetextsorten13.3.2 Sprachliche Bewertungsmittel in informationsbetonten Pressetextsorten13.3.3 Sprachliche Bewertungsmittel in meinungsbetonten Pressetextsorten13.3.4 Verhältnis positiver und negativer Bewertung von Kirche13.3.5 Ideologiebezogene Bezeichnungsfelder im Pressediskurs über die Kirche13.3.6 Inhaltlich-ideologisches Bild der Kirche im Pressediskurs
14 Zusammenfassung (1) Einfluss der Nachrichtenfaktoren sowie der Welt- und Wertvorstellungen (2) Themenselektion (3) Inhaltliche Darstellung (4) Redaktionelle Besonderheiten (5) Länderspezifische Besonderheiten
15 Résumé (1) Impact des éléments d’information ainsi que des conceptions du monde et des valeurs (2) Choix des thèmes traités (3) Représentation de fond (4) Des particularités rédactionnelles (5) Spécificités nationales
16 Anhang16.1 Codebuch Inhaltsanalyse16.1.1 Umfang der Berichterstattung16.1.2 Themenfrequenz16.1.3 Nachrichtenfaktoren16.2 Ergebnisdaten Inhaltsanalyse16.2.1 Umfang der Berichterstattung16.2.2 Themenfrequenz16.2.3 Distribution der Nachrichtenfaktoren16.3 Codebuch Bildanalyse16.3.1 Formale Bildmerkmale16.3.2 Pragmasemantische Bildmerkmale16.3.3 Semantische Sprache-Bild-Bezüge16.4 Korpus Diskursanalyse16.4.1 Der Standard16.4.2 Die Presse16.4.3 Kronen Zeitung16.4.4 Aujourd’hui en France16.4.5 Le Figaro16.4.6 Le Monde
Abbildungen
Tabellen
LiteraturQuellenForschungsliteraturSoftware
Stichwortverzeichnis
Sachregister
Vorwort(e)
Der erste Satz meiner Dissertation fällt mir leicht; er soll all denen gewidmet sein, ohne die diese Arbeit kein Ende gefunden hätte: Ich danke den vielen Händen, die mich durch die folgenden Seiten getragen, getröstet, gezogen, gestoßen oder einen Beitrag anderer Art geleistet haben.
Danke, Ao. Univ.-Prof. Dr. Lorelies Ortner (Universität Innsbruck), für die tolle Betreuung, für deine Menschlichkeit, deine Nachsicht, für den Druck, den du im rechten Moment ausübst, für deine motivierenden Rückmeldungen, für deine wertvollen Anmerkungen, für die Zeit, die du immer für mich hattest.
Danke, Prof. Jean-Pierre Goudaillier (Université Paris Descartes), für die Betreuung, für die gute Unterstützung während meines sechsmonatigen Studienaufenhalts in Paris (September 2009–März 2010) und für das Ermöglichen der Dissertation als eine „thèse en co-tutelle“. Dieses von Frankreich ausgehende Mobilitätsprogramm für DissertantInnen impliziert eine Doppelinskription an der Universität Innsbruck und an der Université Paris Descartes und gewährt bei positivem Abschluss des Doktoratsstudiums die Anerkennung des Doktorats an beiden Universitäten. Die Inskription an der Pariser Universität erleichterte mir die unverzichtbare Recherchearbeit für den französischen Teil der Dissertation (Erstellung der französischen Korpora, Interviews mit französischen JournalistInnen, Literaturrecherchen).
Danke an das Vizerektorat für Forschung der Universität Innsbruck, das mir durch ein im Studienjahr 2009/2010 gewährtes Doktoratsstipendium aus der Nachwuchsförderung diesen Paris-Aufenthalt finanziell ermöglichte.
Danke an die JournalistInnen der österreichischen und der französischen Tageszeitungen, die sich für Interviews zur Verfügung gestellt haben: Philippe Baverel und Jacques Lallain (Aujourd’hui en France), Jean-Marie Guénois und Georges Potriquet (Le Figaro), Dieter Kindermann (Kronen Zeitung), Stéphanie Le Bars und Jean-Pierre Giovenco (Le Monde), Dietmar Neuwirth (Die Presse) und schließlich Markus Rohrhofer (Der Standard).
Danke für alles, Bernhard, du hast wohl am meisten an diesem Werk mitgetragen, warst sehr geduldig, hast mich oft angetrieben, mich ermutigt, mir das alles zugetraut.
Danke an meine Eltern und Geschwister und an meine Freunde, die meine Hochs und Tiefs und alles dazwischen ertragen haben.
Danke an meine Korrekturleserinnen Claudia und Gudrun.
Danke an meinen franko- und anglophonen Beistand, Ingrid, Julien und Ulla.
Danke an das Leben, das mich auch auf das Thema der Dissertation gebracht hat. Das Untersuchungsobjekt und die Untersuchungsperspektive sind kein Zufall. Ich vereine darin meine drei Studienrichtungen (Germanistik, Französisch, katholische Theologie) und damit auch viele meiner Interessen: die Liebe zu den Sprachen, zu Frankreich, zu Österreich, mein Interesse für die Theologie und die Kirche und vor allem für das Phänomen der Massenmedien mit ihrer ambivalenten Macht.
Innsbruck, Dezember 2012 Marianne Franz
Rund dreieinhalb Jahre nach der Defensio meiner Dissertation im Jänner 2013, einen zweieinhalb Jahre alten Sonnenschein und Prachtkerl von Sohn sowie ein jetzt schon wunderbar lebhaftes, demnächst anmarschierendes Geschwisterchen später erscheint nun dieses Werk in leicht gekürzter und überarbeiteter Fassung. Dem wilden Leben, dem ich oben schon gedankt habe, ist es zuzuschreiben, dass die der Arbeit zugrunde liegende Literatur großteils weiterhin auf Stand 2012 zu bleiben hat. Zuletzt füge ich den obigen, heute nicht weniger gültigen Dankesworten noch sehr gerne einige weitere hinzu:
Danke an die HerausgeberInnen der Reihe, insbesondere an Prof. Dr. Kirsten Adamzik, für die Aufnahme meiner Arbeit in die „Europäischen Studien zur Textlinguistik“ und für die vielen wertvollen Anregungen im Rahmen der Drucklegung.
Danke an die Österreichische Forschungsgemeinschaft, an die Diözese Innsbruck und ihren ehemaligen Bischof Dr. Manfred Scheuer sowie auch an das Institut für Germanistik der Universität Innsbruck für die großzügige finanzielle Unterstützung des Drucks.
Innsbruck, August 2016 Marianne Franz
1 Einleitung
Abb. 1:
Französische Karikatur zum Beziehungsproblem „Kirche und Medien“ (Quelle: Guézou 2009: 3)
Deutsche Übersetzung: | |
Bischof: | „Was die Aufhebung der Exkommunikation von Bischof Williamson betrifft, Gott präserviere uns vor jeglichem voreiligen Urteil!…“ |
JournalistInnen: | „Präserv… …atif!! Es ist soweit! Er hat es gesagt!“ – „Wie furchtbar!“ |
Bischof: | „Um deutlich zu sein, ja, aber nein …, aber gut. Naja, je nachdem.“ |
Bildunterschrift: | „Eindringliche Zusammenhanglosigkeit angesichts einer ausgeprägten Fixierung.“1 |
Den Ausgangspunkt dieser Dissertation bildet eine Beobachtung, die wohl auch der KarikaturKarikatur in Abb. 1 zugrunde liegt: ein dem Anschein nach vorhandenes Beziehungsproblem zwischen der katholischen Kirche und den öffentlichen Medien.2
Tatsächlich muss man kein Experte sein, um zu erkennen, dass das Verhältnis zwischen Kirche und Medien nicht ausschließlich freundschaftlich ist. Kirchenmitglieder klagen immer wieder über die Medienmaschinerie und ihre Vorliebe für Skandale und Negativschlagzeilen. Die Kirche werde schlechter dargestellt, als sie sei, die positiven Aspekte würden ignoriert. Die Kirche fühlt sich (manchmal mit Absicht) missverstanden. Mitunter werden sogar Verschwörungstheorien ins Spiel gebracht, die Medien wollten die Kirche schädigen. Umgekehrt beschweren sich MedienvertreterInnen über die mangelnde kirchliche Kommunikationskompetenz. In der KarikaturKarikatur lässt sich das an der verwickelten Sprechblase erkennen. Der Bischof wirkt unbeholfen und weiß nicht so recht, was er sagen soll. Den Konflikt auf den Punkt bringen die Fotoapparate der JournalistInnen, aus denen offensichtlich Geschosse fliegen.
Befinden sich Kirche und Medien im Krieg? Was ist dran an diesem angeblichen Missverhältnis zwischen den beiden? Wie schreiben die Medien wirklich über die Kirche? Gibt es hier im internationalen Vergleich Unterschiede? Auf diese Fragen auf wissenschaftliche Art und Weise Antworten zu finden, ist das Ziel dieser Arbeit. Das Werkzeug dazu liefern allen voran die Linguistik, aber auch einige andere Forschungsdisziplinen wie die Medien- und Kommunikationswissenschaft, aus denen geschöpft wird.
Die Beforschung der medialen Berichterstattung ist kein Neuland, sondern hat Tradition. Neu ist das Thema, mit dem sich die vorliegende Arbeit auseinandersetzt. In einer durchaus säkularen Gesellschaft drängt sich die Frage auf, warum man sich mit dem medialen Bild einer Organisation befasst, deren Mitgliederzahlen ohnehin rückläufig sind und deren Untergang sich für manche schon abzuzeichnen scheint. Dass die Kirche aber immer noch eine gesellschaftliche Größe von nicht unbeträchtlicher Relevanz ist, spiegelt sich auch in ihrer unvermutet starken medialen Präsenz wider. Michael Fleischhacker, Chefredakteur der Presse, zählt Kirchenberichterstattung nicht zuletzt zu den „großen journalistischen Herausforderungen“ und gesteht ihr „Kulturkampfpotenzial“ zu (Fleischhacker 2010). Er spielt wohl darauf an, dass die erwähnte gesellschaftspolitische Relevanz der katholischen Kirche nicht unumstritten ist, ebenso wie zahlreiche ihrer Positionen oder Handlungen. Dabei geht es weniger um religiöse Glaubensinhalte (die im öffentlichen DiskursDiskurs nur selten Platz haben), sondern vielmehr um die daraus resultierenden (moralischen) Werthaltungen und Weltanschauungen, die zum Stein des Anstoßes werden.
Nichtsdestoweniger wurde die Kirche bislang als Thema sowohl in der Linguistik als auch in der Medien- und KommunikationswissenschaftKommunikationswissenschaft weitgehend ignoriert. Dort konzentriert man sich vor allem auf die Analyse der Presse-Berichterstattung in Hinblick auf politische Themen (z.B. Ausländerfeindlichkeit in der Presse; ethnische Minderheiten, Kernenergie, die EU-Erweiterung, politische Parteien im Vorlauf diverser Wahlen usw.) (vgl. auch Abschnitt 8).
Dass Kirche Kulturkampfpotenzial hat, zeigte sich auch schon in der Geschichte Frankreichs (vgl. Abschnitt 7.2). Heute herrscht dort eine strikte Trennung zwischen Staat und Kirche; viel strikter, als es in Österreich der Fall ist (vgl. Abschnitt 7.1), wo Staat und Kirche in vielen Bereichen kooperieren. Gerade dieser Unterschied macht einen Vergleich dieser beiden Länder interessant. Es bleibt festzustellen, ob sich die unterschiedlichen Staat-Kirche-Systeme in der Berichterstattung der Medien widerspiegeln. Auch dieser länderübergreifende Vergleich bildet ein Novum, das aufschlussreiche Ergebnisse zu den soziokulturellen und sprachlichen Besonderheiten der beiden Länder verspricht.
Alle Medien zu untersuchen sprengt die Ressourcen einer einzelnen Dissertantin. So wurde das MediumMedium der Tageszeitung ausgewählt, das nicht nur ein verhältnismäßig leicht zu handhabender Untersuchungsgegenstand ist, sondern das sowohl in Österreich als auch in Frankreich ein sehr beliebtes Medium und insofern repräsentativ ist (vgl. Kapitel 9).
Im Folgenden werden das Forschungsobjekt, die der Untersuchung zugrunde liegenden Hypothesen, das Untersuchungsdesign und der Aufbau der vorliegenden Arbeit genauer erläutert.
1.1 Forschungsobjekt
Medien sind „Weltbildapparate“, so Winfried Schulz in Anlehnung an Konrad Lorenz, der mit dieser Bezeichnung den Einfluss des menschlichen Informationsverarbeitungssystems auf die Weltbild-Konstruktion hervorhob. Auch die Medien wählen – wie das menschliche Informationsverarbeitungssystem –
„aus der unendlichen Fülle von Zuständen und Vorgängen in der Welt einige wenige aus, unterziehen sie einem Verarbeitungsprozeß und entwerfen daraus ihr Weltbild. Dieses hat für die Gesellschaft einen ähnlich ‚objektiven‘, verbindlichen Charakter wie es die individuelle Weltwahrnehmung hat. So wie wir unseren Augen trauen, verlassen wir uns auch auf die Berichterstattung der Medien“ (Schulz 1997: 49; vgl. auch Abschnitt 2.3 Kommunikatorforschung).
Manchen Kirchenmitgliedern ist genau das ein Dorn im Auge. Sie sorgen sich, dass die Menschen, die die Kirche nur mehr aufgrund der Medienberichterstattung und nicht aufgrund ihrer persönlichen Erfahrungen mit der Kirche kennen, ein negatives Bild von Kirche vermittelt bekommen und dieses mediale Bild für real halten.Bewertung
Wissenschaftlich gesehen kann ein mediales Weltbild jedoch ohnehin „niemals ein Abbild der Wirklichkeit“ sein (Burkart 2002: 275). Nach konstruktivistischer Sicht ist die Wahrnehmung und Abbildung einer objektiven RealitätRealität, objektive nicht möglich, da die menschliche Informationsverarbeitung unweigerlich eine Reduktion dieser Realität mit sich bringt. Die Frage lautet also nicht „‚Wie (gut oder schlecht) bilden die Medien die Wirklichkeit ab?‘, sondern ‚Wie [re-]konstruieren die Medien die Wirklichkeit?‘“ (Burkart 2002: 274f.) (vgl. auch Abschnitt 2.4.1).
Die vorliegende Arbeit will dieser Frage auf den Grund gehen. Sie nimmt ein konkretes medial rekonstruiertes Weltbild genauer in Augenschein: das Bild der römisch-katholischen Kirche, wie es von den österreichischen und französischen Tageszeitungen geschaffen wird. Dazu werden Zeitungsartikel hinsichtlich der berichteten kirchlichen Themen sowie hinsichtlich ihrer inhaltlichen und sprachlichen Darstellung und der getätigten Bewertungen analysiert. Für die Untersuchung wurden je drei österreichische und französische Tageszeitungen mit nationaler Reichweite (je zwei QualitätszeitungenQualitätszeitung und eine BoulevardzeitungBoulevardzeitung) ausgewählt. In Österreich sind das Die Presse, Der Standard und die Kronen Zeitung; in Frankreich Le Figaro, Le Monde und Aujourd’hui en France. Berücksichtigt wurden informations- undPressetextsorten, informationsbetonte meinungsbetontePressetextsorten, meinungsbetonte TextsortenPressetextsorten, die die katholische Kirche zum Thema hatten und die Linie der jeweiligen Redaktion widerspiegelten.
Seit Beginn meiner Untersuchungen im Jahr 2008 riss die Berichterstattung über die Kirche nicht ab. Es mag dazwischen Zeiten gegeben haben, wo es ruhiger um die Kirche geworden ist, doch über weite Strecken war das Thema Kirche kontinuierlich präsent. Immer wieder tauchten neue Diskursereignisse auf, die eine Riesenwelle an medialer Berichterstattung auslösten; im Jahr 2009 waren es päpstliche Aussagen zum Kondom während seiner Afrikareise oder auch die aufgehobene Exkommunikation der Bischöfe der Piusbruderschaft (einer von ihnen leugnet annähernd zeitgleich den Holocaust); in Österreich folgten im Jahr 2010 der Skandal der zahlreichen aufgedeckten Fälle von Kindesmissbrauch innerhalb der österreichischen Kirche oder im Jahr 2011 der Aufruf zum Ungehorsam gegenüber der Kirchenleitung von der österreichischen Pfarrerinitative (ein Verein von österreichischen Pfarrern, der für die Reform der Kirche eintritt) – um nur einige Beispiele zu nennen. Es stellte sich bald heraus, dass es unmöglich war, alles abzudecken. Das Korpus musste stark eingeschränkt werden. Um dennoch allgemeine Aussagen treffen zu können, wurde nicht ein einzelnes diskursives EreignisDiskursives Ereignis (z.B. Kondomdebatte) untersucht, sondern die Berichterstattung über einen längeren Zeitraum verfolgt, indem eine StichprobeStichprobe (s. a. Künstliche Woche) der zwischen Jänner und Juni 2009 zum Thema „katholische Kirche“ erschienenen Artikel gezogen wurde. Insgesamt wurden 212 Artikel untersucht (Genaueres siehe Abschnitt 11.1, außerdem Abschnitte 12.1 und 13.1).