Loe raamatut: «The Long Hard Road Out Of Hell»

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Marilyn Manson

The Long Hard Road Out Of Hell

Aus dem Amerikanischen von Christoph Gurk


www.hannibal-verlag.de

Impressum

Um Unschuldige zu schützen, sind in diesem Buch zahlreiche Namen und Eigenschaften bestimmter Personen geändert worden. ­Manche Figuren ­setzen sich aus Eigenschaften ­unterschiedlicher Personen zusammen.

Für Barb und Hugh Warner

Möge Gott ihnen vergeben, mich zur Welt gebracht zu haben.

Titel der Originalausgabe: Marilyn Manson – The Long Hard Road Out Of Hell

© 1998 Marilyn Manson und Neil Strauss. published 1998 by Harper Collins Publishers, New York

11. Auflage 2012

© 2012 der deutschen Ausgabe: KOCH International GmbH/Hannibal, A-6604 Höfen

Lektorat: Albert Koch, Titelfoto und Fotos Innenteil: Mit freundlicher ­Genehmigung von Harper Collins Publishers, Ebook: buchsatz.com

ISBN 978-3-85445-412-0

Auch als Paperback erhältlich mit der ISBN 978-3-85445-407-6

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich ­geschützt und darf ohne eine schrift­liche Genehmigung nicht verwendet oder reproduziert werden. Dies gilt insbesondere für Vervielfältigungen und die Einspeicherung und Ver­arbeitung in elektronischen Systemen.

Widmung

Aber irgendwann, in einer stärkeren Zeit, als diese morsche, selbstzweiflerische Gegenwart ist, muss er uns doch kommen, der erlösende Mensch der großen Liebe und Verachtung, der schöpferische Geist, den seine drängende Kraft aus allem Abseits und Jenseits immer wieder wegtreibt, dessen Einsamkeit vom Volke missverstanden wird, wie als ob sie eine Flucht vor der Wirklichkeit sei – während sie nur Versenkung, Vergrabung, Vertiefung in die Wirklichkeit ist, damit er einst aus ihr, wenn er wieder ans Licht kommt, die Erlösung dieser Wirklichkeit heimbringe: ihre Erlösung vor dem Fluche, den das bisherige Ideal auf sie gelegt hat. Dieser Mensch der Zukunft, der uns ebenso vom bisherigen Ideal erlösen wird als von dem, was aus ihm wachsen musste. Vom großen Ekel, vom Willen zum Nichts, vom Nihilismus, dieser Glockenschlag des Mittags und der großen Entscheidung, der den Willen wieder freimacht, der der Erde ihr Ziel und dem Menschen seine Hoffnung zurückgibt, dieser Antichrist und Antinihilist, dieser Besieger Gottes und des Nichts – er muss einst kommen.

Friedrich Nietzsche, »Zur Genealogie der Moral. Eine Streitschrift«

Inhalt

Update: Das Zeitalter der Groteske

Vorwort: Holy Wood – Ich bin der Dorn im Auge Amerikas

1.: Der Mann, den ihr fürchtet

2.: Wer sich hier auf Rockmusik einlässt, wird an die Luft gesetzt

3.: Teenie-Stümper

4.: Der Weg zur Hölle ist mit guten Ablehnungsbriefen gepflastert

5.: Ich bin mit zu wenig Stinkefingern auf die Welt gekommen

6.: Spooky Kids

7.: Dreckiger Rockstar

8.: An alle, die noch leben

Bildstrecke

9.: Die Regeln

10.: Für nichts und wieder nichts

11.: »We’re Off To See The Wizard …«

12.: Missbrauch, Teil eins und zwei

13.: Häppchen für die Fans: Meat And Greet

14.: Der reflektierende Gott [Träume]

15.: Antichrist Superstar 109

16.: Fünfzig Millionen kreischende Christen können sich nicht irren

Danksagungen

Fotonachweise

Zitatnachweise

Diskografie

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Update: Das Zeitalter der Groteske

von Maik Koltermann

Es war nur ein kurzer Gastauftritt in einer Dokumentation. Aber er änderte die Art, wie Marilyn Manson wahrgenommen wird, mehr als es eine millionenschwere Marketing-Kampagne hätte tun können. Das kurze Interview in Bowling For Columbine, Michael Moores preisgekröntem und immens erfolgreichem Film über den Amoklauf an der Schule in Littleton, Colorado, zeigte Manson als besonnenen Mann, der die Situation nüchtern analysiert: »Ich bin jemand, der tut und sagt, was er will – das macht den Menschen Angst«, kommentiert er die Vorwürfe, seine Musik habe die Täter inspiriert. Und er erwidert auf die Frage, was er den Jungs, die das Massaker angerichtet haben, sagen würde: »Ich würde ihnen gar nichts sagen. Ich würde ihnen zuhören. Denn das hat augenscheinlich nie jemand getan.«

Das war im Jahr 2002 und muss für viele Amerikaner eine Art Er­weckungserlebnis gewesen sein. Der böse Mann kann sprechen. Und was er sagt, hat sogar Sinn.

Sechs Jahre sind seit Erscheinen der deutschen Erstauflage der Manson-Biographie The Long Hard Road Out Of Hell vergangen. Sechs Jahre, in denen sich das öffentliche Bild von Manson verändert hat. Die Welt hat sich gewöhnt an die Eskapaden des »Schock-Rockers«, und es wirkt manchmal so, als sei er selbst des ewig gleichen Kreislaufs aus Provokation und Reaktion müde geworden. Manson ist gern gesehener Gast auf den Hollywood-Parties der Schönen und Reichen; dank seiner Liaison mit Cabaret-Tänzerin und Fetisch-Model Dita von Teese nehmen sich inzwischen Frauenzeitschriften ganz unaufgeregt der Frage an, welche Art Wäsche der Siebenunddreißigährige im Bett bevorzugt.

Was nicht heißt, dass es nicht immer wieder mal skandalträchtigen Wirbel um ihn gegeben hätte. So hat er angeblich im Sommer 2001 während einer US-Tournee einen Security-Mann sexuell belästigt – es kommt zu einer gerichtlichen Auseinandersetzung. Und als die damalige Freundin von Keanu Reeves nach einer wilden Party in seiner Villa mit dem Auto tödlich verunglückt und in ihrem Blut Kokain gefunden wird, will man den Gastgeber dafür verantwortlich machen.

Und ja, Manson macht weiter Musik. Auch wenn schon damals sein Interesse für Bildende Kunst und die Arbeit vor und hinter der Kamera immer häufiger in den Vordergrund traten. Im September 2002 stellt Manson in Los Angeles erstmals Bilder aus und leitet damit sein »Goldenes Zeitalter der Groteske« ein. Manson malt hauptsächlich Aquarelle. Das bekannteste Werk ist zugleich ein weiterer Schritt zur Aufarbeitung des Littleton-Traumas, das – wie Manson später sagt – fast dazu geführt hätte, dass er endgültig die Finger von der Musik lässt. Es zeigt eine Hand, deren Ring- und Mittelfinger ein »V« bilden; auf den Fingerkuppen sind die Gesichter der beiden Attentäter zu sehen.

Manson hat ein neues Steckenpferd. Er entdeckt die Kultur der Dreißigerjahre für sich, allem voran die ebenso verspielten wie revolutionären Stilarten, die in Europa das Aufkommen des Nazionalsozialismus konterkarierten. Berlin erlebte damals die Blütezeit von Expressionismus, Kabarett und Dada-Bewegung. Das Absurde als Gegensatz zum Etablierten, Chaos als Kontrast zum Reglementierungswahn – kein Wunder, dass Manson daran Gefallen findet.

Für die Promotionveranstaltung zu seinem Album The Golden Age Of Grotesque lädt Manson im Mai 2003 in die Berliner Volksbühne. Von den aufgestellten riesigen Fotowänden herunter strahlt er sinistre Boshaftigkeit aus – das effektreich inszenierte Artwork und visuelle Drumherum der Platte stammen vom österreichischen Künstler Gottfried Helnwein, mit dem ihn inzwischen eine enge Freundschaft verbindet. Mit Helnwein zieht er durch die Ausstellung im Foyer des Theaters, im Schlepptau eine Gruppe von pubertären Statisten, die er in Uniformen mit Hitlejugend-Anmutung gesteckt hat. Auf dem Kopf tragen sie Micky-Maus-Ohren. »Entartete Kunst« soll das neue Werk inspiriert haben, das Flair des Hollywoods und Berlins der Dreißigerjahre, die kreative Auflehnung gegen die stärker werdenden repressiven Kräfte.

Marilyn Mansons fünftes Album ist vor allem von einem Musiker geprägt: Tim Skold, ehemals tätig bei den Elektro-Industrial-Rockern KMFDM, tunkt die vierzehn Songs in blubbernde Synthie-Bässe. »Everything has been said before (...) Babble babble bitch bitch / Rebel rebel party party / Sex sex sex and don’t forget the violence« – der erste Song heißt »This Is The New Shit«, die Regeln sind bekannt. Kompakt donnert das neue Material, Manson faucht: »This isn’t music and we’re not a band, we’re five middle-fingers on a motherfucking hand!« – »dies ist keine Musik, und wir sind keine Band; wir sind fünf Stinkefinger an einer Scheißhand!« Bundestagsvizepräsidentin Dr. Antje Vollmer, die unter den Zuschauern ist, kann da nur staunen. »Nach allem, was ich in Sachen Religion und Politik auf den letzten drei Alben getan habe, verfolge ich auf dieser Platte einen neuen Ansatz. Es geht um das einfachste und wichtigste Thema überhaupt: um Beziehungen. Um Beziehungen zwischen Menschen und um Beziehungen zwischen Ideen«, gibt Manson zu Protokoll. Das Album steigt in fünf Ländern, darunter Deutschland und die USA, auf Platz eins in die Charts ein.

Manson geht auf Tournee; es erscheinen DVDs und mit Lest We Forget 2004 auch ein Best-of-Album, das auch eine Coverversion von »Personal Jesus« von Depeche Mode enthält. Vor allem aber streut er Gerüchte über Film- und Buchprojekte. Zu zahllos, um sie alle aufzulisten. Mit Party Monster allerdings schafft er es in den USA auf die große Leinwand. Der Film über Aufstieg und Fall des Club-Promoters Michael Alig zeigt Macaulay Culkin in der Hauptrolle und zeichnet eine Geschichte nach, die Manson einfach gefallen muss. Der Film spielt in den späten Achtzigern. Alig, geboren in der amerikanischen Provinz, zieht nach New York und wird zu einer Underground-Legende. Für seinen exzessiven Drogenkonsum und sein extrovertiertes Verhalten berühmt und berüchtigt, verliert sich Alig mehr und mehr in einer Welt aus Größenwahn und Drogenkosum; schließlich ermordet er seinen Dealer und gibt mit der Tat in einer Fernsehshow an. Manson spielt eine Transsexuelle namens Christina.

Als Begleitung für seine Auftritte auf den roten Teppichen löst Dita von Teese die Schauspielerin Rose McGowan ab. Mit der Nackttänzerin mit der schneeweißen Haut, die mit bürgerlichem Namen Heather Sweet heißt, ist er seit 2001 liiert. Sie heiraten im Dezember 2005 in einem irischen Schloss, das Gottfried Helnwein gehört. Unter den sechzig Gästen sind Lisa Marie Presley und Christian Dior; Underground-Filmemacher Alejandro Jodorowsky, mit dem Manson schon diverse Projekte erarbeitet hat, fungiert als Zeremonienmeister. Der deutsche Sänger Max Raabe, der wie kaum ein anderer die Kunst des rollenden Rs beherrscht und mit seinem Palast-Orchester die Schlager der Zwanziger- und Dreißigerjahre wieder aufleben lässt, sorgt für die Musik. Man wolle drei Tage opulent und altmodisch feiern, lässt Raabe einen Reporter des Musiksenders VH1 wissen. Dazu gehöre auch eine gemeinsame Jagd. In der Zeit vor und nach der Hochzeit erfreut das Paar das Publikum in der internationalen Presse mit Details aus seinem Privatleben. Man lebe in einem Palast, der mit Schrumpfköpfen und Skeletten dekoriert sei, heißt es. Manson flaniere im Alltag ungeschminkt und in einem antiken Seidenmantel über die Flure. Dita hingegen bevorzuge schwarze französische Spitzenhöschen und Lackstilettos, an ihrer Seite seien stets die beiden ­Dackel Greta und Eva. Dackel möchte man sein.

So reihen sich die ironischen und ernst gemeinten Anekdötchen aneinander. Manson parliert darüber, dass er sich vorstellen könnte, eine Kosmetik- und Parfümlinie auf den Markt zu bringen. Aber er arbeitet auch. Für den Soundtrack der 3D-Version des Tim-Burton-Klassikers The Nightmare Before Christmas spielt er eine neue Version von »This Is Halloween« ein. In dem Vampir-Film Rise mit Lucy Liu spielt er einen bärtigen Barkeeper. Sein Lieblingsprojekt aber, das Werk, über das er am liebsten redet und für das er kräftig die Werbetrommel rührt, ist ganz ernst gemeint: Phantasmagoria, ein »psychologischer Horrorfilm«. Es geht um die Verfilmung des Lebens von Lewis Carroll; Manson will das Leben des Schöpfers von Alice im Wunderland als Regisseur und Hauptdarsteller auf die Leinwand bringen. »Die Figur von Lewis Carroll ist einfach interessanter als die von Alice. Er benutzte seinen Künstlernamen und manchmal auch seinen ursprünglichen Namen Charles Dodgson«, sagt Manson. »Er war wie zwei verschiedene Personen, wie Dr. Jekyll und Mr. Hyde.«

Lewis Carroll lebte Ende des 19. Jahrhunderts und war ein Hochbegabter, ein Mathematiker, Poet und Fotograf, der sich nach der absoluten, unschuldigen Schönheit sehnte. Manch einer unterstellte ihm wegen der Nähe, die er zu Kindern suchte, Pädophilie; auch Drogensucht wird kolportiert. Genug Brüche, um Manson hellhörig werden zu lassen: »Es wird ein Horrorfilm, wobei ich mich fast schon schäme, das zu sagen. Dieses Genre ist ja zu einem einzigen Klischee geworden. Das Ganze wird also etwas sehr Schockierendes und trotzdem Romantisches haben«, erzählt er im TV-Kanal MTV. »Die Story dreht sich um Sex und Besessenheit, denn offenbar hatte Lewis Carroll bis zu seinem Tod weder eine Ehefrau noch eine Familie. Es ist also eine sehr einsame Geschichte.« Manson schrieb das Drehbuch gemeinsam mit Anthony Silva, und er will auch die Musik für den Film beisteuern. Das Model Lily Cole soll Alice spielen, Angelina Jolie spielt die Red Queen.

Manson will künftig Kino, Musik und Internet kombinieren. »Celebritarian Movement« nennt er das; es soll ihn unabhängig machen vom Diktat der Plattenindustrie. Und er hat auch schon ein Symbol dafür: Seine Webpage schmückt das Lothringer Kreuz. Es stammt aus dem Mittelalter und wurde im Zweiten Weltkrieg von der französischen Exilregierung als Gegensymbol zum Hakenkreuz benutzt. Im Frühjahr 2007 will Manson unter diesem Logo ein neues Album auf den Markt bringen.

Manson weiß also nach wie vor, wie die Kunst der Selbstinszenierung funktioniert. Aber er hat sich auch einen gesunden Sinn für Humor bewahrt. Über die Kurzfilme, die er als Vorbereitung auf sein Phantasmagoria-Projekt erstellte, sagt er: »Ich habe ein neues Genre erfunden: ›Horripilation‹ – das sind Kurzfilme, die so bizarr und erschreckend sind, dass sich deine Beine von selbst enthaaren.«

November 2006

Vorwort: Holy Wood – Ich bin der Dorn im Auge Amerikas

Ein Update von Maik Koltermann

Es gibt viele verschiedene Möglichkeiten, sich der Person Marilyn Manson zu nähern. Für manche ist der Kopf der gleichnamigen US-amerikanischen Band ein Mann, der dank eines genialen Marketingkonzeptes zur weltweit bekannten und millionenschweren Popkultur-Ikone wurde. Andere halten ihn für einen hoch begabten Künstler, der es verstanden hat, seine extravaganten musikalischen und visuellen Ideen zu einem beeindruckenden und erfolgreichen Gesamtkunstwerk zusammenzuführen. Nicht wenige meinen, er sei einer der seltenen zeitgenössischen Künstler, die ihr Schaffen und ihre Popularität dafür nutzen, um den Finger auf gesellschaftliche Missstände und die Doppelbödigkeit der westlichen Moralvorstellungen zu legen. Für die meisten Menschen aber dürfte Marilyn Manson schlichtweg ein undurchsichtiger Verrückter sein, ein Freak, eine Bedrohung für das Seelenheil ihrer Kinder, die Manifestation des Bösen. Doch egal welcher Einschätzung man persönlich folgen mag, eines ist sicher: Für einen Mann aus Canton, Ohio, der im mittleren Westen der USA aufgewachsen ist, tief im Zentrum der amerikanischen Mittelmäßigkeit, hat Marilyn Manson ein Höchstmaß an Publicity erreicht. Und je tiefer man als Leser in diese Autobiografie eindringt, desto widersprüchlicher wird das Bild. Man wird sich hüten, über diesen Künstler vorschnell zu urteilen, so wie es in seiner Heimat unzählige Elternverbände, konservative Politiker und religiöse Organisationen getan haben.

Seit der Erstveröffentlichung von »The Long Hard Road Out Of Hell« in den USA sind zwei Jahre vergangen. Das Buch entwickelte sich dort schnell zum Verkaufsschlager. Das dürfte zu einem nicht unwesentlichen Teil auf die oft drastischen und bildhaften Schilderungen seiner Kindheitstraumata und seiner Exzesse als Rockstar zurückzuführen sein. Aber das Buch ist weit mehr als eine Skandalchronik. Durch die Beschreibung von Mansons Teenagerzeit und die damit verbundenen kleinen und großen Erniedrigungen, durch die Darstellung der Familienmitglieder und des jungen Brian selbst, erscheint das durch die Medienberichterstattung gefilterte eindimensionale Bild Mansons auf einmal deutlich plastischer. Die Evolution des Protagonisten vom »normalen« Schuljungen zum selbst geschaffenen Produkt einer hochgradig stilisierten (Anti-)Ästhetik wird auf diese Weise sehr gut nachvollziehbar.

»The Long Hard Road Out Of Hell« deckt den Zeitraum bis zur Veröffentlichung des Albums »Antichrist Superstar« ab. Mit dieser Platte sollte Manson den bis dahin höchsten Punkt seiner Karriere, den größten kommerziellen Erfolg und die meiste Publicity erreichen. Trotz der über weite Strecken sperrigen und schroffen Inszenierung der Musik – unüberhörbar ein Resultat von Mentor und Produzent Trent Reznor – verkaufte sich das Album millionenfach. Marilyn Manson war plötzlich Teil der amerikanischen Mainstream-Kultur geworden. Wer jedoch geglaubt hat, er würde nach seinem kommerziellen Durchbruch mit »Antichrist Superstar« das Extreme in der Wahl seiner inhaltlichen, musikalischen und optischen Mittel noch steigern, sah sich 1998 mit der Veröffentlichung von »Mechanical Animals« zunächst eines Besseren belehrt. Manson verlor schnell das Interesse daran, sich weiterhin der Aufarbeitung seiner Kindheitsprobleme, Albträume und Ängste zu widmen. Es mag nicht zuletzt die Verständnislosigkeit und die Missinterpretation vonseiten der Medien und der amerikanischen Öffentlichkeit seiner Vision gegenüber gewesen sein, die ihn dazu bewogen haben, eine Kehrtwendung zu vollziehen. Manson hatte immer etwas zu sagen. Auch abseits der offenherzig gestandenen Drogen- und Sexexzesse, deren publicityträch­tiger Wirkung er sich stets bewusst war. In einem Land, das in weiten Teilen von christlichem Fundamentalismus geprägt ist, in dem Fernsehprediger über die tiefe moralische Bedeutung der Todesstrafe dozieren und anschließend Seelenheil im Tausch gegen Geldspenden versprechen, bot er all denen, die den gesellschaftlichen Ansprüchen von vermeintlicher Schönheit, Reinheit und Makellosigkeit nicht genügen können oder wollen, einen Gegenpol. Die Medien jedoch wollten nur die Provokation sehen und die sich daraus er­gebenden Möglichkeiten zur Sensationsberichterstattung – die Botschaft ging in einem Aufschrei der Empörung verloren.

Bei »Mechanical Animals« ging es nicht mehr länger um die künstlerische Darstellung und Auseinandersetzung mit einem lang zurückliegenden Kapitel in Mansons Leben und die Transformation seiner selbst vom »Wurm zum Engel«. Er entdeckte jetzt die Welt um sich herum als Quelle verschieden­artigster Inspirationen. Besonders das Leben in Hollywood, das Musterbeispiel für die auf Hochglanz und Oberflächlichkeit getrimmte amerikanische Entertainment-Industrie und die Bigotterie der US-Gesellschaft sollten sich von da an als Motive durch sein Schaffen ziehen. Manson, mittlerweile selbst zum Bestandteil dieser Glitzerwelt geworden, nutzte die neue Perspektive, um eine zynische Bestandsaufnahme der Leere im Leben eines Superstars zu machen: »We’re all stars now in the dope show …«. Die erste Single des Albums, »The Dope Show«, führte den Hörer dann auch direkt in die neue Thematik ein, die musikalisch – im Vergleich zu »Antichrist Superstar« – in ein völlig anderes Gewand gekleidet wurde. Glamrock-Zitate und der Sinn für Melodien als wichtige Stilmittel schlugen den Bogen zurück zu den musikalischen Wurzeln der Band. Mit dem neu geschaffenen Alter Ego »Omega« übertrug Marilyn Manson die Inhalte seiner Botschaft auf eine weitere Kunstfigur, mit der er den absurden Lebensstil eines Superstars karikieren wollte.

Marilyn Manson – ein ausgewiesener Anhänger der Siebzigerjahre-Ikonen David Bowie, Queen und T. Rex – vollzog mit diesem Album nicht zuletzt einen weiteren Schritt der Emanzipation von seinem langjährigen Ziehvater Trent Reznor. Dessen enormer Einfluss auf Sound und Wirkung von »Antichrist Superstar« hatte Mansons Musikern oft genug den Vorwurf eingebracht, lediglich die Marionette des Nine-Inch-Nails-Masterminds zu sein. Diesmal zeichnete Michael Beinhorn für die Produktion des Albums verantwortlich, ein Mann, der zuvor schon durch seine Arbeit mit den Red Hot Chili Peppers und Soundgarden bewiesen hatte, dass er ein Gespür für den Sound gitarrengetragener, kommerziell erfolgreicher Musik hat. Überhaupt sollte sich in den kommenden Monaten mehr und mehr herauskristallisieren, dass Mansons Beziehung zu Reznor, immerhin auch Labelchef seiner Plattenfirma Nothing Records, empfindlich angeschlagen war. Die Spannung äußerte sich zunächst durch Funkstille zwischen den beiden. Manson bestätigte dann gegenüber der Presse, dass er seit der Veröffentlichung von »Antichrist Superstar« nicht mehr mit Reznor gesprochen hatte. Er orakelte, dass die Zurückhaltung seines ehemaligen Lehrmeisters ihm gegenüber darauf beruhe, dass dieser ein Problem damit haben könnte, mittlerweile von seinem Lehrling in puncto Erfolg überflügelt worden zu sein. Daraufhin brach Reznor den Kontakt endgültig ab. Die in den Medien publizierten gegenseitigen Anfeindungen gipfelten in einer öffentlichen Distanzierung Reznors von seinem einstigen Protegé. Nach Meinung Reznors hatte Manson nichts mehr mit jenem kreativen und eigenständigen Menschen zu tun, als den er ihn kennen gelernt haben wollte. Gerüchten zufolge sollen aber nicht zuletzt gewisse Darstellungen in diesem Buch an der Entstehung der Krise schuld gewesen sein. Reznor habe sich angesichts einiger detaillierter Schilderungen privater Zusammenkünfte mit Manson sehr enttäuscht gezeigt.

1999 erreichte die Ablehnung und Vorverurteilung Mansons durch einen Teil der amerikanischen Medien sowie konservative politische und religiöse Kräfte ihren vorläufigen Höhepunkt: Die beiden Teenager Dylan Klebold und Eric Harris tauchten am 20. April mit automatischen Waffen und Handgranaten in ihrer High School in Littleton, Colorado, auf und richteten ein Massaker unter ihren Mitschülern an, bevor sie sich schließlich selbst erschossen. Da galt es für die amerikanische Öffentlichkeit, so schnell wie möglich eine Antwort auf die essenziellste aller Fragen zu finden: Warum konnte das geschehen? Schon in den ersten Berichten, die Fernsehreporter aus dem Chaos vor Ort brachten, schossen sich nicht wenige auf das Gerücht ein, die beiden Teenager hätten während ihrer Tat Make-up und Kleidung in der Art von Marilyn Manson getragen. Das Fazit war schnell gezogen. Ganz offensichtlich waren die beiden Täter Manson-Fans, was noch dadurch bestätigt wurde, dass sich in der CD-Sammlung von Klebold und Harris angeblich Platten von Marilyn Manson fanden. Diese ersten Berichte provozierten einen Aufschrei im ganzen Land. Talkshow-Gäste, Politiker, Kirchenvertreter und Elternverbände forderten über Monate hinweg, dem Treiben des »perversen Pseudo-Künstlers« ein Ende zu setzen. Was man in aller Hysterie allerdings über­sehen hatte, war die Tatsache, dass die beiden Täter weder Make-up trugen, noch ihre Kleidung irgendeine Ähnlichkeit mit der Mansons aufwies. Nicht einmal seine Platten besaßen die beiden: Es wurden lediglich Rammstein- und KMFDM-CDs gefunden, die von den Reportern kurzerhand als Marilyn- Manson-Alben ausgewiesen wurden, um der Öffentlichkeit einen Namen zu präsentieren, mit dem diese auch etwas anfangen konnte. Manson selber tauchte zu jener Zeit zunächst völlig ab und äußerte sich erst in einem von ihm verfassten Artikel im amerikanischen Rolling Stone ausführlich zu den Geschehnissen. Er schrieb über den Hang der Gesellschaft, geistesgestörten Mördern durch exzessive und voyeuristische Berichterstattung zu einer Popularität zu verhelfen, die der von Pop-Ikonen ähnlich sei. Die Tendenz dazu, solche Taten als Ergebnis des schlechten Einflusses von Musik, Büchern, Filmen und Computerspielen darzustellen, ohne dabei die Faszination, die die Gewalt schon immer auf die amerikanische Gesellschaft ausgeübt hat, zu berücksichtigen, führte Manson als typisch für die Missstände an.

Natürlich musste und muss er sich in diesem Zusammenhang vorhalten lassen, selbst an diesem Treiben teilzunehmen. Man denke dabei nur an die Pseudonyme der Band-Mitglieder, die durch das Zusammensetzen des Vornamens einer Pop-Ikone und des Nachnamens eines Massenmörders entstanden sind. Ist das subtile Medienschelte oder vielmehr die Verherrlichung eben jener Psychopathen? Seine Gratwanderung zwischen makabrem Entertainment und revolutionärer Agitation macht Manson in solchen Momenten zu einer leicht zu treffenden Zielscheibe. Dennoch bleibt ihm ein unwiderlegbares Argument vorbehalten: Niemand tötet seine Mitmenschen, weil er eine Platte zu oft gehört hat. Kein Jugendlicher, der von seinem Elternhaus und dem Bildungssystem in geeigneter Weise in seinem Selbstbewusstsein und in seiner Identität gestärkt wird, läuft Amok, nachdem er einen gewalttätigen Film gesehen hat. Diejenigen aber, die in der Hierarchie der Jugendkultur der amerikanischen Kleinstädte, die im Wesentlichen durch die Position im örtlichen Football-Team bzw. in der Cheerleader-Truppe bestimmt wird, keine Punkte sammeln können, fallen schnell durch das Raster. Der Frust wird gesellschaftlich gefördert. Und für die Ergebnisse der Frustentladung ist Marilyn Manson ein willkommener Sündenbock.

Die ausgiebig publizierten Anschuldigungen von christlichen Organisationen und Elternverbänden wie der American Family Association bestätigten in ihrer Oberflächlichkeit und Scheinheiligkeit Mansons Ablehnung der Strukturen und Apparate der Medienwelt. Das brachte ihn dazu, sich in der folgenden Zeit kaum noch in Interviews zu äußern. Für die Öffentlichkeit war die Anziehung, die Manson und seine Botschaft auf Jugendliche ausübt, kein Symptom für eine bereits vorhandene gesellschaftliche Störung, sondern das eigentliche Problem. Er wurde bombardiert mit Anschuldigungen und Prozessen, die ihm und seinen Bandmitgliedern Sodomie, Vergewaltigung, Missbrauch von Minderjährigen und sogar Mord vorwarfen. Nach den Tour-Aktivitäten, der Veröffentlichung der Videoclip-Kollektion »God Is In The TV« und des Live-Albums »The Last Tour On Earth« wurde es zunächst still um ihn.

Erst im Sommer 2000 – Manson war bereits seit mehreren Monaten mit den Aufnahmen des vierten Studio-Albums seiner Band beschäftigt – durchbricht er mit einem kurzfristig anberaumten Interviewtermin sein Schweigen und lädt zum Empfang in ein Studio in Los Angeles. Ungeschminkt, sein Gesicht hinter einer großen Sonnenbrille und unter einem breitkrempigen Hut verborgen, sitzt der Schrecken der konservativen Gesellschaftskreise an der Konsole eines riesigen Mischpultes und gibt sich so jovial, als ob er eine Runde guter Bekannter zum Plaudern im Hause habe. Er spricht leise, aber mit fester Stimme. Überlegt und ernsthaft, aber nicht ohne einen Sinn für Wortwitz, zeigt er sich bemüht, den Fragen der Journalisten Rede und Antwort zu stehen. Der erwünschte Effekt bleibt nicht aus: Manson wirkt sympathisch. Angesprochen auf die Begleitumstände der Fehde mit der amerikanischen Öffentlichkeit, beweist er eine sehr realistische Einschätzung der Dinge. Fühlte er sich von den Medien unfair behandelt? »Ich würde nicht sagen, dass es dabei um einen Mangel an Fairness ging. Ich wurde entsprechend meinem Verhalten und dem, wofür ich stehe, behandelt. Ich habe mich selbst in eine Position gebracht, von der man nicht erwarten kann, dass sie von den Medien gemocht wird: die des Dorns im Auge Amerikas, der Person, die das macht, was sich niemand sonst traut.« Manson weiß, dass die Ablehnung von Konventionen und herkömmlichen Moralvorstellungen in engstirnigen Kreisen Furcht und Ablehnung provozieren muss: »Diese Leute brauchen jemanden wie mich, denn ohne ein geeignetes Feindbild wären sie nur halb so wichtig. Sie zeigen mit dem Finger auf das Böse, das sich für sie in Marilyn Manson personifiziert, um sich im gleichen Atemzug als das Gute zu profilieren. In Wahrheit bin ich doch ihr bester Freund. Wenn es mich nicht gäbe, hätten sie keine Berechtigung, sonntags in der Kirche Geld zu sammeln.« Dabei sei schließlich gerade die Kunst dazu berufen, auf die gesellschaftlichen Missstände hinzuweisen: »Bei der Aufführung seiner Kunst – und mit dieser Auffassung stehe ich nicht allein da – kann man oft sein zweites Gesicht zeigen. Man darf das ausdrücken, was einem eigentlich verboten wurde. Du wächst auf, und jemand infiltriert dich mit der Auffassung, dass große Jungs nicht weinen und keine Gefühle zeigen dürfen. Es ist nicht verwunderlich, dass viele Leute daraufhin irgendwann ausflippen und neurotisch reagieren. Wenn du nur ein Quentchen Intelligenz mit in dieses Leben ge­bracht hast, dann ist das sogar die einzig richtige Reaktion. Ist jemand dumm und gibt sich mit seinem kleinen Leben zufrieden, dann ist das okay. Ich aber bin für die Leute da, die Interesse zeigen. Ich werde aufrütteln und die Sachverhalte klarstellen. Jeder Künstler kann Songs schreiben, ich hingegen kreiere Chaos. Das ist ein großer Unterschied.«

Anfang des Jahres 2000 kursierten Gerüchte in der Musikpresse, Marilyn Manson habe beschlossen, ähnlich wie Prince vor ihm, seinen Namen zugunsten eines Symbols abzulegen. Er dementierte die Fehlinformation und erklärte, das Konzept hinter dem »Mercury«-Symbol sei lediglich Teil des Themas seines neuen Albums und stehe damit in der Tradition des »Omega«-Zeichens, das er für »Mechanical Animals« nutzte. Schon damals machten viele Beobachter den Fehler, das Symbol »Omega« und alles, was es auf dem Album repräsentierte, als Ablösung der Inhalte zu begreifen, für die die Figur Marilyn Manson steht. Dabei handelt es sich um eine satirische, übertriebene Darstellung dessen, was das kommerzielle Amerika als Verhaltensmuster von einem Rockstar erwartet. Eine Rolle, die Manson unter anderem deshalb spielte, um die Aufmerksamkeit der Jugendlichen, die sich mehr und mehr auf HipHop und R ’n’ B fokussierte, zurück zum Rock zu lenken. Es sind aber weniger die Stilrichtungen an sich, die ihn dazu bewegt haben, dieses Gegengewicht zu schaffen, als vielmehr die zunehmende Angepasstheit und weichgespülte Aussagekraft dieser einstmals »rebellischen« Musikstile.