Loe raamatut: «Der expressive Extremist»

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Der expressive Extremist

1  Titel

2  Impressum

3  Einleitung I

4  Annabels Zeit

5  Bernd und Beatrice

6  Das Schandmaul, der Ausländer und die Glatze

7  Mike

8  Mann der Ewigkeit

9  Einleitung II

10  Eine Warnung

11  Fledermaus I

12  Die Brücke

13  Delirium der Beziehung

14  Essen

15  Gebet des Weltfremden

16  Dieser ewige Hang

17  Fluss

18  Die neue Depression

19  Undine und der Ton, der die Seele spaltete

20  Von Freunden

21  Oma

22  Die Schwere der Traurigkeit

23  Gedankenviren

24  Danksagung

25  Über den Autor

Titel

Der expressive Extremist

Kurzgeschichten

Marius Rehwalt

Impressum

Originalausgabe

1. Auflage 2019

© 2019 by Marius Rehwalt

Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Autors reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme gespeichert, verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Herausgeber

David Walther

Dornblüthstraße 21

01277 Dresden

0173 3714104

Umschlaggestaltung und Motiv: Marius Rehwalt

Für Fragen, Anregungen, Buchungen und Presse:

David Walther

0173 3714104

Instagram: mariusrehwalt

Mail: marius_rehwalt@web.de

mariusrehwalt.com

Druck: epubli - ein Service der neopubli GmbH,

Berlin

Einleitung I

Wer bist du?

Wer bin ich?

Und was kann ich wissen?

Wir alle sind Nichts.

In Würde und Qual.

Mit Selbsthass und Liebe.

Jeder ist sein Geheimnis.

Annabels Zeit

Annabel steht im Bad vor ihrem Spiegel und betrachtet sich. Ihr Blick wandert durch sie hindurch, ihr Körper ist für sie nicht existent – das war er noch nie. Doch sie weiß nichts davon.

Auf dem Papier werden ihr zweiunddreißig vergangene Jahre zugeschrieben. Doch Annabel kann sie nicht spüren. Die Klangfarbe ihrer inneren Stimmung ertönt als zartes Mol und das Empfinden über sich selbst spricht von nur mickrigen sieben Jahren.

Tick. Tack. Schlug die innere Uhr. Tick. Tack.

Aus.

Vor vielen Jahren hörte diese immanente Uhr auf zu schlagen. Kein Geräusch mehr der Zeiger, die wie bei allen anderen unermüdlich voranschreiten. Die Zeit blieb stehen und klammerte sich fest in ihrem Geist. Hielt Annabel gebunden mit zeitlosen Krallen, behielt sie im Moment des kleinen Kindes.

Ihre müden dunkelblauen Augen durchdringen sie tief, beschauen ihr Innerstes, die Gedanken, die durch ihren Geist kommen und fliehen.

Ein Lächeln huscht ihr über die Lippen, von dem ihre Augen nichts mitbekommen.

Einmal sagte jemand zu Annabel, sie müsse sich jeden Morgen selbst im Spiegel anlächeln. Damit würde sie sich mehr Selbstbewusstsein erheischen, freudiger durch das Leben ziehen. Positiver.

Aber Annabel ist in sich gekehrt, mit einem vielschichtigeren Problem. Dieses Lächeln hat sie sich als tägliche Routine gut angeeignet. Ihm sitzt aber keine Ehrlichkeit inne. Wenn die Mundwinkel sich erheben, strömt eine Scheinheiligkeit durch den Raum, gewandt an all jene, die sich so sehr wünschen, sie würde lächeln und fröhlich sein.

Aber Annabel weiß nichts davon.

Seit Beginn ihres Lebens spielt sie eine merkwürdig verkrampfte Zufriedenheit aus, eine Liebe der Infantilen. Das liebe, glückliche und immer strahlende Kind, welches allen so viel Freude in die Augen zauberte.

Aber Annabel wusste nichts davon. Sie wusste viel zu wenig von der Welt. Noch weniger von sich selbst.

Dieses Selbst hatte sich tief in ihr vergraben. Anders wäre sie heute nicht mehr unter uns. Die Mauern zu ihrem Sein sind aus schwerem Stein, davor ein Stacheldrahtzaun, Wachleute positioniert im Abstand weniger Schritte.

Hin und wieder ertönt aus diesen Katakomben ein wimmernder, leiser Schrei. Zu zart, um ins Bewusstsein zu gelangen.

›Willkommen. Willkommen in der Fremdbestimmung. Willkommen in der Selbstentfremdung.‹

Hört die Zeit auf sich zu bewegen, dann hören auch alle nachfolgenden Gefühle auf. Emotionen sind gebunden an die Zeit, sie sind niemals von Dauer. Selbst eine Grundstimmung bleibt nicht auf ewig gleich. Der Ton deines Selbst ist hörbar anders als kleines Kind, zu deiner Einschulung, nach dem Abitur, dem ersten Brotjob, dem ersten Kind, deiner ersten Scheidung ... Doch der Ton macht dich aus und reflektiert deine Identität in deiner Umwelt. Jahre bleibt er konstant, um dann in eine etwas andere Klangfarbe zu wechseln.

Doch wie soll dies geschehen, wenn die Zeit zum Erliegen kam und die Emotionen sich nicht entwickeln durften?

In Annabel ist Stille eingekehrt. Sie hängt fest im Alter von sieben Jahren, begegnet mit zweiunddreißig Jahren allem und jedem wie ein kleines, verängstigtes Kind, das heute das erste Mal zur Schule muss.

Die Lehrerin blickte finster drein, die Mitschüler kannten sich schon alle aus dem Kindergarten.

›Ich bin allein. Ich werde für immer allein sein. Ein unbekannter Druck von unzähligen Erwartungen lastet auf meinem Rücken, in meinem Schulranzen. Werde ich ihn jemals los? Die Lehrerin kommt zu mir, öffnet meinen Rucksack und ich stürze zu Boden. Alle um mich herum lachen mich aus. Was legt ihr mir für Steine in mein Leben?‹

Ein fremder Mann baute sich langsam, wie aus einem dichten Nebel, vor Annabel auf. Dann sprach er zu ihr mit finsterer Miene: »Sei lieb! Sei fröhlich! Halte dich an Regeln und Normen! Da! Hörst du das? Hörst du es, kleine Annabel? Dies ist deine Persönlichkeit! Mach sie klein, mach sie halbtot. Baue ihr ein Verlies und füttere sie nur mit dem Bitteren, den Dingen deines Unbewussten und dem, was niemand hören sollte. Werde eine Nummer! Opfere dich. Doch lasse niemals dieses Wesen aus dir hinaus. Hier, meine kleine, liebe Annabel: Ich schenke dir eine Maske. Sie besitzt Spiegel und eine lachende Fratze. Rosa hab ich sie dir angemalt, denn Mädchen lieben Rosa! Da, halte dir die Ohren zu, geschwind, da ruft es wieder, dieses zur freien Entfaltung Strebende. Es ist noch zu jung, zu stark. So ein verspieltes, dummes kleines Wesen soll gefälligst die Fresse halten! Am besten ist, du tötest es gleich! «

Annabel blickte mit Tränen in den Augen zu dem Mann der Gesellschaft hinauf und fragte ihn leise: »Aber steht auf Mord nicht eine hohe Strafe?«

»Ach Annabel, natürlich! Aber doch nicht hier! Nicht in deinem Kopf. Wir sind frei in dem, was wir anstellen und du unsere Dienerin! Außerdem bist du ein Kind und Kinder haben zu schweigen. Also gilt, wo kein Kläger, da kommt auch kein Richter zu Hilfe! Strafe gibt es doch nur in der Realität! Oder hast du schon einmal jemanden gesehen, der dir sein Selbst vorgestellt hat?« Der Mann der Gesellschaft lachte lauthals los und die Zeit kam ins Trudeln, bis sie in Annabel zum Erliegen kam.

Annabel starrt noch immer in ihr Spiegelbild, durch sich hindurch und hinein in die Ewigkeit der Umwelt.

Annabel hat nichts in ihrem Leben außer ihre Traurigkeit und Angst. Ein wenig Überlastung und sehr viel verstecktes Fremdes in ihrem Unbewussten. Ein falsches Leben in Taubheit der Gefühle.

Der Wunsch nach Verständnis und mehr Liebe wurde mit eingesperrt bei ihrem weit entfernten Selbst.

Doch von all dem weiß Annabel leider nichts. Sie zieht sich an und bleibt weiter, wer sie sein soll.

Bernd und Beatrice

»Sprich doch endlich einmal zu mir!«, schrie Beatrice ihren Mann an. Die Tränen standen in ihren kleinen hellgrünen Augen, die Mundwinkel zuckten nervös auf und ab. Innerlich wusste sie längst, dass es vorbei war, doch sie konnte es nicht wahrhaben, sie wollte nicht, dass der Weg hier sein Ende fand. Beatrice ließ sich müde auf das Sofa fallen und wartete ab, während Bernd schweigend und leicht zitternd vor sich hin starrte. Nach einer Weile packte Beatrice eines der roten Kissen und drückte es sich schwach ins Gesicht. Mit letzter Kraft schrie sie hinein. Zu wenig Hoffnung und zu wenig Geist zum Kämpfen war ihr geblieben.

Es dauerte lange, ehe Bernd seine Worte wiederfand. Sein innerer Hass auf sich selbst schnürte ihm Sinn und Kehle zu. Doch dann sprach er kaum hörbar: »Du sitzt vor mir und ich spüre es, als wäre ich es selbst, der etwas über mich erfahren möchte. Das meiste, ›was ich denke und fühle‹ verstehe ich selbst nicht, höre immer nur kurze Gedanken oder werde wie von fremder Hand erdrückt.«

Bernd begann sich zu krümmen, denn jedes Wort, das er zu seiner Frau sprach, lud noch eine Last mehr auf seine Schultern. Irgendetwas stimmte nicht. So vieles war falsch mit den Zweien, aber noch mehr mit ihm, mit Bernd. Er wusste es schon lange, am Ende zu lange, doch er konnte das Handtuch nicht werfen.

›Aufzugeben wäre aber manchmal ein optimistischerer Schritt in Richtung Glück, denn ab und an bedarf es einer Entscheidung, die einen vom Alten trennt, damit alles in einem bereit wird für den neuen Weg‹, dachte Beatrice.

Oft wünschte sich Bernd, er könnte reden, hätte die Kraft und die Macht, all das, was sich in ihm verbarg, zu beschreiben und zu kommunizieren. Aber es mochte ihm nicht gelingen, und so wurde er stumm und sprach immer weniger. Er verfluchte seine Furcht vor der Wahrheit, doch konnte seine eigene nicht herauslassen, auch wenn er dadurch nur noch mehr Menschen verletzte. Er sehnte sich nach Ruhe und danach, dass Beatrice ihr Glück in Händen halten könnte. Mit einem schweren Seufzer sank Bernd in die andere Ecke des Sofas und machte einen runden, traurigen Buckel.

»Ich kann dir nicht geben, was du brauchst!«, sagte Bernd zu ihr und nahm selbst eines der Kissen, um es sich auf den Schoss zu legen.

»Wir wissen weder, was wir selbst brauchen, noch, was der andere möchte. Wir haben verloren, Bernd. Wir sind kläglich gescheitert, doch wollten es nicht zugeben.«

Beatrice wurde immer ruhiger und fand ihre Fassung zurück, strich sich das nussbraune Haar hinters Ohr und blickte nach draußen.

»Es ist wie ein Traum, aus dem niemand erwachen darf, in dem jeder für einen anderen lebt. Aber ich brauche das Leben ganz für mich. Du brauchst dein Leben für dich! Mir wird das alles zu fremd. Irgendwie scheint die Realität unsere gutgemeinten Wünsche zu überholen«, raunte Bernd fast nur zu sich selbst.

Stille.

»Ich habe Angst«, flüsterte Beatrice.

»Ich auch«, erwiderte er und nahm sie weinend in den Arm.

Einige Stunden lagen sie da, schwärmten von Erinnerungen, aber keiner wagte es, ihren Schlussstrich zu thematisieren. Immens waren die Gewichte der Gewohnheit, immer düsterer die Vorstellung von der ungewissen Zukunft.

Bernd wollte aufstehen und gehen. Aber er traute sich nicht, es zu sagen.

Beatrice wusste nicht, was sie tun sollte, konnte nicht loslassen, aber auch keinen Mut mehr fassen. So wagte sie es ebenso wenig, zu gehen und sich bewusst von der Vergangenheit abzulösen. Mit nichts als einer Handvoll Erinnerungen in den Träumen im Leben weiter voranzuschreiten. Lange schwiegen sie.

Plötzlich übermannte es Bernd und er rannte durch die Wohnung, er schrie laut auf, kratzte sich an den Armen, riss sich die Haare heraus und schlug seinen Kopf gegen die Wände. Beatrice verlor die Fassung und rief den Notarzt.

Viel zu lange dauerte es, bis der Krankenwagen kam. Der Arzt reichte Bernd eine kleine Tablette, die er abwesend schluckte, während das meiste Wasser an seinem Hals hinunterlief.

Die beiden Helfer griffen Bernd unter den Armen und schleppten ihn in den Wagen, dann rauschten sie davon.

Beatrice spürte, wie etwas Neues zu erblühen und zu wachsen begann. Es besaß etwas Individuelles und Wahrhaftes, tief aus ihrem Herzen heraus.

Das Schandmaul, der Ausländer und die Glatze

Markus steht im Empfangsbereich seines Hausarztes und wartet. Wann genau er einen Termin hat, weiß er nicht mehr. Darum ist er heute hier, um nachzufragen und sicher zu gehen, dass er ihn nicht doch schon verpasst hat.

Vor Markus steht ein fremdländischer junger Mann. Es fällt ihm schwer, sich auszudrücken. Die Arzthelferin fragt, ob er den vereinbarten Termin wahrnehmen könne, und er haspelt nach Worten, um zu erklären, dass er an diesem Tag Schule habe. Das Wort ›Schule‹ ist auch das einzige, das ihm in diesem Gespräch so recht gelingen mag. Ob er sich auch gleich hinsetzen und warten könne, bis der Arzt Zeit habe, will die blonde Helferin wissen. Sie geht sehr liebevoll mit dem Jungen um, wiederholt ihre Fragen immer wieder, bleibt freundlich, scheint keinerlei Probleme damit zu haben, dass er nicht von hier ist und dass es ihm schwerfällt, sich zu verständigen.

Während des Gesprächs sieht Markus plötzlich die Eingangstür aufschwingen. Im Eingang lugt ein Rollator hervor. Die schwere Holztür fällt zurück und treibt das Gefährt wieder nach draußen. Markus geht zur Tür und hält sie geöffnet, bis die ältere Dame über die kleine Schwelle eingetreten ist. Dann stellt er sich wieder an und wartet weiter.

Der Dunkelhäutige und die Arzthelferin kommen zum Ende. Der Junge hat verstanden, lächelt sie dankend an und tritt hinüber ins Wartezimmer.

Markus würde sich nicht als Nazi bezeichnen, trotzdem ist ihm unwohl. Denn dieser junge Mann ist nicht der einzige Fremde hier, noch zwei andere sitzen bereits im Wartebereich.

›Das war doch vor einem Jahr noch nicht so‹, denkt Markus bei sich und tritt an den Schalter.

Die Begrüßungsfloskeln werden gewechselt, ehe Markus seine Situation erklärt: »Ich habe ein kleines Problem, denn ich kann meinen Zettel mit dem Termin nicht mehr finden. Mir war so, als wäre es der Siebte gewesen. Darum bin ich jetzt hier, in der Hoffnung, mich nicht vertan zu haben.«

Die Helferin nimmt seine Krankenkarte und liest sie ein. Dann lächelt sie und antwortet: »Der Vierte wäre es gewesen. Hm ... schlecht. Naja, beides Zahlen mit einem Strich.«

Beide schmunzeln, doch Markus ist das sehr unangenehm. Die Arzthelferin bleibt ruhig und schaut nach einem neuen Termin. Dann sieht sie Markus kurz zuvorkommend an und sagt ihm, er könne sich mit dazusetzen. Markus bedankt sich und nimmt Platz im Wartezimmer - am Fenster, in der hintersten Ecke.

Er hat vergessen, ein Buch einzupacken. Die sozialen Medien vertreiben ihm nur wenige Minuten die Zeit und so beginnt er, die Leute um sich herum zu beobachten. Seine Augen treffen wieder auf den Fremden aus dem Empfangsbereich. Dieser isst gerade einen Apfel und Markus fragt sich: ›Geht er selbst einkaufen, damit er immer einen Notfall-Apfel hat? Wenn es doch einmal etwas länger dauert als geplant? Hat man ihm beigebracht, dass Äpfel gesund sind? Oder gibt es da so ein paar Öko-Frauen, die ihm jeden Tag ein Paket mit Nahrung zusammenstellen?‹

Während seiner verschrobenen Fragen rollt langsam die ältere Frau herein. Sie schiebt sich vor einen Tisch in der Mitte des Zimmers, versucht irgendwie, sich hinzusetzen. Dabei fällt ihr ein Zettel vom Rollator. Sofort springt der Immigrant vom Stuhl, hebt ihr das Papier auf, justiert den Rollator etwas, damit die Dame sich besser auf ihren Stuhl begeben kann und setzt sich dann selbst wieder. Er strahlt eine tiefe Ruhe aus, eine zuvorkommende Freundlichkeit und hält Blickkontakt mit der Älteren. Beobachtet, ob er noch einmal helfen kann. Erst nach einer Weile, als sie beginnt, ein Formular auszufüllen, konzentriert er sich wieder mehr auf seinen Apfel, vielleicht auch auf seine eigenen Gedanken.

Eine Dame mit kurz geschnittenen, lila bis schwarzen Haaren betritt das Zimmer. Sofort beginnt sie, lautstark auf ihre Sitznachbarin einzureden. Dann steht sie auf, und ohne alle anderen Wartenden zu fragen, öffnet sie ein Fenster. Kaum hat sie sich wieder gesetzt, fährt sie damit fort, irgendwelche belanglose und gänzlich alltägliche Dinge von sich zu geben.

Es dauert nicht lange und Markus entlarvt sie als Schandmaul. Natürlich, anders ist dieses Wesen nicht zu beschreiben. Wenn alle still warten, platzt nur ein Prolet hörbar in solch einen Raum, macht sich bemerkbar durch komische Witze und eine tiefe, räudige Stimme. ›Wer unter Fremden redet‹, versichert sich Markus selbst wieder einmal, ›kann nicht ganz normal sein.‹ Er ist genervt vom Pöbel, fragt sich, warum sie nicht einfach die Klappe halten kann.

Jene Frau springt unvermutet auf und tritt an die ältere Dame heran.

»Ich bring den Zettel mal für Sie nach vorn?! Sie sind doch fertig, oder?«, fragt sie viel zu laut in Markus’ Ohren.

»Oh, das ist sehr lieb. Vielen Dank«, erwidert die Ältere.

Markus fragt sich sofort, wie unangenehm das womöglich gerade dieser älteren Dame sein möge. Aber schnell ist diese Fiktion verdrängt, dieser Ausflug in Empathie.

Für viele Fragen und kleine Tests musste Markus zu zwei verschiedenen Arzthelferinnen. Jetzt sitzt er im Gang, direkt vor dem Zimmer des Arztes, und wartet auf sein abschließendes Gespräch. Zwei Stunden sind mittlerweile vergangen, aber er ist froh, geblieben zu sein. Neben ihm sitzt nun die ältere Dame, manchmal lächelt sie ihn an, wenn er gelangweilt durch den Raum blickt.

Geschickt, aber mit großer Anstrengung, rafft sich die Frau auf und tippelt hinüber zur Toilette. Markus hört immer wieder die tiefe Stimme des dümmlichen Weibes. In dem Moment, als Markus mit sich selbst debattiert, wie die Dame mit dem sperrigen Rollator jetzt auf die Toilette kommt, springt das Schandmaul auf und geleitet sie hinein. Dann versichert sie ihr, sie würde ihr auch wieder heraushelfen, sie müsse nur an die Türe klopfen. In der Zwischenzeit setzt sie sich wieder in den Gang, sagt mit einem rauchigen Lachen: »Tja, irgendwann sind wir auch mal so alt!«

Markus ist verwundert und wird aufgerufen. Alle Fakten seines momentanen Zustandes werden besprochen, er erhält einen neuen Termin und fährt nach Hause.

Am nächsten Morgen setzt er sich um 6:15 Uhr in die Bahn und fährt zur Arbeit. Kurz bevor er seine Haltestelle erreicht hat, steigt ein Mann mit Glatze und merkwürdig roter Haut hinzu.

Tasuta katkend on lõppenud.