Loe raamatut: «Gesundmacher Herz», lehekülg 3

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Rein körperlich-funktional werden die Rhythmen der menschlichen Lebensprozesse allerdings vom vegetativen Nervensystem – dem Vegetativum – gesteuert. Und das Vegetativum nutzt dafür wiederum zwei „Gegenspieler“: den Sympathikus und den Parasympathikus. Generell kann man sagen, dass der Sympathikus die Aufgabe hat, den menschlichen Körper leistungsbereit, abwehrbereit, kampfbereit, fluchtbereit zu machen („fight or flight“). Der Parasympathikus will demgegenüber eher für Ruhe, Entspannung und Regeneration sorgen.

Das Vegetativum wirkt dabei auf sämtliche Organe ein und nutzt die Gegenspieler Sympathikus/Parasympathikus gleichsam als Hebel, um den Körper in einen situationsangepassten Zustand zu versetzen. Sicht- und spürbar wird das zum Beispiel in angstbesetzten Schrecksituationen: Der Mensch wird blass, kalter Schweiß bricht aus, auch die Hände werden kalt – je nach Konstitution. Genau umgekehrt verhält es sich bei einer freudigen Erregung. Das Vegetativum wirkt im Körper also sofort und überall – und es moduliert somit auch die Herzschlagabfolge (und damit die Herzfrequenz-Variabilität).

Etwas zugespitzt könnte man sagen, dass der Sympathikus dafür sorgen will, dass das Herz in einem möglichst exakt-gleichmäßigen Takt schlägt (und so seine „Truppen“ kampfbereit aufmarschieren lässt). Gelänge dem Sympathikus dies, wäre der Puls also nahezu regelmäßig. Die Kurve der Herzfrequenz-Variabilität sähe im Extremfall dann etwa so aus:


Diese Kurve zeigt zwar keinen vollkommen gleichmäßigen Puls (das kann es bei einem lebendigen Organismus nicht geben), aber doch einen Puls mit einer sehr geringen Herzfrequenz-Variabilität (was medizinisch gesehen ein deutliches Alarmzeichen ist).

Tritt nun jedoch die ausgleichende, abmildernde Wirkung des Parasympathikus hinzu, dann resultiert daraus eine ausgeprägt rhythmisch-harmonische Herzfrequenz-Variabilität:


Wie schon im ersten Kapitel gezeigt, lässt eine solche gleichmäßig „schwingende“ Herzfrequenz-Variabilität auf einen ausgeglichenen Gemütszustand schließen.

In der Praxis kommt es aber relativ häufig auch dazu, dass die Herzfrequenz-Variabilität überhaupt keinem erkennbaren Rhythmus folgt:


Die medizinisch-therapeutischen Schlussfolgerungen, die aus diesen unterschiedlichen Bildern der Herzfrequenz-Variabilität zu ziehen sind, werden uns später noch beschäftigen. Hier wollen wir zunächst dem schon angedeuteten Phänomen nachgehen, dass die starken Impulsgeber Herz und Lunge einen klar erkennbaren Einfluss auch auf andere Rhythmen des Organismus haben. So lässt sich beispielsweise eine solche Angleichung von Rhythmen sogar zwischen der Herzfrequenz-Variabilität und den Gehirnwellen feststellen:


Das obere Diagramm links zeigt das bereits bekannte Bild einer harmonischen Herzfrequenz-Variabilität. Diese Schwingungen entstehen, wie im Detail ab Seite 21 dargestellt, wenn die winzigen zeitlichen Abweichungen von einem Herzschlag zum nächsten (= Herzfrequenz-Variabilität) nicht ungeordnet, sondern harmonisch rhythmisiert erfolgen. Das kleinere Diagramm rechts daneben zeigt, welche Zeitabweichungen dabei am häufigsten gemessen wurden. In diesem Fall liegt der Schwerpunkt eindeutig bei 0,1 Hertz. Genauer gesagt: Die Abweichungen bei den Zeiträumen zwischen den einzelnen Herzschlägen lagen am häufigsten um und bei 0,1 Sekunden. Der insgesamt gemessene Bereich der zeitlichen Abweichungen bewegt sich dabei zwischen null und etwa einer halben Sekunde.

Wenn nun parallel zur Herzfrequenz-Variabilität auch der Verlauf der Gehirnwellen aufgezeichnet wird, dann zeigt sich an der Grafik auf Seite 40, rechts unten, insoweit eine Übereinstimmung zwischen dem Rhythmus der Herzfrequenz-Variabilität und dem der Gehirnwellen, als auch bei den Gehirnwellen die Frequenz 0,1 Hertz am häufigsten vorkommt – Herz und Gehirn haben sich in ihrem Rhythmus also weitgehend synchronisiert.

Und diese Koppelung von Rhythmen hat nun einen hochinteressanten Effekt: Es ist nämlich nicht nur so, dass das Herz andere körperliche Rhythmen beeinflusst, sondern umgekehrt hinterlassen diese anderen (sonst nicht so einfach zu messenden) Rhythmen des Vegetativums gleichsam „Zeichen“ in den Rhythmen der Herzfrequenz-Variabilität. Und diese können mithilfe von Zeitreihenanalysen aus den Werten der Herzfrequenz-Variabilität herausgelesen werden.

Das klingt ziemlich kompliziert – und das ist es auch. Im Bild kann man sich das etwa so vorstellen, wie man aus einiger Entfernung eine bewegte Meeresoberfläche wahrnimmt: Da gibt es die langen, starken Grundseen (vergleichbar vielleicht dem dominierenden Herz-/Atemrhythmus). Innerhalb dieser Grundseen sind nun weitere Wellen unterschiedlicher Länge und Höhe zu erkennen, die die Grundseen wiederum in einen bestimmten Rhythmus unterteilen. Und schließlich gibt es das sogenannte Kabbelwasser, das die gesamte Wasseroberfläche noch einmal rhythmisch kleinteilig gliedert.

© Fricke-Jensen

Und ähnlich diesem Blick auf eine bewegte Meeresoberfläche, zeigt sich in den Messdaten der Herzfrequenz-Variabilität tatsächlich die gesamte komplexe Rhythmik des vegetativen Nervensystems. Konkret: Aus den Messdaten der Herzfrequenz-Variabilität lassen sich recht präzise Rückschlüsse auf den Gesamtzustand des Vegetativums ziehen.

Dass das und wie das möglich ist, zeigt ein einfaches Beispiel: Wenn wir es bei einer normalen Herzfrequenz-Variabilität zum Beispiel mit einem Viervierteltakt zu tun hätten (jeder vierte Taktschlag wäre also etwas „betonter“, ein wenig anders als die anderen), dann könnte es sein, dass gleichzeitig auch noch jeder siebte Taktschlag eine Betonung bekommt (kürzer oder länger ist als der Durchschnitt). Fällt von Zeit zu Zeit nun so ein siebter Taktschlag mit einem vierten Taktschlag zusammen, ergäbe sich ein sehr spezieller, komplexer Rhythmus.



Die erste Reihe zeigt einen 4/4-Takt, bei dem jeder vierte Schlag betont ist. Diesem Takt wird nun ein zweiter Takt überlagert, bei dem jeder siebte Schlag besonders stark betont wird.


Zählt man nun den Wert (die Stärke) der betonten Schläge zusammen, ergibt sich ein bereits recht komplexer Rhythmus unterschiedlich stark betonter Schläge. Man kann aber erkennen, dass sich die beiden Ausgangsrhythmen aus diesem Rhythmus wieder herausrechnen ließen.

Diese Abbildungen zeigen natürlich nur ein sehr einfaches und schematisches Beispiel für einen in der Herzfrequenz-Variabilität sichtbar werdenden zusammengesetzten Rhythmus. Bei einer echten Auswertung ginge es um ein sehr viel feineres Zusammenspiel, ein sehr viel komplizierteres Geflecht unterschiedlicher Rhythmen, die sich dann nur noch mithilfe entsprechender Software durch Anwendung spezieller mathematischer Verfahren (Zeitreihenanalyse, Fourieranalyse) aus der Herzfrequenz-Variabilität herausrechnen lassen.

Der Aufwand lohnt sich aber, denn die Ergebnisse erlauben Rückschlüsse auf den Gesundheitszustand des ganzen Menschen. Und der ist umso günstiger zu beurteilen, je deutlicher sich in den Zahlenreihen der Herzfrequenz-Variabilität ein harmonischer, schwingender Rhythmus erkennen lässt, der sich möglichst im Einklang mit anderen körperlichen Rhythmen befindet.

Außerdem wissen wir ja bereits – die bisherigen Forschungsergebnisse sind da eindeutig –, dass eine rhythmisch schwingende Herzfrequenz-Variabilität auf einen positiv gestimmten emotionalen Zustand schließen lässt. Die große Bedeutung dieser Erkenntnis liegt nun darin, dass hier der Ansatzpunkt für neue und zum Teil verblüffend wirksame Therapieformen liegt. Denn wenn es gelingt, etwa durch bestimmte Übungen, sich bewusst in einen positiven Gemütszustand (Wertschätzung, Liebe, Gelassenheit usw.) hineinzuversetzen, so wirkt dies direkt harmonisierend und damit auch gesundend auf das Vegetativum. Das folgende Schaubild zeigt solche Effekte:


Dieses Schaubild zeigt, wie sich die Rhythmen von Atmung, Herzfrequenz-Variabilität und Pulswellenlaufzeit10 von ungeordnet (links) hin zu harmonisch-schwingend (rechts) entwickeln können, wenn das Vegetativum durch eine entspannende Übung11 ins Gleichgewicht gebracht wird.

Wobei sich die Wirkung einer solchen Übung auf das vegetative Nervensystem an den durch sie ausgelösten Veränderungen der Herzfrequenz-Variabilität exakt und in Echtzeit ablesen lässt – eine Rückmeldung, die für den Erfolg einer Therapie natürlich entscheidend ist. Was diese Rückmeldung möglich macht, ist die bereits erwähnte Zeitreihenanalyse, die es mit Computerunterstützung erlaubt, große Datenmengen schnell auf die in ihnen verborgenen Gesetzmäßigkeiten (sprich: Rhythmen) zu untersuchen.

Praktisch sieht das dann so aus, dass der Patient einen Messclip am Ohr trägt, der die Pulsdaten direkt in einen PC überträgt. Dort wird die Herzfrequenz-Variabilität erfasst, ausgewertet und in eine Grafik umgesetzt12:


Im oberen Teil dieser Bildschirmdarstellung wird die Messung der Herzfrequenz-Variabilität gezeigt. Mit inzwischen geübtem Blick lässt sich unschwer erkennen, dass die Herzfrequenz-Variabilität hier eher ungeordnet, unharmonisch verläuft.

Neu ist der untere Teil des Schaubilds, der – mit einer Zeitreihenanalyse aus der Herzfrequenz-Variabilität herausgerechnet – den Gesamtzustand des Vegetativums anzeigt. Konkret geht es um die Frage, ob aktuell (zum Beispiel unter Stress) der Sympathikus bestimmend ist oder der Parasympathikus (wie im Tiefschlaf). Dies zeigen die Säulen im unteren Teil der Schaubilder auf dieser und der nächsten Seite. Sie sind also so etwas wie eine Momentanalyse des Vegetativums. Dafür wird laufend die Herzfrequenz-Variabilität der jeweils letzten zehn Sekunden analysiert und dabei unter anderem errechnet, ob sich die in der Herzfrequenz-Variabilität erkennbar werdenden Rhythmen in einem definierten Idealbereich bewegen oder ob sie mehr oder weniger weit davon abweichen.

Dabei gilt: Befinden sich die Säulen im unteren Bildschirmbereich ganz links, dann hat der Sympathikus die Überhand. Je mehr die Säulen sich nach rechts hin verlagern, desto stärker hat der Parasympathikus an Einfluss gewonnen. Ideal wäre es demzufolge, wenn sich die Säulen – wie im folgenden Schaubild auf Seite 47 – vor allem im mittleren Bereich (also bei einer Herzfrequenz-Variabilität um 0,1 Hertz herum) zeigen.

Diese Möglichkeit, mithilfe einer computergestützten Zeitreihenanalyse eine laufende Rückmeldung über den aktuellen Gesamtzustand des Vegetativums auf dem Bildschirm sichtbar zu machen, erlaubt es nun, die Herzfrequenz-Variabilität nicht nur diagnostisch zu nutzen, sondern auch als therapeutisches Werkzeug einzusetzen – wovon in späteren Kapiteln berichtet werden wird. Im folgenden Gastbeitrag von Prof. Dr. Moser aus Graz werden die chronobiologischen und chronomedizinischen Grundlagen ausführlich dargestellt. Es handelt sich hier um die Resultate jahrzehntelanger Forschung auf höchstem wissenschaftlichem Niveau.


Zum Weiterlesen und Vertiefen

Eller-Brendl, D.: Herzratenvariabilität; Verlagshaus der Ärzte 2010

Hildebrandt, G.; Moser, M.; Lehofer, M.: Chronobiologie und Chronomedizin / Biologische Rhythmen – medizinische Konsequenzen, HRI-Gesundheitsleitsystem 2013 (in Vorbereitung)

Kapitel 4
„Alles schwingt“ – Chronobiologie und Chronomedizin

Ein Gastbeitrag von Prof. Dr. Maximilian Moser

Der Mensch schafft nicht nur, er ist auch Klang und Musik. Neue Ergebnisse der Chronobiologie zeigen, dass menschliche Körperrhythmen eine erstaunliche Übereinstimmung mit den aus der Musik vertrauten Schallfrequenzbereichen zeigen.

Musikalische Grundtöne liegen im Bereich von 16 Hertz (untere Hörgrenze = tiefster Orgelton) bis zu 1000 Hertz (= hohe Pfeife). Das entspricht ziemlich genau dem Frequenzumfang, den wir auch im Nervensystem vorfinden. Einzelne schnelle Neuronen entladen sich mit bis zu 1000 Hertz und Neuronenverbände im Gehirn schwingen zum Beispiel mit den 10 Hertz, die uns als Alpha-Rhythmik bei entspannter Ruhelage mit geschlossenen Augen bekannt sind. Schlag und Takt der Musik finden sich noch in einem anderen Teil unseres Körpers wieder: Der einzelne Schlag stimmt in seinen Tempoangaben sehr gut mit dem Herzschlag überein. Im Viervierteltakt ist das Verhältnis von Atmung zu Herzschlag, wie bereits erwähnt, vier zu eins enthalten. Der Schlag der Musik gibt also unseren Herzschlag, der Takt unsere Atmung wieder.

Auch die Dauer von Musikstücken können wir in unserem Organismus finden. Während ein kurzes Lied vielleicht eine Minute dauert, kann sich eine voll ausgespielte Wagner-Oper über mehrere Stunden ziehen. Dies ist auch der Frequenzbereich des Stoffwechsels in unserem Organismus. In der Leber finden sich zum Beispiel Durchblutungsrhythmen, die vom Sauerstoffbedarf des Gewebes bestimmt werden. Und unser gesamter Stoffwechsel wird im sogenannten basalen Ruhe- und Aktivitätszyklus (BRAC-Zyklus) alle eineinhalb Stunden aktiviert und dann wieder ruhiggestellt. Auch unsere Aufmerksamkeit, vom Stoffwechsel gesteuert, schwingt in diesem Zyklus. Dies ist auch der Grund, warum Redner über alles sprechen können, nur nicht länger als eineinhalb Stunden.

Mit diesen drei Bereichen des Organismus – Nervensystem, Herz-Kreislauf-System und Stoffwechsel – haben wir auch schon drei wichtige Bereiche des chronobiologischen Spektrums im Organismus angesprochen, die von Hildebrandt und Mitarbeitern13 als Teil eines komplexen rhythmischen Systems identifiziert wurden:

© Human Research Institut 2013 / Fricke

Die Abbildung zeigt den weiten Bereich der biologischen Rhythmen von einer Tausendstelsekunde (unten) bis zu Jahren (oben). Praktisch jeder Körperparameter unseres Organismus schwingt im Tagesgang (Mitte). Die langsameren Rhythmen wie der Tagesgang des Erdentags, das Sonnenjahr oder auch der lunare Zyklus zeigen unsere Anbindung an die kosmischen Rhythmen unseres Sonnensystems. Die schnelleren Rhythmen spiegeln die Rhythmik des Nervensystems (ganz unten), des Kreislaufs (Mitte) und des Stoffwechsels (oben) wider (nach Hildebrand et al. 1998; Moser et al. 2006).

Wie eingangs bereits erwähnt wurde, besitzt der Organismus nicht nur eine Raumstruktur, sondern auch – und diese sensationelle Erkenntnis hat die Chronobiologie im Laufe der letzten Jahrzehnte gemacht –, eine mindestens ebenso komplexe Zeitstruktur. Der Grund, warum dies nicht früher entdeckt wurde, liegt darin, dass Raumstrukturen gesehen werden können, Zeitstrukturen jedoch nur gehört – wenn sie die dafür richtige akustische Schwingungsfrequenz haben und laut genug sind. Erst die modernen Methoden der Signalanalyse haben es ermöglicht, Zeitstrukturen zu verstärken oder auch visuell darzustellen. Während die Raumstrukturen des Organismus seit der Renaissance genau untersucht wurden (etwa in der Anatomie von Andrea Vesalius), sind die Zeitstrukturen erst seit wenigen Jahren visuell zugänglich und zwar im sogenannten Chrono-Cardiogramm.

Unsere Arbeitsgruppe hat das Chrono-Cardiogramm 1992 entwickelt. Aus der Herzfrequenz-Variabilität kann es verschiedene Körperrhythmen visuell darstellen. Ein ganzer Tag und sogar noch längere Zeitabschnitte in den Herzrhythmen können auf diese Weise höchst anschaulich überblickt werden. Damit ist nun eine Chronodiagnostik aus der Herzfrequenz-Variabilität möglich und Therapien können in ihrer Wirkung beobachtet sowie auch dem Patienten gezeigt werden (siehe dazu auch Kapitel 3). Schauen wir uns nun ein Chrono-Cardiogramm und weitere Kennwerte im Detail an.

Im Chrono-Cardiogramm auf der folgenden Seite handelt es sich um die Kennwerte einesgesunden 11-jährigen Jungen. Gezeigt wird imobersten Teil des Bildes ein Überblick überdie vegetative Rhythmik des Herzens, die ein Abbild der gesamten vegetativen Situation ist. Im zweiten und vierten Bild von oben sind Vagus und Sympathikus-Aktivität sowie dazwi-schen der vegetative Quotient dargestellt. BeiLetzterem sieht man die nachmittags (links)schwankende Dominanz von Sympathikus und Vagus, die in der Nacht (Mitte) in eine vagale(blaue), am Morgen (rechts) dann in eine sympathische (rote) Vorherrschaft übergeht. Die Herzfrequenz (Herzrate) im fünften Bild und der Puls-Atem-Quotient ergänzen dieDarstellung. Im Tätigkeitsprotokoll (Diagramm unten) sind die belastenden (oben, rot)und erholsamen (unten, blau) Aktivitäten erkennbar, wertvoll für die individuelle Beratungvon Patienten (siehe www.humanresearch.at).

© Human Research Institut 2013

Die auf Seite 51 abgebildeten Körperrhythmen zeigen Abläufe, die an die Themen großer Symphonien erinnern. In ihrem Zusammenspiel erinnern sie an die rhythmische Interaktion etwa von Violinen und Kontrabass im Orchester.

Synchronisation und Koordination verschiedener Körperrhythmen sind dabei für die Qualität des Schlafes von großer Bedeutung. Der medizinische Begriff der „Schlafarchitektur“ zeigt, dass auch alltägliche Lebensvorgänge „Kunstwerke“ enthalten, die unserem Bewusstsein bis vor Kurzem nicht zugänglich waren. Vergleichbar mit einem Kunstwerk, so ist es die gekonnte Mischung aus Chaos und Ordnung, die nicht nur die Qualität des Lebens, sondern auch die Gesundheit unseres Organismus bestimmt.14 Die Wiederherstellung der verloren gegangenen Harmonie dieser Polaritäten könnte eines der Geheimnisse der Wirkung von Musiktherapien sein.

Musik und Medizin haben gemeinsame Wurzeln in den Urzeiten der Menschheit. Noch heute verwenden Schamanen Rhythmus und Melodie, um jenen speziellen Zustand einleiten zu können, der Heilung bewirkt. Trotz dieser engen Verbindung zwischen Musik und Therapie gibt es wenig Wissen über das genaue „Wie“ der heilenden Wirkung von Musik und Rhythmus. So konnte zwar eine beruhigende Wirkung von Mozarts Musik15 festgestellt werden, Blutdrucksenkung und Verringerung von Stresshormonen durch Musik sind beschrieben16, gestörter Schlaf wird verbessert17, und das Burn-out-Syndrom sowie Stimmungstiefs werden durch Musikstunden reduziert18. Auch die Lernleistung von Schülern in mathematischen Fähigkeiten wurde durch das Üben von Musik verbessert19 sowie kognitive Fähigkeiten20. Eine durchgängige Theorie der heilenden und fördernden Wirkung von Musik ist jedoch, auch aufgrund fehlender Messungen, nicht vorhanden oder zumindest nicht allgemein anerkannt.

Werfen wir nun einen physiologischen Blick auf Schwingungsvorgänge im menschlichen Organismus, die wahrscheinlich eine wichtige Basis unserer Gesundheit sind.

Paradigmenwechsel in der modernen Biologie und Medizin

In der Biologie und Medizin findet derzeit, wie bereits erwähnt, ein äußerst interessanter Paradigmenwechsel statt: Der Begriff der Homöostase, also die Tendenz des Organismus, Körperparameter immer gleichzuhalten, wird aufgrund neuer Erkenntnismodelle infrage gestellt und durch das Konzept der Homöodynamik ersetzt (siehe auch Kapitel 3)21: „panta rhei“ = „alles fließt“, alles schwingt im Organismus. Diese Idee eines schwingenden Lebens ist viel besser mit den Konzepten einer „musikalischen Medizin“ in Einklang zu bringen als der alte Begriff der Homöostase. Schon Novalis schreibt: „Jede Krankheit [ist] ein musikalisches Problem – ihre Auflösung eine musikalische Auflösung.“ Und: „Die musikalischen Verhältnisse scheinen mir recht eigentlich die Grundverhältnisse der Natur zu sein.“22 Dieses Schwingen des Lebens braucht nun, auch dank der neuen Bilder, nicht mehr metaphorisch verstanden zu werden, sondern lässt sich physikalisch und chronobiologisch nachweisen: Es gibt kaum einen Körperparameter, der nicht im Rhythmus von Tag und Nacht schwingt, und der nicht in das chronobiologische System des Organismus durch Phasen- oder Frequenzbeziehungen eingebunden ist.23

Nun war es lange Zeit gar nicht so leicht, das Schwingen im Körper zu messen – wahrscheinlich der Grund, warum biologische Schwingungsphänomene erst vor wenigen Jahrzehnten entdeckt, ihre Forschung lange Zeit belächelt und ihre Bedeutung erst am Ende des 20. Jahrhunderts erkannt wurde. Heute sind Zeitschriften wie Nature und Science voll mit Artikeln über Chronobiologie und Chronomedizin, und die Erkenntnisse aus innovativen Messungen schaffen es, in die Listen der „wissenschaftlichen Durchbrüche des Jahres“ Eingang zu finden. Obwohl viele Forscher noch Schwierigkeiten damit haben, bei der Fülle von Einzelerkenntnissen das große Ganze zu sehen, wird es immer klarer, dass Koordination ein Grundprinzip der Rhythmik des Körpers ist, und dass die vielen Teile zu einem Ganzen zusammenwirken, dessen Komplexität erst langsam verstanden wird24. Das Bild eines Zeitorganismus entsteht, in dem agonistische (gleichgerichtete) und antagonistische (gegeneinander gerichtete) Rhythmen in Kooperation und Wechselspiel, wie die Muskeln und Sehnen einer Vesal’schen Anatomie, zusammenwirken und den Ablauf des Lebens organisieren.

Während die Wissenschaft also gerade dabei ist, eine „Anatomie der Zeit“ zu entwickeln, beginnen sich bereits erste Anzeichen einer „Histologie der Zeit“ zu entfalten.25 Mikrorhythmus wirkt mit Makrorhythmus zusammen; und es zeigt sich immer deutlicher, dass unser Organismus im Bereich der Zeit genauso komplex gestaltet ist wie im Bereich des Raums.26

Da unser optischer Sinn ein hohes Wahrnehmungsvermögen im Bereich des Räumlichen hat, jedoch ein geringes im Zeitlichen, ist uns bisher die zeitliche Dimension des Menschen nur dort nicht entgangen, wo „Zeit zum Raum wird“, wie es Richard Wagner im Parzival ausdrückt. Dies geschieht nicht nur bei Bäumen in Gestalt der Jahresringe, sondern auch in der menschlichen Niere in den Harnsteinen, in denen sich der Tagesgang der Harnsäurekonzentration als Schichtung äußert.


Leben hinterlässt auch räumliche Zeitspuren, wenn Wachstumsvorgänge (wie bei Bäumen) rhythmisch moduliert auftreten. Im Fall des Harnsteins bewirkt der nächtliche Anstieg der Harnkonzentration eine rhythmische Fällung, die zu einer Schichtung des Konkrements führt (aus: Hildebrandt et al. 1998).


Diese Streifung wird durch das circa-septan (7-tägig) modulierte Wachstum von Zellen bei der Bildung des Zahnschmelzes vor Zahndurchbruch gebildet und spiegelt nicht die soziale Woche, sondern die endogene, etwa siebentägige Rhythmik des menschlichen Organismus wider, die auch bei vielen Heilungsvorgängen zu beobachten ist (Bild aus: Dean, 2000).

Ein weiteres Beispiel: Der Aufbau des Zahnschmelzes zeigt Tages- und sogar Circa-Siebentages-Rhythmen, eine Tatsache, die zwar lange bekannt ist27, aber erst seit wenigen Jahren chronobiologisch erforscht wird.

Untersucht man die Körperrhythmik mit der Wahrnehmung des Musikers, so enthüllt sich ihre nahe Verwandtschaft zur Musik.28 Umgekehrt wird auch die Entstehung der Musik aus der Körperrhythmik erkennbar, wenn frühe Aufzeichnungen von Musik mit der physiologischen Rhythmik verglichen werden: Brevis, die kurze Note der ursprünglichen Gregorianik, dauert etwa einen Herzschlag lang, und Longa, die Länge dieser choralen Musik, wird in einem Atemzug gesungen. Sie stehen zueinander in einem Verhältnis von vier zu eins. Musikalisch ist das eine Doppeloktave und entspricht genau dem Verhältnis des Herzschlags zur Atmung, das beim gesunden Menschen im tiefen Schlaf gefunden wird (siehe die Abbildung).

Dass sich die Physiologie des Menschen in der Musik widerspiegelt, wird aus der Tatsache verständlich, dass Menschen diese Musik gemacht und mit ihrem Atem im Gesang oder mit dem Musikinstrument gestaltet haben. Im Lauf der Musikgeschichte – auch zu einer Zeit, als Medizin und Musik sich schon längst getrennt hatten –, gab es immer wieder Versuche, Musik und Rhythmus therapeutisch einzusetzen. Bekannt sind die Bach’schen Goldbergvariationen, die ja ausdrücklich als musikalisches Therapeutikum gegen die Schlaflosigkeit des Grafen Keyserlingk komponiert wurden. Am Beginn des 20. Jahrhunderts wurde dann Musik gemeinsam mit dem Tanz als Ausdrucksmittel des Tanzenden in einen neuen therapeutischen Kontext gestellt. Eurythmie, die von Rudolf Steiner zusammen mit Lory Meier-Smits ab 1912 entwickelte Form des Ausdruckstanzes, war von Anfang an als therapeutisches Kunstmittel konzipiert. In der etwas später entstandenen Heileurhythmie werden bestimmte Laute und Lautfolgen bewusst als Heilmittel für den kranken Organismus eingesetzt.

In traditionellen Kulturen bei sogenannten „Naturvölkern“ kann man vereinzelt noch die ursprüngliche Bedeutung und vielleicht sogar eine der Entstehungsbedingungen von Musik beobachten. Musik erleichterte schwere körperliche Arbeit durch Rhythmus und brachte Freude und Schwung in das Leben29, sie begleitete jedes Fest und sang Kinder in den Schlaf. Körperrhythmen wurden durch Musik ausgedrückt und verstärkt. Das ganze Leben war Musik. Für traditionelle Afrikaner ist es heute noch unverständlich, wenn Europäer räumlich getrennt von den Musikern zwei Stunden still verharren und einer Oper oder einem Konzert lauschen. In ihrer Heimat tanzt und spielt das ganze Dorf mit, wenn Musik gemacht wird. Es wäre eine Strafe, nicht mitspielen zu dürfen! Dies berichtet Bernd Bechtloff, der Perkussionist des bekannten Musikers Hubert von Goisern, nach einer musikalischen Tournee durch Afrika.

Menschliche Arbeit ist ursprünglich so sehr mit Musik verbunden, dass viele Handwerkzeuge vollwertige Musikinstrumente abgeben. Sie synchronisieren durch Masse und Größe den Arbeitsablauf mit Körperbewegung, Herzschlag und Atmung. Aus dem Stampfrhythmus entsteht quasi von selbst rhythmische Musik nach menschlicher Metrik. Im Gegensatz zum späteren rigiden Takt der Maschinen ist diese Rhythmik aber flexibel und schwingend.

Tasuta katkend on lõppenud.

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