Loe raamatut: «test», lehekülg 3

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Seltsamer Besuch

Ich war wirklich erleichtert, als ich den Schlüssel in der Hand hielt und der Hinner mir leuchten konnte.

Ganz vorsichtig und leise, um nur niemanden zu wecken, schob ich ihn in das Schloss und drehte ihn langsam herum, was auch tatsächlich ohne ein Geräusch gelang.

Ich freute mich jetzt auf meine Stube und darauf, morgen auszuschlafen und anschließend ein ordentliches Essen serviert zu bekommen.

„Habt Ihr noch Besuch?“

Hinner hatte neugierig in das Haus gespäht und hinten, wo er die Küche vermutete, einen Lichtstreifen bemerkt.

„Besuch? Nicht, dass ich ich wüsste. Wie kommst du darauf?“

„Na schaut doch mal da vorn, da ist doch noch Licht. Ihr habt doch gesagt, die Frau Schädrig wäre längst im Bett. Wer ist denn da noch so spät zugange?“

Ich schaute hinüber zu der Tür, auf die Hinner zeigte, und tatsächlich, unter der Küchentür war ein Lichtstreifen zu sehen.

Seltsam, um diese Zeit?

Meine Köchin schlief längst, wie man an ihren das gesamte Haus durchdringenden Schnarchgeräuschen unschwer erkennen konnte.

Die kleine Magd, die ich erst vor kurzem von den Beginen geholt hatte, hoffentlich ebenfalls.

Sie war doch noch ein halbes Kind, die Kleine. Dreizehn Jahre war sie jetzt alt, aber noch so unselbstständig und klein.

Cathrine aus Thiede hatte sie mitgebracht, nachdem die angeblich mitten in dunkler Nacht in den letzten Kriegswirren von einem Trupp Söldner überfallen und geschwängert worden war.

Man hatte sie nicht mehr haben wollen in ihrem kleinen Dorf Groß Stöckheim und so war sie nach Braunschweig gezogen, um dort im Haus der Beginen gleich hinter der Stadtmauer zwei ziemlich dunkelhäutige Kinder zur Welt zu bringen.

Ein Mädchen und ein Junge. Der Junge hatte keine Woche gelebt, aber das Mädchen, das hatte es geschafft. Es war bei den Beginen geblieben, während der Cathrine nichts anderes übrig geblieben war, als in das Rote Kloster zu ziehen und dort mit den Männern ihren Lebensunterhalt zu verdienen.

Am Ende war sie auch nicht mehr die Jüngste und allzu viele Männer kamen nicht mehr zu ihr. Sie hatte sich große Sorgen um „ihre Kleine“, wie sie das dunkelhäutige Mädchen immer nannte, gemacht.

„Herr Pfeffer, wo soll sie denn hin, meine Kleine!“, klagte sie, wenn ich im Hause nach dem Rechten zu sehen hatte.

„Das bisschen, das ich hier einnehme, das reicht doch nicht für uns Beide. Und wer nimmt denn eine Magd mit so einer Gesichtsfarbe?“

Es ist üblich, dass sich die Braunschweiger Bürger hier im Beginenhaus mit Mägden versorgen.

Meist sind es ungewollte Kinder, die nachts heimlich auf die Stufen gelegt und dann von den Frauen großgezogen werden.

Oft aber auch Kinder aus Familien, die bei aller Anstrengung für ihre zu groß gewordene Schar nicht mehr sorgen können.

Mit zwölf oder dreizehn Jahren sind sie dann alt genug und können in gut situierte Familien vermittelt werden.

Aber das Mädchen, das die Cathrine auf die Welt gebracht hatte, das wollte niemand haben.

Nicht mit dieser düsteren Gesichtsfarbe und überhaupt, was weiß man denn schon, was Menschen, die so fremd aussehen, für eine Seele haben. Woher soll man wissen, was in ihnen vorgeht und ob sie nicht rauben und stehlen und am Ende noch die Herrschaft in den eigenen Betten meucheln. Nein, nein. Das Ding sah nun wirklich gar zu fremd aus.

Schließlich war der Bluthusten gekommen und es dauerte nur noch wenige Wochen, da war es mit der Cathrine vorbei.

Ich hatte an ihrem Bett gesessen, ihre Hand gehalten und ihr versprochen, dass ich mich um die Kleine kümmern würde.

„Wie heißt denn dein Kind überhaupt, Cathrine? Ich muss sie doch irgendwie ansprechen können.“

„Ach wisst Ihr“, und ein seeliges Lächeln war noch einmal über ihr Gesicht gezogen.

„Sie heißt Rosa wie die schönen Blumen, die wir damals in unserem Garten hatten.“

„Rosa? Oh, ein ungewöhnlicher Name.“

Meine Güte, warum müssen eigentlich diese einfachen Frauen ihren Kindern immer die unmöglichsten Namen verpassen.

„Rosa!“ Da ahnt doch gleich Jeder, wo so ein Kind herkommt.

Gewöhnliche Kinder heißen Anna oder Berta oder bestenfalls noch Maria, aber doch nicht „Rosa“.

Ich hatte nur gelächelt und der Cathrine die Hand getätschelt und ihr versichert, dass ich mich um die Rosa kümmern werde.

„Ach, Herr Pfeffer, Ihr seid so gut. Ihr seid der beste Mann auf der Welt, den ich je kennengelernt habe! Wirklich, der Allerbeste.“

Na, ob das nun unbedingt als Kompliment zu werten ist...

Nachdem sie gestorben war, bin ich jedenfalls zu den Beginen gegangen, habe mir das Mädchen angesehen und beschlossen, dass sie in meinen Haushalt kommen sollte.

Die Frau Schädrig hatte schließlich oft genug lamentiert, dass sie eine Magd gut gebrauchen könne und es ihr in ihrem Alter doch nicht mehr zuzumuten war, mit dem Feger in der Hand in den Kaminen herumzukriechen.

Nun gut, das Problem war damit beseitigt.

Nachdem ich Rosa eine Weile beobachtet hatte, stellte ich fest, dass sie ein liebes und gehorsames Mädchen war, das stets alle aufgetragenen Arbeiten erledigte.

Anfangs konnte die Schädrig sich ja nicht so recht anfreunden mit dem „swatten Deibel“, wie sie gerne sagte, aber irgendwann hatte sie das Kind in ihr Herz geschlossen und ließ nichts mehr darauf kommen.

An diesem kalten Tage allerdings kamen mir jetzt doch ein wenig Zweifel, ob die Kleine etwa nachts heimlich durch das Haus schlich und sich an den Vorräten oder wer weiß wo noch zu schaffen machte.

„Hinner“, flüsterte ich dem Nachtwächter zu.

„Du bleibst hinter mir und wir werden sehen, wer sich dort in der Küche herumtreibt. Sei leise! Pscht.“

Der verstand, hielt seine Laterne hinter den Rücken und folgte mir in das große Haus, in dem er sich etwas verstohlen umblickte, offensichtlich beeindruckt von dem, was er sah.

Von der Diele, durch die wir gerade schlichen, gehen unten mehrere Räume ab und nach oben führt eine fein geschwungene Treppe.

Nicht so eine einfache Stiege, wie er das aus dem Hause der Frau Behrend kannte.

Das Haus ist schon sehr gediegen und großzügig gebaut und der alte Hinner mag sich gefragt haben, wie ein Henker dazu kommt, in solch einem Wohlstand zu leben.

So ist es nun einmal: Henker sind keine sehr angesehenen Leute und wahrscheinlich glauben die Menschen, oder wenigstens einige von ihnen, der üble Geselle würde in kleinen Verschlägen in der Stadtmauer leben müssen.

Nun ja, sollen sie es glauben, was schert es mich. Ich habe mein gutes Auskommen und ein ordentliches Haus und ein bisschen was hermachen muss es natürlich auch.

Während Hinner noch die Treppe bewunderte, hatte ich mich an die Küchentür herangeschlichen und diese, die zum Glück nur angelehnt war, vorsichtig aufgeschoben.

Ich lehnte mich gegen den Türrahmen, denn das Bild, das sich meinen Augen bot, musste einfach bewundert werden.

Dort vorne, wo an der linken Seite der Küchenwand der Herd gemauert ist, machte sich gerade eine Gestalt in einem weißem Hemd an dem bereits abgedeckten Feuer zu schaffen und versuchte, mit Wedeln der Hand und mit Pusten die Flammen wiederzubeleben.

Über ihren Rücken fielen lange, offene blonde Haare, so dass mir klar war, dass ich es hier weder mit der alten Schädrig noch mit der kleinen Rosa zu tun haben konnte.

Wer war dann die Lichtgestalt dort vorne, die ganz offensichtlich versuchte, in einem Topf, der oben auf dem Herd stand, etwas warmzumachen?

Was hatte dieses sphärische Wesen in meiner Küche verloren?

Wie war sie hierher gekommen und vor allem: Warum?

„Darf man fragen, wer Ihr seid und was Ihr in meiner Küche zu schaffen habt?“

Ich hatte wirklich ganz freundlich gefragt, aber das blonde Wesen, das gerade eben dabei gewesen war, den Topf mit seinem Inhalt auf dem Herd hin- und herzuruckeln, drehte sich mit einem solchen Schwung herum, sah mich in meinem dunklen, von Schneeflocken überzogenen Mantel und dem schwarzen Hut, der mir bis über die Augen reichte, fing an zu schreien und riss gleichzeitig den Topf hoch, wodurch der heiße Inhalt, der offensichtlich Milch gewesen war, über den Rand und auf ihre Hand schwappte.

Das Schreien wurde lauter, während der Topf mit lautem Scheppern auf dem Fußboden landete und die Fremde, die wie eine Fee aus einem Märchen daherkam, ihre verbrühte Hand festhielt und gegen den Mund presste, wobei sie mich anstarrte, als sei ich der Deibel persönlich und hier erschienen, sie in das Fegefeuer zu befördern.

Wenn dieses dumme Ding doch wenigstens mit dem albernen Geschrei aufhören wollte!

Ich kam gar nicht dazu, dem Hinner, der ganz verschreckt einen halben Schritt hinter mir stand, zu erklären, dass mir diese Person in meinem Hause völlig unbekannt war, als man schon von hinten lautes Türenklappen hörte, gefolgt von dem Gekeife der Frau Schädrig, die ganz aufgelöst mit langen grauen Strähnen und einem schnell übergeworfenen Umhang im Flur erschien.

Und dann kam auch schon Rosa angelaufen, auch nicht eben leise, die offensichtlich in ihrer Kammer den Lärm gehört und an einen Einbruch geglaubt hatte.

Endlich war das ganze Weibervolk panisch in der Küche versammelt, wo die weiße Gestalt noch immer in der Milchpfütze stand und vor sich hinwimmerte, während ich mich fragte, was in meinem eigenen Hause eigentlich vor sich ging.

Frau Schädrig war gleich zu der jungen Frau gerannt und hatte sie auf einen Stuhl gedrückt, während sie Rosa den Auftrag gab, die Milch vom Boden zu wischen und das Feuer wieder abzudecken.

„Du liebe Güte, Ihr armes Ding! Was ist denn nur geschehen? Was hat dieser Mensch Euch angetan? Lasst sehen! Was ist mit Eurer Hand?

Oh nein, alles verbrüht! Wie entsetzlich! Was müsst Ihr für Schmerzen haben! Herr Pfeffer!“

Mit einem bitterbösem Blick sah sie zu mir herüber, als sei ich derjenige, der die Ursache für das Theater gesetzt hatte.

„Vielleicht dass Ihr Euch einmal bemüht, etwas zu unternehmen? Ihr seht doch, wie das arme Ding leidet! Macht was! Wozu seid Ihr hier der Henker? Ihr werdet doch wohl irgend etwas in Eurem Durcheinander dort oben haben, das der armen Frau helfen kann!“

Das war ja wohl die Höhe! Was hatte die anmaßende Alte sich über die Ordnung in meinen Räumen aufzuregen?

Noch dazu vor einer Fremden und vor dem Nachtwächter? Na, das würde noch ein Nachspiel haben. Später, wenn alle weg sind.

„Rosa, geh nach oben und hole die Tasche. Du weißt schon, die ich immer bei mir habe, wenn ich zu den Leuten muss.“

Ich war böse jetzt und es ist möglich, dass ich nicht besonders freundlich dreingeblickt habe, aber ist das ein Wunder bei solch einer nächtlichen Überraschung? Und noch immer hatte mir niemand erklärt, was eigentlich los war.

Rosa war mit der Tasche gekommen, ich trug etwas Salbe auf die verbrühte Hand auf, umwickelte sie anschließend fest mit Leinenstreifen und endlich hörte auch das Gejammer auf.

Nachdem das blonde Geschöpf sich beruhigt, die Tränen getrocknet und die Nase geputzt und Frau Schädrig den armen Hinner in die Nacht hinausgescheucht hatte, weil der doch bestimmt noch zu tun habe dort draußen, fand ich es an der Zeit, eine Erklärung zu verlangen.

„So, die Damen. Schön, dass wir uns so weit wieder alle beruhigt haben.

Darf ich dann jetzt vielleicht erfahren, was das alles hier soll?

Wer, bitteschön, seid Ihr und was habt Ihr mitten in der Nacht in meiner Küche herumzuwerkeln?“

Das blonde Mädchen sah jetzt nicht mehr ganz so verängstigt aus, hatte sich aufgerichtet, mir geradeheraus in die Augen geschaut und einfach nur geantwortet:

„Christine bin ich. Christine aus Schöppenstedt!“

Aha. Christine aus Schöppenstedt. Wer auch immer das sein sollte.

Und wie kam die dazu, mich so herausfordernd anzustarren? Das gehört sich doch eigentlich nicht, oder? Jedenfalls nicht für die Frauen, mit denen ich gewöhlich zu tun habe.

„Eure Schwester hat nach mir geschickt. Sie meinte, es sei an der Zeit, dass hier wieder eine Frau einzieht. Schließlich ist Frau Schädrig die Köchin und kann sich doch nicht auch noch um alles Andere kümmern. Darum ist Eure Schwester herübergekommen und hat bei meinen Eltern nachgefragt, ob ich bereit wäre, hier in Braunschweig den Haushalt zu führen.“

Meine Schwester! Diese verdammte Krähe!

Von wegen Haushalt führen! Ich weiß genau, was die vorgehabt hat, als sie diese, zugegebenermaßen recht hübsche Frau, hier herbestellt hat. Aber das würde nichts werden.

Ich habe seit meiner seligen Magdalene nun einmal eine tief sitzende Abneigung gegen blonde Frauen und ich denke nicht, dass sich das noch einmal ändern wird. Egal, wie schön sie sich in ihrem weißen Nachtgewand vor mir präsentieren.

„Es gibt hier keinen Haushalt zu führen!

Da ist der Alte zu füttern und das Essen zu kochen. Den Rest macht die Rosa und damit reicht es schon an Haushalt.

Nehmt es mir nicht übel, aber diese Idee meiner lieben Schwester ist leider nicht in meinem Sinne und darum werden uns bereits morgen wieder trennen. Ich wünsche für heute allen eine gute Nacht und würde mich freuen, wenn ich jetzt in Ruhe schlafen gehen könnte.“

So, das Machtwort war gesprochen! Das wäre ja noch schöner, wenn die Weiber anfingen, über mein Leben zu bestimmen. Nun hatte ich endlich meine Ruhe und dabei sollte es auch schön bleiben.

So schnell kam ich dann leider doch nicht in den Schlaf und am nächsten Morgen erlaubte ich mir den Luxus, einfach mal richtig schön lange im Bett zu bleiben.

Es muss schon am späten Vormittag gewesen sein, als ich mich fertigmachte und mir überlegte, dass man an einem solchen Tag, der keine Verpflichtungen für mich bereit hielt, vielleicht einen kleinen Spaziergang durch die Stadt machen könnte.

Die Sonne schien endlich einmal wieder und der hartgefrorene Schnee glitzerte vielversprechend, so dass ich mir den Mantel überwarf und direkt aus meiner Kammer in die Stadt verschwand.

Ahh, das tat gut nach der unangenehmen Reise und dem Theater, das ich am Abend noch in meinem Hause erleben musste.

Auf den Gedanken, mich nach dem Befinden der jungen Frau zu erkundigen, war ich, ehrlich gesagt, überhaupt nicht gekommen.

Was ging die mich auch an. Ich hatte sie nicht bestellt und musste mich nicht weiter mit dem Thema beschäftigen.

Als ich nach fast zwei Stunden wieder nach Hause kam, fiel mir auch die ungewöhnliche Ruhe nicht auf.

Es war Ostersamstag und was hätte da groß los sein sollen. Die Frau Schädrig würde beim Alten sitzen oder das Ostermahl vorbereiten oder sonstwie beschäftigt sein.

Ich verzog mich in meine Schreibstube und gönnte mir einen weiteren Luxus, nämlich mich endlich einmal in Ruhe mit den Zeichnungen der inneren Organe, die mich nun einmal faszinieren und die ich gerne, nachdem ich sie den Gerichteten entnommen habe, auf Papier festhalte, zu beschäftigen.

Wie immer bei dieser Tätigkeit verging die Zeit wie im Fluge und erst, als ich nicht mehr richtig sehen konnte und mir eine Kerze anzünden musste, wurde mir bewusst, dass es doch wirklich sehr viel ruhiger im Hause war, als das gewöhnlich der Fall ist.

War es nicht langsam Zeit für die Kirche? Und für das Osteressen? Sollte ich vielleicht einmal schauen, wie weit man unten in der Küche mit den Vorbereitungen schon gekommen war?

Draußen schlug es fünf Mal und es war mittlerweile recht dämmrig geworden. Nun ja, etwas Zeit war ja noch und wozu groß stören, wo man nicht wirklich erwünscht ist.

Kurz vor sechs schließlich nahm ich meinen Mantel, ging hinunter in die Diele und erwartete meine Damen, um mit ihnen gemeinsam hinüber nach Michaelis zu gehen.

Müsste man nicht eigentlich schon den Braten im ganzen Hause riechen?

Ich roch nichts! Dafür polterte es an der Tür und als ich etwas überrascht öffnete, stand dort, fein gebürstet und geschniegelt, mein Großknecht Friedhelm.

„So Meister, da bin ich. Pünktlich wie Ihr seht.“

Friedhelm hatte sich offensichtlich das Gesicht und die Hände geschrubbt und lächelte mich ganz rosig an, während mir der leise Verdacht kam, dass irgendetwas im Hause nicht stimmte.

„Warte einen Moment, Friedhelm, ich will nur schnell nachschauen, wo mein Gesinde bleibt, denn schließlich gehen wir an einem solche Tage ja alle gemeinsam zur Andacht.“

„Ja, Meister. Und dann freue ich mich schon auf das feine Essen Eurer Frau Schädrig.“ Er grinste mit seinen fehlenden Zähnen und rieb die geschrubbten Hände aneinander.

„Frau Schädrig! Rosa?“

Kein Laut. Wo waren die Beiden denn bloß. Es ging auf sechs zu und so langsam wurde es Zeit.

Ich ging hinüber in die Küche – und was musste ich sehen?

Keine Frau Schädrig, keine Rosa, und vor allem: Kein Osterbraten! Nichts war da! Einfach nur eine aufgeräumte Küche. Keine Spur mehr von gestern Abend. Alles picobello, aber von einem Braten nichts zu sehen.

Das konnte doch nicht wahr sein! Die konnten doch nicht einfach verschwinden, diese gehässigen Weiber! Wer war ich denn, dass ich mir ein solches Verhalten gefallen lassen musste. Die lebten in meinem Hause und das nicht schlecht, und verschwanden einfach so mir nichts dir nichts, ohne mir irgendeine Nachricht zu hinterlassen. Und draußen stand der arme Friedhelm und freute sich auf ein feines Essen, mit dem es jetzt wohl nichts werden würde.

Der Alte fiel mir ein. Was hatten sie eigentlich mit dem gemacht?

Zum ersten Mal, seit ich in dem Hause wohnte, ging ich hinauf in seine Kammer.

Dort lag er auf dem Bett und im ganzen Raum stank es fürchterlich nach Fusel. Der Alte schlief, und das tief und fest.

Unglaublich! Sie hatten ihn abgefüllt, damit er nicht aufwachte, und sich aus dem Haus davongemacht.

Na, denen würde ich was erzählen!

Die sollten noch mal bei mir ankommen! Verschwinden konnten die und sehen, wo sie bleiben!

Ich war so wütend, rannte die Treppe runter und stieß fast mit Friedhelm zusammen, der grinsend in der Diele stand und irgendetwas vor sich hingrummelte, dass es wohl nicht so einfach ist mit den Weibern und er hätte ja immer schon...

„Komm, Alter, wir gehen in die Spelunke draußen am Stall.

Da fragt keiner, wer wir sind und was wir wollen. Vielleicht macht die Wirtin uns noch irgendetwas zu Essen und dann lassen wir uns so richtig volllaufen. Frohe Ostern, sag ich nur!“

So verbrachte ich dieses bemerkenswerte Osterfest im Jahre 1656 bei Bier, Branntwein und Lammpastete, die die Wirtin für uns aufwärmte, während mein Schwiegervater oben in seiner Kammer mit Fusel zur Ruhe gebracht und die Frauen zu meiner Schwester gezogen waren, wie ich später erfuhr.

Den Ostersonntag verbrachte ich fast vollständig im Bett, so sehr hatte mir der Abend in der dunklen Spelunke zugesetzt, und als ich irgendwann wieder zu mir kam und in die Küche schlich, um nach etwas Essbarem zu suchen, stand da Rosa und freute sich, mich zu sehen.

„Meister, geht es Euch wieder besser?

Soll ich Euch etwas zu essen herrichten? Die Frau Schädrig ist oben beim Alten und die Christina ist jetzt bei Eurer Schwester.

Sie hat gesagt, sie wird dieses Haus nie wieder betreten, hier würde der Deibel persönlich wohnen.“

Rosa hatte gekichert und mir versichert, dass sie mich nicht für einen Teufel hielt und ich mich schon mal an den Tisch setzen soll, wenn es recht ist, dass ich vielleicht in der Küche essen möchte, denn sie hätte schon das Brot aufgeschnitten und Schinken wäre auch bereit und ein paar Eier wollte sie auch noch braten, denn die würden immer so wunderbar duften und die Lebensgeister wieder wecken.

Bevor ich noch lange nachdenken konnte, ob ich wirklich Lust hatte, in der Küche zu essen, hatte sie schon das Brot aufgetragen und die Butter dazu gestellt. Dazu ein Brett mit einem Messer für den Schinken hingelegt und einladend darauf gezeigt.

Nun gut, warum nicht. Ausnahmsweise mal. Und Hunger hatte ich auch. Der Schinken, den Rosa hereintrug, duftete sehr verführerisch, so dass ich mich schließlich herabließ, mich an den Holztisch zu setzen und mir eine dicke Scheibe abzuschneiden, während Rosa auf dem Herd, an dem ich immer noch die fremde Frau mit dem Milchtopf herumhantieren sah, in der Pfanne die Eier brutzeln ließ.

„Sag einmal, Rosa, was war das gestern mit diesem Mädchen und der Frau Schädrig und dem Ostermahl. Was ist euch in den Sinn gekommen, einfach so zu verschwinden? Was habt ihr euch eigentlich dabei gedacht?“

„Ach, Herr Pfeffer! Bitte, schaut mich nicht so böse an.

Ich wollte das ja auch nicht, aber die Frau Schädrig, die war so sehr enttäuscht, wo sie sich doch schon gefreut hatte, dass die Christina, also diese Frau aus Schöppenstedt, jetzt hier einziehen und den Haushalt führen würde.

Eure Schwester ist doch während Eurer Reise ein paar Mal hier gewesen und Frau Schädrig hat ihr immer wieder erklärt, dass es doch nicht angehen kann, dass eine Köchin, die sie nun einmal ist, sich um die gesamte Hauswirtschaft bekümmern muss. Das ganze Einkaufen und die Abrechungen, das Verhandeln mit den Lieferanten und den Speiseplan für die Woche erstellen – na ja, eben das, was eine Hausfrau alles so tun muss.“

Einen Speiseplan erstellen? Für die Woche? In welcher Welt lebte die Schädrig eigentlich!

Für mich musste kein „Speiseplan“ erstellt werden, ganz sicher nicht, und für den Alten da oben wohl auch nicht. Albern ist das!

„Herr Pfeffer, ich weiß ja, dass Ihr das alles vielleicht gar nicht benötigt, aber die Frau Schädrig möchte nun einmal ein standesgemäßes Haus führen. Hat sie jedenfalls gesagt. Und Eure Schwester hat ihr zugestimmt und auch gemeint, dass das so keine Art ist. Und sie wüsste da schon jemanden und sie würde sich kümmern, und, na ja, also, das hat sie ja dann auch gemacht.

Die Frau Christina kam hier am Dienstag an und es war ja auch ganz nett mit ihr. Sie lacht gerne und hat sich gleich einmal alle Räume angesehen und festgestellt, dass doch einiges im Hause zu tun ist.

Sie hat mit dem Fleischer verhandelt und mit dem Kaminkehrer und einen Speiseplan erstellt, na, so eben, wie man das macht in feinen Häusern. Und jetzt ist sie wieder weg und ich finde das wirklich ganz traurig!

Aber wenn Ihr sie nicht haben wollt, nun ja, dann ist das wohl so.“

„Ja, Rosa, so ist das jetzt wohl. Ich will meine Ruhe haben und keine Frau im Haus

Davon habe ich die Schnauze voll und ich kann dir gar nicht sagen, wie voll ich sie habe.

Aber egal, sag mir doch noch mal, wo diese Christina hergekommen ist. Woher kennt meine Schwester sie überhaupt?“

„Nun, also ich habe verstanden, dass sie eine Verwandte der Groß Stöckheimerin ist, also der Frau von dem Hans Adam, dem Meister in Wolfenbüttel. Die kommt ja, glaube ich, aus Schöppenstedt und die hat wohl eine Cousine und...“

Auch das noch! Jetzt musste ich also auch noch mit meinem Mitmeister Hans sprechen, damit diese unangenehme Sache aus der Welt kam.

Das fehlte mir gerade noch!

Der Hans ist ein feiner Kerl, aber wenn er erfährt, wie ich mich gegenüber einer Verwandten seiner Frau aufgeführt habe.

Es half nichts, ich musste in den nächsten Tagen anspannen und zu ihm hinüberfahren, wollte ich nicht mit ihm und seiner Familie Ärger haben. Und daran war mir nun wirklich nicht gelegen.

Ich weiß nicht genau, wann Hans Adam in unsere Gegend gekommen ist, aber da er ungefähr mein Alter hat, wird er wohl um die zwanzig gewesen sein.

Später heiratete er die Witwe Voss, Mutter unseres David, und wurde Nachfolger des alten Voss, der jahrelang die Meisterei in Wolfenbüttel gehalten hatte.

Inzwischen ist er bereits mit seiner zweiten Frau, einer Elisabeth aus Schöppenstedt verheiratet, und ich muss sagen, ich freue mich jedes Mal, wenn ich bei den Beiden zu Gast bin.

Hans ist ein freundlicher Mensch, wenn auch manchmal etwas ernst, und seine Elisabeth zeigt immer diese hübschen Grübchen, wenn sie lächelt.

Und ausgerechnet deren Cousine hatte ich jetzt aus meinem Haus vergrault. Aber wie hätte ich das wissen sollen.

Den Hans hatte ich kennengelernt, als ich gerade frisch nach Braunschweig gekommen war und w i e ich ihn kennengelernt habe, also, über die Geschichte können wir zwei gar nicht oft genug lachen:

Vor Jahren hatte ich mit Brauns einen Besuch gemacht beim Meister in Hemmendorf in der Nähe von Hildesheim. Bei der Gelegenheit hatten wir uns in eine der dort sehr häufigen Kirchen verirrt, die noch dem katholischen Glauben anhängen.

Für mich damals war es interessant zu erleben, welch ein umständliches Ritual die Katholischen feierten bis dahin, dass während der gesamten Messe die kleinen Jungen, die immer mit irgendetwas beschäftigt waren, große, klimpernde Gefäße schwenkten, aus denen gut riechender Rauch quoll.

Ich hatte Brauns noch gefragt, was es wohl mit dem Rauch auf sich haben könnte, aber er zuckte nur mit den Schultern und erklärte mir, das sei Weihrauch und ansonsten müsse man in der Kirche den Mund halten. Weil ich aber so gar keine Ruhe geben wollte und im Anschluss an die Messe immer wieder nachgefragt habe, ging er schließlich schnurstracks auf den greisen Mann zu, der im Messgewand an der Kirchentür stand und sich einzeln von seinen Besuchern verabschiedete.

„Verzeiht, Hochwürden.

Ich habe hier einen etwas ungeduldigen jungen Mann, der einfach keine Ruhe geben möchte und unbedingt wissen will, was es mit dem Rauch, der so gut riechend aus den Gefäßen in der Kirche verteilt wurde, auf sich hat. Wenn Ihr vielleicht so freundlich sein wollt, es ihm zu erklären? Ich wäre Euch sehr verbunden, denn ich kenne meinen Lehrjungen und weiß, dass er nicht locker lassen wird, bis die Frage beantwortet ist!“

Ich weiß noch, wie ich über beide Ohren puterrot wurde und mich geschämt habe für die Frage meines Meisters, denn so etwas gehörte sich doch eigentlich gar nicht und wie stand ich denn jetzt da, ich, der Schnösel, der dumme Fragen stellte, anstatt den Mund zu halten und einfach mal die Dinge so zu nehmen, wie sie eben waren.

Der alte Herr an der Kirchentür allerdings lächelte wirklich sehr sehr freundlich und stellte gleich fest, dass wir wohl nicht aus der Gegend wären und auch mit dem alten Glauben nicht so viel am Hut hätten. Wenn wir ein wenig Zeit erübrigen könnten, dann würde er uns gern in sein Haus einladen, denn seine Haushälterin, die gute Agathe, hätte sicherlich schon das Sonntagsmahl gerichtet und freue sich auch immer über Gäste.

Gesagt, getan, saßen wir eine halbe Stunde später, nachdem auch das letzte Schäfchen verabschiedet war, in der kleinen, gemütlichen Stube des Pfarrhauses um einen runden, fein gedeckten Tisch, auf dem Frau Agathe schon den Braten und das Brot angerichtet hatte.

„Greift zu und lasst es Euch schmecken, die Herren. Ich bin übrigens der Pfarrer Michael, Claus Michael, und Ihr seid...?“

Ich weiß noch, dass ich verlegen zu meinem Meister hinübergeschaut habe, denn was sollte der jetzt sagen, wer wir sind.

Der Henker von Braunschweig mit seinem Lehrjungen? Um Gottes willen, da wären wir ja gleich wieder hochkantig hinausgeflogen. Handlungsreisende?

So ein Unsinn. Sahen wir aus wie Handlungsreisende? Der alte Pfarrer würde sich doch nicht für dumm verkaufen lassen.

„Mein Name ist Peter Brauns aus der alten Kaufmannstadt Braunschweig. Das hier ist mein Lehrjunge Hans Pfeffer, der bei mir das Handwerk lernt. Zur Zeit sind wir unterwegs über Land und hatten bei meinem Mitmeister in Hemmendorf zu tun.

Bei der Gelegenheit sind wir heute in Eure Kirche geraten und nur der Neugier meines Lehrjungen haben wir es zu verdanken, dass wir nun an Eurem Tisch sitzen und Eure Zeit stehlen.“

„Oh nein, keinesfalls stehlt Ihr meine Zeit! Gott bewahre. Wann immer ich einem neugierigen jungen Mann unseren Glauben erklären kann, will ich das gerne tun.

Seht, mit dem Weihrauch, der Euch so sehr fasziniert, ist es eine alte Geschichte. Ihr kennt sicherlich aus der Bibel die Erzählung von der Geburt unseres Herrn und von drei Besuchern, die ihre Geschenke mitgebracht haben? Gold, Myrrhe und Weihrauch eben.

Der Weihrauch wird hergestellt aus dem Harz des Weihrauchbaumes und ich kann Euch sagen, er ist teuer und ein wahrhaft königliches Geschenk.

Darum verwenden wir in unseren katholischen Kirchen noch heute dieses Harz, um den wohlriechenden Rauch zu produzieren und die Gläubigen damit zu benebeln.“

Der alte Herr kicherte an der Stelle ein wenig, um dann fortzufahren:

„Wisst Ihr, der Weihrauch ist nicht nur in der Lage, einen angenehmen Duft zu erzeugen. Er wird in den heißen Ländern, aus denen er kommt, auch tatsächlich dazu verwendet, den Menschen die Sinne zu vernebeln, sprich, sie von ihren Schmerzen zu befreien.

Und den Effekt hat er auch tatsächlich. Ich habe es ausprobiert und es funktioniert!

Nur leider ist dieses verdammte Zeug ziemlich teuer und eine kleine Gemeinde, wie ich sie hier führe, kann sich solch eine teure Spezerei eigentlich gar nicht leisten.

Und weil Ihr, junger Mann, so unendlich neugierig seid, will ich Euch jetzt ein kleines Geheimnis verraten:

Es ist nicht nur der Weihrauchbaum, der in der Lage ist, ein solches Harz abzusondern, wie wir es in unseren Kirchen verbrennen.

Das kann auch jeder normale Nadelbaum, sprich eine Kiefer oder eine Tanne oder was auch immer in unseren Breiten so wächst.

Und glaubt mir, ich habe es ausprobiert.

Wenn Ihr einen Nadelbaum anschneidet, dann wird er nach einiger Zeit diesen gelben Saft absondern, genannt Harz, den man nur lange genug am Baum trocknen lassen muss, bis man ihn ernten kann.

Verbrennt man den, hat man in etwa die gleiche Wirkung wie beim echten Weihrauch. Und der Qualm ist genauso gut in der Lage, die Sinne zu vernebeln, es riecht nur nicht ganz so aromatisch. Und kostet mich nichts.“

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