Loe raamatut: «test», lehekülg 4

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Hier kicherte er wieder, um seiner Agathe den Teller hinüberzureichen und sich ein schönes Stück Braten auflegen zu lassen.

„Ach, bei der Gelegenheit:

Ihr hattet mir noch nicht erzählt, welchem Berufsstand Ihr angehört. Kaufleute seid Ihr nicht, habe ich Recht?“

„Nein“, hatte mein Meister geantwortet.

„Kaufleute sind wir nicht. Henker sind wir. Henker von Braunschweig!“

Einen Moment lang war es still, so still, dass der fette Brummer, der schon die ganze Zeit über dem Braten unterwegs war, ganz unangenehm laut zu vernehmen war.

Endlich räusperte sich der alte Herr.

Ahh ja. Ähem.

Nun ja. So etwas muss es natürlich auch geben.

Sicherlich, ja doch. Also, ähem, na, dann werdet Ihr ja demnächst Eure Versuche mit meinem Rauch an Euren Delinquenten machen können.“

Und wahrscheinlich würde der alte Herr sich seine Gäste in Zukunft etwas genauer ansehen, bevor er sie an den Tisch bat.

Er ließ sich allerdings nicht allzu viel anmerken und das Essen verlief friedlich, bis wir uns, um die Gastfreundschaft nicht über Gebühr zu strapazieren, recht bald verabschiedeten, nicht ohne dass wir noch schnell einmal die Bienen im Garten unseres Gastgebers bewundert hatten.

Im Grunde war er ein offenherziger Mensch, aber einen Henker und dessen Gesellen an seinem Tisch zu bewirten, war jetzt vielleicht doch eine etwas zu große Herausforderung für den netten alten Herrn gewesen.

Er ließ uns ziehen mit den besten Wünschen und der Hoffnung, dass wir unsere neu gewonnenen Erkenntnisse nutzbringend im Sinne der Menschen anwenden mögen.

Ich konnte es in der Folge auch nicht lassen und musste unbedingt ausprobieren, ob die Nadelbäume, wenn man sie anschnitt, tatsächlich bereit waren, das angekündigte Harz abzusondern, das, wenn man es verbrannte, in der Lage war sein sollte, Schmerzen zu lindern.

Mein Meister mag oft gelächelt haben, wenn er mich mit meinem Schnitzmesser an allen möglichen Bäumen hat herumoperieren sehen und am Ende stellte ich fest, welche Bäume besonders gern diese Flüssigkeit absonderten und tatsächlich war es so, dass wir das Harz mit Erfolg einsetzten, um unseren Delinquenten die allerschlimmsten Schmerzen zu ersparen.

Es ist mir irgendwann zu einer vielleicht etwas albernen Gewohnheit geworden, immer dort, wo ich interessante Bäume entdeckte, die Rinde anzuschneiden und so kam es, dass ich eines Tages mit meinem leichten Gefährt über Land war und oben an der Richtstätte des Herzogtums Wolfenbüttel an drei riesigen Bäumen vorbeikam.

Nadelbäume, eindeutig.

Eine solche Form aber hatte ich noch nie gesehen. Lange schlanke Stämme und ganz hoch oben eine Krone geformt wie ein Pilz.

Später habe ich erfahren, dass es sich um Pinien handelte, die irgendjemand von irgendwoher aus einem wärmeren Land mitgebracht hatte. Wahrscheinlich waren vor vielen Jahren im Zuge des Krieges die Samen in den Tornistern der durchziehenden Soldaten nach hier gelangt.

Ich hielt an, zückte mein Messer, um mich an ihnen zu schaffen zu machen und gerade, als ich so dachte, dies sind ja nicht einfach nur irgend welche Bäume, sondern sie stehen auch noch an einem ganz besonderen Platz, was ihnen natürlich noch einen besonderen Nimbus verschafft, hörte ich hinter mir die Stimme:

„Verzeiht, mein Herr.

Darf ich fragen, was Ihr an den Bäumen zu tun habt?“

Als ich mich umdrehte, stand dort ein Mann ungefähr in meinem Alter und musterte mich neugierig.

Gut gekleidet war er, das fiel mir auf, und einen ernsten Blick hatte er. Ernst und auch ein wenig streng.

Er war sehr höflich, aber etwas in seiner Stimme verriet mir, dass er es gewohnt war, das Sagen zu haben und auch in irgendeiner Weise die Berechtigung, mich nach meinem Treiben hier oben zu befragen.

Wie albern kam ich mir vor! Wie muss das denn ausgesehen haben:

Ein Mann in den besten Jahren im schwarzen Reisemantel mit Hut und Stiefeln, das nicht gerade billige Gefährt mit dem hübschen Braunen, der eine sehr gute Figur machte (kein Wunder, kam er doch aus den Ställen der Wolfsburg) und steht da mit einem Messerchen in der Hand, um auf der Richtstätte die Bäume zu misshandeln.

Ich fühlte mich wie ein kleiner dummer Junge, der beim Naschen am Rahm erwischt worden war und ich fürchte, ich habe ganz rote Ohren bekommen. Was musste der Mann sich bloß denken beim Anblick meiner Person.

Natürlich haben Richtstätten immer eine besondere Ausstrahlung und nicht wenige Menschen glauben, dass dort Dinge zu finden sind, die ihnen Glück bringen oder Unheil abwenden.

Gerne wird in der Erde gegraben und nach Knöchelchen gesucht, die man den Gerichteten zuordnen kann, auch wenn sie einem Hasen gehört haben, der hier von irgendeinem Tier erlegt wurde.

Dann werden die Knochen heimlich nach Hause geschafft und in kleinen Behältern um den Hals getragen in der Hoffnung, dass sie Segen über ihren Finder bringen. Und natürlich ist das alles alberner Glaube und ein Mann, der heimlich auf der Richtstätte an Baumrinden herumschnitzt, darf sicherlich ebenfalls als albern betrachtet werden.

„Ich, ehem, ja.....“

Du liebe Güte, was sollte ich dem Mann jetzt erklären. Wenn er der herzögliche Förster war, würde er wenig Verständnis für mein seltsames Tun haben.

„Ich, also, mein Name ist Pfeffer.

Hans Pfeffer aus Braunschweig und ich kam gerade hier vorbei, als ich die Nadelbäume hier sah und mir dachte, ich.....“

„Hans Pfeffer? Aus Braunschweig? Seid Ihr etwa der Hans Pfeffer? Der von Vorsfelde, von dem man erzählt, er habe sich jetzt in Braunschweig niedergelassen?“

„Ja, genau der bin ich. Woher wisst Ihr meinen Namen?“

„Willkommen auf meiner Richtstätte!

Mein Name ist Hans Adam, herzöglicher Scharfrichter zu Wolfenbüttel. Ich habe schon so viel von Euch gehört, aber dass ich Euch gerade hier oben einmal persönlich kennenlernen würde, nun, das hätte ich doch nicht gedacht.

Ihr seid noch nicht allzu lange in der Stadt, bin ich da recht informiert? Was ist denn mit dem alten Fröling? Lebt der etwa nicht mehr?“

Wir kamen ins Plaudern, redeten über Fröling und seinen Zustand, über seine Art, mit den Menschen umzugehen, über Peter Brauns, den der Hans Adam bei irgendeiner Gelegenheit kennen- und schätzengelernt hatte, über diesen und jenen Menschen, den man kannte oder zumindest schon von ihm gehört hatte und am Ende lud mich mein neuer Bekannter ein, bei ihm in Groß Stöckheim einzukehren, wo seine Frau bestimmt schon das Essen vorbereitet habe und mit einem guten Roten auf dieses besondere Zusammentreffen angestoßen werden sollte.

So kam ich in das alte, schlichte Haus, das der Hans mit seiner Frau und einem Sohn, vielleicht sechs oder sieben Jahre alt, in dem Ort Groß Stöckheim bewohnte.

Ein wenig eng war es dort, verglichen mit dem großen Haus in der Echternstraße, aber ausgesprochen behaglich.

Seine Frau, eine Elisabeth aus Schöppenstedt, war eine hübsche Erscheinung, die mich sofort auf eine Bank in der Küche nötigte und einen Becher vor mich hinstellte mit den Worten:

“Willkommen in unserem bescheidenen Heim, Herr Pfeffer. Es ist uns eine Ehre, dass Ihr uns hier besuchen kommt.“

Wir schwätzten über alles Mögliche, ich erfuhr, dass Hans Adam vor ein paar Jahren aus Bremen in unsere Gegend gekommen war und die Witwe Voss mit mehreren Kindern geheiratet hatte.

Ein Teil davon war nach ihrem Tod über die weit verzweigte Verwandtschaft verteilt worden, nur ein Henrich, der älteste Sohn des alten Voss, lebte hier im Hause und ging seinem Stiefvater als Lehrling zur Hand.

Einen gemeinsamen Sohn hatten sie auch, der ebenfalls Hans hieß, aber immer nur „der Lütte“ genannt wurde. Ein braver Junge war das, ein bisschen langweilig für meinen Geschmack, aber nun denn, was gingen mich die Kinder anderer Leute an.

Der Henrich dagegen war ein großgewachsener Kerl mit dunklen, dichten Haaren und einem Lachen, bei dem er alle seine Zähne zeigte. Er war einer dieser Menschen, denen man schon wegen ihres Aussehens schlecht widerstehen kann, obwohl ich den Eindruck hatte, als sei er auch ein wenig oberflächlich.

Er lachte und scherzte und mokierte sich über andere Menschen, besonders gern über die Gerichteten, was mir persönlich nicht so gut gefallen hat, aber es steht mir natürlich nicht zu, Menschen zu beurteilen, in deren Haus ich zu Gast bin.

Die Unterhaltung mit Hans Adam dagegen war ausgesprochen bekömmlich und es dauerte gar nicht lange, da nannte ich ihn „Hans“ und er mich auch und als ich zu später Stunde bemerkte, dass ich jetzt aber doch so langsam meinen Gaul wieder in Richtung Heimat bewegen müsste, da erklärte er mir, es sei Platz oben und ich könne genauso gut in Groß Stöckheim übernachten und erst am anderen Tag ausgeruht und frisch nach Braunschweig zurückkehren.

Um ehrlich zu sein, ich war froh über das Angebot, denn ich glaube nicht, dass ich noch allzu gut in der Lage gewesen wäre, meinen Gaul geradeaus nach Braunschweig zu lenken. Nachdem also diese Frage geklärt war, gab es keinen Grund mehr, nicht noch eine Bouteille zu köpfen und über die Dinge, die unsereins so bewegen, zu schwatzen.

Frau Elisabeth war längst ins Bett verschwunden und auch Henrich, der offensichtlich gern mal einen Becher leerte, hatte sich verabschiedet, so dass Hans und ich in trauter Gemeinsamkeit über dies und das noch sprechen konnten.

Ich erinnere mich noch vage, dass er zu irgendeiner späten Stunde dann doch einmal wissen wollte, was ich denn nun an den Bäumen oben auf der Richtstätte zu schnitzen gehabt hätte und bei dem Versuch, ihm zu erklären, dass ich auf der Suche nach Baumharz war, müssen wir uns wohl eingestanden haben, dass keiner von uns Beiden mehr in der Lage war, ein vernünftiges Wort hervorzubringen, so dass wir schließlich Arm in Arm die enge Stiege nach oben kletterten, wo ich auf ein Bett in einer kleinen Kammer sank, auf dem ich spät am nächsten Tag mit einem fürchterlichen Brummschädel wieder aufwachte.

Ja, so war sie gewesen, meine erste Begegnung mit meinem Mitmeister Hans Adam, aus der dann später eine enge Freundschaft entstanden ist, die schließlich dazu führte, dass er mir seinen zweiten Stiefsohn, den David, ins Haus brachte, der sich, trotz aller anfänglicher Schwierigkeiten, zu einem angenehmen Gesellen und freundlichen Begleiter meiner Frau entwickelt hat.

Und so kam ich zu der weniger angenehmen Angelegenheit, die meine Schwester mir eingebrockte, indem sie mir ausgerechnet von der netten Elisabeth aus Groß Stöckheim eine Cousine oder irgend etwas in der Art in mein Haus schleppte, in der unausgesprochenen, aber doch wohl klar auf der Hand liegenden Absicht, dass ich das, zugegebenermaßen recht hübsche, Mädchen eines Tages schon heiraten würde.

Das war sicherlich gut gemeint von meiner Schwester, aber woher soll sie auch meine tief sitzende Abneigung gegen die Ehe im Allgemeinen und blonde Frauen, die mir aufgedrängt werden, im Besonderen kennen. Es war eine gute Entscheidung gewesen, so schnell wie möglich anzuspannen und hinüberzufahren, um mit dem Hans ein klärendes Wort zu reden, denn die Geschichte hatte schon mächtig viel Staub aufgewirbelt.

Es blieb nicht aus, dass ich noch einmal die ganze Sache mit der Magdalena und ihrem zwanghaften Verhalten zum Besten geben musste, was dazu führte, dass ich erneut in der kleinen Kammer oben landete, um dort meinen Rausch auszuschlafen, den wir uns unter vielem Lachen und sicherlich auch derben Scherzen, wie sie unter Männern eben üblich sind, angetrunken hatten.

Zum Glück hatte Hans Verständnis für mich und seine Frau Elisabeth nahm es mir nicht weiter übel, dass ich ihre Verwandte so düpiert hatte, packte mir für die Heimfahrt einen feinen Apfelkuchen ein und ließ mich versprechen, recht bald wieder Gast im Hause zu sein.

Was war ich erleichtert! Eine solche Freundschaft für eine blonde Gestalt im weißen Hemd aufs Spiel zu setzen, das hätte mir doch sehr Leid getan.

Etwas schwieriger war es schon gewesen, mit meiner Schwester wieder ins Reine zu kommen, denn die hatte nicht ganz so viel Verständnis für mein „unmögliches Betragen“, wie sie jedes Mal schimpfte, wenn sie von dem Thema anfing.

Aber irgendwann wuchs Gras über die Geschichte und es blieb eine Anekdote, die man später gerne auf allen möglichen Feiern erzählte und die sich irgendwann so anhörte, als hätte der böse Prinz die schöne Maid verschmäht, wofür er sein Leben bis zu seinem Ende als garstiges Ungeheuer fristen musste.

Kaufmann Fröhlich
Braunschweig, Güldenstraße

Nun gut, das Leben ging weiter und gestaltete sich recht behaglich in dem großen Haus, nur noch unterbrochen von dem Tod des alten Fröling, der nach vielen Monaten hingebungsvoller Pflege durch seine Frau Schädrig den letzten Atemzug tat.

Die arme Frau war etwas in Sorge, dass ich sie nun auf die Straße setzen würde, denn selbst ihr war nicht verborgen geblieben, wie wenig zuvorkommend sie sich mir gegenüber verhalten hatte.

In ihrem Alter wäre ihr da nicht mehr viel geblieben, als sich zu den guten Frauen oben auf dem Klint zu begeben, um dort den Rest ihres Lebens unter deren Fuchtel zu beten und Unkraut zu jäten.

Nun mag es sicherlich Menschen geben, die mich für einen unnahbaren Gesellen halten und für einen, mit dem nicht gut Kirschen essen ist.

Ich weiß nicht, warum das so ist, aber es ist eben so.

Ich weiß auch, dass es Menschen gibt, die sich vor mir ein wenig fürchten, obwohl ich mir nicht vorstellen kann, was ihnen dazu Anlass gibt.

Dennoch tun sie es und wie ich von Brauns erfahren hatte, wurde schon darüber geredet, dass der „finstere junge Mann von der Echternstraße“, wie ich offensichtlich genannt wurde, kein Erbarmen mit der armen Frau haben und sie zu den Alten abschieben würde.

Wie kommen die Menschen eigentlich immer zu ihren Einschätzungen? Was habe ich, Hans Pfeffer, getan, einen solchen Eindruck zu erwecken? Stets habe ich mich an die Regeln meines Meisters gehalten und niemals versucht, einem Menschen unnötig Leid zuzufügen.

Ganz im Gegenteil!

Es war mir immer ein Anliegen, ihnen so wenig Schmerzen wie nur irgend möglich zu bereiten, und diese Geschichte mit dem Verbrennen des Harzes war ja nicht die einzige Idee, die ich entwickelte, um einerseits die peinlichen Befragungen für die Herren des Rates besonders eindrucksvoll, für die Delinquenten aber besonders erträglich zu gestalten.

Im Laufe meiner Jahre in Braunschweig habe ich noch viele weitere Versuche unternommen, Szenarien zu schaffen, die möglichst schauerlich daherkommen, den Gepiesackten aber keine besonders schlimmen Verletzungen zufügen.

Vielleicht sind es diese Szenarien, die mir den Ruf eingetragen haben, ich sei ein ganz besonders finsterer Geselle, vor dem man Angst haben muss und vielleicht hat die Frau Schädrig auch ihren Teil dazu beigetragen, dieses Bild von mir zu verbreiten, indem sie hier und dort auf dem Markt die eine oder andere Geschichte erzählt hat, wie zum Beispiel die vom hartherzigen Mann, der die schöne Fee nicht haben wollte.

Ich hatte eigentlich nie die Idee, die arme Frau nach irgendwo abzuschieben, aber nach dem Gespräch mit Brauns erschien es mir notwendig, ihr das nun auch ganz offiziell mitzuteilen.

Wobei ich gestehen muss, dass ich nun doch ein ganz bisschen boshaft war und sie einige Tage im Ungewissen ließ.

Erst einmal sollte die Beerdigung auf Michaelis stattfinden, zu der außer Frau Schädrig, Rosa und mir noch ein paar alte Herren, die den Meister gut gekannt hatten, erschienen waren, und dann würde man mal sehen.

Ich hatte, wenn ich ehrlich bin, eine ganz kleine heimliche Freude daran, wie die alte Köchin auf einmal ganz angelegentlich um mich herumschlich und meinte, mir alle möglichen Wünsche von den Augen ablesen zu müssen.

Herr Pfeffer hier, Herr Pfeffer dort... Ständig hatte sie eine neue Idee, wie sie mir das Leben angenehm gestalten könnte, wo ich doch eigentlich ein Mensch bin, der sehr bescheiden in seinen Ansprüchen ist.

Das Einzige, was mir wirklich wichtig ist, ist meine Ruhe, und genau die zu verschaffen war jetzt nicht der Schädrig Ding.

Sie wollte mich am Tisch sehen und Gesellschaften im Hause haben und diesen Menschen einladen und jenen ins Haus bitten und sie würde auch kochen und ganz wunderbare Zusammenstellungen kreieren...

Nachdem ich sie eine Weile hatte zappeln lassen, erklärte ich ihr, dass sie im Hause weiterhin die Geschäfte führen und das Notwendige tun solle, den Haushalt am Laufen zu halten, aber ansonsten solle sie sich nicht darauf einrichten, dass jetzt große Dinge passieren würden.

„Wenn ich abends in meiner Stube sitze und Ihr mir das Essen hinaufbringen könntet, wäre ich schon sehr zufrieden, Frau Schädrig. Ansonsten schaut darauf, dass die Rosa das Haus in Ordnung hält und damit soll es auch gut sein.“

Sie hatte verstanden und war erleichtert, was nicht zu übersehen war. Das Haus auf dem Klint blieb ihr vorerst erspart und sie war froh, dass sie in ihrer gewohnten Umgebung weiter leben konnte.

Meine kleine Gehässigkeit ihr gegenüber wurde mir auch gleich heimgezahlt, indem der Rat der Stadt ebenfalls beschloss, zunächst einmal die Bestallung eines neuen Scharfrichters für die Altstadt auf die lange Bank zu schieben und den ungemütlichen Herrn Pfeffer ein wenig zappeln zu lassen.

So ganz so ehrerbietig, wie man sich einen Menschen in dieser Position vorstellte, war ich wohl in ihren Augen nicht und sie erklärten mir schon, dass man doch nicht gleich den ersten Besten nehmen könne, nur weil er schon ganz zufällig in dem Hause des alten Meisters lebte.

Nein, man wolle doch noch einmal Ausschau halten und sehen, wer sich für das Amt noch so bewerben würde. Und dann könne ich ja immer noch meinen Hut in den Ring werfen, was auch immer das heißen sollte, und beweisen, dass ich die beste Wahl bin.

Ich war ziemlich ungehalten wegen dieser Ansage, hatte ich es doch eigentlich nicht nötig, mir solche Dinge anzuhören. Ich war zu der Zeit immer noch der ordentlich bestallte Scharfrichter auf Vorsfelde und stand in bestem Einvernehmen mit meinem Dienstherrn.

Die Tatsache, dass ich hier freundlicherweise ausgeholfen und der Stadt unnötige Ausgaben erspart hatte, sollte wohl plötzlich keine Rolle mehr spielen.

Nun gut. Dann eben nicht!

Dann würde ich zurückgehen nach Vorsfelde und hier in Braunschweig sollten sie sich einen suchen, der ihnen genehmer war und vielleicht ein bisschen besser buckeln konnte.

Ich für meine Person war jedenfalls nicht bereit, mich mit irgendwelchen Konkurrenten zu messen und zu beweisen, dass ich besser bin als andere.

So etwas liegt mir nicht und ich habe keine Lust, mir solche Dinge anzutun.

Peter Brauns war es schließlich gewesen, der dem Treiben ein Ende machte, indem er dem Rat vor Augen hielt, dass die Bestallung eines neuen Henkers für die Altstadt aus seiner Sicht völlig überflüssig wäre.

Er selber sei jetzt in einem Alter, in dem er darüber nachdenken müsse, das Amt abzugeben und er halte es für mehr als vernünftig, die Ämter der Altstadt und des Hagen zusammenzulegen und den schon gut eingeführten jungen Mann, seinen ehemaligen Lehrjungen, zu gegebener Zeit einzusetzen.

Für ein Zeugnis des Herrn von der Wolfsburg wolle er schon sorgen und damit seien auch die Herren des Rates sicherlich einverstanden, denn wer will schon irgend einen dahergelaufenen Gesellen in der Stadt haben, dessen Reputation mehr als zweifelhaft ist.

Aber bevor es dazu kam, dass ich tatsächlich die beiden Ämter übernehmen konnte, geschah etwas, das in der Folge dafür sorgen sollte, dass ich alle meine Vorsätze über den Haufen werfen würde.

Es muss irgendwann um die Zeit gewesen sein, bevor bei uns in Braunschweig die große Pestilenz ausgebrochen ist.

Also vielleicht um das Jahr 1656 herum, so genau weiß ich das leider nicht mehr, da könnte meine herzgeliebte Frau sicherlich sehr viel genauer Auskunft geben.

Ich erinnere mich noch, dass an einem kalten, regnerischen Abend jemand heftig an die Tür klopfte und kurz darauf die Rosa bei mir in der Stube erschien, um mir mitzuteilen, unten sei die Magd eines Herrn Fröhlich und die sei ganz aufgeregt.

Ihr Dienstherr liege sehr krank und fürchterlich leidend auf seinem Lager und man wisse nicht mehr aus noch ein und jetzt habe man beschlossen, den Henker zu Hilfe zu rufen, nachdem alle Ärzte der Stadt dem armen Herrn keine Linderung hatten bringen können.

Ob ich denn wohl so gütig sein könnte, einmal nach dem Herrn zu sehen.

„Wie soll der Herr heißen?“, fragte ich die kleine Rosa, die mit der Frage wohl ein wenig überfordert war.

„Ich hab' „Fröhlich“ verstanden, aber ganz sicher bin ich da nich'.

Ich jedenfalls kenn' keinen Fröhlich und die Magd unten kenn' ich auch nich'. Keine Ahnung, warum se ausgerechnet hierher kommt.“

„Soll das jetzt heißen, dass ich hinuntergehen muss, um mir anzuhören, was die Magd irgendeines uns unbekannten Mannes zu sagen hat?“

„Ich könnt' se raufbitten. Wär das recht?

So schnell konnte ich gar nicht antworten, da war sie mit dem Mädchen im Schlepptau schon wieder oben.

Herrjee, Rosa. Wann lernt sie es endlich.

Ich habe einfach keine Zeit, mich um die Belange völlig fremder Menschen zu kümmern.

Und auch keine Lust dazu, aber in Gegenwart der Magd konnte ich das schlecht laut sagen.

Die stand im Türrahmen, fummelte an ihrer Schürze herum und traute sich nicht, ein Mal den Blick zu erheben, bis ich schließlich etwas entnervt fragte, wer sie denn wohl ist und was sie von mir will.

„Ich bin die Marie, werter Herr, die Marie von der Güldenstraße aus dem Hause des Herrn Fröhlich, dem Kaufmann....“

Weiter kam sie nicht, begann zu schluchzen und drehte ihre Schürze, bis die nur noch aus einem einzigen dicken Ende zu bestehen schien.

„Was ist mit deinem Herrn, diesem Fröhlich, Marie, und warum kommst du ausgerechnet zu mir? Weißt du nicht, wer ich bin?“

„Ick weeß, dat ji de Henner seyd und ick weeß, dat ji wissen dait, wat do doan is, wenn de Schmerzen nich obhören wölt. Ich kenn ji vonne Beginen her und dor hebt se jümmers den Henner holt, wenn se nich mehr eyn- und ausweten deit. Se möt us helfen, Meester, de arme Mensch is so perdü, de schreit und klaacht den ganzen Daach aal över und ick hebb secht, bi us hebbt de jümmers den Henner holt und nu hät de Fru secht, ick schal in Gottes Namen den Henner holn. Un nu bin ick allheer und je müss mitkomm to min Herrn, denn de hätt so grode Schmerzen und de könn ihm nich helfen nich.“

Ach du liebe Güte, was für ein wirres Gerede.

Das Mädchen dort also kannte mich offensichtlich von den Beginen, wo sie aufgewachsen und zu gegebener Zeit an ihre Herrschaft vermittelt worden war.

Und sie wusste auch, dass man im Beginenhaus immer erst einmal nach mir rief, wenn irgendeine Malässe zu beklagen war, sind sich doch die Ärzte der Stadt zu fein, in das Haus zu gehen und die Frauen zu behandeln, die nach ihrem Geschmack ein wenig zu freizügig ihr Leben gestalten.

Man hatte als Frau gefälligst zu heiraten und sich dem Willen eines Mannes zu unterwerfen und nicht in einem Haus zu leben, in dem Jede von diesen Weibern tun und lassen konnte, was sie wollte.

So etwas konnte man nicht durchgehen lassen und schon gar nicht unterstützen, indem man die Frauen, wenn sie irgendeine Krankheit hatten, auch noch behandelte.

Darum hatte es sich eingebürgert, dass die Frauen mal eben schnell um die Ecke in die Echternstraße liefen und an meiner Tür klopften, ob ich ihnen nicht in dieser oder jener Angelegenheit behilflich sein könnte.

Nun ja, natürlich gehe ich hin und sehe nach, was zu tun ist, behandele ihre Blessuren oder ein Hämatom, das ganz offensichtlich von der Behandlung durch einen nicht sehr feinfühligen Ehemann herrührte, den man verlassen hatte, weil er doch gar zu arg zugeschlagen hatte.

Im Beginenhaus finden die Frauen Aufnahme und verdienen ihren Lebensunterhalt mit den Arbeiten, die sie den Braunschweiger Bürgern anbieten.

Sie sind nicht gerade sehr geachtet, aber es geht ihnen offensichtlich immer noch besser als in ihrem Heim, wo sie sich gefallen lassen müssen, von ihren Männern geschlagen und verletzt zu werden.

Sei es, wie es sei.

Das Mädchen war jetzt etwas mutiger geworden und redete schon wieder weiter:

„De Heer, Meester, de jammert und klaacht aal den ganzen Daach över und sin Foot, de is so dick un rod, ji glöövt dat nich. Ick weeß nich, wat he hebbt und de Midiziners weet dat ook nich und de Fru, de Dochter, de Regina Fröhlich, hätt secht, ick schall nu in Gottes Namen de Henner holn. Bitte, min Herr, kömmt röber und mokt wat. Dat is nich zum Aushalten mit jüm Heern.“

Was sollte ich machen.

Einfach nicht reagieren wäre unhöflich gewesen.

Das junge Ding da unverrichteter Dinge wieder nach Hause schicken?

Wie hätte sie denn dagestanden vor ihrer Herrschaft, wo sie doch gerade eben den Henker so hochgelobt hatte.

Ich seufzte.

„Sech hem, ick komm morgen röber, min Deern. Bis dahin wird hey leven, oder?“

„Ja, Meester Pfeffer, dat wird he schaffen, dat gloob ick wool. Veeln Dank ook vör dat Verspreken.“

Zur Mittagszeit am nächsten Tag hatte ich einen kleinen Abstecher zur Güldenstraße gemacht, da die sowieso auf dem Weg zum Altstadtrathaus liegt.

Als ich im Hause Fröhlich an die Tür klopfte, war mir von einer älteren Matrone mit spitzem Mund geöffnet worden, die etwas pikiert fragte, was wohl mein Begehr wäre.

„Ich bin bestellt zu Eurem Herrn und ich werde jetzt nach ihm sehen, wenn es recht ist.“

„Ach ja?“ meinte die Dame bemerken zu müssen und ich war schon kurz davor, wieder aus dem Hause zu verschwinden, als ich von hinten eine Stimme hörte:

„Ist das der Herr Pfeffer? Der Henker?

Der soll gleich vorgelassen werden und nach dem Herrn sehen. Die Tochter hat es angeordnet.“

So kam ich in das sehr komfortable Haus in der Güldenstraße.

In einem Raum im oberen Geschoss lag der Hausherr laut klagend und jammernd auf seinem Bett und hatte offensichtlich große Schmerzen.

Am Kopfende saß eine junge Frau mit dunklen Haaren, die mich ein wenig misstrauisch beäugte.

„Einen guten Tag, Herr Fröhlich!“, begrüßte ich den Mann im Bett. „Mein Name ist Hans Pfeffer.

Ich bin der Henker dieser Stadt und man hat mich gebeten, nach Euch zu sehen.

Darf ich fragen, welche Beschwerden Ihr habt und warum Ihr ausgerechnet mich gerufen habt?“

Der Mann sah nicht sehr gesund aus und ich muss sagen, gleich auf den ersten Blick hin habe ich gedacht, ein paar Gramm weniger würden dem auch nicht schaden.

Er war ausgesprochen gut genährt, will sagen, er war ziemlich fett gefressen und auf der Decke lag ein Bein mit einem hochroten Fuß, der ihm ganz offensichtlich Schmerzen bereitete.

„Säufergicht“, ging es mir sofort durch den Kopf. Das sagte ich ihm natürlich nicht, sondern untersuchte erst einmal vorsichtig seinen Fuß, während er vor sich hinwimmerte, um ihn dann zu fragen, ob er in letzter Zeit vielleicht große Mengen Alkohol zu sich genommen hatte.

Er wollte mir gerade antworten, als sich die junge Frau am Kopfende zu Wort meldete.

„Jetzt werdet aber bitte nicht unverschämt, mein Herr.

Wir haben Euch in unser Haus geholt, weil man behauptet, Ihr seid besonders versiert in der Behandlung von Leiden dieser Art, aber Ihr werdet meinen Vater nicht mit solchen Fragen behelligen, damit das klar ist!“

Was war das denn!

Erst bestellte man mich hierher, als hätte ich wirklich nichts Anderes um die Ohren als das Gejammere fett gefressener Kaufleute, und jetzt das!

Wer war die Frau da überhaupt, die offensichtlich glaubte, mich zurechtweisen zu dürfen?

Die Tochter vielleicht? Vom Alter her konnte es passen.

Ziemlich jung noch, nicht unschön, aber eben auch nicht besonders aufregend.

Ihre dunklen Haare hatte sie aufgesteckt und hier im Hause trug sie natürlich auch keine Haube.

Was mir an ihr auffiel, waren die Augen.

Solche dunklen, funkelnden Augen hatte ich zuvor noch nie gesehen. Sie guckte recht böse in meine Richtung und gab mir zu verstehen, dass hier in diesem Raum sie das Sagen hatte.

Sie, und sonst nirgendwer.

Und ich, der blöde Henker, hatte zu gehorchen und keine Fragen zu stellen, die sie für überflüssig hielt.

Die konnte mich mal gerne haben und ich beschloss, sie einfach nicht weiter zu beachten, sondern mich mit dem Patienten zu beschäftigen.

„Herr Fröhlich, seid doch bitte so freundlich und erzählt mir, was geschehen ist, damit ich mir ein Bild machen kann.

Seit wann habt Ihr diese Beschwerden und wodurch wurden sie ausgelöst?

So weit ich das verstanden habe, waren die Ärzte bereits hier und haben Euch behandelt. Warum habt Ihr jetzt noch nach mir schicken lassen?“

„Die Ärzte! Pah! Seht mich doch an! Sehe ich aus wie ein gesunder Mann?

Das Geld, das haben sie genommen für ihre Tinkturen und Aderlässe und was weiß ich, was die noch alles angewendet haben. Und?

Nichts ist geschehen, gar nichts. Keinen Deut hat es sich gebessert. Alles nichtsnutzige Strauchdiebe!“

„Vater! So etwas dürft Ihr nicht sagen!

Sie haben sich sehr bemüht und ich habe diesen Mann lediglich rufen lassen, weil...“

So langsam ging mir das Frauenzimmer jetzt doch auf die Nerven.

Am besten verschwand sie einfach aus dem Raum und ließ mich mit dem Patienten allein.

Das konnte ich ihr natürlich schlecht sagen, aber einen bitterbösen Blick, den hatte ich noch für sie übrig.

Sie zuckte richtig zusammen und ich freute mich, dass sie es offensichtlich mit der Angst bekam. Jedenfalls war sie endlich still, wenn sie auch leider keine Anstalten machte, zu verschwinden.

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