Loe raamatut: «test», lehekülg 5

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Nun gut, dann eben nicht.

Herr Fröhlich dagegen erzählte mir, wie er an einem Gildeabend mit reichlich Wurst und Kraut und vielen vielen Schoppen Wein auf dem Nachhauseweg über irgendetwas gestolpert war.

Genauer konnte er sich nicht mehr erinnern, er wusste nicht einmal mehr, wie er es zurück in sein Haus geschafft hatte, in dem er am nächsten Tag mit einem schmerzenden Zeh aufwachte.

„Ist Euch das auch schon mal so ergangen, junger Mann, dass Ihr nicht mehr wisst, wie Ihr heißt, aber die Füße seltsamerweise immer noch den Weg ganz allein nach Hause finden?“

Na also, er konnte schon wieder Scherze machen, während die Tochter gerade versuchte, eine Bemerkung zu unterdrücken, indem sie die Lippen zusammenkniff und laut ausatmete.

„Das kenne ich auch. Seltsam, oder?

Da denkt man, der Verstand sitzt im Kopf, und plötzlich stellt man fest, dass er wohl doch eher in den Füßen beheimatet ist.

Nun denn, Ihr seid also über etwas gestolpert und habt Euch den Fuß gestoßen. Und dann wurde der Fuß dick und fing an zu schmerzen.“

„Genau so war es.

Man hat den Apotheker gerufen und der meinte, alles halb so schlimm, Herr Fröhlich.

Ich lasse Euch jetzt mal eine Salbe da aus Arnikablüten und nach einer Woche sollte alles wieder gut sein.“

Die Salbe hat er hier gelassen und mein Geld mitgenommen, aber nach einer Woche war es schlimmer als zuvor.

Da hat man nach dem Medicus geschickt, der mit seinen Blutegeln ankam und diese widerwärtigen Viecher an meinen Fuß gesetzt hat. Aber die dummen Tiere haben auch nichts zuwege gebracht.

Und dann kommt der mit seinen Schröpfgläsern!

Hat Euch schon einmal jemand ein heißes Schröpfglas auf einen geschwollenen Fuß gesetzt? Ich wünsche Euch nicht, dass Ihr solche Schmerzen je erleben müsst! Wenn ich doch nur etwas beweglicher wäre, ich hätte den Kerl umgebracht!“

„Vater.....“

„Was glaubt Ihr wohl, was für Schmerzen das sind! Unerträglich!!

Ich habe mir die Seele aus dem Leib geschrien und der Kerl hat das Weite gesucht. Und nun seid Ihr hier und ich warne Euch.

Wehe, Ihr packt gleich eines Eurer Folterinstrumente aus. Dann erwürge ich Euch eigenhändig, das verspreche ich Euch!“

Ich musste lächeln bei seinem Ausbruch.

Er hatte, zumindest für einen kurzen Moment, seine Schmerzen ein wenig vergessen und konnte schon wieder ganz wunderbar schimpfen. Das würde zumindest seinem Gemüt guttun, für seinen Fuß musste eine andere Behandlung her.

„Herr Fröhlich, ich kann Euch beruhigen.

Ich werde Euren armen Fuß nicht traktieren. Ich sage Euch, was Ihr habt, und wenn Ihr Euch an meine Anweisungen haltet, werdet ihr in einiger Zeit wieder in der Lage sein, vernünftig auf und ab zu gehen.

Aber ich sage es Euch gleich, es wird nicht einfach werden und vielleicht wollt Ihr dann doch lieber die Schröpfgläser bemühen.“

„Na los, lasst hören!

Was wollt Ihr mit mir machen?“

„Ich will Klartext sprechen: Ihr habt recht wohl gelebt in den letzten Jahren und das ist Euch nicht gut bekommen.

Zu allem Überfluss habt Ihr auch noch in den letzten Tagen reichlich Alkohol genossen in Verbindung mit fettem Fleisch und Innereien.

Das nimmt Euch Euer Körper übel!

So war das zu allen Zeiten.

Ihr seid nicht der Erste, der von dieser Unannehmlichkeit befallen wird. Schaut in die Geschichte!

Da findet man bedeutende Männer, alle gut situiert, die die gleichen Malässen auszuhalten gehabt haben. Nicht zum Spaß spricht man von der „Krankheit der Kaiser“. Schon im alten Rom gab es diese Erscheinung, und der römische Kaiser ….“

„Herr Pfeffer!

Eure römischen Exkurse interessieren mich im Moment nicht so besonders. Erklärt mir einfach, was getan werden kann, damit ich dieses unerträgliche Leiden wieder loswerde.“

Schade eigentlich.

Interessiere ich mich doch gerade ganz besonders für die Schriften der Antike, in denen viele Dinge, die wir heute gelegentlich für unverständlich halten, schon beschrieben werden.

So auch diese Krankheit, die im Altertum erfolgreich behandelt wurde mit einem Sud aus Holunderblüten und einigen anderen Zutaten sowie einer Diät, bestehend aus klarem Wasser und getrocknetem Brot, und das über mindestens vierzig Tage.

Das erklärte ich dem Leidenden, schrieb der Tochter, die nach meinem (wie sie mir später erzählte) sehr finsteren Blick den Mund gehalten hatte und der Unterredung still gefolgt war, die Zutaten für das Holundergebräu auf und erklärte ihr, dass der Vater in den nächsten vierzig Tagen nur noch von trockenem Brot und reinem Wasser zu ernähren sei.

Wenn man bereit sei, das durchzuhalten, werde sich eine Besserung der Beschwerden einstellen. Wenn nicht, nun, dann eben nicht.

Ich verabschiedete mich und war mir ziemlich sicher, dass man mich dort nie mehr würde sehen wollen, ging meinen Geschäften nach und vergaß das Haus in der Güldenstraße.

Wie erstaunt war ich, als ich vielleicht zwei oder drei Monate später die Nachricht erhielt, ich solle mich bei dem Kaufmann Fröhlich einfinden, er habe mit mir zu reden.

Es mag ja nun in diesen Kreisen üblich sein, dass man glaubt, Leute wie ich, die haben zu springen und zu gehorchen und zu erscheinen, wenn man es wünscht.

Aber bei aller Liebe, das habe ich nun wirklich nicht nötig.

Wenn jemand mich zu sprechen wünscht, kann er zu mir kommen, und wenn ich dann noch ein wenig Zeit erübrigen kann und vor allem interessiert bin an einem Menschen, dann wird er vielleicht auch noch in meine Stube geführt.

Aber antanzen, wenn ein Kaufmann es wünscht?

Nein, ganz gewiss nicht.

Der Kaufmann Fröhlich allerdings schien ein wirkliches Interesse daran zu haben, mich zu sprechen, denn er schickte mehrfach nach mir und zu irgendeinem Zeitpunkt erschien es mir nicht mehr taktvoll, einen Besuch zu vermeiden.

Ich begab mich also noch einmal in die Güldenstraße, wurde dort empfangen wie ein ganz besonderer Gast, sofort und ohne jede Verzögerung in das Comptor geführt und fand dort einen sehr vergnügten, gesunden und gut aufgelegten Kaufmann vor, der mir mit ausgebreiteten Armen entgegen kam und sich bedankte, dass ich seinen mehrfachen Einladungen jetzt doch Folge geleistet hatte.

„Mein lieber Herr Pfeffer!

Ihr wisst ja gar nicht, wie sehr ich mich nach einem Besuch von Euch gesehnt habe!

Ich möchte Euch tausend Mal danken für die Ratschläge, die Ihr mir erteilt habt! Ihr seht vor Euch einen Mann, der wieder in seiner vollen Schaffenskraft steht und die Belange seines Hauses führen kann, wie ich es in den letzten Jahren nicht gekonnt habe!

Ich bin ein neuer, ein anderer Mensch geworden. Und das habe ich Euch........“

Ja, ja. Es war ja gut.

Solche großen Worte mag ich nicht leiden und darum war ich unhöflich und bat den Herrn Fröhlich, aufzuhören mit dem Geseiere.

Er guckte mich ein wenig verdutzt an und fing dann laut an zu lachen.

„Ihr seid mir aber wirklich ein etwas komischer Kauz, mein Lieber!

Euch um einen guten Ruf zu bemühen, habt Ihr wohl nicht sehr nötig, wie?

Na gut, dann soll es so sein.

Ich freue mich, dass Ihr mich erfolgreich behandelt habt, bin Euch dankbar dafür und werde Euch weiterempfehlen.

Ist das in Eurem Sinne?“

Ja, das war in meinem Sinne. Und auch, dass er mir anbot, wir könnten eigentlich noch eine schöne Pfeife anzünden und einen guten Port dazu genießen.

„Was meint Ihr, einen werde ich mir doch genehmigen dürfen, oder?“

Wir genehmigten uns einen behaglichen Abend mit interessanten Gesprächen über Gott und die Welt und als wir uns trennten, verabschiedete mich Herr Fröhlich an der Tür mit dem Wunsch, mich des Öfteren einmal als Gast begrüßen zu dürfen, denn solche Gesprächspartner habe es nicht allzu oft.

Ich war nach diesem Abend zufrieden in mein Haus zurückgekehrt und in der Folge hatte es noch mehrere dieser Einladungen gegeben, denen ich gerne gefolgt bin und an denen ich viel Freude hatte.

Ein grässlicher Fund

Die Tochter übrigens, die so brav am Bett ihres Vaters gesessen hatte, habe ich nie wieder im Hause gesehen.

Von ihr habe ich erst viel später wieder etwas gehört, und das unter ziemlich unerfreulichen Umständen.

Die gelegentlichen Einladungen beim Fröhlich waren das Eine, aber ich hatte eben auch andere Dinge zu tun, die mich beschäftigten.

Eine Geschichte, die mich sehr in Anspruch genommen hat, war die der Tochter des Otto Theune, dem Stadtvogt, mit dem ich beruflich viel zu tun hatte.

Eines Tages am frühen Nachmittag wurde mir gemeldet, dass „der Kanal“ verstopft wäre.

Die Pflege der Abwässer- und sonstigen Kanäle fällt nun einmal in meine Zuständigkeit und darum kam ich hinaus, um mich zu kümmern.

In der Nähe der Langen Brücke hatte man festgestellt, dass irgend etwas verklemmt war, das die Verstopfung verursachte.

So etwas kommt häufiger vor.

Meist sind es Baumstämme, deren Wurzeln unterspült werden, bis sie nicht mehr genügend Stand haben und dann einfach abstürzen, bis sie sich an einer engen Stelle verhaken und eine Stauung verursachen.

Von der Brücke aus konnte man nicht erkennen, was dieses Mal die Ursache sein könnte.

Also wies ich die Knechte an, in das Wasser unter der Brücke, das hier nicht allzu hoch steht, zu steigen und mit langen Stangen so lange herumzustochern, bis der Grund für die Verstopfung gefunden war.

Es brauchte eine ganze Zeit, bis endlich einer laut rief, er habe da etwas. Alle Mann wurden zu der Stelle beordert und mit vereinten Kräften schafften sie es, einen sackähnlichen Gegenstand herauszuziehen und an das Ufer zu bringen.

Neben der Brücke befindet sich eine Pferdetränke, über die der schwere Fund an Land gezogen werden konnte.

Dort lag er nun und ich bemerkte schon, wie die Knechte, eigentlich eher schlichte und raue Gesellen, vor diesem unförmigen Ding zurückwichen und keine rechten Anstalten machten, sich ihm zu nähern.

Ich weiß noch genau, dass auch ich ein seltsames Unbehagen verspürte und die Haare auf meinen Armen anfingen, sich aufzustellen.

So standen wir dort und starrten das Gebilde an, bis ich mich entschloss, der Sache ein Ende zu machen.

Ich zückte mein Messer, trat an den Sack heran und bemühte mich, das nasse, aufgequollene Gewebe zu durchtrennen.

„Oh nein, gute Jungfrau, lass es nicht wahr sein!“

Das war die Stimme von Otto Theune, grauenvoll hoch und unwirklich, während der schwere, große Mann neben dem Sack auf die Knie fiel, aus dem uns eine bleiche Gestalt mit langen, blonden Haaren, fürchterlich verfilzt und verknotet, mit nach oben verdrehten Pupillen ansah.

„Annabella! Annabella! Mein Kind! Mein armes Kind! Heilige Jungfrau! Wie konntest du....!“

Der arme Mann lag da und wimmerte zum Gottserbarmen, die Knechte wichen noch weiter zurück und versuchten, sich davonzuschleichen, was ich zunächst unterbinden musste, bevor ich mich um ihn kümmern konnte.

„Ihr kommt hierher, sofort!“, herrschte ich sie an und sie gehorchten, wenn auch äußerst widerwillig.

„Holt den Karren und Decken und dann bringt ihr das Mädchen in den Keller und wehe euch, wenn ich einen von euch verschwinden sehe. Abmarsch, Decken holen und den Karren. Habt ihr das verstanden?“

Sie murmelten etwas Unverständliches und schlichen die Böschung hinauf, um das Bestellte zu beschaffen, während ich mich neben Otto setzte und ihm die Hand auf die Schulter legte.

Es gab nichts zu sagen.

Hier lag seine Tochter, die Annabella, nach der er in den letzten zwei Wochen so verzweifelt gesucht hatte und deren Ende er wahrscheinlich seit genau dieser Zeit bereits vorausahnte.

Er hatte es mir erzählt, vor einiger Zeit schon, unten, im Keller des Altstadtrathauses, in dem wir auch unsere Torturen durchführen.

Otto Theune ist etliche Jahre älter als ich und gebürtiger Braunschweiger. Er kennt hier Alle und Jeden und hat seit vielen, vielen Jahren das Amt des Stadtvogtes inne.

Er kannte natürlich auch Peter Brauns und Claus Fröling, mit denen er fast sein ganzes Leben zusammengearbeitet hatte.

Als ich hier in Braunschweig auftauchte, war er zunächst sehr unzugänglich gewesen und konnte sich mit dem „jungen Schnösel“, der ich für ihn war, nicht so recht anfreunden.

Er benahm sich äußerst reserviert und fast schon ein wenig feindselig mir gegenüber und ich bin mir ziemlich sicher, dass der Ruf, der mir anhing, ich sei ein finsterer und besserwissriger Geselle, auch ein wenig auf seinem Mist gewachsen ist.

Es brauchte eine ziemlich lange Zeit, bis wir uns aneinander gewöhnten und er langsam anfing, mir einigermaßen zu vertrauen.

In einer einzigen Nacht dann waren wir uns näher gekommen, und seitdem kann ich mir keinen treueren Gesellen mehr vorstellen als ihn, diesen vom Leben so sehr geplagten Mann.

Einige Zeit vor unserem grausigen Fund hatte man irgendeine Tortur in die Abendstunden verlegt, während diese normalerweise eher am Vormittag stattfinden.

Ich war zur Stelle. Herr Theune, wie ich ihn da noch nannte, ebenfalls, wobei mir gleich auffiel, dass er sehr unruhig und irgendwie nicht bei der Sache war.

Nach einer kurzen peinlichen Befragung hatten wir den Delinquenten in seine Zelle zurückgebracht, weil er keiner weiteren Behandlung bedurfte.

Ich packte gerade meine Sachen zusammen, als mir der Vogt auffiel, wie er den Kopf in die Hände gestützt auf einer kleinen Mauer saß und schwer vor sich hinseufzte.

„Herr Theune, macht Schluss für heute. Es ist spät und Eure Familie erwartet Euch. Ich kann den Rest hier alleine erledigen, denn auf mich wartet niemand.“

„Auf Euch wartet niemand?

Na, da könnt Ihr Euch ja glücklich schätzen, Herr Pfeffer!

Ihr wisst gar nicht, wie glücklich Ihr Euch schätzen dürft.

Auf mich wartet ein Weib, das mich überschütten wird mit Vorwürfen und seid versichert, ich würde es vorziehen, hier unten in einer der ungemütlichen Zellen zu übernachten, denn hier hätte ich mehr Ruhe als daheim in meinem Hause.“

„Vorwürfe? Weil Ihr zu so später Stunde noch Eure Aufgaben zu erledigen habt?

Das ist aber doch nicht das erste Mal gewesen, dass die Herren Räte so entschieden haben. Eure Frau Gemahlin müsste daran doch längst gewöhnt sein, oder irre ich mich?“

„Ihr irrt Euch ganz gewaltig, junger Mann!

Ihr habt keine Familie und keine Ahnung. Ihr könnt tun und lassen, was Euch beliebt, aber ich habe mich um meine Tochter zu bekümmern und eben die ist........“

Er kam nicht weiter, sondern legte plötzlich seinen Kopf in die Hände und fing fürchterlich an zu schluchzen.

Ich war völlig perplex!

Dieser große, kräftig gebaute Mann mit der lauten Stimme, der den Delinquenten schon gewaltig Respekt einflößen konnte, der saß dort auf dem Mäuerchen und schluchzte wie ein kleines Kind.

Was sollte ich tun. Einfach fortgehen?

Das brachte ich nicht übers Herz.

Der ansonsten so befehlsgewohnte Herr schien irgendein Problem zu haben, mit dem er scheinbar nicht recht fertig wurde.

Ich holte aus dem Schrank in meinem Raum, den ich dort unten im Keller für mich allein zur Verfügung habe, eine Flasche Branntwein, von denen ich stets einen ordentlichen Vorrat bereithalte, denn Branntwein ist für manche Seele die einzige Tröstung, die diese Erde für sie noch bereithält.

Ich füllte zwei Becher bis zum Rand, hielt dem gepeinigten Mann einen davon unter die Nase und tatsächlich verfehlte das Gesöff auch dieses Mal seine Wirkung nicht.

Otto Theune atmete tief ein, nahm den Becher, trank einen ordentlichen Schluck, noch einen und nach dem dritten war er wenigstens bereit, den Kopf zu heben und mich anzusehen.

Ich hatte nicht den Mut, ihn zum Sprechen zu animieren, schließlich war ich gerade halb so alt wie er und in seinen Augen eben ein unerfahrener Jüngling, der sich hier eingeschlichen hatte und nicht wirklich dazugehörte.

„Vielen Dank.

Ahh, das hat gut getan!

Vielleicht seid Ihr doch gar nicht so ein Arschloch, wie ich immer ...

Verzeiht Herr Pfeffer! Bitte, war nicht so gemeint!

Nehmt es mir nicht übel. Es ist im Moment nicht so einfach für mich.

Ihr könnt nichts dafür. Ach, Scheiß was drauf....“

Theune kippte den Branntwein in sich hinein, als wenn er Wasser trinken würde und hielt mir den leeren Becher hin.

„Habt Ihr noch einen kleinen Schluck...?“

Seine Stimme begann bald lallig zu werden und den Becher konnte er schon nicht mehr richtig gerade halten. Aber egal.

Ich schenkte nach und setzte mich ihm gegenüber auf einen Schemel, um ebenfalls einen ordentlichen Schluck zu nehmen.

„Ihr seid vielleicht gar nicht so verkehrt, oder?

Sagt an, Pfeffer, seid Ihr so, wie alle Welt behauptet?

Seid Ihr wirklich so ein...Nee, das sollte ich jetzt wohl nicht sagen. Immerhin habt Ihr mir....Issn da nochn bisschn was drin? Nochn klein Schluck??“

Ich leerte die Flasche und während er seinen Becher austrank, holte ich eine weitere, denn ich spürte, der Mann wollte etwas loswerden.

„Ihr ssseid glllaubich kein Verkeehrter nich, oder? Hans Pfeffer? Ich bin der Otto. Sag einfach Otto zu mir. Hans.....“

Oh je, der gute Otto, wie ich ihn jetzt nennen sollte, war nun doch schon recht abgefüllt und ich fing an, mir Gedanken zu machen, wie man den schweren Mann nach Hause schaffen könnte, als er plötzlich, und nun wieder völlig klar, seine Geschichte erzählte.

„Hör zu, Hans, und behalts für dich, das kannnst du doch, oder? Also, hör zu.

Meine Tochter, die Annabella, die ist gerade fünfzehn Jahre alt.

Sie ist mein einziges Kind und das schönste Mädchen auf dieser Erde. Wirklich, das allerschönste.

So glänzende blonde lange Haare hat sie und eine wunderbare Figur und alle Männer reißen sich um sie, aber sie hat nur Augen für Einen, für den Dieterich.

Den Dieterich Winkelmann, den Sohn vom Kaufmann Winkelmann, und den hat sie so lieb und der hat ihr versprochen, sie zu heiraten, wenn es an der Zeit ist. Und jetzt ist es an der Zeit, denn mein Kind ist in anderen Umständen und der Dieterich ist der Vater und jetzt soll er sie heiraten und da hat mein Kind gesagt:

„Papa, du musst hingehen und beim alten Winkelmann anfragen und alles klar machen, denn der Dieterich hat gesagt, er liebt mich über alles und nur sein Vater muss noch überzeugt werden.“

Das war vor zwei Wochen und ich habe noch gesagt, mein Kind, hab ich gesagt, so geht das aber eigentlich nicht. Erst muss man anfragen und dann kommt man in andere Umstände.

Aber na ja, was solls, sie wars ja nun schon und was sollte man denn machen und da bin ich hin zu dem Winkelmann und habe bei dem angeklopft und wisst Ihr, Pfeffer, ich meine, weißt du, Hans, was der schäbige Mensch zu mir gesagt hat?“

Nein, das wusste ich natürlich nicht.

Aber der Becher, den der Otto in der Hand hielt, der war schon wieder leer, so dass ich nachfüllte, und nachdem er einen tiefen Schluck genommen hatte, fuhr er fort:

„Der hat mich nicht einmal in sein Haus gelassen. Mich, den Stadtvogt Otto Theune.

Einfach auf der Schwelle hat er mich stehen lassen und mir erklärt, sein Sohn, der Dieterich, der heiratet eine aus seiner Schicht und nicht irgend so eine Tochter von einem Stadtvogt. Ja, wer sind wir denn. Wir sind die Familie Winkelmann und so etwas gibt es hier gar nicht. Sein Sohn ist bestimmt nicht der Vater und niemals wird der ein Flittchen heiraten, das sich wer weiß wo herumgetrieben hat und mit wem auch immer Kinder gemacht hat. Niemals wird der Dieterich Winkelmann die Tochter eines Otto Theune heiraten.

Und damit das mal klar ist: Wenn ich weiterhin solche Märchen über seinen Sohn verbreiten würde, dann könnte ich mal sehen, wo ich bleibe, denn dann wird er, der Winkelmann, schon dafür sorgen, dass der Rat der Stadt sehen wird, ob der Vater einer solchen losen Tochter überhaupt noch in der Lage ist, so ein verantwortungsvolles Amt auszuführen und dann kann ich mich darauf gefasst machen, dass ich mich ganz schnell nicht mehr in meinem Amt finden würde.

Das alles hat er mir gesagt dort auf der Türschwelle und dann hat er die Tür zugeworfen und ich stand da und musste nach Hause gehen und meinem armen Kind erklären, dass der Dieterich für sie leider nicht zu haben ist und meine Frau hat gezetert und gekeift, was denn jetzt aus dem Mädchen werden soll, mit dem Kind unter dem Herzen und ohne Mann und wieso ich nicht Mumm genug hätte, dem Winkelmann mal so richtig gegenüberzutreten und mein armes Kind hat geweint und gejammert und geklagt, dass der Dieterich ihr doch erklärt hätte, wie sehr er sie liebt und dass er sie heiraten wollte und …

Ach Hans, kannst du wohl den Becher noch einmal füllen? Ich glaube, ich brauche heute eine etwas stärkere Ladung...

Jedenfalls hat mein Weib gekeift und geschimpft und mich nochmal losgeschickt zu den Winkelmanns und ich solle ja nicht wiederkommen mit einer Absage, sonst würde sie mich auf der Stelle verlassen, denn einen solchen Mann, der nicht einmal für seine einzige Tochter sorgen kann, den könne sie nun gar nicht gebrauchen.

Also bin ich noch mal hin zu diesen Mistkerlen, aber die waren nicht mehr zu sprechen für mich und als ich irgendwann nach Hause kam, da war mein Weib schon wieder am Zetern und Schimpfen und gab mir die Schuld, dass nun auch unser armes Kind verschwunden ist. Hans, gib mir noch mal einen Schluck und dann..

Ach, was soll ich nur machen. Mein Kind ist fort und meine Frau ist zu ihrer Familie gefahren. Nun gut, Letzteres ist eine glückliche Fügung, aber mein Kind... Meine Annabella.. meine Tochter.....“

Wir waren im Grunde wieder am Anfang angekommen und Otto saß, schon sehr betrunken, wieder mit dem Kopf in den Händen auf dem Mäuerchen und weinte vor sich hin. Ich hielt ihm ein Tuch hin, damit er sich seine Nase schneuzen konnte, nahm seinen leeren Becher und erklärte ihm:

„Herr Theune, oder Otto, komm her. Du kommst jetzt mit zu mir und dort schläfst du dich ordentlich aus. Morgen werden wir weitersehen.“

Ich schleppte den total betrunkenen Mann zu meinem Haus in eine der oberen Kammern, wo ich ihn auf ein Bett warf, ihm eine Decke überlegte und hoffte, dass er mir nicht etwa noch das Bett vollkotzte, denn das hätte mir eine Menge Ärger mit der Schädrig eingebracht.

Zum Glück ist es nicht dazu gekommen. Der arme Kerl ist am nächsten Tag mit einem fürchterlichen Schädel nach Hause geschlichen, in der Hoffnung, sein vermisstes Kind dort anzutreffen, wurde aber leider enttäuscht und warum, das mussten wir nun an diesem grauen, kühlen Tag unten an der langen Brücke erfahren.

Ich blieb bei ihm sitzen, bis die Knechte endlich den Karren gebracht hatten. Dann stand ich auf und sagte leise zu ihm:

„Otto, ich bringe die Annabella jetzt zu mir.

Sie wird ordentlich zugedeckt und die Knechte werden dafür sorgen, dass die Leute sie in Ruhe lassen. Ich werde mich um dein Mädchen kümmern, ich verspreche es dir.“

Er hatte nur genickt und sein Kopf war noch tiefer in seine Hände gesunken.

Es war ein Bild des Jammers, aber mir fiel nichts ein, was ich jetzt noch für ihn hätte tun können. Er würde irgendwann in sein einsames Haus gehen und sich betrinken, denn was sollte er sonst tun in seiner Situation.

Ich hatte den Knechten Zeichen gegeben, den gesamten Sack mit dem Mädchen aufzuladen, was wohl schwerer war, als man es vermuten konnte.

Sie mussten sich ordentlich anstrengen, weshalb ich mich fragte, warum so ein schlankes Mädchen so schwer zu heben sein sollte.

Die Antwort sollte ich später finden, jetzt war es erst einmal Otto, der den Kopf hob und mich fast schon anflehte:

“Hans, bitte, schau sie dir genau an. Ich will wissen, wer das getan hat!“

Ich nickte nur.

Dann passte ich auf, dass die Knechte den Kopf des Mädchens nicht auf den Karren knallen ließen, wie sie das in ihrer Grobheit gerne tun, obwohl ich feststellen musste, dass die rohen Gesellen offensichtlich auch gelegentlich eine feinfühlige Seite haben konnten, denn sie hoben das arme Kind auf das Holz und legten sie dort ganz vorsichtig ab, um ihr anschließend die Decken überzulegen und über das Gesicht zu ziehen, so dass keiner der umstehenden Gaffer, die sich mittlerweile reichlich eingefunden hatten, noch einen Blick auf sie werfen konnte.

Der Wagen ruckte an und wurde die Böschung hochgezogen, um den kurzen Weg bis zur Echternstraße und von dort über Michaelis zum Altstadtrathaus gebracht zu werden, wo sich unten in den Kellern neben den Zellen und den Torturräumen auch der Raum für die Sectionen befindet.

Unsere Verurteilten müssen ja stets nach der Hinrichtung noch einer Sectio unterzogen werden, die vorzunehmen zu meinen Aufgaben gehört.

Ich begab mich ebenfalls dorthin, ließ den Tisch vorbereiten, Eimer mit Wasser und Tücher herbeiholen, möglichst viele Fackeln entzünden und zusätzlich einige Lampen, die direkt auf der steineren Umrandung des Tisches aufgestellt wurden, um eine bessere Sicht auf den Corpus zu gewährleisten.

Die Schneid- und sonstigen Werkzeuge wurden ausgebreitet und das Mädchen mitsamt dem Sack auf den großen Seziertisch gelegt.

Meine Knechte kannten mich mittlerweile und wussten, was sie zu tun hatten.

Dass die Umgebung eines toten Körpers, in diesem Falle der nasse und ungewöhnlich schwere Sack, mit auf den Tisch gehörte, hatten sie gelernt und nach anfänglichem Murren hielten sie sich auch an meine merkwürdigen Anweisungen.

Vielleicht hätte ich gelegentlich erklären sollen, welchen tieferen Sinn meine Anordnungen hatten, dann hätte man mich möglicherweise verstanden und nicht immer wieder den Kopf geschüttelt und sich draußen vor den Türen über die sonderbaren Ideen des „Jungschen“ lustig gemacht.

Allerdings war mir ein solcher Gedanke nie gekommen. Warum auch. Was ging denn die dummen Knechte mein Tun an.

Sie hatten ihre Arbeit und ich meine. Es hat ja auch eine lange Zeit gedauert, bis ich wahrnahm, dass man mich für etwas eigenartig hielt und selbst da kam es mir noch nicht in den Sinn, mich für das Gerede meiner Umgebung zu interessieren.

Im Grunde habe ich es erst den Gesprächen mit meiner jetzigen Frau zu verdanken, dass ich für solche Dinge etwas sensibler geworden bin und hin und wieder versuche, den Menschen, mit denen ich zu tun habe, ein wenig entgegen zu kommen.

Zu der Zeit war das noch nicht der Fall, und so herrschte ich die Knechte, nachdem sie alles zu meiner Zufriedenheit erledigt hatten, an, sie könnten jetzt verschwinden, was sie auch grußlos taten.

Ich rückte mir die Lampen um den Tisch zurecht, bis ich eine ausreichend gute Sicht hatte, nahm eines der scharfen Messer und begann, zunächst einmal vorsichtig den Sack vollständig aufzuschneiden.

Dann klappte ich die Seiten auseinander und verteilte den Inhalt des unteren Teils, der sich zwischen den Füßen der Leiche befand, so weit, dass ich sehen konnte, was sich dort alles befand.

Ich hatte zunächst vermutet, dass der Sack mit Steinen beschwert worden war, aber das war nicht der Fall.

Lehmklumpen fand ich.

Dicke, schwere Lehmklumpen, die dafür sorgten, dass die Leiche schön unten am Grund des Wassers blieb und nicht so schnell wieder auftauchte.

Warum aber Lehmklumpen, fragte ich mich und grübelte vor mich hin, um eine Antwort auf diese Frage zu finden.

Sicherlich, Lehm nimmt kein Wasser mehr auf und bleibt daher recht formstabil, auch wenn er lange Zeit im Wasser liegt, aber das gilt doch auch für Steine.

Ich setzte mich auf einen Schemel neben die Leiche und betrachtete sie lange Zeit.

„Was magst du wohl erlebt haben, du armes Ding?“

Während ich sie betrachtete, erhoffte ich mir in irgendeiner Weise eine Antwort von der stillen Gestalt.

„Warst du unten am Wasser und bist selber in den Sack gekrochen, in den du vorher Lehm gefüllt hast, um sicherzugehen, dass du nicht wieder auftauchen würdest?

Gibt es überhaupt Lehm hier in der Gegend? Und wenn ja, liegen solche Klumpen an der Stelle, an der du gefunden wurdest, herum? Oder hat jemand nachgeholfen und dich hinübergebracht ins Jenseits, um dich dann auf diese Weise loszuwerden?

Und wenn, wer war derjenige? War es dein Dieterich?

Bist du noch einmal bei ihm gewesen und hast ihm gedroht, ihn in der ganzen Stadt unmöglich zu machen, wenn er dich nicht heiratet, so wie er es versprochen hatte? Hast du es gewagt, in sein Haus zu gehen und ihn zur Rede zu stellen?“

In sein Haus...

In meinem Haus ist der Herd aus Lehm gemauert.

Und die Wände sind damit verfüllt, allerdings mit Stroh vermischt. Und unten im Keller, da haben wir noch ein altes Gewölbe, in dem der Wein und verschiedene Vorräte lagern.

Auch dort, meinte ich mich zu erinnern, ist Lehm verbaut worden.

Mal angenommen, ich hätte meine fürchterliche Magdalena, was ich natürlich niemals getan hätte, aber nur einmal angenommen.

Nur mal so gedacht, sie hätte mich wieder einmal zur Weißglut gebracht und ich hätte ihr den Hals zugedrückt und dann nicht gewusst, wohin mit ihr. Ich hätte sie vielleicht in den Keller geschleppt und dann?

Nun ja, im Keller kann ja so eine Leiche nicht bleiben. Irgendwann kommt womöglich jemand vorbei, um eine Flasche Wein zu holen. Die Leiche muss also weg. Aber wohin? Und wie?

Durch das Haus nach oben tragen, wo die Frau Schädrig vielleicht steht und sich fragt, was schleppt der denn da hinter sich her?

Nein, so geht es natürlich nicht.

Das Beste wäre, der Keller hätte einen Zugang nach außen oder noch besser, direkt zu einem der Kanäle oder zum Okerarm.

Die Winkelmanns!

Wo wohnten eigentlich diese Winkelmanns?

Tasuta katkend on lõppenud.

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