Loe raamatut: «Das Gesundheitswesen im internationalen Vergleich»
Health Care Management
Martin Schölkopf | Simone Grimmeisen
Das Gesundheitswesen im internationalen Vergleich
Gesundheitssystemvergleich, Länderberichte und europäische Gesundheitspolitik
4., aktualisierte und überarbeitete Auflage
Medizinisch Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft
Dr. rer. soc. Martin Schölkopf
Gaillardstr. 14a
13187 Berlin
Simone Grimmeisen
Am Lenkert 17
53177 Bonn
MWV Medizinisch Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG
Unterbaumstraße 4
10117 Berlin
ISBN 978-3-95466-598-3 (eBook: ePub)
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© MWV Medizinisch Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft Berlin, 2021
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Vorwort zur 4. Auflage
„Time flies“ – seit der dritten Auflage des Buches „Das Gesundheitswesen im internationalen Vergleich“ sind nun schon wieder vier Jahre vergangen. In dieser Zeit ist viel geschehen, und was da geschehen ist, hat Gesundheitspolitik und Gesundheitswesen ganz sicher nicht unberührt gelassen. Dass die Leistungsfähigkeit des Gesundheitssystems und gesundheitspolitische Entscheidungen zentrale, ja existenzielle Bedeutung für das gesellschaftliche Zusammenleben, unsere Demokratie und unseren ökonomischen Wohlstand haben können, haben gerade die letzten Monate eindrücklich gezeigt. Ob ausreichend Vorsorge für Pandemiesituationen getroffen worden ist, ob Medikamente zur Behandlung Schwerstkranker ausreichend und zu erschwinglichen Preisen zur Verfügung stehen, ob es genügend Krankenhausbetten in der Intensivmedizin gibt, und ob – hoffentlich bald – wirksame Impfstoffe in ausreichender Menge entwickelt und hergestellt werden können, entscheidet nicht zuletzt die nationale Gesundheitspolitik.
Dass die Pandemie in Deutschland bislang vergleichsweise moderat verlaufen ist, hat daher auch etwas mit unserem Gesundheitssystem zu tun: Hohe Krankenhauskapazitäten und teure Labormedizin bieten in „normalen Zeiten“ nicht zu Unrecht Anlass dafür, nach Effizienzreserven zu fragen. In „Pandemiezeiten“ helfen solche Kapazitäten aber, wenn Betten in der Intensivmedizin benötigt werden oder die Zahl der wöchentlich durchgeführten Coronatests die Millionengrenze überschreitet. Der Blick in andere Länder zeigt: Nicht selten mussten solche Kapazitäten erst aufgebaut werden oder sie fehlen weiterhin.
Wenn es um die Beurteilung und Einordnung des deutschen Gesundheitswesens geht, ist also der vergleichende Blick weiterhin angezeigt. Grund genug, nach vier Jahren wieder eine umfassende Aktualisierung der Zahlen und Fakten des Gesundheitswesens im internationalen Vergleich vorzunehmen. Sämtliche Länderberichte und das Kapitel über die europäische Gesundheitspolitik wurden daher auf den neuesten Stand gebracht und in den Kapiteln mit Querschnittsvergleichen wurden nicht nur die aktuellsten Daten insbesondere der OECD berücksichtigt, sondern auch neue wissenschaftliche Fachliteratur.
Aktualisierungen gab es schließlich auch in der Autorenschaft: An der 4. Auflage hat als neue Co-Autorin Simone Grimmeisen ganz wesentlich mitgewirkt.
Martin Schölkopf
Simone Grimmeisen
Berlin und Bonn, im November 2020
Inhalt
Cover
Titel
Impressum
1 Die Gesundheitssysteme im internationalen Vergleich: Typologie und Entstehungsprozess
1.1 Eine Typologie der Gesundheitssysteme
1.2 Die Entstehung und Ausweitung der gesetzlichen Absicherung im Krankheitsfall
2 Gesundheitssysteme im internationalen Vergleich: Länderberichte
2.1 Länder mit nationalem Gesundheitsdienst
2.1.1 Großbritannien
2.1.2 Irland
2.1.3 Portugal
2.1.4 Griechenland
2.2 Länder mit regionalem Gesundheitsdienst
2.2.1 Italien
2.2.2 Spanien
2.2.3 Australien
2.2.4 Neuseeland
2.2.5 Kanada
2.3 Länder mit kommunalem Gesundheitsdienst
2.3.1 Dänemark
2.3.2 Finnland
2.3.3 Norwegen
2.3.4 Schweden
2.4 Länder mit Sozialversicherungssystemen
2.4.1 Deutschland
2.4.2 Österreich
2.4.3 Frankreich
2.4.4 Belgien
2.4.5 Luxemburg
2.4.6 Japan
2.5 Versicherungssysteme mit Kopfpauschalen
2.5.1 Schweiz
2.5.2 Niederlande
2.6 Freiwillige Privatversicherung und staatliche Fürsorge
2.6.1 USA
2.7 Gesundheitssysteme in Mittel- und Osteuropa
2.7.1 Bulgarien
2.7.2 Estland
2.7.3 Lettland
2.7.4 Litauen
2.7.5 Polen
2.7.6 Slowakei
2.7.7 Slowenien
2.7.8 Tschechien
2.7.9 Ungarn
3 Die Gesundheitsausgaben und ihre Finanzierung
3.1 Gesundheitsausgaben: Wie teuer ist die Gesundheit?
3.1.1 Die Gesundheitsausgaben als Anteil am Bruttoinlandsprodukt
3.1.2 Die Gesundheitsausgaben pro Kopf
3.1.3 Verwaltungskosten
3.1.4 Prognosen zur künftigen Ausgabenentwicklung
3.2 Finanzierungsstrukturen
3.2.1 Varianten der Finanzierung
3.2.2 Die öffentliche Finanzierung: Bedeutung und Struktur
3.2.3 Grundcharakteristika steuerfinanzierter Gesundheitssysteme
3.2.4 Grundcharakteristika beitragsfinanzierter Gesundheitssysteme
4 Stationäre Versorgung
4.1 Ausgaben für die stationäre Versorgung
4.2 Versorgungskapazitäten, Leistungen und Verweildauer
4.2.1 Krankenhauskapazitäten und Versorgungsniveaus
4.2.2 Leistungen
4.2.3 Krankenhausverweildauer
4.2.4 Wirtschaftlichkeit der Leistungserbringung
4.2.5 Personalausstattung
4.3 Organisation, Planung und Finanzierung im stationären Sektor
4.3.1 Krankenhausplanung
4.3.2 Investitionskostenfinanzierung
4.4 Die Vergütung der Krankenhäuser
5 Die ambulante ärztliche Versorgung
5.1 Ausgaben für die ambulante Versorgung
5.2 Versorgungskapazitäten und Inanspruchnahme
5.2.1 Inanspruchnahme der ambulanten ärztlichen Versorgung
5.2.2 Arbeitszeit und Arbeitsbelastung
5.3 Organisation der Leistungserbringung
5.3.1 Die Rolle der hausärztlichen Versorgung
5.3.2 Ambulante fachärztliche Versorgung
5.3.3 Sachleistungs- versus Kostenerstattungsprinzip
5.4 Vergütungsstrukturen und Einkommen der Ärzte
5.4.1 Strukturen der ärztlichen Vergütung
5.4.2 Einkommenssituation niedergelassener Ärzte
6 Arzneimittelversorgung
6.1 Ausgaben für die Arzneimittelversorgung
6.2 Ziele der Arzneimittelregulierung
6.3 Arzneimittelzulassung
6.4 Erstattungsfähigkeit
6.4.1 Positiv- und Negativlisten
6.4.2 Zentrale und dezentrale Entscheidungsfindung
6.4.3 Höhe des Erstattungsanspruchs und Erstattungszeitpunkt
6.4.4 Kriterien für Einschluss bzw. Ausschluss der Erstattungsfähigkeit
6.5 Preisbildung
6.5.1 Externe Preisreferenzierung
6.5.2 Interne Preisreferenzierung
6.5.3 Weitere Instrumente zur Preisfindung
6.5.4 Mehrwertsteuer
6.6 Arzneimittelzuzahlungen
6.7 Steuerung des ärztlichen Verschreibungsverhaltens
6.7.1 Arzneimittelbudgets und Richtgrößen
6.7.2 Qualität der Arzneimitteltherapie
7 Die Leistungsfähigkeit von Gesundheitssystemen: Effizienz, Qualität und Nutzerorientierung
7.1 Einleitung
7.2 Die Studie des Fritz Beske-Instituts für Gesundheitssystemforschung
7.3 Der Vergleich der Konsumentenfreundlichkeit der Gesundheitssysteme von Health Consumer Powerhouse
7.4 Die Vergleichsstudien des Commonwealth Fund zur Nutzerorientierung und zur Qualität von Gesundheitssystemen
7.5 Befragungen zur Zufriedenheit, zum Zugang und zur Qualität in der EU
7.5.1 Zufriedenheit mit dem Gesundheitssystem
7.5.2 Zugang zur medizinischen Versorgung
7.5.3 Qualität der medizinischen Versorgung
7.6 Die Ergebnisse des Health Care Quality Indicators-Projekts der OECD
8 Die europäische Gesundheitspolitik
8.1 Die „echte“ Gesundheitspolitik der Europäischen Union
8.2 Die Freiheiten des Binnenmarkts und die Auswirkungen auf das Gesundheitswesen
8.2.1 Die Freizügigkeit und die Gesundheitsleistungen
8.2.2 Die Dienstleistungsfreiheit im Gesundheitswesen
8.2.3 Die Krankenkassen und das Wettbewerbs- und Vergaberecht
8.2.4 Wettbewerbsrecht, Beihilfenproblematik und deutsche Krankenhäuser
8.2.5 Arzneimittelrecht in der Europäischen Union
8.2.6 Europäisches Medizinprodukterecht
9 Weiterführende Informationen
9.1 Zahlen und Daten zum internationalen Vergleich
9.2 Fakten über die Gesundheitssysteme anderer Länder
9.3 Informationen zur europäischen Gesundheitspolitik
Literatur
Sachwortverzeichnis
Das Autoren-Team
Der Herausgeber der Schriftenreihe Health Care Management
Abkürzungsverzeichnis
AG | Arbeitgeber |
AN | Arbeitnehmer |
AOK | Allgemeine Ortskrankenkasse (Deutschland) |
AWBZ | Algemene Wet Bijzondere Ziektekosten (Niederlande) |
BIP | Bruttoinlandsprodukt |
BKK | Betriebskrankenkasse (Deutschland) |
CCGs | Clinical Commissioning Groups |
CHF | Schweizer Franken |
CMU | Couverture Maladie Universelle (Frankreich) |
CNAMTS | Caisse Nationale d’Assurance Maladie des Travailleurs Salariés (Frankreich) |
CPAM | Caisse Primaire d’Assurance Maladie |
CSC | Community Services Card (Neuseeland) |
CSG | Contribution Sociale Généralisée/maladie (Frankreich) |
DHB | District Health Board (Neuseeland) |
DRG | Diagnosis Related Group |
ECDC | European Centre for Disease Prevention and Control |
ECHI | European Community Health Indicators |
ECHP | European Community Household Panel |
EGV | Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft |
EMEA | European Agency for the Evaluation of Medicinal Products |
EU | Europäische Union |
EuGH | Europäischer Gerichtshof |
EZB | Europäische Zentralbank |
GKV | Gesetzliche Krankenversicherung |
HFA-DB | European health for all database |
HMO | Health Maintenance Organization (Schweiz, USA) |
IQWiG | Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (Deutschland) |
ISSA | Internationale Vereinigung für Soziale Sicherheit |
IWF | Internationaler Währungsfonds |
k.A. | keine Angaben |
KH | Krankenhaus |
KKP | Kaufkraftparität(en) |
MISSOC | Mutual Information System on Social Protection |
MVZ | Medizinisches Versorgungszentrum (Deutschland) |
NHS | National Health Service (Großbritannien u.a.) |
NICE | National Institute for Clinical Excellence (Großbritannien) |
OECD | Organisation for Economic Co-operation and Development |
OKP | Obligatorische Krankenpflegeversicherung (Schweiz) |
OMK | Offene Methode der Koordinierung |
OP | Operation |
OTC | Over-the-counter (Arzneimittel) |
PBM | Pharmaceutical Benefit Management (USA) |
PBS | Pharmaceutical Benefits Scheme (Australien) |
PCT | Primary Care Trust (Großbritannien) |
PHO | Primary Health Organisation (Neuseeland) |
PKV | private Krankenversicherung |
PPO | Preferred Provider Organization (USA) |
PPRS | Pharmaceutical Price Regulation Scheme (Großbritannien) |
RIZIV-INAMI | Institut national d’assurance maladie-invalidité/Rijksinstituut voor Ziekteen Invaliditeitsverzekering (Belgien) |
SGB V | Sozialgesetzbuch V (Deutschland) |
SHA | Strategic Health Authority (Großbritannien) |
WHO | World Health Organization |
1 Die Gesundheitssysteme im internationalen Vergleich: Typologie und Entstehungsprozess
1.1 Eine Typologie der Gesundheitssysteme
Wer im europäischen Ausland Urlaub macht oder in einem anderen Land arbeitet oder studiert und plötzlich medizinische Hilfe benötigt, wird schnell zwei Dinge feststellen: Zum einen verfügen sämtliche Länder West- und Mitteleuropas, aber natürlich auch andere Länder der westlichen Welt, über hoch entwickelte Gesundheitssysteme. Sieht man (wieder) von den USA – unter dem früheren Präsident Barack Obama war das anders – ab, herrscht zudem längst übereinstimmend die Auffassung, dass es Aufgabe des Staates ist, für die Bevölkerung eine angemessene Gesundheitsversorgung sicherzustellen. Diese Auffassung hat ihren Niederschlag darin gefunden, dass der öffentlichen Hand im Gesundheitswesen in aller Regel eine dominierende Rolle zukommt. Der Staat plant, reguliert und finanziert; und häufig erbringt er auch selbst Leistungen.
Wer medizinische Leistungen im Ausland benötigt, wird zum anderen aber auch feststellen, dass bestimmte Charakteristika des jeweiligen Gesundheitssystems vom deutschen Gesundheitswesen abweichen – und dies zum Teil erheblich. So gibt es Länder, in denen die gesamte Krankenhausversorgung in den Händen der Kommunen liegt; die in Deutschland in der öffentlichen Versorgung ebenfalls wichtigen privatwirtschaftlichen und freigemeinnützigen Krankenhäuser wird man dort vergeblich suchen. In einigen Ländern findet – anders als in Deutschland – die ambulante fachärztliche Behandlung ausschließlich im Krankenhaus statt. In manchen Ländern wiederum ist das Sachleistungsprinzip – Patienten erhalten die medizinische Leistung kostenlos, die Leistungserbringer werden von der Krankenkasse bezahlt – unbekannt; die Patienten müssen dort die Leistungen erst einmal selbst finanzieren und bekommen die Kosten anschließend von ihrer Krankenkasse bzw. Krankenversicherung erstattet.
Während also in allen Industriestaaten im Wesentlichen ein gemeinsames Verständnis über die Notwendigkeit eines leistungsfähigen Gesundheitssystems besteht und auch die herausragende Bedeutung des Staates bei der Gewährleistung der Gesundheitsversorgung meist unbestritten ist, lassen sich in der Organisation der Gesundheitsversorgung im Detail erhebliche Unterschiede feststellen. Die Wissenschaft hat bereits früh versucht, diese Differenzen herauszuarbeiten und zu typologisieren. Die erste und zur Einordnung von Gesundheitssystemen immer noch häufig genutzte Typologie ist die Differenzierung in Länder, deren Gesundheitswesen sich am Bismarck- bzw. Beveridgemodell orientieren (vgl. Tab. 1).
Tab. 1Idealtypische Ordnung von Gesundheitssystemen: Bismarck versus Beveridge
Strukturprinzipien | Bismarck | Beveridge |
Grundprinzip | (Sozial-)Versicherungsprinzip | Versorgungsprinzip |
Verwaltung | Selbstverwaltung | Staat |
Finanzierung | (Sozialversicherungs-)Beiträge | Steuern |
Leistungsanspruch | Sachleistung/Kostenerstattung | Sachleistung |
Leistungserbringung | öffentlich/privatwirtschaftlich freigemeinnützig/ | öffentlich |
abgesicherter Personenkreis | ausgewählte Personengruppen | gesamte Bevölkerung |
Das Bismarcksche Modell der sozialen Sicherung, in Deutschland von Reichskanzler Otto von Bismarck mit dem Ziel der Befriedung der Arbeiterschaft eingeführt, zielt auf Lebensstandardsicherung sowie Beitrags- und Leistungsgerechtigkeit. Zentrales Grundprinzip ist das Sozialversicherungsprinzip: Sozialrechtliche Ansprüche werden im Sinne einer Versicherung über Beiträge aus dem Lohneinkommen erworben. Die Höhe des Anspruchs bei Einkommensersatzleistungen hängt im Regelfall von den zuvor gezahlten Beiträgen ab. Dieses Prinzip ist insbesondere für die Altersrente und beim Arbeitslosengeld charakteristisch. In der Gesundheitsversorgung greift es nur beim Krankengeld; ansonsten dominiert dort das Prinzip der Bedarfsgerechtigkeit: Versicherte erhalten die notwendigen medizinischen Leistungen entsprechend ihres Bedarfs, unabhängig von der Höhe der geleisteten Beiträge. Dem Staat kommt im Bismarck-Modell nur eine indirekte Funktion zu: Er gestaltet den rechtlichen Rahmen. Die konkrete Steuerung hingegen erfolgt im Rahmen der Selbstverwaltung durch die Krankenkassen und die Leistungserbringer, insbesondere Ärzte und Krankenhäuser, bzw. ihre jeweiligen Verbände.
Das auf den Überlegungen des britischen Lords Beveridge zurückgehende und nach ihm benannte Beveridgemodell hingegen sieht eine universelle Basissicherung vor: Im Bedarfsfall soll ein garantiertes Mindesteinkommen bzw. die notwendige medizinische Versorgung für die gesamte Bevölkerung zur Verfügung stehen (Versorgungsprinzip). Finanziert werden die Leistungen aus Steuern, nicht aus (Sozialversicherungs-)Beiträgen. Der Staat steht auch im Mittelpunkt der Gesundheitsversorgung: Er plant die Kapazitäten und stellt die medizinische Versorgung in Form von Sachleistungen auch überwiegend selbst zur Verfügung.
Soweit die idealtypische Ordnung – die Wirklichkeit der verschiedenen Gesundheitssysteme wird dadurch leider nur unzureichend erfasst. So lassen sich zwar die meisten Gesundheitssysteme entweder als öffentliche Gesundheitsdienste oder als (Sozial-)Versicherungssysteme einordnen. Doch viele Gesundheitssysteme sind wesentlich komplexer als es die o.g. Typologie abbildet. So gibt es zahlreiche Länder, die über öffentliche Gesundheitsdienste verfügen. Allerdings ist dort zum Teil nicht der Zentralstaat – wie im britischen Vorbild – für die Gesundheitsversorgung zuständig; dies ist vielmehr oft Aufgabe der Kommunen. In einigen Ländern mit Sozialversicherungssystemen wiederum dominieren völlig andere als die o.g., „typischen“ Finanzierungsprinzipien: In den Niederlanden und der Schweiz orientieren sich die Sozialversicherungsbeiträge nicht am Lohn, sondern sind in pauschaler Höhe zu entrichten; im Falle finanzieller Hilfebedürftigkeit hilft der Staat.
Zur Abbildung der Realität ist daher die folgende, alternative Systematisierung der Gesundheitssysteme in sechs Ländergruppen besser geeignet:
1.Die erste Gruppe umfasst Länder, die ihre Gesundheitsversorgung auf einen nationalen Gesundheitsdienst stützen. Dazu gehören neben Großbritannien – dem „Erfinder“ dieses Systems – Irland und Portugal. Zentrales Kennzeichen dieser Länder ist, dass der öffentliche Gesundheitsdienst dort jeweils vom Zentralstaat direkt gesteuert wird. Die Gesundheitseinrichtungen vor Ort sind damit faktisch Teil der Staatsverwaltung. Griechenland ist in dieser Gruppe insofern ein Sonderfall, als neben dem der gesamten Bevölkerung offen stehenden staatlichen Gesundheitsdienst noch ein Sozialversicherungssystem für den Krankheitsfall existiert.
2.Eine zweite Gruppe besteht aus Ländern, die ihren öffentlichen Gesundheitsdienst auf regionaler Ebene organisiert haben. Dort ist nicht der Zentralstaat, sondern die Regionen oder Provinzen für die Gesundheitsversorgung verantwortlich. Das gilt für Italien, Spanien sowie für Australien, Neuseeland und Kanada.
3.Die dritte Gruppe organisiert ihr Gesundheitswesen ebenfalls über einen öffentlichen Gesundheitsdienst. Allerdings sind dafür die Landkreise, Städte und Gemeinden verantwortlich. Dies trifft auf die vier skandinavischen Länder Dänemark, Norwegen, Schweden und Finnland zu.
4.Eine vierte Gruppe stützt die Gesundheitsversorgung auf Sozialversicherungssysteme, die der deutschen gesetzlichen Krankenversicherung ähnlich sind, also einkommensbezogene Beiträge verlangen. Neben Deutschland zählen zu dieser Gruppe Frankreich, Belgien, Luxemburg, Österreich und Japan. Die Leistungserbringung erfolgt dort jeweils durch unabhängige kommunale, freigemeinnützige oder privatwirtschaftliche Anbieter.
5.Letzteres trifft mit den Niederlanden und der Schweiz auch auf die fünfte Ländergruppe zu. Die dortigen Gesundheitssysteme basieren zwar auf (Sozial-)Versicherungssystemen, die Versicherungsbeiträge werden aber in Form von Kopfpauschalen berechnet.
6.Die USA schließlich lassen sich nur schwer in eine der oben aufgeführten Gruppen einordnen. Bis 2014 beschränkte sich die staatliche Verantwortung auf öffentliche Gesundheitsdienste für alte und arme Menschen. Unter der Obama-Regierung gab es dann in der Folge durchaus erfolgreiche Bestrebungen, den Versicherungsschutz auf alle (bzw. einen Großteil der) Einwohner auszuweiten. Rund 20 Millionen weitere Amerikanerinnen und Amerikaner erhielten seit 2014 Versicherungsschutz im Krankheitsfall. Die seit Anfang 2017 regierende Administration unter Präsident Trump hebelte 2018 die durch „Obama-Care“ eingeführte Versicherungspflicht wieder aus. Zuletzt wurde die Reform der demokratischen Regierung 2019 von einem US-Bundesgericht in Texas als verfassungswidrig eingestuft; eine erneute Entscheidung des Obersten Gerichtshof zu „Obama-Care“ wird in 2020 erwartet.
Wie alle Typologien ist auch diese Typologie der Gesundheitssysteme vereinfachend und wird der Komplexität der Gesundheitsversorgung in den untersuchten Ländern nicht vollständig gerecht. Sie erfasst nicht zuletzt die nach dem Fall des Eisernen Vorhangs hinzugekommenen Länder Mittel- und Osteuropas, deren Gesundheitswesen oft bereits mehrfach Systemumstellungen erdulden mussten, nur unzureichend; deshalb wird auf eine Einordnung dieser Länder hier auch verzichtet. Gleichwohl kann diese Typologie als Ausgangspunkt für die weiteren Darstellungen und Analysen dienen und das Verständnis über grundlegende Differenzen in der Gesundheitsversorgung zwischen verschiedenen Ländern fördern. Außerdem hilft sie dem Forscher, der in der Detailanalyse eines Gesundheitswesens manchmal den Überblick über das große Ganze zu verlieren droht.