Loe raamatut: «Discoverability im E-Commerce»

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Matthias Hell, Jochen Krisch (Hrsg.)

Discoverability im E-Commerce

Denkanstöße für den Handel von Morgen

Impressum

Discoverability im E-Commerce: Denkanstöße für den Handel von Morgen

Matthias Hell, Jochen Krisch (Hrsg.)

Copyright: © 2013 Matthias Hell

published by: epubli GmbH, Berlin

www.epubli.de

ISBN 978-3-8442-6230-8

Dis`cov`er`a`bil´i`ty

n.1. The quality of being discoverable.

aus Webster’s Dictionary

Discoverability – die Online-Herausforderung für den Handel

Mit Empfehlungen ist das so eine Sache. Zielgenaue Produktvorschläge geben dem Online-Händler die Aussicht auf höhere Umsätze und locken gleichzeitig den Kunden mit der Verheißung auf ein Einkaufserlebnis im Netz, das den gewohnten Stöber-Faktor und die Chance auf Neuentdeckungen miteinschließt. In der Theorie sollten ausgeklügelte Empfehlungsmechanismen im Online-Handel also zum Standard gehören. Dass es sich noch deutlich anders verhält, belegt allerdings immer wieder die praktische Erfahrung:

So konnte auch ich mich dem Hype nicht entziehen und habe mir kürzlich Dan Browns „Inferno“ auf meinen Kindle geladen. Nachdem ich Robert Langdon auf seiner kulturgeschichtlichen Schnitzeljagd durch Florenz, Venedig und Istanbul gefolgt bin, könnte ich nun einen Tipp für eine weitere sommerlich leichte Lektüre gut gebrauchen. Also besuche ich die Amazon-Webseite in der Hoffnung auf treffsichere Empfehlungen: Kunden, die „Inferno“ gekauft haben, kauften auch … alle anderen Dan-Brown-Romane?! Desweiteren empfiehlt mir die Recommendation Engine des Online-Händlers eine Romanze von „Vanessa Mansini“ und einen Mystery-Schmöker von „Hanni Münzer“ – beides Autoren, von denen ich noch nie gehört habe, die aber aus Amazons Selfpublishing-Programm stammen. Nicht gerade das, wonach ich gesucht habe.

Wer bietet bessere Empfehlungen?

Als nächstes versuche ich mein Glück bei der Lese-Community Goodreads: Als Venedig-Liebhaber habe ich „Inferno“ dort meinem Venice-Shelf hinzugefügt. Die Buch-Plattform weist mich daraufhin auf einen neu erschienenen Donna-Leon-Roman, den Hemingway-Klassiker „A Moveable Feast“ sowie die spannend wirkenden Sizilien-Krimis von Andrea Camilleri hin. Zudem sehe ich, dass andere Nutzer mit ähnlichen Interessen wie ich derzeit die neuen Romane von Colum McCann, Adam Johnson und Rosa Liksom lesen. Das sind doch schon deutlich eher die Informationen, nach denen ich gesucht habe!

Die Qualitätsunterschiede bei den Empfehlungen erklären sich zum einen durch die unterschiedliche Beziehung, die ich zu Amazon und Goodreads habe. Amazon weiß lediglich, welche Artikel in der Vergangenheit über meinen Benutzer-Account gekauft wurden. Ob ich diese für mich selbst oder jemand anderen bestimmt waren, aus welcher Motivation heraus ich mich zur Bestellung entschieden habe und wie zufrieden ich schlussendlich mit dem gekauften Artikel war, ist dem Online-Händler dagegen unbekannt. Goodreads dagegen weiß, dass für mich beim Kauf von „Inferno“ der Venedig-Bezug entscheidend war, dass ich mit dem Titel mäßig zufrieden war (2 von 5 Sternen) und dass ich mich sonst eher für Bücher mit politischen und kunstgeschichtlichen Inhalten interessiere. Und nicht nur über mich hat die Buch-Community deutlich mehr Informationen: Zu Dan Browns „Inferno“ gibt es bei Amazon einige Hundert Kundenrezensionen, während Goodreads über weit mehr als 20.000 Bewertungen und rund 5.000 Nutzerrezensionen zu dem Titel verfügt – eine riesige Basis an qualifizierten Daten, die treffsichere Empfehlungen entsprechend einfacher macht.

Was wollen die Kunden als nächstes?

Vor dem Hintergrund meiner positiven Erfahrung mit Goodreads werden auch die 150 Mio. Dollar, die Amazon laut zuverlässigen Quellen im März 2013 für die Akquisition der Buch-Community bezahlt hat, verständlich: Selbst wenn Amazon bei seinem Warenangebot, den Preispunkten und dem sprichwörtlichen Kundenservice alles richtig macht, bleibt es doch eine Herausforderung, zu verstehen, wonach ein Kunde genau sucht und welche Artikel er in Zukunft benötigen wird. Plattformen wie Goodreads setzen dagegen genau an diesem Punkt an: Millionen von Nutzern beschäftigen sich hier aus purem Eigeninteresse mit dem Aufbau einer gigantischen Produktdatenbank und verhelfen einander so zu qualitativ hochwertigen Empfehlungen. Ausgeklügelte Algorithmen und redaktionell betreute Inhalte erhöhen zusätzlich den Mehrwert für die Nutzer.

Auch über die Buchbranche hinaus lohnt es sich deshalb, sich mit der Discoverability – der Entdeckbarkeit von Inhalten im Netz – auseinanderzusetzen. Wo liegen die Schwächen des Empfehlungssystems von Amazon? Wie funktionieren Empfehlungsalgorithmen? Worin unterscheiden sich die wichtigsten Buch-Communities, wenn es um die Generierung von treffsicheren Leseempfehlungen geht? Und welche Impulse können die Empfehlungsmechanismen beliebter Film- und Musik-Plattformen liefern?

Diese Fragen sollen auf den folgenden Seiten genauer beleuchtet werden – und damit auch den Lesern dieses Buchs zur Discoverability den Weg zu möglichst vielen Neuentdeckungen weisen.

Matthias Hell, im August 2013

Wer übernimmt die Rolle der freundlichen Buchhändlerin?

Um die Herausforderungen für webbasierte Empfehlungsmechanismen besser zu verstehen, ist es hilfreich einen kurzen Blick auf die Entwicklung im stationären Buchhandel zu werfen. Dabei gibt es hinsichtlich der für das Entdecken und die Weiterempfehlung von Büchern relevanten Foren und Akteure starke Unterschiede zwischen den einzelnen nationalen Traditionen. So nehmen beispielsweise in der angelsächsischen Welt Literaturclubs eine wichtige Rolle ein, für die es in Deutschland kein Äquivalent gibt. Während vor allem Amerikaner die gemeinsame Lektüre und den Austausch über Buchinhalte lieben, gilt Lesen in Deutschland eher als eine in der Privatsphäre angesiedelte intellektuelle Beschäftigung.

Neben Buchrezensionen in den Medien und TV-Sendungen wie dem seit Ende der 80er Jahre populär gewordenen „Literarischen Quartett“ stellt der Buchhandel hierzulande eine der Hauptquellen für Leseempfehlungen dar. Bereits kurz nach dem Ende des zweiten Weltkriegs wurde mit Einrichtungen wie der Deutschen Buchhändlerschule in Frankfurt ein institutioneller Rahmen für die Ausbildung von Buchhandelsfachkräften geschaffen – ein Sachverhalt, der nicht zuletzt auf die große Rolle deutschsprachiger Literatur für das Bildungsbürgertum und die „Kulturnation“ des 19. Jahrhunderts zurückzuführen ist. Im Vergleich zu den europäischen Nachbarn zeichnete sich der deutsche Buchhandel daher lange durch ein überdurchschnittliches Qualifikationsniveau und einen hohen Organisationsgrad aus.

Neue Verkaufsformate locken neue Kunden in den Buchhandel

Über einen Mangel an buchhändlerischer Beratungskompetenz konnten sich die Deutschen somit nicht beklagen – eher über das Gegenteil, wie der in den 70er Jahren einsetzende Erfolg von lockereren, weniger intellektuell aufgeladenen Buch-Warenhäusern verdeutlichte. Zu den Vorreitern zählte hier die Bücher, Illustrierte und Schallplatten vermischende Buchkette Montanus aktuell (die 1979 von Douglas gekauft wurde und 2001 in Thalia aufging), aber auch der Filialist Hugendubel, der in seiner 1979 eröffneten Filiale am Münchner Marienplatz mit Selbstbedienungsregalen, Büchertischen und „Lese-Inseln“ die Blaupause für die Großflächen der heute dominierenden Buchketten lieferte.

Der in den 80er Jahren ansetzende Höhenflug von Hugendubel, Thalia, Weltbild und Co. erhielt erst durch das Aufkommen des Online-Buchhandels einen entscheidenden Dämpfer. Der einfache Zugang zu einem möglichst großen Buchsortiment war nun kein Alleinstellungsmerkmal der Filialisten mehr, sondern wurde durch das Angebot von Amazon um ein Vielfaches übertroffen. Rückläufige Umsätze und ein schwaches Online-Angebot sorgten dafür, dass die Buchketten in der Folge einen bis heute anhaltenden Filialrückbau einleiteten.

Heute herrscht in den Buch-Kaufhäusern die Service-Wüste

Inzwischen traten in der öffentlichen Wahrnehmung wieder die Aspekte Beratungskompetenz und buchhändlerische Qualität in den Vordergrund – allerdings mit einem für die Buchketten alles andere als positivem Ergebnis: „Vage Empfehlungen, lange Wartezeiten“ lautete das repräsentative Fazit einer Marktstudie, die das Deutsche Institut für Servicequalität (DISQ) im Sommer 2012 veröffentlichte. 130 Filialen von 13 großen Buchhandelsketten hatte das DISQ getestet und traf dabei auf ein Serviceniveau, das deutlich unter dem in anderen Handelssegmenten üblichen Standard lag.

Damit bestätigte das Marktforschungsunternehmen eine gängige Weisheit: Wer schnell Bücher kaufen will, bestellt bei Amazon. Wer dagegen stöbern und sich beraten lassen möchte, wählt den Weg in die (unabhängige) Buchhandlung seines Vertrauens.

Wie gut sind Amazon-Empfehlungen wirklich?

Wie schon eingangs erwähnt, verzichtet auch Amazon nicht darauf, seinen Kunden mit Buchempfehlungen einen Anreiz zum Kauf weiterer Titel zu bieten – allerdings mit oft enttäuschenden Ergebnissen. Warum das so ist, zeigt ein Blick auf die Recommendation-Technologie von Amazon.

Das Empfehlungssystem von Amazon bei Büchern unterscheidet sich prinzipiell nicht von anderen Produktbereichen: Ausgehend von der Einkaufshistorie der Kunden und evtl. abgegebenen Produktbewertungen erfolgt eine hochgradig personalisierte Darstellung der Amazon-Webseite. So wird, wer bevorzugt Fashion-Artikel und Baby-Zubehör bestellt, eine komplett andere Amazon-Homepage vorfinden als jemand, der sich in erster Linie für Unterhaltungselektronik und Medien-Artikel interessiert. Das gleiche gilt für den Buchbereich: Wer bei Amazon hauptsächlich Fachliteratur kauft, hat es mit einer anderen Storefront zu tun, als ein Kunde, der bei dem Online-Händler regelmäßig aktuelle Roman-Neuerscheinungen bestellt.

Einfaches Prinzip mit großer Wirkung

Diese Personalisierung betrifft nicht nur die Amazon-Homepage, sondern setzt sich in den einzelnen Kategorien und auf den Produktseiten fort – wie auch die entsprechenden Empfehlungsfloskeln verdeutlichen: Phrasen wie „Wird oft zusammen mit folgenden Artikeln gekauft“, „Kunden, die diese Artikel in Ihrem Einkaufswagen gelegt haben, haben auch Folgendes gekauft“ und „Kunden, die diesen Artikel gekauft haben, kauften auch“ kennt jeder Amazon-Nutzer zur Genüge.

Als weltgrößter Online-Händler hat Amazon einen beträchtlichen Aufwand in den Aufbau seines Empfehlungssystems investiert – der sich zumindest in Teilbereichen durchaus auszahlt. So gelten die Produktempfehlungen von Amazon in E-Commerce-Kreisen allgemein als weit entwickelt und gehen auch Analysten davon aus, dass der Onlinehändler mit seinen On-Site-Empfehlungen eine vergleichsweise hohe Conversion Rate erzielt.

Chancengleichheit für Selfpublisher

Im Buchbereich haben zudem eine Reihe von Self Publishing Autoren auf die Vorzüge des Empfehlungssystems von Amazon verwiesen. Während es für unabhängige Autoren ohne die Marketing-Power eines großen Verlags im Rücken so gut wie unmöglich ist, ihre Bücher in die Auslagen des stationären Buchhandels zu bringen, sorgen die Empfehlungsmechanismen von Amazon für einen egalisierenden Effekt: Für Funktionen wie „Also bought“ und „Similar Items“ macht es keinen Unterschied, ob es sich um den Bestseller eines Star-Autors oder um ein bei einem Self-Publishing-Dienst veröffentlichten Titel eines Amateur-Schriftstellers handelt. Zudem hat das Empfehlungssystem von Amazon eine selbstverstärkende Wirkung und steigt nach ersten Anfangserfolgen die Häufigkeit der Empfehlungen – und damit auch der potenziellen Verkäufe. Unbekannte, unabhängige Autoren haben bei Amazon somit bessere Chancen denn je.

Wie nicht zuletzt unser Einstiegsbeispiel rund um Dan Browns „Inferno“ zeigt, ist das Amazon-Empfehlungssystem dennoch notorisch unzuverlässig. Einige Erklärungen dafür haben wir bereits geliefert. Genauere Einsichten bietet ein Überblick über die gängigen Recommendation-Mechanismen: Was sind Empfehlungsalgorithmen? Wie unterscheidet sich Amazon hier vom Wettbewerb? Und welche Entwicklungsperspektiven und Grenzen gibt es für algorithmische Verfahren?

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