Loe raamatut: «Schwarzer Kokon»
Matthias Kluger
SCHWARZER KOKON
Buch 1 und 2
Roman
Engelsdorfer Verlag
Leipzig
2016
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Copyright (2016) Engelsdorfer Verlag Leipzig
Alle Rechte beim Autor
Titelfoto:
Madness concept. Emotional girl in strange pose © Wisky (Fotolia)
1. digitale Auflage: Zeilenwert GmbH 2016
Hergestellt in Leipzig, Germany (EU)
Inhalt
Cover
Titel
Impressum
Widmung
Buch 1 – 1728 bis 2007
Der Anfang
Die Suche
Vor dem Sommerball
Übermut
Der Sommerball
Das Verhängnis
Die Suche geht weiter
Ratlose Veronika
Die Flucht beginnt
Das Imperium
Die Frage der Todesstrafe
Ein Schuldiger ist gefunden
Das Gewitter zieht auf
Scharfrichter und Henker
Gelingt die Flucht?
Abas Verhaftung
Der Fluch
Die Todesstrafe?
Stephens Frauen
Der Sperling
Marcs Entlassung
Der Leitwolf
Die Brüder
Das Dunkel des Waldes
Der Oberste Gerichtshof entscheidet
Hugh
Das Frühstück
Die Stadt
Zolas Geschichte
Vereint und schuldig
Das Ende der Ehe
Veronikas Flucht
Sam schaltet sich ein
Die Vernissage
Fredriks Versuch
Die Senatoren
Zurück im Herrenhaus
Tumelos Vermächtnis
Abschied von Tumelo
Heimliche Leidenschaft
Marcs Entdeckung
Willsons Rückzieher
Die Eroberung
Die Geburt
Leben und Tod
Der Kampf
Die Schriften der Bibel
Die Verhaftung
Das politische Aus
Geschwister
Die Jury
Im Gefängnis
Die Beichte
Der Fluch erfüllt sich
Marias Enthüllung
Ein neuer Zellengenosse
Morbus Addison?
Die Entscheidung
Der Raub
Mahoni
Metamorphose
Clextons Zorn
Die Einzelzelle
Miss Fitch
Die Reise
Krankenstation
Die Zerrissenheit Fredriks
Hughs Vergangenheit
Zurück zur Uni
Francis und Sammy
Ein seltsamer Ort
Columbia
Die Truhe
Nachdenkliche Zola
Der Auftrag
Untersuchungshaft
Wo ist Stephen?
Zola und Jessika
Wohin wärst du geritten?
In ein anderes College?
Zu viele Fragen!
Besuch bei Miss Fitch
Aba spricht
Ein Farbiger als Bruder
Philipp kämpft
Die Zusage des Colleges
Russ’ Grab
Das College von Charleston
Clexton schwört Rache
Die Wohnungssuche
Unheil zieht auf
Cops im Einsatz
Die Opferung
Lincoln tobt
Zolas Rache
Das neue Zuhause
Clextons Grab
Im Kaufhaus
Zurück in Charleston
Unterlagen des Genealogen
Die Droge Deboras
Knastbesuche
Lincoln schöpft Verdacht
Das Fundament des Haskins-Imperiums
Des Rätsels Lösung
Marcs Entlassung
Der Streit
Das Testament
Wäre Lincoln nicht gewesen
Zu Besuch
Geburtstag
Der Tag in Charleston
Offene Worte
Kampf der Sucht
Sie machen sich Sorgen
Buch 2 – 2011 bis 2015
Die Absolventen des Jahrgangs 2011
Der Anwalt
Die Anklage
Ich kenne dich!
Namensgleichheit
Treffen der Freunde
Fredriks Hochzeitsrede
Die Verhandlung
Zurück im Hotel
Der Fanatiker
Willson und Harper
Die Dienstanweisung
In der Obhut des FBI
Zentrale des FBI
Pressetermin
Post kündigt sich an
Neue Identität
Den Brief in Händen
Die Dinge entwickeln sich
Ein weiterer Blog
Stephen meldet sich
Der Stick
Alles hat seinen Preis
NICHT SCHULDIG
Das Standbild
Der dreißigste Geburtstag
Ein fataler Fehler
Southern Poverty Law Center
Die Spur wird heiß
Rufus Quade
Ein Treffen nach Jahren
Etwas mehr als nichts
Stephen gibt sich zu erkennen
Keine weiteren Beweise
Wirst du mich hassen, wenn ich ihn wiedertreffe?
Liebe und Freundschaft
Zu den Akten
Da der Tag sich jährt
Aufbruch nach Charleston
Gefahr in Verzug
Fahndung nach Quade
Wieder in Charleston
Der Feind in Charleston
Die Suche beginnt
Ich hab Plätze für uns reserviert
Reine Vorsichtsmaßnahme
Mother Emanuel African Methodist Episcopal Church
Einsatzteams vor Ort
Das Attentat
Ausnahmezustand
Die Gedanken sind bei Stephen
Die Geschichte geht weiter
Epilog
Literaturhinweise
Fußnoten
Dieses Buch ist meiner einzigartigen Frau Aimie gewidmet.
Gemeinsam haben wir Höhen und Tiefen durchlebt.
Gemeinsam lieben wir unsere Tochter Lea und die Familie über alles.
Mein ganz besonderer Dank gebührt meinem Lektor, Philosoph Friedhelm Zühr, Eva und Michael, Ingrid und Karl.
Buch 1
Der Anfang
Zola stand barfuß in der Hütte, eine Behausung aus Stroh und einfachen Holzplanken. Sie schnappte nach Luft und röchelte leise. Ihre Silhouette wirkte im Mondlicht, welches durch Ritzen der Hüttenwände ins Innere drang, sonderbar verkrampft – ausgestreckte Arme, flehende Finger. Blut tropfte aus ihrem Schoß, rann die schlanken Beine herab über die Füße und versickerte, zu dunklen Flecken werdend, im Staub. Vor dem Schlafplatz ihrer Mutter Aba, der nur aus einer Wolldecke bestand, sank Zola kraftlos auf die aufgeschlagenen Knie. Höllische Schmerzen durchfuhren den Körper.
Durch das dumpfe Geräusch geweckt, erwachte Aba und blickte in fiebernde Augen. Ein Aufschrei des Entsetzens zerriss die nächtliche Stille. Mit bebenden Händen umschloss Aba das schmerzverzerrte Gesicht ihrer Tochter, die außerstande schien, eine Regung zu zeigen. Gurgelnde, nicht verständliche Laute. Speichel und Tränen, die sich als Rinnsal den Weg über die eingefallenen Wangen bahnten.
Zola spürte noch die rauen Hände ihrer Mutter – als sich ein schwarzer Vorhang über sie legte. Sie fiel bewusstlos zur Seite.
Aba zog Zolas erschlafften Körper auf ihren Schlafplatz und zündete mit zittrigen Händen den Kerzenstummel an, welcher in einem schlichten Tongefäß auf dem Lehmboden neben ihr stand. Im Schein des Kerzenlichtes erschauderte sie beim Anblick des geschundenen Körpers. Das weiße Hemdchen, welches Zola, seitdem sie im Herrenhaus arbeitete, mit Stolz trug, war zerrissen, bedeckte nur knapp ihre birnengroßen Brüste und gab die schlanken, wohlgeformten Schultern frei. Tiefe Kratzwunden formten ein seltsames Muster in die dunkelbraune Haut. Ansonsten war Zola nackt. Aba besah wie in Trance die tiefen Kratzspuren der Schenkel und sie spürte den Schmerz, so als wären es ihre eigenen Wunden. Klebrige dunkle Feuchtigkeit überzog Zolas Haut.
In Panik griff sie nach alten Lumpen, die sie sonst zum Waschen des Gesichtes verwandte, aus dem hölzernen, mit Wasser gefüllten Eimer und reinigte damit zuerst das Gesicht, weiter Zolas Schultern und Beine.
Was war nur passiert, dass ihre Tochter derart zugerichtet in ihrer Hütte lag? Wurde sie von Wölfen angefallen, die rund um die Plantage keine Seltenheit waren?
Aba überlegte Hilfe zu holen, doch war der Einzige, der in Frage kam, Tumelo, der im Herrenhaus untergebracht war. So befeuchtete sie weiter und weiter das Gesicht ihrer Tochter in der Hoffnung, dass diese die Augen öffnete.
Das Morgenrot kündigte bereits den neuen Tag an, während Aba noch immer unter leisem Wimmern in der Hütte kniete, das Ohr an Zolas Nase und Mund. Atmete Zola noch? War Zola nur bewusstlos oder lag da gar die leblose Hülle ihrer Tochter?
Die Suche
Charleston, South Carolina, 1732
Clexton Baine zählte zu den zehn reichsten Plantagenbesitzern in Charleston. Den fast unermesslichen Reichtum verdankte er dem Geschick seines Vaters Matthias Maria Baine, der 1699 als irischer Auswanderer mit dem Anbau von Reis und dem »weißen Gold« – die Baumwolle – in Charleston zu Wohlstand kam. Clextons Mutter, eine zierliche Irin, starb im Kindsbett und so verließ Clextons Vater, wie viele irische Landsleute in jener Zeit, ein Jahr nach Geburt des Sohnes Irland, um im neuen Land sein Glück zu finden.
Schon als Kind zeigte sich in Clexton ein Gefühl des Ekels vor den vielen Sklaven, die unter Anweisung des Vaters die Wälder am Fluss rodeten und zu fruchtbarem, mit aufwendigen Wasserkanälen durchzogenem Ackerland veredelten.
Im Laufe der Jahre, in denen er zu einem großen, breitschultrigen Mann heranwuchs, formte sich aus der widerwärtigen Abneigung Clextons eine grausame, kalte Mentalität den Sklaven gegenüber. Jedes Tier auf der Plantage genoss einen höheren Stellenwert als die – seiner Meinung nach – »stinkenden Schwarzen«, welche für ihn einzig billige, jederzeit austauschbare Arbeitskräfte waren. Höllenangst war es dann auch, die sein ständiger Begleiter war. Höllenangst vor dem Hass aller Sklaven. Diese Furcht bestimmte sein Handeln, nicht den kleinsten Anschein von Schwäche zu zeigen, und wurde durch regelmäßige, grausame Bestrafungen der Arbeiter bei noch so geringem Anlass offenbart. Die Angst der Sklaven um ihr Leben musste größer sein als die seine.
Wie alle Plantagenbesitzer in Charleston verschiffte Clexton die geerntete Baumwolle des vierhundert Hektar umfassenden Guts nach England. Seine wichtigsten Abnehmer hatten ihre Arbeitsstätten in der Grafschaft Lancashire. Billige Arbeitskräfte, die man für Anbau und Ernte laufend benötigte, wurden auf dem Sklavenmarkt im Hafen von Charleston angeboten. Segelschiffe, meist zweimastige Briggs oder Schoner, transportierten die Sklaven auf Handelsrouten aus Westafrika und der Karibik nach Charleston. Freiheit fanden nur die leblosen Körper der wegen sehr schlechter hygienischer Zustände zu Tode gekommenen Frauen, Männer und Kinder. Von ihren Fesseln erlöst warf man sie über die Reling zur letzten Ruhestätte ins offene Meer. Jene Menschen aber, die zu Hunderten den Transport im Schiffsrumpf auf engstem Raum zusammengepfercht und an Massenpritschen angekettet überlebten, wurden zu Leibeigenen. Für sie begann eine neue Zeitrechnung als »Unfreie« im Gelobten Land.
Clexton Baine war, da er die Sklaven nicht einzeln, sondern stets im Dutzend bezog, bei den Händlern sehr angesehen. So wurde für ihn – von den skrupellosen Schiffseignern – bereits vor dem Kauf eine Auslese im Verhältnis von zehn männlichen zu zwei weiblichen Sklaven getroffen. Neben Alter, Körperbau und gesunden Zähnen achtete man auf erkennbare Krankheiten wie Skorbut, die nicht selten die Sklaven befiel.
Auf den Plantagen angekommen, wies man den Farbigen Unterkünfte zu. Von zwei bis zu acht Personen hausten sie nach Geschlecht getrennt in kleinen Hütten. Die Schlafstätten bestanden aus Decken am Boden, zu essen bekamen sie Maisbrei und Wasser. Ohne Rechte war der Sklave Eigentum seines Herrn – ihm auf Gedeih und Verderb ausgeliefert.
Clexton stand auf der großen Veranda des im typischen Kolonialstil erbauten, auf einem Hügel stehenden Herrenhauses und blickte in die Ferne. Über dem Rest der Plantage blendeten die ersten warmen Strahlen der noch tief liegenden Sonne, sodass Clexton seine Augen mit der Hand beschattete. In Richtung Osten sah Clexton die nahe gelegenen, strohbedeckten Hütten der Unterkünfte seiner Sklaven, weiter entfernt die Plantagenfelder bis zum Fluss Ashley River, der die natürliche Begrenzung in Richtung Osten bildete. Reges Treiben hatte die Plantage bereits erfasst. Die Vorarbeiter, wegen der sprachlichen Verständigung auch Sklaven, waren angehalten, bei Sonnenaufgang die Arbeitskräfte auf die Felder zu schicken, bis sie abends im Dunkel wieder zurück in die Hütten kehrten. Er versuchte zu erkennen, ob sich die Sklaven an diesem Morgen anders verhielten, er konnte jedoch nichts Ungewöhnliches ausmachen.
Trotz alledem – dieser Morgen war anders.
Clextons Gedanken schwirrten wild durcheinander und verursachten ein beklemmendes Gefühl.
Jäh unterbrach ihn seine Frau Veronika, als sie mit ihrem gemeinsamen, gerade einjährigen Sohn Joseph Matthias Maria auf die Veranda trat. Der kleine Joseph hatte die beiden Vornamen des Großvaters väterlicherseits erhalten, wurde aber stets »Jos« genannt. Veronika, eine groß gewachsene Frau mit langem blondem Haar, welches offen über die Schultern fiel, wurde vielfach beneidet um die Schönheit und Anmut, die sie mit ihren 28 Jahren ausstrahlte. Ihre Ehe mit Clexton glücklich zu nennen, wäre übertrieben. So verebbte mit der Geburt ihres Sohnes die liebevolle Zuneigung, die sie zu Beginn von Clexton erhielt. Es war keine Seltenheit, dass Clexton nachts nicht neben ihr lag.
Als Veronika wieder einmal alleine in ihrem Bett aufwachte, schlich sie an der Kinderwiege vorbei aus dem Schlafzimmer im ersten Stock und suchte nach ihrem Mann. Sie fand ihn, betrunken mit einer Flasche Gin und der Bibel auf seinem Schoß, seitlich der Eingangshalle im großen Ledersessel der Bibliothek. Unbemerkt huschte sie über die ausladend geschwungene Treppe im Eingangsfoyer hinauf ins Schlafgemach. Sie vermied es, ihn darauf anzusprechen – zu gut kannte sie seine Zornausbrüche, die kurz nach ihrer Heirat zutage kamen, wenn Unangenehmes in der Luft lag.
Irgendetwas schien ihren Mann zu beschäftigen, denn er stand angewurzelt mit Blick gen Osten am hölzernen Geländer der Veranda.
»Guten Morgen, Clexton, warst du die ganze Nacht wach?«
Clexton fuhr herum und blickte sie ungehalten an.
Schon bereute sie die spontane Frage.
Langsam, eindringlich den Blick direkt auf Veronika gerichtet, antwortete er eisig: »Ja, meine Liebe, ich bin wach gewesen. Sicher wird es dich nicht stören zu hören, dass, während du in Ruhe schlafen konntest, ich mir Gedanken um die heutige Verladung gemacht habe. Wir haben zu wenig Ware, um die Zwischendecks voll zu bekommen. Die Nigger arbeiten zu langsam und das bedeutet Einbußen, die weder du noch ich wollen – oder bist du anderer Meinung?«
»Entschuldige, Clexton. Mir liegt es fern, dich zu verstimmen.« Veronika senkte den Blick, streichelte über den Haarschopf ihres Sohnes in der Hoffnung, dass ein gemeinsames Frühstück ihren Mann wieder besser gelaunt stimmen würde. So griff sie mit der freien Hand nach der mit kleinen Ornamenten verzierten goldenen Glocke, die auf dem schlichten Messingtisch der Veranda stand.
Tumelo, ein Sklave aus Botswana, der seit sieben Jahren auf der Plantage lebte, erschien. Aufgrund der Fähigkeit, die englische Sprache lediglich durch Zuhören schnell erlernt zu haben, durfte er seit zwei Jahren als Bediensteter im Herrenhaus arbeiten. Zu seiner Aufgabe gehörte, neben dem Reinigen aller silbernen Gegenstände wie Leuchter und des Bestecks, hauptsächlich die Reparatur von Schäden, welche im über dreißig Jahre alten Herrenhaus anfielen. Nicht aber die morgendliche Versorgung der Herrschaften! Insofern verwunderte es Veronika, dass nicht Zola, das Dienstmädchen, vor ihr stand.
»Sie wünschen, Madam?«, fragte Tumelo in einwandfreiem Englisch.
»Wir würden gerne das Frühstück auf der Veranda einnehmen. Wo ist Zola?« Veronika blickte Tumelo fragend an.
Zögernd sah Tumelo erst zu Clexton, danach zu Veronika. Ihm war, als hätte sein Herr, Mr. Baine, drohend die Augen zugekniffen. Bestimmt würde Mr. Baine eine Strafe verhängen, sobald er erfuhr, dass Zola morgens nicht in der Großküche, welche im hinteren Trakt des Herrenhauses lag, erschienen war. Sollte er die Wahrheit sagen oder eine Ausrede zum Schutz von Zola vorbringen? Er entschied sich für Ersteres, zumal Mr. Baine bekannt dafür war, zu strafen, egal ob nötig oder nicht.
»Zola heute Morgen nicht in Küche, haben bereits nach ihr gesucht. War auch nicht in ihrem Zimmer – werden aber suchen.«
Ängstlich, eine Züchtigung für die Nachricht zu erhalten, blickte er mit gesenktem Haupt auf die Holzplanken der Veranda, deren weiße Farbe an mehreren Stellen abblätterte. Aus seinem Augenwinkel heraus erkannte Tumelo, wie Mr. Baine abweisend seine rechte Hand erhob.
»Wenn sie nicht erschienen ist, wird sie in der Hütte ihrer Mutter sein«, raunzte Clexton und wandte seinen Blick wieder gen Osten, in Richtung der Sklavenbehausungen. »Ich kümmere mich darum.«
Veronika blickte verwundert. Wieso in der Hütte? Warum engagierte sich Clexton derart, wo er doch sonst den direkten Kontakt zu seinen Sklaven mied und seine Anweisungen sowie die Art der Bestrafung an seine Vorarbeiter übertrug?
»Ich würde mich gerne darum kümmern dürfen«, warf sie ein. »Du hast doch sicherlich mit der heutigen Schiffsladung vieles zu erledigen.«
Zur Antwort erhielt sie den kalten Blick Clextons, der ohne weitere Diskussion und zum Erstaunen Veronikas an ihr und Tumelo vorbei ins Innere des Hauses drängte. Verwirrt sah Veronika ihrem Mann hinterher.
Tumelo hob langsam den Kopf. Würde noch eine Anweisung von Madam kommen?
»Habt ihr wirklich das gesamte Haus durchsucht?«
Tumelo nickte, blieb aber stumm. Sollte er vom Blut in Zolas Zimmer berichten, das er bei der Suche entdeckt hatte? Er entschied sich vorerst dagegen.
»Gut, Tumelo, geh hinüber zu den Stallungen und suche dort nach ihr«, befahl Veronika, »und frage Sam, ob er sie gesehen hat. Gib mir sofort Bescheid, wenn du etwas herausgefunden hast.«
Tumelo nickte abermals und schritt die Stufen der Veranda hinab in Richtung Stallungen. Veronikas Blick folgte Tumelo in Sorge um Zola, die sie in der kurzen Zeit, da sie im Herrenhaus untergebracht war, lieb gewonnen hatte.
Vor dem Sommerball
Vier Jahre zuvor, Charleston, South Carolina, 1728
Als Veronika vom diesjährigen Ball der Plantagenbesitzer erfuhr, war sie aufgeregt vor Freude, sollte das Fest doch eine wundervolle Abwechslung für sie sein. Voller Tatendrang, der ihrem jungen Naturell entsprach, empfand sie die Sommermonate auf der Plantage als äußerst langweilig und genoss daher täglich lange Ausritte auf ihrem schwarzen Hengst, den sie von ihren Eltern zum 21. Geburtstag geschenkt bekommen hatte. Mindestens einmal die Woche besuchte sie mit ihrer Mutter Tea Partys der Plantagenfamilien. Abwechselnd wurde eingeladen, ohne Beisein der Männer, da derartige Treffen den Frauen vorbehalten waren. Unterhaltungen über das wundervoll aufgetischte Gebäck oder die neueste Mode aus England entlockten Veronika allerdings nur ein müdes Gähnen. Sollte ab und an dennoch Spannung aufkommen, so meist, wenn hinter vorgehaltener Hand die Gerüchteküche blühte. Veronika liebte das Getuschel über angebliche Affären der Männer derjenigen Frauen, die nicht zur Tea Party eingeladen waren, und wurde abrupt enttäuscht, wenn die Gerüchte, wie sie fand, zu schnell im Sande verliefen. Mutter betonte dann stets, dass es sich nicht zieme, da die bessere Gesellschaft Skandale zu vermeiden hätte.
Die Sommermonate waren also unaufgeregt und so fieberte Veronika, sobald sich die Blätter der Bäume in goldenes Braun verwandelten, dem Winter entgegen. In der kälteren Jahreszeit wohnte sie mit ihren Eltern in der prunkvollen Villa direkt in Charleston City. Das rege Treiben der Stadt sowie die vielen Läden waren eine willkommene Abwechslung. Sie freute sich auf das neue Theater, welches ihr Vater mit der Stadtverwaltung an der Ecke Church Street/Dock Street plante. Doch bis dahin würden noch einige Monate vergehen, denn jetzt war die Zeit, in der die Sonne tagsüber das Land zum Glühen brachte.
Die kleine, bunte Einladungskarte zum Sommerball, auf die Veronika schon gespannt gewartet hatte, lag auf dem schweren mahagoniroten Arbeitstisch ihres Vaters Robert Turner. Er hatte seine Tochter zu sich gerufen und schob ihr die Karte lächelnd hin.
Veronikas Wangen röteten sich vor Freude, als sie die Einladung las. »Endlich. Ich dachte schon, sie würde gar nicht mehr kommen. Was soll ich nur anziehen?« Sie unterlegte ihren gespielt fragenden Blick mit Schmollmund und leicht seitlich gewandtem Kopf. Als ob dies ein Thema wäre! Ihr Kleiderschrank war voll mit prachtvoller Garderobe. Bevor ihr Vater antworten konnte, küsste sie ihn auf die Wange und tänzelte mit dem Schreiben, fest an ihre Brust gepresst, aus dem Arbeitszimmer.
Robert Turner lächelte kopfschüttelnd seiner Tochter hinterher, dann wandte er sich wieder seinen Unterlagen auf dem Arbeitstisch zu.
Die Zeit bis zum Ball wollte und wollte nicht vergehen. Seitdem Veronika den ersehnten Termin auf der Einladung gelesen hatte, waren ihr die Minuten wie Stunden und die Stunden wie Tage vorgekommen.
Schließlich war es so weit. Der große Tag des Sommerballs!
Vor lauter Aufregung erwachte Veronika vor dem Morgengrauen, noch vor ihren Eltern. Mit nackten Füßen schlich sie, in einem für sie viel zu großen Schlafanzug steckend (Veronika trug nicht die Satinkleider, die für Frauen ihres Standes üblich waren, sondern Schlafanzüge ihres Vaters), in die Küche.
Maarifa, die kleine, farbige Haushälterin mit grauen, kurz gekräuselten Haaren, zwinkerte ihr lustig entgegen. Viel zu dick für ihre Größe, unterstrich die pummelige Figur Maarifas liebevolles Wesen. Sie kannte Veronika seit deren Geburt und verbrachte, dank der Erlaubnis der Herrschaften, viel Zeit mit ihr. Vieles hatte Veronika von Maarifa gelernt, unter anderem das Kochen von schmackhaften Speisen, die Maarifa mit ihren schnellen dunklen Fingern zubereitete. Veronika betrachtete Maarifa nie als Sklavin – nein – Maarifa gehörte zur Familie.
»Was machst du denn hier um diese Zeit?«, fragte Maarifa und sah Veronika mit gespielter Verwunderung an. Natürlich wusste sie vom heutigen Ball.
»Ich bin so aufgeregt und konnte nicht schlafen und jetzt habe ich einen Mordshunger. Wie wäre es mit vier bis acht Broten zum Frühstück?«
»Sicher, nicht dass du dein Kleid sprengst?«, gluckste Maarifa.
»Dann geh ich halt in meiner Reithose, da passe ich immer noch rein.« Sie tänzelte und drehte sich vor Maarifa mit ausgebreiteten Armen, um ihre Figur zu zeigen, die man jedoch wegen des zu großen Schlafanzugs lediglich erahnen konnte.
»Ist ja gut; setz dich auf deinen Hintern und warte ab, was ich dir zaubere.« Maarifa deutete auf einen Schemel, der an der Seite der Küchentheke stand.
Veronikas Eltern würde es sicher nicht recht sein, ihre Tochter in diesem Aufzug bei ihr in der Küche frühstückend vorzufinden. Doch sie schliefen noch. Schnell hatte Maarifa belegte Brote sowie eine Tasse heißer Schokolade zubereitet. Veronika verschlang die ersten beiden mit wenigen Bissen und fragte mit vollem Mund zu Maarifa gewandt: »Was glaubst du, Maarifa? Werden dieses Jahr wieder so viele rosa Lampions hängen wie letztes Jahr? Sie leuchteten abends wie rosa Sterne.« Verträumt blickte sie an die Zimmerdecke, als ob dort dieselben Lampions angebracht wären.
»Na, spätestens in ein paar Stunden wirst du es wissen. Aber schau nicht zu sehr auf die Lampions, sonst entgehen dir die feinen Herren, die dich bestimmt zum Tanzen auffordern werden.« Maarifa lachte.
»Ach was«, entgegnete Veronika mit gespielter Gleichgültigkeit. »Die steigen mir beim Tanzen bloß auf meine neuen Schuhe und werden mich fürchterlich mit Themen wie die Handelsgeschäfte ihrer Väter, die Bestellung der Felder, bla, bla, bla langweilen.«
Doch natürlich war sie aufgeregt, die Söhne der Landbesitzer wiederzusehen, die sie sonst selten zu Gesicht bekam. Wie wird sich wohl Thomas verändert haben? Letztes Jahr zum Sommerball hatte er noch mächtig viele Pickel im Gesicht, was sie verwunderte, denn er war mit 24 Jahren längst aus dem Alter für Akne heraus. Trotz seiner Pickel fand Veronika Gefallen an ihm. Er hatte eine lustige Art zu reden und konnte spannende Geschichten über Indianer erzählen – eine tolle Abwechslung zur sonstigen Konversation der anderen jungen Männer.
Maarifa bereitete währenddessen das Frühstück für die Herrschaften zu und blickte seufzend auf vier Hühner, die sie vor Tagesanbruch geschlachtet hatte und nun für das Dinner der Herrschaften rupfen musste. Einem Huhn die Gurgel durchzuschneiden, war kein Problem für sie, das Rupfen hasste die Dicke jedoch.
»So, jetzt ist es Zeit, bevor dein Vater noch in der Türe steht und schimpft. Oder willst du im Schlafanzug auf dem Ball tanzen?« Sie wedelte Veronika mit der linken Hand zu.
Satt und glücklich sprang Veronika von ihrem Schemel, gab der kleinen Dicken noch einen flüchtigen Kuss auf die pralle Wange, dann huschte sie barfuß in Richtung ihres Zimmers im oberen Stockwerk.
Der jährliche Sommerball wurde jedes Jahr von einem anderen Plantagenbesitzer auf dessen Gut organisiert. Dieses Jahr war das Fest auf dem Anwesen von Mr. Baine, einem der begehrtesten Junggesellen des Tals.