Loe raamatut: «Franziskus im Heiligen Land»
Matthias Kopp
Franziskus im Heiligen Land
Matthias Kopp
Franziskus im Heiligen Land
Päpste als Botschafter des Friedens: Paul VI. – Johannes Paul II. – Benedikt XVI. – Franziskus
Butzon & Bercker
„Orientierung durch Diskurs“ Die Sachbuchsparte bei Butzon & Bercker, in der dieser Band erscheint, wird beratend begleitet von Michael Albus, Christine Hober, Bruno Kern, Tobias Licht, Cornelia Möres, Susanne Sandherr und Marc Witzenbacher.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Das Gesamtprogramm von Butzon & Bercker finden Sie im Internet unter www.bube.de
ISBN 978-3-7666-1880-1
E-Book (Mobi): ISBN 978-3-7666-4264-6
E-Book (PDF): ISBN 978-3-7666-4265-3
E-Pub: ISBN 978-3-7666-4266-0
© 2014 Butzon & Bercker GmbH, Hoogeweg 100, 47623 Kevelaer, Deutschland, www.bube.de
Alle Rechte vorbehalten.
Umschlaggestaltung: Christoph M. Kemkes, Geldern
Satz: Schröder Media GbR, Dernbach
Printed in the European Union
Inhalt
Vorwort – oder: Warum noch ein Papstbuch nötig ist
I. Christen und kirchliches Engagement im Heiligen Land – ein Überblick
II. Der Heilige Stuhl und das Heilige Land – eine wechselvolle Geschichte
III. Auftakt: Papst Paul VI. 1964 im Heiligen Land
IV. Freundschaft: Papst Johannes Paul II. 2000 im Heiligen Land
V. Brüder: Papst Benedikt XVI. 2009 im Heiligen Land
VI. Perspektive: Papst Franziskus 2014 im Heiligen Land
VII. Vision für Nahost: Das Friedensgebet im Vatikan und die Perspektive danach, oder: Hoffen wider alle Hoffnungslosigkeit
Anhang
Anmerkungen
Vorwort – oder:
Warum noch ein Papstbuch nötig ist
„Erbittet für Jerusalem Frieden! Wer dich liebt, sei in dir geborgen. Friede wohne in deinen Mauern, in deinen Häusern Geborgenheit.“ (Psalm 122,6 – 7) Wer die Landkarte des Nahen Ostens aufschlägt oder die erschütternden Bilder aus der Region sieht, denkt kaum an die Friedensvision für die heilige Stadt Jerusalem, die der Psalmist vor zweieinhalbtausend Jahren schrieb. In dem „Wallfahrtslied nach Jerusalem“, wie der Psalm auch gerne genannt wird, verdichtet sich seit Jahrhunderten die Sehnsucht des Menschen, in die heilige Stadt Jerusalem zu pilgern – in der der ewige Friede zu finden ist. Von diesem Frieden sind Jerusalem und viele andere Städte des Nahen Ostens weit entfernt. Und doch ist die Hoffnung auf Frieden so groß wie selten zuvor – und ebenso oft wird genau diese Hoffnung auf Frieden erschüttert. Während Kriege und Terror, Flüchtlingsdramen und wirtschaftliche Not den Nahen Osten beherrschen, bleibt bei aller Verzweiflung oft nur als letzte Hoffnung das Gebet. So hat es Papst Franziskus eindrucksvoll gesagt, als er zur Überraschung von Israelis und Palästinensern die beiden Staatsoberhäupter während seiner historischen Reise in das Heilige Land im Mai 2014 zu einem Friedensgebet in den Vatikan einlud: „An diesem Ort, wo der Friedensfürst geboren wurde, möchte ich an Sie eine Einladung richten, gemeinsam mit mir ein intensives Gebet zu erheben und von Gott das Geschenk des Friedens zu erflehen.“ Papst Franziskus ist als Pilger in das Heilige Land gekommen, um für den Frieden zu beten und dabei nicht vor politischen Erwartungen Halt zu machen. Deshalb wirkt sein Wort bis heute, als er in Betlehem sagte: „Frieden zu schaffen ist schwierig, aber ohne Frieden zu leben ist eine Qual.“
Das vorliegende Buch zeichnet den Weg von Papst Franziskus im Heiligen Land nach. Er war der historischen Begegnung von Papst Paul VI. und dem Ökumenischen Patriarchen Athenagoras von Konstantinopel gewidmet, die sich vor fünfzig Jahren im Heiligen Land trafen, um über tausend Jahre der Trennung zu überwinden. Schon aus diesem Grund ist die Reise von Papst Franziskus keine Reise ohne Grund oder gar ohne Geschichte. Sie baut kontinuierlich auf die Vorgängerpäpste auf und setzt den Weg der Versöhnung, des Dialogs und der Ermutigung für die christliche Minderheit im Heiligen Land konsequent fort.
Um die Reise von Papst Franziskus zu verstehen und in den geschichtlichen Kontext einordnen zu können, vor allem aber auch, um zu begreifen, welche Anstrengungen und Wegstrecken in den Jahrzehnten zuvor notwendig waren, um das Programm genau dieser Reise zu ermöglichen, werden erstmals die Wege aller vier Papstreisen ins Heilige Land nachgezeichnet. Mit einer Analyse zur Nahostdiplomatie des Heiligen Stuhls und der Annäherung der römisch-katholischen Kirche an den Staat Israel sowie den Staat Palästina werden die Grundlagen aufgezeigt. Sie gehen zurück bis auf die Zeit Papst Pius’ XII., der noch vor der Gründung des Staates Israel eine diplomatische Vertretung in Form der Apostolischen Delegatur von Jerusalem errichtete. Ohne Papst Johannes XXIII. und seinen Einsatz für das Konzilsdekret Nostra aetate, das in besonderer Weise auf das Judentum und den Islam eingeht, wäre die Idee einer ersten Auslandsreise eines Papstes im 20. Jahrhundert nicht denkbar gewesen. Papst Paul VI. hielt noch während des Konzils die Zeit für gekommen, diesen mutigen Schritt zu gehen. So widmet sich das Buch ausführlich jener Reise, bei der Paul VI. in Jordanien und Israel 1964 zu Gast war.
In der Folge hat der Heilige Stuhl seine Position zum Nahen Osten wiederholt dargelegt. Darauf geht das Buch ebenso ein wie auf die großen Schritte der Annäherung von Papst Johannes Paul II. zum Judentum und zum Staat Israel. Der Besuch des Papstes 1986 in der Synagoge von Rom, wo er die Juden als „unsere älteren Brüder“ bezeichnete, gilt ohne Zweifel als ein zentraler Moment der kontinuierlichen, von Johannes Paul II. gewünschten Aussöhnung mit dem Judentum, die in der Vergebungsbitte im Heiligen Jahr 2000 ihren Höhepunkt fand. Unmittelbar nach diesem Ereignis reiste Papst Johannes Paul II. ins Heilige Land. Das Buch würdigt diese Reise, den unvergesslichen Besuch in der Holocaustgedenkstätte Yad Vashem und an der Klagemauer, vor dem Felsendom und in einem Flüchtlingslager in Betlehem. Was Papst Paul VI. grundgelegt hatte, konnte Papst Johannes Paul II. vollenden.
Gerade deshalb war es für Papst Benedikt XVI. eine besondere Herausforderung, 2009 in den Nahen Osten zu reisen. Was würde er als „deutscher“ Papst Israelis und Palästinensern sagen können? Die dritte Heilig-Land-Reise eines Papstes wird in dem Buch ebenfalls analysiert und kommentiert. Benedikt XVI. setzte den Weg der Versöhnung mutig fort – bis heute sind seine mahnenden und nachdenklichen Worte in Yad Vashem ebenso unvergessen in Israel wie seine eindringlichen Appelle an die christliche Minderheit Palästinas, das Land nicht zu verlassen. Ohne Papst Benedikt XVI. wäre der Dialog der Religionen ärmer und die katholische Kirche im Heiligen Land beiderseits des Jordans entmutigter.
Auf diesen drei Reisen seiner Vorgänger also baute Papst Franziskus auf, als er das Heilige Land besuchte. Um das Engagement der Päpste für die Region und den Frieden zu verstehen, werden in diesem Buch auch die Grundlagen zum Leben der katholischen Kirche im Heiligen Land erläutert. Wichtige Redeauszüge der Reisen werden mit Blick auf den politischen und theologischen Kontext analysiert. Das Buch bietet so erstmals einen Gesamtüberblick über vier Papstreisen und das Engagement im gegenwärtigen Pontifikat Papst Franziskus’ für den Nahen Osten.
Während das Buch fertiggestellt wurde, brach der Krieg zwischen Israel und der Hamas im Gazastreifen aus: am 8. Juli 2014, exakt einen Monat nach dem von Papst Franziskus initiierten Friedensgebet im Vatikan. Das letzte Kapitel des Buches widmet sich diesem Friedensgebet. Dabei bleibt realistisch festzuhalten, dass das Gebet um Frieden weitergehen muss, trotz Hass und Gewalt in Nahost. Auch dazu möchte diese Analyse beitragen und Anregungen geben. Deshalb bin ich dem Verlag Butzon & Bercker dankbar, dass er sich dieses drängenden Themas angenommen hat und so eine Geschichte von vier Päpsten mit in sein Programm aufnimmt. Mein Dank gilt allen, die mich auf diesem Weg zum Buch unterstützt haben. Es lebt aus den eigenen Erfahrungen, die Reisen von Papst Johannes Paul II., Papst Benedikt XVI. und Papst Franziskus selbst vor Ort in verschiedenen Aufgaben mit begleitet zu haben.
Das Buch endet – trotz des Wissens um neue Kriege in Nahost und Terrorregime von unvorstellbarer Gewalt in der Region – mit einem Wort des Papstes: „Für den Frieden braucht es Mut, eine große Seelenstärke!“ Diesen Mut wünsche ich den Menschen im Heiligen Land und allen Ländern des Nahen Ostens.
Köln im August 2014 Matthias Kopp
I. Christen und kirchliches Engagement im Heiligen Land – ein Überblick
Mit ihren knapp zwei Prozent Bevölkerungsanteil bilden die Christen in Israel und Palästina eine kleine Minderheit – mit großem Potenzial. Viele Möglichkeiten haben sich erst im Verlauf der Geschichte des 20. Jahrhunderts entwickelt, die im zweiten Kapitel genauer dargestellt wird. Im Folgenden wird die Grundlage dargestellt, auf der insbesondere die katholische Kirche heute im Heiligen Land aufgebaut ist. Diese Grundlage war und ist die Ausgangsbasis für die vier historischen Reisen der Päpste Paul VI., Johannes Paul II., Benedikt XVI. und Franziskus.
Katholische Bevölkerung im Heiligen Land in Zahlen
Es bleibt schwierig, statistisch zuverlässiges Material über den christlichen Bevölkerungsanteil im Heiligen Land zu erhalten. Insbesondere die Zahlen des Übergangs von der Mandatszeit zur Gründung des Staates Israel sind zum großen Teil widersprüchlich. Immerhin hatte die britische Regierung 1922 und 1931 Volkszählungen durchführen lassen. Diese zeigen einen Bevölkerungsanteil zwischen 9,5 Prozent Christen (1922) und 8,8 Prozent (1931) an (Muslime: 78,3 Prozent bzw. 73,3 Prozent; Juden 11,1 Prozent bzw. 16,9 Prozent). Zum Zeitpunkt der Staatsgründung werden 145.000 Christen (7,6 Prozent) angegeben, von denen 34.000 im neuen Staat Israel blieben, 60.000 zu Flüchtlingen wurden und rund 51.000 Bewohner der Westbank und des Gazastreifens wurden. Eine konfessionelle Differenzierung liegt nicht vor.1
Auch in der aktuellen Bevölkerungsstatistik widersprechen sich die Zahlen. Das Lateinische Patriarchat von Jerusalem hat 2001 in Absprache mit den anderen christlichen Konfessionen versucht, aktuelle Zahlen zu präsentieren. Diese korrelieren weitgehend mit den Forschungen von Michael Prior und William Taylor, die vor allem von Bernard Sabella aufgegriffen wurden.2 Von den 7,1 Mio. Einwohnern Israels sind knapp 1,9 Prozent Christen, was ca. 119.000 Menschen ausmacht, die sich wie folgt aufteilen:
Griechisch-katholische: | 60.000 |
Orthodoxe: | 35.000 |
Lateiner: | 12.000 |
Maroniten: | 9.000 |
Protestanten: | 3.000 |
Der christliche Bevölkerungsanteil in den palästinensischen Autonomiegebieten liegt bei 2 Prozent (= ca. 47.500 Christen; Sabella beziffert den Anteil auf 1,4 Prozent und geht von einer höheren Bevölkerungszahl aus):
Griechisch-orthodoxe: | 24.000 |
Lateiner: | 16.000 |
Griechisch-katholische: | 3.000 |
Protestanten: | 2.100 |
Syrer und Armenier: | 1.400 |
Kopten, Äthiopier, Maroniten: | 1.000 |
Ein besonderes Problem hinsichtlich der Statistiken bildet Jerusalem. Eine israelische Studie kommt zu dem Schluss, dass 1944 29.350 Christen in Jerusalem gelebt haben, heute sind es nach vorsichtigen Schätzungen 11.500 Christen, und bereits vor dem Sechstagekrieg waren es nur noch 14.000 Christen.3 Die Konfessionen teilen sich heute in Jerusalem wie folgt auf:
Lateiner: | 4.000 |
Griechisch-katholische und weitere katholische Konfessionen: | 3.400 |
Griechisch-orthodoxe: | 3.400 |
Protestanten: | 700 |
Sonstige: | k. A. |
Insgesamt leben also westlich des Jordans knapp 178.000 Christen, wobei die lokale Verteilung höchst unterschiedlich ist. Bleibt Betlehem mit 50.000 Einwohnern und 11.000 Christen eine Stadt, in der die christliche Präsenz spürbar ist, so sind die 1.000 Christen in Gaza mit über 1 Mio. Einwohnern eine verschwindend geringe Minderheit, die kaum das öffentliche Leben prägt. In dieser Statistik sind die enormen Migrationsströme von Christen aus Afrika bzw. christlichen Gastarbeitern aus Asien noch nicht eingerechnet, da konkrete Zahlen dieses seit 2010 besonders intensiven Phänomens bisher nicht erhoben wurden. Allein aus den Philippinen gibt es schätzungsweise rund 35.000 katholische Migranten in Israel. Von rund 53.000 Asylsuchenden aus Afrika sind vermutlich rund 40.000 Christen.
Während die Lateiner (seit 1847) und griechisch-katholischen Christen (bereits 1752 wurde zunächst eine Erzdiözese in Nazaret eingerichtet, zwanzig Jahre später wurden die Jerusalemer griechisch-katholischen Christen dem Patriarchen von Antiochia unterstellt) unter den katholischen Bekenntnissen führend sind – auf beide wird noch in einem späteren Kapitel eingegangen –, bilden die anderen eine nominell meistens kleine Minderheit. Die syrisch-katholische Kirche, seit 1663 mit Rom in voller Gemeinschaft, unterhält eine eigene Jurisdiktion in Jerusalem erst seit 1980. Die armenisch-katholische Kirche, die sich 1741 von ihrer Mutterkirche trennte, hat seit 1842 einen Patriarchalvikar in Jerusalem. Das maronitische Vikariat wurde 1895 eingesetzt. Das Gesamt der katholischen Konfessionen wird in der „Assemblée d’Ordinaires catholiques de Terre Sainte“ („Konferenz der katholischen Ordinarien im Heiligen Land“) koordiniert, deren Statuten 1991 verabschiedet wurden. Diese wiederum gehört zur „Conférence des éveques latins dans les regions arabes“ (CELRA), die während des Zweiten Vatikanischen Konzils gegründet und 1967 von der Ostkirchenkongregation mit einem eigenen Statut ausgestattet wurde. Auf ökumenischer Ebene erfolgte Anfang der Siebzigerjahre die Gründung des „Middle East Council of Churches“ (MECC), dem 1990 auch die katholischen Bekenntnisse beitraten.
Sonderstellung: Hebräische Katholiken im Heiligen Land
Seit der Staatsgründung leben in Israel neben den bereits beschriebenen christlichen Minderheiten die hebräischsprechenden Katholiken des Heiligen Landes. Diese „Hebrew Speaking Community“ ist zwar eine kleine Minderheit, hat aber Ende der Neunzigerjahre – nicht zuletzt durch die Auswanderung zahlreicher russischer Juden und entsprechende Konversionen – neue Bedeutung erlangt. Neben einigen Konvertiten aus dem Judentum gehören dazu auch extrem hohe Zahlen christlicher Einwanderer vor allem aus den Philippinen und Äthiopien sowie Eritrea, die sich sprachlich in die israelische Gesellschaft einfügen, jedoch ihren christlichen Glauben behalten. Konkrete Zahlen gibt es nicht; die Gesamtzahl dieser Migranten wird auf über 65.000 Menschen im Januar 2014 geschätzt.
Um die Seelsorge für diese katholische Gruppierung zu garantieren, wurde die hebräischsprechende Gemeinde in Israel bereits 1955 kirchenrechtlich approbiert und als „Jakobuswerk“ bezeichnet. Die Leitung übernahm 1990 der französische Benediktiner-Abt aus Abu Gosh, Pater Jean-Baptiste Gourion. Besonders aufgewertet wurde das Engagement, als Papst Johannes Paul II. im Herbst 2003 Abt Gourion zum ersten Weihbischof für die Gemeinde ernannte. Gourion starb überraschend am 23. Juni 2005. Während Franziskanerkustos P. Pierbattista Pizzaballa zunächst die Seelsorge übernahm, wurde am 15. März 2009 der Jesuit David Neuhaus zum neuen Patriarchalvikar für diese Gemeinschaft durch das Patriarchat ernannt. Ihm ist es ein Anliegen, dass die christlichen Einwanderer in einem hebräischsprachigen und jüdischen Umfeld leben und so eine Brückenfunktion zur angestammten lateinisch-arabischen Bevölkerung bilden können. Offiziell wurde die Migrantenseelsorge 2011 eingerichtet und ebenfalls Pater Neuhaus unterstellt. Ihm gelang es, angesichts der teilweise dramatischen Lebensumstände von Migranten am 27. April 2014 ein eigenes Gemeindezentrum und eine kleine Kirche im Süden von Tel Aviv zu eröffnen. Neben den Migrantengemeinden gibt es in Israel derzeit fünf hebräischsprachige Pfarreien bzw. Gemeinschaften, die einige hundert Mitglieder zählen.
Herausforderung: Lebensumstände der katholischen Kirche im Heiligen Land
Seit der Staatsgründung Israels entwickeln sich die Lebensbedingungen der christlichen Minderheit weiter. Mit Blick auf die katholische Bevölkerung ist festzustellen, dass der überwiegende Teil heute auf palästinensischem Gebiet lebt, vorzugsweise in urbanen, wenn auch kleinen Zentren wie Jerusalem, Betlehem, Ramallah, Birzeit und Taybeh, um einige Beispiele zu nennen. Ähnlich ist die Situation in Israel, wo die katholische Bevölkerung vor allem in Nazaret und Haifa zu finden ist. Der überwiegende Teil der Katholiken ist in den höheren Berufsschichten zu finden, ebenso in der Industrie oder im Eigengewerbe, was häufig auf das hohe Ausbildungsniveau zurückzuführen ist. Die christliche Bevölkerung in den palästinensischen Gebieten verfügt ebenfalls über ein deutlich besseres Bildungsniveau als die restliche Mehrheitsbevölkerung, weil ihr aufgrund eines breit gefächerten Schulwesens im Lateinischen Patriarchat ein früherer und besserer Zugang zu Bildungschancen ermöglicht wird. Die Gruppe der Christen und insbesondere der Katholiken lässt sich beschreiben als „eine hoch ausgebildete, an der Mittelschicht orientierte Gemeinschaft, die wirtschaftliche Angebote und Gelegenheiten zu nutzen weiß, insbesondere für ihre junge Generation“4. Katholiken zeichnen sich in der palästinensischen und israelischen Gesellschaft durch eine starke Identifikation mit dem Staat aus, an dessen Aufbau und Wohlergehen sie nach Kräften mitwirken wollen. Dabei sind Katholiken wie alle christlichen Minderheiten der kontinuierlichen Veränderung innerhalb der Bevölkerungsstruktur unterworfen: Der stetig abnehmende Anteil von Katholiken ist zunächst durch die Geburtenrate bedingt, vor allem gegenüber den geburtenstarken arabisch-islamischen Großfamilien. Hinzu kommen aber auch kontinuierliche, seit 1988 wesentlich verstärkte und mit Beginn der al-Aksa-Intifada 2000 dramatisch zunehmende Auswanderungsbewegungen der Christen.
Die Kirche sieht es als ein besonderes Ziel an, dieser Entwicklung eines schleichenden Christenexodus entgegenzutreten. Dabei bemüht sie sich um praktische Maßnahmen, zu denen unter anderem zählen:
Untersuchung des ökonomischen Umfeldes und Festlegung von prioritär zu erfüllenden Eckpunkten, um eine Motivation für die junge Generation zum Verbleib im Land zu schaffen;
Verstärkung der Ausbildungs- und Trainingsprogramme für junge Menschen, die insbesondere den technischen und globalen Herausforderungen entsprechen;
Bereitstellung von Unterstützungsmaßnahmen, um junge Menschen zu unternehmerischer Selbstständigkeit zu motivieren;
Betonung der Werte von Unabhängigkeit und Selbstverantwortung im Gemeinwohl gegenüber der jungen Generation als Mittel, dem Land, der Gemeinschaft und sich selbst zu dienen;
Ermutigung der jungen Menschen zu Partnerschaftsprogrammen (twinning) mit ähnlichen oder parallelen Aus- und Fortbildungen in anderen Ländern bei gleichzeitiger Ermöglichung von Auslandsreisen und dem Austausch von Informationen und Erfahrungen.
Diese Maßnahmen sind mittlerweile konstitutiver Bestandteil des Ausbildungsprogramms zahlreicher katholischer Institutionen, insbesondere der katholischen Universität in Betlehem. Sie hängen von den innen- und außenpolitischen Gegebenheiten ab, aber sie scheinen die einzige realistische Chance zu sein, Motivation für einen Verbleib in der eigenen Heimat und damit den Sinn für die Übernahme von Verantwortung in einer Gesellschaft zu transportieren. Hinzu kommen notwendigerweise die Überwindung von politischen Ideologien und das jeweilige bessere Kennenlernen der anderen Religionen und Konfessionen. Gerade der religiöse Hintergrund als politisch-soziale Ausflucht auf der einen Seite und als Chance des gelungenen und bereichernden Dialogs auf der anderen Seite darf nicht außer Acht gelassen werden. Dabei wird vor allem von christlicher Seite der Versuch unternommen, sich selbst als „inklusiver Gesellschaftsanteil“ zu sehen. Es bedarf dessen, was Fachleute im Heiligen Land einen Dialog des Lebens nennen, auf den vor allem die Päpste immer wieder zu sprechen kommen.5