Loe raamatut: «Das kleine ABC des Staatsbesuches»

Font:

MEINHARD RAUCHENSTEINER

DAS KLEINE
ABC
DES STAATSBESUCHES

Nebst nützlichen Anweisungen für

das Überleben im Staatsdienst


MEINHARD RAUCHENSTEINER

DAS KLEINE
ABC
DES STAATSBESUCHES

Nebst nützlichen Anweisungen für

das Überleben im Staatsdienst

Sorgfältig gesammelt und erklärt

unter steter Rücksichtnahme auf

Kulturgeschichte, Diplomatie und

das Wesen des Menschen im

Allgemeinen


Gedruckt mit Unterstützung der Stadt Wien, Kultur.

Rauchensteiner, Meinhard: Das kleine ABC des Staatsbesuches. Nebst nützlichen Anweisungen für das Überleben im Staatsdienst / Meinhard Rauchensteiner Überarbeitete und ergänzte Neuauflage, Wien: Czernin Verlag 2020

ISBN: 978-3-7076-0700-0

© 2020 Czernin Verlags GmbH, Wien

Lektorat: Eva Steffen

Satz: Mirjam Riepl

ISBN Print: 978-3-7076-0700-0

ISBN Epub: 978-3-7076-0701-7

Alle Rechte vorbehalten, auch das der auszugsweisen Wiedergabe in Print- oder elektronischen Medien

INHALT

Vorwort zur Neuauflage

An den Leser

Einleitung

Das kleine ABC des Staatsbesuches

Skizze: Empfang mit Militärischen Ehren

Skizze: Exemplarischer Empfang mit Militärischen Ehren in einem Gastland

Staatsbesuchsnotizen

Staatsbesuchsskizzen

Danksagung

Über den Autor

VORWORT ZUR NEUAUFLAGE

Als dieses Brevier zunächst erschien, schrieb man das Jahr 2011. Seine Wurzeln gehen gleichwohl auf das Jahr 2005 zurück.

Seither hat sich viel verändert.

Statt Wirtschaftskrise nun Klimakrise, statt einer sich über George W. Bush erregenden Welt eine über Donald Trump staunende. Und in unserem kleinen, aber umso stolzeren Land – um die vorherige Analogie fortzusetzen – Alexander Van der Bellen statt Heinz Fischer an der Spitze der Republik. So betrachtet haben wir es gut erwischt, wenngleich … knapp.

Auch am Schreiber dieser Zeilen ist diese Zeit von fast einem Dezennium (oder eben mehr, je nachdem, welches Jahr als Referenz herangezogen wird) nicht spurlos vorübergegangen. Da eine Schramme, dort ein kleiner Lorbeer, vor allem aber ein altersbedingt sanfterer Blick auf die Welt und ihr Welten. Die Phänomene gleichwohl, um die es in diesem Büchlein geht, sie haben zu allerwenigst sich verändert, jedenfalls nicht so dramatisch, wie eben jene Welt, in die wir auch im globalen Maßstab geworfen sind.

Will sagen: Zeiten kommen und gehen, Protokoll, Diplomatie und Verwaltung bleiben bestehen. Das ist auch eine ihrer Kernaufgaben, die nämlich darin besteht, über scheinbar mitunter inhaltsbefreite Handlungsanweisungen und Regelwerke jenes Minimum an Stabilität sicherzustellen, ohne das weniger fest verankerte Gesellschaftsbereiche schlichtweg vom Mahlstrom der Geschichte mitgerissen würden. Gerade in Zeiten, deren Verlustpotenzial an historischem Wissen exponentiell anwächst und deren kulturelle Haltegriffe kaum mehr ins Blickfeld rücken, kann die als Trägheit verunglimpfte Beharrlichkeit der drei genannten Bereiche rettend sein – speziell im Falle einer politischen Notbremsung.

Damit aber sei keinem Kulturpessimismus das Wort geredet, ganz im Gegenteil geht es darum, all dem mit Respekt zu begegnen, was sich selbst bei hohem Wellengang bewährt hat. Sagt doch schon der Apostel Paulus: Darum prüfet alles, und das Gute behaltet.

Und ganz im Sinne des Paulus, der als Erfinder des Christentums doch auch als Urheber einer bis dahin menschheitsgeschichtlich ungeahnten Ritualisierungsindustrie gelten muss, ganz in seinem Sinne sind Rituale die oft gescholtenen Grundfesten sozialen Zusammenhalts – vom Karneval bis zum 14. Juli, von Weihnachten bis Chanukka oder dem Ramadan, im säkularen wie im religiösen Raum, den 1. Mai inbegriffen. Das Schwinden der Rituale ist daher alles andere als eine Emanzipation oder Befreiung von kulturell auferlegten Zwängen. Es geht vielmehr einher mit dem Schwinden von Gemeinschaft und lässt im geringsten Fall eine Lücke aufklaffen, die von geschäftstüchtigen Gauklern ausgefüllt wird, die um gutes Geld individualisierte Rituale anbieten, die das persönliche Trauern, Freuen oder was auch immer, jedenfalls aber das Persönliche in den Mittelpunkt stellen. What a fail, und erst vor Kurzem schrieb Peter Handke den klugen Satz, dass es – im Zusammenhang mit einer Erzählung – um ein »nicht persönlich (…) vorgesehenes Ritual« ginge. Sehr richtig, denn Rituale sind dazu da, uns an das zu erinnern, was wir nicht morgens im Spiegel sehen. Sie sind ein Anti-Narzissmus-Programm. Und daher heute nötiger den je. Hartmut Rosa und andere kluge Köpfe haben daher den Begriff der Resonanz gegen jenen der Echokammern gestellt. Dienen diese der formlosen Fortschreibung des Immergleichen, nur eben »neu«, erzeugt jene einen gemeinschaftlichen Raum, der für dauerhaftes Zusammenleben unabdingbar ist.

Und darum geht es doch in einem Land, in einem Staat, in einem transnationalen Staatenverbund wie der EU. Dass es Bereiche gibt, auf die wir uns als Gemeinschaft verständigen können, die Stabilität gewährleisten und neben der geliebten oder gehassten oder bewusstlos vorangetriebenen Fragmentierung, neben jenen Singularitäten ein solides Gemeinsames sicherstellen. Dazu dienen Rituale. Und dazu dienen daher auch jene immerhin säkularen Teilbereiche, die als Protokoll und Zeremoniell hoch offizielle Anlässe und Begegnungen strukturieren.

Dass sie heute in den Augen mancher antiquiert wirken, genau das macht paradoxerweise ihre Notwendigkeit evident; als eines jener Elemente, die nicht deshalb überlebt haben, weil ein bürokratisch-diplomatischer Konservativismus sie mittels politischer Eliten über die ihnen eigene Lebensdauer hinaus um der Prunksucht willen erhalten hätte, sondern weil es trotz des Kataraktes neoliberaler Bemühungen, Subjekte zu willenlosen, aber dankbaren Konsumenten zu machen, doch noch ein kollektives Unbewusstes zu geben scheint, das um die Bedeutung Halt gebender Rituale und Formen weiß.

Man sieht, es ist ganz einfach.

Dass Rituale aber immerhin vermögen, die kleine Zeit in der wir sind, bewohnbar zu machen, so viel steht fest.

Sie dienen darüber hinaus als Prozesse, die in der Lage sind, Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zu verbinden und damit die Flüchtigkeit und Flucht des Einzelnen in eine mit anderen gemeinsame Zeit und einen gemeinsamen Raum zu fassen. Wenn dies, wie internationale Übereinkommen – etwa jenes über den diplomatischen Umgang miteinander – über nationale Folklore hinaus gelingt, dann ist immerhin auch eine am Papier bereits bestehende zivilisatorische Errungenschaft näher gerückt.

Ja, liebe Leserin, lieber Leser, Sie merken, der Ton ist nicht auffallend unbeschwert. Doch seien Sie deswegen nicht beunruhigt. Der Textkorpus selbst – wenngleich ergänzt, korrigiert und überarbeitet in jeder Form – eignet sich weiterhin als Abendlektüre nach anstrengenden Arbeitstagen. Kurzum: Wir meinen es eh nicht so ernst.

Meistens.

Bon voyage!


AN DEN LESER

Waren Sie schon einmal auf Staatsbesuch? Nein? Wie auch, Sie sind ja auch kein Staat. Die Zeiten, in denen ein schüchternes »L’état, c’est moi« ausreichte, um bei ein paar Millionen Untertanen Eindruck zu schinden (und sie eben also zu unterdrücken), sind ja dankenswerterweise mit wenigen (?) Ausnahmen vorbei. Und all jenen, die es dennoch probieren, seien die Errungenschaften der Pharmaindustrie empfohlen, die nicht nur Symptome von vulgärem Schnupfen, sondern auch jene von strukturellem Cäsarismus durch sedierende Mittel zu lindern weiß. Und sei es auf Privatrezept.

Also gut, Sie sind kein Staat. Das muss aber entgegen dem eingangs Gesagten noch lange nicht bedeuten, dass Sie nicht auf Staatsbesuch gewesen sein könnten. Einige haben es probiert und nur in den seltensten Fällen bereut. Denn einerseits erfreuen Staatsbesuche die mitreisenden Delegationsmitglieder durch oft geradezu nostalgische Reminiszenzen an unvergessene Schullandwochen (»In welchem Stock bist Du untergebracht?«, »Wo treffen wir uns morgen Früh?«, »Hast Du einen Balkon?«, »Wo ist der Bus?« …), zum anderen aber muss man entgegen einer weit verbreiteten Meinung doch festhalten, dass ein Staatsbesuch kein Wellnessurlaub ist. Zugegeben, beide haben Ähnlichkeiten: Sie sind Ausnahmesituationen, sie versammeln meist wenig miteinander bekannte Menschen (dort Delegationen, hier Familien), der Aufenthalt im hoteleigenen Schwimmbecken ist zeitlich begrenzt (dort durch das offizielle Programm, da durch den Radiumgehalt des Wassers), und das Abendessen ist vor 22 Uhr einzunehmen (dort wegen des Staatsbanketts, da wegen der Kinder). Abgesehen allerdings von solchen Äußerlichkeiten ist ein Staatsbesuch grundverschieden von jeder Art Lustbarkeit. Arbeit eben – und wer wird schon so vermessen oder einer protestantischen Ethik verpflichtet sein, Lustgewinn aus Arbeit ziehen zu wollen? Lassen wir die Kuh im Dorf!

Dennoch gilt es festzuhalten: Auch der Normalsterbliche kann an einem Staatsbesuch teilnehmen. Denn zuallermeist umfassen Staatsbesuche ein respektables Grüppchen von 70 bis 140 Personen, die ihre jeweiligen Interessen in diesem Rahmen zu vertreten suchen und ihre Aufgabe erfüllen. In manchen Ländern wird diese Gruppe in erster Linie von Sicherheitsbeamten gestellt, paranoid weniger ambitionierte Länder füllen die Plätze im Flugzeug – und also in der Delegation des Staatsoberhauptes – mit Wirtschaftstreibenden, Wissenschaftlern, Kulturschaffenden, Künstlern und, ach ja, Journalisten auf. Das ergibt eine heiter-heterogene Mischung, die sich in wenigen Tagen zu einer verschworenen Einheit schmiedet. Autopoiesis einer sonst nicht mehr darstellbaren Gemeinschaft.

Nach einigen Staatsbesuchen erscheinen Mitwirkenden die Abläufe und Eigentümlichkeiten wie eine zweite Haut, und sie selbst bewegen sich wie Fische im zwischenstaatlichen Wasser, selbst wenn sich dieses Wasser abseits repräsentativer Herrlichkeit als Sumpf zu erkennen gibt. Hier eine »Ethnologie der eigenen Kultur« zu wagen, aus dem Selbstverständlichen herauszutreten, die eigenen Pirouetten als Teil einer größeren Choreografie zu beschreiben zu versuchen, ist das Unterfangen, das dieser schmale Band zur Aufgabe gestellt sich (beachte: spät im Satz auftauchendes reflexives »sich« à la Adorno) hat.

Für all jene, die nach der Lektüre Lust auf die Wirklichkeit dieser Unwirklichkeit bekommen haben und denen es gelingt, qua Profession an einem künftigen Staatsbesuch teilzunehmen, bietet der Band ein paar leere Seiten im Anhang, worin eigene Beobachtungen und fröhliche Ergänzungen aufgezeichnet werden können.

Viel Vergnügen, Ihr Reisebegleiter


EINLEITUNG

Als Beamter, da hat man nur die Wahl – Anarchist oder Trottel.

(ARTHUR SCHNITZLER)

Das Leben ist eine viel zu wichtige Angelegenheit, um ernsthaft darüber zu reden.

(OSCAR WILDE)

Ein Staatsbesuch ist die höchste Form, die gegenseitige Wertschätzung zweier Staaten auszudrücken. Deswegen gibt es auch keinen offiziellen Staatsbesuch, einen inoffiziellen folgerichtig schon gar nicht. Schlicht und einfach – und in ebendieser Schlichtheit erhaben: Staatsbesuch. Der Genitiv wird daher auch mit e gebildet. Nicht »des Staatsbesuchs«, nein, »des Staatsbesuches«, damit die beinahe aufdringliche Anhäufung von Zischlauten durch den eingeschobenen Vokal in Wohlklang aufgelöst wird. Eine phonetische Brausetablette.

Der Staatsbesuch existiert nur auf Ebene der Staatsoberhäupter, Besuche auf Regierungsebene (oder zwischen Präsidenten diverser Vereine) gelten nicht als Staatsbesuche, wenngleich sie mitunter – vor allem in den Medien – als solche bezeichnet werden.

Freilich gibt es neben dem Staatsbesuch – oder besser unter ihm – auch andere Besuche, die auf allerhöchster Ebene stattfinden: Den – in absteigender Reihenfolge – Offiziellen Besuch, den Offiziellen Arbeitsbesuch, den Arbeitsbesuch und den Besuch. Diese Formen zeichnen sich allesamt dadurch aus, dass sie einen Teil jener Elemente oder Bausteine aufweisen, die für den Staatsbesuch charakteristisch, unabdingbar, ja eine conditio sine qua non sind. Schließlich kommen noch häufig multilaterale Treffen vor, bei denen sich mehrere Staatschefs und -chefinnen irgendwo treffen und irgendwas besprechen. Noch weiter unten in der zwischenstaatlichen Hackordnung gibt es gar keinen Besuch und auch kein Treffen mehr, sondern nur einen Aufenthalt, z. B. wenn eines der zahlreichen Wintersport-Happenings vom Fürsten von Monaco, der Präsidentin von Lettland oder sonst wem »besucht« wird. Adolf Schärf, der übrigens der erste österreichische Bundespräsident war, der überhaupt Auslandsvisiten unternahm, nannte diese Aufenthalte noch korrekterweise »offiziöse Besuche«. Schließlich gilt es noch zu erwähnen, dass die Anzahl von Staatsbesuchen per anno in manchen Ländern limitiert ist – in der sparsamen Schweiz etwa, wo nur zwei pro Jahr stattfinden dürfen, oder in Japan, wo dem Tenno immerhin jährlich drei zugestanden werden. Über diese Zahl hinausgehende Visiten werden entsprechend anders benannt und entsprechend unanders abgewickelt.

Kein Wunder also, dass es gar nicht so viele Staatsbesuche gibt, wie das ein »Prinz aus Dänemark« vielleicht zunächst vermuten mag.

Damit der Staatsbesuch nicht im »administrativen Augiasstall« (Karl Kraus) mündet, existiert ein Reglement, das international üblich, nicht aber verbindlich ist. Woher es kommt und wieso es diese und keine andere Ausprägung angenommen hat, ist nicht eruierbar. Man macht das eben so. – Wobei das Wort »man« bereits andeutet, dass der Urheber, die causa efficiens, nicht identifizierbar ist (und damit auch klar wird, dass das häufig kritisierte »man« ja eben jene negative Konnotation aufweist, die es durchaus fragwürdig erscheinen lässt, weswegen es denn ein »frau« auch noch geben soll. Genügt es nicht, dass sich das Maskulinum durch einen Ausdruck völlig hilfloser Anonymität disqualifiziert? »Verfallenheit an das Man« nannte Heidegger diese Form der Anonymität. Dass es Frauen erstrebenswert erscheint, an diesem uneigentlichen Modus des Daseins teilzuhaben, erscheint unwahrscheinlich.). Das immer zweckdienliche »Handbuch zur Einrichtung und Führung eines Hofhalts« von Carl Otto Unico Ernst von Malortie aus dem Jahr 1842 bemerkt dazu lapidar: »Alles beruht auf willkürlichen Gebräuchen.«

Was dergestalt als »Protokoll« für zwischenstaatliche Beziehungen aus den unpersönlichen Nebeln der Großmachtpolitik auf uns gekommen ist, soll kein Korsett, kein »spanischer Stiefel« sein, sondern ein Haltegriff für den gesitteten Umgang mit Freunden. Damit wird den formalisierten Abläufen dieser Besuche letztlich die Funktion von sozialen Ritualen zugewiesen, die eben nicht zwischenmenschlich, sondern zwischenstaatlich angesiedelt sind. So, wie der Alltag jedes einzelnen Menschen zu einem Gutteil von codierten Verhaltensmustern bestimmt ist, so dient auch das Reglement eines Staatsbesuches in erster Linie dazu, Begegnungen zwischen staatlichen Funktionsträgern zu beschreiben, Abläufe weltweit kompatibel zu machen und auf diese Weise die Fokussierung auf die Inhalte und Gesprächsthemen zu erleichtern. »Die Zeremonie«, schreibt Roland Barthes in diesem Sinne, »schützt wie ein Haus: sie macht das Gefühl bewohnbar.« Was im Folgenden also auf staatlicher Ebene beschrieben wird, findet sich in abgewandelter Form ebenso im Umgang von Menschen aller Gruppen und sozialen Herkunft. Nicht zufällig hat der englische Philosoph Thomas Hobbes den Staat auch als »magnus homo« bezeichnet und gerade angesichts des Absolutismus einen gleichsam anthropologischen Analogieschluss gezogen, der letztlich auch auf das Mikro-Makro-Modell und damit auf den in esoterischen Kreisen so beliebten Hermes Trismegistos und auf die sagenumwobene Tabula Smaragdina verweisen kann oder könnte. Kurz: Der Staatsbesuch ist die Antwort auf die Frage, wie Staaten untereinander höflich kommunizieren. Das gilt es, bei jedem Augenzwinkern, bei jedem Lächeln oder Lachen im Hinterkopf zu behalten.

Dennoch: Entgegen allen Versuchen zur Vereinheitlichung von Besuchsabläufen kann man ein geradezu babylonisches Protokollgewirr beobachten, und jedes Land hat so seine Eigenheiten: Im Iran singt die Ehrengarde der Armee die Nationalhymne (laut und beherzt), in Brasilien reitet am Ende der Militärischen Ehren die Kavallerie am Palast des Staatspräsidenten vorbei, zur dröhnenden Melodie von »The Final Countdown« (der – nomen est omen – Rockband »Europe«), in Deutschland – wie auch in anderen Ländern – wird das Flugzeug des Staatsgastes von der Grenze bis zum Zielflughafen von Kampfjets begleitet, in Mexiko werden zur Begrüßung von einem Pult aus Reden gehalten, und in einigen Ländern muss der Gast in der Landessprache den Soldaten der Ehrenformation der Armee etwas zurufen, was etwa so viel bedeutet wie: »Guten Tag, Soldaten, Ihr seid klasse Burschen!« (auf Polnisch etwa lautend: »Czołem żołnierze!«). Der Gast selbst versteht natürlich kein Wort von dem, was er spricht, und darf nur hoffen, dass er nicht in eine phonetische Schieflage gerät und Unsinn hinausposaunt. (So geschah es etwa Bundespräsident Rudolf Kirchschläger, der sich bei seinem Staatsbesuch in Polen die Begrüßungsworte für die Soldaten phonetisch in sein Hutband schrieb, um die richtige Formulierung unauffällig ablesen zu können. Unglücklicherweise hatte einsetzender Regen während des Abspielens der Hymnen die Schrift im Hut unlesbar werden lassen – ein typischer Fall für semantische Improvisation. Anders erging es Bundespräsident Thomas Klestil, der dieses Begrüßungsritual noch nicht kannte und bei seinem ersten Staatsbesuch in der Slowakei vom damaligen Präsidenten Michal Kováč mit dem Wort »Rede!« unauffällig aufgefordert wurde, die Gardesoldaten zu begrüßen. Klestil verstand den Vokativ als Nomen, die Grußaufforderung als Vortragsankündigung und hob also zu sprechen an: »Liebe Soldaten! Es freut mich, dass ich heute in Bratislava …« Hier unterbrach ihn Kováč und sagte in knappem Befehlston: »Genug!« – und die Zeremonie nahm ihren weiteren Verlauf.)

In heißen Ländern schließlich stehen die Staatsoberhäupter während der Begrüßungszeremonie unter einem Baldachin, ähnlich einem katholischen Priester beim Fronleichnamsumzug – obgleich diese Variante meist in muslimischen Ländern anzutreffen ist. Man sieht: Was der Vereinheitlichung dienen sollte, unterliegt ebenso spezifisch kulturellen Ausprägungen wie andere Bereiche des Lebens auch. Oder, um das Gesagte mit der Autorität des Weisen zu untermauern: »Nicht nur jedes Land hat seine eigenen Umgangsformen, sondern auch jeder Stand.« (Michel de Montaigne). Besonders diese letzte Erkenntnis findet ihre realhistorische Untermauerung in jener Anekdote, wonach der Sozialdemokrat Karl Seitz 1906 im Gehrock, und nicht im vorgeschriebenen Frack, bei Kaiser Franz Joseph zur Audienz erschien. Vom Kaiser auf diesen Umstand angesprochen, sagte Seitz: »Majestät, auch das Proletariat hat sein Zeremoniell.«

Allen Verlockungen zum Trotz möchten die folgenden Seiten aber keine Abhandlung über »das Protokoll« sein, schwankend zwischen akademischem Traktat und Kriegshandbuch; eher ein kleiner Führer, auch Guide genannt, der systematisch, aber unvollständig Einblick in die höchsten zwischenstaatlichen Abläufe bietet. Es geht weder darum, auf diesem Weg zu einer allgemeinen Staats(besuchs)lehre zu gelangen, noch darum, eine Philosophie vorzulegen. Nicht etwa deshalb, weil eine Philosophie nicht billig zu haben wäre. Selten standen die Leitzinsen für intellektuelle Hochstapelei so niedrig. In einer Zeit, da jeder bessere Waschmittelhersteller über eine Philosophie verfügt (ganz zu schweigen von Milchsäureprodukten und Müsliriegeln, die sich ganzer scholastischer Lehrgebäude erfreuen) und in der ein einfacher Beweggrund (causa finalis) bereits zum System mutiert, angesichts solcher Entwicklungen wäre eine Philosophie tatsächlich billig zu haben. Nimmt man sie aber beim Wort, so gibt es Wissenschaft nur vom Allgemeinen, wie Aristoteles in seiner »Metaphysik« schreibt, und der ständige Rückfall ins Besondere ist Wissenschaft wie Philosophie gleichermaßen abträglich. Das Besondere ist nun aber wiederum das Salz des Staatsbesuches, sein unverwechselbarer Charakter, sein Charme – und sein Ärgernis. Es zu streichen hieße, das Skelett für den ganzen Menschen ausgeben, wenn wir diese leviathanische Metapher aus der Staatslehre heranziehen. Erst die Eigenheiten, die Eigentümlichkeiten lassen erahnen, mit wie viel Freude und Vergnügen der Freundschaft der Völker auf Beamtenebene gedient werden kann. Dass für die folgenden Seiten schließlich auch konkrete Ereignisse zur Illustration herangezogen werden, findet seine literarische Legitimation in der schönen Formulierung Bruno Kreiskys, wonach »sich in Österreich fast alles in Anekdoten auflösen lässt, auch die ernsteren Dinge«. Dem persönlichen Lebensweg des Autors (also von mir) ist schließlich der Umstand zuzuschreiben, dass Beispiele und historische Bezüge beinahe ausschließlich »austro-zentristisch« sind und zudem einem Zeitraum von dem Jahr 1999 bis zur Gegenwart entstammen.

Die Choreografie für einen Staatsbesuch zu schreiben, oder auch nur zu beschreiben, mag verschroben wirken, und mancher Beobachter wird den Kopf schütteln ob der tausend Nebensächlichkeiten, die es zu bedenken, zu formulieren und zu organisieren gilt. Es ist aber allemal besser, aufwendige Skizzen für Freundlichkeiten zu zeichnen als Aufmarschpläne für Truppen. Lieber Theaterdonner als wieder einmal einen Blitzkrieg. Und auf die Frage: »Ja ham die keine anderen Sorgen?«, möchte ich sagen: »Nein! Gott sei Dank nicht«, Der Staatschoreografie liegt die Idee zugrunde, dass persönlicher gesitteter Umgang und unpersönliche oder überpersönliche Ziele (Moral, Ethik, das Gute und solche Sachen) miteinander in Verbindung stehen und keine disparaten Lebenswelten darstellen.

Man wird bemerken, dass die drei großen Blöcke, aus denen sich Staatsbesuche zusammensetzen, im Wesentlichen aus Militärischen Ehren, dem Arbeitsgespräch und dem Staatsbankett bestehen. Vielleicht wird mancher fragen, was denn das Arbeitsgespräch in dieser Trias zu suchen hat, aber auf eine so offensichtliche Polemik muss man gar nicht weiter eingehen, oder? Legitimer ist sicherlich die Frage, weshalb einer hoch ritualisierten Nahrungsaufnahme wie dem Staatsbankett ein so beachtlicher Stellenwert eingeräumt wird. Der Grund hierfür liegt in den Abgründen. Nämlich jenen der Kulturgeschichte, die ja bekanntlich für jeden ein Häppchen bereithält. Das gemeinsame Mahl ist nämlich nichts Geringeres als ein Sinnbild der politischen Gemeinschaft. Deswegen haftet ihm von Petronius bis Asserate, vom Satyricon bis zum Bestseller »Manieren«, immer etwas Politisches an, wie umgekehrt das Politische immer mit irgendeiner Form von gemeinsamem Essen verknüpft ist. Die philites, die Gemeinschaftsmahle, sind solcherart die seit den Spartanern überlieferte Form, Gleichheit, und damit »Brüderlichkeit«, modellhaft zu verwirklichen. Aus dem Fressen erwächst die Moral! Und um sie herum sammeln sich die Staaten als Brüder.

Daher ist die Sorge um eine freundschaftliche Atmosphäre bei Staatsbesuchen keine geringe und nicht gering zu achten.

Und damit das auch so bleibt und die zwischenstaatlichen Probleme nicht mutieren, pervertieren, wie schon so oft, und damit nicht Verhandlungsgeschick durch Opfermut abgelöst wird, darum, nicht zuletzt, gibt es auch die schöne Kunst des Staatsbesuches.

Voller Bewunderung und demutsvoll und so respektlos, wie nur ein Liebhaber sein kann, sei sie beschrieben.


Tasuta katkend on lõppenud.