Loe raamatut: «Chinesische Medizin 1»

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Michael Kotsch

Chinesische Medizin I

Weltbild - Menschenbild - Krankheitsbild Religiöse und ideologische Hintergründe

Reihe AUFKLÄRUNG

Band 42


Michael Kotsch

Chinesische Medizin I

Weltbild - Menschenbild - Krankheitsbild

1. Auflage 2000

2. Auflage 2003

3. Auflage 2005

4. Auflage 2007

5. Auflage 2011

6. Auflage 2011

© 2013 Lichtzeichen Verlag GmbH, Lage

Umschlag: Jakob Siemens

Satz: Gerhard Friesen

ISBN: 9783869549514

Bestell Nr.: 548950

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Alle Rechte vorbehalten. Kein Teil dieses Buches darf ohne schriftliche Erlaubnis des Verlegers in irgendeiner Form reproduziert werden.

Inhalt


Einleitung
1.Chinesische Medizin in Westeuropa
1.1.Geschichte der TCM in Westeuropa
1.2.Technikkritik und Alternative Heilmethoden
1.3.Wer heilt, hat recht?
I.Hintergrund
2.Geschichte der chinesischen Medizin
2.1.Anfänge
2.2.Weiterentwicklungen
2.3.Konsolidierung
2.4.Wesentliche Entwicklungshöhepunkte der TCM
2.5.Niedergang von Akupunktur und Moxibustion
2.6.Auseinandersetzung von westlicher Schulmedizin mit der TCM
2.7.Neubelebung der TCM
3.Die weltanschaulichen Grundlagen chinesischer Medizin
3.1.Schamanismus
3.2.Taoismus
3.3.Konfuzianismus
3.4.Buddhismus
3.5.Universismus
II.Grundlagen
4.Grundkategorien chinesischer Medizin
4.1.Die Lebensenergie Qi
4.2.Yin und Yang
4.3.Die fünf Wandlungsphasen
4.4.Die Orbiskongraphie - die Energieorte
4.5.Die Sinarteriologie - die Leitbahnen der Energie
III.Beurteilung
5.Kritik an der Chinesischen Medizin
5.1.Das chinesische Welt- und Menschenbild
5.2.Naturwissenschaftliche Medizin und TCM
5.3.Prinzipielle Kritik
5.4.Kritik an der Systematik
6.Chinesische Medizin und christlicher Glaube
6.1.Das Verhältnis von Mensch und Wirklichkeit
6.2.Das Verhältnis von Mensch und Umwelt
6.3.Das Verhältnis von Mensch und Mensch
6.4.Das Verhältnis von Gesundheit und Krankheit
6.5.Das Verhältnis von Mensch und Gott
7.Fazit


Glossar - Worterklärungen
Literatur
Internetseiten
Adressen
Endnoten
Anhang: Grafische Darstellungen

Einleitung

„Die traditionelle chinesische Medizin [TCM] ist ein Teil der großen philosophischen Richtungen Taoismus und Konfuzianismus. Beide Philosophien definieren den Zustand von Glück als die absolute Harmonie zwischen Mensch und Natur. Dieses Gleichgewicht erreicht man durch eine entsprechende Lebensweise. Die traditionelle chinesische Medizin vereinigt das konfuzianische Denken mit umfangreichen Beobachtungen von konkreten Vorgängen im menschlichen Körper und mit jahrhundertealten Erfahrungen. Die traditionelle chinesische Medizin versteht den Körper als ein zusammenhängendes System, in dem alle Körperteile, Organe und Organsysteme durch Energiebahnen miteinander verbunden sind. Gesund ist ein Mensch dann, wenn sich alle seine Energien in Harmonie und im Gleichgewicht befinden.1

Im Folgenden werden wir uns näher mit der Traditionellen Chinesischen Medizin (TCM) und deren Therapieformen auseinandersetzen. Um beurteilen zu können, ob und inwiefern diese Medizin für Christen akzeptabel ist, müssen wir zuerst einmal kennenlernen, wie sie den Menschen und die Welt versteht und durch welche Mechanismen sie zu heilen vorgibt. Darauf hin müssen wir dann prüfen, ob es sich um ein ernsthaftes Konzept handelt, das in sich stimmig und logisch ist, mit der von uns beobachteten Wirklichkeit übereinstimmt und echte Heilung bewirken kann. Im Weiteren müssen wir uns die Frage stellen, ob diese Heilungen auf biologisch chemischen Weg, durch psychischen Einfluss oder mit übernatürlichem Eingriff zustande kommen. Um das zu überprüfen, müssen wir zum einen die Angaben der Heilmethode selber, dann aber auch deren bisherige wissenschaftliche Erforschung berücksichtigen. So können wir ausschließen, 1. dass eine Methode von sich behauptet, naturwissenschaftlich zu wirken, dies aber nirgends nachweisbar ist, sodass wir mit der Möglichkeit einer übernatürlichen Heilung rechnen müssen, die uns in Kontakt mit unerwünschten übernatürlichen Mächten bringen kann; 2. dass eine andere Therapie, die vorgibt, übernatürliche Kraft zu nutzen, in Wirklichkeit aber normale naturwissenschaftliche Gegebenheiten nutzt, also keine Gefahr geistlicher Abhängigkeit birgt. Um das entscheiden zu können, müssen wir uns allerdings erst eingehend mit dem System der TCM auseinandersetzen. Nur dann können wir ihr Selbstverständnis, ihr Weltbild und ihre möglichen Wirkungsweisen beurteilen. Im Folgenden findet sich deshalb ein kurzer Abriss der historischen, geistesgeschichtlichen, religiösen und naturwissenschaftlichen Hintergründe. Dabei wird die TCM erst einmal dargestellt, wie sie selbst versteht, ohne sofort zu relativieren oder Interpretationen in Frage zu stellen. Zitate und Literaturhinweise sollen ebenfalls dem Zweck dienen, das System der TCM von innen heraus zu verstehen. Eine kritische Auseinandersetzung mit den Annahmen, Behauptungen und weltanschaulichen Grundlagen der TCM erfolgt dann in einem vierten Hauptteil. Wem diese Auseinandersetzung zu aufwendig erscheint, der kann die resümierende „Zusammenfassung” am Ende eines jeden Kapitels und im Schlussteil dieser Abhandlung lesen, in dem die Ergebnisse und Schlussfolgerungen jeweils kurz zusammengefasst werden.

Zahlreiche Zitate im laufenden Text sollen Vertreter der TCM zu Wort kommen, um mögliche Verzerrungen in der Darstellung ihrer Positionen auszuschließen. Bei wichtigen Begriffen der chinesischen Medizin sind die entsprechenden chinesischen Ausdrücke in Klammern angegeben. Andere wissenschaftliche Fachausdrücke sind entweder im Text selbst oder in dem am Ende angefügten Glossar erklärt. Für jeden, der sich noch intensiver mit alternativen Heilmethoden auseinandersetzen will, sind unter den Literaturhinweisen ein paar verständlich geschriebene Bücher und einzelne Internetadressen angegeben.

Auf medizinische Methoden im Einzelnen gehe ich in Band 2 ein.

1. Chinesische Medizin in Westeuropa

1.1. Geschichte der TCM in Westeuropa

Die frühesten Nachrichten über die TCM erreichten Westeuropa mit den Berichten franziskanischer und vor allem jesuitischer Missionare im 16. und 17. Jahrhundert. Neben diesen ist uns insbesondere der niederländisch- ostindische Schiffsarzt Andreas Clyder namentlich bekannt, der sich schon früh um den Import heilkundlicher Kenntnisse aus China bemühte. Die fremdartigen und skurril anmutenden Techniken der TCM wurden neugierig registriert, nicht aber für die eigene medizinische Praxis übernommen. Im 18. und 19. Jahrhundert fanden besonders die philosophischen und religiösen Überzeugungen der Chinesen Anklang bei europäischen Gelehrten. Dazu gehörten Wolff, Lessing, Goethe und Schopenhauer, vor allem aber französische Denker, die durch den Handel und das entstehende französische Kolonialreich in Asien eine intensivere Beziehung zu China entwickelten. In Frankreich gab es um 1840 eine regelrechte Akupunkturmode. Dort wurde 1937 auch die älteste bestehende Gesellschaft für Akupunktur gegründet. Trotz zahlreicher weiterer nationaler Akupunkturgesellschaften kam es erst durch die Veröffentlichungen von James Reston über seine Erfahrungen mit der Akupunktur in China in der New York Times zu einer breiten öffentlichen Diskussion um die Akupunktur. Um die sich anschließende wissenschaftliche Aufarbeitung der traditionellen chinesischen Medizin in Deutschland bemühten sich insbesondere der Berliner Medizinprofessor Franz Hübotter, der Frankfurter Medizinhistoriker Willy Hartner und Professor Paul Unschuld. 1979 hielt die WHO in Peking einen Kongress über Akupunktur, Moxibustion und Akupunkturanalgesie ab, auf dem eine Liste von fast 100 Krankheiten vorgestellt wurde, gegen die sinnvoll auch Akupunktur eingesetzt werden könne.

1.2. Technikkritik und Alternative Heilmethoden

Weitreichendere Bedeutung erhielt die TCM erst durch die oben genannte Skepsis gegenüber der Wissenschaft, insbesondere gegenüber der modernen Medizin. Der seit dem 19. Jahrhundert angefachte Forschrittsoptimismus erweckte den Eindruck, alles sei durch die Macht von Forschung und Technik beherrsch-und erreichbar. So war es nur eine Frage der Zeit, wann diese Erwartungen enttäuscht werden mussten. Diese neue Skepsis gegenüber den Aussagen und Möglichkeiten moderner medizinischer Wssenschaft wird bis heute immer wieder von Vertretern alternativer Heilkonzepte vorgebracht, um die Notwendigkeit der eigenen Methode zu begründen. Hier einige diesbezügliche Beispiele: Theodor Meyer Steinhagen schreibt: „Die Medizin verhindert in vielen Fällen das Sterben, macht aber nicht gesund. Sie bewirkt den Zustand des chronischen Leidens.”2 Arthur Jores wiederum beruft sich auf „Untersuchungen Hamburger Kassenärzte, wonach etwa die Hälfte aller Patienten unter chronischen Krankheiten litten. Weitere 30 bis 40 Prozent seien Neurotiker, so dass nur 10 bis 20 Prozent jener Krankheiten übrigbleiben, gegen die allein die westliche Medizin über zuverlässige Behandlungsmethoden verfüge. Sie sei, so Jores, verglichen mit dem Krankengut des praktischen Arztes, weitgehend zu einer Medizin der seltenen Krankheiten geworden.”3 Thure von Uexküll schließt sich dieser Beurteilung moderner Medizin an: „Am Ende weiß der Patient, worunter er gewiss nicht leidet; aber was ihm wirklich fehlt, erfährt er nicht. Die moderne Medizin ist für den Kranken längst zu einem Milchstraßensystem geworden, in dem er sich hoffnungslos verirrt - und in dem mit zunehmender Spezialisierung die kompetenten Berater und Helfer des Kranken unweigerlich aussterben”4.

Diese Bedenken gegenüber der Praxis und den Möglichkeiten moderner Medizin sind natürlich nicht aus der Luft gegriffen, sondern beruhen durchaus auf offensichtlichen Missständen. Auch Christen sollten diese Begrenzungen ehrlich sehen und keiner falschen Absolutsetzung westlicher Medizin das Wort reden. Eine darüber hinausgehende Skepsis gegen den methodischen Atheismus und den weitgehenden Ausschluss seelischer und geislicher Zusammenhänge bei Erkrankungen ist für den Christen ebenfalls geboten.

1.3. Wer heilt, hat recht?

Wenn nun vorbehaltloses sicheres Wissen sowohl bei der klassischen Medizin als auch bei der Komplementärmedizin nicht gefunden werden kann, wird fälschlicherweise häufig daraus die Konsequenz gezogen, dass die wirksame Methode auch die richtige sei: „Wenn Patienten geholfen werden kann, ist jedes medizinische Verfahren gerechtfertigt.”5 Das gilt auch insbesondere für die TCM: „Es gibt einen zuverlässigen Bewertungsmaßtab, den man an die fernöstliche Heilkunde auch von außen anlegen kann: ihren therapeutischen Erfolg.”6 „So gilt im Grunde das Prinzip: „Wer heilt, hat recht”. Viele Heilverfahren sind in der TCM allein unter dem Eindruck, dass ein bestimmtes Heilverfahren unter den und den Umständen wirkt, therapeutischer Bestandteil eines ganzen Kanons von Heilstrategien in der Heilkunde geworden, ohne dass man gewusst hätte, warum im Einzelfall eine heilende Wirkung erzielt wird.”7 Da für den Christen allerdings nicht nur Erfolg oder das positiv zu erreichende Ziel Maßstab richtigen Handelns ist, sondern die Ordnungen, Werte und Maßstäbe Gottes, wie sie in der Bibel niedergelegt sind, kann er sich diesem Gedankengang nicht anschließen. Das ist im Bereich der Medizin genausowenig angebracht wie beim Hausbau, wo ich den Banküberfall zur Finanzierung meines Hauses ablehnen muss, weil das zweifellos gute Ziel über einen biblisch nicht akzeptablen Weg erreicht werden soll.

So erfasst der Schweizer Arzt und Psychologe C.G. Jung Tragweite und mögliche Gefahr umfassender Aufnahme östlichen Gedankenguts scharf: „Man bedenke, was es heißt, wenn der praktische Arzt, der ganz unmittelbar mit dem leidenden und darum empfänglichen Menschen zu tun hat, Fühlung mit östlichen Heilsystemen nimmt! So dringt der Geist des Ostens durch alle Poren ein und erreicht die wundesten Stellen Europas. Es könnte eine gefährliche Infektion sein, vielleicht ist es aber auch ein Heilmittel.”8

I. Hintergrund

2. Geschichte der chinesischen Medizin

„Ganz am Anfang … war der Kosmos mit Gas angefüllt, aus dem sich zusehends im Laufe der Zeit ein überdimensional großes Ei aus Stein herausbildete. Das aus diesem Ei geborene Wesen hieß Pan Gu. … Mit dem Meißel in der Hand und einem Hammer in der anderen machte sich Pan Gu daran, das steinerne Ei in zwei Hälften, eine obere und eine untere zu zerteilen. Aus der oberen Hälfte wurde der Himmel und aus der unteren die Erde. Nach getaner Arbeit verstarb Pan Gu, und aus seinen Augen entstanden Sonne und Mond, aus seinem Atem wurden Wind und Wolken und aus seiner Stimme der Donner…. Sein Schweiß fiel als Regen zur Erde hernieder, und die Flöhe und Läuse an seinem Körper sind die Urformen alles erschaffenen Lebens.”9

In der nun entstanden paradiesischen Welt lebten die Menschen ohne Sorgen, soziale Konflikte und Krankheit. Nacheinander herrschten der Himmlische Kaiser (Tianhuang), der Irdische Kaiser (Dihuang) und der Menschliche Kaiser (Renhuang).

Nach chinesischer Überlieferung lebten in ungewisser Vorzeit zehn Medizinkönige10, denen in zahlreichen Städten Tempel gebaut wurden, in denen die Bevölkerung ihren Geistern opfert und sie um Hilfe bei Krankheit bittet.

2.1. Anfänge (1700-400 v.Chr.)

Beherrscht wird diese Epoche von der dämonistischen Medizin der Chou- Zeit. „Die Heilkunde jener Zeit versteht Krankheit als Resultat feindseliger, dämonischer Angriffe…. Dämonen sind böswillige Geister, die den Körper des von ihnen heimgesuchten Menschen ”besetzen”. Krankheit ist Besessenheit in diesem Sinne. Folgerichtig müssen sich auch die therapeutischen Methoden einer Dämonenmedizin magischer Elemente bedienen. So finden wir Amulette, Talismane (Fu) oder Siegel (Yin) als Vertreiber des dämonischen Übels. Bannsprüche und Besprechungsformeln tauchen auf, und auch Arzneimittel gegen den Einfluss dämonischer Geister werden entwickelt.”11

In dieser Zeit entsteht die grundlegende Philosophie der TCM, die Konzepte von yin und yang und der fünf Elemente, der fünf Töne, fünf Geschmäcker, sechs Energien und acht Winde, der Lebensenergie Qi und der zirkulierenden Körperflüssigkeiten. Prägend war eine Mischung der empirisch erhobenen medizinischen Daten mit kosmogenen und geomantischen Interpretationen, die auf eine Harmonisierung mit der Natur abzielten.

Als eigentliche Begründer der chinesischen Heilkunde aber gelten die mythischen Urkaiser Shennong (Göttlicher Bauer) und Hu-angdi (Gelber Kaiser), die vor 5000 Jahren gelebt haben sollen.12 Shennong galt als Schutzgott der Drogenhändler (Pharmazeuten), ihm wurden an jedem Tag mit Voll- oder Neumond Opfer gebracht. In seinem Namen wurde „Die klassische Pharmakopöe des gestaltenden Landmannes” geschrieben. Der „Innere Klassiker des Gelben Fürsten” wird Huangdi zugeschrieben. Bei dem wahrscheinlich erst um 300 v.Chr. verfassten Werk handelt es sich um das am häufigsten zitierte Werk der chinesischen Medizingeschichte. In seinem ersten Teil behandelt er elementare Fragen des chinesischen Medizinverständnisses. Der zweite Teil wird „Angelpunkt der Struktivkraft” oder auch „Äußerer Klassiker” genannt. In diesem Werk finden sich die Grundlagen chinesischer Medizin: die Lehre von den Funktionskreisen, das System der Leitbahnen und der auf ihnen liegenden Reizpunkte und der Gedanke der Abhängigkeit der Krankheiten von äußeren Agentien und inneren Faktoren.

Obwohl der Taoismus dem Gelehrten Laotse zugesprochen wird, tauchen einzelne Elemente taoistischer Lehre auch schon beim „Gelben Fürsten” auf. Dabei geht es vor allem darum, sich mit den Regeln der Natur vertraut zu machen, um die Vorgänge auf der Erde und im Menschen in ihrem kosmischen Zusammenhang zu verstehen. „Der Graf von Qi antwortete: Die Menschen des hohen Altertums kannten das tao; sie orientierten sich am yin und yang und erzielten Harmonie durch Technik und Zahl. Im Essen und Trinken waren sie maßvoll, in ihrer Lebensführung befolgten sie eine stete Regel … Was bei den Zeitgenossen die Langlebigkeit verhindert, ist das Streben nach bewusstem Genuss und das Versäumnis, sich mit den Regeln der Natur vertraut zu machen, sich ihnen zu unterwerfen. Dadurch wird fortgesetzt das konstitutionelle Energiepotential über Gebühr angegriffen.”13 „Für das gesundheitliche Wohlbefinden ist den Taoisten also eine vollständige Harmonie zwischen Mensch und Kosmos, zwischen Mensch und Natur von höchster Wichtigkeit. Dieses Einvernehmen trachteten sie mit allen Mitteln aufrechtzuerhalten: mit hygienischen, diätetischen, medizinischen und später zuweilen wieder mit magischen.”14

2.2. Erste Weiterentwicklungen (400 v. Chr. -25 n. Chr.)

In dieser Zeit werden erstmals metallgefertigte Nadeln statt der bis dahin üblicheren steinernen eingesetzt. Akupunktur, Moxibustion und Kräutermedizin sind die weitverbreiteten medizinischen Therapieformen. Die empirischen Beobachtungen werden durch den Konfuzianismus erstmals für eine spekulativ philosophische Medizin in den Hintergrund gerückt. Erstmals werden nach unserem bisherigen Wissen in dieser Zeit die Lehren der TCM schriftlich niedergelegt.

Der Konfuzianismus prägte als Staatsphilosophie seit dem 2.Jahrhundert v.Chr. auch die medizinischen Vorstellungen. Die Gelehrten konzentrierten sich auf soziale und ethische Fragen. In rationaler Spekulation wurden zahlreiche Ordnungen entwickelt, um die zwischenmenschlichen Beziehungen zu regeln. Die Beobachtung der Natur wurde zur Nebensache und Ärzte wurden bestenfalls als geschickte Handwerker angesehen. Zahlreiche Überlieferungen aus dieser Zeit berichten allerdings von dem außergewöhnlichen Können dieser Ärzte. Demnach vermochte es der Arzt Bian Que beispielsweise, den todkranken Kronprinzen von Guo durch heiße Umschläge und verschiedene Medikamente zu heilen. Ein anderes Mal warnte er den Herzog von Qi vor einer noch nicht zum Ausbruch gekommene Krankheit. Da dieser noch keine Anzeichen der Krankheit wahrnahm, schlug er die Warnung in den Wind und verstarb kurze Zeit später. Obwohl das Wissen des Arztes in jener Zeit geheim gehalten wurde, soll jener Bian Que ein „Buch über den Puls” verfasst und zahlreiche Schüler in der richtigen Interpretation des Pulses unterrichtet haben. Seine Lehren wurden in dem 200 n.Chr. geschriebenen „Klassiker der Einwände” (Nanjing) überliefert. Hier werden medizinische Beobachtungen mit weltanschaulichen Vorstellungen erklärt. Zum Beispiel: „Woher kommt es, dass beim Menschen nur das Gesicht gegen Kälte widerstandsfähig ist? Beim Menschen ist der Kopf die Sammelstelle für alles yang. Alle yin- Leitbahnen führen nur bis zum Hals und kehren dann zur Brust um; allein die yang- Leitbahnen führen bis zum Kopf. Das ist der Grund für die Widerstandsfähigkeit des Gesichts gegen Kälte.”15

2.3. Weitere Konsolidierung (25 - 580 n. Chr.)

Dieser Zeitabschnitt zeichnet sich durch weitere Systematisie-rungsversuche und Zusammenfassungen des bis dahin angesammelten Wissens aus. Erstmals werden Akupunkturpunkte standardisiert und die Pulstheorie als Diagnoseform ausgearbeitet. In diesen Jahrhunderten überwiegen Akupunktur und Moxibustion als von chinesischen Ärzten angewandte Therapieformen.

Im 2.Jahrhundert n.Chr. verfasste der als Weiser der Medizin bis heute verehrte Zhang Zhongjing seine „Abhandlung über schädigende Kälte und andere Krankheiten” (Shanhan zabinglun). In den dort enthaltenen 22 Abhandlungen nennt er 400 Regeln für die Behandlung von Krankheiten, 113 Rezepte für Arzneimittel, Hinweise über therapeutisches Schwitzen, den Gebrauch kalten Wassers, Klistiere, Zahnbehandlungen und Hygiene, die zumeist noch heute angewandt werden. In der Theorie führt er Krankheit und Heilung auf einen dreiteiligen yin und yang Zyklus zurück: junges yang, mächtiges yang, überstrahlendes yang, junges yin, mächtiges yin und weiches yin.

Dem Arzt Hua Tuo werden in der Überlieferung übermenschliche Fähigkeiten zugeschrieben. Verschiedene Legenden beschreiben sein Wirken, bei dem er auch zu ungewöhnlichen Mitteln greift. Ein erkrankter Distriktpräfekt könne nach seiner Diagnose nur durch einen starken Zornausbruch geheilt werden. Also vernachlässigte Hua Tuo seinen Patienten auffällig, verlangte ein maßloses Honorar und reiste schließlich, einen groben Brief zurücklassend, ab. Der in Zorn geratene Präfekt versuchte erfolglos den Arzt gefangenzusetzen, erbrach sich und genas. Er empfahl wie Priessnitz und Kneipp die Anwendung kalten Wassers und befürwortete regelmäßige Gymnastik: Jeder Mensch hat das Verlangen, sich Bewegung zu verschaffen, nur erreichen die meisten darin nicht die Vollkommenheit. Wenn man sich bewegt, kann die mit der Nahrung aufgenommene Energie verbraucht werden, zirkulieren die pulsierenden Säfte unbehindert, und Krankheit kann nicht entstehen. Es ist dabei wie mit der Türangel, die niemals rostet. Deshalb haben die Unsterblichen des Altertums die Übungen des Dehnens und Streckens… um das Altern hintanzuhalten. Auch ich habe eine Methode, die ich die Spiele der Fünf Tiere, nämlich des Tigers, des Hirsches, des Bären, des Affen und des Vogels nenne. Damit lassen sich nicht nur bestimmte Krankheiten heilen; man erreicht überhaupt eine größere Beweglichkeit …”16 Bis heute werden die aus diesen Anfängen entwickelten Übungen unter dem Namen Tai Chi angewandt. Im Gegensatz zu den meisten chinesischen Ärzten, die vor einem Eingriff in den menschlichen Körper zurückscheuten, führte Hua Tuo auch chirurgische Behandlungen durch, bei denen er die Patienten mit einem Absud von Hanf, Akonit und Ephedra (Meertäubchen) in einer alkoholischen Lösung ruhig stellte.17 Wichtig ist zu bemerken, dass er bei der Schmerzbekämpfung nicht auf die Akupunktur, sondern auf Drogen zurückgriff. Unter dieser Anästhesie soll Hua Tuo Knochenoperationen, Trepanationen und spezielle Magen- und Darmoperationen durchgeführt haben. Die Operationswunden pflegte er mit einer speziellen Paste zu bedecken, sodass sie nach vier bis fünf Tagen verklebt waren.

2.4. Wesentliche Entwicklungshöhepunkte der TCM (580- 1640)

Durch die Zurückdrängung der konfuzianistischen Staatsdoktrin zugunsten des Buddhismus wird die empirische Forschung und die weitere medizinische Systematisierung vorangebracht. Einzelne, nun mögliche Autopsien an Hingerichteten erweitern das anatomische Wissen, was dazu führt, auch anatomische Aspekte bei der Festlegung der Akupunkturpunkte einzubezie-hen. Auf anatomisch korrekten bronzenen Menschenfiguren und farbigen Übersichtstafeln werden die Akupunkturpunkte zu Lehrzwecken fixiert.

Auf kaiserlichen Befehl stellte ein Ärztegremium unter Chao Yuanfang eine in 50 Kapitel unterteilte medizinische Enzyklopädie mit dem Namen „Abhandlung über den Ursprung und Verlauf aller Krankheiten” (Zhubing yuanhoulun) zusammen, in dem Diagnose, Prognose und Behandlungsmöglichkeiten für 1720 Krankheitsbilder gesammelt waren.

Um 650 verfasste Sun Simo die „Wichtigsten Rezepte, die tausend Goldstücke wert sind” (Quianjin yaofang). Darin setzt er sich mit der Ausbildung des Arztes, seinem Berufsethos und der Forderung nach seiner Lauterkeit auseinander. Daran schließen sich Grundregeln der Therapie und Diagnostik, sowie Hinweise über Rezeptur und Arzneimittelherstellung (863 verschiedene Pharmaka) an. In 29 weiteren Hauptteilen widmet er sich der orbisbezogenen Diagnose und Therapie, der Frauenheilkunde, Erkrankungen der Zähne, der Augen und der Ohren, ferner der Notfallmedizin (über Ohnmachten, Schlangenbisse und Verbrennungen), Hygiene, gesunder Ernährung, Massagen, Gymnastik, Wohnverhältnissen und Sexualhygiene, aber auch typisch chinesischen Aspekten wie der Pulsdiagnose, der Akupunktur, der Lenkung des Qi und Atemübungen. Dazu kommen auch esoterische Spekulationen über die Bedeutung der Zeitpunkte einer Erkrankung und magische Mittel und Riten zur Krankheitsbekämpfung.

In dieser Blütezeit der chinesischen Kultur wurde medizinische Forschung und Bildung stark gefördert: 1078 wurde das Große Medizinamt als eigenständige Organisation gegründet, eine staatliche Ärzteschule mit 300 Studienplätzen wurde eingerichtet, medizinische Literatur wurde herausgegeben und gedruckt, Rezeptsammlungen veröffentlicht, Apotheken eingerichtet und Ärzteschulen in den Provinzhauptstädten eröffnet. Trotz diesen Bemühungen waren die meisten Ärzte dieser Zeit freischaffende Künstler, die ohne feste Ausbildung mit einem Gemisch aus echtem medizinischen Wissen, Aberglauben, Okkultismus und eindrücklichen Beschwörungen ihre Dienste der Bevölkerung anboten. Die Blüte der öffentlichen medizinischen Forschung ging durch den starken konfuzianistischen Einfluss ebenfalls bald vorüber. Statt empirischer Beobachtungen beschäftigten sich die Gelehrten mit spekulativen Überlegungen, die sich insbesondere um die Harmonisierung verschiedener Zahlen, Mengen, Zeiten und Räume drehte. Dabei stützte man sich fast ausschließlich auf die schon vorhandenen medizinischen Werke, die mit mythologischen Überlieferungen vermischt wurden.

2.5. Niedergang von Akupunktur und Moxibustion (1640- 1840)

Jetzt beginnt die traditionelle chinesische Pharmakologie, Akupunktur und Moxibustion zu verdrängen. Als Reaktion darauf kommt es unter den chinesischen Akupunkturärzten zu einer Neuordnung der Akupunkturpunkte nach den Kriterien der Syndromdifferenzierung. Durch diese Akzentverschiebung von einer spekulativen theoriegebundenen Akupunktur zur stärkeren Berücksichtigung des Krankheitssyndroms kommt es zu einem neuen Vertrauen in diese Therapie.

Tasuta katkend on lõppenud.