Transkulturelle Kommunikation

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Transkulturelle Kommunikation
Šrift:Väiksem АаSuurem Aa


Dr. Sabine Dengscherz / Prof. Dr. Michèle Cooke

Transkulturelle Kommunikation

Verstehen – Vertiefen – Weiterdenken

UVK Verlag · München

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Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG

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info@narr.de | www.narr.de

ISBN 978-3-8252-5319-6 (Print)

ISBN 978-3-8463-5319-6 (ePub)

Inhalt

  Transkulturelle Kommunikation: Was ist das? Hinweis zu genderbewusster Sprache

 I Kommunikation1 Was ist Kommunikation?Warum kommunizieren wir?Wie kommunizieren wir?Kommunikation und VerstehenVerstehen und InterpretierenVerstehen als Beziehung2 Kommunikationssituationen und ihre Dimensionen3 Sprachkompetenz und Kommunikationskompetenz4 Professionelle Kommunikation: Was ist das?5 Was ist Translation?Translation ohne „Original“?PerspektivenwechselIch sehe was, das du nicht siehstQuellen

 II Kultur und Kommunikation1 Was ist Kultur?2 Kultur, Sprache, Diskurs3 Kulturelle Schichten, Überlappungen, KonstruktionenInhaltliche Dimension: Was gehört dazu?Kollektive Dimension: Wer sind die Kulturträger*innen?4 Bedeutung von Kultur in der Kommunikation5 Transkulturelle Kommunikation6 Kultur – Politische Verhältnisse – MachtQuellen

 III Text und Kommunikation1 Texte, Muster, WirkungenTextsortenUmgang mit KonventionenDomänenMedienTextwirkung2 Text und Interpretation3 Texten als Transkulturelle Kommunikation4 Texte als Kommunikation im aktuellen sozio-politischen GefügeQuellen

 IV Sozialkompetenz und Kommunikation1 Kommunikation als BeziehungEmpathie und PerspektivitätKommunikationssituationen und kommunikative Bedürfnisse2 Sprache und Sprachen im öffentlichen RaumQuellen

 V Selbstreflexion und Kommunikation1 Sprachliche Repertoires reflektieren2 Mehrsprachigkeit3 Kultur und Identität4 Das eigene Kommunikationsrepertoire reflektieren5 Transkulturelle Kommunikation, Studium und BerufQuellen

  Schlüsselbegriffe

Transkulturelle Kommunikation: Was ist das?

Zu Beginn möchten wir Sie mit einem der wichtigsten Aspekte der Transkulturellen Kommunikation bekannt machen:

Abb. 1:

Ein Hase? (Foto: pixabay)

Der Hase steht für viele der Fragen, die wir uns stellen, wenn wir uns mit Transkultureller Kommunikation beschäftigen. Er deutet gleichzeitig verschiedene mögliche Antworten auf diese Fragen an.

Eine Frage könnte lauten: Ist das wirklich ein Hase? Was denn sonst, werden Sie vielleicht meinen. Nun, wie bei sehr vielen Fragen, die wir uns im Laufe unseres Lebens stellen, lautet die Antwort: Es kommt darauf an.

Worauf kommt es denn an? Es kommt zum Beispiel darauf an, ob der Hase ein „deutschsprachiger“ oder ein „englischsprachiger“ Hase ist. Aber Hasen sprechen doch weder Deutsch noch Englisch, werden Sie einwenden. Stimmt. Eigentlich geht es darum, ob die Menschen, die den Hasen sehen (also auch Sie) auf Deutsch oder Englisch gelernt haben, sich einen Hasen vorzustellen.

Was sehen Sie denn in dem Bild? Sehen Sie ein „wild lebendes Nagetier“? Vermutlich nicht, oder nicht auf den ersten Blick. Sie sehen wahrscheinlich vor allem ein niedliches Tierchen, das kuschelig und „lieb“ wirkt. Auch wenn Sie das Wort Hase nur hören, werden wahrscheinlich solche Bilder bei Ihnen aktiviert. Wörter wie Osterhase, Kuschelhase, Skihase, … auch Häschen oder Hasi als Kosenamen deuten auf das Image von Hasen auf Deutsch.

Zurück zur ersten Frage: Ist das wirklich ein Hase? Ja. Und nein. Kulturell gesehen, also in den Vorstellungen der meisten Menschen, die das obige Bild ansehen oder das Wort „Hase“ hören, sieht ein Hase so aus: kuschelig und lieb.

Zoologisch gesehen aber handelt es sich um ein Kaninchen. „Zoologische Hasen“ oder „eigentliche“ Hasen (im Gegensatz zu „vorgestellten“ oder kulturellen Hasen) sind dünner, haben längere Beine und Ohren, ein länger gezogenes Gesicht als Kaninchen und wirken, wie wir im folgenden Bild sehen, insgesamt viel weniger niedlich als Kaninchen.

Abb. 2:

Ein „zoologischer“ Hase (Foto: pixabay)

Sucht man eine englische Übersetzung in einem zweisprachigen Wörterbuch, findet man als erste Angabe: Hase = hare.

Nun, das stimmt. Und stimmt auch nicht. Denn auch im englischsprachigen Kontext hat der „zoologische“ hare ein viel weniger kuscheliges Image als zum Beispiel ein rabbit oder bunny. Als Haustier hält man rabbits und nicht hares, also Kaninchen und nicht Hasen. Der Osterhase ist der Easter Bunny und bestimmt kein Easter Hare. Wie sagt man dann Hase auf Englisch? Es kommt darauf an …

Was ist denn im ersten Bild wirklich zu sehen? Es kommt eben darauf an, aus welchem Blickwinkel wir es betrachten. Es kommt auch darauf an, wer wir sind: Zoolog*innen? Kinder? Koch? Kunsthistorikerin? …?

Je nachdem, wie wir gelernt haben, an Hasen (oder Kaninchen?) zu denken, wird das Bild unterschiedliche Gefühle und Gedanken in uns wecken.

Abb. 3:

„Feldhase“ von Albrecht Dürer (Abbildung: Wikipedia)

Ist die übliche englische Übersetzung des Titels von Dürers Bild – „Young Hare“ – richtig? Warum zum Beispiel „young“ hare, wenn es auf Deutsch ja „Feld“hase heißt? Vielleicht deswegen, weil „field“ hare nicht so üblich ist im Englischen? Oder weil „young“ hare hier etwas sympathischer wirkt? Oder wegen des Wortrhythmus? Oder aus allen drei Gründen? Es kommt nicht nur darauf an, wie man das Bild interpretiert, sondern auch darauf, welche Aspekte oder Eigenschaften des Bildes hervorgerufen werden sollen. Manche Kunstexpert*innen vertreten die Meinung, es sei gar kein junger Hase, der hier abgebildet wird, sondern ein erwachsener. Manche Übersetzungen lauten dementsprechend Hare oder Wild Hare ohne Hinweis auf das Alter. Alle angebotenen Übersetzungen wären als „richtig“ zu bezeichnen. Es kommt eben darauf an. Wie wir über etwas sprechen, etwas bezeichnen, etwas verstehen, hängt von unserem Standpunkt ab. Es hängt davon ab, wer wir sind, wo wir leben oder gelebt haben, wie wir leben etc. Es hängt eben von vielen unterschiedlichen Faktoren ab.

Während Sie die vielen Dimensionen der Transkulturellen Kommunikation kennenlernen, werden Sie auch lernen, worauf es ankommt. Welche Kriterien sind für die Analyse einer bestimmten Kommunikation relevant? Für die Lösung eines kommunikativen Problems? Für die Bezeichnung eines Gegenstands?

Worauf es ankommt, wird von Mal zu Mal, von Situation zu Situation anders sein. Menschliche Kommunikation ist nicht nur vielfältig, sie ist auch nicht vor­aussehbar. Jede Kommunikationssituation ist einmalig. Jeder Kommunikationsakt ist einzigartig. Jedes Mal, wenn Menschen sich äußern, einander wahrnehmen und einander verstehen (oder auch missverstehen) wollen, ist eine neue Konstellation von Gedanken, Gefühlen, gesellschaftlichen und politischen Faktoren im Spiel, die unsere Verstehensbereitschaft und unser Verstehensvermögen formt und beeinflusst. Mit dieser komplexen und gleichzeitig spannenden Tatsache umgehen zu können, gehört zur Expertise der Transkulturellen Kommunikation.

Denn auch wenn wir nicht voraussagen können, was die Leute sagen, schreiben, denken oder meinen werden in all den unzählbaren Situationen, in denen wir Menschen kommunizieren, ist es doch möglich, etwas daraus zu lernen. Wir können gewisse Regelmäßigkeiten feststellen: Verhaltensweisen und Reaktionen erkennen, die immer wieder vorkommen, wenn auch nicht unbedingt in der ganz gleichen Form.

 

Wir lernen, die Ungenauigkeit, Unvorhersagbarkeit, die komplexe und faszinierende Problematik der menschlichen Kommunikation als Teil unseres Know-hows zu akzeptieren. Denn das macht unser Fachwissen aus: das Erkennen der Probleme, die entstehen, wenn Menschen miteinander umgehen.

Letztlich: Wenn es keine Probleme gäbe, würde man keine Kommunikationsexpert*innen brauchen. Wenn alle dieselbe Sprache sprechen würden, alle einander verstehen würden und das ausdrücken könnten, was sie „eigentlich“ meinen, gäbe es keinen Bedarf an Kommunikationsexpert*innen. Ein Studium der Transkulturellen Kommunikation, also eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Transkultureller Kommunikation, verlangt von uns, Kommunikationsprobleme zu identifizieren, und auch, die passenden Fragen stellen zu können, um Lösungen für diese schon bekannten und doch immer einzigartigen Probleme zu finden.

Was ist also der „Inhalt“ einer Einführung in die Transkulturelle Kommunikation? Kurz gesagt: Es geht darum, wie Menschen aus unterschiedlichen Lebensbereichen und Kulturen einander verstehen und warum sie einander auch missverstehen. Ein relativ kurzer Satz, aber mit sehr viel Inhalt. Es gibt kaum etwas, das nicht Gegenstand der menschlichen Kommunikation ist oder sein kann. Unsere Sprachen können potentiell alles besprechen – auch das, worüber wir nicht oder noch nicht sprechen. Vor 20 Jahren hat niemand die Anzahl der „Facebook-Friends“ gezählt oder von „googeln“ gesprochen. „LGBTIQ+“ war kein gängiger Begriff und niemand hat auf Deutsch „gechillt“ oder war „couchsurfen“. Wir haben es klarerweise getan, aber die Verwendung der „englischen“ Ausdrücke verleiht den Handlungen einen anderen Geschmack als zum Beispiel „sich entspannen“ oder „bei jemandem übernachten“.

Wie wir am Beispiel des Hasen gesehen haben, umfasst die Kommunikation nicht nur Sprache, sondern vieles mehr: Alles, worüber und womit Menschen sich verständigen, ist Gegenstand der Kommunikation oder kann es werden. Unser „Stoff“ ist also potentiell die ganze Welt. Oder schlichtweg: das ganze Leben.

Auch ein anscheinend banaler Alltagsgegenstand wie ein Fenster ist im Kontext der Transkulturellen Kommunikation alles andere als selbstverständlich. Was ist die Funktion eines Fensters? Auch hier lautet die Antwort: Es kommt darauf an.

Es kommt zum Beispiel darauf an, ob wir von einem „westlichen“ Fenster oder von einem Fenster in der Tradition der islamischen Architektur sprechen. In der sogenannten „westlichen“ Tradition dient ein Fenster zwar dazu, Licht in einen Raum zu lassen, es wurde aber im Laufe der Jahrhunderte auch immer mehr als Möglichkeit verstanden, hinauszuschauen und gesehen zu werden oder das „Außen“ nach innen zu bringen (siehe Abbildungen 4, 5 und 6).

Abb. 4:

Fenster (Foto: pixabay)

Abb. 5:

Fenster (Foto: pixabay)

Abb. 6:

Fenster (Foto: pixabay)

Das „islamische“ Fenster hingegen soll das Licht so in den Raum filtern, dass es gemäß den ästhetischen Ansprüchen des Korans wirkt. Das Fenster soll nicht in erster Linie nach außen wirken, sondern den Blick nach innen lenken (siehe Abbildungen 7 und 8).

Sprechen wir dann vom „gleichen“ Gegenstand? Ja. Und nein. Je nach Tradition, nach Kultur und schließlich nach unserer Perspektive verstehen wir ein Fenster als etwas anderes.

Es kann also wirklich alles Gegenstand unseres Fachs werden. Das ist die große Herausforderung – und gleichzeitig die große Faszination.

Abb. 7:

Fenster (Foto: „Painted Mosque“ von Jocelyn

Erskine-Kellie, flickr.com, CC-BY 2.0)

Abb. 8:

Fenster (Foto: pixabay)

Wir lernen nie aus, weil sich die Welt ständig ändert. Etwas, das uns heute unwichtig erscheint, kann morgen oder für eine andere Person, für Menschen in einem anderen Land oder in einer anderen sozialen Gruppe von großer Bedeutung sein. Kann heiß umstritten werden, wie zum Beispiel das Bienensterben, der Klimawandel oder das Verbot von Kopftüchern in säkularen Schulen. Oder kann auch gefeiert (und gleichzeitig umstritten!) werden, wie der Weltfrauentag. Kann eine großartige Entdeckung darstellen oder eine gefährliche Bedrohung. Die Menschen werden darüber reden wollen, davon schreiben, miteinander diskutieren und verstehen wollen, wie denn „die anderen“ das sehen.

Und wir, wenn wir gelernt haben, die Welt aus unterschiedlichen Perspektiven zu sehen, können sie dabei unterstützen.

Bei allem technologischen Fortschritt werden Menschen nie aufhören, miteinander zu kommunizieren. Der „Stoff“ der Transkulturellen Kommunikation ist nie erschöpft. Und damit bleibt auch der Bedarf an Kommunikationsexpert*innen immer gegeben: Menschen, die gelernt haben, die Kommunikation zwischen Menschen und Kulturen zu fördern. Wir leben zwar in einer „globalisierten“ Welt, in der viele Unterschiede geglättet oder kleiner werden. Es entstehen aber gleichzeitig neue Unterschiede, neue Sichtweisen und neue Perspektiven, die neue Verständnishürden errichten und alte untermauern. Auch im sogenannten „globalen Dorf“ entstehen immer neue Möglichkeiten, einander zu verstehen und misszuverstehen. Auch das Englisch, das so viele sprechen, ist alles andere als „global“; es ist vielmehr ein Ausdrucksmittel für lokale Interessen und kulturell bedingte Anliegen. Englisch ist nicht mehr nur „englisch“, sondern die Sprache vieler Kulturen mit ebenso vielen Dimensionen und Bedeutungen. Im transkulturellen Rahmen dieser angeblichen Lingua franca sprechen nicht alle die gleiche Sprache. Auch hier ist gegenseitiges Verstehen nicht selbstverständlich.

Auf Transkulturelle Kommunikation können wir nicht verzichten. Die wissenschaftliche Beschäftigung mit Kommunikationsprozessen hilft uns, sie besser zu verstehen und bewusst mit ihnen umzugehen.

Hinweis zu genderbewusster Sprache

Wie wir in diesem Buch noch ausführlicher diskutieren werden, ist (unsere) Sprache – das, was wir sagen und ausdrücken – nie neutral. Alles, was wir sagen, könnte auch auf unzählige andere Arten gesagt werden. Deswegen ist es wichtig, dass wir darüber nachdenken, wie wir etwas sagen (wollen), um zu einer bewussten Entscheidung zu finden, die am besten ausdrückt, wie wir die Welt sehen.

Eine dieser bewussten Entscheidungen für dieses Buch ist, dass wir bei genderspezifischen Bezeichnungen für Personen eine Mischform aus grammatisch männlichen und grammatisch weiblichen Formen verwenden und einen Asterisken (*) hinzufügen – „Übersetzer*innen“, „ein*e beste*r Freund*in“, „jede*r von uns“ – wobei in manchen Fällen eine grammatisch männliche Endung wegfällt (zum Beispiel in „das Verhalten Ihres*r Freund*in“).

Wir haben uns für diese Variante – und damit bewusst gegen andere Formen wie zum Beispiel die rein maskuline Form („Übersetzer, jeder“) oder Formen mit Binnen- bzw. End-Majuskeln („ÜbersetzerInnen, jedeR“) vor allem aus den folgenden zwei Gründen entschieden:

Zum einen wollen wir damit Raum schaffen – orthografisch, sprachlich und (somit auch) gedanklich – für Geschlechtsidentitäten, die nicht in die starre/erstarrte Dichotomie Mann-Frau passen. Wir sehen den Asterisken als Anerkennung, Einladung und Versuch der Sichtbarmachung von Menschen, die sich nicht (nur) als „Mann“ bzw. „Frau“ identifizieren bzw. identifizieren können oder/und wollen – darunter intergeschlechtliche Personen, Transgender-Personen, Personen mit nichtbinärer Geschlechteridentität, genderqueere Personen und andere. Die Inhalte, die wir in diesem Buch besprechen, betreffen alle Menschen unabhängig ihres Geschlechts.

Zum anderen wollen wir damit auf die diskursive – das heißt, sprachliche und soziale – Konstruiertheit von allen solchen Bezeichnungen generell hinweisen. Menschengruppen wie „Frauen“, „Männer“, „Übersetzerinnen“, „Deutsche“, „Europäer*innen“ etc. sind nicht „einfach so“ in der Welt „natürlich“ vorhanden. Stattdessen werden sie immer wieder aufs Neue als Gruppe konstruiert und gefestigt, unter anderem auch durch die automatisierte Verwendung ihrer Bezeichnungen. (Mehr zum Begriff Diskurs und seinen Wechselwirkungen mit Gesellschaft und Macht werden wir in den folgenden Kapiteln besprechen.) Der Asterisk soll also auch als Erinnerung daran dienen, dass unsere Sprache Realität schafft, diese aber nie die einzig mögliche oder einzig gültige Art ist, die Welt zu verstehen. Dies gilt nicht nur in der Transkulturellen Kommunikation, sondern in jeder Form der Sprachverwendung.

Quellennachweis

BELTING, Hans (2008): Florenz und Bagdad. Eine westöstliche Geschichte des Blicks. München: C. H. Beck.

I Kommunikation
1 Was ist Kommunikation?

Abb. 9:

Frauen im Gespräch (Foto: Carol Mitchell, flickr.com, CC-BY-ND 2.0)

Die Frauen in diesem Bild tun etwas, das wir alle tun können: Sie sehen einander an, lächeln, nehmen einander als Menschen wahr. Manche sprechen auch miteinander. Wenn wir uns das Bild ansehen, erkennen wir, dass hier Menschen zu sehen sind, und ziehen bestimmte Schlüsse aus der Art und Weise, wie sie gruppiert sind, wie nah sie nebeneinander sitzen, was sie mit den Händen tun und auch, wie sie aussehen.

Wir nehmen zum Beispiel an, dass die weißhaarige Frau älter ist als die anderen. Die Frau, die etwas abseits von den anderen sitzenden Frauen sitzt, scheint das Gespräch zu führen. Das schließen wir aus der Körperhaltung der drei Frauen, die sich zu ihr drehen und ihr anscheinend zuhören. Eine Frau hebt die Hand, vielleicht in Ablehnung? Oder Zustimmung? Jedenfalls wirkt sie aufgeregter als die anderen zwei.

Die Frau zur linken Seite scheint aber mehr mit ihrer Kopfbedeckung beschäftigt zu sein als mit der Unterhaltung der restlichen vier Frauen. Oder denkt sie über die Unterhaltung nach? All das und vieles mehr entnehmen wir dem Bild auf einen Blick.

Was diese Frauen miteinander – und auch mit uns durch das Bild – verbindet, heißt Kommunikation. Durch ihre bloße Anwesenheit und gegenseitige Wahrnehmung teilen sie einander (und auch uns) etwas mit: Ich höre dir zu; ich bin nicht damit einverstanden; mich interessiert es nicht, was du zu sagen hast … Je nachdem, wie sie zueinander stehen, werden sie das jeweilige körperliche und sprachliche Verhalten anders interpretieren.

Auch wir, wenn wir Schlüsse ziehen wie „Die Frau links ist desinteressiert“ oder „Sie denkt nach“, interpretieren, was sie tut, wie sie steht, ihren Gesichtsausdruck und vieles mehr.

Das tun wir alle „automatisch“ – manche würden sagen „instinktiv“ –, ohne es in der Schule gelernt zu haben, auch ohne viel darüber nachdenken zu müssen.

Alle Menschen können kommunizieren. Jede*r kommuniziert auf eine ganz eigene Art und Weise. Wir erkennen die Stimme und sogar den Schritt einer uns bekannten Person unter den vielen hunderten Personen, denen wir im Laufe eines Lebens begegnet sind. Dabei muss die Person uns nicht unbedingt nahestehen. Den Schritt der Lehrerin, die uns seit der ersten Klasse begleitet hat, oder der Arbeitskollegin, die seit fünf Jahren im Nebenzimmer sitzt, werden wir vermutlich so schnell identifizieren wie den Schritt unserer Eltern oder unserer besten Freund*innen.

Warum kommunizieren wir?

So einzigartig aber jedes Kommunikationsverhalten sein mag, die Fähigkeit zu kommunizieren ist uns allen gegeben. Mehr noch: Wir können gar nicht anders.

Nicht nur können wir alle kommunizieren – wir müssen. Sobald wir auf die Welt kommen (manche meinen, bereits vor der Geburt), werden wir von mindestens einem Menschen wahrgenommen, gehalten, angesehen. Und auch Säuglinge kommunizieren, ohne es zu wissen, weil sie es einfach müssen: Der erste Schrei kommuniziert, dass das Kind atmet, am Leben ist. Weitere Schreie signalisieren Hunger oder das Bedürfnis nach Körpernähe oder Wärme. Die Pflegepersonen lernen langsam, diese Signale des Kindes zu interpretieren und durch einen Prozess von Versuch und Irrtum dem Kind (meistens!) das zu geben, was es braucht. Auch das Kind lernt allmählich, dass sein Schreien oder Lächeln bestimmte Auswirkungen darauf hat, wie die Menschen in seiner Umgebung reagieren. Es lernt eben, dass sein Verhalten einen Einfluss auf das Verhalten anderer Personen ausüben kann. So lernen wir alle, mit unseren Mitmenschen zu interagieren.

 

Ohne die zwischenmenschliche Interaktion, die wir Kommunikation nennen, wären wir nicht nur sehr einsam. Wir würden nicht überleben.

Die Gegenwart anderer Menschen ist unvermeidlich mit dem Leben verbunden. Sogar ein*e Einsiedler*in kann sich nur so bezeichnen, weil er*sie sich bewusst den Menschen entzogen hat. So lange aber die Möglichkeit besteht, zur Gemeinschaft zurückzukehren, bleibt auch der Entzug ein Akt der Kommunikation. Wer „ich will nicht“ sagt, sagt noch immer jemandem etwas.

Das Kommunikationspotenzial ist immer vorhanden. In diesem Sinne ist der wohlbekannte Satz von Paul Watzlawick zu verstehen: Man kann nicht nicht kommunizieren.

Die Umkehrung dieses Grundsatzes der Kommunikationslehre lautet: Wir sind alle zur Kommunikation gezwungen.

Das ist auch der Grund, warum wir alle kommunizieren können.