Mein Chef und andere Hürden

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„Ist es wieder so weit?“



„Die blöde Kuh hat mich ausgesperrt.“



War zu erwarten. Gott, bitte, lass ihn nicht sagen, was ich denke, dass er sagen will.



„Kann ich heute bei dir pennen?“



Er hat es gesagt. Gott scheint auf Mittag zu sein, wie ich.



Ja, natürlich, ginge locker. Nur kam es nicht in Frage. Zu gut war mir sein letztes Bei-mir-Pennen in Erinnerung, wo er mir abverlangte ihn nach Tagen gewaltsam vor die Tür zu setzen, um seine Kletten von mir wieder loszuschweißen.



Trotzdem um Verträglichkeit bemüht stellte ich klar: „Diese Woche ist Full House bei mir, Kurt, nur mehr die Badewanne ist frei.“ Das war leicht dahin gesprochen. Leider ohne zu überlegen. Froh, dass mir in der Schnelle überhaupt was eingefallen war, was nicht auf Anhieb nach Ausrede klang, war ich überzeugt, ihn damit abgewimmelt zu haben.



„Prima, passt für mich. Bis heute Abend, Baby.“



Aufgelegt. „Verflixt!“ Geschah mir ganz recht. Wieso gelang es mir nicht einmal, ein schlichtes „Nein“ zu sagen, wenn ich „nein“ meinte. Zurückzurufen, um abzusagen, brachte nichts. Kurt würde nicht abheben. Der Gedanke, mit ihm die Nacht zu verbringen, ließ mich erschaudern. Eine Idee, wie sich dieses Horrorszenario abwenden ließ, stellte sich nicht ein.



„Monika!“, rief eine Passantin hinter meinem Rücken. Scheinbar hatten sich Bekannte getroffen. Trotzdem ich den fremden Stimmen, sowie dem anschließenden Begrüßungsgeschehen nicht länger als nötig meine Aufmerksamkeit schenkte, hinkte mein Denken dem gerufenen Namen „Monika“ hinterher. Dabei schoss mir Monika Kilius, meine esoterisch interessierte Seminarfreundin ein. Na ja - Freundin war zu viel gesagt. Bekannte traf es besser. Vielleicht lebte sie noch solo? Meiner Meinung nach kam dieser gnädige Fingerzeig von meinen himmlischen Helfern. Ein gehauchtes „Danke“ ans Universum für diesen grandiosen Einfall war somit fällig.



Schon drückte ich die Tasten meines Handys. Nach den ersten Signaltönen erfasste mich eine gewisse Unruhe. Umso inbrünstiger vereinnahmte mich der Wunsch, dass Monika abheben würde. Nach drei weiteren Rufzeichen erfüllte mich die Befürchtung, dass es das gewesen war, als unerwartet dann doch ihre erfreute Stimme erklang: „Hallo Rena, schön, dass du anrufst. Hast du das Buch von Angerbauer und Kilian „Befreiung von negativen Wesen“ schon gelesen?“



In Anbetracht der Zurechtlegungen meiner weiblichen List, die bezüglich Kurt einzusetzen vonnöten war und die mich noch voll in Anspruch nahmen, kam ich nicht gleich darauf, was sie meinte. Darum wiederholte ich ihre Worte leise. Befreiung von negativen Wesen? Was für ein Zufall, wegen so eines Wesens rief ich an.



„Wenn nicht, leihst du es mir trotzdem?“



Die Götter hatten ein Einsehen.



„Kurt bringt es dir heute noch vorbei.“



„Kurt? Wer ist Kurt?“



„Ein selten lieber Kerl.“ Das Universum möge mir diese Lüge verzeihen.



„Was Ernstes?“



„Nein, nur ein Freund, nichts weiter. Es trifft sich gut, er wollte dich ohnehin kennen lernen.“ Dass er das wirklich wollte, brachte ich ihm schon noch bei - irgendwie. Nebenher schickte ich ein Stoßgebet ins All, um nun nicht hören zu müssen, dass sie fest vergeben sei.



„Ach ja? Okay. Ab acht bin ich zu Hause.“



Ich atmete auf.



„Wieso hast du eigentlich angerufen?“



Heiß. Kalt. Mir stockte der Atem. „Äh ... ja ... warte ... das ... Seminar, ... ja genau, wegen des nächsten Seminars, wie heißt es noch?“



„Die Erde und ihr spiralenförmiger Aufstieg ins Wassermannzeitalter.“



„Richtig. Wann sagtest du ist der Vortrag?“



„Kommenden Samstag 18 Uhr im Weidingerhof.“



„Alles klar.“



„Vergiss nicht, mir das Buch vorbeizuschicken. Ich brauche dringend Lesestoff.“



Diese Mahnung hätte es nicht gebraucht, wo ich noch dringender einen Notnagel brauchte und innerlich bereits jubilierte, die Lösung der Lösungen gefunden zu haben. Mit ein wenig Glück richtete sich Kurt bei Monika häuslich ein und kam nicht wieder. Das Non-Plus-Ultra, multipliziert mit dem Tüpfelchen auf dem i, ergab summa summarum - ein Pärchen.



Ich war ein Genie! Stutz. Und eine Kupplerin. Warum fiel mir Claudia plötzlich ein?





Wie immer fand die Besprechung im Konferenzzimmer statt. Wir Abteilungsleiter breiteten die dazu benötigten Unterlagen vor uns auf dem Tisch aus und warteten auf Dorner. Der, wie üblich, seinem Auftritt den nötigen Stellenwert verlieh, indem er vorerst durch Abwesenheit glänzte. Manchmal hielt dieser Status einschläfernd lange an. Bis er dann abgehetzt mit hochrotem Kopf erschien, seine Ringmappe auf den rechteckigen Tisch schnalzte, sodass wir ausharrenden alle wieder aufwachten.



„Unser heutiges Ziel ist es ... äh ... uns über die Umsatzsteigerung der einzelnen Bereiche, die Kundenzufriedenheit ... äh ... und dem wichtigsten Punkt, die Freundlichkeit der Mitarbeiter gegenüber dem Kunden ... äh ... Gedanken zu machen.“



Der Einstieg seiner Reden glich sich stets aufs Haar. Nämlich kam nie, auch nur in minimalster Weise, die Andeutung einer Entschuldigung über seine Lippen, nach einer derartigen Versetzungsphase. Getreu nach dem schlauen Büchlein, das jeder in der Chefetage las, irgendwann: Als Chef darfst du Fehler machen, aber du darfst sie niemals zugeben.



„Frau Starz ... äh ... wir beginnen mit Ihrer Abteilung. Lassen Sie Ihre Kennzahlen hören.“



Eifrig blätterte ich mich durch meine vorliegenden Schmierzettel, um den herauszufischen, worauf die begehrten Ziffern standen und staunte nicht im Geringsten, als Dorner nach deren Bekanntgabe sagte: „Der Umsatz ist viel zu niedrig und das Manko ... äh ... viel zu hoch.“



Ein Faktum, das mir bekannt war und meinen Adrenalinspiegel nicht die Spur ins Wanken brachte. Zum Staunen kam ich erst, als Dorner mir einen Vorschlag unterbreitete, um den Umsatz, wie er dementierte, schlagartig steigen zu lassen.



„Aktiv verkaufen.“



Seiner Meinung nach war das der Schlüssel zum Erfolg. Aktiv verkaufen sagte mir zuerst gar nichts, bis Dorner sein Vorhaben ausschmückte: „An unseren verkaufsstärksten Tagen, sprich Wochenenden, konzentrieren wir uns ... äh ... auf einen Artikel, den wir groß und breitflächig platzieren. Wir bieten den Kunden die Ware persönlich, im Zuge einer Verkostung zum Kauf an, ... äh ... damit er gleich schmeckt, was er ... äh ... kaufen soll.“



„Mit einem Wort, wir in der Obstabteilung werden zu Marktschreiern“, folgerte ich unüberhörbar, in der Annahme, ihn falsch verstanden zu haben.



„Nicht direkt, aber ... äh ... so in der Art.“



Das war das Himmelschreiendste, was ich je gehört hatte. Es war der Hammer. Aber der Überhammer war der Film, den wir uns anschließend als Vorbild „hineinziehen“ durften. Worin ein Fischstand vorgeführt wurde, deren Angestellte sich nicht zu knapp in Szene setzten, indem sie die Fische zur Unterhaltung der davor stehenden Kunden in die Luft, warfen, sie auffingen und in einem Ton anpriesen, der jeden Rummelplatzsteher neidisch werden ließ.



Nebenbei gaukelte ich mir vor, wie wir unsere Äpfel, Birnen, Bananen und Salate durch die Gegend schupften. Wie das Obst und Gemüse durch Missgriff auf den Boden landete oder aus Versehen auf den Köpfen der Kunden. Kaum zu Ende gegaukelt prustete ich los vor Lachen. Letztlich rang ich mir unter den fragenden Blicken meiner Kolleginnen und Dorner ab: „Für diese Art von Verkauf bin ich eindeutig zu bald geboren.“



Schließlich waren wir ein Selbstbedienungsmarkt und keine Witzbude. Doch als loyales „Betriebsinventar“ hatte man natürlich umzusetzen, was Dorners Kopf ausbrütete. So war es mir auferlegt, die neu erworbenen Kenntnisse für den Verkauf an meine untergebenen Hirten von Obst und Gemüse weiterzugeben. Auf die Frage von Janina: „Wer soll das machen?“, bekam sie die zart besaitete Zukunftsmusik von Dorner zu hören. „Jeder.“



Das war nicht leicht durchzuführen, denn,

jeder

 scheute sich vor dem intimen Kontakt zum Kunden, freiwillig meldete sich keiner dafür. Beim Austeilen des Selbstvertrauens nach der Geburt schien keiner meiner Kolleginnen zum Schreihals geworden zu sein. Ein Zustand, der mich zwang, ein Machtwort zu sprechen. Ein Klipp und Klares. Ein Chefmäßiges sozusagen. Wo käme man hin, ließe man die Drückebergerei durchgehen. Also teilte ich fürs Erste, zum nächsten Freitag - mich ein. Nach dem Leitspruch: Gehe mit gutem Beispiel voran. In der Hoffnung, dass meine lieben Mitarbeiterinnen den Wink verstanden.



Auf dem aktiven Verkaufsplan standen Ananas feil. Ich steckte saftige, appetitlich mundgerechte Würfel auf Zahnstocher und platzierte sie igelig liebevoll aufs Serviertablett, damit der Kunde sie flugs genießen konnte, wenn er wollte. Postierte mich damit vor die Ananaspyramide, die wir frühmorgens mitten in die Abteilung konstruiert hatten, und spähte optimistisch sowie verkaufsgeil nach meinen ersten „Opfern“.



Noch trotteten sie recht spärlich an. Aber das hatte auch sein Gutes, so entkam niemand meinem Verkaufsgenie. Der ersten Kundin, die mein Territorium betrat, hüpfte ich beflügelt vor die Füße, motiviert meinen einstudierten Text herunter zu spulen: „Guten Morgen, darf ich Ihnen eine Ananas zum Kosten anbieten?“



Die Frau winkte ab. „Nein danke. Habe gerade gefrühstückt.“



Auch gut. Dieser kaum spürbare Dämpfer an den genialen Verkäufer in mir haute mich stehenden Fußes nicht um. Wer nicht wagt, der nicht gewinnt, auf ein Neues, dachte ich beflissen. Lauernd fixierte ich ein älteres Ehepaar gegenüber, das gemütlich abschätzend Tomaten einsackte. Die sahen mir aus, als bräuchten sie eine Ananas. Guten Mutes bewegte ich mich auf sie zu und streckte ihnen flötend das Tablett mit den saftigen Würfeln vor die Nase: „Guten Morgen, darf ich Ihnen eine Ananas zum Kosten anbieten?“ Der grauhaarige Herr smylte und näselte: „Das ist lieb von Ihnen, aber mein Magen verträgt die Säure nicht.“

 



Abwartend lächelnd konzentrierte ich mich auf die sorgfältig zurechtgestylte Dame an seiner Seite. „Danke.“ Sie schüttelte den Kopf. Unbegreiflich. Mein Lächeln erstarb. Ich war verstimmt und nahe daran herauszuschreien: warum nicht! Besann mich gerade noch, denn schon kam der wahre Abnehmer des Weges. Ein junger Mann, spindeldürr, geschätzter Vegetarier.



„Wollen Sie kosten?“, fragte ich, schon kürzer angebunden, ihm den Köder vor sein Antlitz haltend, mit einem Gesichtsausdruck, der deutlich preisgab, was ich dachte. Nämlich: Wage es nicht, nein zu sagen. Unverkennbar eingeschüchtert griff der Dürre zu, was purer Balsam für meine Verkaufsseele bedeutete. Hastig, als würde er lieber das Weite suchen, führte er die Frucht auf dem Stocher an seinen geöffneten Mund. Doch noch bevor er das Stück hineinschob, purzelte es zu Boden. „Oh“, entfuhr es mir, bückte mich, um das Missgeschick auszumerzen. Während ich in Hocke ging, um die Frucht aufzuklauben, dabei emsig versuchte das Serviertablett in meiner Hand im Gleichgewicht zu halten, schmiss er mir das verwaiste Holzstäbchen unbemerkt aufs Tablett. Als ich aufschaute und nur mehr sein davonstrebendes Hinterteil wahrnahm, sprudelte es aus mir heraus: „Sie dürfen gern noch einmal ...“ Na, dann nicht. Aktiv verkaufen entpuppte sich zur Knochenarbeit, die eine Schwerstarbeiterzulage rechtfertigte. Namens Nervenkrisentöter. Zeit zum Lamentieren blieb mir allerdings nicht. Eine Mutter, mit ihren zwei Kindern im Kinderwagen, förderte schlagartig die Wachsamkeit eines Spions in mir. Die schrien geradezu nach Vitaminen.



„Guten Morgen. Wollen Sie eine Ananas kosten?“



„Ich will auch“, riefen die Kinder im Duett. Diese Mutter wusste, was ihren Kleinen gut tat und fütterte sie ausreichend, wie sich selbst. Erst bei halb leerem Tablett sagte sie: „Danke, schmeckt sehr gut“, was mich sozial verträglich nicken ließ. Im nächsten Augenblick schob sie den Kinderwagen freundlich lächelnd um die Ecke - und ich sah blöd hinterdrein. Irgendetwas musste ich übersehen, bei dieser Verkaufsstrategie. Die Leute sollten nicht nur essen, in erster Linie sollten sie kaufen. Demnach beschloss ich, meinen Standardsatz zu ändern. Vielleicht lag es ja daran?



„Guten Tag, unsere Ananas sind heute zuckersüß und in Aktion, wollen Sie kosten?“



Natürlich. „Der Preis?“



„Zwei Euro und neunundneunzig Cent.“



„So viel? Nein danke.“



„Guten Tag, unsere Ananas sind in Aktion. Den ersten Bissen gibt es gratis.“



„Muss ich den zweiten bezahlen?“



Wie steht es, mit einer ganzen Ananas kaufen? Danke, abgelehnt.



„Waaas...“, schrie eine Kundin lauthals, nachdem ich ihr die vitaminreiche Kost angeboten hatte, „... die ist ja billiger zu haben, als ein Ferrari!“



Schluck. Ich fühlte mich veralbert, machte gute Miene zum fiesen Spiel und säuselte: „Nicht nur billiger als ein Ferrari, auch gesünder.“



Worauf die Huldreiche wohlwollend nickte. „Wenn Sie zu diesem Preis mal eine haben, die auch so fährt, wie ein Ferrari, machen wir das Geschäft.“



Ich seufzte. Wissend, in dieser Preislage kriegte ich die Vitaminbombe nie über die Scannerkasse. Zumindest nicht in dem Umfang, wie Dorner sich das vorstellte.



Bald vermehrte sich die Kundschaft. Ich sauste durch die Abteilung, um jeden zu erreichen, ohne dass ich mich vierteilen musste. Selbstverständlich durfte keiner ungefragt die Kassa anvisieren und mir so durch die Schwindel erregend steigenden Umsatzzahlen gleiten. In weiser Absicht, mich dem aktuellen Stand anzupassen, ihn Gewinn bringend zu nützen, stellte ich mich in Position und alarmierte aus voller Kehle, sodass sich auch der letzte Winkel des Geschäftes meiner grellen, sich überschlagenden Stimme nicht entziehen konnte: „Ananas in Aktion, bitte kaufen, die Gelegenheit kommt so schnell nicht wieder! Ananas, zuckersüß und superbillig!“



Die von Dorner gewollte Marktschreierin war geboren. Ungewollt. Das ergab sich. Einfach so. Die Kunden stierten mich an, als sähen sie die Schlange aus dem Paradies, die im Begriff war, sie zu was Illegalem zu verführen. Zu meinem Glück hielt ich eine Ananas in der Hand und keinen Apfel. Und die Kollegen glaubten, ich sei übergeschnappt. Was ich ihnen nicht verübelte.



Nach einer Stunde zog ich Bilanz. Zwei Ananas verkauft - zehn verkostet. Grandioser Erfolg. Auf die Bruchlandung hin bugsierte ich das halb volle Tablett resignierend auf den Pyramidenberg und überließ es freiwillig dem gefräßigen Besuchervolk, die darüber herfielen, wie ausgehungerte Piranhas. Zurück blieb das Zahnstocherskelett. Und das halbe Tablett, weil es irgendwann zu Boden fiel und zerbrach. Und mein angeschlagenes Ego. Und die Wut auf den klugen Kopf, der sich das ausgedacht hatte.



Aber klein beigeben stand nicht in meinem Lebensbuch. Minuten später schob ich mich mit den hungrigen Augen eines Hais abermals durch die Abteilung, im Sinn Beute zu machen. Die Menge der saftigen Köder schrumpfte. Der Kundenfang blieb dennoch aus. Trotzdem zog ich die aktive Gratis-Verkostung beinhart bis zum Abend durch. Resonanz: satte Kunden, magere Ausbeute. Eine teure Angelegenheit für unseren Markt. Die eingesetzten Waffen, die Wunder bewirken sollten, nämlich das liebliche Lächeln, die aufgesetzte Freundlichkeit, zum Schluss nur mehr gespielt gute Laune, zahlten sich nur fingerhutmäßig aus. Von dem Endergebnis war Dorner not amused. Worauf folgte, dass er eine Kleinigkeit an Ideen von mir forderte, damit diese Art von Verkaufscleverness den vorgesagten Erfolg brachte, und er vor seinen Vorgesetzten als Macher brillieren konnte. Wie bestellt, kam mir vieles in den Sinn und alles fing mit: Was wäre wenn ... an. Einzig die Inspiration zu

dem

 Kassenknüller lies auf sich warten. Aber die Samen waren verstreut, bereit zu keimen. Es musste nur noch regnen. Wien war auch nicht an einem Tag erbaut worden, dachte ich und blockte nach, ich weiß nicht wie vielen „was wäre wenn´s“ ab. Und verschob jeglichen Gedanken darauf rücksichtslos - auf irgendwann.






Kapitel 4







Am Feierabend war Haare waschen und Föhnen angesagt, damit ich wenigstens ein Erfolgserlebnis verbuchen konnte, an diesem ultra, hyper, mega, irren Arbeitstag. Vom aktiven Verkauf psychisch wie physisch geschlaucht, musste die Badewanne dafür herhalten. Das warme Nass entschädigte meinen abgekämpften Körper für die Strapazen, die hinter mir lagen einigermaßen. Ich streckte mich wohlig aus, schloss die Augen und versuchte meinen Kopf frei zu bekommen. Die warme Feuchtigkeit auf meiner Haut entspannte meine Muskeln. Ein himmlisches Gefühl. Zum Einschlafen, wenn es nicht plötzlich an der Tür geklingelt hätte. Aus meiner träumerischen Ära aufgeschreckt, richtete ich mich ruckartig auf, wodurch das Wasser überschwappte und sich lachenförmig auf den Fliesenboden ausbreitete. Nein, Simba war das nicht. Ihre Art zu klingeln war unverkennbar. Grollend raffte ich mich auf, um tropfend aus der behaglichen Temperatur zu steigen. Während ich mich von oben bis unten rasch in Duschtücher wickelte, danach die Tür anvisierte, fiel er mir ein. Kurt. Das konnte nur er sein. Schlagartig ermächtigte sich in mir die Einsicht, dass meine Gebete, er möge durch seine Engel im Himmel andere Wege einschlagen wollen, ungehört im Universum verpufft waren. Erbost fragte ich mich, was das Leben noch alles von mir abverlangte und was in unserer damaligen Ehe schief lief ... als sie in voller Größe, so gut wie aufgelöst, an der Türschwelle vor mir stand.



„Mutter, du?“



Kommentarlos an mir vorbeirauschend streifte sie mitten in der Diele ihre Pumps im Gehen ab, sodass zwei Häufchen liegenblieben. Eine Angewohnheit, die man ihr nicht abgewöhnen konnte. Die Schuhe und mich keines Blickes würdigend trampte sie durch ins Wohnzimmer, um sich dort plump auf die Couch fallen zu lassen.



„Er hat es wieder getan“, öffnete sich ihr Jammertal, „und so oft, dass es schon auffällt.“



Leider verstand ich kein russisch. Ich schloss die noch offene Wohnungstür und begab mich zu ihr.



„Wer hat was getan?“



„August hat Minna beim Canasta gewinnen lassen. Dieses Ekel.“



Zur Erklärung: August war mein pensionierter Vater und Minna die pensionierte Nachbarin. Und nun saß Gerdi, meine pensionierte Mutter, mir als heulendes Elend gegenüber, als Eifersucht in Person.



„Er hat was mit ihr“, heulte sie los.



Wäre es nicht meine Mutter, die wie ein Bild des Jammers vor mir säße, hätte ich losgelacht und gedacht: Rentner auf Freiersfüßen. Stattdessen setzte ich mich zu ihr, wie es sich für eine brave Tochter geziemte, und nahm sie tröstend in den Arm.



„Mam, du siehst Gespenster. Paps, in seinem Alter doch nicht.“



Mein Badetuchturban auf dem Kopf drohte zu verrutschen, was meinem Helfersyndrom kurz Einhalt gebot. Ich ließ Mutter los, löste ihn vollends und wickelte ihn fester.



„Er zwinkert ihr zu, das hat er bisher nur für mich getan“, heulte sie auf wie eine Sirene, um anschließend geräuschvoll zu schniefen. „Hast du ein Taschentuch?“



Natürlich, aber nicht zur Hand. Ich stand auf, um welche zu holen.



„Gib mir alle“, verlangte sie und nahm die Packung an sich. Ein leiser Hinweis darauf, dass das Heulkonzert noch andauern würde.



„Hast du mit Paps darüber gesprochen?“



„Was glaubst du denn“, verwies sie mich entrüstet, „damit er denkt, ich sei eifersüchtig?“



Natürlich. Dumme Frage. Lebte bisher wohl arretiert hinter dem Mond. Mam und eifersüchtig? Sähe ich nicht das Gegenteil, würde ich es glauben.



„Wie wäre es, wenn ihr in nächster Zeit auf eure Kartenspiel-Partien verzichten würdet“, schlug ich vor. Eine Anregung, die jegliche Konstellation von Sündenregister mit einem Schlag vernichten würde. Großartiger Tipp fand ich.



„Dein Vater wird einen Grund wissen wollen.“



„Dann sag ihm einen. Denk dir einen aus.“



Wieder schellte die Wonungsklingel. Mich entschuldigend erhob ich mich, um den dringenden Einlass, den das Geläut stur verlangte, zu gewähren. Gleich darauf stand er vor mir. Spät aber doch. Kurt. Wau! So, wie er aussah, würde er bei Monika ziemlich männlichen Eindruck schinden können. Im Sandlerlook, unrasiert, dazu mit Bierfahne. Sein momentanes Äußeres hatte so gar nichts mit dem Adonis gemeinsam, den ich damals geheiratet hatte. Lang, lang ist´s her. Welches Karma mich mit dem Individuum noch verband, war mir ein Rätsel. Bis zum Eintreffen eines Geistesblitzes, der mir sagte, wie man unsere unsichtbaren Bänder und Verflechtungen auflösen konnte, blieb er wohl an meinem Rockzipfel hängen. Ein grausiger Gedanke.



„Hi, Baby“, lallte er, „sehe, komme gerade richtig.“



Unverschämt lüstern begutachtete er meine in Tücher gehüllte, Statur, mir vor Augen führend, dass er mich geistig Stück für Stück auszog. Bis hierher und nicht weiter, dachte ich, mit der gar nicht berauschenden Fiktion, dass er in diesem Zustand die Nacht bei mir verbringen wollte. Wie es aussah in meinem Bett! Sein Versuch, nach mir zu grapschen, ließ mich zurückweichen und erweckte Gefühle in mir, die einem Nosferatu gleichkamen. In den ersten Sekunden seines Anblicks verwarf ich es ja, aber im beherrschenden Sinn irgendetwas tun zu müssen in Anbetracht meiner explosionsartig aufsteigenden Panik, verselbstständigten sich meine Hände. Nachdem sie wahllos durch die Luft gefuchtelt waren, langten sie nach dem Erstbesten, was ihnen in die Finger kam, und drückten ihm das Buch „Befreiung von negativen Wesen“ für Monika in die Hand.



Er betrachtete das Buch von allen Seiten, um dann, wie verabredet, einzutreten. Doch er rechnete nicht mit meinem Zeigefinger, den ich ihm an die Brust setzte, der Stopp signalisierte.



„Lilienstraße 10, erster Stock. Monika wartet auf dich.“



„Monika? Welche Monika.“



„Monika Kilius, ein begabtes Medium und Männer verschlingendes Ungeheuer.“



Die Stirn runzelnd kratzte er sich am Hinterkopf. Ein Bild für Götter, wie sein Gehirn die Impulsladung von elektrischen Stromstößen sichtlich verarbeitete, die die Gedanken „Männer verschlingendes Ungeheuer“ in ihm auslösten.



„Verlockend, nicht?“



„Wieso wartet die auf mich?“



Fragender, nicht checkender Gesichtsausdruck. Seine grauen Zellen schwammen im Alkohol. Offensichtlich, dass schon einige abgesoffen waren.



„Auf das Buch ... und auf jemanden, der es ihr vorbei bringt.“ Das musste ich der Wahrheit wegen zugeben. Was ich gleich bedauerte, da ich befürchtete, dass das „Männer verschlingende Ungeheuer“ nun nicht mehr attraktiv genug für ihn wäre. Wo er schon vorhin nicht vor Begeisterung gelechzt hatte. Warum eigentlich nicht? Jeder andere an seiner Stelle hätte es getan. Na ja - nüchtern vielleicht eher. Mir war kalt. Die Tücher, die mich umwickelten, waren feucht und wollten abgelegt werden.

 



„Jetzt tu mir den Gefallen, den bist du mir schuldig.“



„Die Badewanne hältst du für mich frei, Baby?“



„Wenn du klug bist, brauchst du sie nicht mehr Kurtilein“, gurrte ich in weiblicher Verlockung, vertretend für Monika.



Was er augenscheinlich missverstand. Er kam ungemütlich nahe, sodass er mich berührte und ich durch seinen Mundgeruch das Bierfass förmlich vor mir stehen sah.



„Wenn du nicht so lang warten willst, Baby ...“



Hektisch schubste ich ihn von mir. „Später, viel später“, schoss es aus mir heraus. Zu dumm, genau das war es, was ich nicht sagen wollte. Prompt verbesserte ich: „Im nächsten Leben, vielleicht.“ Augenblicklich brannte es in mir, ihn loszuwerden. Nicht nur, um mir seine vertrackten Beziehungskistengeschichten nicht anhören zu müssen. So kannte ich ihn gar nicht. Vermutlich stand er neben Alkohol auch unter LSD oder so.



„Rena, ich bin noch da!“, vermeldete Mutter aus dem Wohnzimmer, der das Tete-a-Tete zwischen Kurt und mir scheinbar zu lange dauerte. Da Kurt betrunken und nicht taub war, wirkte sich ihre Stimme zwangsweise ernüchternd auf ihn aus. Schielend den Zeigefinger hebend kauderwelschte er: „Die kenne ich.“



Da kam die Stimme schon an. Mit herzlich gemeinten Worten in ausgesprochen milder Tonlage. „Was macht der hier? Wie sieht der aus?! Nun sag aber nicht, dass der hier wieder einzieht.“



Für Kurt ergaben die „liebreizenden“ Worte seiner Ex-Schwiegermutter den Ansporn, sich umzudrehen, um Reißaus zu nehmen. Was er in Zeitlupe tatsächlich schaffte. Vermutlich blieb es ihm im Gedächtnis haften, dass mit Mutter nicht gut Kirschen essen war, wenn sie derartig den Marsch blies.



„Lilienstraße 10“, rief ich ihm rasch hinterher, „bei Kilius!“



So rasch wäre es nicht nötig gewesen, eine Schnecke legte eher Tempo zu, als er. Danach überfielen mich Gewissensbisse. Ihn zu Monika zu schicken hätte es nicht mehr gebraucht, wo er ohnehin „abgetaucht“ war, dank Mutter. Doch dann beruhigte mich der Gedanke, dass er sich ihre Adresse in seinem Zustand sowieso nicht merken würde.



„Tschau, Mama“, gab er bewusst hämisch von sich, bevor er phlegmatisch den tiefer gelegenen Treppenabsatz in Angriff nahm. Das Treppengeländer, auf das er sich stützte, war zum Glück gut verschraubt.



Als er außer Sichtweite war, sah mich Mutter durchdringend, sowie sehr, sehr streng, mit tief gelegten Augenbrauen und Falten dazwischen an.



„Es ist nicht so, wie du jetzt vielleicht denkst“, versuchte ich sie zu beschwichtigen, da ich ihren Standardsatz für Kurt kannte. „Er ist nichts, er hat nichts und er taugt nichts.“



Noch bevor sich dieses Thema zwischen uns richtig entfaltete, öffnete sich die Tür gegenüber. Simba unter ihrer hoch toupierten Mähne und eine zweite Person in weiblicher Form, erschienen. Den frostigsten Abschied nach sich ziehend, den ich je mitbekommen hatte. Die Unbekannte rauschte hoch erhobenen Hauptes vorbei, die Treppe hinunter. Simba dagegen fiel mir um den Hals und schluchzte: „Es ist aus.“



Mit diesem zusätzlichen Szenario drohte mein ich, um Haaresbreite aus den Fugen zu geraten. Dennoch gewillt, es jedem Recht zu machen, atmete ich einmal tief ein und aus, derweil ich Simba automatisch den Rücken streichelte. Das half mir. Die Lebensberatung Rena funktionierte so praktisch Tag und Nacht. Aber nicht im Treppenhaus.



„Kommt ins Wohnzimmer“, wandte ich mich an die beiden Heulsusen, nachdem Simbas gröbster Schluchzer bearbeitet war. Noch im Flur überlegte ich, ob ich mich getrauen durfte, sie kurz allein zu lassen, ohne dass sie sich vor Gram gleich aus dem Fenster stürzen würden. In mir wuchs nämlich das unpassende Bedürfnis, endlich etwas Trockenes anzuziehen. Der Turban rutschte auch wieder. Was hatte sie gesagt? Es ist aus?



Mutter drückte „dem jungen Ding“, wie sie Simba taufte, voll des inneren Beistandes einen Schnäuzfetzen in die Hand. Danach begaben sich beide ins Wohnzimmer auf die Couch, wo sie ihre Beine im Sitzen anwinkelten. Und ich verschwand i

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