Loe raamatut: «Schulsozialarbeit in der Schweiz (E-Book)»
Publiziert mit der Unterstützung der Pädagogischen Hochschule Bern und der Stiftung Mercator Schweiz.
Ueli Hostettler, Roger Pfiffner, Simone Ambord, Monique Brunner
Schulsozialarbeit in der Schweiz
Angebots-, Kooperations- und Nutzungsformen
ISBN Print: 978-3-0355-1574-9
ISBN E-Book: 978-3-0355-1575-6
1. Auflage 2020
Alle Rechte vorbehalten
© 2020 hep Verlag AG, Bern
Inhaltsverzeichnis
Vorwort
1 Einleitung1.1 Zur Annäherung von Schule und Sozialer Arbeit1.2 Stand der Forschung1.3 Bedeutung der interdisziplinären Kooperation1.4 Das Forschungsprojekt im Überblick1.5 Befragung zu den Kooperationsformen1.6 Befragung zu den Nutzungsformen1.7 Datenauswertung
2 Entwicklung der Schulsozialarbeit und Angebotsformen 2.1 Einführung ins Thema 2.2 Ergebnisse 2.3 Zusammenfassung
3 Interdisziplinäre Kooperation zwischen Schulsozialarbeitenden, Lehrpersonen und Schulleitungen3.1 Einführung ins Thema3.2 Ergebnisse – Merkmale der interdisziplinären Kooperation3.3 Ergebnisse – Erfolgsfaktoren der interdisziplinären Kooperation auf Individualebene3.4 Ergebnisse – Kontextmerkmale der interdisziplinären Kooperation3.5 Zusammenfassung
4 Nutzungsformen in der Schulsozialarbeit 4.1 Einführung ins Thema 4.2 Formen der Nutzung durch Schülerinnen und Schülern 4.3 Ergebnisse der Befragung 4.4 Zusammenfassung
5 Schlussbetrachtung
6 Anhang6.1 Zusätzliche Auswertungen6.2 Skalendokumentation6.3 Abbildungsverzeichnis6.4 Tabellenverzeichnis
7 Literatur
Vorwort
Seit den 1970er-Jahren ist in der Schweiz ein sukzessiver Auf- und Ausbau der Schulsozialarbeit erfolgt. Alleine in den Deutschschweizer Kantonen gibt es gemäss unserer Studie aktuell über 860 Schulen mit entsprechenden Angeboten. Sie unterstützen Schülerinnen und Schüler im Prozess des Erwachsenwerdens und entlasten Schulen, die im Zuge des sozialen Wandels vor neue Herausforderungen gestellt sind. Die Schulsozialarbeit ist heute an Schulen, in Gemeinden und Kantonen institutionell gut verankert, und obschon unterschiedliche Aufgaben und Formen sowie Intensitäten der Zusammenarbeit die Praxis prägen, hat sie sich als Handlungsfeld im professionellen Diskurs der Sozialen Arbeit im Bereich der Jugendhilfe etabliert. Dennoch wissen wir sehr wenig über die Zusammenarbeit der Schulsozialarbeit mit der Schule und über die Art und Weise, wie ihre Angebote von den Kindern und Jugendlichen genutzt werden – gerade aus einer interkantonalen oder gar nationalen Perspektive.
Das vorliegende Buch und die ihm zugrunde liegende Forschung leisten einen Beitrag, um diese Lücke für die deutschsprachige Schweiz zu schliessen. Ziel war, die Datengrundlage zur Schulsozialarbeit systematisch zu erweitern und eine Gesamtsicht zum Stand der Schulsozialarbeit in der Deutschschweiz zu liefern. So werden auch folgende Fragen beantwortet: Wie sieht die Zusammenarbeit zwischen Schulsozialarbeit und Schule aus? Welche Kooperationsformen haben sich zwischen Schulsozialarbeitenden, Lehrpersonen und Schulleitenden entwickelt? Wie sehen die Rahmenbedingungen dieser Zusammenarbeit aus? Welches sind die Faktoren, die zum Gelingen der interdisziplinären Zusammenarbeit beitragen? Wie und unter welchen Bedingungen nutzen Kinder und Jugendliche die Schulsozialarbeit?
Diese bislang weitgehend ungeklärten Fragen haben uns motiviert, ein Forschungsprojekt zu entwickeln und beim Schweizerischen Nationalfonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung (SNF) Fördermittel zu beantragen. Der Schweizerische Nationalfonds hat das Projekt «Kooperationsformen und Nutzungsstrukturen in der Schulsozialarbeit – Eine empirische Studie zum Stand in der deutschsprachigen Schweiz» (http://p3.snf.ch/project-156642) am Ende auch hauptsächlich finanziert und es so – zusammen mit weiterer finanzieller Unterstützung durch die PHBern – ermöglicht, dass im Zeitraum vom 1. Mai 2015 bis 31. März 2019 die nötigen Forschungsarbeiten im Forschungsschwerpunktprogramm «Governance im System Schule» der PHBern ausgeführt werden konnten.
Die Resultate und Befunde dieser Forschungsarbeit werden im vorliegenden Buch präsentiert und diskutiert. Wir wollen damit einen Beitrag zu einer systematischen und differenzierten Gesamtsicht der Schulsozialarbeit in der deutschsprachigen Schweiz leisten und zugleich Verantwortungsträgerinnen und -träger, Schulsozialarbeitende, Lehrpersonen und Schulleitende in ihrer Arbeit unterstützen wie auch zur Weiterentwicklung der Schulsozialarbeit und der Kooperation von Schule und Sozialer Arbeit in der Schweiz beitragen.
An der Ausarbeitung des Projektantrags war neben den beiden Ko-Projektleitenden Ueli Hostettler und Roger Pfiffner auch Barbara Zimmermann beteiligt. Von Anfang an haben uns Priska Hellmüller, ehemals Leiterin Bereich Kader- und Systementwicklung am Institut für Weiterbildung und Medienbildung der PHBern, und Daniel Iseli, ehemals stellvertretender Abteilungsleiter Weiterbildung, Dienstleistung und Forschung, Soziale Arbeit der Berner Fachhochschule (BFH), unterstützt. Später waren beide auch Mitglieder einer Begleitgruppe, die uns während der Laufzeit des Projekts zur Seite stand. Zu dieser Begleitgruppe sind weitere Mitglieder gestossen: Dr. Jürg Brühlmann, ehemals Leiter Pädagogische Arbeitsstelle, Dachverband Lehrerinnen und Lehrer Schweiz (LCH); Sandra Geissler, Leiterin Schulsozialarbeit Stadt Bern; Bernard Gertsch, Präsident Verband Schulleiterinnen und Schulleiter Schweiz (VSLCH); Veronica Graber, Vorstandsmitglied des Schulsozialarbeitsverbands (SSAV); Dr. Beat A. Schwendimann, Leiter Pädagogische Arbeitsstelle, LCH; Vera Vogt, Leiterin Schulsozialarbeit Winterthur, und Prof. (FH) PD Mag. Dr. Petra Wagner, Studiengang Sozialarbeit, Fakultät für Gesundheit und Soziales, Fachhochschule Oberösterreich, Linz. Allen Mitgliedern der Begleitgruppe, den Institutionen, die sie vertreten, und auch Barbara Zimmermann danken wir dafür, dass sie uns mit ihrem Wissen und ihrer Erfahrung unterstützt haben.
Wir sind bei den Schulsozialarbeitenden, Lehrpersonen, Schulleitenden, aber auch bei den Kindern und Jugendlichen, die wir für eine Teilnahme an der Studie angefragt haben, auf grosse Unterstützung gestossen. Dank ihrem Engagement liess sich eine ausgezeichnete Datengrundlage erarbeiten. Das ist an den im Vergleich zu ähnlichen Projekten ausserordentlich hohen Rücklaufquoten zu erkennen. Wir bedanken uns für dieses Engagement, das uns immer wieder motiviert hat, die aufwendige logistische Arbeit bei der Datenerhebung konsequent weiterzuverfolgen. Neben den Befragten haben uns im Verlauf des Projekts viele weitere Personen unterstützt. Auch wenn sie hier nicht einzeln erwähnt werden, gebührt ihnen unser grosser Dank.
Als Erstantragsteller für das Projekt beim SNF trug Ueli Hostettler die Gesamtverantwortung für die Entwicklung und Umsetzung der Studie. Der Mitantragsteller Roger Pfiffner von der Berner Fachhochschule (BFH) und die beiden Projektmitarbeiterinnen Simone Ambord und Monique Brunner waren für die Entwicklung der Befragungsinstrumente, die Aufbereitung und Analyse der Daten und das Verfassen von Publikationen verantwortlich. Simone Ambord und Monique Brunner haben alle notwendigen Arbeiten für die Rekrutierung der Befragungsteilnehmenden und die Durchführung der Befragung ausgeführt und wurden dabei von Marc Wittwer und Thomas Wicki unterstützt. Thomas Wicki hat zudem zur Vereinheitlichung des Manuskripts beigetragen. Simone Ambord und Monique Brunner haben ferner im Rahmen des Projekts selbstständige Teilprojekte für ihre beiden Dissertationsvorhaben ausgearbeitet und realisiert. Alle wichtigen Entscheide habe wir in den letzten vier Jahren als Projektteam und schliesslich als Ko-Autorinnen und Ko-Autoren dieses Buchs gemeinsam getroffen und umgesetzt. Der Text, den wir insgesamt gemeinsam verantworten, widerspiegelt die erfolgreiche Zusammenarbeit der BFH und der PHBern ebenso wie die für uns alle gewinnbringende interdisziplinäre Zusammenarbeit im Forschungsteam.
Bedanken möchten wir uns schliesslich beim hep verlag und insbesondere bei Susanne Gentsch für das Interesse an unserer Forschung und die editorischen und gestalterischen Impulse in der Produktion dieses Buches sowie bei der PHBern für ihre Beteiligung an den Druckkosten.
Bern im Frühjahr 2020
Ueli Hostettler, Roger Pfiffner, Simone Ambord und Monique Brunner
1 Einleitung
1.1 Zur Annäherung von Schule und Sozialer Arbeit
Der soziale Wandel und die Herauslösung von Kindern, Jugendlichen und Eltern aus traditionellen Bindungs- und Versorgungsstrukturen bringen für alle Beteiligten neue Herausforderungen. Die Schulen sind dabei besonders gefordert, wenn mit den gesellschaftlichen Entwicklungen soziale Probleme einhergehen, die den Unterricht und den Schulbetrieb beeinträchtigen. Zunehmend haben daher Gemeinden und Kantone in der Schweiz in den letzten Jahren zur Unterstützung von Schülerinnen und Schülern sowie zur Entlastung der Schulen und Lehrpersonen Schulsozialarbeit eingeführt. Nach Drilling ist die Schulsozialarbeit ein «eigenständiges Handlungsfeld der Jugendhilfe, das mit der Schule in formalisierter und institutionalisierter Form kooperiert. Schulsozialarbeit setzt sich zum Ziel, Kinder und Jugendliche im Prozess des Erwachsenwerdens zu begleiten und sie bei einer befriedigenden Lebensbewältigung zu unterstützen» (Drilling, 2004, S. 95).
Mit der Zunahme von Schulen mit Schulsozialarbeit stellt sich generell die Frage nach der Ausgestaltung von Formen der Zusammenarbeit zwischen verschiedenen inner- und ausserschulischen Kooperationspartnerinnen und -partnern. Die Kantone haben in den letzten Jahren die Integration der Kinder und Jugendlichen mit besonderen Bedürfnissen in die Regelklassen vorangetrieben; in den Schulhäusern haben sich neben der Schulsozialarbeit weitere spezialisierte Unterstützungsangebote (z.B. Logopädie, Heilpädagogik, Psychomotorik) etabliert. Die Schule hat sich also auch im Inneren weiter differenziert, was neue Anforderungen an die Arbeitsteilung und Zusammenarbeit der verschiedenen Berufsgruppen im schulischen Alltag stellt (Zürcher, Hostettler, Balmer, 2015). Darüber hinaus arbeiten Schulen zunehmend enger mit schulexternen Stellen wie der Erziehungsberatung und anderen Einrichtungen der Jugendhilfe zusammen. Die Schulsozialarbeit hat dabei einen wichtigen Auftrag in der Triage und Vermittlung von Beratungs- und Unterstützungsressourcen (für den Kanton Bern z.B. Iseli, Grossenbacher, 2013).
Der grösste Teil der Forschung zur Schulsozialarbeit im deutschsprachigen Raum bezieht sich auf praxisorientierte Projekte im Bereich der Evaluationsforschung. Solche Studien befassen sich thematisch vielfach mit Konzepten und Leistungen von Einrichtungen der Schulsozialarbeit und basieren bezüglich der Wirkung der Schulsozialarbeit vor allem auf Einschätzungen betroffener Personengruppen. Auch Formen der Kooperation in der Schule und im Kontext der Jugendhilfe sind bisher mehrheitlich in konkreten Einzelfällen untersucht worden. Dieser Sachverhalt mindert das Verallgemeinerungs- und Explikationspotenzial der Forschung gerade auch mit Blick auf Fragen der interdisziplinären Kooperation der schulischen Akteurinnen und Akteure und der Formen der Nutzung aufseiten der Schülerinnen und Schüler.
Mit dem Forschungsprojekt, dessen Ergebnisse in diesem Buch berichtet werden, soll zur Schliessung dieser Lücken beigetragen werden. Die nun vorliegende Wissensgrundlage erlaubt eine Gesamtsicht zum Stand der Schulsozialarbeit im deutschsprachigen Raum der Schweiz und liefert empirisch fundierte Antworten auf folgende Forschungsfragen:
Wie ist die Schulsozialarbeit in der Deutschschweiz organisiert und ausgestattet?
Welche Formen von Kooperation zwischen Schulsozialarbeitenden, Schulleitungen und Lehrpersonen sind tatsächlich zu beobachten?
Welches sind die Erfolgsfaktoren der interdisziplinären Kooperation?
Wer sind die Nutzerinnen und Nutzer der Schulsozialarbeit und wie nutzen sie deren Angebote?
Um diese Fragen beantworten zu können, wurden zwischen August 2016 und Dezember 2017 über 1000 Schulsozialarbeitende der gesamten Deutschschweiz kontaktiert und um ihre Teilnahme an der Studie gebeten. In einem zweiten Schritt wurden auch die Schulleitenden und Lehrpersonen zur Zusammenarbeit mit der Schulsozialarbeit befragt. Für die Beantwortung der Fragen zur Nutzung und zu den Nutzerinnen und Nutzern von Schulsozialarbeit konnten weiter über 4000 Schülerinnen und Schüler aus 32 Schulen für eine schriftliche Befragung gewonnen werden. Die so generierten quantitativen Daten wurden anschliessend mit statistischen Methoden ausgewertet.
Im weiteren Verlauf des Buchs werden die Resultate der Forschung in drei Kapiteln schrittweise dargestellt und situiert. Um die Situierung zu unterstützen, befasst sich die Einleitung als Nächstes mit dem Forschungsstand und beschreibt anschliessend detaillierter unser Vorgehen bei der Forschung, die so gewonnenen Stichproben und die Datenanalyse.
1.2 Stand der Forschung
Mit dem Ausbau von schulsozialarbeiterischen Angeboten seit den 1970er-Jahren hat sich eine intensive Forschungstätigkeit im Bereich der Schulsozialarbeit etabliert (Baier, 2011a; Speck, Olk, 2010a). Die bisherige Forschung konzentrierte sich vor allem auf Fragen der Implementation und Evaluation und ist mehrheitlich anwendungsorientiert und primär politisch initiierten Projekten zuzuordnen (Olk, 2005). Die Studien zielen auf die Messung der von der Schulsozialarbeit erbrachten Leistungen (Baier, Heeg, 2011), die Zufriedenheit der beteiligten Akteurinnen und Akteuren sowie auf subjektive Wirkungseinschätzungen; sie beziehen sich oft auf konkrete Projekte an einzelnen Schulen (Fabian, Drilling, Müller, Galliker Schrott, Egger-Suetsugu, 2008; Neuenschwander, Iseli, Stohler, Fuchs, 2007; Pfiffner, Lienhard, Neuenschwander, 2011; Stohler, Neuenschwander, 2009; Stohler, Neuenschwander, Huwiler, Fuchs, 2008).
Ein Grossteil der theoretisch ausgerichteten Arbeiten befasst sich mit verschiedenen Profilen, Positionierungen und Zuständigkeitsbereichen der Schulsozialarbeit (aktuell z.B. Ahmed, Baier, Fischer, 2018; Chiapparini, Stohler, Bussmann, 2018). Es werden unter anderem arbeitsweltbezogene (Rademacker, 2002), integrierte (Hartnuß, Maykus, 2004), sozialraumorientierte (Deinet, 2011), lebensweltorientierte (Ahmed, 2011), integrationsorientierte (Drilling, Fabian, 2010) sowie ganzheitlich bildungsorientierte Ansätze (Baier, 2011c) entwickelt und vertreten. Gemeinsam ist diesen Programmatiken, dass sie kaum auf empirischen Beobachtungen realer Praxisformen beruhen.
Ein weiterer Strang der Auseinandersetzung mit der Schulsozialarbeit lässt sich der Nutzerinnen- und Nutzerforschung zuordnen (Oelerich, 2010); diese Studien konzentrieren sich auf die Frage, wie das Angebot der Schulsozialarbeit von den unmittelbaren Nutzerinnen und Nutzern wahrgenommen, angeeignet und beurteilt wird. Dabei wird betont, dass sich die Leistungspräferenzen und Nutzungsstrukturen der Adressatinnen und Adressaten vor dem Hintergrund individueller Lebenslagen herausbilden und unterscheiden (Graßhoff, 2013; Schaarschuch, Oelerich, 2005). Bei diesen eher individualistisch orientierten Ansätzen finden sozialstrukturelle Fragestellungen kaum Platz.
Im letzten Jahrzehnt haben sich einige Studien mit Kooperationen zwischen Schulen und Institutionen der Jugendhilfe befasst (Bauer, 2005; Becker, 2001; Behr-Heintze, Lipski, 2005; Blandow, 2001; Coelen, 2008; Hartnuß, Maykus, 2004; Hollenstein, 2000; Kugler, 2012; Maykus, 2011; Olk, 2005; Stickelmann, Will, 2004; Vogel, 2006). Dabei fokussieren die theoretischen Arbeiten auf das grundsätzliche Verhältnis von Jugendhilfe und Schule, deren (getrennte) historische Entwicklung (Greese, 2004; Olk, Bathke, Hartnuß, 2000; Thole, 2012) und aktuelle Einbettung in kommunale oder regionale Bildungslandschaften (Spies, 2013). Auf der empirischen Ebene im Rahmen von Evaluationen einzelner Schulen oder Projekte werden zudem Formen der Kooperation zwischen Schule und verschiedenen Institutionen der Jugendhilfe analysiert. Darüber hinaus hat unseres Wissens nur eine mittlerweile ältere deutsche Studie von Raab, Rademacker und Winzen (1987) die Kooperationen zwischen den Akteuren verschiedener Institutionen empirisch untersucht.
Ausführlichere Forschungsergebnisse, Modelle und Entwicklungshinweise gibt es zur Kooperation zwischen Lehrpersonen und Schulsozialarbeitenden (Ahmed et al., 2018; Krause, 2002; Prüß, Bettmer, Hartnuß, Maykus, 2001). Sie verweisen auf Verständnis- und Informationsdefizite, welche die Kooperation auf beiden Seiten erschweren (Olk et al., 2000, S. 133ff.). Speck (2009, S. 100 ff.) nennt als Gründe für die Kooperationsprobleme zwischen Lehrpersonen und Schulsozialarbeitenden die historisch getrennte Entwicklung des Bildungswesens und der Jugendhilfe, unterschiedliche Organisationsstrukturen, Zielgruppen- und Aufgabenüberschneidungen, berufskulturelle Unterschiede, die ungleiche Ausstattung mit Macht, Informationsdefizite und verzerrte Interpretationen. Fragen der Zusammenarbeit der Schulleitung mit der Schulsozialarbeit werden dagegen seltener untersucht. Hinsichtlich der Zusammenarbeit von Schulsozialarbeit und Lehrpersonen wurden in der Fachliteratur unterschiedliche Kooperationsmodelle identifiziert, etwa das Distanz-, das Subordinations- und das Kooperationsmodell (Drilling, 2004; Elsner, 2001; Iseli, Grossenbacher, 2013; Neuenschwander et al., 2007; Seithe, 1998; Wulfers, 1996; siehe auch Abschnitt 1.3). Nur in Letzterem verstehen sich laut diesen Untersuchungen Lehrpersonen und Schulsozialarbeitende als gleichberechtigte Partnerinnen und Partner, die auf verschiedenen Ebenen kooperieren. Dagegen, so der Tenor der Einschätzungen, gelingt es der Schulsozialarbeit im Subordinationsmodell aufgrund ihrer hierarchischen Unterordnung nicht, ein eigenständiges Profil zu entwickeln und die Methoden der Sozialen Arbeit auf das System Schule zu adaptieren (Drilling, 2004). Im Distanzmodell operieren die beiden Akteure weitgehend unabhängig voneinander.
Ein weiterer Teil der Forschung zur Schulsozialarbeit beschäftigt sich mit ihren Themenfeldern und den durch sie bearbeiteten Problematiken (z.B. zur Rolle der Beratung Baier, 2018). Gemäss Vögeli-Mantovani und Grossenbacher sind es zu Beginn der Expansion der Schulsozialarbeit oft «Schulen mit besonderen sozialen Belastungen», die Schulsozialarbeit einführen. Die Probleme können entweder innerschulisch bedingt sein (z.B. Absentismus) oder vom Schulumfeld (z.B. «ungünstige soziale und kulturelle Zusammensetzung der Bevölkerung in einem Quartier») ausgehen (2005, S. 42f.). Die am häufigsten in der Literatur genannten Themen sind Gewalt, Mobbing, Schulverweigerung oder -absentismus, überforderte Schulleitungen und Lehrpersonen (Baier, 2008; Drilling, 2009; Drilling, Müller, Fabian, 2006) sowie Verhaltensauffälligkeiten und psychosoziale Probleme bei Schülerinnen und Schülern (Baier, 2008; Neuenschwander et al., 2007).
Über die eigentlichen Nutzerinnen und Nutzer der Schulsozialarbeit ist sehr wenig bekannt. Manchmal werden Geschlecht und Migrationshintergrund erfasst: Drilling zeigt, dass sich die Beratungsinhalte/Problematiken nach Geschlecht unterscheiden. Mädchen werden öfter in Bezug auf ihre Gesundheit oder auf Gewalterfahrungen beraten, Jungen eher aufgrund ihres Verhaltens in der Schule (Drilling, 2009). Baier und Heeg stellen zudem fest, dass Mädchen die Schulsozialarbeit häufiger freiwillig aufsuchen, während Jungen eher von Lehrpersonen zur Schulsozialarbeit geschickt werden (Baier, Heeg, 2011, S. 28; Fabian, Müller, 2007). In Bezug auf die soziale Herkunft konnten Baier und Heeg (2011) keine spezifischen Unterschiede feststellen. Gemäss Fabian et al. (2008) sind ausländische Schülerinnen und Schüler hingegen übervertreten. Zum selben Ergebnis kommen auch Stohler et al. (2008).
Diese knappe Übersicht und Einschätzung des Forschungsstands der noch relativ jungen und wenig auf Grundlagenforschung ausgerichteten Forschungstradition zur Schulsozialarbeit lässt verschiedene Einschränkungen erkennen und verweist auf Forschungslücken für eine stärker vergleichende, grundlagenorientierte quantitative Forschung in mindestens vier Bereichen:
(1) Es existiert ein Verallgemeinerungsdefizit von schul- oder projektbezogenen, teilweise regionalen Implementations- und Evaluationsstudien. Da komparative, projektübergreifende Abbildungen realer Praxisformen weitgehend fehlen, bleiben die zahlreichen Einzelbefunde zu den Leistungen, Kooperationsformen, Nutzungen und zum Grad der Zielerreichung fragmentiert und kaum auf eine übergeordnete Fragestellung hin verwertbar. Zwar gibt es mittlerweile erste kantonale Bestandsaufnahmen (Drilling et al., 2006; Fabian, 2012; Neuenschwander et al., 2007; Pfiffner, Hofer, Iseli, 2013). Für die gesamte Schweiz liegt unseres Wissens nur eine einzige Bestandsaufnahme vor (Gschwind, 2014).
(2) Die mehrheitlich deskriptiv ausgerichtete und weniger hypothesenprüfende Evaluationsforschung weist auf ein Explikationsdefizit hin. So vermögen die vorwiegend pragmatisch ausgerichteten Untersuchungsdesigns keine theoretisch bedeutenden Wirkungszusammenhänge zu erklären. Insbesondere bleibt der Einfluss der Kontextbedingungen auf verschiedene Untersuchungsdimensionen (Angebot, Kooperation, Nutzung und Zielerreichung) weitgehend im Dunkeln, und das Interesse an den organisatorischen Rahmenbedingungen der Schulsozialarbeit (z.B. Fragen der Trägeranbindung, Organisation und Aufsicht) entwickelt sich in der Anfangsphase erst allmählich (Hollenstein, 2000).
(3) Nach Drilling und Fabian (2010) ist die Evaluationsforschung in der Schweiz primär auf die Wirkungen der psychosozialen Beratung auf die Zielgruppe ausgerichtet, was hauptsächlich Ergebnisse auf Einzelfallebene produziert. Grössere Einheiten wie Klassen oder die Organisationen (z.B. Schulen, Gemeinden) kommen dabei kaum in den Blick. In der Schweiz hat sich zudem bisher keine Studie mit dem Einfluss der Kooperationsformen auf Leistungserbringung und Nutzungsstrukturen beschäftigt.
(4) Die bestehende Forschung zu den Nutzerinnen und Nutzern der Schulsozialarbeit fokussiert entweder auf die subjektive Zufriedenheit verschiedener Zielgruppen mit dem Leistungsangebot der Schulsozialarbeit oder – in konzeptionell anspruchsvolleren qualitativen Forschungsarbeiten – auf die Rekonstruktion des individuellen Nutzens und die Analyse von Aneignungs- und Interaktionsprozessen in der Schulsozialarbeit (Oelerich, 2010; Schaarschuch, Oelerich, 2005). Weniger Wissen besteht dagegen zu den daraus resultierenden Nutzungsformen und -strukturen in den verschiedenen Angeboten und Schulen. Kaum systematisch erfasst werden beispielsweise die Lebensbedingungen, Problemlagen und Bedarfe der Kinder und Jugendlichen, die die Schulsozialarbeit nutzen. Damit bleibt auch weitgehend ungeklärt, welchen Einfluss die unterschiedlichen Lebenssituationen auf die Leistungspräferenzen und Nutzungsformen der Schülerinnen und Schüler haben. Zudem besteht vor dem Hintergrund dieser Forschungslücke Unsicherheit darüber, welche Kinder und Jugendlichen von der Schulsozialarbeit tatsächlich erreicht werden und wo allfällige Barrieren der Nutzung und des Nutzens bestehen. Schliesslich wird in der Praxis immer wieder auf die grosse Bedeutung des Vertrauens von Schülerinnen und Schülern in die Schulsozialarbeit hingewiesen. Trotzdem gibt es bisher nur wenige systematische Versuche zur Erfassung des Vertrauens und von dessen Voraussetzungen und Folgen für die Nutzung und den Nutzen von Schulsozialarbeit.