Loe raamatut: «Wer zählt die Völker, nennt die Namen», lehekülg 3

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Sanfte Berührung

Besonders montagmorgens hatte er manchmal richtig Heimweh in der Firma, musste sich erst an das geschmacklos eingerichtete, stille Büro gewöhnen, vermisste die Kinder.

Heute hat er den Tag, wo er auf und ab geht. Das Büro ist dazu groß genug, unauffällig bezieht er den Flur, das Sekretariat mit ein. Die Größe seines Büros hat schon viele Neider geweckt und es waren Pläne da, es aufzuteilen oder noch schlimmer, jemanden mit hineinzusetzen, was zeitweise zu einer ständigen Bedrohung für ihn wurde.

Die insgeheime Hoffnung, sie würde vielleicht anrufen, bestätigt sich nicht, hindert ihn daran, den Bewegungskreis zu erweitern, sich in der Produktion sehen zulassen, wo er meist mehrmals täglich Messdaten überprüft. Zum Teil macht das überhaupt keinen Sinn, was ihm aber erst mal jemand nachweisen müsste, kann einfach nicht so lange still sitzen. Bildet sich ernsthaft ein, dass der Mensch dazu nicht geschaffen sein kann, den ganzen Tag stur sitzend in diesen geschlossenen Räumen zu verbringen, wo es vor allem an dem notwendigen Tageslicht fehlt, das für eine ausgewogene Stimmung notwendig ist, weil im Körper sonst wichtige chemische Substanzen fehlen. Jede Gelegenheit nimmt er war, Augenblicke, die wenigen Schritte vom Verwaltungsgebäude zu den Werkhallen im Freien zu verbringen, mal jemanden auf dem Gelände anzusprechen, ein paar Sonnenstrahlen einzufangen. Verliert dabei nie aus dem Auge, nicht wunderlich zu wirken, unauffällig zu bleiben, die wichtigste Anstrengung von vielen hier wahrscheinlich.

Sie wird zur Besinnung gekommen sein, was soll sie sich mit einem verheirateten Mann einlassen. Von sich aus wird er kaum den Mut haben sich zu melden, hat doch die schlechteren Karten, denn was hat er ihr anzubieten? Endlich ertönt das Fabriksignal, obwohl die meisten ja eine Uhr haben, ist es eine der möglichen Todsünden, dieses grauenvolle Heulen abschaffen zu wollen. Nachbarn sollen sich schon gemeinsam dagegen aufgelehnt haben, muss es erst zur Klage kommen? Häufig ist er schon eine Zeitlang vorher ganz unruhig, hat das Gefühl, keine Luft mehr zu bekommen, ist völlig unfähig, sich noch auf eine Arbeit zu konzentrieren; alle Beschwerden fallen sofort von ihm ab, wenn er das Tor hinter sich lässt. Schnell und geduckt, den Kragen hochgeschlagen, macht er das, damit ihn niemand mehr aufhält, weil etwa in der Produktion noch was ist, ein Anruf da war oder ähnliches.

Als er auf den Parkplatz zugeht, stockt er, da steht sie ganz verloren, die Mitarbeiter hasten mit eiligen Schritten an ihr vorbei und etwas verlegen sieht sie aus, als sie auf ihn zu- geht. Na, was sollten die anderen schon denken, haben jetzt was Besseres zu tun, außer, die Sekretärin vielleicht, hat doch einen interessierten Blick rüber geworfen.

"Wiedersehen", schnippisches Lächeln von mehreren Seiten oder fällt es ihm sonst nicht so auf, wenn sie ihn grüßen?

Ja, der Pupidu und die Damen, diese Schüchternheit, doch ständig irgendwo ein Techtelmechtel, versetzt das ganze Schreibbüro in helle Aufregung, braucht da nur einmal durchzugehen. "Bleiben sie doch ein bisschen bei uns Herr Pupidu, schön dass sie uns mal wieder besuchen. Wir freuen uns immer, wenn wir sie sehen", tönt es da, Gekicher.

"Kann ich mir gar nicht vorstellen", oder so ähnlich antwortet er, aber dann geht es meist erst richtig los.

"Der glaubt uns nicht", Gekicher. "Es gibt doch nicht so viele nette Leute in diesem Betrieb, Herr Pupidu, möchten sie eine Tasse Kaffee", Gekicher.

"Wenn der nicht so schüchtern wäre, glaubt uns einfach nicht, dass wir uns über ihn freuen. Erzählen sie doch mal aus ihrem Urlaub, tragen sie ihre Haare jetzt kürzer."

"Sie strahlen immer so eine Ruhe aus. Ich bin schon ganz beruhigt, wenn ich Sie sehe." Steht auf, stellt sich neben ihn.

"Du könntest ihn ja mal in seinem Büro besuchen", stärkeres Kichern.

"Ja, sofort morgens, gleich zu Arbeitsbeginn."

"Wenn du noch frisch bist, gehst du zu ihm", sagt eine andere zu der toll aussehenden jungen Dame.

„Abgemacht, okay", endet das Wortspiel.

"Kommen sie bald wieder, lassen sie uns nicht im Stich, ist doch sonst nichts los hier, so trostlos."

Endlich hat er sie erreicht, die ersten Staubwolken umwehen sie, knirschender Schotter reibt sich unter den durchdrehenden eiligen Reifen, gibt ihr lächelnd die Hand: "Das ist aber eine Überraschung, wie lange wartest du denn schon?" "Ich wollte dich einfach sehen. Jeder weiß doch, Schluss macht, kann man doch die Uhr nach stellen, müde aus, war es anstrengend?"

"Nein, langweilig, nervend."

"Aber das ist vielleicht besonders anstrengend. Findest du es blöd, dass ich hergekommen bin?"

"Nein, bestimmt nicht komm wir setzen uns ins Auto. Das wird wohl ein Teil unseres Lebens, irgendwo warten, sich kurz treffen."

"Das klingt so traurig?"

"Nein - ich glaube, noch trauriger sind wir, wenn wir es nicht tun. War gespannt, ob du anrufst."

"Das war mir zu unpersönlich, aber das nächste Mal halte ich mich an die Absprache."

"Na ja", sagte er, "wenn die Handvoll netter Kollegen nicht wäre, hier und da ein Schwätzchen halten, könnte man es gar nicht aushalten, nimmt man das Grau des Büros an, der schäbigen Möbel, das Grau der staubigen Maschinen, der schlecht verputzten Wände."

"Du bekommst schon wieder Farbe", sagt sie, "erzähl ruhig."

"Sie mögen es aber nicht, wenn man mal miteinander redet, außerhalb der Konferenzen."

"Ist ja furchtbar."

"Die Kommunikation läuft fast ausschließlich über Computer und die Arbeitsleistung kann man damit genau überprüfen, muss allmählich über jede Minute Rechenschaft ablegen. Einige Kollegen sind schon verpflichtet worden, genaue Aufzeichnungen darüber anzulegen und demnächst soll eine Beratungsfirma die Verwaltungsarbeit genau überprüfen. Jeder Arbeitsablauf wird geplant und die Zeiten dafür festgelegt. Bestimmt mehr als die Hälfte der Leute werden dann überflüssig", sagte er sarkastisch.

"Meinst du so viele?"

"Eher mehr. Der Leerlauf in der Verwaltung ist gewaltig, wenn die Arbeitsabläufe überschaubarer werden, dann geht es los mit der Einsparung - Ende offen."

"Was machen die Leute dann? Hast du Angst davor, vor dieser

Entwicklung?"

"Möchte da ohnehin nicht alt werden, zu stupide. Im Moment ist die Arbeit noch besser als keine, denken allerdings viele so, heute. Habe aber den richtigen Beruf, es nie bereut, viel Spaß an dem Fach, wären nur die verdammten Arbeitsbedingungen nicht. Diese Form der Arbeit wird sich die Menschheit auf Dauer ohnehin nicht mehr leisten können, nicht mal dieses irrsinnige Hin- und Herfahren der Massen jeden Tag. In der Zukunft muss man viel sorgsamer mit der Energie umgehen, die da verbraucht wird, und man wird gezwungen sein, sich zu fragen, was man überhaupt produzieren kann, um die Umwelt nicht überflüssig zu strapazieren und Rohstoffe zu verschwenden. Vielleicht gibt es für ein bis zwei Tage eine Art Beschäftigung, den Rest übernehmen die Maschinen."

"Dann hältst du Vorträge", sagt sie."

"Genau."

"Und die anderen?"

Allmählich knurrt ihm der Magen: "Hm, sagt er, die verbringen die Zeit mit essen", sagt er nicht ganz ernsthaft, lacht.

"Wieso essen?", geht sie auf den scherzhaften Ton ein.

"Das verbraucht die wenigste Energie, und wenn die Leute dann ein entsprechendes Übergewicht haben, wie sich dies schon in einigen Industrieländern andeutet, sind sie genug damit beschäftigt, sich selbst in der Gegend rumzuschleppen."

"Du hast vielleicht Ideen und weiter, wie geht die Geschichte weiter?"

"Sie gehen nicht mehr aus dem Haus, ist viel zu anstrengend. Die Straßen sind so leer wie am autofreien Sonntag, von ganz alleine. Die Einkäufe werden ins Haus gebracht, das besorgt man über Computer. Das bisschen noch vorhandene Arbeit lässt sich vom Bett erledigen und dann immer hinein."

"Wieso hinein?"

"Hinein mit den leckeren Sachen, vor allem Süßigkeiten, die lassen sich billig herstellen und so viel essen Dicke gar nicht."

"Ist das nicht zu langweilig?"

"Aber sieh mal, alles kommt direkt ins Haus, die Fernsehsendungen, über Telefoncomputer kannst du dich an den Spielen beteiligen, sogar Einsätze an der Börse machen und die neueste Mode, das Sortiment des Kaufhauses, Sonderangebote, direkt per Bildschirm kommen sie zu dir ans Bett, selbst überflüssige Bewegungen in der Wohnung lassen sich so vermeiden. Die Bäume könnten sich von der Umweltbelastung erholen, du wirst es nicht glauben, teilweise würden in Europa wieder riesige Urwälder zurückkehren und nur wegen dem Essen."

"Igitt, hör auf, und die Kinder?"

"Leider haben die heute schon ganz früh mit der falschen Ernährung zu kämpfen, fangen schon in der Grundschule an, Diät zu halten, na ja und die Karies, die ständig kaputten Zähne. Massives Übergewicht führt aber auch zur Unfruchtbarkeit, wo- mit sich das Bevölkerungsproblem dann noch von ganz alleine regelt, auf natürliche Weise."

"Na dir kann da im Moment wenig passieren, schaut ihn etwas provozierend von oben bis unten an, scheinst noch einiges an Energien frei zu haben, aber bei mir und blickt an sich herunter?"

Sie legt ihre Hand vorsichtig auf die seine. Es wundert ihn, dass sie sich das traut - wie nahe man sich dabei kommen kann, lässt sie einfach da, und er rührt sich nicht.

"Energieübertragung", sagt er dann.

"Genau."

"Und du", sagt er, "was war bei dir?"

"Um deine Interessen kann ich dich nur beneiden, glaube ich, du bist so engagiert, in vielen Dingen, bestimmt."

"Warum beneiden?"

"Verbringe zu viel Zeit mit Einkäufen und so was - essen", lacht.

"Du hast eine sehr weibliche Figur, nicht dick, finde ich, sehe dich ja heute nicht zum ersten Mal", sagt er, mustert sie nun ganz ohne Hemmungen.

"Darauf hast du vorher schon geachtet?" und verschluckt gera-de noch, ihn zu fragen, ob er sie schon früher gemocht hat.

"Ja", antwortet er nur.

Sie nimmt die Hand weg: "Findest du, möchte gerne etwas abnehmen, klappt aber nicht, esse zu gerne - willkommen im Land der Fetten", beide lachen.

"Möchtest du wie dieses blonde deutsche Superstar-Mannequin aussehen, wie heißt die noch?"

"Du weißt nicht mal wie die heißt, der Traum aller Männer?"

"Nein, ist mir egal."

"Findest du die nicht reizvoll, attraktiv? Was ist denn dein Typ?"

"Weiß nicht, das wechselt irgendwie, hat wenig mit dem Aussehen zu tun. Wenn ich mal dachte, ich stehe auf hell blond, langhaarig, lange Beine, habe ich mich garantiert in eine kleine schwarzhaarige mit Kurzhaarschnitt äh, verknallt,

ist vielleicht der richtige Ausdruck. Mit der Figur hat es noch weniger zu tun, glaube ich. Außer, dass man sich manchmal danach sehnt, was man gerade nicht hat", flüchtete er sich ins Allgemeine.

"Du meinst nicht, man hat etwas und ist damit zufrieden", geht sie ironisch auf seinen Ton ein, merkt aber, dass sie sich da auf dünnes Eis begeben hat - "entschuldige, war blöd."

Es passiert selten, dass er zu spät nach Hause kommt, zu sehr bestimmt das Heulen der Sirene den Tagesrythmus. Nachdem man früh zu Abend gegessen hat, geht er öfter noch einmal raus, Literatur für einen neuen Aufsatz zu besorgen, ständig Probleme mit dem PC, kommt er mit dem Textprogramm nicht zurecht, Informationen sind einzuholen, Besorgungen zu machen und jetzt begleitet sie ihn ab und zu, hilft bei der frustrierenden Suche in der Fachbibliothek, möglichst geschieht dies so, als wären sie sich zufällig begegnet. Sie kann ihren Tagesablauf freier gestalten, arbeitet hier und da ein paar Stunden, für die Betreuung des Kindes und Versorgung des Haushalts ist ständig jemand da. Sie ist zupackend, fackelt nicht lange, geht viel praktischer an Dinge heran als er. Zielstrebiger und bestimmter tritt sie auf, lässt sich nicht leicht abschütteln und nimmt ihm, ohne ihn zu verletzen, die eine oder andere Sache aus der Hand. Es ist für ihn eine neue Erfahrung, dass er sich dabei wohl fühlt, wenn ein anderer den Ton angibt.

"Gib nicht so schnell auf", sagt sie dann, "vielleicht finden wir es bei den Büchern, die noch nicht wieder einsortiert sind, laut Computer muss es da sein", hat sie noch eine Idee. Dies war aber das Wenigste, festzustellen, ob das Buch ausgeliehen war, denn es reichte, den Titel oder Autorennamen in fest installierte Suchprogramme einzugeben. Dennoch befand sich vieles dann nicht an dem angegebenen Platz, war einfach verschwunden und auch Nachfragen nutzte wenig. Die Suchgeräte waren nicht selten besetzt, wegen Überfüllung geschlossen, die Technik hinkt hinter den Anforderungen her, war ihnen nicht etwa voraus. Er war nicht der Einzige der mit Unterstützung Literatur sammelte, ganze Familienverbände waren abends und am Wochenende damit beschäftigt. Oma und Opa halfen der Enkelin, und er träumte von längst machbaren Datenbanken, die sich von zu Hause per Telefonleitung anzapfen ließen, die einem die Texte direkt auf den Bildschirm des PCs, in die heimische Wohnstube lieferten und vielleicht gegen eine kleine Gebühr, den Ausdruck ermöglichten. Von wenigen zentralen Punkten aus könnte man so alle Disziplinen mit den notwendigen Fachinformationen versorgen. Aber wie es jetzt war, entstanden viele unnötige Wege und meistens landeten sie bei der Fernleihe, mussten umständliche Formulare ausfüllen und langes Warten in Kauf nehmen, bis die Dinge dann von anderen Bibliotheken herbeigeschafft waren und wieder musste man hin zum Abholen. Selbst spät am Abend dann Schlangen vor den Kopiergeräten und das alles nur, obwohl nur einzelne Seiten, manchmal nur kurze Textpassagen, interessant waren, aber es fehlte hier die Zeit, zu sondieren. Dieser unökonomische Zugang zu den wichtigsten Informationen würde ihm bald Grenzen aufzeigen, was seine zukünftige wissenschaftliche Arbeit anging. Im Moment konnte er mehr als zu- frieden sein, ein besseres Alibi, mit ihr zusammen zu sein, gab es nicht und zusätzliche zufriedene Gesichter, wenn die Arme vollgepackt waren, "noch einen Kaffee in der Kantine oder beim Italiener."

"Es gefällt mir hier unter den jungen Leuten, verkalkt man nicht so leicht", sagt er dann.

"Na", sagt sie etwas hintergründig.

"Nicht was du denkst, da interessieren mich jüngere Damen weniger, weiß nicht woher das kommt. Lieber gleichaltrig oder sogar etwas älter. Wir können uns ja mal hier in der Abteilung für Psychologie erkundigen, ob das mit einem Mutterkomplex zu tun hat oder so ähnlich. Irgendwie tun mir die eher Leid hier, die Studenten."

"Warum das denn?"

"Ist doch eine furchtbare Massenveranstaltung hier. Sieh mal in die Vorlesungen, wenn wir eher hier sind. Wie soll man sich da wohl fühlen und wie kann sich da jemand profilieren, der sich wirklich interessiert, was los hat, geht man doch unter."

"Was kann man da denn machen?"

"Viele kleine Universitäten gründen, nur für bestimmte Fächer jeweils - privat - hieße mehr Wettbewerb, andere Bedingungen, egal was es kostet, so ist das auf Dauer eine Katastrophe. Andere Länder werden die Erfindungen machen, uns hoffnungslos abhängen."

"Kann sein. Wusste gar nicht, dass man als Gast so leicht einen Ausweis für die Bibliothek erhält - womit du dich alles auskennst."

"Privatwissenschaftler", sagte er, "ob ich das je lassen kann - geht dir das nicht auf den Wecker?"

"Wenn du Spaß daran hast. Ich glaube, das reicht schon, es gibt weniger interessante Beschäftigungen. Möchtest du vielleicht noch was essen."

"Nein", beide lachen.

"Und wann liest du das alles?"

"Einiges nehme ich mit in die Firma, gibt schon mal eine freie Minute. Muss ja nicht jeder sehen."

"Dann machst du das heimlich, gibt es doch gar nicht?"

"Schwierig zu sagen, was zu meinem Arbeitsbereich gehört und würde ich fragen, lehnen sie es noch ab, wer soll das entscheiden. Besonders die lieben Kollegen haben immer ein wachsames Auge auf mich, fühlen sich leicht benachteiligt. So halte ich meistens die Hand darüber, wenn jemand rein schaut, bin vorsichtig."

"Du bist einer!"

Zu verabredeten Zeiten klingelt nun öfter das Telefon in seinem Büro; manchmal dauern ihre Treffen nur ein paar Minuten, im unauffälligen Stehkaffee und sich da nicht an den Einzeltischchen, sondern an der langen Wandtheke aufhalten, nicht zu lange bleiben, ein paar Schritte gemeinsam gehen, beiläufiges Begrüßen, Verabschieden. Nur ganz behutsam berühren sie sich einmal, streift er ihre glänzenden Haare, treffen sich ihre Hände, erfasst sie seinen Arm. Aber immer mehr Außenstehende registrieren sie trotzdem als zusammengehörig, Verkäuferinnen, die Angestellten in der Bibliothek, stellt er nicht ohne Besorgnis fest.

Äußerlich hat sich an ihrem Leben nicht viel geändert, keiner verlangt von dem anderen mehr, als dieser geben kann oder zeigt sich enttäuscht, wenn andere Verpflichtungen vorgehen, mal eine Verabredung platzt, was sich nicht vermeiden lässt.

Beide empfinden die Zusammenkünfte als große Bereicherung, haben bisher sorgfältig vermieden, tiefergehend über ihre Beziehung zu sprechen, sich Vorstellungen über den Augenblick hinaus zu machen. Die Gesprächsthemen ergeben sich meist aus der Situation, berufliches, die Kinder werden einbezogen, nie würde er etwas Negatives über seine Frau äußern. Allmählich spielen sich feste Gewohnheiten ein, Uhrzeiten, Treffpunkte. Mit wenigen Blicken die Stimmung des anderen abschätzen, sich darauf einstellen. Er mag ihre sehr geschmackvolle, mal elegante, mal burschikose, lässige, aber ohne Zweifel sehr teure äußere Erscheinung. Dabei ärgert er sich über sich selbst, dass dies Eindruck auf ihn macht, er sogar gespannt ist, was sie unter dem eher unscheinbaren braunen Trenchcoat trägt, auch wenn die Zeit kaum reicht, ihn einmal auszuziehen, sie ihn nur leicht öffnen kann. Hautenge Kombinationen, farbig gut mit ihrem dunkelbraunem Haar abgestimmt, so dass sich stark ihre Figur abzeichnet. An irgendeiner Stelle glitzert oder glänzt es: "An deinen Sachen ist immer etwas Gold dran", sagt er. Sie bevorzugt dunkle dezente Farben, keine unruhigen Muster oder starke Kontraste. Eines Abends in der Nähe ihres Hauses, es hat nur für eine kurze Autofahrt gereicht. Es nieselt, dunstig, diesig, die Straße glänzt im Scheinwerferlicht, überall die „Geschwindigkeitsbremsen“ in den Wohngebieten, Halbinseln fast bis zu Mitte der Straße, um die man herumkurven, bei denen man höllisch aufpassen muss, so dass kaum ein Gespräch aufkommt. Da schlägt sie ihren Mantel auf, ihr enger Mini ist ganz hochgerutscht, die Lichter der Straßenlaternen werfen grelle Blitze in das Wageninnere, und er hat den Eindruck, dass sie nichts darunter trägt oder geht jetzt die Phantasie mit ihm durch? Außerdem glitzert und glänzt es zwischen ihren Schenkeln. Ihr Gesicht wirkt im flackernden, schummerigen Licht entrückt, ekstatisch, und sie murmelt irgendetwas wie entschuldige, verzeih mir. Will an der Straßenecke schnell aussteigen, der Verkehr lässt hier kein längeres Anhalten zu.

Flüchtiges Lächeln - "ist völlig in Ordnung", sagt er, muss daran denken, dass sie sich bisher noch nicht einmal geküsst haben - "wir reden darüber, freue mich schon darauf."

Wann fliegt hier alles in die Luft

Auf dem Schreibtisch in der Dachkammer türmen sich jetzt die Akten, aufgeschlagene Bücher, Zeitschriften, Notizen, mit C's Hilfe ging alles schneller, fast ehrfürchtig sitzt er vor dem gesammelten Wissen. Englischsprachig das meiste, selbst bei einiger Übung noch manch eine harte Nuss darunter. Die Auswahl ist schwierig, so umfangreich werden die Informationsquellen, und die Computer spucken auf einzelne Stichworte hin, listenweise vorhandene Literatur aus, aber je ungewöhnlicher sich seine Ideen entwickeln, sich ein Thema eingrenzt, umso mehr schmilzt der Berg. Denkt zwischendurch, dass er diese Vorbereitungsphase zu lange ausdehnt, sich hier eine Sammelleidenschaft ausdrückt, und er den Zeitpunkt zu lange hinauszögert, erste eigene Sätze zu Papier zu bringen. Vor diesen einleitenden Worten bestehen beträchtliche Ängste und oft landen sie mehrfach im Papierkorb, denn sie sind das Sprungbrett, bestimmen die Richtung, dürfen nicht unterschätzt werden, sonst ist eine erste Bruchlandung und vielleicht frühe Resignation die Folge. Erste Versuche zu ordnen, kurze Stichworte auf kleinen Zetteln helfen bei der Gliederung, was kann man wirklich verwenden, wo muss er sich noch durchbeißen?

Ohne dass er es richtig wollte, bekommt das Vorhaben langsam Fahrt, hat er jetzt überhaupt genug Energie dafür, lässt die Arbeit, Familie und na ja, ... , das zu? Er weiß genau, dass er zum richtigen Zeitpunkt Pausen einlegen muss, dann, wenn es noch Spaß macht, und die Arbeit setzt sich allmählich von selbst fort, bekommt eine eigene Dynamik - ist nur erst der zündende Funke gefallen, der Leitgedanke aufregend originell, und wieder und wieder die Überprüfung, ist er stimmig, gibt es Zweifel, Fehler? Wo gibt es Anbindungen an andere vorhandene Ideen, Abgrenzungen? Einfälle kommen nun ganz plötzlich, unerwartet, im Auto, bei jeder Gelegenheit. Hält er es für wichtig, wiederholt er es für sich mehrmals, damit es sich einprägt. Sollte er sich nicht zwischendurch Notizen machen? Nein, nicht ständig wichtigtuerisch mit Zetteln herumlaufen. Aber, je älter man wird, umso sicherer ist man sich, etwas nicht zu vergessen und schon ist es weg.

Um diesen Vorgang abzubrechen, einmal abzuschalten, bedarf es einer wirklich starken Ablenkung. Daran, dass schöpferische Arbeit von anderen Trieben befreien kann, glaubt er nicht, vielmehr scheint es in solchen Situationen noch komplizierter, schwieriger zu sein, diese zu befriedigen. Einer von vielen Irrtümern, die dieses Jahrhundert geprägt haben, denn die Ansprüche scheinen da eher zu steigen, sind weniger leicht zu erfüllen, von wegen Sublimierung.

Alltägliches fällt schwerer, einfachste Tätigkeiten werden zur Qual, erfordern eine hohe Konzentration, als ob die eigene Speicherkapazität überlastet sei. Beim Frühstück greift er zu den falschen Gefäßen, kippt das Müsli in die Kaffeetasse, alles Mögliche fällt ihm aus der Hand, vergisst er, knallt den Kollegen die Tür vor der Nase zu, grüßt nicht. Nach dem Gang auf die Toilette vergisst er die Hose zu schließen, wäre bei-nahe mit dem Auto auf den Radweg eingebogen, erlebt diese ganzen Missgeschicke wie durch einen Schleier trotz- dem mit. Unmut breitet sich gegen ihn aus, macht alles noch schwerer. Was ist bloß los mit dem, wo ist der mit seinen Gedanken? und statt Mitleid, Schadenfreude: Na, schon wieder etwas vergessen, ja, wer es nicht im Kopf hat. Zu Hause nähert sich die Stimmung der Verzweiflung, " mein Gott, wann ist der endlich fertig?", da denkt doch niemand an ein Verhältnis.

Oder waren da etwa ungewöhnlich prüfende Blicke, nein, bloß nichts einbilden. Und was heißt da Verhältnis, was war denn schon passiert? Darüber sollte er mal etwas schreiben. Was Pärchen, die mit dem losfuhren, wenn man waren das damals Proteste, als die ersten nackten Busen auf den Zeitschriften erschienen, wenn man sich jetzt das Angebot in den Videotheken ansah, das alles in einer Generation. Das Verhalten zwischen den Geschlechtern hatte sich doch stark geändert, ohne dass es eine neue Ethik, neue Wertvorstellungen gab, nur, dass die alte Moral unaufhaltsam bröckelte. Vieles spielte sich unausgesprochen, noch mit einem schlechten Gewissen, aber trotzdem in aller Öffentlichkeit ab. Satellitenfernsehen, ein weltweit ungehinderter Informationsfluss würde aber bald offenere Diskussionen erzwingen, die Heranwachsenden, denen nichts verborgen bleibt, werden Fragen stellen.

Vielleicht waren in anderen Kulturen schon bessere Konzepte vorhanden, diese Entwicklungen zu integrieren, brauchte gar nichts neu sein.

C ist ein guter Gesprächspartner oder hatte sie es vorwurfs-voll gemeint, als sie äußerte: "Du kannst gut über alles reden", und dann so eine Pause machte.

"Kennst du mein Elternhaus, im Augenblick ist niemand da?"

"Ja, von den Radtouren", aber dann fühlte er sich da erst so unwohl, dass er kaum richtig Platz nahm.

Für sie gab es inzwischen nichts Schlimmeres als längere Zeit im Auto zu sitzen, sich dabei noch den Hals zu verrenken, ob nicht doch jemand sie sähe und soweit konnte man nicht weg fahren, dazu fehlte einfach die Zeit. Selbst hatte er früher über solche Leute den Kopf geschüttelt, Wagen auf Feldwegen standen, plötzlich sich näherte. C hatte sich viel Mühe gegeben, ein großer Strauß frischer Schnittblumen zierte den Tisch und damit er es merkte, zupfte sie noch einige Stängel zu Recht. Ein duftender, noch warmer Kuchen wurde stolz hereingebracht, "Apfelstrudel, nimmst du Sahne?" Da lief einem das Wasser im Mund zusammen, saftig, locker schmeckte er, "richtig professionell", sagte er nicht ohne Spott, "die erste gemeinsame Häuslichkeit, wenn nun deine Mutter plötzlich zurückkommt?"

"Ich mache das doch nicht ohne ihre Einwilligung", sagte sie nicht ohne Entrüstung. Möchtest du noch einen Kaffee oder lieber Sherry, alter schottischer Whisky ist da, kannst du selbst einmal nachschauen."

"Ein bisschen Kaffee noch, trinke kaum Alkohol, aber du kannst mich ruhig öfter bemuttern."

"Lass mich doch, sei nicht so hässlich, rauchst nicht, trinkst nicht, hast du gar keine Laster?"

"Toll siehst du aus mit deiner Bluse, sehr schick, betont wundervoll deine Figur", war das nun eine Antwort oder nicht?

"Findest du wirklich", richtet sich ein wenig auf.

"Ja, mit dem dunklen Rock dazu, sexy."

"Das ist doch nicht dein Ernst, wo bist du mit deinen Gedanken - bieder, hoch geschlossen die Bluse, der Rock reicht bis über die Knie hinaus, sieh. Stellt sie sich gespielt entrüstet hin, beweist ihm seinen Irrtum. "Ich möchte mal wissen, was du erotisch findest?"

"Hm, das ist stark von der jeweiligen Situation und Stimmung abhängig. Die fremde Wohnung - macht mich etwas befangen."

Aber sie fühlte sich wohl, streckte sich lang aus, als sei sie einer Enge entflohen und endlich mal ein paar Stunden nur für sich, nicht zu glauben. "Wie kommst du denn zu diesem ungewöhnlichen Namen, Pupidu, hört sich so Französisch an?"

"Das ist eine merkwürdige Geschichte. Die Familie des Vaters stammt ganz aus der Nähe, aus diesem kleinen Kaff da, meine Mutter aus dem Elsass. Mein Vater hat nach dem Krieg einen anderen Namen angenommen. Ursprünglich hieß die Familie, na, ist ja auch egal. Er hat dies nie begründet, überhaupt haben wir nur wenige persönliche Worte miteinander gesprochen. Auf Fragen zur Abstammung reagierte er sehr schroff und abweisend. Es war ein Tabu über Familienangehörige oder seine Vergangenheit zu sprechen."

"War es der Name der Mutter?"

"Das habe ich zunächst ebenfalls angenommen, aber es war wohl ein reines Phantasieprodukt. Die Mutter ist sehr früh gestorben, als ich neun war, habe sie nur krank und gebrechlich erlebt. Hat sich wohl ständig Sorgen gemacht, wie es weitergehen soll, sah mich häufig so seltsam an. Nach ihrem Tod, kam eine Art Haushälterin, die aber nicht fest bei uns wohnte. Später habe ich überlegt, ob sie ein Verhältnis mit meinem Vater hatte, weil sie anscheinend doch mal über Nacht blieb, nicht nur, wenn er nicht da war, morgens dann so verlegen aussah, an ihrer Bluse herumzupfte. Ansonsten zeigte sie keine Gefühle und das Reden schien ihr große Qualen zu verursachen."

Gut erinnere er sich daran, dass sie ständig dunkelblaue Schürzen trug, mit kleinen weißen Punkten oder nichtssagenden Mustern darauf. Die Hände waren schwielig, als ob eine zweite Haut darüber gezogen war. Ein Fingernagel war verstümmelt, hatte die Form eines kleinen Vogelschnabels. Sie war sehr breit, von der Figur her sah sie kastenförmig aus, viereckig, ohne Rundungen. Ein großer Knoten, mit einem Haarnetz um- spannt, zierte ihren Kopf und überall diese kleinen Haarklammern, das gab es heute gar nicht mehr. Nie sah man sie lachen. Überhaupt galt das in ihrer Generation wohl als unanständig, eine Schwäche, war was für Kinder oder auf bestimmte Feierlichkeiten, Saufgelage, beschränkt. Die machten alle finster grimmige Gesichter. Fanden es erstrebenswert, anderen Menschen Furcht einzuflößen. Lag es daran, dass sie Schlimmes erlebt hatten, oder gehörte es nach ihrer Meinung zum Erwachsensein, möglichst düster drein zu blicken? Na ja, einige Nachfolger hatten sie schon gefunden.

Wortlos stellte sie das Essen hin, wartete geduldig bis er das Besteck hinlegte, aufstand, räumte wieder ab. Nein, sie setzte sich nicht zu ihm an den Tisch, konnte ohne Mühe lange stehen, war ungerührt, wenn er keinen Hunger hatte, nichts anrührte oder mit großem Genuss aß, teilnahmslos schaute sie durch ihn hindurch. Wortlos kam sie morgens ins Zimmer, zog die Vorhänge auf, nicht einmal einen guten Morgen wünschte sie, als sei sie taubstumm. Irgendwann vergaß er ihre Anwesenheit, hörte selbst auf, ein Wort zu sagen. Dabei soll sie eine große Familie gehabt haben, über zehn Kinder, aber schon größer. Er stellte sie sich alle schweigsam vor, stumm regelten sie ihr Tagwerk, wuschen sich, aßen, spielten, gingen zu Bett, ohne ein Wort zu sagen, in der Familie Sprachlos.

Meistens redete er dann mit sich selbst, bewegte sogar die Lippen dabei, lächelte in sich hinein. Bis ihn andere Kinder hänselten und er darüber erschrak. "Der führt ja Selbstgespräche.“ Mühsam versuchte er es sich abzugewöhnen, jedenfalls nichts mehr nach außen dringen zu lassen.

"Ab und zu sagte sie sogar mal junger Herr zu mir, wenn sie vom Vater etwas ausrichten sollte, was ich sehr komisch fand. Der Vater war viel außer Haus, ging auf Reisen, hockte in seinem Geschäft, das wohl ganz gut ging, hatte seine Angestellten. Zu Hause kramte er in seinem Arbeitszimmer ständig in irgendwelchen Papieren herum, verschwand regelrecht mehrere Tage darin, ging zu Versammlungen, war dann wieder tagelang auf Reisen, schrieb kurze Postkarten: Viele Grüße aus ..., Dein Vater, sonst kein Wort - hat die ganze Welt gesehen. Hakte Länder, Kontinente ab, als erfülle er damit eine

Tasuta katkend on lõppenud.