Loe raamatut: «§4253», lehekülg 2
Etwas später, als sich die heitere Stimmung wieder gelegt hat und die Realität wie ein Schlag ins Gesicht zurückkehrt, fällt ein tiefer Schatten auf Pauls Gesicht und auch Felix’ herzhaftes Lachen erstickt. „Ist es wahr Paul? Hat die Regierung es wirklich getan? Haben sie den Autobau verboten? Das können sie doch nicht Paul, oder? Ich meine, die gesamte Wirtschaft und die ganzen Arbeitsplätze? Was soll denn jetzt aus uns werden?“ Die Besorgnis, die sich auf Pauls Gesicht breitmacht, spricht Bände und die einzige Antwort, die er Felix an diesem Tag noch gibt, bevor sein Blick wieder am Horizont festhält, schießt Felix so in die Knochen, dass er sich auf das trockene Gras fallen lässt und sich wünscht es nie mehr verlassen zu müssen. „Nein Felix, sie haben nicht verboten, dass Autos gebaut werden dürfen, sie haben den gesamten Beförderungsmittelbau verboten. Das heißt, es werden keine Containerschiffe, keine Flugzeuge, keine Kranken- oder Polizeiwagen und keine Elektroautos oder Hubschrauber mehr gebaut. Die gesamte Verkehrsmittelproduktion wurde gerade verboten und wir können vorerst nichts tun, um dies zu verhindern.“
4. Rügen, Deutschland
Die Tierkäfige, mit den zahlreichen Käfern und Reptilien, die seit diesem Jahr als neues Highlight auch Kaninchen beherbergen, befinden sich im Biologieflügel, neben der Eingangshalle. Beim Durchqueren der kleinen Halle steigt Evelin der Geruch von Nudeleintöpfen und Kartoffelsalaten in die Nase. Von dem Geruch magisch angezogen, wandert ihre Nase in Richtung der Mensa. Ihr Magen, der zu diesem Zeitpunkt, laut eigenem Ermessen, deutlich zu wenig Nahrung bekommen hat, erinnert sie unsanft an das geballte Loch, das nun in ihm klafft. Evelin, die mit einer Hand die Tür zum Biologieflügel aufzieht, um ihrer Freundin und ihr Eintritt zu gewähren, streicht mit der freien Hand besänftigend über ihren Bauch und versucht den immer noch laut knurrenden Magen erneut zum Schweigen zu bringen. So richtig zu gelingen scheint ihr das jedoch nicht, denn nur wenige Sekunden später reicht ihr Lila wortlos einen Müsliriegel mit der Aufschrift „Sie werden Ihr lila Wunder erleben.“ Sie wirft ihrer Freundin ein gequältes Lächeln entgegen und schält den mit lila Glasur überzogenen Riegel aus seiner Verpackung. „Willst du auch was?“, fragt sie schmatzend ihre Freundin, die sich gerade daranmacht, die Tür zu den Käfigen aufzuschließen. Dankend winkt Lila ab und der restliche Riegel verschwindet in Evelins Mund. „Kann ich mal dein Handy haben?“ Evelin nickt und reicht Lila den kleinen stromlinienförmigen Gegenstand. Lila lässt ihn in ihre Hand gleiten und tippt mit einer Hand und flinken Fingern ihre Nachricht in das Gerät. „Ich wollte meinem Vater nur kurz schreiben, dass wir nach Hause laufen müssen, er sich also keine Sorgen macht, wenn ich später komme. Im Übrigen hast du zwölf neue Nachrichten von Kaleo. Keine Ahnung, was da zwischen euch gelaufen ist, aber er scheint dich sehr dringend sprechen zu wollen.“ Lila beugt sich zu Evelin hinüber, deren Gesicht errötet. Schnell packt sie das Gerät und dreht sich zu einem der Terrarien um, um den neugierigen Augen ihrer Freundin zu entgehen. Vorsichtig betrachtet sie das Gerät, als würde es nicht ihr gehören, das kleine Display, das sich oberhalb der Ellipse in einem Bogen erstreckt, und das darunterliegende Glasfeld, das die Sicht auf die darunterliegenden Zahlenblöcke ermöglicht. Das Handy schmiegt sich perfekt ergonomisch in ihre Handfläche. Eine Erinnerung schiebt sich in ihren Kopf, die sie immer noch schmunzeln lässt. Sie erinnert sich nur noch vage an den Tag, als das damals neuartige Gerät auf den Markt kam. Sie muss so um die vier Jahre alt gewesen sein, weswegen die Erinnerung nur verschwommen vor ihr liegt. An eine Sache erinnert sie sich aber so glasklar, als wäre es gerade gestern gewesen. Damals war sie mit ihrem Vater in das einzige Technikgeschäft der Stadt gefahren, um das neuartige Handy in Augenschein zu nehmen, das so eine Sensation in den Medien ausgelöst hatte. Sie würde das laute Lachen nie vergessen, als ihr Vater den stromlinienförmigen Gegenstand zum ersten Mal in den riesigen Händen hielt und mit konzentriertem Blick versuchte seine Telefonnummer in den auf der Unterseite liegenden Ziffernblock einzutippen, ohne das Gerät dabei aus der Hand gleiten zu lassen. „Ein Handy, das nur mit einer Hand zu bedienen ist und Ihnen dank ergonomischer Form eine mühelose Bedienung ermöglicht. Durch die kleine Kugel an der Vorderseite wird Ihnen die Bedienung auf dem Display noch leichter fallen, als Sie das von handelsüblichen Geräten kennen, außerdem verteilen sich die fünf Finger Ihrer Hand optimal über das Gerät.“ Nachdem der Verkäufer seinen anwerbenden Spruch heruntergerasselt hatte und dabei in seinem Gesicht eine solche Begeisterung ausstrahlte, als hinge sein Leben davon ab, versuchte er die riesigen Finger ihres Vaters so auf dem Gerät zu verteilen, dass er die mühelose Bedienung auch verstand. Während Evelins Vater nun mit dem Daumen an der kleinen Kugel spielte, balancierten seine restlichen vier Finger das Gerät und tippten hie und da mal eine Zahlenfolge in den Ziffernblock. Die Konzentration trieb ihm dabei den Schweiß auf die Stirn.
Beim Verlassen des Ladens musste Evelins Vater immer noch herzhaft darüber lachen und erst am Auto angekommen hatte er sich wieder so weit unter Kontrolle, dass er Evelin beim Öffnen der Autotür noch seine Meinung mitteilen konnte. „Dieser Unsinn wird niemals Erfolg haben“, war das Einzige, was er noch herausbrachte, bevor er sich wieder vor Lachen krümmte.
Dass nun in der Gegenwart quasi jeder eines dieser Geräte besitzt und dem damals noch einfachen Kunststoff Geräte aus Glas, Metall und Holz folgten, konnte Evelins Vater ja wirklich nicht ahnen. Selbst das Problem der Größe hatte sich ein Jahr später bereits gelöst, da mit der neuen Generation auch mehrere Größen auf den Markt kamen. Evelins Vater verweigerte dennoch jegliche Nutzung und behielt sein altes, viel zu großes, flaches Smartphone bis heute. Noch jetzt ist sich Evelin sicher, dass die Abneigung ihres Vaters gegen alles Neuartige an diesem Tag geboren wurde.
Evelins Finger gleiten sanft über die kleine Kugel und schieben dabei eine Nachricht nach der anderen über das Display. „Wo bist du?“, „Ist was passiert?“, „Soll ich vielleicht schon mal reingehen?“, „Bin jetzt reingegangen, schalte mein Handy aber nicht aus“, „Der Film ist blöd ohne dich“, „Mache mir langsam Sorgen“, „Ist dein Akku leer?“, „Der Film ist jetzt rum“, „Soll ich vor dem Kino warten?“, „Fahre jetzt nach Hause, bitte melde dich“, „Bin zu Hause angekommen, keine Ahnung, was mit dir los ist Evelin, ich hoffe du hast eine gute Erklärung dafür“, „Bitte melde dich bei mir, wenn du diese Nachrichten liest!“ Evelins Herz pocht so heftig, als wolle es ihren Brustkorb verlassen und sich nun in ihrem Hals ein neues Zuhause suchen. Sie wollte diese Nachrichten bewusst ungelesen lassen, aber nun, da sie durch Lila entdeckt wurden, scheinen sie bereits offenbart zu sein.
Nachdem auch die letzte Nachricht vom Display verschwunden ist, schallen die gelesenen Worte in ihrem Kopf wieder. „Bitte melde dich.“ Immer wieder schieben sich die Sätze vor ihre Augen und auch durch heftiges Blinzeln lassen sie sich nicht aus ihren Gedanken verbannen. „Bitte melde dich.“ „Ist dir aufgefallen, dass Kaleo heute gar nicht in der Schule war?“ Die Frage ihrer Freundin lässt Evelin so heftig zusammenfahren, als hätte ihr jemand einen Dolch von hinten zwischen die Schulterblätter gerammt, dabei rutscht ihr das Handy aus der Hand. Als das kleine Gerät auf dem Fliesenboden aufprallt und unter einem der Käfige zum Liegen kommt, meldet sich eine stockende Stimme zu Wort. „Nachrichten gelöscht.“ Evelin, die sich hinter ihrem Handy her greifend mit zu Boden geworfen hat, starrt mit entsetztem Gesicht auf das Display, das jetzt nur noch „Keine neuen Nachrichten“ anzeigt.
„Evelin, ist wirklich alles okay?“ Verwundert streicht Lila ihrer Freundin über den Rücken, nachdem diese sich auf einem der viel zu kleinen Stühle niedergelassen hat, die den Raum füllen. „Ehrlich Evelin, du erzählst mir doch sonst auch immer, was los ist, und jetzt sag mir bitte nicht wieder, dass nichts ist, das kannst du vielleicht den Käfern da erzählen, aber nicht deiner besten Freundin.“ Lila schaut tief in Evelins braune Augen. Evelin versucht Lilas Blick auszuweichen, den Tränen zu entgehen, die sich wie wütende Demonstranten gegen ihre Lider drücken und sich den Weg in die Freiheit erkämpfen wollen. Doch Lilas Blick ist so eindringlich, so besorgt und aufmunternd, dass sie ihre Tränen nicht mehr länger halten kann. Dick laufen sie ihr übers Gesicht und sammeln sich unterm Kinn zu einem großen Tropfen, der erst wild schwankt und dann hinunterfällt. „Ich will im Moment nicht darüber reden, aber das hat nichts mit dir zu tun, wirklich nicht.“ Evelin wischt sich mit dem Handrücken die Tränen vom Gesicht. Auf Lilas Antlitz zeichnet sich ein Lächeln ab, langsam zieht sie ein kleines stark in Mitleidenschaft gezogenes Papier aus der Tasche ihrer lilafarbenen Jeans und hält es Evelin vor die verquollenen Augen. „Es geht um das hier, stimmt’s?“ Evelin hört auf zu weinen und zieht Lila das Papier aus der Hand. Traurig hält sie das aufgeweichte Kinoticket in den Händen, das ihre Freundin aus dem Treteimer rettete. Lila redet weiter. „Du wolltest da mit Kaleo hingehen, oder?“ Evelin nickt schniefend. Lila hebt eines der Kaninchen aus seinem Käfig und setzt es Evelin auf den Schoß. „Und, warum bist du nicht hingegangen? Hat Kaleo etwas falsch gemacht? Habt ihr euch gestritten?“ Evelin krault den weißen Nager hinter den langen Ohren. „Es geht gar nicht um Kaleo. Es ist nur ...“ Evelin verstummt und wird wieder nachdenklich. Lila kniet sich neben sie. „Was ist nur?“ Evelin atmet tief ein. „Der Film ist es. Papa hat mir immer gesagt, dass wir da zusammen hingehen würden. Er hat aber nie Zeit, nicht mal mehr am Wochenende. Also hat Kaleo mich gefragt, ob wir hingehen. Ich habe ja gesagt, aber nur weil ich gehofft habe, dass es meinen Vater stören würde. Es war ihm aber egal, er meinte, er hätte zu viel mit einem seiner Projekte zu tun. Gestern lief der Film das letzte Mal, aber irgendwie konnte ich nicht gehen. Jetzt fühle ich mich furchtbar, weil ich Kaleo versetzt habe, der jetzt bestimmt denkt, dass er etwas falsch gemacht hat.“ Lila bläst die Wangen auf. „Und warum sagst du Kaleo nicht einfach, warum du nicht gehen konntest? Er würde es sicher verstehen.“ Evelin schüttelt müde den Kopf. „Seine Eltern sind so weit weg und mein Vater ist hier. Er würde es nicht verstehen.“ Lila legt ihrer Freundin den Kopf aufs Knie und zeichnet Kreise ins Fell des Kaninchens. „Ich glaube, dass Kaleo alles versteht, wenn es um dich geht. Ihr sprecht dieselbe Sprache, ohne den Mund zu öffnen.“
Zwei Stunden später stehen Evelin und Lila vor dem Haupteingang der Schule. Erschöpft betrachten sie den leeren Schulparkplatz. Kein Bus, kein Auto, kein Lehrer oder Schüler weit und breit. Nur die trockene Hitze, die Umrisse ihrer Schatten und die sehr lange, sehr gerade Straße, die sich zwischen den Feldern wie ein Pfeil entlangzieht. Leichter Dunst liegt in der Luft, die Überbleibsel von Smog, dem feinen Staub der Felder und Insekten, die zu Tausenden durch die Luft surren, zirpen und brummen.
Der Weg nach Hause ist lang, da das kleine Dorf, in dem Evelin und Lila schon seit ihrer Geburt leben, keine eigene Gesamtschule, sondern nur eine kleine Grundschule mit integriertem Kindergarten hat, müssen sie in der vierzehn Kilometer entfernten Stadt zur Schule gehen. Der heutige Tag ist heiß und trotz der späten Uhrzeit brennt die Sonne unbarmherzig auf die beiden herunter und lässt den Sommer wie Flammenwerfer über ihre Köpfe tanzen. Evelin läuft der Schweiß über die Stirn, ihr Gesicht ist starr nach unten gerichtet, um sich vor dem grellen Licht der Sonne zu schützen, nur ab und an, wenn ein kahler Baum den Weg streift und ein wenig schützenden Schatten bietet, lässt sie ihren Blick über die auf der Straße tanzende Hitze und die Weiten der einst so saftig grünen Wiesen fahren. Sie betrachtet die Zäune, die damals Dutzende von Schafen und Kühen beherbergten und heute nur noch vereinzelte Pfosten oder heruntergedrückte Drähte sind. Manchmal, wenn sie der Weg runter von der Straße und an der Steilküste entlangführt, sie den Wellen zusehen kann, wie sie mit lautem Tosen gegen die Steinwand schlagen, dann meint Evelin sogar riechen zu können, wie es damals gerochen hat. Sie meint zu riechen, wie die Bauern ihre Ernte von den vielen Feldern holten oder die Äpfel und Birnen in ihre Anhänger verluden, um sie an jedem Dienstag in der Stadt und jeden Montag auf dem Dorfmarkt zu verkaufen. Heute haben sich viele der Bauern weiter im Landesinneren angesiedelt, weil die Luft dort feuchter und die Felder deutlich fruchtbarer als an der Küste sind und die Bäume ihre Blätter und Wurzeln noch so dicht tragen, dass Mais und Korn durch ihre Größe vor den Unwettern und Stürmen schützt, die sich regelmäßig über die Insel schlagen. Da die meisten Bauern aber nicht aus ihren Dörfern fortziehen möchten, in denen die meisten schon seit Generationen leben, nehmen sie die zum Teil dreimal so langen Stecken in Kauf, die sie mit ihren Traktoren zurücklegen müssen, um ihre neuen Felder bewirtschaften zu können.
Lila steht die Hitze und Anstrengung des Weges und der heißen, fast brennenden Luft ins Gesicht geschrieben, erschöpft bleibt sie immer wieder stehen, um sich mit ihrem T-Shirt den Schweiß aus dem Gesicht zu wischen. „Wie weit ist es denn in Gottes Namen noch?“, fragt sie mehr in den Himmel als zu Evelin, die die Antwort genauso gut kennt wie ihre Freundin. Der Weg ist noch lang, sie haben gerade einmal den Kilometerstein fünf erreicht, das heißt, dass ein bisschen weniger als die Hälfte noch vor ihnen liegt. „Weißt du was?“, ruft Evelin ihrer Freundin zu, die sich gerade auf einem Stein niedergelassen hat, um den Sand der Dünen aus ihren Schuhen auf die flimmernde Straße zu kippen. „Ich habe eine Idee, hier ganz in der Nähe müsste es gehen.“ Evelin packt ihre Freundin am Handgelenk und zieht sie, vollkommen abrupt und ohne ein weiteres Wort zu sagen, von der asphaltierten Straße hinter sich her ins hohe, trockene Gras. Immer weiter läuft Evelin, und Lila gezwungenermaßen dicht hinter ihr. Dann plötzlich und fast erstarrt bleibt Evelin stehen und bremst ihre Freundin unsanft ab, bevor diese die nun vor ihr aufklaffende Steilküste hinunterfallen kann. Mit einem empörten Aufschrei kippt Lila ins knisternde Gras und bleibt dort schwer atmend liegen. Evelin, die keine Sekunde verlieren zu wollen scheint, greift nach der Hand ihrer Freundin und zieht sie mit den Worten „Vertraust du mir?“ wieder nach oben. Lila hat kaum Zeit sich gegen die energisch an ihr zerrende Freundin zu wehren, als sie schon wieder auf ihren Beinen steht. „Ich hoffe, du hast einen guten Grund mich so zu erschrecken.“ Evelin grinst breit und voller Vorfreude. „Habe ich, Lila, schließ einfach die Augen ganz fest, so stark, dass du Punkte sehen kannst.“ Immer noch unsicher, ob man ihrer Freundin trauen kann, schließt Lila die Augen und tritt noch einen Schritt näher an die Steilwand. „Gleich ist es so weit“, flüstert Evelin ihrer Freundin ins Ohr.
5. Rügen, Deutschland
Um ihn herum ist es still, so still, dass man bestimmt eine Nadel hätte fallen hören können, die auf den grauen Beton der Produktionshalle fällt. Paul hat die Augen geschlossen, ganz fest, so dass er Punkte sehen kann. In seinem Inneren versucht er das Chaos zu beseitigen, das seit dem alles verändernden Vormittag in ihm wütet. Zwischen den Punkten tanzen die Bilder des Tages hin und her, wie in einem dieser Kinderspielzeuge, bei denen man mit dem Auge durch einen Stab schauen muss und mit jedem Drehen ein neues Bild erkennen kann. Genauso bunt und durcheinander tanzen sie. Nur manchmal kann er ein paar dieser Bilder greifen und zu einer klaren Erinnerung formen.
Das Erste, was er zusammensetzen kann, ist ein Moment, der am späten Nachmittag stattgefunden hat. Er war gerade dabei gewesen, nachdem er eine Kapsel in das Kapselfach der Kaffeemaschine geworfen hatte, seine Tasse unter den Automaten zu stellen. Der frische Geruch umgab ihn dabei wie eine Wolke und hüllte ihn in eine beruhigende Stimmung, als der erste Anruf kam. Verständnislos, wer ihn bei seiner ersten Tasse Kaffee störte, drückte er auf den kleinen Hörer, der im Bildschirm seines Handys erschien, und nahm den Anruf entgegen. „Paul Barens, Werksleiter von Dukjon Süd, wie kann ich behilflich sein?“ „Ah, schön dass ich Sie gleich erreiche Paul, hier spricht Marcel Kron, wir haben uns letztes Jahr auf der Weihnachtsfeier kennengelernt, wir sprachen über den Einsatz von Holz im Autobau.“ In Pauls Gedächtnis war kein Marcel Kron aufzufinden, egal wie tief er in seiner Erinnerung wühlte. Merkwürdig, sie müssen sich ja gut verstanden haben, wenn er ihn so ohne weiteres beim Vornamen ansprach, aber nicht gut genug, um sich zu duzen. „Ach ja Marcel, wie geht es Ihnen?“, gaukelte er ihm die Bekanntschaft vor, um das Gespräch voranzubringen und endlich den nun kalt werdenden Kaffee genießen zu können. „Ja, wo Sie fragen Paul, mir geht’s gerade gar nicht so gut, haben Sie schon einmal von § 4253 gehört?“ Klar hatte Paul von diesem seltsamen Paragrafen gehört, eigentlich sogar öfter, als ihm lieb war, viele nannten ihn nur den „unausführbaren Umweltparagrafen“, weil die Regierung angeblich Dinge verbieten will, die der Umwelt schaden. „Ja klar habe ich von diesem Paragrafen gehört, aber mal ehrlich, damit kommen die doch niemals durch, es gibt so viele Parteien und Regierungen auf der Welt, als könnten die sich jemals auf so etwas derart Drastisches einigen wie diesen lächerlichen Paragrafen.“ In der Leitung knackte es laut. „Marcel, sind Sie noch dran.“ Paul nahm den Hörer vom Ohr, um sich zu vergewissern, dass die Leitung noch stand, danach zog er das Gerät wieder ans Ohr. „Ja, ich bin noch dran.“ Es schien, als wäre auf der anderen Seite der Leitung ein Sturm losgebrochen, immer lauter wurden die Rufe und das Poltern im Hintergrund und Marcel Kron, der nun noch leiser sprach, als wollte er nicht, dass jemand mithörte, war kaum noch zu verstehen. „Dieser Paragraf“, wieder ein Poltern, dann kamen nur noch einzelne Sätze, „… durchbekommen …, Absatz …, Zusammenschluss …, das Ende …, Dukjon …, kann nicht …“ Dann war es still und nur noch das Freizeichen war zu hören. Verwirrt über das abrupte Ende des Gesprächs drückte Paul auf die Rückruftaste. Nach kurzem Warten ging sofort der Anrufbeantworter dran. Paul schüttelte den Kopf, er konnte sich auf diesen Anruf einfach keinen Reim machen, er nahm einen großen Schluck aus der in seinen Händen winzig wirkenden Tasse und dann die Treppe, die ihn zu seinem Büro führte.
Der nächste Moment, den Paul in seinem immer noch wild umhertanzenden Gedanken zusammenfassen kann, fand im Büro statt. Auf dem kleinen Computerbildschirm erschien in der unteren rechten Ecke ein Hinweis, dass in Kürze ein Fax zu ihm durchgestellt werden würde. Genervt rollte Paul mit den Augen. „Wer in Gottes Namen schickt außer mir denn heute noch ein Fax?“, fragte er sich, während er sich schwerfällig erhob, um sich an dem nun stark wankenden Garderobenständer vorbei nach draußen zu schieben. Das Faxgerät stand zusammen mit dem Drucker und den Kopierern in einem Raum, der sich unterhalb der Treppe, neben dem Pausenraum mit den Kaffeemaschinen, befand. An manchen Tagen nervte es ihn, dass er für jede Kopie, für jeden Ausdruck, nach unten laufen musste, aber sein kleines Büro bot einfach nicht den Platz für die riesigen Geräte, und Bewegung war, seit er den Bürojob hatte, erstaunlich wichtig geworden. Beim Durchqueren der immer offen stehenden Tür flog Paul bereits der Geruch von frischem Papier und Tonerpatronen entgegen. Alle Geräte waren ausgeschaltet und machten, außer dem leisen Rauschen der Kühlanlagen, keine Geräusche. Paul schritt an den drei Faxgeräten vorbei und überprüfte sie nach dem angezeigten Fax. Als er alle Geräte noch einmal auf Papier und Tonerstand überprüft hat, lehnte er sich gegen den großen Kopierer, der unter seinem Gewicht verächtlich knackte, und genoss die Ruhe, die ihm das Warten schenkte. Nach einer Weile begann das mittlere Gerät zu surren und spuckte kurz darauf das Dokument aus, das, sobald Paul es in den Händen halten würde, all diese furchtbaren Dinge in Kraft treten lassen würde. Doch das wusste Paul nicht, also stieß er sich mit einer Hand vom Kopierer ab und griff beiläufig nach dem immer noch warmen Papier. Schnell flogen seine Augen über das Fax und wurden von Zeile zu Zeile langsamer und langsamer, bis sie jeden Buchstaben auf seine Richtigkeit überprüft hatten. Als Paul den Brief zum sechsten Mal gelesen hatte und an den gelesenen Worten wirklich kein Zweifel bestand, ließ er das Papier langsam sinken und starrte für eine schiere Ewigkeit ins Nichts vor ihm. Dann plötzlich traf ihn die Erkenntnis wie ein bremsenversagender Güterzug und die Erinnerung von jener Weihnachtsfeier kam zurück. Marcel Kron war der stellvertretende Geschäftsführer von Dukjon und was er Paul da sagen wollte, war, dass der § 4253 seinen ersten Absatz hatte, der nun in Kraft treten sollte. Auch die zahlreichen Kollegen, die Paul an jenem Vormittag noch anrief, hatten denselben unheilvollen Brief erhalten. Von Gespräch zu Gespräch wurde Pauls Miene finsterer und als er das letzte Gespräch beendet hatte, brodelte in Paul eine Wut, die er selbst von sich nicht erwartete. Da wusste er, dass es nun das Ende sein würde, er hat gewusst, dass es kommen würde, seit Jahren hatten sie darauf hingearbeitet. Er war das Lügen überall hier satt, nun würde er es endlich nicht mehr verheimlichen müssen, nun würden alle davon erfahren. Trotzdem musste er seine Rolle weiterspielen, so überzeugender, umso besser. „Dreiunddreißig Jahre!“, schrie er, „dreiunddreißig Jahre und dann das!“ Er zerknüllte den Brief und zerquetschte ihn so sehr in seiner Faust, dass er nur noch ein kleiner unförmiger Papierball war, dann raste er am Pausenraum vorbei, in dem sein Freund sich gerade einen Kaffee zog. Die Treppen erreicht, nahm er immer drei Stufen gleichzeitig und als er vor seinem Büro war, bekam er gerade noch im Laufen die kleine blaue Tür zu fassen und zog sie mit solcher Gewalt ins Schloss, dass die kleinen Fenster, die in der Tür eingelassen waren, zerbarsten.
Vorsichtig öffnet Paul die Augen und mit dem Öffnen der Augenlider kommt auch der tosende Lärm zurück, den er versucht hat zu verdrängen. Er hört die lauten Rufe der Arbeiter vor sich, die empörten und verwirrten Schreie, die nach Antworten verlangen, die er nicht zu geben vermag. Langsam gewöhnen sich seine Augen wieder an das Licht, und die immer noch wild umhertanzenden Punkte vor seiner Netzhaut verschwinden, so dass er die Traube von Menschen nun auch sehen kann, die sich vor der Treppe versammelt hat und zu dem auf der vorletzten Stufe stehenden Paul aufblickt. „Was wollen Sie damit sagen?“, „Sind wir jetzt alle gekündigt?“, „Von wem bekommen wir denn jetzt unser Geld?“, „Mann Paul, du warst mal einer von uns! So was unterstützt du doch nicht?“, „Wir können das nicht glauben!“, „Ist das der einzige Absatz?“ Felix, der sich drei Stufen unter Paul befindet und mit ein paar anderen versucht die Menge davon abzuhalten die Treppe nach oben zu stürmen, schaut ebenfalls mit fragendem Blick in seine Richtung. Auch er hat so viele Fragen, die er beantwortet haben will. Wieder beginnt das Bild der wütenden Arbeiter vor Pauls Augen zu verschwimmen, diesmal widersteht er aber dem Drang die Augen zu schließen und hebt beschwichtigend seine großen Arme, um der Meute Ruhe zu gebieten. Leider scheint es, als würden die aufgebrachten Arbeiter das nur als eine Aufforderung nehmen noch lauter zu schreien und sich noch heftiger in den menschlichen Zaun vor Paul zu drücken. Felix, auf dessen Gesicht jetzt weniger Fragen als vielmehr Angst zu erkennen ist, versucht immer verzweifelter die Menge fortzudrücken, weg von seinem Freund, der allein und verloren auf der Stufe steht. Wenn Paul nicht in den nächsten paar Sekunden etwas unternimmt, würde es zu spät sein. Wieder ist da diese Wut, die Paul nicht kennt, eine Wut, die so gar nicht zu dem immer freundlichen und sanften Mann passen will, der er normalerweise ist. Von der Wut geführt schreit er, so laut er kann: „Ruhe!“ Die zuvor noch tosende, schreiende Menge verstummt sofort, die gesamte Werkshalle scheint nach diesem Schrei zu beben und den Schall immer wieder von den Wänden vorzustoßen und zurückzuwerfen, bis er nur noch in den Ohren der Männer und Frauen widerschallt, die nun, wie eine zurechtgewiesene Schulklasse, mit auf dem Rücken verschränkten Armen, zu ihm aufblicken. Paul, der, von seinem eigenen Schrei überrascht, jetzt doch die Augen geschlossen hat, um die Ruhe zu genießen, die sich so plötzlich vor ihm erstreckt, sammelt sich erneut, um seinen weiteren Worten einen festen Klang zu geben. Dann richtet er sich zu seiner vollen Größe auf, hebt seinen Kopf, mit dem er jetzt fast die Decke berührt, und beginnt zu sprechen. „Ich weiß, dass das für euch alle ein Riesenschock sein muss. Ihr könnt mir glauben, wenn ich euch sage, dass es auch für mich vollkommen unerwartet kam. Ich weiß nach wie vor nicht, ob dieser Paragraf nur unser Land betrifft oder ob es auch andere Länder erwischt hat und ja, ich war mal einer von euch, aber wer sagt, dass ich das nicht mehr bin? Ich bin sogar mehr einer von euch, als ich das jemals war. Wir stecken da alle drin, ihr seid nicht die Einzigen, die zu Hause ihre Ehepartner und Kinder sitzen haben. Trotzdem kann ich im Moment auch nicht mehr sagen als das, was in dem Brief steht, den die meisten von euch erhalten haben.“ Paul hält seinen Blick in die Menge gerichtet, versucht bemüht seinen Arbeitern die Sicherheit zu schenken, nach der sie sich so sehr sehnen. Ein paar starren traurig und beschämt auf den Boden oder an die geschlossenen Deckenfenster, ein paar andere drehen sich mit einer abfälligen Handbewegung zum Gehen, aber es sind nicht diese, bei denen Paul plötzlich so ein komisches Gefühl hat, es sind die paar, die seinen Blick standhaft erwidern, die ihm einen Schauer über den Rücken jagen. Dann, vollkommen unerwartet, schreit einer, der weiter hinten gestanden hat, in die drückende Stille hinein: „Was willst du uns da erzählen, du hast doch gar keine Ahnung, wie wir uns fühlen, du sitzt tagtäglich in deinem Büro, du riechst nicht das, was wir riechen, du siehst nicht das, was wir sehen, und du hast keinen blassen Schimmer, wie hart wir für unser Geld arbeiten müssen. Manche von uns fragen sich, wie du überhaupt so plötzlich befördert werden konntest, also wieso stehst du da oben über uns wie ein Richter, komm doch runter und trau dich direkt mit uns zu reden.“
Mit diesen Worten rammt er in die vor sich stehende Menge und schiebt sich durch die Menschen hindurch, wie eine Kettensäge durch eine Hecke. Es folgen ihm ein paar weitere und denen wieder ein paar weitere, die sich mit voller Kraft in Felix und die anderen Männer werfen. Dann passieren mehrere Dinge so schnell hintereinander, dass Paul kaum auf die ungeplante Situation reagieren kann. Einer der Arbeiter holt aus und schlägt dem Mann, der vor ihm verzweifelt versucht die Menge am Stürmen der Treppe zu hindern, mit solcher Wucht die geballte Faust ins Gesicht, sodass dieser nach hinten fliegt und regungslos auf der Treppe liegen bleibt. Jetzt ist der Weg frei. Die Meute drängt an Felix und den anderen vorbei, laut schreiend und wutentbrannt die Treppe herauf, Paul entgegen. Paul springt die letzte Stufe nach oben, um einen besseren Stand gewinnen zu können. Immer wieder versucht er Ordnung in das entstehende Chaos zu bringen, das um ihn herum entbrannt ist. Durch das Fenster, das vom Aufenthaltsraum in den Flur führt, fliegt mit einem Klirren und Poltern die kleine Kapselmaschine, aus der Paul sich am Morgen seinen Kaffee gezogen hat, und bleibt nur wenige Zentimeter vor seinen Füßen liegen. Weiter hinten im Flur versuchen zwei Männer gerade den großen Kopierer aus dem Kopierraum heraus auf den Flur zu ziehen, dabei treten und schlagen sie auf das Gerät ein, als würden sie so Informationen aus ihm herausfoltern können. Hinter Paul beginnt es warm, ja sogar heiß, zu werden, im Umdrehen entdeckt er das Feuer, das auf einem der Stapel mit frischem Druckerpapier zu lodern begonnen hat. Er hätte wissen müssen, dass heute der Tag des Feuers sein würde, er hätte wissen müssen, dass heute der Tag ist, an dem er fliehen muss, und trotzdem, trotz all der Planung, überkommt ihn Panik. Zu viele Menschen halten sich noch in dem Gebäude auf. Mit schnellen Schritten eilt er auf den Stapel zu, versucht verzweifelt mit seinem Schuh, den er sich vom Fuß gezogen hat, das Feuer am Ausbrechen zu hindern. Sein Schuh, der dieser Aufgabe bei weitem nicht gewachsen ist, fängt dabei Feuer und entflammt einen weiteren Stapel, der sogleich lichterloh in Flammen aufgeht. Paul, der jetzt vor einem weitaus größeren Problem steht, spurtet, sich der Situation bewusst werdend, in Richtung der Treppe, die zur Werkshalle führt, um den hinter dem Werkstor stehenden Feuerlöscher zu holen.
Das Werkstor ist ordnungsgemäß verschlossen und zu seinem Glück ist der Feuerlöscher noch an Ort und Stelle. Zum ersten Mal in seinem Leben dankt er insgeheim den ständigen Kontrollen von Sprinkleranlagen und Sicherheitsequipment – auch wenn die Sprinkleranlagen an diesem Tag nicht ausgelöst werden, sie würden ihren feuchten Segen nicht auf die Maschinen und Arbeiter ergießen, sie würden die Flammen nicht bremsen und das Unglück verhindern, das sich anbahnt. Sie haben es so geplant, das Feuer muss groß und gewaltig werden, so groß, dass es ihm Zeit verschaffen kann, Zeit alles hinter sich zu lassen und irgendwo anders neu anzufangen. Unsicher greift er nach dem roten Feuerlöscher und sprintet zurück zu dem Feuer, das er zuvor zurückgelassen hat. Am Papierstapel angekommen, trifft ihn die Erkenntnis jedoch schneller, als er den Feuerlöscher vor sich halten kann. Das zuvor noch kleine Feuer hat sich in rasend kurzer Zeit zu einem wahren Feuerinferno ausgebreitet und leckt immer schneller die Wände nach oben, um sich durch die Tapete zu den nächsten Papierstapeln zu fressen. Der Flur hat sich bereits mit dicken Rauchschwaden gefüllt, die jetzt auch die Treppen hinunter in die Werkshalle ziehen. Er hätte für all das bereit sein müssen, das Feuer, das sich immer mehr auftürmt, nutzen, um sich aus dem Staub zu machen, einen besseren Zeitpunkt würde er nicht mehr bekommen, aber niemand der Arbeiter verlässt das Gebäude, sie bleiben in der brennenden Werkshalle und denken gar nicht daran sich in Sicherheit zu bringen. Ihre Köpfe sind zu voll mit Hass und Wut. Immer noch unsicher, welche Entscheidung die richtige ist, versucht er das Feuer zu bändigen und so viele Menschen wie möglich aus dem Gebäude zu drängen. Seine über die Jahre rundlich gewordene Sekretärin rennt aufgeregt an ihm vorbei, bremst dann aber schwerfällig ab, als sie den riesigen Mann zwischen den Flammen stehen sieht. Hustend hält sie sich ihr T-Shirt über den Mund, um dem tödlichen Rauch den Einlass in ihre Lungen zu verwehren. „Paul? Was machst du noch hier? Du musst hier weg“, ruft sie ihm besorgt entgegen. „Sind hier noch mehr Menschen, Cara?“ Paul ignoriert die Sorge der Frau, die immer mehr anfängt zu husten. „Nein, ich glaube nicht, aber hundertprozentig sicher kann ich das nicht sagen.“ Die Frau wirkt nervös. „Okay, ich werde noch einmal nachsehen, aber mach, dass du hier wegkommst, und sage das bitte auch den anderen, die du auf dem Weg nach draußen triffst.“ Die Frau dreht sich schon zum Gehen, will vor dem lodernden Tod fliehen, der immer dichter an die beiden rückt, doch Paul hält einen Moment inne. Ein seltsamer Ausdruck legt sich auf sein Gesicht, den Cara noch nie an einem Menschen gesehen hat. Etwas weicht aus dem Mann heraus, verschwindet, wie ein Schatten in der Dunkelheit. Paul redet weiter, seine Stimme hat sich verändert, sie ist weniger hektisch und laut, mehr ruhig und farblos. Die Wichtigkeit, die er den Worten schenkt, lässt Cara trotz der Hitze kalt werden. „Ach, und Cara, tue mir bitte den Gefallen und sag Felix, dass er Okapi aufhalten muss, wenn mir etwas zustoßen sollte, und dass Oskar Bescheid weiß. Ich habe einen Fehler gemacht und für die falschen Leute gearbeitet. Ich werde durch diese Entscheidungen eines Tages einmal meine Kinder in Gefahr bringen, aber ich kann jetzt nicht gehen, ohne sicher zu sein, dass keiner bei dem Versuch mich zu retten stirbt. Sie werden es verstehen. Mein Leben ist das Leben vieler nicht wert.“ Die rundliche Frau nickt verängstigt und verwirrt. „Paul, ich verstehe nicht, was das bedeutet, und kann nicht zulassen, dass du dein Leben riskierst.“ Paul schüttelt den Kopf und schiebt seine Sekretärin von sich weg. „Du musst das nicht verstehen. Jeder muss einmal sterben. Jeder Zeiger läuft einmal seine letzte Runde, nur hoffentlich nicht heute, aber sollte es entgegen unserer Bemühungen doch passieren, musst du das für mich tun. Vergiss es bitte nicht.“ Cara legt besorgt ihren Kopf schief, dem Mann zu widersprechen scheint nicht zur Debatte zu stehen. „Pass auf dich auf Paul.“ Er nickt Cara noch einmal zu, dann drückt auch er sich seinen Pullover über den Mund und läuft in die Richtung, aus der vorher seine Sekretärin angerannt kam.