Loe raamatut: «Eine Sache des Vertrauens»

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NILS PETRAT

EINE SACHE DES VERTRAUENS

Mitten im Leben glauben


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eISBN 978-3-89710-960-5

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„Das Wagnis Glaube, Gott zu vertrauen, führt mich in einen Raum der Verbundenheit, der Geborgenheit und der neuen Identität. Ich betrete sinnbildlich heiligen Boden. Äußerlich betrachtet ist diese Erfahrung eher unspektakulär, aber in meinem Innern entdecke ich einen neuen Kontinent. Darin besteht für mich das Abenteuer Glaube.“

Nils Petrat

Inhalt

Mitten im Leben

Einleitung

1.Faktencheck: Glaube heute

2.Glaube bedeutet Vertrauen

3.Was hindert mich?

4.Da ist so eine Ahnung

5.Dem Gefühl nachspüren

6.Warum die Bibel lesen?

7.Jesus, der Fragensteller

8.Nachfolgen – mein „Ja!“

9.Dem Heiligen Raum geben

10.Das Abenteuer Glaube gestalten

Literaturverzeichnis

Mitten im Leben

Samstagabend, weit und breit ist nix los. Ich entscheide mich, noch eine Runde zu gehen durch mein Viertel. Rausgehen kann ja nicht schaden, nach diesem irgendwie schweren und anstrengenden Tag.

Alles scheint wie gehabt: leere Straßen, die ersten Frühlingsboten in den Vorgärten, frische Luft und etwas Abendsonne. Meine Gedanken wandern hin und her.

Dann, etwa nach der Hälfte meiner Runde, begegne ich einem Jungen. Er ist circa sieben oder acht Jahre alt und mir absolut fremd. Schnurstracks kommt er mir auf dem Gehweg entgegen und spricht mich an: „Darf ich Ihnen einen Kartentrick zeigen?“

Ich bin völlig perplex. Noch nie hatte mich auf meiner Abendrunde jemand Fremdes angesprochen, geschweige denn ein kleiner Junge. Und dann solch eine überraschende Frage. Was solls? „Ja, gerne“, antworte ich ihm spontan.

Der Junge strahlt. In meinem Hinterkopf fängt es aber schon zu rattern an: Was passiert hier gerade? Gibt es da einen Haken? Will der nachher Geld von mir?

Er beginnt seinen Trick. Ich soll eine Karte aus dem Stapel ziehen, mir das Blatt anschauen und merken. „Haben Sie sich alles gemerkt?“ – „Ja!“ Nun nimmt der Junge seine Kappe, die er auf seinem Kopf trug, ab und zeigt mir die Unterseite. Darauf war eine Karte eingestickt und er fragt: „Ist das die Karte, die Sie gezogen haben?“

Tatsächlich! „Ja, das ist genau die Karte, die ich mir gemerkt habe“, bestätige ich dem Jungen, der nun noch mehr strahlt, sich die Kappe wieder aufsetzt und zu mir sagt: „Dann wünsche ich Ihnen jetzt noch einen schönen Abend.“ Lächelnd zieht er an mir vorbei und setzt seinen Weg fort.

Was war das denn, frage ich mich. Ich merke, wie irritiert ich über die überraschende Begegnung mit dem Jungen bin. Aber ich spüre, wie in mir auf einmal große Freude aufsteigt und auch ich lächeln muss.

Meine Stimmung veränderte sich komplett. Jegliche Schwere, die Sorgen und der ganze Ballast, den ich auf meine Abendrunde mitgenommen hatte, waren auf einmal verschwunden. Durch diese Begegnung. Der Abend war gerettet, sogar das weitere Wochenende verlief von da an anders.

So etwas hatte ich bis dahin noch nie erlebt und habe ich seitdem auch nicht wieder: Ein Junge mit einem Kartentrick holt mich aus meinem Loch und schenkt mir etwas Leichtigkeit und Zuversicht. Vielleicht war das Ganze bloß ein Zufall, vielleicht aber auch mehr. Auf meinem Weg nach Hause denke ich daran: Das war so, als wäre dir Jesus begegnet. Mitten im Leben. Völlig unerwartet, aber mit ganz viel positiver Kraft und Ausstrahlung.

Vielleicht dauert es nur wenige Minuten, dann ist diese Begegnung wieder vorbei, doch du bleibst zurück anders als bisher: mit einem Lächeln auf den Lippen und einem inneren Frieden und einer Gelassenheit im Herzen.

Einleitung

„Glauben Sie das wirklich?“ – Diese Frage wird mir als Priester immer wieder gestellt. Nach Gottesdiensten, in denen ich über einzelne Glaubensfacetten gepredigt habe, wie auch in persönlichen Gesprächen. Andere haben mir schon häufiger zurückgespiegelt: „Sie machen mir Hoffnung; wenn jemand wie Sie daran glaubt, dann erleichtert mir das auch den Zugang …“

Die Frage nach der Glaubwürdigkeit der christlichen Botschaft ist somit über die Jahre zu einem Topthema meines Wirkens und Lebens geworden. Mit ihr habe ich auch persönlich lange gerungen: Ist die ganze Sache mit diesem Jesus wahr? Kann ich dem trauen, was in der Bibel steht? Und dann noch die Geschichte mit der Kirche … viele Fragen sind da, aber auch eine tiefe Einsicht: Es ist am Ende eine Sache des Vertrauens.

Daher habe ich mich entschieden, dieses Buch zu schreiben. Ich möchte davon erzählen, warum ich der christlichen Botschaft vertraue, was das Ganze mit einer Grundahnung, mit der Bibel und natürlich mit Jesus Christus zu tun hat. Dabei spielen Beispiele von Menschen, denen ich begegnen durfte, eine wichtige Rolle. Menschen, die Glaubenserfahrungen gemacht haben – positiver wie fragender Art: Wie wirkt sich der Glaube konkret auf das Leben aus? Kann man da was „spüren“? Das habe ich mir doch nur eingebildet, oder?

Inspiriert sind die Gedanken in diesem Buch von meinen Erfahrungen als Seelsorger, besonders von den vielen Jahren als Studierendenpfarrer und Dompastor in Paderborn. Sie spiegeln aber auch meine ganz persönliche Suche und den zurückgelegten Weg des Vertrauens wider. Beides begann bei mir als ich etwa 15 war. Auf solch einen Weg, eine spirituelle Reise, möchte ich Sie nun gerne mitnehmen.

Zu einer Reise gehört, dass man auf dem Weg innehält, ausruht, eine Etappe nach der anderen nimmt und manchmal erneut zu einem bereits besuchten Ort zurückkehrt. So dürfen Sie an dieses Buch herangehen. Es muss nicht in einem von Anfang bis Ende gelesen werden, Sie können es in Etappen lesen, an beliebigen Stellen verweilen oder auch gleich an interessante Abschnitte springen. Letztlich habe ich versucht, so vielseitig wie möglich, ein spirituelles Panorama zu schaffen, auf das man aus unterschiedlichen Perspektiven schauen und zugehen kann. Da es dabei schon auch recht persönlich wird, switche ich ins Du. Ich hoffe, du nimmst mir das nicht übel. Danke schon da für deinen Vertrauensvorschuss!

Das Buch verstehe ich als Einladung wie auch als Ermutigung, sich bewusst auseinanderzusetzen mit der eigenen Beziehung zu Gott. Welche Hindernisse muss ich überwinden, um Gott Vertrauen zu schenken? Wem vertraue ich mich da eigentlich an? Und wie geschieht der „erste Schritt“, die Kontaktanbahnung zwischen Gott und mir als Mensch? Wo fange ich an? Oder widerfährt mir Gott einfach so? Unmittelbar? Mitten im Leben?

Ich lade dich ein, mit all deinen Fragen dieses Buch zu lesen. Und ich wünsche mir, dass du dabei einen Freiraum für sie und deine Suche erlebst und zugleich Inspiration und Orientierung findest, die dir im Alltag helfen. Vielleicht steht am Ende ja dann für dich eine Sache fest. Dass da ein großes Ja entstanden ist, dass du es wagen möchtest, zu glauben.

1. Faktencheck: Glaube heute

Woran glaubst du? Diese Frage kann die Stimmung an einem gemütlichen Abend unter Umständen ganz schön runterreißen. In Freundes- und Familienkreisen scheint es heute kaum eine intimere und tabuisierte zu geben als eben diese: Wie hältst du’s mit der Religion?

Die Gretchenfrage ist umweht von massiver Sprachlosigkeit und auch von erstaunlich großer Scham. Die „Zeit“-Journalistin Verena Friederike Hasel schrieb in einem Leitartikel zum Thema „Glaube in Deutschland“ mal sehr treffend: „Jemanden zu fragen, wie er sich das Jenseits vorstellt, ist etwa so, als würde man sich erkundigen, ob er regelmäßig masturbiert.“1

Ein Aha-Erlebnis war für mich in diesem Zusammenhang eine Sendung der Talkshow „Kölner Treff“ mit Bettina Böttinger im WDR-Fernsehen, die ich gerne schaue. Darin war die Autorin Husch Josten zu Gast, die einen Literaturpreis für ihren Roman über den Glauben erhalten hatte. Das Buch hieß „Land sehen“ und wurde im Internet beworben mit den Sätzen: „Du kannst nicht vielleicht glauben. Du tust es. Oder eben nicht.“ Im Zuge des Talks mit dieser Autorin stellte Bettina Böttinger die Frage in die Runde ihrer Gäste: „Woran glaubst du?“ Bei den darauffolgenden Antworten war ich echt fassungslos. Die bekannte Sängerin Sarah Connor zum Beispiel, eigentlich eine toughe und weltgewandte Frau, fabulierte, dass sie „an das Universum glaube, an Energien“; ja, und sie glaube „an die Grundwerte“. Applaus des Publikums. Ein Schauspieler meinte: „Ich glaube an gar nichts.“ Und auf Rückfrage dann: „Ich glaube an mich.“ Applaus des Publikums.

Geht’s eigentlich noch? Da sitzen sehr eloquente Persönlichkeiten, die ihre eigenen Projekte höchst professionell, spannend und sympathisch schildern können. Und bei der Frage nach dem Glauben setzt es dann auf einmal bei ihnen aus. Die Autorin Josten antwortete selbst übrigens: „Ich glaube an Gott. Ich bin katholische Christin.“ Prompt kam die Nachfrage der Moderatorin: „Kann man das noch so sagen, ohne das Thema Missbrauch zu nennen?“ – Antwort der Autorin: „Ja.“ Punkt! Kein Applaus des Publikums.

Für mich wird hiermit die stimmungsmäßige „Großwetterlage“ zum Thema Glauben sehr gut eingefangen. Viele empirische Studien belegen auch, dass der Glaube an christliche Grundelemente wie die Schöpfung der Welt durch Gott, die Gottessohnschaft und Mittlerschaft von Jesus Christus oder die Hoffnung auf die Auferstehung der Toten und ein paradiesisches „Jenseits“ schwindet und mehr und mehr verdunstet.2 Das „alte Europa“ hat seinen christlichen Glauben verloren oder ist kurz davor.

Glaube ist eine Sache zwischen dir und Gott. Und zwar eine Sache des Vertrauens.

Kirche und Glaube

Allerdings bedeutet das nicht, was vielfach schon beschrieben wurde, dass das Thema „Religion“ generell von der Bildfläche verschwindet. Da sind zum einen die Präsenz und die Sichtbarkeit der Religion des Islam zu beobachten und zum anderen gibt es einen gewissen Trend zu einer „entkirchlichten Spiritualität“, den einige „Patchwork-Religiosität“ nennen. Wie man es nun dreht und wendet: Die christliche Religion, die in unseren Breiten ja immer auch ihre kirchliche Ausdrucksform mit einschloss, steckt in einer tiefen Krise. Und während bei der Frage „Woran glaubst du?“ eher herumgedruckst wird, sind die Antworten auf die Frage „Wie hältst du‘s mit der Kirche“ mittlerweile ziemlich eindeutig und fallen recht auskunftsfreudig aus.

In meinem Kontext ist mit Kirche ja fast immer die katholische Kirche gemeint. Die Meinungen zu ihr sind oft gepfeffert: komisch, uncool, altmodisch, undemokratisch, frauenfeindlich, homophob, regiert von alten Männern. Wobei das noch die harmloseren Aussagen sind. Wenn es um das Thema „Missbrauch in der Kirche“ geht, fliegen verbal schon ganz schön die Fetzen.

Wie emotional das Thema besetzt ist, habe ich selbst auch schon mal am eigenen Leib erfahren: Vor einigen Jahren war ich spätabends mit einigen Priesterkollegen in der Innenstadt von Münster unterwegs. Wir kamen von einem eher förmlichen Abendessen und trugen alle die schwarze Priesterkleidung. Als wir dann einer Gruppe schon etwas alkoholisierter Männer begegneten, pöbelten diese uns direkt an und beschimpften uns mit der Parole: „Ihr seid doch alle pädophil!“

Dieser verbale Schlag ins Gesicht hatte gesessen. Und mir ist da ein für alle Mal deutlich geworden: Das Thema Missbrauch ist eine klaffende Wunde in meiner Kirche. Wenn wir hier nicht in der Aufarbeitung, Prävention und „Heilung der Wunden“ weiterkommen, dann ist die Kirche nicht mehr zu retten. Denn sonst ist all ihre Glaubwürdigkeit verspielt. Wen wundert es da noch, dass viele Medien angesichts der Geschehnisse in Köln mittlerweile die Grundsatzfrage stellen: „Ist die Kirche noch zu retten?“ Oder sie – so wie der „Spiegel“ – das Bodenpersonal der Kirche als „Gottes ignorante Diener“3 bezeichnen.

Fakt ist: 2019 sind knapp 273.000 Menschen aus der katholischen Kirche ausgetreten, 2020 schon wieder weit über 200.000. Auch die evangelische Kirche verzeichnet hohe Austrittszahlen. Die Gründe für die Austritte sind verschieden.4 Jahrelange Entfremdung, die finanzielle Seite der Frage wegen der Kirchensteuer und ein fehlender Bezug zu einer ansprechenden Gemeinde oder attraktiven kirchlichen Angeboten spielen sicher eine wichtige Rolle; auch die schon benannte allgemeine Glaubensverdunstung. Ein weiterer wichtiger Faktor ist zudem der Vertrauensverlust. Laut einer „Spiegel“-Umfrage vom Mai 2021 halten 57 Prozent der Katholiken ihre Kirche für wenig oder gar nicht vertrauenswürdig, bei den ehemaligen Katholiken sind es sogar 91 Prozent.

Die Frage wird daher drängender: Brauchen wir die Kirche noch?

Die Covid-19-Pandemie hat diese Frage zusätzlich weiter angeschärft: Im vielleicht größten Menschheitsdrama nach dem Zweiten Weltkrieg haben viele die Kirche und ihre Amtsträger als unsichtbar und unbedeutend erlebt. Dabei sind wir doch eigentlich die Experten für die existenziellen Fragen des Lebens, wenn es um Leiden, Trauer und Tod geht.

Beim Thema Kirchenaustritt haben die Erschütterungen längst auch mein privates Umfeld erreicht. Ein guter Seismograf ist mir da meine Jugendclique aus dem Ruhrgebiet. Immer kurz nach Weihnachten treffe ich mich mit drei anderen Jungs von früher in der Heimat. Während wir an den Festtagen 2018 noch alle katholisch waren, stand ich ein Jahr später auf einmal als einziger Katholik da: Zwei waren mittlerweile ausgetreten und einer war zur evangelischen Kirche konvertiert. Ich möchte es mir lieber nicht ausmalen, wie es ganz generell in meinem Abi-Jahrgang (2000) aussieht: Wie viele der rund 100 Personen, die heute alle so um die 40 Jahre alt sind, mögen wohl noch Kirchenmitglieder sein?

Glaube und Tun

Der große Vertrauensverlust der Kirche beeinflusst auch die Frage nach dem Glauben. Denn für viele Menschen hängt die Hinwendung oder Abkehr vom christlichen Glauben eng zusammen mit dem, was die Kirche tut, sagt oder lässt. Ist oder erscheint das Tun und Sagen der Kirche in gewissen Bereichen unglaubwürdig oder doppelbödig, wachsen die Zweifel, ob der Glaubensbotschaft der Kirche zu trauen ist. Jeder Skandal in der Kirche rund um Geld, Sex oder Macht wirft für viele „normale Gläubige“ einen Schatten auf die kirchliche Verkündigung. Wenn sich bestimmte Gruppen von Menschen von der Kirche zurückgesetzt und ungerecht behandelt oder von Wortmeldungen von kirchlichen Vertretern oder von „Rom“ gar beleidigt fühlen, dann stellt sich für viele die Frage, wie das mit dem hoffnungsfrohen, barmherzigen und wahrhaft inklusiven Evangelium zusammenzubringen ist. Hier entstehen Risse und Wunden, die nicht so leicht zu kitten und zu heilen sind.

Der aktuelle Zustand der Kirche schadet demnach auch der christlichen Botschaft. Das tut mir sehr weh. Denn ich halte das Evangelium und insbesondere die Person und das Lebensschicksal von Jesus Christus für absolut überzeugend und vertrauenswürdig. Dieser Jesus ist wie ein Licht und aus meiner Sicht ist es die Aufgabe der Kirche, diesem Licht zum Strahlen zu verhelfen. Ganz im Sinne der ermutigenden Worte aus der Bergpredigt: „Ihr seid das Licht der Welt. Eine Stadt, die auf einem Berg liegt, kann nicht verborgen bleiben […]. So soll euer Licht vor den Menschen leuchten, damit sie eure guten Taten sehen und euren Vater im Himmel preisen“ (Matthäus 5,14ff).

Mit diesen Worten benennt Jesus ganz klar: Erfahren die Menschen bei den Christen und der Kirche etwas vom göttlichen Licht und erkennen deren gute Taten, dann wird auch ein Weg zu Gott und zum Lobpreis Gottes geöffnet. Daher ist es so schmerzhaft, wenn viele Menschen – oft zu Recht – den Eindruck haben, dass die Kirche das Licht Christi eher hinter kalten Paragrafen und „gnadenlosen“ Kategorisierungen und Entscheidungen dimmt oder nahezu auslöscht. Dabei will die Kirche doch auch laut eigenem Bekunden einen gnädigen und liebenden Gott verkünden. Nur leider wirkt sie oft wie die Verkünderin eines großen Neins statt eines bedingungslosen Jas.

Das persönliche Wagnis

Für mich ergeben sich daraus zwei Folgerungen: Zum einen geht es darum, die Spannung und die Unterschiede zwischen „der“ Kirche und dem persönlichen Glauben auszuhalten und einen gewissen Spagat zu wagen. Ich weiß, es gibt keine hundertprozentige Deckungsgleichheit zwischen meiner Vorstellung vom Evangelium, meinen Glaubensidealen und der real existierenden Kirche und übrigens auch meines konkreten Versuchs, den Glauben zu leben und Kirche zu gestalten. Ich plädiere daher dafür, nicht nur zu dekonstruieren und nur das Schlechte zu sehen, sondern auch positiv Kirche zu konstruieren, mitzuprägen und trotz allem Leiden an der Kirche und aller Abgründe die Verbindung zu halten und vielleicht sogar die Kirche neu schätzen und lieben zu lernen.

Zum christlichen Glauben gehört immer auch die Gemeinschaft, die Vernetzung von Vergangenheit und Zukunft, das größere Ganze. Ohne tragende Glaubensgemeinschaft, also ohne Kirche, ist eine beständige christliche Existenz für mich kaum oder gar nicht denkbar. Daher habe ich die Kirche noch nicht aufgegeben und möchte vor allem in Kapitel 9 zeigen, wie man in der Kirche Gott „livehaftig“ erfahren kann. Ich bin überzeugt, jeder und jede kann einen Platz in der Kirche finden.

Zum anderen scheint es aber zugleich Gebot der Stunde zu sein, der ganz persönlichen, individuellen Ebene des Glaubens große Aufmerksamkeit zu schenken – weg von den Negativmeldungen über Kirche und ihre Vertreter und weg von bloßen allgemeingesellschaftlichen Trends.

Der Glaube richtet sich zunächst an das Du, an das konkrete und persönliche Du. Und damit sind wir wieder bei der Frage vom Anfang des Kapitels: Woran glaubst du?

Glaube ist eine Sache zwischen dir und Gott. Und zwar eine Sache des Vertrauens. Kannst du dich von Jesus, von seinem Evangelium, vom Licht des Glaubens angesprochen fühlen? Lösen die Worte Jesu, die Hoffnung des Glaubens eine Resonanz in dir aus? Dazu möchte ich in den folgenden Kapiteln meine zentralen Gedanken mitteilen und aufzeigen, inwiefern Glaube bedeutet, das Wagnis Vertrauen einzugehen.

2. Glaube bedeutet Vertrauen

Nicht nur die Kirche und viele christliche Gemeinschaften haben ein Glaubwürdigkeitsproblem und leiden unter Vertrauensverlust. Auch bei anderen gesellschaftlichen Gruppen und Institutionen gerät etwas ins Wanken. Werden sie durch Skandale erschüttert, gelten sie daraufhin als wenig vertrauenswürdig. Das betrifft politische Parteien genauso wie Interessensverbände, Automobilkonzerne, Sportvereine, und zwar nicht nur den DFB, bis hin zu kleinen Ortsgruppen. Denkt man daran, kommen einem eigene Bilder aus der Vergangenheit und entsprechende Skandale in den Kopf. Doch die damit schnell verbundene Einsicht „auch andere haben viel Dreck am Stecken“ macht selbstverständlich das Tun und Lassen der Kirche nicht besser. Der Blick auf „die anderen“ ist mir an dieser Stelle nur wichtig für die Gesamteinordnung, um zu verdeutlichen, wie ausschlaggebend Glaubwürdigkeit und wie fatal ein Vertrauensverlust für eine Gemeinschaft oder Gruppe sind.

In unserem Alltag wissen wir aus eigener Erfahrung: Werte wie Vertrauen, Verlässlichkeit, Verantwortung und Treue können in unseren Beziehungen enttäuscht werden. Wir erleben Beziehungen, Cliquen, Partnerschaften und Ehen als zerbrechlich. Für Liebe und Freundschaft gilt so gesehen auch das treffende Bild, das der Apostel Paulus in der Bibel für den Glauben benutzt. Nämlich dass wir diesen Schatz in „zerbrechlichen Gefäßen“ tragen (vgl. 2. Korinther 4,7). Es handelt sich um fragile und daher um besonders schützenswerte Güter. Wohl gerade deshalb ist da bei vielen, insbesondere bei jungen Menschen, eine große Sehnsucht nach Klarheit, verlässlichen Haltungen und Werten. In Umfragen werden regelmäßig Familie und Freunde als die beiden wichtigsten Werte für das Leben angegeben.

Nach Ansicht einiger Zukunftsforscher ist die Familie sogar die neue Glaubensgemeinschaft der Deutschen: Die Menschen könnten einfach nicht anders, als im Leben an etwas Unangreifbares zu glauben, um den Halt und Sinn des Lebens nicht zu verlieren; daher „glaubten“ sie vor allem an die Familie, weil sie ohne das Gefühl der Geborgenheit nicht leben könnten.5 Gerade in der letzten Zeit, insbesondere verstärkt nach den Erfahrungen in der Coronapandemie, werden vor allem von Psychologen und Soziologen gute Freunde und tragende Freundschaften als noch zentraler als die Familie angesehen. Und wissenschaftliche Studien zeigten immer wieder, dass sich Beziehungen positiv auf Körper und Seele auswirken würden. Wer von guten Freunden umgeben sei, habe sogar eine höhere Lebenserwartung.6 Der Psychologe und „Freundschaftsforscher“ Wolfgang Krüger stellt dazu fest: „Herzensfreundschaften dauern länger als viele Ehen.“ Und weiter: „Wir brauchen Freundschaften quasi als den Ort einer großen Verlässlichkeit im Leben.“7 Das alte Lied der Comedian Harmonists „Ein Freund, ein guter Freund, das ist das Beste, was es gibt auf der Welt“ hat demnach nichts von seiner Gültigkeit verloren.8

Glauben heißt, sich auf etwas zunächst Unbekanntes einzulassen