Einführung Gesundheitspsychologie

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Abb. 1.2: Verwandte Disziplinen der Gesundheitspsychologie (nach Kaptein/Weinman 2004)

Klinische Psychologie

Klinische Psychologie beschäftigt sich mit der Erforschung von Ursachen und effektiven Behandlungsstrategien psychischer Störungen, z. B. Phobien, Depression, Substanzmittelmissbrauch etc. Insbesondere in den kognitiven Depressions- und Angsttheorien sowie den daraus abgeleiteten verhaltenstherapeutischen Interventionen finden sich viele Schnittstellen zu gesundheitspsychologischen Verhaltensmodellen (s. Kap. 2 und 3).

Psychiatrie

Die Psychiatrie beschäftigt sich ebenfalls mit psychischen Störungen. Im Unterschied zur Klinischen Psychologie wird hier ein breiteres Behandlungskonzept angelegt. Neben der Pharmakotherapie und sozialtherapeutischen Maßnahmen wird ebenfalls Psychotherapie – wenn auch oft nur mit geringerem Gewicht – angewandt. Grundvoraussetzung für den Beruf des Psychiaters ist das Medizinstudium, die Facharztausbildung erfordert zusätzlich eine psychotherapeutische Weiterbildung.

Konsultationspsychiatrie

Die Konsultationspsychiatrie ist eine Subdisziplin innerhalb der psychiatrischen Versorgung. Ihre Aufgabe ist die Versorgung somatisch kranker Patienten, bei denen psychische Probleme bekannt sind oder auffällig werden, die entweder in direktem Zusammenhang mit der Genese der somatischen Erkrankung vermutetet werden oder als Folge davon auftreten. Konsultationspsychiater werden herangezogen, um Differenzialdiagnosen zu erstellen und spezifische Behandlungen für psychische Probleme vorzuschlagen.

Psychosomatik

Die Psychosomatik, auch ein Zweig der Medizin, beschäftigt sich in Forschung und Klinik ebenfalls mit der Verbindung biologischer, psychologischer und sozialer Determinanten von Krankheit. Dieses Fach legt einen „holistischen“ Ansatz bei der Therapie von Erkrankungen zugrunde. Es wird damit angenommen, dass nur eine konsequent multikausale, d. h. körperliche und psychische Faktoren betreffende, Betrachtungsweise der Erklärung der Entstehung von Krankheit gerecht wird. Dabei legt die psychosomatische Forschung im Vergleich zur Gesundheitspsychologie einen größeren Schwerpunkt auf die konkreten Schnittstellenmechanismen, die Erleben und Verhalten in physiologische Reaktionen übersetzen (Heuser 2002; s. a. Kap. 4 und 6).

Verhaltensmedizin

Die Verhaltensmedizin ist am engsten mit der Gesundheitspsychologie verknüpft und somit am schwierigsten von ihr abzugrenzen. Die Verhaltensmedizin versteht sich als interdisziplinäres Fach: Sie treibt die Integration von biomedizinischen, Verhaltens- und psychosozialen Modellen voran, insofern diese für die Prävention, Diagnose und Behandlung somatischer Störungen relevant sind. Dabei greift die Verhaltensmedizin nicht nur auf Erkenntnisse der Psychologie, sondern auch der Medizin zurück. Der Forschungsschwerpunkt der Verhaltensmedizin liegt im Vergleich zur Gesundheitspsychologie weniger auf der Prävention, sondern auf der Behandlung und Rehabilitation. Dennoch gibt es viele Überschneidungen, und fachspezifische Konferenzen werden von Vertretern beider Disziplinen besucht.

Medizinische Psychologie

Medizinische Psychologie schließlich beschreibt ein Betätigungsfeld für Psychologen, die in medizinischen Versorgungsstrukturen (insbesondere Universitätskliniken) tätig sind. Medizinische Psychologen sind mit der Ausbildung von Studierenden der Humanmedizin beauftragt. Im Sinne einer „Krankheitspsychologie“ werden die psychischen Aspekte von Erkrankungen, deren Ursachen und Folgen untersucht. Im Vordergrund stehen dabei vor allem das Erleben und Verhalten der Patientinnen und Patienten und deren Interaktion mit dem medizinischen Fachpersonal in unterschiedlichen medizinischen Kontexten.

Gesundheitswissenschaften / Public Health

Gesundheitswissenschaften integrieren Erkenntnisse aus verschiedenen wissenschaftlichen Einzeldisziplinen (z. B. Medizin, Psychologie, Erziehungs- und Sozialwissenschaften, Umwelthygiene) zu einer bevölkerungsbezogenen Sicht auf Gesundheit. Sie befassen sich mit der Analyse von Bedingungen für Gesundheit und Krankheit, der Verbreitung von gesundheitlichen Störungen in der Bevölkerung sowie der Ableitung und Evaluation von Maßnahmen zur Gesundheitsförderung und Prävention in großen Bevölkerungsgruppen (Hurrelmann / Razum 2012). Der englische Begriff „Public Health“ wird oft parallel verwendet und steht sowohl für eine wissenschaftliche Disziplin, als auch für Interventionen in der Praxis, die die Gesundheit einer Bevölkerungsgruppe betreffen (z. B. Infektionsschutz). Grundlagenwissenschaftliche Erkenntnisse der Gesundheitspsychologie werden zum Beispiel für die Entwicklung von Aufklärungskampagnen und gemeindebezogenen Interventionen herangezogen.

1.4 Zusammenfassung

Die Gesundheitspsychologie ist eine Teildisziplin der Psychologie, die der Grundlagen- und anwendungsorientierten Forschung zur Förderung von Gesundheit, Prävention, Behandlung und Rehabilitation von Krankheit sowie der Verbesserung gesundheitlicher Versorgung verpflichtet ist. Dabei integriert sie Erkenntnisse aus der Verhaltens-, Kognitions-, Emotions- und Sozialpsychologie, soweit sie für diese Ziele relevant sind. Es zeichnen sich zwei Schwerpunkte dieser Disziplin ab: zum einen die Modifikation gesundheitsrelevanter Verhaltensweisen, wie z. B. die Aufnahme und Aufrechterhaltung einer gesunden Ernährung. Zum anderen beschäftigt sich die Gesundheitspsychologie mit der Bewältigung von bestehenden Krankheiten und der damit in Verbindung stehenden Lebensqualität betroffener Individuen.


1.5 Fragen zum Lernstoff

1. Wie unterscheidet sich die Auffassung von Gesundheit des biomedizinischen Modells von der des biopsychosozialen Modells?

2. Warum konnte sich die Gesundheitspsychologie als wissenschaftliche Disziplin etablieren?

3. Womit beschäftigt sich die Gesundheitspsychologie?

4. Welche Nachbarfächer der Gesundheitspsychologie kennen Sie und wo liegen deren inhaltlichen Schwerpunkte?

2 Gesundheitsverhalten


Gesundheitsverhalten

Unter Gesundheitsverhalten versteht man ein Verhalten, ein Verhaltensmuster, eine Handlung oder eine Gewohnheit, die mit der Erhaltung, der Wiederherstellung oder mit der Verbesserung von Gesundheit im Zusammenhang steht (Ziegelmann 2002). Dazu zählen regelmäßige körperliche Aktivität, eine gesunde Ernährung, regelmäßige Vorsorgeuntersuchungen, die Verwendung von Sonnenschutzmitteln oder Kondombenutzung bei neuen Sexualpartnern. Verhaltensweisen, die die Gesundheit potenziell gefährden oder sogar nachgewiesenermaßen schädigen, können dagegen als Risikoverhalten bezeichnet werden. Rauchen, Alkohol- und Drogenkonsum sind Beispiele für Risikoverhaltensweisen. Allerdings kann das Nichtrauchen, also das Unterlassen von Risikoverhalten, auch als Gesundheitsverhalten verstanden werden (Scholz / Schwarzer 2005). Die Veränderung von Gesundheitsverhalten ist Gegenstand zahlreicher Theorien, die alle versuchen, die wichtigsten Faktoren, die diesen Prozess beeinflussen und erklären können, zu identifizieren.

2.1 Modelle des Gesundheitsverhaltens

Es gibt verschiedene Möglichkeiten, die existierenden Gesundheitsverhaltensmodelle zu ordnen. Beispielsweise bietet sich eine Einordnung in kontinuierliche Prädiktionsmodelle und dynamische Stadienmodelle an (Sniehotta / Schwarzer 2003; Weinstein et al. 1998b).

kontinuierliche Modelle

Kontinuierliche Modelle zeichnen sich dadurch aus, dass sie einer Auswahl an kognitiven und affektiven Variablen die größte Wichtigkeit für ein Verhalten oder eine Verhaltensänderung zuschreiben. Die Grundannahme ist, dass sich Personen auf einem Kontinuum einer Verhaltenswahrscheinlichkeit befinden (deshalb auch kontinuierliche Modelle). Die Wahrscheinlichkeit zu handeln ist vor allem dann besonders hoch, wenn die Personen eine günstige Ausprägung auf den modelleigenen kognitiven und affektiven Variablen haben. Zu den kontinuierlichen Prädiktionsmodellen gehören

die sozial-kognitive Theorie von Bandura (1986),

das Modell gesundheitlicher Überzeugungen (Health Belief Model, HBM; Becker 1974; Rosenstock 1966),

die Theorie der Handlungsveranlassung (Theory of Reasoned Action, TRA; Ajzen / Fishbein 1980; Fishbein / Ajzen 1975),

 

die Theorie des geplanten Verhaltens (Theory of Planned Behaviour, TPB; Ajzen 1985; 1991) und

die Theorie der Schutzmotivation (Protection Motivation Theory, PMT; Rogers 1975; 1983).

dynamische Stadienmodelle

Die dynamischen Stadienmodelle sind in ihrer Struktur und ihrem Aufbau deutlich verschieden von den kontinuierlichen Modellen. Hier wird angenommen, dass eine Person während ihrer Verhaltensänderung qualitativ unterschiedliche Phasen durchläuft und eben nicht auf einem Kontinuum voranschreitet. Zu den dynamischen Stadienmodellen gehören z. B.

das sozial-kognitive Prozessmodell gesundheitlichen Handelns (Health Action Process Approach, HAPA; Schwarzer 1992),

das Transtheoretische Modell der Verhaltensänderung (Transtheoretical model, TTM; Prochaska / DiClemente 1983) und

das Prozessmodell präventiven Handelns (Precaution Adoption Process Model, PAPM; Weinstein / Sandman 1992).

Modellklassen und Interventionen

Die unterschiedlichen Annahmen beider Modellklassen haben Auswirkungen auf mögliche Interventionsmaßnahmen: Vertreter der kontinuierlichen Modelle lassen alle Personen an den gleichen Interventionen teilnehmen, um sie auf dem angenommenen Kontinuum der Verhaltenswahrscheinlichkeit weiter in Richtung Verhalten zu führen. Die Vertreter der Stadienmodelle dagegen entwickeln maßgeschneiderte Interventionen („tailored interventions“) für jedes Stadium. Denn sie nehmen an, dass eine Intervention nur dann hilfreich ist, wenn sie ganz genau zu den stadienspezifischen Bedürfnissen der Personen passt.

In den nächsten Abschnitten stellen wir die wichtigsten Vertreter beider Modellarten vor. Anschließend gehen wir etwas genauer auf die Unterschiede zwischen beiden Modellarten ein. Im Anschluss daran, lernen wir Modellvorstellungen und Forschung zum Rückfall kennen. Den Abschluss dieses Kapitels bildet die Darstellung von Forschung zu speziellen Gesundheitsverhaltensweisen.

2.1.1 Die sozial-kognitive Theorie von Bandura

Im Jahr 1977 stellte Bandura seine sozial-kognitive Theorie erstmals vor. Seither gehören diese Theorie und ihre zwei Hauptkonstrukte, die Selbstwirksamkeitserwartungen und die Handlungsergebniserwartungen, in den unterschiedlichsten Bereichen der Psychologie zum Standardrepertoire. Auch in der gesundheitspsychologischen Forschung spielt diese Theorie eine bedeutende Rolle. In diesem Abschnitt sollen vor allem die beiden Konstrukte Selbstwirksamkeit und Handlungsergebniserwartungen vorgestellt werden. Eine ausführliche Beschreibung der umfassenden Theorie von Bandura kann an anderer Stelle nachgelesen werden (z. B. Bandura 2001; Schwarzer 2004).

Selbstwirksamkeit und Handlungsergebniserwartungen

Bandura nimmt an, dass kognitive, motivationale, emotionale und aktionale Prozesse durch subjektive Erwartungen gesteuert werden, und zwar vor allem durch Handlungsergebniserwartungen und Selbstwirksamkeitserwartungen. Gehen wir davon aus, dass ein Herzpatient darüber nachdenkt, seine Ernährung umzustellen, um sein koronares Risiko zu senken. Er wird vermutlich die Vor- und Nachteile der Ernährungsumstellung gegeneinander abwägen. Das geschieht in Form von Handlungsergebniserwartungen bzw. Konsequenzerwartungen, also den erwarteten Konsequenzen des eigenen Handelns. Der Patient könnte z. B. folgende positive Handlungsergebniserwartung für seine Ernährungsumstellung haben: „Wenn ich mich fettarm ernähre, dann senke ich mein Risiko für einen Herzinfarkt.“ Gleichzeitig könnte er aber negative Handlungsergebniserwartungen formulieren. Zum Beispiel: „Wenn ich mich fettarm ernähre, dann schmeckt mir das Essen nicht mehr.“ Welches Ziel sich eine Person setzt, hängt davon ab, ob die positiven oder die negativen Handlungsergebniserwartungen überwiegen.

Allerdings haben diese erwarteten Vor- und Nachteile eines Verhaltens noch nichts damit zu tun, ob sich eine Person auch selbst in der Lage sieht, das Verhalten in die Tat umzusetzen. Das ist vielmehr Gegenstand der Selbstwirksamkeitserwartung bzw. Kompetenzerwartung (diese Begriffe werden im Folgenden synonym verwendet). Selbstwirksamkeit ist die Einschätzung der eigenen Kompetenz einer Person, ein Verhalten auch in schwierigen Situationen ausführen zu können. Auch wenn unser Herzpatient also nur Vorteile einer fettarmen Ernährung sehen würde, so kann es dennoch sein, dass er sich selbst überhaupt nicht zutraut, sich tatsächlich langfristig so zu ernähren. Er könnte z. B. die Aussage „Ich bin mir sicher, dass ich mich fettarm ernähren kann, auch wenn ich viel auswärts esse“ verneinen und somit nicht über eine notwendige Selbstwirksamkeitserwartung verfügen. Sowohl Handlungsergebniserwartungen als auch die Selbstwirksamkeit sind nach Bandura wichtige Prädiktoren für Ziele und Verhalten (s. Abb. 2.1).


Abb. 2.1: Vereinfachte Darstellung der sozialkognitiven Theorie (nach Bandura 1977)

Korrelate der Selbstwirksamkeit

Personen, die selbstwirksam sind, setzen sich höhere Ziele und initiieren Handlungen schneller. Sie strengen sich mehr an und geben auch angesichts von Schwierigkeiten und Barrieren nicht so schnell auf wie wenig selbstwirksame Personen (Bandura 1997). Außerdem erholen sich selbstwirksamere Personen auch schneller von Rückschlägen und Misserfolgen. Insgesamt ist die Selbstwirksamkeit einer Person ein wichtiges Element kompetenter Selbstregulation.

Quellen der Selbstwirksamkeit

Wie kann nun die Selbstwirksamkeit (SWE) gefördert werden? Bandura gibt vier verschiedene Quellen an, aus denen sich die Selbstwirksamkeit einer Person entwickeln kann (Bandura 1986).

Die erste und stärkste Quelle ist die erfolgreiche Ausführung einer Handlung (engl.: mastery experience), sofern sich dieser Erfolg wiederholt und von der Person internal attribuiert wird. Wenn z. B. eine ältere Frau es schafft, eine Stunde ohne Pausen zu joggen, und sie dies nicht allein ihrer Tagesform oder dem Ansporn durch ihre Mitläuferin zuschreibt, sondern ihrem guten Trainingszustand, wird das ihre Selbstwirksamkeit für den nächsten Lauf erhöhen.

Die zweite mögliche Quelle für Selbstwirksamkeitserwartungen ist die stellvertretende Erfahrung (engl.: vicarious experience). Durch die Beobachtung eines der Person ähnlichen „Modells“, welches mit Erfolg eine schwierige Situation meistert, werden durch soziale Vergleichsprozesse Schlussfolgerungen auf die eigene Person gezogen. Dies kann wiederum die Selbstwirksamkeit der beobachtenden Person beeinflussen. Wenn also die ältere Läuferin von einer gleich alten Freundin mit ähnlichem Trainingszustand gehört hat, dass diese eine Stunde ohne Pause gejoggt ist, könnte sie daraus geschlossen haben, dass sie dazu auch in der Lage sei.

Die dritte Quelle für die Selbstwirksamkeit ist die symbolische Erfahrung (engl.: symbolic experience), z. B. durch verbale Überzeugung von anderen. Auch hier können wir das Beispiel der älteren Läuferin anwenden. Es könnte sein, dass ihre Freunde oder ihr Lauftrainer ihr gesagt haben, sie seien überzeugt davon, dass sie es schaffen wird, 60 Minuten lang zu joggen. Das Vertrauen der anderen Personen in ihre Kompetenz könnte die Läuferin letztlich davon überzeugen, dass sie wirklich dazu fähig ist.

Die vierte und letzte Quelle der Selbstwirksamkeit ist die emotionale Erregung (engl.: emotional arousal). Nach Bandura schließen Personen aus ihrer emotionalen Erregung auf ihre Kompetenz. Aufregung vor dem Lauf könnte bei unserer Läuferin zu dem Schluss führen, dass sie zu einer solchen Leistung noch nicht fähig ist. Diese Schlussfolgerung hätte dann negative Auswirkungen auf ihre Selbstwirksamkeit.

Die vier Quellen unterscheiden sich in der Stärke ihres Einflusses auf die Selbstwirksamkeit: Die erste Quelle (die persönliche Erfahrung) ist die stärkste und die letzte Quelle (die emotionale Erregung) die schwächste. Die Wichtigkeit persönlicher Erfahrung belegen Studien aus dem Bereich der Rauchentwöhnung. Die Selbstwirksamkeit vor der Rauchentwöhnung hatte meist nur einen geringen oder gar keinen Effekt auf das nachfolgende Rauchverhalten. Die Selbstwirksamkeit am Ende eines Entwöhnungsprogramms, also nachdem die Personen schon Erfahrung mit dem neuen Verhalten gemacht haben, erwies sich hingegen als bedeutender Prädiktor für den Abstinenzerfolg (z. B. Mudde et al. 1995).

SWE: bereichsspezifisch und generalisiert

Bandura begreift Selbstwirksamkeitserwartungen (SWE) als bereichsspezifisch, z. B. Selbstwirksamkeit bezüglich einer Sportart. Es gibt aber auch Ansätze, die eine generalisierte Selbstwirksamkeit postulieren. Das Konstrukt der generalisierten Selbstwirksamkeitserwartung basiert auf der Idee, dass sich die verschiedenen spezifischen Selbstwirksamkeitserwartungen einer Person in einer generalisierten Form als zeitstabiles Konstrukt widerspiegeln. Diese allgemeine Selbstwirksamkeit drückt sich in einem globalen Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten aus, mit neuen und schwierigen Situationen umgehen zu können. Eine gut validierte und reliable Skala zur Erfassung der generellen Selbstwirksamkeit stammt von Schwarzer und Jerusalem (1999).

SWE und Optimismus

Nicht zu verwechseln ist die Selbstwirksamkeit übrigens mit dem Konstrukt des Optimismus. Der theoretische Unterschied liegt in der Attribuierung von Ursachen. Ein optimistischer Mensch würde z. B. sagen, dass alles schon irgendwie gut wird – auch aufgrund von externalen unkontrollierbaren Ursachen wie etwa Glück oder Schicksal. Ein selbstwirksamer Mensch sagt hingegen: „Alles wird gut, weil ich das kann.“ Bei der Selbstwirksamkeit geht es also nur um die Einschätzung der eigenen Kompetenz und nicht um die generelle positive Einschätzung der Zukunft.

Allerdings reicht eine hohe Selbstwirksamkeit alleine nicht aus, um eine Verhaltensänderung zu bewirken. Sie wirkt vor allem in Verbindung mit anderen wichtigen Konstrukten der Verhaltensänderung wie Intentionen, Planung und weiteren selbstregulativen Fähigkeiten. Im Folgenden sollen weitere Theorien der Gesundheitsverhaltensänderung vorgestellt werden.

2.1.2 Das Modell gesundheitlicher Überzeugungen (Health Belief Model, HBM)

Das Modell gesundheitlicher Überzeugungen (Health Belief Model, HBM; Rosenstock 1966; Becker 1974; Janz / Becker 1984) wurde in den 50er Jahren entwickelt. Das Ziel war, Faktoren zu identifizieren, die im Rahmen von Gesundheitsprogrammen beeinflusst werden können, um das Gesundheitsverhalten in der Bevölkerung zu verändern. Damals war vor allem bekannt, dass das Gesundheitsverhalten mit Variablen zusammenhängt, die nicht veränderbar sind, wie etwa der sozioökonomische Status, das Geschlecht und das Alter. Folglich war es wichtig, andere veränderliche Faktoren miteinzubeziehen, an denen Interventionen ansetzen konnten (Abraham / Sheeran 2015).

 

HBM: Grundannahme

Die Grundannahme des HBM lautet, dass die Wahrscheinlichkeit einer Verhaltensänderung mit dem Grad der wahrgenommenen Gesundheitsbedrohung und mit dem Ausmaß der wahrgenommenen Wirksamkeit der Verhaltensänderung als Mittel der Bedrohungsreduktion ansteigt. Die wahrgenommene Gesundheitsbedrohung setzt sich aus zwei Faktoren zusammen: der subjektiven Vulnerabilität (Verwundbarkeit) für eine Krankheit und dem wahrgenommenen Schweregrad einer Krankheit (Abraham / Sheeran 2015).

Die subjektive Vulnerabilität betrifft Überzeugungen über die Anfälligkeit für eine Erkrankung. Ein Raucher, der sich als gefährdet erlebt, Lungenkrebs zu bekommen, hat demnach eine hohe eingeschätzte Vulnerabilität.

Der Schweregrad einer Krankheit betrifft die Einschätzung über die Schwere der Konsequenzen einer Erkrankung. Krebs wird beispielsweise häufig als eine sehr schwerwiegende, eine Erkältung aber eher als eine weniger schwerwiegende Krankheit eingeschätzt.

Wirksamkeit der Gegenmaßnahme

Der wahrgenommenen Gesundheitsbedrohung durch eine Krankheit steht die Wirksamkeit einer Gegenmaßnahme gegenüber, z. B. mit dem Rauchen aufhören als wirksames Mittel gegen diese Bedrohung. Die Wirksamkeit der Gegenmaßnahme setzt sich auch wieder aus zwei Komponenten zusammen: dem subjektiven Nutzen und den Kosten einer Maßnahme. Ein Nutzen könnte sein, dass die Aufgabe des Rauchens tatsächlich die Gefahr für Lungenkrebs verringert. Mögliche Kosten oder auch Barrieren wären eine Gewichtszunahme oder zeitweise Verdauungsstörungen. Diese Kosten und Nutzen eines Gesundheitsverhaltens sind also nichts anderes als negative und positive Handlungsergebniserwartungen, die wir schon aus der sozial-kognitiven Theorie von Bandura (1997) kennen. Zusammen mit der wahrgenommenen Gesundheitsbedrohung führt die Wirksamkeitseinschätzung nach Annahmen des ursprünglichen Modells zur Aufnahme des Gesundheitsverhaltens.

Gesundheitsmotivation und Hinweisreize

In einer revidierten Version des HBM wurde zusätzlich die Gesundheitsmotivation mitaufgenommen (z. B. Becker et al. 1977). Die Gesundheitsmotivation ist die Bereitschaft, sich um gesundheitliche Fragen zu kümmern. Außerdem wurden noch situative Faktoren in das Modell integriert: die Hinweisreize (engl.: cues to action). Das könnten z. B. Gesundheitskampagnen oder die Wahrnehmung von Symptomen sein. Darüber hinaus beinhaltet das HBM noch soziodemografische Variablen wie Alter und Geschlecht und psychologische Charakteristiken, wie etwa Persönlichkeitvariablen. Das gesamte Modell ist in Abb. 2.2 dargestellt.


Abb. 2.2: Das Modell gesundheitlicher Überzeugungen (Health Belief Model, HBM) angelehnt an Abraham und Sheeran (2015)


Kritisch sollte angemerkt werden, dass die Autoren des HBM keinerlei Annahmen darüber treffen, wie die einzelnen Faktoren der Gesundheitsbedrohung und der Wirksamkeit der Gegenmaßnahme für die Vorhersage von Verhalten kombiniert werden könnten (Abraham / Sheeran 2015).

Insgesamt finden sich bei näherer Betrachtung weitere sowohl theoretische als auch empirische Schwächen des Health Belief Model. Angefangen bei der Grundannahme, dass die wahrgenommene Gesundheitsbedrohung und die wahrgenommene Wirksamkeit eines Gesundheitsverhaltens ausreichen, um eine Verhaltensänderung zu bewirken (s. Kasten 2.1). Diese Variablen weisen keine große Vorhersageleistung für eine Gesundheitsverhaltensänderung auf, wie z. B. eine Metaanalyse von Harrison und Kollegen (1992) belegt, die insgesamt 147 Studien zum HBM integriert. Die Beforschung der persönlichen Risikowahrnehmung ist übrigens ein eigenes Forschungsfeld in der Gesundheitspsychologie. Siehe dazu Kasten 2.1.

„Rauchen kann tödlich sein“ oder „Rauchen verursacht tödlichen Lungenkrebs“ – das sind Beispiele für Warnhinweise, die seit dem 01. Oktober 2003 auf allen Zigarettenschachteln in der EU und der Schweiz zu finden sind. Alle Raucher sollten also mittlerweile um das gesundheitliche Risiko durch das Rauchen wissen. Doch heißt das auch, dass eine Raucherin sich selbst als gefährdet ansieht? Häufig unterschätzen wir unser eigenes Risiko. Die Frage, warum das so ist, hat sehr viel Forschung angeregt (Schwarzer / Renner 1997).

Es gibt verschiedene Erklärungsmöglichkeiten. Zum einen kann es sein, dass das eigene Risiko aufgrund von falschen oder fehlerhaften Informationen unterschätzt wird (z. B. wenn eine Person nicht weiß, dass das Risiko für eine ungewollte Schwangerschaft bei Verwendung von Verhütungsmitteln mit der Zeit ansteigt). Zum anderen – und das ist für Gesundheitspsychologen besonders interessant – unterliegen wir offenbar leicht einem „optimistischen Fehlschluss“ oder „unrealistischem Optimismus“, was unsere eigene Anfälligkeit für Krankheiten (Vulnerabilität) angeht (Weinstein 1980; 1987). Auch im Vergleich zu einer anderen Person gleichen Alters und Geschlechts (komparative Vulnerabilitätseinschätzung) unterschätzen wir unser eigenes Risiko, z. B. an einem Herzinfarkt zu sterben.

In einem Experiment hat Neil Weinstein diese optimistische Verzerrung (optimistic bias) entdeckt. Er bat seine Studierenden, ihr Risiko für verschiedene Krankheiten im Vergleich zu ihren Peers einzuschätzen. Da aber alle Studierenden ihr Risiko als unterdurchschnittlich einschätzten, mussten sie alle einem optimistischen Fehlschluss unterliegen. So lag nämlich die mittlere Risikoeinschätzung, die eigentlich dem Skalenmittel entsprechen müsste, unter diesem Skalenmittel (Weinstein 2003). Das eigene Risiko wird vor allem dann unterschätzt, wenn es sich um eine abstrakte Vergleichsperson, z. B. „der durchschnittliche Student“, handelt. Dagegen ist die optimistische Verzerrung etwas geringer ausgeprägt, wenn die Vergleichsperson konkreter vorgegeben wird (z. B. eine 20-jährige Frau, die eine Schachtel am Tag raucht) und wenn die einschätzende Person sich dieser Vergleichsperson als ähnlich empfindet (s. a. Renner / Hahn 1996).

Trotz dieser positiven Verzerrungen sind die Einschätzungen aber nicht völlig realitätsfern. So schätzten z. B. Raucher ihr Risiko für einen Herzinfarkt, einen Schlaganfall und Krebs richtigerweise höher ein als die befragten Nichtraucher (Strecher et al. 1995). Was die Raucher aber immer noch unterschätzten, war ihr tatsächliches Risiko für diese Krankheiten.

Die Gründe für einen optimistischen Fehlschluss liegen u. a. in Angstabwehrtendenzen und im Bedürfnis nach Selbstschutz (Schwarzer / Renner 1997). Diese Unterschätzung des eigenen Risikos kann gravierende Folgen haben, z. B. wenn die Auswirkungen des Rauchens auf die eigene Gesundheit unterschätzt werden.

Wie kann man also der Unterschätzung des eigenen Risikos begegnen? Am besten wäre es, Personen mit individuellen Rückmeldungen über ihr Risiko zu versorgen, da diese nur schwer verzerrt werden können. Das ist innerhalb von Gesundheitskampagnen natürlich nicht zu leisten. Deshalb sollte hier zumindest darauf geachtet werden, dass mit konkreten Beispielpersonen gearbeitet wird, die in etwa der Bezugsgruppe entsprechen. Eine ausführlichere Darstellung der Forschung zur Risikowahrnehmung kann bei Renner (2003) sowie bei Weinstein (2003) nachgelesen werden.

Kasten 2.1: Optimistischer Fehlschluss bei der Risikoeinschätzung


Ein weiterer Kritikpunkt am HBM betrifft die Tatsache, dass die Intention, die in den meisten anderen Modellen des Gesundheitsverhaltens als wichtigster Prädiktor des Verhaltens enthalten ist, im HBM gar nicht auftaucht. Insgesamt kann man sagen, dass das Health Belief Model zwar viel Forschung angeregt hat, seine Vorhersageleistung in Bezug auf Verhaltensänderung aber hinter neueren Modellen weit zurück bleibt.

2.1.3 Die Theorie der Handlungsveranlassung (Theory of Reasoned Action, TRA) und die Theorie des geplanten Verhaltens (Theory of Planned Behavior, TPB)

Die Theorie des geplanten Verhaltens (Theory of Planned Behaviour, TPB; Ajzen 1985; 2002) ist ursprüngliche keine gesundheitspsychologische Theorie, sondern stammt aus der Sozialpsychologie. Dennoch ist sie einer der am häufigsten verwendeten Ansätze zur Vorhersage und Erklärung von Gesundheitsverhalten. Sie ist eine Erweiterung der Theorie der Handlungsveranlassung (Theory of Reasoned Action, TRA; Fishbein / Ajzen 1975), die ursprünglich entwickelt wurde, um den Zusammenhang zwischen Einstellung und Verhalten zu erklären. Die Einstellung hatte sich nämlich – entgegen der damaligen Annahmen – als kein guter Prädiktor für das Verhalten erwiesen. Die Autoren nahmen an, dass es noch etwas zwischen Einstellung und Verhalten geben muss, das den Zusammenhang und das Verhalten als Kriterium besser erklären kann: die Intention.

Eine Intention ist eine bewusste Entscheidung einer Person, ein bestimmtes Verhalten auszuführen oder ein bestimmtes Ergebnis zu erreichen. Die Intention gilt in der Theorie der Handlungsveranlassung wie auch in der Theorie des geplanten Verhaltens als der wichtigste Prädiktor des Verhaltens. Beide Theorien nehmen an, dass die Intention selbst durch die Einstellung sowie die soziale Norm beeinflusst wird.

Einstellung

Die Einstellung ist nach Fishbein und Ajzen (1975) eine affektive Bewertung des Verhaltens. In der Regel werden Personen gefragt, ob sie ein Verhalten z. B. gut oder schlecht, angenehm oder unangenehm, dumm oder weise finden (s. Kasten 2.2). Ursprünglich hatten sich Fishbein und Ajzen die Erfassung der Einstellung etwas anders vorgestellt. Statt direkt Items zur Erfassung der Einstellung vorzugeben, sollten noch weitere Überzeugungen erfragt werden, die dann wiederum die Einstellung prädizieren sollten. Diese umfassten Überzeugungen über Verhaltenskonsequenzen, z. B.: „Wenn ich regelmäßig joggen gehe, dann fühle ich mich wohler“, und die jeweiligen Bewertungen dieser Konsequenzen, z. B.: „Mich wohler zu fühlen ist … 1 schlecht bis 7 gut.

subjektive Norm

Die subjektive Norm ist der zweite Prädiktor der Intention. Im Zusammenhang mit der subjektiven Norm interpretiert eine Person, was andere für sie wichtige Menschen von ihr erwarten. Es wird also angenommen, dass die wahrgenommenen Erwartungen anderer Menschen einen Einfluss auf die Intentionsbildung einer Person haben. Auch die subjektive Norm wird in den meisten Studien direkt erfasst (s. Kasten 2.2). Auch im Fall der subjektiven Norm hatten Fishbein und Ajzen eigentlich noch andere Überzeugungen als Prädiktoren spezifiziert. Zu ihnen gehören normative Überzeugungen, z. B.: „Mein bester Freund findet, dass ich mehr Sport treiben sollte“, die dann mit der jeweiligen Einwilligungsbereitschaft: „Ich will gerne tun, was mein bester Freund von mir erwartet“ multipliziert werden.

Es sind Besonderheiten der Theorie der Handlungsveranlassung und der Theorie des geplanten Verhaltens, dass soziale Einflüsse so explizit berücksichtigt werden (Weinstein 1993). Empirisch zeigt die subjektive Norm verglichen mit den anderen Prädiktoren der Intention allerdings häufig den schwächsten Effekt (z. B. Conner / Sparks 2015). Das mag auch daran liegen, dass die subjektive Norm häufig nur mit einem einzelnen Item und nicht mit einer Skala erhoben wird. Dadurch ist die Reliabilität gering und der Vorhersagewert wird geschwächt (Armitage / Conner 2001).