Vertrauen gegen Zweifel

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Vertrauen gegen Zweifel
Šrift:Väiksem АаSuurem Aa

Deutsche Erstausgabe (ePub) Januar 2021

© 2021 by Nora Wolff

Verlagsrechte © 2021 by Cursed Verlag

Inh. Julia Schwenk, Taufkirchen

Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das der Übersetzung,

des öffentlichen Vortrags, sowie der Übertragung

durch Rundfunk und Fernsehen, auch einzelner Teile,

Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit

Genehmigung des Verlages.

Bildrechte Umschlagillustration

vermittelt durch Shutterstock LLC; iStock

Satz & Layout: Cursed Verlag

Covergestaltung: Hannelore Nistor

Druckerei: CPI Deutschland

Lektorat: Julia Schwenk

ISBN-13: 978-3-95823-866-4

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Klappentext:

Fast ein Jahr lang arbeitet Joscha nun schon mit seinem Chef Robert in dessen kleinem Start-up-Unternehmen zusammen, und genauso lange schwärmt er schon für ihn. Als sich auf einer Geschäftsreise in ein romantisches Almhotel endlich die Gelegenheit ergibt, Robert näher kennenzulernen, ergreift Joscha diese direkt – und trifft prompt auf Gegenliebe. Und obwohl Robert ein großes Problem mit Beziehungen am Arbeitsplatz hat, scheint ihre kleine Welt vorerst perfekt. Zumindest bis plötzlich Roberts geliebte Firma auf dem Spiel steht und er sich entscheiden muss: Vertraut er Joscha genug oder lässt er zu, dass seine Zweifel ihre Beziehung zerstören?

Kapitel 1

Den Stylus zwischen die Finger geklemmt, geht Robert noch einmal die Notizen auf seinem Tablet durch. Seine für gewöhnlich schon ernsten Gesichtszüge wirken noch strenger, weil er so konzentriert ist.

Manchmal frage ich mich, ob er bei allem so fokussiert ist, auch außerhalb des Büros. Wenn er Wäsche sortiert, zum Beispiel, oder einkauft. Kein Abstecher zum Süßigkeitenregal, weil einen etwas anlacht. Keine Ich-hab-gerade-Lust-drauf-Schokolade, weil die nicht auf dem Einkaufszettel steht.

Ich betrachte seine langen, schlanken Finger. Oder beim Sex. Widmet er sich den Männern in seinem Bett mit derselben Intensität wie diesen Notizen?

»Okay. Dann sind wir soweit fertig, oder?«

Der Blick aus seinen klaren, blauen Augen trifft mich unvorbereitet und löst ein völlig unangebrachtes, vorfreudiges Kribbeln in mir aus. Ich sollte aufhören, so viele Pornos zu gucken. Im Film mag »Dann sind wir soweit fertig« der Startschuss für den Boss sein, den Angestellten endlich auf seinem Schreibtisch zu vögeln.

In meinem Leben bedeutet das, dass Robert mir gleich einen schönen Feierabend wünscht und mich nach Hause schickt.

Ich räuspere mich und tue so, als würde ich auf meinem Laptop ebenfalls Notizen durchgehen. »Ja. Ich denke schon.«

»Du hast nichts mehr auf der Liste?«

Nichts, das Robert nicht ohnehin schon angesprochen hätte. Jeden Mittwoch setzen wir uns zusammen und besprechen Dinge, für die im Arbeitsalltag keine Zeit bleibt. Pläne für die Zukunft, Ideen, Vorschläge. Gelegentlich rekapitulieren wir die vergangene Woche oder sprechen Probleme an, auf die wir gestoßen sind.

Oft knüpft die Unterhaltung an etwas an, das einer von uns zuvor schon mal angemerkt hat, bevor etwas dazwischengekommen ist. Ein Anruf, ein Meeting, eine Mail. Bei einem Zwei-Mann-Unternehmen wie travele gibt es keine langen Dienstwege oder ewige Wartezeiten auf eine Besprechung. Wenn uns etwas beschäftigt, sagen wir es direkt, nur die ausführliche Diskussion verschieben wir manchmal auf Mittwoch.

Als ich den Kopf schüttle, nickt Robert und legt den Stylus weg. »Ich übertrage die Notizen noch und lege sie in der Cloud ab, damit du auch drauf zugreifen kannst.« Er deutet auf seinen Monitor. »Du kannst aber schon nach Hause...« Nebenbei wirft er einen Blick auf die Uhr und reißt die Augen auf. »Gott, ist es wirklich schon so spät?« Er seufzt. »Tut mir leid, dass ich dich schon wieder so lange hier festhalte.«

»Kein Problem.«

Er zieht die Augenbrauen hoch. »Es ist nach acht. Das ist ein Problem, Joscha. Ich bezahle dich viel zu schlecht für so viele Überstunden.«

Sein zerknirschter Tonfall bereitet mir beinahe ein schlechtes Gewissen. Ich könnte ihm sagen, wie egal mir mein Gehalt oder ein paar Überstunden sind. Dass es mir viel wichtiger ist, wie viel Spaß mir die Arbeit bei ihm macht. Mit ihm. Seine Hingabe für die kleine Firma hat mich vom ersten Tag an fasziniert.

Aber wenn ich das sage, würde ich noch eine ganze Menge mehr preisgeben. Dinge, von denen ich nicht weiß, ob Robert sie hören will. Für Kev und Anton ist es offensichtlich, dass ich auf meinen Chef stehe. Manchmal finde ich mein Verhalten selbst ziemlich offensichtlich. Immer wieder gibt es Situationen, in denen ich mir fast sicher bin, dass es zwischen uns knistert. Und dann...

Ein Anruf. Eine Mail. Ein Meeting. Ein »Schönen Feierabend, Joscha.«

»Das macht mir wirklich nichts aus.«

»Das sollte es aber.«

Ich lege den Kopf schief. »Willst du mich gerade dazu drängen, nach einer Gehaltserhöhung zu fragen?«

Die Andeutung eines Lächelns in seinen Mundwinkeln. Mein Herz überspringt einen Schlag. Wenn es nach mir ginge, könnte er mich viel häufiger anlächeln. Richtig anlächeln, nicht diese unverbindlichen Danke-für-den-Kaffee- und Schön-Sie-kennenzulernen-Höflichkeiten. Wenn er ehrlich lächelt, geht in seinem Gesicht schier die Sonne auf.

Keine Frage, diese stille, ernsthafte Gelassenheit, die ihn umgibt, ist anziehend. Mit seinem Lächeln erobert er allerdings Herzen.

»Die hätte ich dir längst gegeben, wenn ich es mir leisten könnte. Aber du hast doch bestimmt noch was vor.«

Nur lose. Kev hat gefragt, ob ich heute mit ihm zu einer After-Work-Party in einen neuen Szeneladen gehe. Allerdings habe ich noch nicht entschieden, ob ich mich wieder mal für ihn fremdschämen will, wenn er flaschenweise Champagner in Größe Doppelmagnum bestellt und passende Fotos auf Instagram hochlädt.

Ich zucke die Schultern. »Nichts, das nicht warten könnte.«

Er zögert. Fast bin ich sicher, dass er das, was ihm auf der Zunge liegt, runterschlucken wird, aber dann fragt er beiläufig: »Kein Treffen auf der Dachterrasse?«

Ich bin ein bisschen überrascht, dass er davon weiß. Normalerweise reden wir nicht über so was. Leider. Es geht immer nur um arbeitsrelevante Themen. Das Höchste der Gefühle ist, wenn er sich nach meinem Wochenende erkundigt. Wenn ich jedoch zu sehr ins Detail gehe, lenkt er meistens direkt ab. Meine Fragen nach Privatem beantwortet er genauso reserviert.

Andererseits sind meine wöchentlichen Treffen mit Kev und Anton kein Geheimnis. Wobei sie, zugegeben, seltener stattfinden, seit Anton nicht mehr im Co-Working-Space arbeitet.

»Nein, das haben wir etwas schleifen lassen, seit Anton...«

Unvermittelt kommt mir eine Idee. Ich habe die Firma von Antons Vater gegoogelt, nachdem er vor einiger Zeit hier im Co-Working-Space aufgetaucht ist und Anton zusammengestaucht hat. Ich bin ein neugieriger Mensch.

»Hey. Hast du nicht vorhin gesagt, dass du dich perspektivisch nach einem eigenen IT-Dienstleister für travele umsehen willst?«

»Ja, aber das hat keine Priorität. Bisher funktioniert es noch mit der IT-Abteilung von Ferienwunder. Mich ärgert es schon, wie lange manche Sachen dauern, gerade im Hinblick auf unser Wachstum und den immer neuen Anforderungen. Aber der Preis, den sie uns machen, ist unschlagbar. Das Gleiche gilt für die Marketingabteilung.«

Stimmt. Und da ich traveles Finanzen kenne, weiß ich das natürlich auch. Vage habe ich noch die Preise von Antons Vater im Kopf. Seine Dienste in Anspruch zu nehmen, kommt uns definitiv teurer.

»Warum fragst du?«

»Ach, nichts. Vergiss es.«

Ich will gerade meinen Laptop zuklappen und meine Sachen zusammenpacken, als Robert sagt: »Joscha.«

Weich, sanft, eindringlich.

Ich erschauere und muss das ergebene »Ja?«, das sofort aus mir herausplatzen will, erst herunterschlucken, bevor ich meiner Stimme und ihrem Tonfall wieder einigermaßen über den Weg traue.

»Ja?« Ganz nüchtern und sachlich. Im Gegensatz zu dem Ausdruck in seinen Augen.

Scheiße. Er sieht mich an wie ein Flaschengeist, der nichts lieber täte, als mir drei Wünsche zu erfüllen. Etwas zieht sich schnell und heftig in meinem Unterleib zusammen. Kann ich mir auch dreimal dasselbe wünschen? Mit Option auf eine Endlosschleife?

»Warum fragst du?« Ohne meinen Blick loszulassen. Wenn er mich weiter so ansieht, werde ich gleich hart.

Verdammt. Zu spät.

Ich atme aus und versuche, mich zu entspannen und an irgendetwas Unerotisches zu denken. Genauso gut könnte ich versuchen, einen Nagel mit einem Grashalm in die Wand zu hauen. Glücklicherweise verdecken die beiden Schreibtische, was sich gerade in meiner Hose abspielt.

 

»Wegen Anton. Sein Vater hat eine IT-Dienstleistungsfirma.«

Einen Moment lang sagt er nichts. Dann nickt er. »Okay.«

»Okay?«

»Hol ein Angebot ein. Vielleicht können wir uns früher von Ferienwunder abnabeln, als gedacht.«

»Willst du dir die Firma nicht erst mal anschauen?«

Er schüttelt den Kopf. »Ich vertraue dir.«

Oh, verfluchter Mist. So schön die Worte auch klingen, sie verursachen mir augenblicklich Schuldgefühle. Wenigstens schwindet meine Erektion damit auch.

»Dann solltest du wissen, dass Anton einer der beiden ist, mit denen ich mich regelmäßig auf der Dachterrasse treffe. Und dass mir der Gedanke gekommen ist, dass ich hier vielleicht das Angenehme mit dem Nützlichen verbinden kann. Aber es gibt sicher günstigere Anbieter als die Firma von Antons Vater, auch wenn er sein Geld wert zu sein scheint.«

»Es gibt immer günstigere Anbieter. Aber günstig ist nicht alles. Engagier Antons Vater, wenn du es für das Richtige hältst. Ich lasse dir da freie Hand.« Ein kleines Lächeln. »Im Rahmen unseres Budgets, natürlich.«

Ich bin völlig überrumpelt, trotzdem nicke ich schnell. »Na klar.«

Nicht, dass Robert mir nicht schon früher gelegentlich derartige Verantwortung übertragen hätte, aber es fällt ihm zweifellos schwer, die Kontrolle abzugeben.

Abermals drängt sich mir die Frage auf, ob das in all seinen Lebensbereichen so ist. Aber ich verbiete mir, weiter in diese Richtung zu denken, um meinen Schwanz nicht wieder aufzuwecken.

»Danke. Ich setz mich gleich morgen dran. Hast du...« Ich beiße mir auf die Unterlippe.

Scheiße. Wir haben gerade so einen guten Gesprächsfluss, dass ich beinahe vergessen hätte, mit wem ich hier rede. Aber Robert überschreitet nie die Grenze zum Privaten. Im Gegenteil. Er meidet sie wie eine Hochspannungsleitung.

»Habe ich?«

Ich gebe mir einen Ruck. Vielleicht – vielleicht – ist heute ja dieser eine Tag, an dem er eine Ausnahme macht. Weil er mir vertraut. Weil er weiß, dass ich hin und wieder einen Sundowner auf der Dachterrasse trinke. Weil er mich mit diesem Blick ansieht, der mir die Knie weich werden lässt.

»Hast du vielleicht noch Lust, was essen zu gehen? Jetzt? Mit mir?«

Großartig. Dämlicher kann man die Frage kaum stellen. Unverfänglich und locker geht anders.

Bevor ich jedoch in Versuchung gerate, mir vor die Stirn zu schlagen, füge ich noch halbwegs professionell hinzu: »Die Notizen kannst du morgen noch hochladen.«

Für den Bruchteil einer Sekunde bin ich mir fast sicher, dass er zustimmen wird. Das Blitzen in seinen Augen, die Art, wie sich sein Gesicht aufhellt, sich seine Mundwinkel heben. Ich kann die Worte schon in meinem Kopf hören.

Ja, warum nicht?

Ja. Warum verdammt noch mal eigentlich nicht?

Aber dann huscht ein Schatten über seine Züge und noch bevor er den Kopf schüttelt, weiß ich, was er sagen wird.

»Nein, danke. Ich erledige das lieber gleich. Schönen Feierabend, Joscha.«

Kapitel 2

Nach etwas mehr als 45 Minuten steige ich am Ostbahnhof aus der Bahn. Da ich im Norden Münchens alles andere als zentral wohne, brauche ich von Tür zu Tür jeden Tag etwa 50 Minuten einfache Fahrtzeit. Plus/minus der üblichen Unvorhersehbarkeiten wie Verspätungen oder verpasste Anschlüsse am Hauptbahnhof, wenn ich mit der U-Bahn und nicht mit der S-Bahn fahre. Ein Vorteil von Feldmoching, auch wenn ich Otti und meiner WG ansonsten nicht viel abgewinnen kann: Es gibt sowohl eine U-Bahn- als auch eine S-Bahn-Station.

Wahrscheinlich gäbe es auch Arbeitgeber für mich, die keine so lange Anfahrt erfordern, aber keiner davon wäre travele. Ich hätte nie gedacht, dass ich mich dem kleinen Onlineportal für nachhaltige Reisen nach nicht einmal einem Jahr so sehr verbunden fühlen würde.

Oder Robert.

Als ich an ihn denke, muss ich unweigerlich grinsen. Ein großer, blonder, sportlicher Typ mit einer Sporttasche über der Schulter, der mir entgegenkommt, scheint sich angesprochen zu fühlen und lächelt zurück.

Nett.

Aber keine Zeit.

Ich hebe meinen Thermokaffeebecher an die Lippen und gehe einfach weiter, ohne einen Blick zurückzuwerfen. Zwei Schritte später habe ich den Mann bereits vergessen, weil mich selbst der Thermobecher an Robert erinnert.

Vor einem Jahr hätte ich mir noch keine Gedanken über die unzähligen Pappbecher gemacht, die ich früher im Alltag verbraucht habe. Erst recht nicht in der Zeit mit Marvin, in dessen Lebensrealität Themen wie Nachhaltigkeit oder sanfter Tourismus gar nicht vorkommen. Allerdings ist es auch schwer, nachhaltig auf die Malediven zu reisen oder sich guten Gewissens für ein Ski-Wochenende in Kitzbühel zu verlustieren.

Als ich um die nächste Ecke biege, kommt der Co-Working-Space in Sicht. Auf der Straße davor herrscht wie immer dichter Berufsverkehr, mehr noch, da auf der rechten Spur ein silberner BMW M5 mit Warnblinklicht steht und einen Stau verursacht. Ziemlich dreist, da ich nirgendwo Anzeichen eines Unfalls oder dergleichen erkennen kann, und angesichts des wütenden Hupkonzerts auch mutig.

Im ersten Moment muss ich an Kev denken, zu dem so ein Verhalten zweifellos passen würde. Beim Näherkommen erkenne ich jedoch ausgerechnet Robert auf dem Beifahrersitz.

Alles in mir zieht sich zusammen und ich gerate mitten im Lauf ins Stocken.

Robert in so einer Spritschleuder?

Warum…?

Ich habe die Frage gedanklich nicht mal ausformuliert, als sich mir schon eine ungute Antwort aufdrängt. Ein One-Night-Stand, der ihn ins Büro fährt, weil es heute Morgen im Bett länger gedauert hat. Oder unter der Dusche. Am Frühstückstisch. Auf dem Küchenboden.

Ich schlucke. Es kann, wenn überhaupt, nur was Lockeres sein, weil Robert nicht fest mit jemandem zusammen wäre, der so eine protzige Karre fährt.

Oder?

Hat er überhaupt eine Beziehung? Nach allem, was ich weiß – oder besser gesagt nicht weiß –, könnte er genauso gut mit einem festen Freund glücklich sein. Über so was reden wir ja nicht.

Die Beifahrertür wird geöffnet und Gelächter schallt zu mir auf den Bürgersteig hinaus, weil ich Trottel tatsächlich stehen geblieben bin. Roberts echtes, unverfälschtes Lachen lässt mein Herz flattern, auch wenn sich mein Bauch gleichzeitig zusammenkrampft. Mit wem kann er so unbeschwert sein?

Dann erkenne ich die Stimme in Kombination mit dem Auto und entspanne mich. Das ist Viktor, Roberts Bruder.

»Ich steig jetzt aus. Hinter dir staut sich schon der Verkehr.«

»Und mit so was willst du natürlich nicht in Verbindung gebracht werden, sollte ausgerechnet jetzt die Umweltpolizei vorbeikommen«, frotzelt Viktor gutmütig.

»Ich denke dabei nur an dich. Aber vielleicht bekommst du Pluspunkte, weil du wenigstens den Motor ausgemacht hast.«

»Das nennt sich Start-/Stop-Automatik. Außerdem kannst du es ruhig zugeben: Der private Chauffeurdienst hat dir gefallen.«

Robert steht schon mit einem Bein auf dem Bürgersteig. »Eher die Gesellschaft.«

» Ruf mich einfach öfter an oder komm vorbei.«

»Das mache ich, versprochen. Aber travele –«

»Robert.« Durch die geöffnete Beifahrertür sehe ich, wie Viktor Robert eine Hand auf den Arm legt und ihn eindringlich ansieht. »Durch Joscha solltest du weniger arbeiten. Aber du bist immer noch viel zu viele Stunden im Büro.«

Mein Herzschlag beschleunigt sich. Ich weiß, dass Robert mich mehr oder weniger auf Viktors Drängen hin eingestellt hat. Aber obwohl ich mich bemühe, ihn bestmöglich zu entlasten, klingt das so, als würde Robert seine Zeit trotzdem lieber im Büro verbringen.

Meinetwegen?

»Ich weiß, aber...« Roberts Worte gehen in einem langanhaltenden Hupen unter.

Scheiße.

Auch ein Teil von Viktors Worten wird verschluckt. Dann begegne ich plötzlich seinem Blick.

»... mal ein ernstes Wörtchen mit deinem Angestellten reden.«

»Danke, aber das schaffe ich schon selbst.«

»Ich weiß. Hallo, Joscha.«

Robert zuckt zusammen und dreht den Kopf in meine Richtung. Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich sagen, dass er ertappt aussieht. Unser Blickkontakt dauert ein, zwei Sekunden länger, als in dieser Situation angebracht wäre. Nur der morgendliche Verkehr um uns herum verhindert, dass das sekundenlange Schweigen allzu sehr auffällt.

»Joscha«, sagt Robert endlich. »Warum stehst du denn da?«

»Ich wollte nur sehen, wer mutig genug ist, mitten im Berufsverkehr auf der Straße zu parken. Dann hab ich euch erkannt und... gewartet.«

Das klingt gut. Besser als gelauscht.

Trotzdem wechsle ich schnell das Thema, indem ich mit meinem Thermobecher eine vage Geste Richtung Straße mache. »Willst du nicht aussteigen?«

»Ist das eine Fangfrage?« Viktor lehnt sich über die Mittelkonsole. »Er scharrt schon seit einer halben Stunde mit den Hufen, weil ich ein bisschen spät dran war und er dringend ins Büro will.«

Robert sieht ihn streng an, als hätte mir Viktor damit irgendetwas verraten, das ich noch nicht wusste. »Wir haben viel zu tun.«

»Wie immer.« Viktor seufzt, bevor er mir zunickt. »Wir müssen mal wieder zusammen Mittagspause machen. Lass uns doch für nächste Woche was ausmachen.«

Obwohl das nicht nach einer höflichen Bitte klingt und es mich jedes Mal ein wenig überrascht, wenn er danach fragt, nicke ich. Robert nutzt den Moment um auszusteigen.

Ein großer, schlanker Mann in einem dunkelblauen Anzug, keine Krawatte. Scharf geschnittene Gesichtszüge, hohe Wangenknochen, ein schmaler Mund, glatt rasiert. Augen, die etwas zu dicht beieinanderstehen, aber von langen, dichten Wimpern eingerahmt werden. Kurze, hellbraune Haare, hier und da aufgehellt von der Sonne.

Oh, verdammt. Ich klammere mich an meinen Thermobecher. Er sieht einfach umwerfend aus. Und obwohl ich mich inzwischen an seinen Anblick gewöhnt haben sollte, haut er mich immer wieder um.

Besonders wenn er lächelt. So wie jetzt. Scheiße, diese winzige Aufwärtsbewegung seiner Mundwinkel. Als wüsste er nicht, ob er darf.

Ja! Ja, du darfst mich anlächeln. Immer. Jederzeit.

Wieder habe ich das Gefühl, als würde der Blickkontakt zu lange dauern. Nur dass es diesmal kribbeliger ist, knisternder, weil er vor mir auf dem Bürgersteig steht, als hätten wir uns zu einem Blind Date getroffen, das uns nun beide von den Füßen fegt.

Ich muss etwas sagen. Jetzt. Sonst wird es richtig merkwürdig. Zumal Viktor immer noch mitten auf der Straße parkt.

Viktor! Großartig.

Ich sehe an Robert vorbei. »Ich meld mich bei dir, okay?«

Wieder ertönt ein Hupen, diesmal zweimal kurz und wütend hintereinander. Viktor ignoriert es ungerührt.

»Ich verlass mich drauf.«

Robert macht eine scheuchende Bewegung und greift nach der Beifahrertür, um sie zuzuschlagen. »Und jetzt fahr. Bevor wirklich noch jemand die Polizei ruft. Die Zeiten, in denen du bei Dummheiten mit Hausarrest davonkommst, sind vorbei.«

»Das Gleiche gilt für dich. Ich wette, ich habe dich öfter gedeckt als du mich.«

»Aber du hast mich mindestens genauso oft angeschwärzt.«

Viktor lacht. »Touché.« Dann hebt er zum Abschied kurz die Hand, für Robert das Zeichen, die Tür zuzuwerfen. Dröhnend springt der Motor des M5 an und ein paar Sekunden später hat sich Viktor in den dichten Verkehr eingereiht.

Als Robert sich mir wieder zuwendet, sehe ich meine Chance gekommen, etwas mehr über ihn zu erfahren. Immerhin sind wir schon mal beim Thema, da kann er mir kaum ausweichen.

Bevor ich jedoch den Mund aufmachen kann, zeigt Robert zum Eingang des Co-Working-Space. »Gehen wir rein, bevor wir noch mehr Aufmerksamkeit erregen.«

Damit nimmt er mir den Wind aus den Segeln, zumal er bereits auf die Eingangstür zugeht. Ich brauche einen Moment länger, um ihm zu folgen. Dennoch bin ich nicht bereit, die Gelegenheit einfach so verstreichen zu lassen.

»Das klang ja gerade so, als hätten Viktor und du früher ziemlich viel Blödsinn angestellt.«

»Nicht mehr als andere Jungs in dem Alter.« Er öffnet die Eingangstür und lässt mir den Vortritt, nur um gleich darauf sein Handy aus der Jacketttasche zu fischen und den Kalender zu checken. »Was steht heute an? Letzte Details zu dem Deal mit Furbach, oder?«

Wow. Genauso gut hätte er mir ein Stoppschild ins Gesicht halten können.

Dabei hatte ich gerade auf dem Bürgersteig kurz das Gefühl...

 

Resigniert lasse ich die Schultern hängen. Wunschdenken.

»Ja, unter anderem. Eigentlich ist der Vertrag schon so gut wie durch.«

»Perfekt.«

Auf dem Weg die Stufen in den zweiten Stock hoch scrollt Robert durch seinen Kalender und gibt mir ein Update, was er heute zu erledigen hat. Ich höre nur mit halbem Ohr zu, weil es mich immer noch beschäftigt, dass er so strikt auf eine Trennung von Beruflichem und Privatem besteht. Ich hatte schon Chefs, bei denen ich mir das gewünscht habe. Robert hingegen ist so ein mustergültiges Beispiel dafür, dass ich mich langsam frage, ob es an mir liegt.

Ob er gar nichts über mich wissen will.

Um gut zusammenzuarbeiten, muss er das nicht, das haben die letzten Monate gezeigt.

»Sonst noch was?«

Wir haben den zweiten Stock erreicht, in dem die größeren Einzelbüroräume untergebracht sind. Robert zückt seine Schlüsselkarte, die alle Langzeit-Co-Worker besitzen und mit der sich die Eingangstür unten außerhalb der Geschäftszeiten öffnen lässt. Roberts und meine Karten entsperren dazu noch das Schloss an traveles Bürotür.

»Heute Abend ist das erste Treffen mit Anton«, sage ich und schließe hinter uns die Tür.

»Dein Freund von der IT-Firma, die du engagiert hast?«

»Genau. 19:00 Uhr auf der Dachterrasse.«

Ein winziges Zucken um seine Mundwinkel, als er seinen Schreibtisch umrundet. »Sicher eine nettere Atmosphäre als in einem Meetingraum.«

»Ja.«

Irgendwie erwarte ich, dass er noch etwas dazu sagt. Mich ermahnt, dass ich bei all der Atmosphäre nicht vergessen soll, dass wir Antons Vater für seine Dienstleistungen bezahlen. Aber nichts dergleichen kommt. Robert setzt sich und klappt seinen Laptop auf. Unschlüssig bleibe ich einen Moment an meinem Schreibtisch stehen, der sich gegenüber seinem befindet.

»Willst du dabei sein?«

Stirnrunzelnd sieht Robert auf, als wäre er mit den Gedanken bereits bei der Arbeit. »Wobei?«

»Heute Abend. Auf der Dachterrasse. Immerhin ist es ein Geschäftstermin.«

Mehr oder weniger. Es wäre aber vor allem auch die Möglichkeit, Robert in einer ungezwungeneren Umgebung näherzukommen. In welchem Ausmaß auch immer. Mit Kev und Anton dabei höchstens mit Minischritten. Aber besser als nichts.

»Ein Geschäftstermin«, wiederholt Robert langsam. »Aber es sind deine Freunde.« Ein Zögern. »Ich gehe davon aus, dass der Millionär auch dabei sein wird.«

»Kev? Ja.«

Robert verzieht die Mundwinkel, als hätte er sich eine andere Antwort erhofft. Gleich darauf fällt mir ein, wieso.

»Aber ich würde ihm gegenüber keine Interna ausplaudern. Um so was geht es ja nicht.«

»Ich weiß.«

»Also kommst du mit?«

»Nein.« Diese Antwort kommt sehr schnell. »Ich habe gesagt, dass ich dir vertraue, und das meine ich auch so. Du machst das schon.«