Loe raamatut: «Das Klagelied eines Volkes»
Oktay Tuncer
Das Klagelied eines Volkes
Eine kurze Geschichte der Kurden in der Türkei
Impressum
ISBN 978-3-86408-124-8 (epub) // 978-3-86408-125-5 (pdf)
Korrektorat: Daniel Kirchhof
© Vergangenheitsverlag, 2012 – www.vergangenheitsverlag.de
Mehr Geschichte erleben in der 1. multimedialen App mit Zeitreisefunktion für iPhones und iPod touch …
http://itunes.apple.com/app/zeitreiseguide/id540321470?mt=8
eBook-Herstellung und Auslieferung:
readbox publishing, Dortmund
Einleitung - Leyla Zana und die kurdische Frage in der Türkei
1. Wer sind eigentlich die Kurden?
2. Geschichte der Kurden bis zur Gründung der Republik Türkei 1923
2.1. Das Volk zwischen Groüchten
2.2. Das 19. Jahrhundert - Das Sultanreich am Abgrund
2.3. Hoffnung und Enttäuschung - die Entwicklungen zu Beginn des 20. Jahrhunderts
3. Kurden in der jungen Republik
4. Eine kurdische Nation?
5. Der kurdische Nationalismus in der Türkei
6. Der Griff zu den Waffen - der Kampf der PKK
6.1. Die Folgen des Putsches von 1980
6.2. Entstehung der PKK
6.3. Ideologie der PKK
6.4. Der Beginn der Auseinandersetzungen
6.5. Zwischen europäischer Integration und innerer Unruhe
7. Auf der Suche nach neuen Wegen - der Kampf verlagert sich
8. Die Kurdenfrage und die EU-Beitrittskandidatur der Türkei
9. Die Kurdenfrage heute
10. Die soziale Lage der Kurden in der Türkei heute
Fazit
Literaturverzeichnis
Einleitung – Leyla Zana und die kurdische Frage in der Türkei
Als die kurdische Politikerin Leyla Zana nach ihrem Einzug in das türkische Parlament am 6. November 1991 ihren Amtseid zunächst auf Türkisch beginnt, ihn aber mit dem kurdischen Satz beschließt: „Diesen Eid lege ich im Namen der Verbrüderung des türkischen und kurdischen Volkes ab“, erntet sie lauthals Kritik von den anderen Parlamentsmitgliedern. Drei Jahre später wird sie aufgrund einer Rede, die sie in den USA gehalten hat, verhaftet. Zana wird zu 15 Jahren Haft verurteilt mit dem Vorwurf, sie sei Mitglied in einer illegalen Vereinigung. Die kurdische Politikerin wird bis heute von der kurdischen Bevölkerung als „Märtyrerin“ und Vorbild gesehen.
Ethnische Minderheiten kämpften nicht nur in der Türkei, sondern auf der ganzen Welt um Anerkennung. Vor allem nach dem Holocaust drängten die Europäer darauf, dass ein Gesetz zum Schutze von Völkern erlassen wird. Die Vereinten Nationen verabschiedeten am 26. Juni 1945 ihre Charta und einigten sich darin auf das heute noch geltende Völkerrecht. In diesem wird unter anderem das Staatsvolk als konstitutiver Bestandteil eines Staates angesehen. Aber: Woraus besteht das Staatsvolk und was ist mit den Menschen, die sich nicht als Teil von diesem sehen? Was ist mit ethnischen Minderheiten? Besonders schwierig ist es für diejenigen, die sich über Staatsgrenzen und Herrschaftsterritorien hinweg zusammengehörig fühlen.
Der Konflikt zwischen der Türkei und den kurdischen Minderheiten in den Kurdengebieten ist ein anschauliches Beispiel für die Definitionsschwierigkeiten eines „Volkes“ und die Anerkennungsproblematik einer ethnischen Minorität. Vor allem seit dem Beginn der Verhandlungen zu einer möglichen EU-Beitrittskandidatur der türkischen Republik verursacht gerader dieser Konflikt die größten politischen Probleme seit der Gründung der Republik 1923. Noch immer beherrscht der Konflikt die aktuelle Tagespolitik. Die so genannte „Kurdenfrage“ wird mittlerweile seit Jahren auch in Deutschland und anderen europäischen Ländern heiß diskutiert – und führt nicht zuletzt auch immer wieder zu Auseinandersetzungen mit der Türkei. Vor diesem Hintergrund wird die provozierende Wirkung der von Leyla Zana bei ihrem Amtsantritt gesprochenen Worte fassbar.
Auch in den Wahlen zum türkischen Parlament im Juli 2011 hat sich die kurdische Frage innerhalb der Bevölkerung derart polarisiert, dass Kurden auf der einen, und türkische Nationalisten auf der anderen Seite fast täglich Kundgebungen abhielten.
Aber worum geht es bei diesem Konflikt und was bietet diese kurze Geschichte der Kurden?
Verhandelt wird vor allem die Stellung der Kurden in den von ihnen besiedelten Gebieten (vor allem in der Türkei). Um die Dimension dieser bloßen Tatsache zu fassen, ist es sinnvoll, sich zunächst der Vergangenheit der Kurden und ihrer Volksdefinition zu vergegenwärtigen.
Die Beziehungen mit dem Osmanischen Reich, dem Reich der Sultane und prachtvollen Paläste, spielen eine nicht zu unterschätzende Rolle. Da Geschichte selbstverständlich nicht für sich selbst spricht, wird in einem weiteren Abschnitt überblicksartig die Kultur und Gesellschaft der Kurden erläutert, um schließlich ihre Lage in der Türkei und den Bürgerkriegszuständen der 1990erJahre sowie die aktuellen Geschehnissen besser verstehen zu können.
Weitere wichtige Fragen des Autors sind: Läuft die Türkei einem erneuten Bürgerkrieg entgegen oder ist dies nur eine weitere, äußerst hitzig geführte politische Debatte? Und wie ist die Haltung Deutschlands und der EU gegenüber diesen Geschehnissen, vor allem im Hinblick auf einen möglichen EU-Beitritt des Landes?
1. Wer sind eigentlich die Kurden?
Die Kurden sind das größte Volk im Nahen Osten, das keinen eigenen Staat besitzt. Da sich ihr heutiges Siedlungsgebiet auf die östliche Türkei, den Iran, den nördlichen Irak und Syrien erstreckt, existieren keine genauen Zahlen über ihre Gesamtpopulation. Es gibt jedoch Schätzungen. Einige gehen von insgesamt mehr als 22 Millionen aus. Davon leben zwölf bis 15 Millionen in der Türkei1, sechs bis sieben Millionen im Iran, vier bis fünf Millionen im Irak und circa eine Million in Syrien. Die Kurden in der Türkei stellen ungefähr 20 Prozent der Gesamtbevölkerung des Landes dar.
Für den Poeten und Mitbegründer der kurdischen Nationalliteratur im 19. Jahrhundert Hadschi Kadiri Koyi lag das kurdische Territorium, genannt Kurdistan, zwischen dem Mittelmeer, dem Schwarzen Meer, dem Urmiasee im Iran und dem Berg Hamrin im Irak. Faktisch erstrecken sich die kurdischen Siedlungsgebiete heute jedoch über eine weitaus kleinere Region. In der Türkei bilden die Städte Erzurum und Gaziantep die Nord- und Westgrenze, ab der man von größtenteils kurdisch bewohnten Gebieten sprechen kann. Ein Volk wäre jedoch noch keine eigenständige Ethnie, hätte es nicht eine eigene Sprache, in unserem Falle das Kurdische, das durch seine etlichen Dialekte selbst unter den Stämmen einer Region in verschiedensten Variationen zu Tage tritt. Der am meisten verbreitete Dialekt ist das Kurmandschi, das etwa 65 Prozent aller Kurden sprechen. Linguisten ordnen es den indogermanischen Sprachen zu, wobei auch eine Verwandtschaft mit dem Persischen bestehen soll. Das Zazaki, das noch näher am Persischen ist, gilt zwar nicht mehr als Dialekt des Kurdischen, wird aber von zwei bis drei Millionen Kurden in der Türkei gesprochen.
Aber was hält diese Menschen zusammen und definiert sie als „Volk“? Für Ethnologen wie Jean-Loup Amselle und Guy Nicolas teilen Menschen, die einer Ethnie angehören, vor allem ein Kollektivbewusstsein. Nicolas beschreibt dies wie folgt: „Ihr Miteinander ist verwurzelt in einer gemeinsamen Vergangenheit, die mehr oder weniger mythisch ist.“2. Im kurdischen Kollektivbewusstsein ist ihre Geschichte als Bergnomaden und das Verlangen nach Souveränität ihres Vaterlandes, Kurdistan, verankert. Die gemeinsame Vergangenheit als „zerrissenes“ Volk ist für deren Kollektivbewusstsein weitgehend konstituierend.
Bis in das 20. Jahrhundert lebten Kurden in Stammesgesellschaften. Jeder Stamm hatte ein Oberhaupt, das das moralische und kulturelle Leben regelte. Das Stammesoberhaupt traf die wichtigen politischen Entscheidungen und auf seinen Befehl hin führte ein Stamm Feldzüge. Oft waren die Stämme untereinander verfeindet und führten Blutfehden. Sie verbanden sich aber auch in Kämpfen gegen Großmächte. Der wohl größte Zusammenschluss der kurdischen Stämme war der unter Scheich Ubaydallah, der die meisten kurdischen Stämme in Persien zusammenschloss und dort für Furore sorgte. Aber die Vorstellung von einem abstrakten, übergeordneten kurdischen Volk entwickelte sich erst nachdem die türkische Republik gegründet worden war. So war man sich anfangs auch nicht sicher, ob die Zaza aus der Region um das heutige Tunceli auch zur kurdischen Ethnie gehören oder nicht, da diese genau genommen keinen der kurdischen Dialekte sprechen und die meisten von ihnen dem alevitischen Glauben anhängen.
In Bezug auf Religion ist der Großteil der Kurden muslimisch. 75 Prozent von ihnen praktizieren den Sunnitischen Islam, während die restlichen 25 Prozent Schiiten, Aleviten, Christen oder Juden sind. Man findet in Kurdistan außerdem verschiedene religiöse Sekten vor allem des Islam. Diese versorgen „wichtige Teile des kurdischen Volkes“ mit „verschiedenen religiösen und sozialen Vorstellungen“3. Im Kapitel zur Kultur der Kurden wird hierauf näher eingegangen.
Tasuta katkend on lõppenud.