Loe raamatut: «"In den wilden Bergschluchten widerhallt ihr Pfeifen"», lehekülg 2

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Das Wohnhaus Avenue Joffre Nr. 1394 (heute Huaihai Lu).

Otto Meister auf seinem Pony vor dem Haus.

«Wir hatten eine ziemlich aufregende Zeit in Shanghai: Am 11. Januar [1925] ging Chi zum Angriff gegen Chang über, und eine ganze Menge chinesische Kugeln landeten in der französischen Konzession. An die 10000 Besiegte kamen in die Konzession und wurden von der Polizei, Marinesoldaten und Freiwilligen entwaffnet, bevor man sie internierte und später nach Tsingtao zurückschickte. Dann kam Chang-Tsung Chang mit seinen Panzerzügen und russischen Söldnern und Soldaten von Feng. Man rief mich nach draussen, und wir erfroren fast vor Kälte im Schiessstand, wo wir die Nacht verbringen mussten.»

Otto Meister auf dem Sitz der Kanone beim Shanghai Volunteer Corps SVC.

In einem Lagebericht an die Firma Sulzer mit dem Titel «China und die Fremden» schrieb er:

«Hierher gehört z.B. die berühmte ‹Expedition› der Engländer im Frühling dieses Jahres [1925] nach Shanghai. Es stünde wohl heute anders um diese Stadt resp. Konzessionen, wenn jene Truppen nicht dagewesen wären, die nur ca. 2000 Mann starke Bürgerwehr (Volunteers) hätte ja bei weitem nicht genügt. Tausende von Fremden, darunter Amerikaner, Deutsche, Schweizer und nicht zuletzt Chinesen selbst, haben damals die Dankadresse an die englische Regierung unterzeichnet. Übrigens hatten auch die Vereinigten Staaten, Japan, Frankreich, Portugal, Italien, ja selbst Spanien und Holland, Bewaffnete gelandet. Was Shanghai damals zu erwarten hatte, wenn dieser Schutz nicht gewesen wäre, dafür hat ja Nanking ein unheimliches Beispiel geliefert. Hätten dort die fremden Kriegsschiffe nicht im letzten Moment noch eingreifen können, so wären wohl nicht viele Ausländer mit dem Leben davongekommen. Die Zahl der Opfer ist so noch gross genug. […] Wenn also die Fremden sich vorläufig weigern, ihre Sonderrechte, soweit sie sie noch besitzen, aufzugeben; wenn sie Bürgerwehren halten und wenn nötig die militärische Hilfe ihres Mutterlandes anrufen, um ihr Leben und Eigentum zu schützen, wenn in der Umgebung einer Konzession Zivilkriege wüten und das Einbrechen geschlagener, zügelloser Soldatenhorden befürchtet wird; wenn sie ihre Handelsschiffe durch heimatliche Kriegsschiffe begleiten lassen, damit sie sich wehren können, wenn sie von den Flussufern aus grundlos beschossen werden; wenn sie die Wiederaufhebung des ‹Provisional Court› verlangen und nicht gewillt sind, ad libitum auferlegte Steuern und Zölle zu zahlen, so wird man ihnen das nicht verargen können.»

Während seiner zahlreichen Reisen auf den grossen Flüssen hatte Meister Gelegenheit, Regierungs- und Revolutionstruppen zu beobachten, die ständig unterwegs waren und gegeneinander kämpften. In ausführlichen Berichten, die er an die Firma Sulzer in Winterthur schickte, hielt er diese Beobachtungen fest. Dabei schreibt Meister, dass er auf einem Dampfschiff gereist sei, das ständig Gefahr lief, auf die scharfen Felsblöcke aufzulaufen, die überall aus dem Wasser ragten. Der Jangtsekiang, von hohen, steilen Felswänden gesäumt, welche die berühmte Schlucht Three Gorges du Yichang formten, bot ein faszinierendes Bild. Dann passierte das Schiff die Stromschnellen «Fo Mien Tan», vor allem im Sommer eine der tückischsten Stellen, wenn das Wasser einen Felsen bedeckte, der sonst bei niedrigem Wasserstand sichtbar war. Ein Buddhakopf, dessen Blick die Schiffe beschützen sollte, war in den Felsen gehauen. Lag er jedoch unter Wasser, verlor er seine Schutzfunktion. Nach überstandenen Gefahren ging die Reise weiter zwischen Landschaften, den reizvollen chinesischen Tuschmalereien gleich, mit ihren terrassenförmigen Abhängen, Bäumen, die aus dem Dunstschleier auftauchten, und kleinen Dörfern voller Leben.

Französische Barrikade am Eingang zur Hungjao-Strasse (Hongqiao), Shanghai 1927.


Strassenszene mit Soldaten, Shanghai 1927.


Strassenszene mit Panzer, Shanghai 1927.


Stellung an einer Brücke, Shanghai 1927.


Am Jessield-Park (Zhongsham Park), Shanghai 1927.


Barrikade an der Jessield-Brücke (Wanhangdu Road), Shanghai 1927.


Strassenszene in Shanghai, 1927.

Otto Meister nach japanischen Bombenangriffen auf Shanghai 1932 oder 1933.

Zwei weitere Berichte an die Firma Sulzer, «China an der Arbeit» (1933) und «Leben in China» (1935), vermitteln uns einen Querschnitt durch die chinesische Gesellschaft, besonders durch das Milieu der Bauern und Handwerker, das praktisch alle Familien umfasste, die nicht zu der damals im Niedergang begriffenen politischen oder administrativen Elite gehörten.

Die ersten bewegten Phasen dieser Revolution, die mit Mao Tse-tung allmählich eine politische Ausrichtung fand und in der Geschichte Chinas eine entscheidende Wende herbeiführen sollte, wurde vom europäischen Beobachter als ein grosses, schreckliches Chaos wahrgenommen, in dem das mehrere Tausend Jahre alte Kaiserreich unterging. Die Ausländer, insbesondere die Europäer, beeilten sich, es mit ihrem Kapital zu verlassen, um die eigenen Investitionen zu retten. In einem Brief von 1927 an seinen Freund Joseph Rock stellte Otto Meister eine Betrachtung an, die nicht nur von grosser Weitsicht, sondern auch von einer tiefen Liebe zum Orient zeugt: «Die Lage in ganz China ist schrecklich. […] Das Geschäft, besonders für die Briten, scheint zum Stillstand gekommen, und sogar unsere Leute erwägen, hier abzuziehen, was ich jedoch als grossen Fehler betrachte, denn was hier geschieht, ist nicht der Todeskampf einer sterbenden Nation, sondern die Anstrengung einer Wiedergeburt. Und das ist der einzige Lichtblick in dieser Dunkelheit.» In einem anderen Bericht von 1927, «China und die Fremden», heisst es: «Japan hat jahrzehntelang unverdrossen und zähe daran gearbeitet, die Bedingungen zu erfüllen, die heute einem zivilisierten Staate gestellt werden müssen […]. Es ist ein mühsamer Weg, aber wir glauben, es ist der einzige begehbare, und auch China wird ihn betreten müssen.»

Otto Meister, der am 28. März 1937 in Shanghai starb, sollte nicht mehr erleben, wie sehr sich seine Einschätzung bewahrheitete. Die heutigen, vielfältigen, wirtschaftlichen und kulturellen Beziehungen zwischen China und der Schweiz bestätigen seine visionäre Sichtweise.

Freunde und Träumer: Meister, Ceresole und Joseph Rock

Die Jahre von 1922–1930, die Otto Meister in Shanghai verbrachte, sind nicht nur im Zusammenhang mit seiner Tätigkeit als Ingenieur interessant, sondern auch wegen privater Ereignisse. In jenen Jahren lernte er nämlich den Österreicher und Amerikaner Joseph F. Rock (1884–1962) kennen, einen Botaniker, Forscher, Naturbeobachter, Anthropologen, Philologen und Linguisten. Der Autodidakt, der zu jedem seiner Interessensgebiete wichtige wissenschaftliche Beiträge leistete, sollte internationale Bekanntheit erlangen. Rock unternahm von Shanghai aus, auf der Suche nach den Quellen der grossen Flüsse und den höchsten Gipfeln der Erde, lange Forschungsreisen bis in die entfernten Grenzregionen Chinas.

Eine umfangreiche Korrespondenz zwischen Otto Meister und Joseph Rock ist erhalten geblieben. Sie zeugt von tiefem Respekt und einer Freundschaft zwischen zwei Persönlichkeiten, denen sich aufgrund ihrer Lebensumstände keine Möglichkeit bot, diese weiter zu vertiefen. Otto hätte Rock oftmals wohl gerne begleitet, doch seine Arbeit und die Familie erlaubten ihm nicht, sich auf solche Abenteuer einzulassen.

«Unser Bureau». Postkarte von Otto Meister mit dem dem Great Northern Telegraph Corporation Building (links), in dem das Büro von Sulzer untergebracht war, 1924.

In den über vierzig Briefen ist von Revolutionären und Banditen die Rede, aber auch von Rocks geographischen Entdeckungen, die von weltweiter Bedeutung waren und über die zwischen 1924 und 1930 in der Zeitschrift «National Geographic» Berichte erschienen. Weltweites Aufsehen erregte auch die Polemik zwischen Joseph Rock und «National Geographic»: Rock hatte in einem Artikel Messwerte zur Höhe des Minya Konka, eines Bergs in der chinesischen Region Yunnan, angegeben, denen zufolge dieser höher als der Mount Everest war. Der Fehler ging rund um die Welt. Der Briefwechsel Meister-Rock offenbart die Hintergründe der Polemik, die Dynamik des Irrtums, aber auch die Rolle Meisters in der ganzen Angelegenheit.5

Im Briefwechsel zwischen Meister und Rock tauchen zwei weitere Schweizer auf, die zu den wichtigen Persönlichkeiten im internationalen Panorama jener Zeit gehörten. Arnold Heim (1882–1965), Sohn der ersten Schweizer Ärztin Marie Heim-Vögtlin und des Geologen Albert Heim, studierte Geologie in Zürich. Er war Privatdozent an der Universität und ETH Zürich sowie Professor an der Universität Kanton (1929–1931) und interessierte sich für die Auseinandersetzung um den «höchsten Berg der Welt». Beim zweiten handelt es sich um Pierre Ceresole (1879–1945)6, Gründer des Internationalen Freiwilligendienstes für Frieden IVSP. Als engagierter Pazifist wollte er den Militärdienst durch einen obligatorischen Zivildienst ersetzen, eine Idee, die sich erst ein halbes Jahrhundert später in der Realität auswirken sollte. Der aus Lausanne gebürtige Ceresole erwarb an der ETH Zürich ein Ingenieurdiplom und unterrichtete von 1910 bis 1913 in Hawaii, wo er Joseph Rock kennenlernte. Von 1913 bis 1914 arbeitete er in Kobe als Ingenieur für die Firma Sulzer und war ein Kollege von Otto Meister. Meister und Rock kannten ihn also beide, und beide schätzten seine Freundschaft. Der Name Pierre Ceresole taucht in der Korrespondenz zwischen Meister und Rock immer wieder auf. 1925 schrieb Meister an Rock: «Er ist nun Sekretär der Zivildienst-Bewegung, einer pazifistischen Organisation, die versucht, den Militärdienst durch etwas Friedlicheres zu ersetzen. Ich fürchte, er wird keinen grossen Erfolg haben im Moment, da die Welt noch nicht fortschrittlich genug eingestellt ist.»

Blick von einem Schiff auf den Huangpu-Fluss, an dem die Uferpromenade Bund (Waitan) liegt.


Das East-Lancastershire-Musikkorps, Shanghai 1933.


Strassenszene, Shanghai 1933.


Red Joss House, Shanghai 1927.


Avenue Joffre (Huaihai Lu) bei Nacht, Shanghai 1933.

Am französischen Nationalfeiertag in Shanghai, 14. Juli 1933.

1937 reiste Ceresole nach einem Aufenthalt in Indien, wo er Gandhi getroffen hatte, über China und die USA nach Europa zurück. Im Tagebuch wird er als einer der Freunde erwähnt, die Meister in seinen letzten Lebenstagen besuchten.

Die letze Reise

Das Tagebuch, das Meister zwischen Januar und April 1937 führte, lässt seine Krankheit erahnen: Er litt unter Herzproblemen, musste seinen Arbeitsrhythmus verlangsamen, durfte nicht mehr ausreiten und fühlte sich oft niedergeschlagen.

Als ihm klar wurde, dass er nicht mehr lange zu leben hatte, beeilte er sich, die wirtschaftliche Zukunft seiner Familie abzusichern. Es existiert eine Kopie des Testaments, das er ein Jahr vor seinem Tod verfasste und ordnungsgemäss beim Konsulat von Shanghai eintragen liess. Beim Begräbnis wurde sein Sarg von sechs uniformierten Mitgliedern des Shanghai Volunteers Corps getragen, eine Ehre, die deutlich macht, wie wichtig sein Beitrag zur Verteidigung der ausländischen Konzessionen von Shanghai in den Jahren 1925 und 1927 gewesen war und wie sehr seine jahrelange, unablässige Mitarbeit geschätzt wurde. Otto Meisters Grab befindet sich auf dem heutigen Song-Ching-Ling-Friedhof.

Das grosse China faszinierte Otto Meister aufgrund all seiner Widersprüche und vor allem seiner unendlichen Möglichkeiten. Aber genauso mit Japan und dessen Tempeln, Parkanlagen, Bergen und alten Traditionen fühlte er sich sehr verbunden. Im Laufe der Jahre hatte Otto das Wesen und die Seele des Volks der aufgehenden Sonne ebenso wie die Bevölkerung Chinas kennen und schätzen gelernt. Mit Chiyo Ishizuka (der Name bedeutet «langes Leben», und tatsächlich starb Chiyo 1982 im Alter von 96 Jahren) lebte er bis zu seinem Tod am 28. März 1937. Im Juli des gleichen Jahres fielen die japanischen Truppen in Shanghai ein. Chiyo verbrachte eine schwere Zeit in Shanghai, und schliesslich war sie gezwungen, nach Japan zurückzukehren, da die chinesische Stadtbevölkerung sich an den japanischen Einwohnern rächte.

Sohn Freddy hing sehr an seiner Mutter – der Vater war oft auf langen Geschäftsreisen –, und als Otto ihn mit vierzehn Jahren in die Schweiz brachte, litt er unter der Trennung. Vor dem Vater hatte er grossen Respekt, auch wenn er diesen als eher distanziert erlebte. Einerseits brachte Otto seinen Sohn in die Schweiz, um ihm eine bessere Ausbildung zu ermöglichen, und andererseits, weil China in jenen Jahren aufgrund der politischen Lage mit ihren revolutionären Wirren äusserst gefährlich war. Der Junge war auf Schweizer Boden sicherer. Chiyo schrieb dem Sohn regelmässig aus Japan, doch der Zweite Weltkrieg setzte diesem Briefwechsel ein Ende. Erst nach Kriegsende stellte das Rote Kreuz wieder einen Kontakt her. 1981 reiste Freddy mit seiner Tochter Sylvia Meister nach Japan, wo er seine Mutter wenige Monate vor ihrem Tod ein letztes Mal sah. Sie starb in Oita (Kyushu), 45 Jahre nach Otto Meister.

Otto Meister

«In den wilden Bergschluchten

widerhallt ihr Pfeifen»

Otto Meister in Shanghai, 18. November 1931.

Zu den Texten von Otto Meister

Von Paul Hugger

Der erste Text von Otto Meister, ein Bericht über den Bau der Yunnan-Bahn, dessen Adressat unbekannt ist – vermutlich war es ein mit der Bahntechnik Vertrauter –, hat zunächst einen dokumentarischen Wert, was das Technische betrifft. Da beschreibt ein Ingenieur, der selber am Bau beteiligt war, das Werden einer Eisenbahnlinie in den teilweise unwegsamen Gebirgsregionen Südostasiens, und zwar zu einer Zeit, als solche Texte selten waren. Der Bericht skizziert das landschaftliche Umfeld, zeigt die schwierigen Bedingungen der Realisierung auf, in technischer, geologischer, klimatischer und menschlicher Hinsicht. Er geht dabei weit über das bloss Statistisch-Numerische und rein Technische hinaus. Entsprechende Informationen werden zwar am Anfang gegeben, aber dann erhalten wir Einblicke in die Arbeitsund Lebensverhältnisse der am Bahnbau Beschäftigten, die Risiken, die sie eingingen, und man spürt, dass hier ein Ingenieur schreibt, den nicht nur die materiellen Seiten interessierten, sondern dem eine echte Anteilnahme an menschlichen Schicksalen eignete, auch wenn einmal das unselige Wort vom «Menschenmaterial» auftaucht, einer damaligen Usanz entsprechend. Das Ganze endet mit einer Würdigung der Ästhetik einer solchen Eisenbahnlinie mit ihren Tunnels und Brücken, wie sie auch im entsprechenden Fotoalbum Meisters aufscheint.

Der zweite Text – «Die Kulis starben auch schon wie die Fliegen» – besteht aus Briefen, die Meister seinen Eltern und Geschwistern sandte. Aus ihnen entsteht ein farbiges und eindrückliches Bild vom Bahnbau in Südchina. Hier wirkt die Sprache viel direkter und persönlicher als in seinem offiziellen Bericht, zumal Meister einen regen schriftlichen Kontakt mit den Seinen in Zürich unterhielt und einen sehr anschaulichen, detailreichen und präzisen Stil schreibt, um den ihn wohl mancher moderne Ingenieur beneiden dürfte. Die Texte schildern die Mühsal der Anreise durch das tropische und subtropische Bergland und erhellen die Lebens- und Arbeitsbedingungen im südchinesischen Grenzgebiet mit all ihren Wechselfällen. Wir erfahren Dinge über den Alltag in diesem damals sonst kaum beschriebenen Teil Chinas, was die Briefe besonders wertvoll und eigentlich einzigartig macht.7 Wir haben die Passagen darum nach dem Baubericht als eigenständigen Textkorpus angeführt. Durch das tropische Klima und durch Beschädigungen auf der langen Reise nach Europa sind leider einige Stellen unleserlich geworden. Die Transkription beruht auf Kopien der Originale. Der Text gibt die orthografische Originalversion wieder; wir haben lediglich offensichtliche Flüchtigkeitsfehler korrigiert. Dagegen wurde die Interpunktion, wo es nötig war, vervollständigt. Die Zwischentitel stammen vom Herausgeber.

Der dritte Text – «‹Die ganze Nacht hörte das Geknatter nicht auf.› Mit dem Schiff auf dem Jangtsekiang während der Bürgerkriegswirren 1929» – von Otto Meister, den wir integral wiedergeben, wurde am 4. Februar 1930 an seinen damaligen Arbeitgeber, die Gebrüder Sulzer in Winterthur, gesandt. Er führt mitten in die Bürgerkriegswirren, wie sie sich Ende 1929 im Zentrum Chinas anbahnten. Trotz den hier beschriebenen kriegerischen Auseinandersetzungen brach der eigentliche Kampf erst im Mai 1930 aus und endete am 4. November des gleichen Jahres. Die Kuomintang als Koalition war auseinandergebrochen, und die einstigen Verbündeten waren zu Gegnern geworden, d.h. Tschiang Kai Schek stand seinen früheren Waffengefährten, den «warlords» Yan Xishan, Feng Yuxiang und Li Zougren, gegenüber. Aus den Kämpfen, die gegen 300 000 Opfer gefordert hatten, ging Tschiang Kai Schek schliesslich als Sieger hervor.

Im Januar 1929 unternahm Meister, wohl im Auftrag seiner Firma, eine Fahrt mit geschäftlichen Absichten auf dem mitttleren Jangtsekiang, dem berühmten Sektor der Drei Schluchten, dessen eindrückliche Naturformen heute in den aufgestauten Wassern versunken sind. Es war ein kühnes Unternehmen, wie wir aus dem Bericht ersehen, zwischen den Frontlinien hindurch, wobei offenbar die gepanzerten Schiffe der europäischen Konzessionsmächte eine gewisse Duldung erfuhren. Trotzdem brauchte das Unternehmen Mut, schon wegen möglicher Fehlangriffe. Wir finden hier nochmals den unerschrockenen Abenteurer, wie seinerzeit bei der Reise durch Zentralamerika. Für den Leser von heute gibt der Bericht Einblick in ein wichtiges Kapitel der neueren chinesischen Geschichte, bevor die grosse Auseinandersetzung mit Japan begann.

Der Text mit dem Titel «Schiffahrt auf dem Mittleren und Oberen Yangtsze», einem eigentlichen Understatement, beginnt mit dem Hinweis, dass es sich um einen Auszug aus seinem Tagebuch handle, der vielleicht für Sulzer nicht ohne Interesse sei, «da er zeigt, wie es heutzutage mit dem Reisen in China und speziell auf dem Yangtsze bestellt» sei. Ergänzt werden diese Auszüge mit drei Briefen Meisters von derselben Reise an seinen Sohn Freddy.

Die Provinz Yunnan im Süden von China und der Verlauf der Yunnan-Bahn von Haiphong (Vietnam) nach Kunming.

Karte der ganzen Bahn zwischen Lao-Kay (Thành phó/Lào Cai) und Yunnansen (Kunming) sowie das Höhenproil (nächste Seite) aus dem Album von Otto Meister.

Curriculum Vitae von Otto Meister für die Arbeitssuche nach seiner Tätigkeit bei der Yunnan-Bahn.

«Eine der interessantesten Bahnen Ostasiens»

Der Bau der Yunnan Railway

Von Otto Meister

Bevor ich zur Bahn selbst übergehe, möchte ich einige Worte sagen über das Land, das sie durchzieht.

Die chinesische Provinz Yunnan erstreckt sich ungefähr vom 98.–106. Längen- und vom 22. bis 29. nördl. Breitegrad und grenzt im Süden an das französische Tonkin, im Westen an das englische Birma, im Norden an Thibet und die chinesische Provinz Tse-Tchouen und im Osten an die beiden weiteren chinesischen Provinzen Kouei-Tchéou und Kouang-Si. Die Hauptstadt ist Yunnansen, eine Stadt von ca. 60–70 000 Einwohnern.

Das Land ist gebirgig, die noch immer mächtigen Ausläufer des Himalaya durchziehen es in seiner ganzen Länge von Nordwesten nach Südosten. Die Oberläufe mächtiger Ströme bewässern es, ich erwähne nur den Salwen, den Mekong, den Songkoi oder «Roten Fluss» und den Yangtze.

Das Klima, und mit ihm Fauna und Flora, variiert natürlich ganz bedeutend mit der geographischen und der Höhenlage. Am untern Südabhang ist es ganz tropisch, heiss, feucht und ungesund. Da wachsen noch Bananen, Bambus, Palmenarten, Baumwolle, Zuckerrohr, Rhizinus, Kautschukarten etc., im Dschungel schleicht der Tiger und lauert die Boa.

Die Bevölkerung ist hier spärlich, und ihre Dörfer kleben meist hoch oben an den Bergen, wo die Luft besser ist.

Auf dem Hochplateau aber, etwa von 3000 Fuss Höhe über M. an, ist das Klima eigentlich ideal, im Winter nicht zu kalt, kaum dass es schneit oder gefriert, im Sommer nicht zu heiss; ich habe in Yunnansen z.B. kaum mehr als etwa 32–33°C = ca. 90° F. beobachtet. Nur die lange Regenzeit im Sommer ist unangenehm.

Hier gedeiht hauptsächlich Reis, Mais, Getreide, Opium, aber auch alle Arten von Gemüse, und Baumfrüchte, wie Orangen, Pfirsiche, Kaki, Äpfel, Birnen, vielerorts sieht das Land aus wie ein grosser Garten.

Manche Gegenden, besonders die Schluchten, sind stark bewaldet, doch kann von eigentlichem Holzreichtum kaum gesprochen werden.

Das Land ist ausserordentlich reich an Mineralien.

Berühmt sind namentlich die Zinnminen von Ko-Kiéou, etwa 60 km westlich von Mong-Tzeu, deren rationelle Ausbeutung gegenwärtig studiert wird. Es finden sich aber auch Salz, Steinkohle, Kupfer, Silber, Eisen; sogar Gold soll vorkommen.

Die Einwohner sind teils, besonders im südlichen Teile, fast unabhängige Bergstämme, wie die Man, Miao-Tze, Long-Ien, Pou-La, Lolo, etc., mit eigenen, oft sehr interessanten Sitten, Trachten und sogar Sprachen, teils zugewanderte eigentliche Chinesen, wovon viele Mohammedaner.

Gesprochen wird im allgemeinen ein Dialect, der nur wenig von Kwan-Hoa, der Mandarinensprache, abweicht.

Als Verkehrsmittel dienen hauptsächlich das Pferd, das Maultier und der Büffel und, für Personen, auch der Tragstuhl. Das Pferd trägt etwa 80 kg, der Büffel etwa 100. Eigentliche Strassen im europäischen Sinne des Wortes gibt es noch nicht oder deren Anlage ist doch eben erst begonnen worden. Die sogenannten Mandarinenstrassen sind teilweise mit grossen Steinen gepflasterte, aber sehr schlecht unterhaltene Wege, deren Längenprofil nur allzu sehr an die bekannten «Montagnes Russes» erinnert.

Schon lange hatten die Engländer versucht, dieses in jeder Hinsicht so interessante Land zu erschliessen, indem sie es mit dem Eisenbahnnetz von Birma in Verbindung setzen wollten.

Eine Bahn war projektiert ausgehend von Bhamo, dem gegenwärtigen Endpunkt der birmanischen Bahn, über T’eng-Yueh und Talifou nach Yunnansen; allein die Schwierigkeiten, besonders auch die technischen, waren so bedeutend, dass das Projekt bis heute noch nicht über die papierenen Windeln hinausgekommen ist.

In der Tat ist die Richtung der Linie, hauptsächlich zwischen T’eng-Yueh und Talifou, fast senkrecht zu den grossen Stromläufen und Höhenzügen, und die daraus sich ergebenden zu überwindenden Höhendifferenzen sind ganz ausserordentlich grosse.

Für die Franzosen gestaltete sich die Sache viel leichter. Ihre «Ligne de pénétration», nach Nordnordwest gerichtet, konnte im grossen und ganzen den Tälern folgen, statt sie zu überqueren, und ihnen war es denn auch Vorbehalten, zuerst auf dem Schienenweg in dieses Gebiet einzudringen.

Bald nach Beendigung der Boxerunruhen wurde der französischen Regierung von der chinesischen die Konzession erteilt für eine Bahn, die, ausgehend von der Grenzstation Lao-Kay am Roten Fluss, nach der Hauptstadt Yunnansen führen sollte. Diese Konzession wurde nun der «Compagnie Française des Chemins de fer de l’Indo-Chine et du Yunnan» übertragen, die ihrerseits wiederum die Ausführung der «Société de Construction de Chemins de fer Indo-Chinois» übergab für die Pauschalsumme von, wenn ich nicht irre, 97 Mill. fr. für die ca. 470 km oder 292 eng. Ml. lange Linie.

Die Vorarbeiten hatten bei meiner Ankunft im Sommer 1903 bereits begonnen. Vorgeschrieben waren: 1 m. (3’3”) Spur, maximale Steigung 25 l, Minimalradius 50 m.

Da natürlich keine irgendwie genauen Karten der ganzen in Betracht kommenden Gegend vorhanden waren, so mussten zunächst schwierige und zeitraubende Rekognoszierungen nach allen Richtungen ausgeführt und mit Bussole, Barometer und Tacheometer Croquis und Skizzen aufgenommen werden.

Dies führte zunächst zu folgendem Tracé: Von Lao-Kay aus dem Roten Fluss entlang bis Sin-Kay, dann Anstieg im Tale des Sin-Chien bis nach dem Dorfe Sin-Chien und der Ebene von Mong-Tzeu, dann weiter über Lingan-Fou und T’ong-Hai nach Yunnansen.

Bei der detaillierten Ausarbeitung der Pläne zeigten sich jedoch bald grosse Schwierigkeiten, besonders im Tale des Sin-Chien, wo trotz Anwendung und sogar Überschreitung der zulässigen Maximalsteigung (man ging stellenweise bis zu 35 l) und Anwendung des kleinsten erlaubten Radius von 50 m man sich gezwungen sah, zur Überwindung einiger der grössten Höhendifferenzen zu Spiraltunnels seine Zuflucht zu nehmen, dann aber auch in der obern Hälfte, wo unter anderem beim Eintritt in die Ebene von Yunnansen ein, wie man mir sagte, über 1 km langer Tunnel hätte ausgeführt werden müssen.

Kurz, man entschloss sich, im Jahre 1903, nachdem obige Linie bereits grösstenteils schon abgesteckt war, zur Annahme eines andern Tracés, das dann auch tatsächlich das definitive wurde, im untern Teile dem Laufe des Namti, eines Zuflusses des Songkoi, der sich bei Lao-Kay in diesen ergiesst, im obern dem Pa-Ta-Ho folgt, der zum Stromsystem des Si-Kiang, des Flusses von Canton, gehört.

Sie passiert Mong-Tzeu in einer Entfernung von ca. 6 km und geht dann über A-Mi-Tchéou, Pouo-Si und I-Léang-Hsien nach Yunnansen.

Die Vorschriften für dieses Tracé waren aber bedeutend verschärft worden. Es dürften Radien unter 100 m (= ca. 33´) nicht mehr angewendet und die Maximalsteigung von 25 l unter keinen Umständen mehr überschritten werden.

Es ist dies die Maximalsteigung in der Geraden, in den Kurven so, dass man also z.B. für eine Kurve vom Radius 100:sk = 25–500/100 = 20 l erhielt.

Minimaldistanz zwischen zwei Kurven von entgegengesetztem Sinn 30 m.

Zwischen Geraden und Kurven waren parabolische Übergangskurven von der Form Y = x3/6 1 R einzuschalten, die sich auf 20 m Länge erstreckten, je 10 m in der Geraden und 10 m in der dadurch deplacierten Kreiskurve.

Nachdem nun durch die Rekognoszierungen die Lage der Linie einigermassen festgelegt war, wurde der ganzen Länge nach, in einer Breite von im Mittel etwa 500 m ein tacheometrischer Schichtenplan im Masstab 1 : 1000 bis 1 : 2000 aufgenommen. Es war dies keineswegs eine leichte Sache in dem wilden, von Schluchten zerrissenen, z.T. fast weglosen und unbewohnten Berglande, besonders in der ungesunden, feucht-heissen, tropischen Wildniss des unteren Teiles. Wege mussten erst gebaut, Brücken geschlagen, Flösse gebaut werden.

Auch die Verproviantierung war da schwierig. Es kam vor, dass die Karawanen sich verirrten oder zu spät eintrafen.

Ich erinnere mich eines Falles, wo eine solche Abteilung, nachdem sie sich den ganzen Tag müde gearbeitet, zum Dinner nichts aufzutreiben vermochte als – 2 kleine Büchsen Sauerkraut und 1 Kiste Wein, plus 1 Topf Salz. Brot gabs überhaupt nicht, ausgenommen wenn man es selbst bereitete.

Im mittleren und obern Teil, wo es Dörfer und Städte gab, war die Verproviantierung nicht so schwierig, indem Hühner, Eier, Mais und Reis fast überall zu bekommen waren.

In diesem tacheometrischen Plan wurde nun die Linie eingezeichnet und ein erstes Längenprofil aufgestellt. Es begann sodann die definitive Absteckung der Linie in bekannter Weise, mit Hilfe der auf dem Terrain fixierten tacheometrischen Stationspunkte, die Aufnahme der Querprofile 1/200 und die Aufstellung des definitiven Längenprofils im Masstab 1/5000 für die Längen und 1/500 für die Höhen.

Stationen wurden etwa alle 15 km vorgesehen und in den grossen Steigungen von Zeit zu Zeit horizontale Strecken eingeschaltet, was sich nachher in mehrfacher Beziehung als sehr nützlich erwies.

Das endgültige Projekt war nun also folgendes: Die Bahn beginnt bei Lao-Kay ungefähr auf Quote 90 ü. M., überschreitet sogleich den Namti-Fluss und folgt nun seinen Lauf aufwärts bis in die Ebene von Mi-La-Ti nahe bei Mong-Tzeu, wo sie, etwa bei km 157 und 1710 m. ü. M., einen ersten Kulminationspunkt erreicht und in einem Tunnel die Wasserscheide überwindet. Nun fällt sie, am Ostrande der Ebene von Mong-Tzeu sich hinziehend und diejenige von Ta-Tchouang überquerend, bis A-Mi-Tchéou, km 225 (1060 m.ü.M.), um dann abermals zu steigen und, dem Laufe des Pa-Ta-Ho folgend, bei Choui-Tang, km 430 mit 2020 m Meereshöhe auf einem 2. Kulminationspunkt anzukommen. Nun tritt sie, wieder fallend, in die Ebene von Yunnansen und langt bei dieser Stadt bei km 470 auf Quote 1890 an.

Die Normalprofile sind wie folgt:

Normale Kronenbreite 4,4 m.

Böschung im Auftrag 1,5 – 1, im Abtrag variierend nach der Bodenart bis 1/10.

In hohen Einschnitten, namentlich auch in hohen Felseinschnitten, waren seitliche Ballastmäuerchen vorgesehen, wodurch die Kronenbreite von 4,40 auf 3,30 m reduziert und der Erdaushub ganz bedeutend verringert wird.

Überhängende Profile waren in kompaktem und günstig geschichtetem Fels gestattet. Schon die Plattform sollte mit der in den Kurven nötigen Überhöhung ausgeführt werden.

4 charakteristische Tunnelprofile waren vorgesehen, 1 ohne Verkleidung, aber so ausgeweitet, dass ev. eine 30 cm dicke Verkleidung ohne weiteres eingesetzt werden konnte, und dann je eins mit 30, 40 und 60 cm dicker Mauerverkleidung.

Von Stützmauern sollten im allgemeinen, des stark fallenden Terrains wegen, nur solche mit vertikaler Stirnfläche angewandt werden, aus Sparsamkeitsrücksichten, was sich indessen nicht bewährt hat.

Durchlässe und Brücken sollten, wo immer angängig, in Stein erstellt werden, und zwar in Kalkmörtel, da sich zum Brennen von Kalk günstiges Gestein an den meisten Orten vorfand.

Tasuta katkend on lõppenud.

Žanrid ja sildid
Vanusepiirang:
0+
Objętość:
202 lk 105 illustratsiooni
ISBN:
9783038550068
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