Loe raamatut: «Paul McCartney - Die Biografie»
Aus dem Englischen übersetzt
von Kirsten Borchardt
Impressum
Der Autor:
Peter Ames Carlin wurde in Syracuse im Bundesstaat New York geboren und wuchs in Seattle auf. Er schrieb für das US-Magazin People und arbeitet heute in der Kulturredaktion der Zeitung The Oregonian. Sein Buch Catch A Wave: The Rise, Fall And Redemption Of The Beach Boys’ Brian Wilson kam auf die Bestsellerliste der New York Times. Carlin lebt mit seiner Frau und seinen drei Kindern in Portland, Oregon.
Titel der Originalausgabe: Paul McCartney – A Life
Copyright © 2009 by Peter Ames Carlin
All Rights reserved.
Published by arrangement with the original publisher Touchstone/Simon & Schuster, N.Y.
Deutsche Erstausgabe 2010 mit der ISBN 978-3-85445-317-8
Aktualisierte und erweiterte Neuauflage 2017
ISBN 978-3-85445-631-5
Auch erhältlich als Broschur mit der ISBN 978-3-85445-630-8
Copyright © 2017 by Hannibal
Hannibal ist ein Imprint von Koch International GmbH, A-6604 Höfen
Umschlaggestaltung: www.bw-works.com
Coverfoto: © Saed Hindash/Star Ledger/Corbis
Layout und Satz: Thomas Auer, www.buchsatz.com
Übersetzung: Kirsten Borchardt
Lektorat: Eckhard Schwettmann
Update: Alan Tepper
Lektorat/Korrektorat des Updates: Dr. Matthias Auer
Hinweis für den Leser:
Kein Teil dieses Buchs darf in irgendeiner Form (Druck, Fotokopie, digitale Kopie oder einem anderen Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlags reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet werden. Autor und Verlag haben sich mit größter Sorgfalt darum bemüht, nur zutreffende Informationen in dieses Buch aufzunehmen. Es kann jedoch keinerlei Gewähr dafür übernommen werden, dass die Informationen in diesem Buch vollständig, wirksam und zutreffend sind. Der Verlag und der Autor übernehmen weder die Garantie noch die juristische Verantwortung oder irgendeine Haftung für Schäden jeglicher Art, die durch den Gebrauch von in diesem Buch enthaltenen Informationen verursacht werden können. Alle durch dieses Buch berührten Urheberrechte, sonstigen Schutzrechte und in diesem Buch erwähnten oder in Bezug genommenen Rechte hinsichtlich Eigennamen oder der Bezeichnung von Produkten und handelnden Personen stehen deren jeweiligen Inhabern zu.
Widmung
Für Ralph Berkowitz
Inhalt
Danksagung
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Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Quellen
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Danksagung
Beinahe zwei Jahre habe ich damit verbracht, in Pauls Fußstapfen zu wandeln, von Liverpool nach London, nach New York und Los Angeles und an viele andere Orte. Auf meinem Weg traf ich viele Menschen, schloss Freundschaften und bin dankbar für die große Hilfsbereitschaft, die ich fand. Sie nahmen sich Zeit für Interviews, manchmal mehr als einmal, teilten ihre Erinnerungen, Überlegungen und Ratschläge mit mir, öffneten mir ihre Türen, Archive und Adressbücher, ertrugen meine endlosen Anrufe, E-Mails und Besuche – sie waren außerordentlich großzügig und nett, und ich schulde ihnen mehr, als ich hier sagen kann.
Für Interviews, neue Gedanken und Faktenüberprüfung gilt mein Dank: Peter Brown, Nat Weiss, Danny Fields, Tony Bramwell, Tony Barrow, Joe Flannery, Bill Harry, Astrid Kirchherr, Mike Byrne, Ray Connolly, Roy Corlett, Rod Davis, Colin Hanton, Denny Seiwell, Henry McCullough, Carla Lane, John „Duff“ Lowe, Billy Hatton, Geoffrey Ellis, Don Short, Eric Stewart, Denny Laine, Howie Casey, Chris Hutchins, Iris Fenton, Laurence Juber, John Kosh, David Dalton, Alan O’Duffy, Brian Griffiths, Steve Holly, Rex Makin, Ken Mansfield, John Gustafson, Chas Newby, May Pang, Tony Sanders, Gordon Waller, John Kurlander, Robbie Macintosh, Hamish Stuart, Chris Thomas, Mark Featherstone-Witty, Hugh Padgham, Peter Webb, Terence Spencer, Spencer Leigh, Sam Leach, David Kahne, Peter Asher, Barry Miles, Larry Kane, Hanalei Perez-Lopez, Richard DiLello, Bob Gruen, Stuart Bell, Rosha Laine, Joe Boyd, Ray O’Brien sowie einigen MPL-Veteranen, studio- und tourerprobten Haudegen und vielen weiteren.
Für die Betreuung bei der Recherche: Kevin Roche im Archiv der Liverpool Public Library, Paul in der Abbey Road, Jamie Bowman in der Beatles Story in Liverpool. Außerdem gilt mein Dank den Mitarbeitern in der British Library und der New York Public Library sowie dem Super-Sammler Brenden Hyde.
Autoren sagt man nach, sie seien menschenfeindlich und selbstzentriert, daher kann ich die Wärme und Großzügigkeit der folgenden Kollegen gar nicht genug wertschätzen: Bob Spitz, Mark Lewisohn, Allan Kozinn, Dave Marsh, Tim Riley, Spencer Leigh, Paul Du Noyer, Chris Salewicz, Keith Badman, Richard Stolley, Debbie Geller (RIP), Bill Flanagan, Blair Jackson und Matt Hurwitz.
Auftraggeber, Lektoren, Kollegen und Freunde, die viel durchmachen mussten: Barry Johnson, Karen Brooks, Sandy Rowe, Peter Bhatia sowie jetzt auch Dennis Peck und Joany Carlin vom Oregonian (die nicht mit mir verwandt ist, wie ich noch hinzufügen möchte), Lanny Jones, Cutler Durkee, Jamie Katz bei People. Außerdem Dan Conaway, Geoff Kloske, Shawn Levy, Dave Walker, Geoff Edgers, Tim Goodman, Ryan White und Rick Emerson. Weiterhin ein großes, großes Dankeschön an Brendan und Christe White, die Eigentümer und einzigen Risikoprüfer der Writers’ Colony von Pacific City, Oregon.
Vielen Dank auch an Zachary Schisgal und seine Kollegin Shawna Lietzke bei Simon & Schuster, an meinen Agenten Simon Lipskar und seine Kollegen bei Writers House.
Und habe ich schon erwähnt, dass ich auch eine Familie habe? Alle Liebe der Welt an Anna, Teddy und Max, und noch einmal dasselbe und noch viel mehr an meine Ehefrau Sarah.
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Die Quarrymen bei einem Auftritt im Casbah Coffee Club 1960. Paul singt für Cynthia Powell, deren Freund sich gerade auf seine Gitarre konzentriert.
Sam Leach
Nach der Rückkehr aus Hamburg: Auch als harter Kerl in schwarzem Leder war Paul höflich genug, Promoter Sam Leach dem Publikum vorzustellen.
Sam Leach
Im Cavern Club 1962: Mit neuen Bühnenanzügen und einem Plattenvertrag in der Tasche waren die Beatles auf dem Weg nach oben.
Photofest
Bei den Aufnahmen von „Love Me Do“ unter den wachsamen Augen von Produzent George Martin im September 1962.
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Auch auf dem Höhepunkt der Beatlemania sorgte Paul auch außerhalb der Konzerte stets für Musik.
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Jung, schön und erfolgreich: Jane Asher und Paul waren 1964 das prominenteste Pärchen Swinging Londons.
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Jim McCartney bei einem seiner regelmäßigen Besuche bei Paul in der Cavendish Avenue in London. Wie Paul immer wieder gern betonte, gab es in seiner Familie niemals einen Generationskonflikt.
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„Sgt. Pepper’s“ Band 1967. Ein neuer Look, ein neuer Sound und neue Horizonte für die Popkultur.
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Zwar hatten sie sich auf der Party zur Veröffentlichung von Sgt. Pepper kaum unterhalten, aber nachdem sie den Abend über Paul zu Füßen gesessen hatte, erzählte Linda Eastman ihren Freunden, es sei ihr bestimmt, den letzten Beatle-Junggesellen zu heiraten.
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Im Sommer 1969 waren Paul und John beide verheiratet, und das ehemals so starke Band zwischen ihnen war zerrissen.
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Nach dem Ende der Beatles flohen Paul und Linda auf eine Farm in der schottischen Einsamkeit.
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Februar 1972: Paul ging mit seiner neuen Band auf Tour und gab einige Überraschungskonzerte an britischen Universitäten.
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Die Wings auf Europatournee im Sommer 1972. Bei einem Soundcheck im Tivoli verlässt Linda ihre Keyboards und tanzt zu Pauls Musik.
Monique Seiwell
Wie eine Gruppe fahrender Minnesänger zogen die Wings mit der ganzen Familie, Frauen, Kindern und Hunden durchs Land.
Monique Seiwell
Here, there and everywhere: Paul und Linda (hier 1974 im Aufnahmestudio von Eric Stewart) waren unzertrennlich.
Eric Stewart
Ein ganz normaler Familienausflug: Mr. und Mrs. McCartney etwa 1974 mit den Kindern bei einem Zirkusbesuch.
Photofest
1976 waren die Wings tatsächlich zum Flug über die ganze Welt bereit. Zur Besetzung gehörten neben Linda, Paul und Denny Laine (rechts) nun auch Jimmy McCulloch (ganz links) und Joe English.
Photofest
Mitte der Siebziger hatte Linda eine routinierte, wenn auch immer noch nicht wirklich überragende Bühnenpräsenz entwickelt.
Photofest
Say, say, say: Nach seiner Zusammenarbeit mit Paul Anfang der Achtzigerjahre beherzigte Michael Jackson den Rat seines Duettpartners und investierte in Musikverlagsrechte. Allerdings hatte Paul wohl an andere Songs gedacht, sicher nicht gerade die der Beatles.
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Pauls zweiter Versuch als Filmemacher, Give My Regards To Broad Street, wurde ein noch größerer Flop als Magical Mystery Tour.
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1989 ging Paul mit seinem alten Beatles-Bass und einem Programm auf Tour, das viele der beliebtesten Songs der Popgeschichte enthielt.
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Nach zweijähriger Trauer um Linda fand Paul in Heather Mills eine neue Liebe.
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Auch im 21. Jahrhundert steht Paul auf der Bühne, immer begleitet von den Schatten der Vergangenheit.
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Aus den Nachkriegs-Ruinen nach ganz oben: Auch nach fünfzig Jahren gelten die Beatles als eine der einflussreichsten und beliebtesten Rockbands aller Zeiten.
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Ferry, cross the Mersey: Stadtansicht des modernen Liverpool von der Fähre aus. Das berühmte Lied von Gerry & The Pacemakers wurde 1965 aufgenommen. Sie waren – wie die Beatles – bei Brian Epstein unter Vertrag.
Wahrzeichen von Liverpool: Das Cunard Building gehört (wie das Royal Liver Building und das Port of Liverpool Building) zu den „Three Graces“ (Drei Grazien), die zwischen St. Nicholas Place und Mann Island stehen. Das elegante Bauwerk am Pier Head wurde zwischen 1914 und 1918 als Hauptsitz der Cunard Line erbaut.
Hier ist Paul McCartney aufgewachsen, lernte von seinem Vater zu musizieren und komponierte erste eigene Lieder: No. 20 Forthlin Road in Liverpool, im Stadtteil Allerton. Das Haus ist heute ein Museum und gehört dem National Trust.
Der Beatles-Shop in der Mathew Street, Liverpool. Ganz in der Nähe ist auch der legendäre Cavern Club und das frühere NEMs-Musikgeschäft von Brian Epstein.
Neue Liebe: Paul McCartney und Nancy Shevell bei der Preisverleihung der Critics Choice Awards in Hollywood am 15. Januar 2010.
Rex Features/picturedesk.com
Kapitel 1
Paul McCartney ist fast zu Hause.
Er ist in Liverpool, jener Stadt, in der er geboren wurde und seine Kindheit und Jugend verbrachte. Mehr noch, er ist in Anfield, jenem Stadtteil, in dem sein Vater aufwuchs, in dem Ende des 19. Jahrhunderts sein Großvater lebte, arbeitete und seine Familie ernährte. Kein Wunder, dass Paul so strahlt. In wenigen Wochen wird er seinen 66. Geburtstag feiern, und in diesem Augenblick ist er ganz nahe an seinen Wurzeln. Umgeben von seiner Familie. Unter Freunden. Auf einer großen Feier. Großvater Joe McCartney hätte es damals, kaum eineinhalb Kilometer entfernt, genauso krachen lassen. Und Vater Jim McCartney ebenfalls. Jetzt, im neuen Jahrtausend, macht sein Sohn dasselbe.
Seine Wangen glühen. Seine Augen funkeln. Er öffnet den Mund, legt den Kopf in den Nacken und stößt ein helles Freudengeheul aus. Ahhhhhhhh!
Zehntausend Stimmen antworten ihm.
Paul trägt einen schwarzen Anzug mit hochgestelltem Kragen und darunter ein lockeres, weißes Hemd. Sein Haar ist übernatürlich braun, und er sieht deswegen, wenn auch auf leicht surreale Weise, jünger aus. Vor allem aber hat er seinen Höfner-Bass umhängen, und das allein genügt, um ihn so alterslos erscheinen zu lassen, wie er sich wahrscheinlich fühlt. Er weiß, wenn man sich Paul McCartney mit geschlossenen Augen vorstellt, dann unwillkürlich immer mit diesem Instrument. Der Höfner-Bass mit dem geigenförmigen Korpus zählt zu den ausdrucksstärksten Symbolen der Rockmusik. Er ist sein Wahrzeichen, sein Excalibur. Dabei ist das Instrument nicht unbedingt der Schlüssel zu seiner Vergangenheit. Aber die Tatsache, dass er es noch hat und noch so häufig in der Öffentlichkeit spielt, ist durchaus bedeutsam.
Der Höfner liegt ihm wie immer leicht in der Hand und schwingt locker vor seinen Hüften, als er sich zur Band umdreht und ein paar Töne anschlägt. Hinter ihm tupft der Schlagzeuger zart auf die Becken des Hi-Hats und baut einen Rhythmus auf. Paul wirbelt auf dem Absatz herum, tritt ans Mikrofon und brüllt den zigtausend Gesichtern, die sich vor ihm im Stadion aufreihen, eine Begrüßung entgegen:
For goodness sake – I got that hippy hippy shake …
Eine Explosion aus Schlagzeug, Gitarren und Keyboards prallt gegen den Lärm, der vom Publikum gegen die Bühne brandet, und es ist dieser Augenblick, an dem Paul wirklich nach Hause kommt. Er hat diesen Song nicht geschrieben, aber er hat ihn sich vor beinahe fünfzig Jahren angeeignet und damals zusammen mit ein paar Freunden in einem feuchten Keller vor Jugendlichen aus der Nachbarschaft immer wieder gespielt. Damals sprach noch niemand von Geschichte, und niemand dachte an Symbole oder Legenden. Aber was hätte das damals auch bedeutet? Sie hatten drei Akkorde, ein Schlagzeug und irgendeinen Schwachsinnstext über den Hippy Shake-Shake, für den man mal nach links und mal nach rechts schütteln musste. Und mehr brauchten sie nicht, das war alles, worauf es ankam.
So fing es an für Paul und seine Freunde. Und dann ging es richtig los. Erst kam ein größerer Keller, dann ein nach Bier stinkender Club in Hamburg. Ein Tanzsaal, eine kleine Halle und schließlich größere Hallen. Sie reisten nach London, nach Paris, nach New York. Und irgendwann um die ganze Welt. Bis die anderen drei verschwunden waren und nur er und Linda zurückblieben. Nun sorgte Paul dafür, dass sie mit ihm kam, auf die Bühne, um sich wie er von dieser Welle der Energie tragen zu lassen. Und natürlich gab es auch noch den Alltag. Das Haus und die Kinder und all das, aber die Scheinwerfer und die Kameras und die Musik in den Studios gingen nie aus. Und immer war da diese elektrisierende Druckwelle von Gitarren und Schlagzeug und Keyboards, zusammen mit seiner sanften, klaren, durchdringenden Stimme.
Nun steht er dort oben, wie eine Sprungfeder angespannt, seine Finger tanzen über das Griffbrett des Höfner-Basses, seine Stimme dröhnt, denn er will seine Geschichte erzählen. Nicht unbedingt mit Worten. Sicher, Paul spricht gern über sich selbst und schiebt die Fakten und Ideen hin und her, bis sie seiner sich stets wandelnden Vorstellung von Realität entsprechen. Aber das Herz dieses Mannes liegt in seiner Musik. Daher findet man nur dort die echte Wahrheit. Man kann sie hören. Jetzt ist „Hippy Hippy Shake“ vorbei, und vieles andere wird noch kommen. Sein ganzes Leben breitet er dort oben auf der Bühne aus und lässt es vor den Augen seines Publikums vorbeiziehen.
Es folgt „Jet“ – Paul und Linda zu ihren besten Zeiten. Jung, verliebt, von Kindern und Hunden umgeben und komplett und glücklich zugekifft. Mit einem Ruck geht die Zeitreise mit „Drive My Car“ ein paar Jahre zurück, John und Paul drängen sich um ein Klavier und verweben eine kleine Idee und ein bisschen Überheblichkeit zu einem herrlich geschmeidigen Rocksong über Lust, Geld und Macht. I got no car and it’s breaking my heart / But I found a driver, and that’s a start! Wie lange hat es gedauert, bis der Song fertig war – zwei Stunden? Inklusive Teepause? Wieder dreißig Jahre weiter nach vorn, nun kommt „Flaming Pie“, und darin geht es um dieselbe schicksalsträchtige Partnerschaft. Paul ärgert sich ein wenig über jene, die ihn für den Juniorpartner in diesem Songwriterteam gehalten haben: Ich bin der Kerl auf der brennenden Torte! Und um zu beweisen, dass er es immer noch draufhat, folgt nun seine neue Single „Dance Tonight“, die vielleicht düsterste Einladung zum Boogie, die es je gab.
Nun ein Augenblick des Gedenkens an George, mit einer Fassung von „Something“, bei der eine Ukulele den Ton angibt. Es ist rührend und gleichermaßen seltsam: Eine Ukulele? Bei seinen eigenen Klassikern „Penny Lane“ und „Hey Jude“ geht Paul wesentlich ernsthafter zu Werke. Und noch ernster wird es bei „Yesterday“, diesem Geschenk des eigenen Unterbewusstseins, dessen Melancholie von jenem tief empfundenen Verlust der Mutter gespeist wurde, der ihn als Teenager traf und dazu brachte, sich an seine Gitarre zu klammern und sie nie wieder loszulassen. „Let It Be“ erzählt eine andere Version derselben Geschichte. Mother Mary erscheint hier höchstpersönlich. Dann noch einmal eine Verbeugung vor John Lennon, die viel komplexer gelagert ist – angesichts all dessen, was geschah und was nicht geschah, angesichts der Stelle, an der er heute steht und singt, und angesichts der Tatsache, dass Yoko Ono im Publikum sitzt, wie er weiß, und jede seiner Bewegungen genau beobachtet.
I read the news today, oh boy …
Das hat er noch nie versucht, eine Liveversion von „A Day In The Life“, dem vielleicht kompliziertesten Song, den die Beatles je aufgenommen haben. In vielerlei Hinsicht ist es der Höhepunkt und das Herzstück seiner Zusammenarbeit mit John Lennon, die übergangslose Verquickung der existenziellen Düsternis des einen mit der surrealen Spaßeslust des anderen. Die Kameras haben Yoko in der Menge ausgemacht; ein schwarzer Zylinderhut thront elegant auf ihrem rabenschwarzen Haar, und sie lächelt und nickt, als die Livemusik auf der Bühne ausgeblendet wird und eine Aufnahme des berühmten Orchesterlärms ertönt, das über die überforderten Lautsprechertürme im Stadion zu einem nicht ganz überzeugenden Crescendo anschwillt. Eine kleine Drehung, und die Band setzt wieder ein, mit dem hymnischen Refrain von „Give Peace A Chance“. All we are saying … Nun strahlt Yoko und klatscht mit, und Paul macht auffordernde Handbewegungen, damit die Menge noch lauter mitsingt. Die Liverpooler sind nun außer sich vor Begeisterung, sie brüllen und winken zu Ehren eines gefallenen Helden, eines Heiligen, eines Märtyrers, der für die gute Sache eintrat. Und genau das wollte Paul auch, selbst wenn ihn diese Verehrung gleichzeitig ein wenig ärgerte.
Jetzt rasch die Tränen trocknen und die Nase geputzt, denn wir blenden zurück in die Kellerlokale seiner Jugend. Wieder zurück zu den verschwitzten Jungs, voller Leben und Begeisterung und noch so völlig ahnungslos, was die Zukunft bringen wird.
A-one, two, three, four!
Das Konzert geht zu Ende, und so kehren wir zum Anfang zurück, zu den vier Arbeiterkindern, die nichts hatten außer ein paar Akkorden, billigen Instrumenten und dem unbändigen Wunsch, keinen richtigen Job ergreifen zu müssen. How could I dance with another? Paul hat eine neue Band, die letzte Auflage der vielen, die er im Laufe der Jahre um sich geschart hat, und die riesige Videoleinwand hinter der Bühne zeigt wieder die Beatles, wie sie auf dem Höhepunkt ihrer Beliebtheit durch die Gegend rannten und sprangen und tanzten, sich wild hin- und herdrehten und einander in die Arme fielen. Sie waren so jung, so stark auf einander fixiert und völlig von dem wundervollen Lärm erfüllt, der mühelos aus ihnen hinausströmte. Paul brüllt, so laut er kann, das Stadion rockt, und die Wände wackeln buchstäblich durch den pulsierenden Rhythmus. Aber alle starren den alten Film an, und auch Paul kann sich einen kleinen Blick über die Schulter nicht verkneifen. Wie er damals aussah, wie sie damals klangen – das war way beyond compare: unvergleichlich.
Viele Jahre zuvor waren die McCartneys zu viert gewesen. Jim und Mary und ihre beiden ungebärdigen Jungen, Paul und Michael. Jim und Mary waren älter, als man hätte erwarten können. Jim war schon über vierzig, als Paul zur Welt kam, und Mary war in den Dreißigern, als Michael zwei Jahre später die Familie komplett machte. Vielleicht war das der Grund dafür, dass sie ihr Familienleben so zu schätzen wussten – trotz der dunklen Wolken, die beide Eltern bereits am Horizont aufziehen sahen. Davon abgesehen hatte sich der McCartney-Clan stets durch einen starken Familienverbund ausgezeichnet, und wenn es an einem Winternachmittag dunkel und kalt wurde, dann setzte sich die Familie im Wohnzimmer zusammen, Jim zog die Klavierbank nach vorn, setzte sich und ließ die Finger über die glatten, weich polierten Tasten gleiten.
Er war kein überragender Pianist; als junger Mann hatte er viel lieber die Trompete gespielt. Aber Jim hatte ein gutes Ohr und flinke Finger, die den Rhythmus und die Melodie der damals beliebten Lieder schnell erfassten und dann mit so viel Schwung zu spielen wussten, dass der Deckel des Klaviers gegen den Rahmen schlug. Ragtime-Schlager, Big-Band-Hits. Mary hingegen war nicht musikalisch – sie war eine Krankenschwester, die aus dunklen, freundlichen Augen in die Welt sah. Dennoch liebte sie es, dass ihr Mann so ein Gespür für Musik hatte, und es rührte sie, wenn Paul zu seinem Vater aufsah, wenn die sanften braunen Augen des Jungen leuchteten und die runden Wangen sich zu einem breiten Lächeln verzogen. Er wünschte sich seine Lieblingslieder, beispielsweise „Lullaby Of The Leaves“, aber von all den Songs, die sein Vater auf den Partys im Freundes- und Familienkreis gern spielte, forderte er vor allem immer wieder George Gershwins „Stairway To Paradise“. Spiel das noch mal, Dad! Spiel es noch mal!
Das tat Jim natürlich auch, mit einem breiten Lächeln, und seine Finger wanderten mit der aufsteigenden Akkordfolge nach rechts (Hörst du das? Genau wie eine Treppe!), während er mit seiner angenehmen Stimme davon sang, wie verrückt es doch war, sich schlecht zu fühlen, wenn man doch einfach die Treppenstufen erklimmen konnte, die direkt zum Glücklichsein führten.
I’ll build a stairway to paradise with a new step every day!
Der kleine Paul liebte diesen Song, er liebte es, wenn sein Dad ihn spielte, und wie er dann, wenn er fertig war, über die Schulter guckte und ein wenig winkte, als ob er sich bei einem aufmerksamen Publikum bedankte. Schließlich hatte er schon oft vor Zuschauern gespielt, und deswegen stellte Paul den Rat niemals infrage, den Jim ihm nach einem der spontanen kleinen Hausmusik-Abende gab: „Du solltest ein Instrument lernen. Wenn du ein Instrument spielen kannst, dann wird man dich zu jeder Feier einladen.“
Der Junge nahm sich den Rat zu Herzen, ebenso, wie Jim ihn befolgt hatte, als sein eigener Vater ihm lange Jahre zuvor das Gleiche gesagt hatte. Sie nahmen einander ernst, die McCartneys. Vielleicht, weil sie immer schon zu arm gewesen waren, als dass ihnen Außenstehende viel Respekt entgegengebracht hätten. So war es immer schon gewesen, seit die ersten McCartneys aus Irland nach Liverpool gekommen waren, wie die meisten Einwanderer mit wenig mehr als den Kleidern, die sie am Leib trugen, und ihrer Muskelkraft, dazu große Hoffnungen und den Kopf voller Ideen, die ihnen dabei helfen mochten, die Vergangenheit abzustreifen und in eine selbstbestimmte Zukunft aufzubrechen.
Man kann nur spekulieren, was die McCartneys dazu bewog, diese Reise anzutreten. Leichter ist es zu beschreiben, was sie vorfanden, als sie ankamen. Liverpool war eine blühende Hafenstadt im Nordwesten Englands an der Mündung des Mersey, jenes Flusslaufs, der wie ein Meeresarm des Atlantiks ins Landesinnere ragt. Liverpool war gewissermaßen das Sprungbrett nach England und dem dahinter liegenden Europa. Am Ufer des Flusses entlang erstreckten sich die Hafenanlagen, und dicht aneinandergedrängt legten hier die Schiffe an, die Zucker, Rum, Tabak und Baumwolle brachten und mit Textilien, abgepackten Nahrungsmitteln und Fertigwaren wieder davonfuhren. Liverpool war zudem ein Anlaufpunkt für die Sklavenschiffe, die von Afrika in die Vereinigten Staaten unterwegs waren und hier ihre Vorräte auffüllten. Dadurch entstand ein so enges kulturelles und wirtschaftliches Band, dass die Regierung der Amerikanischen Konföderation eine inoffizielle Botschaft in der Stadt unterhielt.
Während manche noch nach Liverpool einwanderten, wanderten andere schon wieder aus, um sich an den unbevölkerten Ufern der Neuen Welt oder im sonnigen, leeren Australien niederzulassen. Jene, die blieben, fanden ihr Auskommen – manchmal ein sehr einträgliches – im Liverpooler Handel. Vor allem, als die vom Hafen gestützte Wirtschaft in den frühen Jahren des 20. Jahrhunderts ihre Blütezeit erlebte. Besucher staunten über die imposante neoklassizistische Architektur, die Hochbahn und die kosmopolitische Atmosphäre der Stadt. Aus den Türen der Restaurants drangen die Wohlgerüche der Karibik, Asiens und Afrikas. Das Adelphi Hotel, das Juwel unter den georgianischen Bauten oberhalb des Stadtzentrums an der Lime Street, war wegen seiner luxuriösen Zimmer und der Schildkrötensuppe, die man im Restaurant bereitete, weltberühmt. Charles Dickens nannte es das beste Hotel der Welt.
Was in London exotisch oder schlicht bizarr gewirkt hätte, sorgte am Mersey nicht einmal für hochgezogene Augenbrauen. Afrikaner gingen Arm in Arm mit blassen Damen in der Stadt spazieren, und niemand fand das merkwürdig. Schon früh wurde in Liverpool der Jazz bekannt, der direkt aus den verrufensten Bezirken von New Orleans und New York kam und sich am Mersey häuslich niederließ. Ein Jazzclub nannte sich Storyville, nach dem berüchtigten Rotlichtviertel von New Orleans. Amerikanische Country-Musik war sehr beliebt, ebenso wie Folk, der mit seinem Mix aus schlicht erzählten Geschichten, einfachen musikalischen Strukturen und sozialistischen Untertönen ein Revival erlebte. Musik war in Liverpool etwas ganz Selbstverständliches. Die Stadt war „mehr als nur ein Ort, an dem Musik entsteht“, schrieb der dort aufgewachsene Journalist Paul Du Noyer einmal sehr treffend. „Liverpool ist ein Grund, weshalb Musik entsteht.“1
Genau so war es im Haus der McCartneys. Dort entstand ständig Musik. Jedes Lied hatte eine Geschichte, und jede Geschichte kam mit einem Lied daher. Das war schon bei dem Patriarchen Joe McCartney so, der das alte englische Basshorn spielte. Er wurde 1866 hier in Liverpool geboren, im Stadtteil Everton, um genau zu sein. Man stelle sich das Leben zu dieser Zeit nur einmal vor: Pferde und Kutschen, endlose harte Arbeit und kaum nennenswerter Lohn. Heute noch macht es den Anschein, als sei Everton nicht gerade die feinste Gegend, aber damals wusste jeder, dass es der schlimmste Slum in ganz England war. Dennoch fand Joe Arbeit in Cope’s Tabaklager und schuftete dort jahrelang. Er schnitt Tabakblätter, schob sie zusammen und rollte sie. Manchmal verfing sich eine ordentliche Portion davon in den Aufschlägen seiner Hosen. Keine Ahnung, wie der Tabak dort hingelangt war (na, ihr wisst schon), aber irgendwie war er wohl dort hineingerutscht. Was sollte Joe machen, er hob ihn auf. Manchmal hatte er am Ende der Woche so viel zusammen, dass er ein oder zwei Zigarren daraus rollen konnte, um sie einem Freund an der Ecke zu verkaufen und ein paar Pennys zusätzlich für den Unterhalt der Familie zusammenzubekommen.
Es war eine bemerkenswerte Familie. 1896 hatte Joe Florrie Clegg geheiratet, und es dauerte nicht lange, bis sich Nachwuchs einstellte. Joe und Florrie hatten neun Kinder, von denen sieben das Säuglingsalter überlebten, und das bedeutete, dass eine Menge kleiner McCartneys in Everton herumliefen. Und sie waren dabei nicht gerade leise. Egal, wie voll es im Haus sein mochte, die Tür der Familie stand meistens offen, und wenn das der Fall war, dann drang Musik heraus. Joe spielte Basshorn in der Bläsergruppe seines Viertels, und deshalb schauten öfter Freunde und Bandkollegen vorbei, um ein wenig zu musizieren und Tee zu trinken – oder auch etwas Stärkeres, wenn sie richtig in Stimmung kamen. Joe selbst bevorzugte Limonade, aber er hielt nie andere davon ab, sich zu amüsieren. Florrie hielt die Küche in Gang, begrüßte die Gäste, goss Tee auf und machte Welsh Rarebit, Toast mit Käsesoße, zur Stärkung. Abends standen die Türen meist weit offen. Die Musik war bis auf die Straße zu hören, Freunde und Nachbarn unterhielten sich auf dem Hof und tanzten.
So war das bei den McCartneys in der Solva Street in Everton. Mochte ja sein, dass die männlichen McCartneys dazu bestimmt waren, ihr Leben als Tagelöhner zu fristen oder als Arbeiter in der Fabrik eines reichen Mannes für ein paar Pennys zu malochen. Aber vielleicht konnte man mit einem bisschen Glück und harter Arbeit etwas Besseres finden. Und vielleicht war es auch in Ordnung, wenn man währenddessen ein bisschen Spaß hatte.
Das waren Weisheiten, wie Joe McCartney sie an seine Kinder weitergab, und sein Zweitältester, James, der am 7. Juli 1902 zur Welt kam, nahm sie in sich auf. Er war ein gutaussehender, liebenswerter Junge, der mit einer Adlernase und schmalen Augenbrauen gesegnet war, deren auffällige Bogenform ihm den Anschein gab, er sei ständig über irgendetwas erfreut, was bei seiner lustigen Art auch meist zutraf. James – oder Jim, wie er genannt wurde – passte im Unterricht an der Steer Street School in Everton gut auf und folgte dem Vorbild seines alten Herrn, indem er Trompete lernte. Als ein Nachbar der Familie ein ramponiertes, altes Klavier überließ, das aus dem NEMS-Musikgeschäft der Familie Epstein stammte, fühlte sich Jim von den Tasten magisch angezogen. Er brachte sich genug Noten und Akkorde bei, um etwas beitragen zu können, wenn die Türen offen standen und die Hausmusik begann. Als es an der Zeit war, dass sich der Schuljunge nebenher eine Arbeit suchte, um auch finanziell etwas zum Unterhalt beizusteuern, nahm Jim einen Job am nahe gelegenen Theatre Royal, einem Vaudeville-Theater, an. Er verkaufte vor den Vorstellungen Programme, um dann später, wenn die Show im Gange war, oben auf dem Balkon die Bühnenbeleuchtung zu betreuen. Wenn der Vorhang gefallen war, suchte der Junge die Gänge nach weggeworfenen Programmen ab, die er dann mit nach Hause nahm, um sie wieder aufzupolieren (feucht abwischen und einmal bügeln reichte in der Regel) und am nächsten Abend erneut zu verkaufen.