Loe raamatut: «Bern ... und seine Machenschaften», lehekülg 2

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So kam es, wie es kommen musste. Wenige Wochen später wurde aus Mademoiselle Bertrand Madame Picard. Isabelle und Bernard heiraten in Arles, natürlich im Restaurant ihrer Mutter. Es war ein wunderschönes Fest, und wie auf wundersame Art und Weise verstanden sich die beiden Familien, Picard und Bertrand, auf Anhieb bestens.

Das Ehepaar Bernard und Isabelle musste schon bald wieder weiterziehen: Bernard wurde in die Aquitaine in der Nähe von Bordeaux versetzt. Dort sollte das Ehepaar auch eine Weile bleiben. Schon im Verlauf des ersten Jahres kam zusätzliches Leben in den Ehealltag: Michelle, die ältere Tochter der beiden erblickte das Licht der Welt. Zwei Jahre später gesellte sich Danielle dazu. – Von nun weg war klar, wer das Sagen hatte. Die beiden Mädchen verstanden es von Kindsbeinen an, ihre Eltern um den Finger zu wickeln und sich in der Familie durchzusetzen. Heute sind beide, Michelle und Danielle, erwachsen und wunderschön anzusehen: die eine gross und blond, die andere etwas kleiner und brünett, beide mit vollem langem Haar, ihrer Mutter Isabelle wie aus dem Gesicht geschnitten.

Aber nicht nur die äussere Erscheinung der beiden lässt keinen Zweifel offen, wer die Mutter ist. Auch im Charakter sind sie ihrer Mutter sehr ähnlich: offen, natürlich, spontan und äusserst herzlich. Bernard könnte sich keine liebevollere Familie wünschen.

Menschenhandel, Drogenhandel …

«Sie haben recht, Herr Baumann, ich muss offen mit Ihnen reden. Unseren Informationen zufolge geht es in diesem Fall um grossangelegten Menschenschmuggel, ja gar um Menschenhandel. Aber nicht nur das, auch Drogenschmuggel und Drogenhandel spielen hier mit, letztlich steht aber der Handel mit Organen im Vordergrund. Das Ganze spielt sich nach unseren Informationen über die Balkanroute ab, und wie sie sicher wissen, ist in Albanien alles machbar, was Gott verboten hat, wenn man nur genügend dafür bezahlt. Das Geschäft ist äusserst lukrativ und hat deshalb schon so manchen in seinen Bann gezogen. Doch jetzt scheint das Ganze eine neue Dimension anzunehmen, von der nur zu erahnen ist, welchen Umfang sie noch annehmen könnte. Wir haben nämlich konkrete Hinweise, dass nicht nur Polizeifunktionäre in die Sache verwickelt sind, sondern auch deren politische Vorgesetzte.»

Jetzt wurde Philippe doch etwas hellhöriger. «Und wie sehen denn diese Hinweise aus?», wollte Philippe wissen. – «Ich muss sie darauf aufmerksam machen, Herr Baumann, dass das Ganze streng vertraulich ist und ich nicht – oder vielleicht noch nicht – befugt bin, Ihnen nähere Angaben anzuvertrauen.»

«Also gut, liebe Frau Sütterli, dann ist für mich das Gespräch hiermit beendet. Eigentlich interessiert es mich auch gar nicht richtig, was Politiker und Funktionäre so alles treiben. Ich will mein Rentendasein geniessen und meinen Frieden haben.»

Mit diesen Worten erhob sich Philippe, legte 5 Franken auf den Tisch und verabschiedete sich von Frau Sütterli mit einem kühlen «à Dieu». – Zurück blieb die EDA-Mitarbeiterin, abermals die Welt oder zumindest Philippe nicht richtig verstehend, zumal diesem so schnell nichts vorzumachen war.

Zuhause angekommen erzählte Philippe die Geschichte seiner Frau Deborah. Diese beglückwünschte ihn zu seinem Verhalten, gab dann allerdings doch zu bedenken, dass sollten die Informationen stimmen, ernsthaft dagegen angetreten werden müsste. Selbstverständlich hatte Deborah recht, aber dann musste man auch offen und ehrlich mit einem reden und nicht mit wesentlichen Informationen zurückhalten. Schliesslich hatte Philippe überhaupt keine Lust, sich mit der Sache näher zu befassen. Zum einen glaubte er, dafür nicht die richtige Person zu sein, zum andern hatte er auch den Glauben daran verloren, die Welt oder zumindest einen kleinen Teil davon verändern zu können. In all seinen Jahren als Kriminalpolizist war es ihm vielleicht ein- oder zweimal gelungen, nachhaltig zu wirken, um Schlimmeres zu verhindern. Natürlich brauchte es die Polizei, und natürlich sollen Straftäter ins Recht gefasst werden, aber hier wie dort sollte mit Augenmass gearbeitet und den Umständen entsprechend geurteilt werden. Diese Einstellung vermisste Philippe zuweilen in seinem Berufsleben und so machte Ernüchterung oftmals der Realität Platz.

Auch in diesem Fall konnte Philippe sich nicht vorstellen, wie er in der Sache weiterhelfen könnte. Auf sein ursprüngliches Beziehungsnetz konnte er nicht mehr zurückgreifen, da all seine ehemaligen Kollegen dem Amts- oder Berufsgeheimnis unterstanden. Auch hatte er keinen Zugriff mehr auf Datenbanken, die Recherchen doch einiges erleichtern würden. Schliesslich, und das war der Hauptpunkt, fehlte ihm auch die Erfahrung in nachrichtendienstlicher Tätigkeit. Quellen zu führen und mit diesen zusammenzuarbeiten war nie sein Metier, und Ermittlungen im Ausland fielen zumeist ebenfalls nicht in seinen Zuständigkeitsbereich.

In diesem Fall wäre es aber höchstwahrscheinlich und unabdingbar, der Sache vor Ort auf den Grund zu gehen. Namentlich wäre von Interesse zu erfahren, um welchen Polizeichef es sich hier handelte und was ihm konkret vorgeworfen wird.

Philippe wendete sich lieber wieder seinem Hund zu, zumal dieser ihm mit freundlichem Blickkontakt den anstehenden Abendspaziergang signalisierte. Viel lieber kam er dieser Einladung nach, als noch länger der anderen Sache gedanklich nachzuhängen.

Es war dunkel geworden, und Philippe und Enrico machten sich für den Spaziergang bereit. Bei Enrico bestand dies darin, dass er sich nochmals kräftig streckte und einen tollen Schluck Wasser nahm, bei Philippe, indem er sich möglichst warm anzog und Enrico das Leuchtband über den Kopf zog. Jedes Mal in dieser kalten Jahreszeit bewunderte er seinen Hund, wie dieser mit dem gleichen «Kleid» locker 20 Grad Temperaturunterschied aushalten konnte; mehr noch, dass es ihm gefiel, wenn es draussen stürmte und regnete oder gar schneite, und die Temperaturen unter dem Gefrierpunkt lagen. – Aber eben, Tiere sind keine Weicheier, und er selber wollte auch keines sein, womit er sich zusammenriss und der Kälte trotzte.

Auf dem Weg zum nahen gelegenen Wald hielt plötzlich ein Fahrzeug neben ihnen still. Dies war an und für sich nichts Ungewöhnliches, da es oftmals vorkam, dass Ortsunkundige sich bei ihm nach dem Weg erkundigten. Diesmal war es allerdings anders. Die Scheibe wurde elektronisch geöffnet und im Innern des Wagens sassen drei Personen. Auf dem Beifahrersitz erkannte Philippe Frau Sütterli. Der Mann am Steuer stellte sich als Michael Pulvermacher vor und er sprach in Hochdeutscher Sprache. Selbstverständlich entging Philippe nicht, dass er unter dem rechten Oberarm eine Waffe trug, vermutlich eine Walther P99. Die Walther P99 verfügt über keinen sogenannten Anti-Stress-Abzug, womit die Waffe im geladenen Zustand jederzeit schussbereit ist. Die Tragart liess darauf schliessen, dass Pulvermacher Linkshänder war. Im Fond des Wagens sass ein gewisser Tom Smith.

Frau Sütterli entschuldigte sich für den «Überfall» und sie bat Philippe, kurz im Wagen Platz zu nehmen. Dieser verneinte selbstverständlich, wollte er seinen Hund schliesslich nicht allein auf der Strasse zurücklassen. Folglich bat Frau Sütterli Philippe, er möge doch bitte morgen um 1000 Uhr ins Bundeshaus West kommen, dort werde er von der Generalsekretärin des Bundesrates erwartet. Zähneknirschend, und um nicht noch länger in der Kälte stehen zu müssen, nahm Philippe die Einladung an und setzte seinen Spaziergang mit Enrico fort.

Also wussten sie, wo er und Deborah wohnten. Das war zwar nicht allzu schwierig ausfindig zu machen und trotzdem kam ihm der Besuch in Dreierbesetzung merkwürdig vor.

Der Wagen entfernte sich in gleicher Weise, wie er gekommen war, und Philippe merkte sich das Kontrollschild. Eine AT Nummer, was auf eine Botschaft schliessen liess. Das konnte viel bedeuten, aber auch nichts. Frau Sütterli arbeitete schliesslich im Auswärtigen Amt und da waren Kontakte mit ausländischen Stellen an der Tagesordnung. Interessant war höchstens die Tatsache, dass sie ihn mit einem Diplomatenfahrzeug aufsuchten und dies doch schon recht spät am Abend. Überdies liess sich Frau Sütterli von einem hochdeutsch sprechenden Mann chauffieren, und der Mann auf dem Rücksitz des Wagens war wahrscheinlich amerikanischer Staatsbürger.

Philippe und Enrico setzten ihren Spaziergang fort und für den Moment war Philippe sich nicht mehr ganz sicher, ob es schlau war, den nahen gelegenen Wald zu durchqueren. Ach was, dachte er: mach dich nicht konfus und schritt weiter. Nachdem nun aber Enrico, was er sonst nie tat, sich von ihm löste und wie von einer Tarantel gestochen durch den Wald rannte, hinterfragte Philippe seinen Entscheid, und es war ihm schon ein wenig mulmig zu Mute; erst recht, als Enrico auch noch für eine kurze Zeit aus seinem Blickfeld verschwand. Philippe beruhigte sich in der Annahme, dass Enrico wohl eine Katze aufgescheucht hatte und dieser hinterhergejagt war. – Aber hatte es so spät am Abend überhaupt noch Katzen im Wald?

Auf jeden Fall kehrten Philippe und Enrico nach einer guten halben Stunde wieder nach Hause zurück und Philippe erzählte Deborah auch von diesem Vorkommnis. Sie machte sich natürlich so ihre Gedanken und hoffte nur, dass Philippe da nicht in etwas hineingeraten war, aus dem er schwerlich – wenn überhaupt – wieder herauskam. Natürlich sagte sie ihm dies nicht so direkt.

Nachdem die beiden das Abendessen eher schweigsam eingenommen hatten, verabschiedete sich Philippe damit, dass er im Bett noch ein wenig lesen wolle. Er machte dies oft, und so war es für Deborah auch nicht ungewöhnlich, wenn er sich bereits um 2100 Uhr von ihr verabschiedete. Sie selber wollte noch den Film im Fernseher zu Ende schauen.

Die Nacht verlief für Philippe unruhig, und er musste immer wieder an das Vorgefallene denken. Es war schon eigenartig, dass Frau Sütterli ihn in Begleitung von zwei Ausländern aufsuchte und ihn fast ultimativ ins Generalsekretariat des EDA aufbot. So etwas hatte er noch nie erlebt und auch nicht gehört, dass dies einer anderen Person widerfahren wäre. Irgendetwas stimmte hier nicht, und Philippe sagte sich innerlich: Bleib auf der Hut!

Am nächsten Morgen stand also das Treffen mit der Generalsekretärin im Bundeshaus West an. Was sollte er bloss anziehen? Früher war es für ihn klar, mit Hemd und Krawatte, Bundfaltenhose und Jackett zur Arbeit zu gehen. Jedoch seit seiner Pensionierung hatte er nie wieder eine Krawatte getragen oder sich sonst irgendwie bemüht, möglichst herausgeputzt daherzukommen. Und so sollte es auch heute sein. Er entschloss sich weiterhin seine Jeans zu tragen, dazu ein T-Shirt, Pullover und eine dem Wetter entsprechend passende Jacke.

Abermals nahm er den ÖV um nach Bern zu gelangen. Beim Eingang zum Bundeshaus West musste er sich der Security stellen und er unterstrich, dass er um 1000 Uhr von der Generalsekretärin erwartet werde. Der Sicherheitsmitarbeiter checkte seine Angaben und gab ihm kurze Zeit später zur Antwort, dass er im Wartezimmer abgeholt werde.

Wie nicht anders zu erwarten, war die Person, die Philippe abholte, Frau Sütterli. Sie schien wirklich eine zentrale Rolle zu spielen und sich in nächster Nähe zur Generalsekretärin zu befinden. Die Generalsekretärin hiess Vögtli, wie Philippe in seiner Unwissenheit dem Staatskalender der Bundesverwaltung entnommen hatte. Frau Irène Vögtli sollte hier also das Sagen haben.

«Guten Tag Herr Baumann, mein Name ist Irène Vögtli. Ich bin die Generalsekretärin von Bundesrat … ja sie wissen schon von wem. Ich danke Ihnen, dass Sie meiner Einladung gefolgt sind und möchte sogleich in ‘medias res’ gehen, wenn ihnen das recht ist.»

Frau Vögtli wusste sich auszudrücken und signalisierte dadurch, ihren Willen durchzusetzen. Offensichtlich war sie es auch gewohnt, Befehle zu erteilen und deren Umsetzung zu kontrollieren. Sie schien die Sache im Griff zu haben, auch wenn das Ganze nicht nur sympathisch herüberkam. Überdies liess sich Frau Vögtli gerne als ‘Madame’ ansprechen. Dies hängt mit ihrer Kindheit zusammen, denn sie wuchs mit ihren Eltern unter französischem Namen in der Westschweiz auf. Den Namen Vögtli hatte sie behalten, wenngleich sie sich von ihrem Mann vor ein paar Jahren hatte scheiden lassen. Wie es schien und so wird es auch portiert, hatte in der Ehe Vögtli Madame die Hosen an.

«Die beiden Herren an meinem Tisch haben Sie ja bereits kennengelernt. Herr Pulvermacher ist Mitarbeiter des deutschen Bundesnachrichtendienstes und Herr Smith ist Mitarbeiter beim CIA. Beide Herren geniessen mein volles Vertrauen, ebenso wie Frau Sütterli, die sie ja auch schon kennengelernt haben.» «Aber nehmen sie doch bitte Platz, Herr Baumann.»

Vom Tonfall her klang dies mehr wie ein Befehl als eine Einladung, und Philippe wusste eigentlich gar nicht, was er hier sollte. Am liebsten wäre er auch jetzt wieder aufgestanden und hätte Frau Vögtli die kalte Schulter gezeigt, so unfreundlich wollte er dann aber doch wieder nicht sein und er harrte er der Dinge, die da kommen mochten.

Frau Vögtli wurde nun einiges direkter als Frau Sütterli. Sie stellte vorweg fest, dass der Bundesrat voll im Bild sei und sie das ‘Pleinpouvoir’ erhalten habe.

Philippe hielt sich nicht dafür nachzufragen, ob dieses ein Entscheid des Gesamtbundesrates war oder «nur» von ihrem Departements Vorsteher. Damit hätte er den Bogen wohl überspannt und das wollte er nun auch wieder nicht. Also beschloss er, sich einmal anzuhören, was Madame Vögtli zu sagen hatte.

«Wie Sie wissen, und es würde uns dann schon noch interessieren, woher Sie Ihr Wissen haben, sitzt seit gut einer Woche ein hochrangiger Polizeichef in Tirana in Untersuchungshaft. Ein übereifriger, neugewählter Minister hatte dies veranlasst, wahrscheinlich um sich gegenüber der EU zu profilieren. Sie wissen ja, dass Albanien EU- Kandidat ist, und da gilt es zu markieren, wo man nur kann. Leider kam uns der «liebe» Minister in die Quere; wir hatten den Polizeichef nämlich schon seit längerem im Auge, und so mussten wir neu disponieren. Für die hiesigen Stellen ist der Polizeichef erkrankt und liegt in einem Spital in Tirana. Besuche sind vordergründig aufgrund seines Gesundheitszustandes nicht möglich.»

Philippe interessierte sich natürlich vorweg, um wen es sich bei diesem Polizeichef denn handelte und er erkundigte sich danach. Frau Vögtli schrieb den Namen auf einen Zettel und sie zeigte ihn ihm. Der Name war Philippe nicht unbekannt, er vermied es allerdings, sich anmerken zu lassen, wie gut er diese Person kannte.

«Nennen wir die Person einfach Zielperson Nr. 101», befand Frau Vögtli. – Also gut, warum nicht, dachte Philippe. Aber wer sind dann Zielperson 100 und Zielperson 102, und wer waren die Zielpersonen 1 – 99? – Philippe stellte diese Frage nicht.

Nun wurden von Seiten von Frau Vögtli die Spielregeln bekannt gegeben. Sie hielt fest, dass dieser Besuch bei ihr einmalig bleiben müsse und weitere Kontakte nur über ihren Mittelsmann, allenfalls über Frau Sütterli erfolgen sollten. Sie nannte ihm als Mittelsmann einen ihm vertrauten Journalisten namens Fred Würgler.

Fred oder Freddy Würgler – niemand nannte ihn Alfred – war jahrelang Auslandkorrespondent für das Radio SRF und zuständig für den Balkan und den Nahen Osten. Er gilt als profunder Kenner dieser Regionen, wobei es historisch betrachtet und mit Blick auf die Entwicklung des «Osmanischen Reiches» Sinn macht, hier aus einer Hand zu berichten. In der Zwischenzeit war Fred allerdings ins Mutterhaus zurückberufen worden und moderiert dort nun Sendungen mit Auslandbezug, vornehmlich zu den eben erwähnten Regionen.

Philippe hatte Fred zuletzt vor etwas mehr als einem Jahr getroffen und sie tauschten sich über ihre Zukunft aus. Fred war allerdings einiges jünger als Philippe und so war es für ihn noch nicht richtig an der Zeit, darüber nachzudenken, was er einmal machen würde, wenn er pensioniert wäre. Dies muss auch nicht verwundern, gibt es doch kaum einen Journalisten, wenn dieser seinen Beruf mit Herzblut ausübt, dass er zwischen Berufsleben und Rentendasein unterscheiden kann. Die ihnen angeborene Neugierde begleitet sie zeitlebens und hält sie dadurch auch wach an Geist. – So wird es mit Sicherheit auch einmal bei Fred sein.

«Was wird denn nun aber der Zielperson 101 konkret vorgeworfen?» So die Erkundigung von Philippe. «Unseren Informationen zufolge soll die betreffende Person im grossen Stil mit Drogen handeln.» Was, das konnte Philippe sich nun ganz und gar nicht vorstellen. «Und wie kommen Sie darauf?» «Unsere Vertrauensperson in Athen, respektive seine Vertrauensperson in Tirana hat uns folgendes berichtet»:

Sie hätten Zielperson 101 schon seit Längerem auf dem Radar gehabt. Er sei dadurch aufgefallen, dass er immer wieder Kontakt zu einflussreichen Personen in Tirana gesucht habe. Seine Frau sei zwar Kroatin, spreche aber aufgrund ihrer ursprünglichen Abstammung fliessend Albanisch und besitze grössere Ländereien in der Umgebung von Tirana. Die Ferien verbrächten die beiden deshalb oft in dieser Gegend.

Nun sei den Behörden aufgefallen, dass Zielperson 101 sehr oft den Eigenkonsum übersteigende Mengen an Olivenöl eingekauft habe und dieses in Eichenfässer zu 5 Litern habe abfüllen lassen. Das Olivenöl sei von hervorragender Qualität, sei kalt gepresst und stamme von Bäumen, die teilweise weit mehr als hundert Jahre alt seien. Die Erstehungskosten für Olivenöl in dieser Qualität sei in Albanien sehr gering und betrage pro Liter gerade mal wenige 100 Lek. Der Handelspreis für Olivenöl dieser Qualität lasse sich im Ausland fast nach Belieben nach oben schrauben.

Nun wollte es aber der Zufall, dass eines dieser Fässer beim Verlad in die Brüche gegangen sei. Das Öl habe sich auf den Platz ergossen, aber nicht nur das, auch ein bräunliches Pulver habe sich daruntergemischt. Die diskrete Untersuchung habe ergeben, dass es sich dabei um Heroin von bester Qualität handelte. Das Heroin sei feinsäuberlich verpackt und im Innern des Eichenfasses versteckt, und das Fass selber mit Olivenöl aufgefüllt worden. Für Drogenspürhunde sei es unmöglich, das Heroin so ausfindig zu machen. Das Heroin stamme vermutlich aus Afghanistan und werde über die Balkanroute nach Albanien gebracht.

«Und warum haben all die Informationen das EDA und nicht das Justiz- und Polizeidepartement (EJPD) oder zumindest das Verteidigungsdepartement (VBS), wo der Schweizer Nachrichtendienst angesiedelt ist?», wollte Philippe nun wissen. – «Ja, die Geschichte geht weiter und lässt sich wie folgt zusammenfassen»:

Zielperson 101 sei mit dem Vorfall konfrontiert worden. Er sei zwar aus allen Wolken gefallen und wollte von Drogen nichts wissen, trotzdem liess er sich dem Anschein nach mit einem Schweigegeld und der Zusicherung, dass den Ländereien seiner Frau nichts geschehen werde, dazu überreden, Stillschweigen zur Sache zu halten. Mehr noch, es wurde ihm angedroht, sollte er nicht kooperieren, so würden er und seine Frau alles verlieren, was sie hätten. Ob dieser Drohung sah sich Nummer 101 veranlasst, wohl oder übel einzulenken. Damit war er natürlich erpressbar und für die Drahtzieher des Verbrechens ein gefundenes Fressen.

Und so kam es wie es kommen musste. Nummer 101 sollte der Mittelsmann in der Schweiz werden. Der Olivenölexport lief wie bis anhin über die gewohnten Kanäle in die Schweiz und von dort ins benachbarte Ausland, vor allem nach Deutschland. Was die Zielperson 101 jedoch nicht gewusst haben will, dass seine Frau hier ihre Hände im Spiel haben soll. Olivenöl wurde nämlich erst seit 2016 in die Schweiz importiert, vorher nur nach den USA und China. Die «liebe» Ehegattin soll es verstand haben, ihre Beziehungen zu nutzen und den Vertriebskanal sicherzustellen.

Die Ermittlungen hätten zudem ergeben, dass Frau 101 auch in der Reisebranche tätig sei. So sei sie eingetragene Geschäftsführerin eines Reisebüros in Dubrovnik, welches spezialisiert für Kreuzfahrten auf dem Mittelmeer sei. Die Frau sei ganz schön geschäftstüchtig.

Unseren Erkenntnissen zufolge dienten die Schiffe nun aber, nota bene unter Schweizer Flagge fahrend, dem Menschenhandel und dem Menschenschmuggel. Personen würden «gesammelt» und in den Häfen von Dubrovnik und Durrës, dem grössten Hafen in Albanien, an Bord gebracht. Dort würden sie den übrigen Touristen entsprechend eingekleidet, um sie alsdann an geeigneter Stelle, vorweg in Nizza und Marseille wieder von Bord zu lassen. Selbstverständlich würden die betreffenden Personen dort von Schleppern in Empfang genommen und ihren Zielorten und Zwecken zugeführt. Eine raffinierte Art und Weise, um Personen einzuschleusen und sie der Sklaverei - in welcher Form auch immer - zuzuführen.

«Und wusste Herr 101 davon?», wollte Philippe ergänzend wissen. «Das wissen wir ja eben auch nicht. Und deshalb brauchen wir ja Sie. Sie sollen Licht ins Dunkel bringen.»

Was auffällig sei, dass die Visaanträge beim SEM, dem Staatssekretariat für Migration, welches dem EJPD untersteht, stets von demselben Reiseveranstalter, einem Ableger des Reisebüros von Frau 101 in der Schweiz, gestellt würden. Auf mysteriöse Art und Weise würden die betreffenden Personen jedoch den Schengenraum nie wieder verlassen und so seien sie auch auf die Unstimmigkeit aufmerksam geworden.

«Hmm, in der Tat merkwürdig. Und sie vermuten nun, dass es auch im EJPD, respektive bei fedpol, dem Bundesamt für Polizei, Mitarbeiter gibt, welche davon Kenntnis haben – in welcher Form auch immer?» «Und wie sieht es denn mit der Bundesanwaltschaft aus? Das wäre doch ein Fall für die Bundesanwaltschaft?»

«Ja, das stimmt. Aber die haben momentan andere Probleme.» - Auch das stimmte natürlich, nachdem wichtige Funktionäre dem Anschein nach an Amnesie leiden und sich an nichts mehr oder zumindest nicht an wesentliche Treffen erinnern können, wie der Tagespresse zu entnehmen war.

«Gut, und wie sieht es nun mit dem Organhandel aus, welche Frau Sütterli ebenfalls angesprochen hat?» - «Hier sind wir noch in den Anfängen, hingegen glauben wir, dass Herr Smith uns hier weiterhelfen kann.»

Tom Smith führte in der Folge aus, dass der Handel mit Organen in den USA ein florierendes Geschäft sei. Für Bauchspeicheldrüsen werde je nach Klientel ein sechs- bis siebenstelliger Betrag bezahlt. Auch die Milz sei sehr gefragt, nebst Nieren und anderer Eingeweide. – Das Ganze tönte zwar sehr makaber, schien aber Realität zu sein. Immerhin haben Milliardäre nichts zu verlieren, auch wenn sie noch so hohe Summen zahlen, um ihr Leid abzuwenden. Bekanntlich hat das letzte Hemd auch für sie keine Taschen.

Ob der ganzen Tragik bleibt zu berücksichtigen, dass die meisten Organspender dies wohl nicht nur freiwillig machten, namentlich dann, wenn der Körper lediglich über ein Organ für die Lebenserhaltung verfügt.

Philippe war ob der Nüchternheit des Referenten erstaunt und er fragte sich, wie man nur so abgestumpft werden kann. Liegt doch jedem Fall ein Schicksal zugrunde, das es nur zu erahnen gilt. Auch werden wohl kaum nur Verkehrsopfer mit tödlichem Ausgang oder andere bedauernswerte Geschöpfe in die Lage versetzt, ihre Organe zu spenden. Hier gilt es Verbrechen zu vermuten, welche unter dem Straftatbestand der vorsätzlichen Tötung stehen.

«Und was wollen Sie nun konkret von mir, Frau Vögtli?», erkundigte sich Philippe. «Eben, dass Sie Licht ins Dunkel bringen.» - So einfach dies tönte, so schwierig schien die Aufgabe, und Philippe bedingte sich eine Bedenkzeit aus, um über die ganze Sache nachzudenken. Ihm war momentan völlig unklar, sollte er den Auftrag annehmen oder nicht, und wie er Licht ins Dunkel bringen könnte. Auch hatte er momentan keine Ahnung, wie die Verdächtigungen entkräftigt oder eben auch bestärkt werden könnten. Ebenfalls wusste er nicht, was er sich mit dem Ganzen einhandeln würde, schien doch eine grössere kriminelle Organisation dahinter zu stehen und in einer One-Man-Show liesse sich diese wohl kaum hinter Schloss und Riegel bringen.

Philippe verabschiedete sich von den Anwesenden und er stellte Frau Vögtli eine Antwort innert Wochenfrist in Aussicht, selbstverständlich über ihren Mittelsmann.