Loe raamatut: «Cher - Die Biografie»
Peter Lanz
Impressum
Der Autor: Peter Lanz
Nach seiner journalistischen Ausbildung arbeitete Peter Lanz u. a. für Stern, Spiegel, Esquire, Forbes, Welt am Sonntag, Bunte. Er war Chefredakteur von Globo, Zeitschriftenentwicklungschef des Ringier Verlags, Referent am Münchener Institut für Kommunikationswissenschaft und am Wiener SAE Institut. Seit 2000 leitet er das PR-Unternehmen „lanz unlimited communications“. Peter Lanz hat 13 Bücher veröffentlicht, darunter Sachbuchbestseller wie Die neue Gewalt und Biografien über Falco und Woody Allen.
Deutsche Erstausgabe 2013
Coverdesign: © bürosüd°, München
Coverabbildung: © Screen Freeman/PA/picturedesk.com
Layout und Satz: Thomas Auer, www.buchsatz.com
Lektorat & Korrektorat: Verena Zankl
© 2013 by Hannibal
Hannibal Verlag, ein Imprint der KOCH International GmbH, A-6604 Höfen
ISBN 978-3-85445-421-2
Auch als Hardcover erhältlich mit der ISBN 978-3-85445-420-5
Hinweis für den Leser:
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Inhalt
Prolog
1. Die vielen Gesichter von Cher
2. Vater, Mutter und die frühen Jahre
3. Sonny Bono, der Mann fürs Leben
4. Phil Spector und die ersten Songs
5. In London fängt die Karriere an
6. Schwangerschaft und Hollywood
7. TV-Shows – und die Trennung
8. Der Skandal um das weiße Pulver
9. Schöne Männer und wilde Rocker
10. Start am Broadway
11. Die jungen Männer
12. Operation Schönheit – wahre Schnitte und falsche Gerüchte
13. Zu spät zum Oscar
14. Chas und die Mädchen
15. Politik und Charity
16. Rezept gegen das Altern: »Liebe und Sex«
17. Sonnys tragischer Tod
18. Comeback in Las Vegas und Hollywood
19. Die wilden Zeiten sind vorbei
Anhang
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Unwahrscheinliche Zufälle werden in Zeitungsberichten gern mit dem Satz apostrophiert: »Das hätte sich kein Hollywood-Drehbuchautor schöner ausdenken können.« Oder, besser noch: »Wenn ein Autor in Hollywood sich so eine Story ausgedacht hätte, sie wäre ihm vom Produzenten um die Ohren geschmissen worden.«
Nun, Cherilyn Sarkisian LaPiere hat solch eine Geschichte zu bieten. Cher hat solch eine Geschichte erlebt.
Es waren die glücklichen Zufälle, die überraschenden Begegnungen, die harte Arbeit, der Wille zum Erfolg, der gerade – manch einer würde sagen sture – Weg nach vorn, der für Cher etwas möglich gemacht hat, was nicht alltäglich ist: Da ist die Hippie-Ikone mit ihren merkwürdigen Klamotten, die zwanzig Jahre später zur Disco-Queen wird und beinahe fünfzig Jahre nach ihrem Debüt erneut ein viel besprochenes Album im Jahr 2013 (Closer To The Truth) vorlegt. Da ist die Pop-Queen, die alle Gesetze des Film-Biz auf den Kopf stellt und einen Oscar für die beste Hauptrolle kassiert. Sie tanzt, sie singt, sie spielt, sie schreibt, sie versucht sich als Innenarchitektin und Regisseurin. Und hätte sie nicht so grässliche Flugangst, wahrscheinlich wäre sie längst schon zum Mars geflogen.
Ihr Leben und ihre Karriere lesen sich wie die Blaupause der Popkultur. Vielleicht ist das der Moment, in dem Cher mehr von sich preisgibt als in tausend anderen Interviews, nur einen Augenblick lang zögert sie in einem Gespräch mit dem US-Magazin Vanity Fair, bevor sie sagt: »Ich habe so viele beschissene Mauern in meiner Karriere niederreißen müssen, ehe ich weitergekommen bin. Aber ich denke, das ist auch meine beste Eigenschaft: Ich bleibe nie stehen!« In Gesprächen legt sie ihre Worte nicht auf die Goldwaage. Und ebenso, wenn sie ihre Freunde und Fans per Twitter über die Chronik der laufenden Ereignisse unterrichtet. Sie sagt: »Ich habe tatsächlich eine Art Grundehrlichkeit in mir. Ich spüre meistens den inneren Drang, das zu sagen, was ich wirklich denke. Diese ungeschminkte Offenheit hat mich schon mehr als einmal in Schwierigkeiten gebracht. Aber es hat auch etwas Gutes: Die Leute wissen immer, woran sie sind.«
Cher weiß, dass Künstler dazu geschaffen sind, stets Neues zu kreieren. »Wenn Menschen zu mir sagen, ›Du hast doch schon so viel getan, willst du nicht mal weniger arbeiten?‹, dann ist meine Antwort: ›Hat irgendjemand mal Picasso gefragt, ob es nicht Zeit wäre aufzuhören?‹ Ich habe noch nie einen Job gemacht, den ich gehasst hätte. Ich habe immer versucht, das, was ich tue, gern zu tun.«
Eine Karriere über nahezu fünfzig Jahre ist der beste Beweis dafür, wie sehr die Menschen Chers künstlerische Arbeit zu würdigen wissen.
»Das Talent macht dich nicht berühmt.
Die Menschen machen dich berühmt.«
Cher
Wenn man sagt, dass das Leben ein Traum ist, warum sollten dann Träume nicht auch zum ganz realen Leben werden können? Für Cherilyn Sarkisian war alles allzeit Kampf gewesen. »Ich bin dazu erzogen worden, zu arbeiten, und es macht mir nichts aus, zu schuften. Ich liebe die Arbeit.« Genauso aber liebt sie hemmungslos das Leben im Luxus, die Annehmlichkeit, reich zu sein.
Cher hat, wie das amerikanische Magazin Newsweek in einer Titelgeschichte schrieb, viele verschiedene Gesichter. Sie hat viele verschiedene Karrieren gemacht, sie selbst entdeckt immer wieder neue Seiten an sich, sie ist, wie ihre Freunde behaupten, einem Chamäleon gleich: Veränderung als Perspektive. »Wenn ich etwas zu lange mache, langweilt mich das rasch. Wenn ich ein Lied fünfmal gesungen habe, reicht mir das. Ich möchte dann wieder etwas Neues machen.« Cher war eines der großen Pop-Idole der 1960er Jahre, sie war eine der bestbezahlten Entertainerinnen des US-Showgeschäfts, sie hatte eine eigene Fernsehshow und später eine Rockband – und heute ist sie eine angesehene und hochdotierte Schauspielerin. Sie tourt – allein ihre »Abschiedstour« dauert nun schon mehr als zehn Jahre –, ohne dass ein Ende abzusehen wäre. »In einer Galaxis, die hungrig stets nach Neuem sucht, strahlt ein Stern seit Jahrzehnten – Cher!«, brachte es die US-Zeitschrift Graffiti einmal auf einen Nenner. Und das amerikanische Magazin Vanity Fair fasste zusammen: »Cher ist ein Weltstar, und sie ist es, ohne sich je dem breiten Geschmack angebiedert zu haben. Sie war niemals die klassische Schönheit, nie die größte Sängerin, nie die talentierteste Schauspielerin.«
»Talent«, sagt Cher, »macht dich nicht berühmt. Die Menschen machen dich berühmt. Sie machen dich zu dem, was sie selber sein wollen. Es sind ihre Träume und es sind ihre Phantasien, die sie in dich hineinpacken.« Cher ist süchtig: nach Liebe, nach Aufmerksamkeit, nach Erfolg, nach Ruhm. Sie kann Identitäten annehmen, wie nasser Asphalt die Wolken spiegelt. Und irgendwann fragt man sich: Wie passt das alles, um Gottes Willen, zusammen? Wie kann eine so wundervolle Schauspielerin, die für ihre berührende Darstellung der New Yorker Witwe Loretta Castorini in Mondsüchtig den Oscar gewann und weltweit insgesamt 250 Auszeichnungen, vom Grammy-Award über den Emmy-Award bis hin zum Golden Globe, erhielt, Tweets von derber Anzüglichkeit in die Welt hinausposaunen oder halbnackt, wie eine Schlangentänzerin angezogen, zu Dinnerpartys erscheinen? Sie kann immer neue Identitäten annehmen, aber so oft sie sich äußerlich auch verwandelt, innerlich bleibt sich Cherilyn Sarkisian immer treu: eine starke, kontrollierte Frau, für die Gleichberechtigung längst zur Selbstverständlichkeit geworden ist. »Als ich mich von Sonny scheiden ließ, fragten mich die Leute, ob ich ihn eines anderen Mannes wegen verlassen hätte. Ich antwortete, ich habe ihn nicht eines Mannes, sondern einer Frau wegen verlassen – wegen mir.« Schon vor langer Zeit hat sie ihr Leben und ihre Karriere selbst in die Hand genommen – und sie ist sehr gut damit gefahren. Der Musikproduzent David Geffen, einer ihrer engsten Freunde, sagte einmal: »Cher wusste immer sehr genau, was sie mit ihrem Leben anfangen wollte. Sie hatte ihre Ziele – die sie konsequent verfolgt hat.«
In Las Vegas, wo Cher in vielen hundert Shows aufgetreten ist, nennt man sie »Die Katze«. David Geffen: »Weil sie neun Leben hat, wie eine Katze!«
Vor geraumer Zeit fragte sie ein Reporter der International Herald Tribune, was sie sich noch von ihrer Zukunft erwarte. »Nichts«, antwortete Cher, »denn ich habe einfach nicht mehr das Recht, mir irgendetwas zu wünschen.« Alles, was man in einer Show-Karriere erreichen kann, hat Cherilyn in vielfältigem Maße bekommen. »Ich habe es geschafft, ohne je eine Ausbildung als Sängerin oder eine Schauspielschule zu absolvieren. Ehe ich meine erste Rolle am Broadway bekommen habe, hatte ich höchstens in einer Aufführung an der High School mitgemacht. Meryl Streep riet mir dann, das Schauspielstudium ganz zu vergessen. Es mag okay sein für viele, aber nicht für mich. Ich arbeite auf der Bühne oder vor der Kamera nicht mit dem Kopf, sondern aus dem Bauch heraus, ganz emotionell.«
Cher, die Kunstfigur, die sich allerlei kosmetischen Operationen unterzieht, die sich Jungens ins Bett holt, die ihre Söhne sein könnten, die auf Partys in 300.000 Dollar teuren Klamotten antanzt oder im deutschen Fernsehen in einem Mini, nicht größer als ein Babylätzchen, auftritt – das sind nur winzige Steinchen in dem Mosaik, das die vielfältige, schillernde Persönlichkeit von Cherilyn Sarkisian ausmacht. »Sie liebt es zumindest ebenso, eine liebevolle Mutter und ganz normale Frau zu sein«, sagt ihre Schwester Georganne LaPiere, die Cher wahrscheinlich besser kennt als sonst jemand. »Aber natürlich macht ihr das glamouröse Leben Spaß.«
Und ebenso viel Freude hat sie an der Publizität: »Cher ohne die Publicity«, schrieb die International Herald Tribune, »ist wie Cher ohne Sauerstoff.« Ihre Schwester berichtete einmal von einem Abend in New York: »Bei einer Wohltätigkeitsveranstaltung in der Radio City Music Hall, ich glaube, es handelte sich um ›Die Nacht der 100 Stars‹, fuhr ich an der Seite von Cher in einer riesigen Limousine. Vor der Halle warteten Hunderte von Fans. Als sie das Auto sahen, versperrten sie uns den Weg und fingen laut zu schreien an. Sie riefen immer wieder nach Cher. Ich entsinne mich noch, wie sich Cher zu mir umwandte, grinste und wohliglich aufstöhnte: ›Mein Gott, wie ich es liebe, wenn sie meinen Namen rufen!‹«
Der Weg des Mädchens aus Kalifornien, das nur ein Ziel hat, berühmt zu werden – von der scheuen, jugendlichen Sängerin an der Seite von Ehemann und Duett-Partner Sonny Bono über die TV-Entertainerin und Broadway-Actrice bis hin zum Mega-Star der 1980er Jahre, der für einen einzigen Auftritt einige Hunderttausende Dollar kassieren kann – war sicherlich oft steinig und dornenreich. Georgia Holt, Chers Mutter: »Cher war immer darauf bedacht, sich niemals anzupassen. Sie wollte sich nicht anpassen.« Ein Charakterzug, der ihr lange Zeit Probleme brachte, letztendlich aber dazu beitrug, dass sie sich in Los Angeles, wo Karrieren oft wie Achterbahnfahrten verlaufen, immer an der Spitze hielt.
»Liebling, du bist nicht die Schönste oder Talentierteste, deshalb mache aus dem, was du hast, das Beste.«
Georgia Holt zu ihrer Tochter Cher
Nichts, was Cher Bono heute über ihre Kindheit erzählt, stimmt hundertprozentig. Aber es ist auch nicht ganz gelogen. Es ist eine Mischung aus Halbwahrheiten, künstlerischer Freiheit und einem Rollenklischee, in das sie in den letzten fünfzig Jahren hineinwuchs.
Fest steht auf jeden Fall, dass die ersten Lebensjahre von Cherilyn – sagen wir einmal – ungewöhnlich verliefen. Schon die Geschichte der Familie mütterlicherseits ist nicht alltäglich. Chers Großmutter war erst 15 Jahre alt, als sie in Kensett, Arkansas, die Tochter Jackie Jean zur Welt brachte. Zu diesem Zeitpunkt war Chers Großvater gerade 17, ein Junge, der Friseur gelernt hatte und von der Aufgabe, in so frühen Jahren eine Familie durchbringen zu müssen, überfordert war. Er stritt sich häufig mit seiner jungen Frau, blieb lange von daheim weg und trank eine ganze Menge.
Chers Mutter bekam schon in der frühesten Kindheit mit, was es heißt, Streit, Trennung und schließlich die Scheidung der Eltern mitzuerleiden. Jackie Jean Crouch, wie Chers Mutter früher hieß, erzählte oft, dass ihr Vater bei all seinen negativen Seiten, der aufbrausenden, wilden Art, der Trunksucht und der Unstetigkeit, trotzdem etwas hatte, was sie faszinierte: Er war durch und durch musikalisch und begann schon früh, Jackie Jean die Liebe zur Musik weiterzuvermitteln. »Mit sieben Jahren«, erzählte sie einmal, »trat ich bereits in unserer lokalen Radiostation auf und sang Country-Songs, die mir mein Vater beigebracht hatte.«
Damals war Jackies Mutter gerade 22 Jahre alt, selbst noch blutjung und an einer Familie ziemlich uninteressiert. Als sich die Eltern scheiden ließen, blieb Jackie beim Vater. Es folgten Zeiten, die die Vorlage für einen Film wie Papermoon geliefert haben könnten: Wie im Film Ryan O’Neal und seine Tochter Tatum, reisten im wirklichen Leben Jackie Jean Couch und ihr Vater durch die amerikanische Provinz und schlugen sich mehr schlecht als recht durch. Sie lebten von dem, was der Vater mit Gelegenheitsarbeiten und die Tochter durch ihre Gesangsauftritte verdienten. Eine Weile sang Jackie bei einer Hillbilly-Band mit dem Namen »Bob Wilson and His Texas Playboys«. Rückblickend gesehen, war es eine armselige Zeit. Chers Mutter empfand es damals aber nicht so: »Ich liebte meinen Vater. Und es war sehr abenteuerlich.« Die meisten Nächte verbrachten Vater und Tochter in Notunterkünften der Heilsarmee, häufig war auch Jackies jüngerer Bruder Mickey dabei, und alle drei mussten sie in einem Zimmer, meist sogar in einem Bett schlafen. Für eine Weile bekamen sie dann von der Sozialhilfe ein kleines Apartment im ärmsten Viertel von Los Angeles. Insgesamt besuchte Jackie 17 verschiedene Schulen, ohne je einen Abschluss zu machen. Das unstete Leben, der Kampf auf der Straße, die harte Arbeit – mit 13 Jahren verdiente sie für die Familie bereits ein paar Dollar als Hausmädchen nebenher – machten Jackie Jean Crouch stark. Aber sie machten sie auch unsagbar verletzlich und erweckten einen unstillbaren Hunger nach Liebe und Abenteuer in ihr.
All das muss man wissen, wenn man verstehen will, in welches Milieu Cherilyn hineingeboren, nach welchen Prinzipien sie später von ihrer Mutter erzogen wurde. Und man muss sich natürlich Chers Vater vorstellen – ein Bild von einem Mann, aber nicht nach jedermanns Geschmack.
Chers Mutter hatte indianisches Blut in ihren Adern, der Vater war Armenier. Ein hochgewachsener, dunkelhaariger Typ mit schwarzen Augen und olivfarbener Haut, der allen Frauen den Kopf verdrehte. Er wirkte äußerst männlich, und obwohl er ein einfacher Farmer war, konnte er sehr gut mit Worten umgehen. Später berichtete Cher oftmals, wie charmant und umgänglich ihr Vater sein konnte.
John Sarkisian lernte Jackie Jean in einem Bäckerladen in Fresno, Kalifornien, kennen. Jackie Jean – zu dem Zeitpunkt eine blonde Schönheit mit aufregenden grünen Augen – war 18 Jahre alt und Verkäuferin im Laden, als John Sarkisian auftauchte. »Er war äußerst höflich zu mir.« Was ihr auffiel – und was so gar nicht zu dem Bauernjungen passen wollte –, waren die goldenen Ringe, die er an den Fingern seiner Hände trug. Jackie Jean verdiente ihr Geld als Ladenmädchen, aber sie hatte ganz andere Ambitionen. Sie sah gut aus und hatte beim Umherziehen mit ihrem Vater und den gelegentlichen Auftritten als Sängerin ins Showgeschäft hineingerochen. Sie hatte Blut geleckt und war von der Bühne und den Studios so gefesselt, dass sie alles daran setzte, um später auch eine Karriere als Schauspielerin oder Entertainerin zu machen. Egal, wie wenig sie auch verdiente, sie versuchte immer, sich hübsche Kleider zu kaufen, Geld für Make-up zu haben und hin und wieder den Friseur zu besuchen.
Chers Mutter war damals ziemlich im Zwiespalt mit sich selbst: Auf der einen Seite, berichtete sie später, hoffte sie auf eine Karriere in den Studios von Hollywood, auf der anderen Seite hatte es ihr der gutaussehende John Sarkisian mit den vielen goldenen Ringen so angetan, dass sie sich von ihm überreden ließ und ihn, nicht viel mehr als ein halbes Jahr nach dem ersten Rendezvous, in Reno heiratete. Es war von Anfang an keine glückliche Ehe: Jackie schien immer unsicherer zu werden, ob sie mit der Hochzeit auch den richtigen Weg für ihre Zukunft gewählt hatte. Drei Monate nach der Trauung verließ sie ihren Mann, kehrte aber wieder zu ihm zurück. Es war ein ewiges Hin und Her: Versöhnung, Streit, Versöhnung. Sie hatten in El Centro, Kalifornien, eine kleine Bleibe gefunden und lebten größtenteils von dem Geld, das Johns Vater, der bei verschiedenen Farmern der Umgebung aushalf, verdiente. Jackie merkte mit der Zeit, dass ihr Mann trank. Er konnte dann aufbrausend werden und blieb oft nächtelang weg. Die paar Dollar, die sie dringend für Lebensmittel oder die Miete gebraucht hätten, warf er beim Spiel mit seinen Freunden hinaus. Genau in dieser Zeit der Sorge und Ratlosigkeit teilten die Ärzte der Frauenklinik in El Centro Jackie mit, dass sie schwanger war. Am 20. Mai 1946 kam ihre erste Tochter zur Welt, Cherilyn. Für Jackie schien damals ein Alptraum Wirklichkeit geworden zu sein: Das, worunter sie selbst so gelitten hatte, wiederholte sich nun. Die kleine Cherilyn bekam gleich von Anfang an die wilden Auseinandersetzungen der Eltern mit. Die Geburt seines Kindes schien John Sarkisian nicht zu verändern, im Gegenteil, er war noch seltener daheim als früher, und wenn er da war, wirkte er noch gereizter als zuvor. Jackie Sarkisian sah am Ende nur einen Ausweg: Sie reichte die Scheidung ein. Als Cher gerade fünf Monate alt war, tingelte ihre Mutter in verschiedenen Bars und Saloons umher und verdiente ein paar Dollar mit ihren Auftritten als Sängerin. Es war wirklich nicht die Art von Showgeschäft, von der sie immer geträumt hatte, doch auf der anderen Seite war sie froh, sich und die Tochter mit dem Gesang wenigstens über Wasser halten zu können. Abends blieb Cherilyn meist allein, ihre ersten Erinnerungen reichen zurück an die schmutzigen Hotelzimmer mit den halb herunterhängenden Rollos, in denen sie bleiben musste, während Jackie ihre Gesangsnummern hatte.
Endlich, 1947, schien Jackie das Glück zu winken. »Ich bildete mir ein, einen Zipfel davon erwischt zu haben. Ich hatte immer vom Film geträumt und den Produzenten die Tür eingerannt, mir doch eine Chance zu geben.« MGM, die große Produktionsfirma, ließ sie schließlich in mehreren klitzekleinen Rollen vor der Kamera auftreten. Es war nichts, was der Rede wert gewesen wäre, aber Jackie schien es die große Chance zu sein. Sie brachte Cher tagsüber in einem Kinderheim unter, arbeitete im Studio, nahm nachts einen Job als Serviererin an und suchte sich einen Künstlernamen aus. »Weder Jackie Crouch noch Jackie Jean Sarkisian schien mir für eine große Karriere ein geeigneter Name.« Jackie nannte sich ab sofort Georgia Holt.
Langsam diente sich Georgia hoch: von der Komparsin zu ersten Sprechrollen, dann zur Nebendarstellerin. 1948 lud John Huston sie zu einem Casting für den Film Der Asphaltdschungel ein. Georgia überzeugte die Produktion, und man versprach ihr die Hauptrolle in dem Film. Alles schien bestens zu laufen, sogar die Kostüme wurden ihr schon auf den Leib geschneidert, als John Huston einer andere junge Schauspielerin über den Weg lief, die ihm noch besser für die Hauptrolle geeignet schien. Ihr Name: Marilyn Monroe.
Ein winziger Zwischenfall vielleicht, aber typisch für das ganze Leben von Jackie Jean Crouch alias Georgia Holt: In dem Moment, in dem ihr das Schicksal das Glück greifbar vor Augen hält, ist alles wieder vorbei. Sie war von der Zeit an nie mehr ganz arm, nie mehr zutiefst unglücklich, nie mehr von allen verlassen, aber trotzdem wurde sie mit den Jahren verbittert. Sie bekam viele mittelmäßige Rollen in Fernsehserien, die bekannteste war die Bob Cummings Show, damals im aufstrebenden TV-Geschäft eine der am meisten diskutierten und gesehenen Sendung. Und sie flüchtete sich in immer wieder wechselnde Partnerschaften. Insgesamt war sie achtmal verheiratet, dreimal mit John Sarkisian, Chers Vater.
Als ihr bewusst wurde, dass die Karriere, die sie sich erträumt hatte, für sie unerreichbar war, übertrug sie ihre Wünsche auf Cher und fing an, sie darauf vorzubereiten. Sie beobachtete die Entwicklung ihrer ältesten Tochter – mit ihrem zweiten Ehemann John Southall hat sie noch eine andere Tochter, Georganne, – kritisch. »Liebling«, sagte sie einmal zu Cher, »du bist nicht die Schönste oder Talentierteste, deshalb mache aus dem, was du hast, das Beste.«
Rein äußerlich war Cher – im Gegensatz zu ihrer Schwester – der Mutter nie sehr ähnlich. Sie hatte das dunkle Haar und die dunklen Augen des armenischen Vaters und mütterlicherseits nur die bronzefarbene Haut der Cherokee-Indianer, die zu ihren Vorfahren zählen. Als Kind passierte es Cher immer wieder, dass man sie für ein Mexikanermädchen hielt. Einmal, nach einem kurzen Ausflug mit zwei Freundinnen, wollte man Cher gar nicht mehr über die Grenze zurück nach Amerika lassen, weil die Polizisten annahmen, sie wolle sich in den USA unerlaubt eine Arbeit suchen.
Cher litt zu dieser Zeit in Los Angeles ohne Zweifel unter ihrem Aussehen. Einmal vertraute sie einer Freundin an: »Alle Mädchen, die die Aufmerksamkeit von Jungens erweckten, waren blond und hatten eine weiße Haut. Ich sah so ganz anders aus, als ich es mir gewünscht hätte.«
Cher beschreibt sich selbst als »scheues, introvertiertes Mädchen, dessen Lieblingsbeschäftigung das Versteckspiel war«. Es gab im Umfeld der Familie eine junge Mexikanerin namens Maria und wenn Chers Mutter unterwegs war, kümmerte sich Maria um die Kleine. »Wir spielten immer in dem Wäldchen, das nahe unseres Hauses stand.« Einmal verlor Maria in dem Wald die Spur von Cher. »Mir schien es, als wäre ich Tage lang allein. Ich schrie, ich hatte Furcht, aber ich bemühte mich, nicht zu weinen.« Was Cher wie Tage erschien, dauerte vielleicht eine halbe Stunde. »Die Bäume sahen für mich kleinen Zwerg wie Ungeheuer aus, es war wie in dem Film Der Zauberer von Oz. Aber schon damals zeigte sich, dass ich zur Drama-Queen geboren war.«
Cher erinnerte sich später oft, dass Georgia sie in die teuersten Ecken von Los Angeles mitnahm und ihr die wohlhabenden, vornehmen Leute zeigte. »Ich sah, wie sie zum Essen gingen oder zum Einkaufen, und meine Mutter sagte, dass Filmstars immer reich seien und immer glücklich. Sie sagte, sie könnten sich mit Schmuck behängen, und sie würden niemals arm sein.«
Den Tag, an dem sie zum ersten Mal im Kino war, wird Cher nie vergessen: »Ich war vier. Meine Mutter nahm mich in Grauman’s Chinese Theatre mit, dem namhaftesten Kino von Los Angeles. Das Personal war in Cheongsams, in wunderschöne chinesische Kleider gesteckt und brachte uns zu den Plätzen. Der Film Dumbo wurde gespielt. Der Kinosaal war der größte Raum, den ich jemals gesehen hatte, der ganze Godzilla hätte darin aufrecht tanzen können. Damals wurde mir bewusst: Oh mein Gott, dieses Filmding ist der Himmel!«
Cher entwickelte schon früh eine blühende Fantasie. Das lag vor allem daran, dass sie kaum Umgang mit gleichaltrigen Kindern hatte. In ihrer Autobiografie The First Time schreibt sie: »Oftmals saß ich für mich allein in einem Zimmer und fing an zu träumen. Ich träumte, ich säße unter einem Zitronenbaum und mit mir meine erfundenen Freunde Sam und Pete. Sie waren beide Fernfahrer. Und wir pflückten gemeinsam Tomaten und veranstalteten für uns Tomatenpartys. Meine Freunde und ich hatten in diesen Momenten lange Gespräche. Über alles. Was ich mochte und was ich nicht ausstehen konnte. Sam und Pete waren für mich genauso real wie Harvey, der Hase, für James Stewart im Film.« Als ihre Mutter diese Phantasien mitbekam, wollte sie mit Cher zum Psychiater gehen, aber Chers Großmutter hielt sie zurück: »Meine Großmutter verstand mich. Ich war furchtbar allein.«
Georgia Holt erzog ihre Tochter zu dem Bewusstsein, etwas ganz Außergewöhnliches zu sein: »Was immer die anderen sagen, vergiss nicht, du bist etwas Besonderes!«
In gewisser Weise machte sie aus Cherilyn damals bereits eine egozentrische Eigenbrötlerin, die in ihren ersten Lebensjahren gleichaltrigen Kindern gegenüber verschlossen war und wenig Freunde hatte. »Die Freunde kommen später, wenn man berühmt ist. Dann tauchen sie auf und sagen, ach Gott, ja, Cherilyn, das war ja das Nachbarmädchen, uuuhhh, wir waren die besten Freunde damals.« In Wahrheit waren die beiden Schwestern ziemlich einsam. Was zur Folge hatte, dass sich die beiden Mädchen zusammenschlossen, miteinander sehr vertraut wurden und bis heute ein inniges, freundschaftliches Verhältnis zueinander haben. Wahrscheinlich ist bis heute Cher niemand näher als ihre Schwester. Einmal sagte Cher in einem Interview: »Ich wollte bekannt werden, aber ich wusste nicht, wie. Ich hatte keine besonderen Begabungen, und ich war schrecklich schüchtern. Aber mit zwölf übte ich bereits meine Autogramm-Unterschrift. Und bis heute hat sich an dieser Unterschrift nichts geändert.«
Schulkameraden erinnern sich, dass Cherilyn damals bei aller Scheu auch gelegentlich das Gehabe wie eine Primadonna an den Tag gelegt habe. »Sie rannte beispielsweise den ganzen Tag über mit Sonnenbrille herum. Die nahm sie nicht einmal ab, wenn es draußen zappenduster war.«
Obwohl sie ein schüchternes Kind war, liebte Cher auch damals schon den großen Auftritt. »Meine Eltern hatten viele Alben großer Broadway-Musicals wie Porgy and Bess, My Fair Lady, Oklahoma oder West Side Story. »Ich war noch nie davor in New York gewesen und die Filmversion kam erst viel später«, schreibt Cher in ihrer Biografie, »aber ich sah das Cover und spielte das Musical für mich allein nach. Ich drehte die Musikanlage ganz laut auf und identifizierte mich mit den Charakteren, die ich spielen wollte, nicht nur die Frauenrollen. Ich arbeitete buchstäblich Monate an dem Musical. Ich ließ dabei niemand zusehen, nicht einmal meine Mutter.«
Damals zeigte sich bereits ein besonderes Talent von Cher: Wenn sie einen Song hörte, konnte sie die Melodie und den Text im Handumdrehen nachsingen.
Die Unruhe der Mutter gestaltete Chers Leben in den ersten Jahren äußerst abwechslungsreich und über alle Maßen aufregend. Trotz ihrer zweiten Ehe mit John Southall hatte sich Georgia nie ganz von Chers Vater lösen können. Die beiden hatten sogar Kontakt zueinander, als John Sarkisian eine Weile ziemlich in die Rauschgiftszene abrutschte und geplatzter Wechsel wegen mit dem Gesetz in Konflikt kam. Aber Georgia Holt vermied es lange, Vater und Tochter zusammenzubringen. »Mit elf Jahren sah ich ihn zum ersten Mal bewusst«, schilderte Cher die Begegnung mit dem Vater der US-Fernseh-Journalistin Barbara Walters. »Als ich diesen dunkelhaarigen Mann in unser Haus kommen sah, dachte ich, okay, jetzt verstehe ich alles. Das ist es, wo ich herkomme.«
Zu dieser Zeit heiratete Georgia John Sarkisian ein zweites Mal. Cher kämpfte mit aller Macht gegen diese Beziehung. Sie gestand später einmal, dass sie ihrem Vater nie verziehen hat, sie so früh im Stich gelassen zu haben. »Als ich ihn brauchte, war er nicht da. Jetzt brauchte ich ihn nicht mehr. Von mir aus sollte er bleiben, wo immer er wollte.« John Sarkisian hatte sich in den Jahren kaum verändert, er war labil und ließ sich von seinen Freunden immer wieder zu Rauschgift oder unmäßigem Alkoholgenuss verführen. Er lebte von dem, was ihm Georgia zukommen ließ, oder er verpfändete einfach, wenn es nicht anders ging, ihren Schmuck. Einmal hat er angeblich sogar betrunken in der Wohnung von Georgia Feuer gelegt.
Als Cher elf war, fragte sie die Mutter einmal unvermittelt: »Hast du Lust, deinen Vater zu treffen?« »Klar«, antwortete Cher, obwohl sie nicht darauf versessen war, John Sarkisian wirklich kennen zu lernen. Am anderen Tag wurde sie für die Begegnung zurechtgemacht: Die Mutter holte Chers bestes Kleidchen heraus, drehte ihr Löckchen und achtete darauf, dass sie picobello sauber war. In The First Time schreibt Cher: »Als mein Vater an der Tür war, war ich sehr aufgeregt. Als ich öffnete, war mein erster Gedanke: ›Wow, daher habe ich mein Lächeln!‹ Er war groß und hatte gelocktes, dunkles Haar, er hatte meine Augen und darüber dichte Augenbrauen. Er sah irgendwie aus wie ich – und ich dachte: ›Jetzt verstehe ich. Das ist es, woher ich komme.‹ Er war extrem gut gekleidet, besonders fielen mir seine Krokodillederschuhe auf. So etwas Teures hatte ich zuvor noch nie gesehen.«
Cher war eine mehr als mittelmäßige Schülerin. Es fehlte das Geld, die Töchter in die besseren Privatschulen in Los Angeles zu schicken. Zu allem Überfluss erkannte man reichlich spät eine angeborene Störung bei Cher, die es ihr beinahe unmöglich machte, Worte oder Zahlen optisch zu speichern. Sie leidet an Legasthenie, einer Lese- und Schreibschwäche. Legastheniker haben Probleme mit der Umsetzung der gesprochenen in die geschriebene Sprache und umgekehrt. Viele Jahre später sagte Cher in einem Interview mit der italienischen Illustrierten Oggi, sie habe immer noch Probleme, Drehbücher auswendig zu lernen: »Es ist mein bestgehütetes Geheimnis. Die Regisseure durften es nie merken. Sonst hätte ich keine anständigen Rollen bekommen.« Seit jeher behalf sich Cher damit, dass sie sich Texte oder Zahlenkombinationen einfach von jemandem vorlesen ließ. »Offenbar habe ich ein phänomenales Gedächtnis und kann mir das, was ich höre, einprägen. Das gleicht vermutlich den Verlust aus.«