Loe raamatut: «Jakob der Letzte»

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Ausgewählte Werke in Einzelbänden

Mit Materialien, Kommentar und Nachwort,

herausgegeben von Daniela Strigl und Karl Wagner

Band 2

Peter Rosegger

Jakob der Letzte

Eine Waldbauerngeschichte aus unseren Tagen

Herausgegeben und

mit einem Nachwort

von Daniela Strigl


VORWORT

Dieses Werk hat einen tieferen Zweck, als den, bloß zu unterhalten. Es soll eine auffallende und wichtige Erscheinung der Gegenwart schildern, es soll ein Bild geben von dem Untergange des Bauerntums in unseren Alpen.

Ich fühle von dem, was den Bauernstand angeht, mich fast persönlich betroffen, und so zwang mich mein Herz, dieses Buch zu schreiben. Es ist ein Stück tragischer Wirklichkeit; der Dichter hatte das Gemälde nur zu gruppieren, zu runden und im besonderen die wenigen Blumen, die in Wüsten und auf Ruinen sprossen, mit Liebe zu pflegen.

Was heute vorgeht, da draußen in den Bergen, es vollzieht sich nicht so sehr von Natur wegen, es vollzieht sich durch die Schuld der Menschen.

Es ist ein an sich altes, aber in unseren Tagen vertieftes Vorurteil, daß der Bauer keine Bildung habe. Diese Anschauung kann nicht etwa darin ihren Grund haben, daß im allgemeinen der Bauer unvernünftig lebe und vielen Vorurteilen ergeben sei. Denn jene Leute, die sich vorzugsweise die Gebildeten nennen, nämlich die Städter, leben vielfach noch unvernünftiger als der Landmann und sind noch größeren Vorurteilen unterworfen. Man denke nur einmal nach und vergleiche im ganzen die Sitten des Landmannes mit den Zuständen und Angewohnheiten des Städters. Wer sich wie der Bauer an die Natur hält, der kann wohl roh, sinnlich und eigennützig sein, nie aber in solcher Weise abirren von den gesunden Wegen, als es den Leuten im Bereiche der Überkultur möglich ist und geschieht.

Der Landmann gilt vielmehr bei den Städtern für ungebildet, weil ihm das Schulwissen fehlt, weil er nicht höhere Mathematik treibt, die Naturgeschichte nicht aus Büchern gelernt hat, nicht mitsprechen kann über Politik und Theater, keine gelehrten Abhandlungen zu schreiben versteht und sich nicht fein zu gehaben weiß.

Das ist ja eben ein Zeichen von der krankhaften Verbildung vieler Weltleute, daß diese im allgemeinen nicht wissen, was Bildung ist. Wenn jemand die Meinung aufstellte, gebildet solle jeder sein, aber jeder brauche nicht das Gleiche zu wissen; die Bildung müsse erstens dem Charakter eines Menschen, zweitens seiner natürlichen Fähigkeit und seinem Berufe angemessen sein; als gebildet könne jeder gelten, der seine sittlichen Eigenschaften entwickelt habe, seinem Stande gerecht werde, indem er das Seinige leistet, der sich in seine Verhältnisse zu fügen wisse, den näheren Mitmenschen zum Wohlgefallen und sich selbst zur Befriedigung sei: Wenn jemand diese Meinung aufstellte, ich könnte nicht anders, ich müßte ihm recht geben. Jeder Beruf, jeder Stand fordert seine Kenntnisse, seine Fertigkeiten und seine besonderen Tugenden. Wenn der Bauer als Bauer tüchtig ist, nachbarlich und zufrieden in seinen engen Grenzen, dann hat’s keine Not, dann ist er in seiner Art ebenso gebildet als der Philosoph auf dem Lehrstuhl, von dem kein Mensch verlangen wird, daß er den Pflug zu führen und den Dünger zu schätzen verstehe. Das allgemeine gesellschaftliche Wohl verlange, sagt man, Teilung der Arbeit, und die schwerste Arbeit sollte die geachtetste sein.

Da möchte ich mich bedanken, wenn gerade der älteste Beruf des Menschengeschlechts und die wichtigste Arbeit für dasselbe nicht mindestens ebenso hoch bewertet würde, als die weniger wichtigen, etwa jene Beschäftigungen, die erst durch die menschlichen Gebrechen, Leidenschaften und Laster notwendig wurden, als die Arzneikunde, die Rechtskunde, oder als die Leistungen, die nur von der künstlich gezüchteten Genußsucht verlangt werden! Wenn man einwendet, daß etwa zu letzteren eine größere Fähigkeit nötig sei, als zum Bauernstande, so wäre, abgesehen von anderem, darauf zu entgegnen, daß heutzutage der Bauer schon eine sehr tüchtige Kraft sein und einen sehr klugen Kopf haben müsse, wenn er sich in seinem Stande tapfer soll behaupten können.

Denn es ist fast alles gegen ihn. Während man allerorts, vom Reichsrate bis zum letzten Winkelverein herab, die Phrasen von der Wiederaufrichtung des braven Bauernstandes hören kann, spitzen sich die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Verhältnisse auf das schärfste zum Nachteile unseres Bauernstandes zu. Mancher reiche Herr, der im Parlamente schöne Reden hält für den Bauer, für den Mann der Arbeit, drückt daheim auf seinen Gütern den Arbeiter so arg er kann, bringt die nachbarlichen Bauern um Haus und Hof und zwingt ihnen, wenn sie sich nicht lieber in der weiten Welt zerstreuen und verlieren, wieder die Zustände der alten Hörigkeit auf.

Aber der Bauer ist in dieser Sache auch nicht ohne Schuld, und nun kommt der Grund, aus welchem man dem Landmann von heute die Bildung absprechen muß. Er mag und will sich nicht mehr schicken in seinen Stand, er schämt sich seiner, nicht allein, weil dieser Stand gedrückt und verhöhnt wird, sondern noch vielmehr, weil auch den Bauern der Größenwahn erfaßt hat. Er will etwas „Besseres“ sein, als der Vater gewesen. Er trachtet zu lernen, aber nicht für seinen Stand, oder des Wissens wegen, sondern um möglichst ein „Herr“ zu werden. Das ist nicht ein Zeichen der Bildungsbedürftigkeit, es ist ein Zeichen von Verrohung des Gemütes, vom Schwinden der Treue, und vom Hunger nach „Ehre“ und „vornehmeren“ sinnlichen Genüssen. Es wäre einerseits kein Wunder, daß man von einem Stande abspringen will, der von allen Seiten ausgesogen, mißbraucht und übervorteilt wird. Indes, so war es mehr oder minder ja zu allen Zeiten, und dem Bauer wohnt naturgemäß eine Kraft inne, solchen Widerwärtigkeiten zu trotzen. Die Gegenwart hätte ihm vielleicht Mittel geboten, sich wahrhaft frei und geachtet zu machen. Aber er verlor seinen festen Bauerncharakter und damit seine Beharrungskraft. Die Krankheiten der Zeit haben ihn erfaßt, die Fahrigkeit, der Größenwahn. Er ist nicht mehr für seinen Stand gebildet und gestählt, und so vollzieht sich gegenwärtig eine merkwürdige Flucht. Es vollzieht sich eine Flucht vom Pfluge zum Hammer, vom Hammer etwa zum Zirkel, von diesem zur Feder, zum Doktorhut und so weiter. Nichts will im Staate mehr Grundstein bilden, alles will Dachgiebel sein – wäre es ein Wunder, wenn eines Tages der Bau das Übergewicht bekäme? Der Bauer, weil er nicht in die Höhe kann, so strebt er in das Weite aus; nach allen Richtungen der Windrose hin eilt der schollenflüchtige Landmann; von zehn Flüchtlingen versinken auf fremdem Boden neun …

Unsere hohen Herren – die lüstern nach der Scholle greifen, aber nicht um sie zu bebauen, sondern um sie verwildern zu lassen und darauf ihres Lebens höchstem Berufe, der Weidmannslust zu frönen – haben bereits die Stirn, zu behaupten, daß in den Alpen der Bauernstand nicht mehr zu halten und auch überflüssig sei. „Mit der Einfuhr von Feldfrüchten keine Konkurrenz mehr möglich.“ Das ist der Standpunkt des Händlers und nicht der des Bauers. Der Alpenbauer ist überhaupt nicht da, um zu „konkurrieren“, sondern um auf seinem Boden für sich zu arbeiten und zu leben. Zwar einfach zu leben, aber naturgemäß und als freier Mann. Es wird sich zeigen, ob bei dem steten Wachstum der Bevölkerung unsere wenn auch oft kümmerliche Erdscholle verachtet werden darf, ob der Mensch des Jagdwildes willen heimatlos sein soll, und ob das Reh und der Hirsch seine Herrschaft in unseren Bergen behaupten kann. Schon heute vollzieht sich alljährlich eine Völkerwanderung von den Städten aufs Land, ins Gebirge. Noch kehren sie, wenn die Blätter gilben, wieder in ihre Mauern zurück, aber es wird eine Zeit sein, da werden die wohlhabenden Stadtleute sich Bauerngründe kaufen und bäuerlich bewirtschaften, Arbeiter sich solche aus der Wildnis roden und reuten. Sie werden auf Vielwisserei verzichten, an körperlicher Arbeit Gefallen und Kräftigung finden, sie werden Gesetze schaffen, unter denen wieder ein festständiges, ehrenreiches Bauerntum bestehen kann, und das Schlagwort vom „ungebildeten Bauer“ wird man nicht mehr hören.

Aber das alte Bauerngeschlecht wird vernichtet sein. Wie in unserem Alpenlande der Kampf gegen dasselbe und die Vernichtung vor sich geht, das soll dieses Buch erzählen. Es sei jedoch nicht geschrieben, bloß um ein Bild von dem äußeren Wandel zu stellen, sondern vor allem, um bei Lostrennung von der Heimatsscholle die Vorgänge im Menschenherzen zu schildern; und es sei geschrieben der Treue wegen, die in meinem Jakob lebt.

Erster Teil

EIN SELTSAMES PFINGSTFEST

Das war am heiligen Pfingstsonntag nach der Mahlzeit.

Jakob, der Hausvater, saß in der wohldurchwärmten Stube und las in einem alten Buche. In weißen Hemdärmeln, wie er war – der durchnäßte Lodenrock trocknete am großen Kachelofen – stützte er seine Arme breit auf den Eschentisch, und die Finger über dem Buche ineinandergeschlungen, las er das „Besetzel“ vom heiligen Geist. Er las vielleicht nicht mit voller Andacht, wie sie sich für einen so hohen Festtag wohl geziemte, denn bisweilen hob er sein Haupt und blickte hinaus in das Schneegestöber. Die Flocken wirbelten so dicht, daß die Linde, die dort an der Wegtorschranke stand, nur als dunkle verschwommene Masse durch das trübe Grau schattete. Die hohen Fichtenbäume vor dem Hause, welche kaum über die Hälfte hinauf sichtbar waren, beugten ihre verknorrten Äste unter den Schneelasten, die jungen Lärchen auf dem Anger standen wie Zuckerhüte, und dort, wo gestern die maienhaft blühenden, duftenden Holundersträucher gestanden, waren eitel Schneeberge. Die Säulen der Torschranke hatten hohe Hauben auf, wie der Bischof, wenn er draußen zu Sandeben die Firmung hält. Die Zaunstecken hatten spitze und stumpfe Hütlein, Helme, Schnäbel, Kissen und Bänder von Schnee.

Wenn das Pfingststaat sein soll!

Jetzt kam der Wind und fegte den Schneestaub von den Bäumen, Sträuchern und Dächern des Hofes und ließ ihn tanzen und wehte ihn an die Fenster, wo er sich in die Ecken, Ritzen und an die Rahmen schmiegte.

„Gott sei Dank, daß der Wind kommt!“ sagte der Jakob, „sonst wollt’s bald Fetzen geben in den Kirschbäumen und Linden. Die Elessen-(Traubenkirschen-)Stauden hat’s schon zerrissen. Ist ein schlimmer Kamerad, der Schnee, wenn er zu solcher Jahreszeit kommt.“

Auf den Dachgiebeln und unter den Vorsprüngen der Dächer hüpften und schwirrten Vögel umher; die Finken und Drosseln waren vom Walde, die Zeischen und Lerchen von dem Felde hergekommen und mußten sich bei den Schwalben zu Gaste laden, Schutz und Unterstand suchen im Reuthofe. Aus dem Hause war ein wilder Knabe gestürmt, um mit Schneeballen nach ihnen zu werfen.

Der Jakob beobachtete den Knaben, der mit heißen Wangen und Augen im Schneegestöber umlief, von jungen Bäumen den Flaum auf sich niederschüttelte und mit Geschrei und Geschleuder das ratlose Geflügel verfolgte. Schier mit Wohlgefallen schaute der Jakob darauf hin, als dächte er: das wird auch einmal ein rechter Altenmooser Jodel! Dann öffnete er das Fenster und rief scharf hinaus: „Jackerl! Laß mir die Vögel in Ruh’ und geh’ herein, es ist zum Beten!“

Jetzt stand der Hausvater aufrecht. Was er in seiner Gebirgstracht für ein strammer stattlicher Mann war! Das frische jugendliche Gesicht glatt rasiert bis auf den Schnurrbart; die Nase scharf und kühn gebogen, die Augen unter dunkeln Brauen etwas tief liegend und freundlich blau von Farbe. Bart und Haar waren lichtblond und schimmerten schier ein wenig golden; das Haar war rückwärts kurz geschnitten und vorne quer und locker über die Stirne gelegt. An der Stirne waren, wer genau sehen wollte, einige Blatternarben. So aufrecht der Mann dastand, der Kopf war leicht vorgeneigt, das ist kein Wunder bei einem hochgewachsenen Haus- und Familienvater, der auf die Seinen immer herabschauen muß, der auch das kleinste zu seinen Füßen kniende oder an seinen Knien krabbelnde Wesen nicht übersehen darf, der seine Kraft und seine Sorge und seine Liebe aus dem Boden zieht, auf dem er steht, und von seinem Haupte wieder niederspendet auf diesen Boden und auf alles, was darauf wächst und ihn umgibt. Er ist immer der Säemann und der Erntende zugleich. Der Aufrechte, aber der Kopfgeneigte.

Nun spitzte der Jakob die Lippen und tat einen hellen Pfiff. Alsbald kamen die Hausleute aus den Kammern, aus der Küche, aus den Stallungen herbei und versammelten sich in der großen Stube zur Pfingstandacht am Nachmittage, die heute nicht wie sonst draußen in der Kapelle abgehalten werden konnte.

Es waren derbe, eckige Knechte und schäkernde Mägde; es war ein buckeliges Männlein dabei und es waren halberwachsene Jungen, gleichsam eine niedergehende und eine aufgehende Zeit. Alles harmlos munter. Es kam auch die Hausmutter herein, ein etwas schmächtiges blasses Weib, welches – so jung an Jahren es noch sein mochte – allen Übermut und alle Bausbäckigkeit den Kindern abgetreten zu haben schien. Ein Knäblein hing an des Weibes Kittelfalte, das noch blässer als die Mutter war und kreisrunde, ganz vergißmeinnichtblaue Augen hatte. Auch der Knabe Jackerl war zur Tür hereingetollt, über und über voller Schnee, wurde aber in solcher Gestalt vom Vater zurück in die Küche gewiesen, wo er – den Hut ausschlenkernd – der alten am Herde kauernden Einlegerin Schnee und Wasser ans Gewand warf. Weil die Alte sich dagegen auflehnte, so sprang er an die Hühnersteige, die unterhalb des Herdes war, sprengte Schnee hinein und trällerte:

Hendl bi bi,

Hendl bo bo,

Wannst ma koan Orl (Eierchen) gibst,

Stich ih dih oh!

In der Stube gingen die Leute zu den Sitzbänken, die ringsum an den Wänden waren, und knieten davor auf dem Fußboden nieder, so daß sie bei gefalteten Händen ihre Ellbogen auf die Bänke stützen konnten. Der Jakob nahm vom Hausaltare, der hoch in der Wandecke angebracht war, das kleine hölzerne Kruzifix herab, stellte es mitten auf den Tisch und zündete davor eine aus dem Wachsstock abgewickelte Kerze an. Dann langte er vom Wandnagel die große Rosenkranzschnur, kniete damit auf einen Schemel an den Tisch, machte unter lautem Ausruf der Worte mit dem Daumen über Stirn, Mund und Brust die Kreuzzeichen und begann zu beten.

„Jetzt wollen wir“, hub er an, „zum Heiligen Geist rufen, daß er uns erleuchte in Glück und Unglück zum rechten Tun und Lassen. Und wollen Gott bitten um ein gesegnetes Jahr in Feld und Stall für uns, unsere Nachbarn und alle Freund’ und Feind’. Wollen auch beten für alle, die aus diesem Haus hinausgestorben sind – christlich zu gedenken.“ Dann beteten sie den „glorreichen Rosenkranz“ zum Gedächtnisse an die Auferstehung, Himmelfahrt des Herrn und an die Sendung des Heiligen Geistes. Der Hausvater sprach stets den ersten Teil des Gebetes, das Gesinde sprach im Chor den zweiten Teil desselben, und es erscholl schier harmonisch wie gedämpfter Orgelklang.

Während des Gebetes wollte zwar ein vorwitziger Knecht seiner schalkhaften Nachbarin mit dem Zeigefinger ein „Bröserl“ den entblößten Arm kitzeln; der Hausvater hörte das mühsam und vergebens verhaltene Kichern der Angegriffenen, setzte einen Augenblick im Gebete aus und warf einen ernsthaften Blick auf das schäkernde Pärchen, sofort war dieses ruhig und die Andacht nahm ihren würdigen Fortgang.

Noch bevor sie zu Ende war, polterte zur Türe ein Mann herein, strampfte an der Schwelle den Schnee von den Füßen, schüttelte den Schnee von Hut und Rock, kniete dann neben einen Knecht an die Bank hin und betete mit. Er wurde weiter nicht beachtet. Als das Gebet unter nochmaliger Anrufung des göttlichen Geistes „um Weisheit und Beständigkeit“ zu Ende war und der Hausvater das Kreuz gemacht hatte, sagte dieser, sich von seinem Schemel erhebend: „Schau, der Knatschel! Wir haben dich ein wenig zum Beten gebraucht.“

„Schadet mir eh nit“, antwortete der früher Eingetretene, während auch er steif und unbehilflich aus der knienden Stellung aufstand. Der Nachbar Knatschel war’s, der auf dem Heimweg aus Sandeben im Reuthofe zusprach, um sich ein wenig von der Unbill des Wetters zu erholen.

Er war ein untersetzter Mann mit kurzem Halse und breitem, stets gutmütig lachendem Gesicht, das heute vom Frost und vielleicht auch von etwas anderem gerötet war.

„Ein sauberes Pfingstsonntagswetter, das!“ sagte der Knatschel.

„Eh hasen frei wahr“, redete der buckelige Alte in seiner ihm eigenen weitläufigen und unbestimmten Ausdrucksweise drein, „so fein weiß haben die Kirschbäum’ schier völlig lang nimmer ’blüht, als wie dasmal. Das ist richtig wahr auch.“

„Wird schon wieder aper werden“, meinte der Jakob.

„Drei Vierteljahr Winter und ein Vierteljahr kalt“, sagte der alte Knecht, „namla wohl, so geht’s hisch zu, bei uns im Gebirg.“

„Geh’ her zum Tisch“, lud der Jakob den Nachbar ein, „und schneid’ dir ein Brot ab.“ Damit tat er aus der Tischlade einen großen Laib Brot mit Schneidmesser, legte beides auf den Tisch und setzte sich auch selber hin.

Der Knatschel setzte sich daran, füllte aus der Tabaksblase seine Pfeife, zog ein zierliches Stahlzänglein aus dem Hosensack, hielt es einem kleinen Mädel hin (das so dastand und am Finger sog) und sagte: „Geh’ Dirndl, bring’ mir Feuer!“

Während die Kleine zur Herdglut hinauslief und bald mit einer glühenden Kohle im Zänglein zurückkam, sagte der Knatschel: „Ja, Nachbar, ich hab’ mir’s anders gemacht. – Brav’ Dirndl, kriegst zu Lohn einen sauberen Mann, wenn du groß bist.“ Blies die Kohle rotglühend und steckte sie in die Pfeife. „Ja, Nachbar“, fuhr er paffend fort, „ich hab’ mir’s anders gemacht.“

„Was meinst?“ fragte der Jakob.

„Mir ist’s zu dumm worden in Altenmoos. Wer sich’s besser machen kann – ein Lapp, der’s nit tut.“

Der Jakob sah ihn fragend an.

Der Knatschel beugte sich vor gegen ihn, gab noch ein paar Rauchstöße von sich, daß die blauen Strähnlein wagrecht in der Luft schwammen, und sagte halblaut: „Mein Haus hab’ ich verkauft.“

Dann belauerte er den Eindruck, welchen diese Nachricht auf den Nachbar machen würde. Weil aber der Jakob gar so unbeweglich dasaß, als hätte er das Wort nicht verstanden, wiederholte der Knatschel noch einmal: „Mein Haus hab’ ich heut’ verkauft.“

Jetzt zuckte der Jakob ein wenig mit den Augenwimpern, des Weiteren blieb er immer noch unbeweglich und blickte den Knatschel fragend an.

„Ich rat’ dir’s auch, Jakob“, sagte der Knatschel, „wirf’s hinter dich, das kümmerliche Altenmoos, wo der Mensch sich sein Lebtag lang rackern muß, daß er in seinen alten Tagen ohne Sorg’ verhungern kann. Laß das Fretten sein. Verkauf den Bettel. Der Kampelherr zahlt gut. Nimmt auch den Reuthof, hat er gesagt, aus Gefälligkeit nimmt er ihn, wenn du hergibst. Zahlt nit schlecht. Meinen Grund kennst. Siebzig Joch just genau, wenn man Heid’ und Weid’ dazutut. Rat’ einmal, was er mir dafür auf die Hand gelegt hat, der Kampelherr!“

„Leicht etwan gar hasen einen Hut voll Taler!“ redete wieder der buckelige Alte drein.

„Soviel gibt der Teufel für eine arme Seel’“, sagte ein anderer Knecht, wie sie sich jetzt auf die Bänke herumgesetzt hatten. Der Knatschel beachtete diese Bemerkung nicht, sondern sagte noch einmal: „Rat’, Jakob, wieviel hat er mir auf die Hand getan?“

„Gar im Ernst, Nachbar?“ fragte jetzt der Jakob, „und du hättest dein Haus verkauft?“

„Hast schon einmal einen Tausender gesehen?“ schmunzelte der Knatschel und nestelte seine stark abgenützte Brieftasche auf.

Der große nagelneue Geldschein lag auf dem Tisch, der Jakob starrte draufhin wie auf ein Gespenst, das man zuhalb mit Neugier, zuhalb mit Grauen ansieht. Die Knechte machten lange Hälse und blinzelten schier stumm vor Ehrfurcht auf die Erscheinung hin.

„Möcht’ ich’s doch frei ein klein Eichtel angucken, das Sündenpflaster“, murmelte der alte Knecht und kam ein wenig gegen den Tisch gebuckelt.

„Das Pflaster wollt’ uns nit schaden“, witzelte ein anderer, „vielleicht tät’s auch dir deine Gicht und Gall ausziehen, Luschelpeterl.“

„Selb’ kunnt eh frei sein, mir wollt’s taugen, selb’ ist eh wahr“, kicherte der Alte.

„Ist rechtschaffen gut, daß wir schon den Rosenkranz gebetet haben“, sagte eine Magd, „nach so einem Bildl da“, sie deutete auf den Tausender, „wär’s mit aller Andacht vorbei.“

„Geht’s, geht’s“, meinte ein altkluger Bursche, „immer einer kauft sich die Höll mit so einem Fetzen. Die krieg’ ich wohlfeiler, wenn ich sie haben will.“

„Selb’ wird eh leicht namla wahr sein“, gab der buckelige Luschelpeterl lachend bei und hockte sich, während die anderen noch aus achtungsvoller Ferne die unerhörte Geldnote betrachteten, in seinen Ofenwinkel.

„Wenn der Mensch gescheit ist“, sagte jetzt eine Magd, „so denke ich, wird er sich wohl auch den Himmel damit kaufen mögen. Nit?“

„Hisch wahr, namla wohl wahr. Den Himmel auf der Welt.“ So der Luschelpeterl. „Der andere Himmel – der da oben – der himmlisch’ Himmel, der kostet gar nichts, als wie das Leben, hi, hi, wohl gewiß wahr.“

„Da!“ schmunzelte nun der Knatschel und hieb mit Wucht, wie der Spieler einen scharfen Trumpf ausspielt, den zweiten Tausendguldenschein auf den Tisch, „da hab’ ich noch einen!“

„Sapperment!“ sagte der Jakob.

„Gelt!“ rief der Knatschel, „gelt, Nachbar, das ist ein gutes Jahr, trutz daß es schneit am Pfingstsonntag!“

„Zwei hat er dir gegeben für dein Haus und Grund!“ fragte der Jakob mit leiser Stimme.

„Du kannst drei haben für deines!“ sagte der Knatschel. „Besinn’ dich nit lang, Nachbar, tu’ deine Wasserstiefel an und geh’ eilends auf die Sandeben. Beim Fleischhacker sitzt er, der Kampelherr. Seine Geldtaschen hat einen schauderhaften Bauch, kann ich dir sagen. Als Winkelbauer gehst jetzo fort, als gemachter Herr kommst heim.“

„Heim?“ fragte der Jakob kopfschüttelnd, „heim? – Wie kann der Mensch sein Haus verkaufen!“

„Knatschelvater!“ sprach jetzt einer der Knechte, „geh’, steck’ dein Fliegenpapier nur wieder ein. Hergibst eh nix davon.“

Des wollte der Knatschel schier verdrießlich sein, daß die zwei Geldnoten, die er nun wieder bedächtig zusammenfaltete und in die Brieftasche schob, kein größeres Aufsehen gemacht hatten. Das Haus wollte in gewohnter Ordnung bleiben, gleichmäßig langsamen Ganges. Da war draußen plötzlich ein Prasseln und Krachen, daß die Holzwände ächzten, finstere Schneestaubwolken wirbelten an den Fenstern vorüber. Die Leute schauten sich an.

Bald jubelte der Wildfang Jackerl mit der Nachricht herein: Von der Linde sei ein großer Ast niedergebrochen und habe die Kapelle niedergeschlagen.

Als der Jakob dieses hörte, sprang er von seiner Bank auf.

„Die Kapelle!“ rief der Knatschel, „deine Jakobikapelle da draußen hat’s derschlagen? Nachbar, wenn das kein Wink vom Himmel ist!“ In die Hände klatschend rief er noch lauter: „Der heilige Sankt Jakob ist hin! Reuthofer, verkauf dein Haus!“

Der Hausvater ging in Hemdärmeln, wie er war, zur Tür hinaus und durch den wogenden Sturm der verstümmelten Linde zu.

In den Lüften tanzten die Flocken und die Schwalben.

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Žanrid ja sildid

Vanusepiirang:
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Ilmumiskuupäev Litres'is:
23 detsember 2023
Objętość:
392 lk 5 illustratsiooni
ISBN:
9783990404843
Kustija:
Õiguste omanik:
Автор
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