Kapitalmarktrecht

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3. Haftung für unrichtiges oder fehlendes Vermögensanlagen-Informationsblatt (§ 22 VermAnlG)

306

Voraussetzung für eine Haftung nach § 22 VermAnlG ist das Vorliegen irreführender, unrichtiger oder nicht mit den einschlägigen Stellen des Verkaufsprospekts vereinbarer Angaben[44]. Sofern es sich um Vermögensanlagen nach §§ 2a und b VermAnlG (Schwarmfinanzierung, soziale Projekte) handelt, wird für irreführende oder unrichtige Angaben gehaftet[45]. Bloße Unvollständigkeit des Informationsblatts löst keine Haftung aus, da Vollständigkeit aufgrund der Limitierung des Umfangs auf nicht mehr als drei DIN-A4-Seiten (§ 13 Abs. 2 VermAnlG) gerade nicht verlangt wird[46]. Die Abgrenzung zwischen einem unvollständigen und einem fehlerhaften Prospekt kann in der Praxis problematisch sein[47].

307

Haftungsadressat ist der Anbieter (§ 22 Abs. 1 VermAnlG), der das Informationsblatt zu erstellen hat. Anbieter ist derjenige, der für das öffentliche Anbieten die Verantwortung trägt und nach außen erkennbar als Anbieter auftritt[48]. Es gilt auch hier die zweijährige Ausschlussfrist (§ 22 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 VermAnlG). Anders als beim fehlerhaften Prospekt, wo eine widerlegliche Vermutung besteht, hat der Anleger bei einem fehlerhaften Vermögensanlagen-Informationsblatt die Kausalität zwischen Informationsblatt und Erwerbsgeschäft darzulegen und zu beweisen („auf Grund“)[49]. In Bezug auf das Verschulden besteht auch beim Informationsblatt eine widerlegliche Vermutung, dass vorsätzlich oder grob fahrlässig gehandelt wurde (§ 22 Abs. 3 VermAnlG).

308

Ein „fehlendes“ Informationsblatt führt zu einer Haftung nach § 22 Abs. 4a VermAnlG[50]. Fehlend meint hier entweder die fehlende Zurverfügungstellung des Informationsblatts, das Fehlen des Warnhinweises oder die fehlende Bestätigung der Kenntnisnahme des Warnhinweises (§ 22 Abs. 4a Satz 1 Nr. 1–3 VermAnlG). Bei einem solchen fehlenden Vermögensanlagen-Informationsblatt enthält § 22 Abs. 4a VermAnlG keinen Hinweis darauf, dass eine haftungsbegründende Kausalität oder ein Verschulden erforderlich ist. Allerdings sind diese nach einer Ansicht im Schrifttum dennoch zu verlangen. Im Hinblick auf die Kausalität folgt dies schon aus der Rechtsnatur des § 22 Abs. 4a VermAnlG als zivilrechtlicher Haftung. Hier ist aber ebenfalls eine widerlegliche Vermutung der haftungsbegründenden Kausalität anzunehmen[51]. Auch ein Verschulden ist nach einer Ansicht erforderlich, wobei dem Anleger die Beweislastumkehr des § 22 Abs. 3 VermAnlG zugutekommt[52].

309

Ausgeschlossen ist eine Haftung, sofern der Erwerber die Unrichtigkeit der Information bei Erwerb kannte (§ 22 Abs. 4 Nr. 1 VermAnlG). Ein Ausschluss ist auch gegeben, wenn die unrichtigen Angaben nicht zu einer Minderung des Erwerbspreises der Vermögensanlagen beigetragen haben (§ 22 Abs. 4 Nr. 2 VermAnlG).

310

Rechtsfolge ist die Rückabwicklung der Zeichnung der Vermögensanlage gegen Erstattung des Erwerbspreises und der mit dem Erwerb verbundenen üblichen Kosten (§ 22 Abs. 1 VermAnlG, § 22 Abs. 4a VermAnlG).

IV. Haftung nach § 306 KAGB

311

Die Prospekthaftung sowie die Haftung für die wesentlichen Anlegerinformationen sind in § 306 KAGB geregelt[53]. Dieser entspricht weitgehend dem § 20 Abs. 1 VermAnlG. § 306 KAGB gilt einheitlich für alle offenen und geschlossenen AIF und OGAW.

1. Haftungsadressat, Anspruchsberechtigter

312

Haftungsschuldner sind die Verwaltungsgesellschaft als Manager, die Initiatoren als Prospektersteller (Verwaltungsgesellschaften, Banken, Wirtschaftsprüfer etc) und die Prospektveranlasser (zB Muttergesellschaft)[54]. Daneben sind auch die Vertriebe (vgl § 293 Abs. 1 KAGB) einer Prospekthaftung unterworfen. Die Verwaltungsgesellschaft haftet als Gesamtschuldner (§ 421 BGB) zusammen mit gewerbsmäßigen Anteilsverkäufern und Vermittlern. Anteilsverkäufer können etwa Finanzdienstleistungsinstitute sein, welche die Anteile als Kommissionäre oder Eigenhändler verkaufen.

313

Der Vermittler bzw derjenige, der die Anteile in fremdem Namen verkauft hat, haftet dem Käufer, soweit er die Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit des Prospekts gekannt hat (§ 306 Abs. 4 Satz 1 KAGB, Privilegierung durch reduzierte Haftung). Nach § 306 Abs. 4 KAGB kann trotz des Wortlauts auch eine anlageberatende Bank Haftungsadressat sein, da sie zumeist auch vermittelt[55]. Ansprüche aus § 306 Abs. 1, 2, 4 und 5 KAGB können nicht im Voraus ermäßigt oder erlassen werden (§ 306 Abs. 6 KAGB).

314

Anspruchsberechtigt ist der Käufer von Anteilen oder Aktien. Der Erwerber kann auch dann einen Anspruch geltend machen, wenn er nicht mehr Anteilsinhaber ist (§ 306 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 Satz 2, Abs. 5 Satz 2 KAGB). Der Zweiterwerber kann einen Anspruch aus § 306 KAGB geltend machen, wenn er die Anteile aufgrund des fehlerhaften Prospekts erworben hat[56].

2. Haftung für fehlerhaften Prospekt

a) Voraussetzungen

315

Sind Angaben, die für die Beurteilung der Anteile von wesentlicher Bedeutung sind, im Prospekt unrichtig oder unvollständig, kann derjenige, der aufgrund des Prospekts Anteile gekauft hat, Schadensersatz verlangen (§ 306 Abs. 1 KAGB). Das kann er auch, wenn die in den wesentlichen Anlegerinformationen enthaltenen Angaben irreführend, unrichtig oder nicht mit dem Verkaufsprospekt vereinbar sind (§ 306 Abs. 2 KAGB). Dort kommt aber eine Haftung für die Vollständigkeit nicht in Betracht[57].

316

Es muss sich um einen Verkaufsprospekt handeln[58]. Die Beurteilung der Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit richtet sich nach dem Empfängerhorizont des sog. durchschnittlichen Anlegers. Angeknüpft wird an den Verkaufsprospekt, der zur Erlangung der Vertriebsgenehmigung vorgelegt werden muss (§§ 20, 269 KAGB)[59]. Für andere Werbeaussagen besteht keine Prospekthaftung nach dem KAGB[60].

317

Ursprünglich musste der Anleger nach § 306 Abs. 1 KAGB aF den Beweis für die haftungsbegründende Kausalität erbringen, dh dass er die Anteile „auf Grund des Verkaufsprospekts“ gekauft hatte[61]. Nunmehr wird die haftungsbegründende Kausalität widerleglich vermutet, dh der Haftungsschuldner hat die Transaktionskausalität zu beweisen (vgl § 306 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 KAGB)[62]. Ob daneben auch die von der Rechtsprechung entwickelte Vermutung aufklärungsrichtigen Verhaltens gilt[63], kann daher offengelassen werden.

318

Der gewerbsmäßige Verkäufer haftet nur für Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit (§ 306 Abs. 3 Satz 1 KAGB)[64]. Das Verschulden wird widerleglich vermutet. Die Haftung entfällt, wenn der Haftungsschuldner nachweist, dass er die Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit des Prospekts oder der wesentlichen Anlegerinformationen nicht gekannt hat und die Unkenntnis nicht auf grober Fahrlässigkeit beruht (§ 306 Abs. 3 Satz 1 KAGB). Der gewerbsmäßige Vermittler haftet dagegen privilegiert nach § 306 Abs. 4 Satz 1 KAGB nur dann, wenn er die Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit des Prospekts positiv gekannt hat. Nach hM hat der Anspruchsteller das Verschulden des Vermittlers zu beweisen, es findet also keine Beweislastumkehr statt[65].

 

319

Für Spezial-AIF, die lediglich (semi)professionellen Anlegern offenstehen, besteht zwar keine Prospektpflicht und auch keine Pflicht bzgl des Zurverfügungstellens wesentlicher Anlegerinformationen. In § 307 KAGB sind aber vergleichbare Informationspflichten vorgesehen. Bei deren Verletzung gilt § 306 Abs. 1 KAGB entsprechend (§ 307 Abs. 3 KAGB). § 307 Abs. 3 KAGB verweist jedoch nicht auf § 306 Abs. 5 KAGB, sodass professionellen und semiprofessionellen Anlegern bei Nichtübermittlung der Vertriebsinformationen nur ein Widerrufsrecht zusteht (§ 307 Abs. 2 iVm § 305 KAGB).

320

Eine Haftungsbeschränkung wie bei den §§ 22 Abs. 1 Nr. 2, 20 Abs. 1 Satz 1 VermAnlG fehlt. Es gelten die allgemeinen Verjährungsregeln (§§ 195, 199 BGB).

b) Rechtsfolge

321

Rechtsfolge ist die Übernahme der Anteile durch den Haftenden gegen Erstattung des vom Anleger gezahlten Betrags (§ 306 Abs. 1 Satz 2 KAGB). Kritisiert wird hieran, der Gesetzgeber habe übersehen, dass die Inanspruchnahme der geschlossenen Investment-KG auf „Übernahme der Anteile“ an gesellschaftsrechtliche Schranken stößt, da eine Personengesellschaft keine eigenen Anteile halten kann. Insofern fragt sich, ob stattdessen eine „Austrittskündigung“ in Betracht kommt[66].

322

Nach § 306 Abs. 6 Satz 2 KAGB bleiben weitergehende Ansprüche, die sich aus dem BGB aufgrund von Verträgen oder unerlaubten Handlungen ergeben, unberührt. Die Rechtsprechung und die hM lehnen neben der Haftung aus § 306 KAGB eine solche aus bürgerlichrechtlicher Prospekthaftung aufgrund der Stellung des § 306 KAGB als lex specialis ab[67]. Teilweise wird eine parallele Anwendung in Bezug auf die nach dem KAGB bestehen bleibenden Haftungslücken bejaht[68], bzw sollen beide Haftungsregimes nebeneinander bestehen[69].

3. Haftung für nicht veröffentlichten Prospekt

323

Nach § 306 Abs. 5 KAGB tritt eine Haftung auch dann ein, wenn gesetzeswidrig, dh entgegen den Vorgaben (§§ 164 Abs. 1, 268 Abs. 1, 298 Abs. 1 oder 299 Abs. 1 KAGB) ein Verkaufsprospekt nicht veröffentlicht wurde. Damit ist auch nach dem KAGB, wie schon nach § 21 Abs. 1 VermAnlG und § 14 WpPG, eine Haftung bei fehlendem Prospekt vorgesehen[70]. Erforderlich erscheint diese Haftungsregelung schon deshalb, weil in einem solchen Fall mangels Prospekts kein Anspruch aus allgemeiner Prospekthaftung bestehen kann. In der Konsequenz können damit auch nicht KAGB-konforme Gesellschaften einer Prospekthaftung unterliegen[71].

324

Für eine Haftung muss das Erwerbsgeschäft, dh das schuldrechtliche Geschäft, vor Veröffentlichung des Prospekts und innerhalb von zwei Jahren nach dem ersten Anbieten oder Platzieren abgeschlossen sein. Die haftungsbegründende Kausalität wird widerleglich vermutet. Umstritten ist, ob eine Haftung nach § 306 Abs. 1, Abs. 3 Satz 1 KAGB analog nur bei Vorsatz und grober Fahrlässigkeit eintritt, oder ob eine verschuldensunabhängige Haftung gegeben sein soll[72]. Ersteres ist überzeugender, da es sich bei der gesetzlichen Regelung um einen Spezialfall der culpa in contrahendo handelt[73]. Nach § 306 Abs. 5 Satz 3 KAGB besteht kein Prospekthaftungsanspruch wegen Nichtveröffentlichung des Verkaufsprospekts, wenn der Erwerber die Pflicht der Prospektveröffentlichung beim Erwerb kannte (Sonderregelung eines Mitverschuldens).

325

Rechtsfolge eines Verstoßes gegen die Prospektpflicht ist die Übernahme der Anteile oder Aktien gegen Erstattung des Erwerbspreises, sofern er den ersten Erwerbspreis nicht überschreitet, sowie der mit dem Erwerb verbundenen üblichen Kosten (§ 305 Abs. 5 Satz 1 KAGB)[74]. Wenn der Erwerber nicht mehr Inhaber der Aktien oder Anteile ist, kann er den Unterschied zwischen Erwerbs- und Veräußerungspreis nebst den mit dem Erwerb verbundenen üblichen Kosten verlangen (§ 305 Abs. 5 Satz 2 KAGB).

4. Haftung für wesentliche Anlegerinformationen

326

Gehaftet wird, wenn in den wesentlichen Anlegerinformationen irreführende, unrichtige oder nicht mit dem Verkaufsprospekt vereinbare Angaben enthalten sind (§ 306 Abs. 2 Satz 1 KAGB). Wesentliche Anlegerinformationen sind dabei die Informationen nach § 166 Abs. 2–8 KAGB (iVm §§ 262 Abs. 1 Satz 4, 262 Abs. 2 Satz 2, 263 Abs. 5 Satz 2 und 270 KAGB bzw §§ 298 Abs. 1 Satz 2, 301 KAGB). Diese sind jeweils auf neuestem Stand zu halten (§§ 164 Abs. 3, 268 Abs. 2 KAGB). Eine Haftung für Vollständigkeit kommt hier aufgrund des Charakters der wesentlichen Anlegerinformationen nicht in Betracht. Eine Haftung für mit dem Prospekt unvereinbare Angaben folgt in der Konsequenz aus den Vorgaben in den §§ 166 Abs. 3 Satz 3, 270 Abs. 1 KAGB zur Übereinstimmung von Prospekt und Anlegerinformationen.

327

Nach § 306 Abs. 2 Satz 1 KAGB aF hatte der Anspruchsteller zu beweisen, dass er aufgrund dieser Informationen die Anteile oder Aktien gekauft hat (Kausalität)[75]. Nunmehr gilt auch hier die Vermutung der haftungsbegründenden Kausalität[76]. In Bezug auf das Verschulden besteht grds eine Haftung für Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit, wohingegen der gewerbsmäßige Vermittler ebenfalls lediglich für Vorsatz haftet[77]. Fehlen die wesentlichen Anlegerinformationen, hat dies keine Prospekthaftung zur Folge, sondern lediglich ein Bußgeld (§ 340 Abs. 2 Nr. 18 f KAGB). Eine Haftungsfreizeichnung im Voraus ist nach § 306 Abs. 6 Satz 1 KAGB nicht möglich.

V. Sonstige Haftungsgrundlagen

328

Ein Zusammentreffen der gesetzlichen Prospekthaftung mit vertraglichen oder vorvertraglichen Ansprüchen setzt voraus, dass eine vertragliche Beziehung zwischen dem Anleger und dem Emittenten[78] bzw der emissionsbegleitenden Bank besteht[79]. Ein Anspruch aus Verletzung der Pflichten aus einem (Investment-)Vertrag nach § 311 Abs. 2 Nr. 1–3 BGB bzw § 280 Abs. 1 Satz 1 BGB scheidet aus, da die spezialgesetzlichen Haftungsnormen des Prospektrechts vorgehen[80]. Die generelle Verkürzung der Verjährungsfrist im Prospekt stellt eine unzulässige Haftungsbeschränkung iS des § 309 Nr. 7b BGB dar und ist somit unwirksam[81].

329

Neben der Prospekthaftung sind deliktische Ansprüche möglich (§ 16 Abs. 2 WpPG, § 20 Abs. 6 Satz 2 VermAnlG, § 21 Abs. 5 Satz 2 VermAnlG, § 306 Abs. 6 Satz 2 KAGB). Während nach § 47 Abs. 2 BörsG aF nur vorsätzlich oder grob fahrlässig begangene unerlaubte Handlungen in Betracht kamen, ist nunmehr auch eine Haftung für leicht fahrlässig begangene unerlaubte Handlungen möglich. Die bürgerlichrechtliche Prospekthaftung ieS wird nach hM verdrängt[82].

330

Eine Haftung aus § 823 Abs. 2 BGB setzt eine Schutzgesetzverletzung voraus. Schutzgesetz kann etwa § 263 StGB (Betrug) oder § 264a StGB (Kapitalanlagebetrug) sein[83]. Schutzgesetz ist auch § 400 AktG, wonach vorsätzliche unrichtige Angaben in Prospekten unter Strafe gestellt sind[84]. Dagegen dient die Auskunftspflicht des § 41 BörsG nur dem institutionellen Anlegerschutz („Publikum“). Sie ist deshalb weder selbständige Anspruchsgrundlage noch Schutzgesetz iS des § 823 Abs. 2 BGB. Auch die Pflicht zur Prospekterstellung bzw -veröffentlichung bzw Zurverfügungstellung wesentlicher Anlegerinformationen kann kein Schutzgesetz darstellen, obwohl teilweise für § 127 Abs. 2 InvG aF angenommen wurde, dieser könne zivilrechtliche Haftungsansprüche begründen[85]. Bei Verletzung des § 26 BörsG (Verleitung zu Börsenspekulation) wird überwiegend eine Schutzgesetzverletzung bejaht[86].

331

Bei in sittenwidriger Weise mit Schädigungsvorsatz verfassten Prospekten kann eine Haftung nach § 826 BGB bestehen. Dabei führt allein das Unterlassen einer erheblichen Information im Prospekt noch nicht zur Sittenwidrigkeit. Erforderlich ist etwa eine bewusste Täuschung[87].

VI. Keine Nichtigkeit der Kaufverträge

332

Auch wenn die Prospektpflicht nach dem WpPG, dem VermAnlG oder dem KAGB nicht oder nicht vollständig erfüllt ist, sind abgeschlossene Kaufverträge nicht nichtig, da die Regelungen der Prospektpflicht keine Verbotsgesetze iS des § 134 BGB darstellen[88]. Verboten wird hier nicht der Abschluss von Kaufverträgen über die Wertpapiere, sondern nur das öffentliche Angebot dieser Wertpapiere[89]. Die Bestimmungen zur Prospektpflicht richten sich darüber hinaus lediglich an den Anbieter, nicht an den Vertragspartner. Hinzu kommt, dass die Haftungsregelungen der §§ 9 ff WpPG, §§ 20 ff VermAnlG und § 306 KAGB hinfällig wären, wenn ein Verstoß gegen die Prospektpflicht bereits zur Unwirksamkeit der Erwerbsgeschäfte führen würde. Damit sind abgeschlossene Kaufverträge wirksam.

 

Schaubild: Prospektpflicht und Prospekthaftung


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333

Lösung Fall 2 (Rn 266):

A könnte gegen die B-Bank einen Anspruch auf Schadensersatz aus § 9 Abs. 1 Satz 1 WpPG haben. Bei den Aktien der X-AG handelt es sich um Wertpapiere, die zum Börsenhandel aufgrund eines Prospekts zugelassen sind. Der Emissionsprospekt müsste des Weiteren in Bezug auf Angaben, die für die Beurteilung der Aktien der X-AG wesentlich sind, unrichtig oder unvollständig sein. Als unrichtige Prospektangabe kommt hier die Prognose der X-AG bzgl Marktreife und Gewinn in Betracht. Prospektangaben sind nach hM nicht nur Tatsachen, sondern auch Prognosen und Werturteile. Maßgeblich für die Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit des Prospekts ist der Zeitpunkt der Prospekterstellung bzw dessen Veröffentlichung. Hier war bereits bei der Prospekterstellung ungewiss, ob die Forschungen jemals zu einem marktreifen Medikament führen würden. Damit war zugleich die Gewinnerwartung unzutreffend. Die prognostizierten Gewinne waren ausschlaggebend für die Entscheidung der Anleger, in die Aktien der X-AG zu investieren. Folglich war der Emissionsprospekt hinsichtlich der Angaben unrichtig, die für die Beurteilung der Aktien wesentlich waren. A hat die Aktien kurz nach deren Emission und damit nach Veröffentlichung des Prospekts innerhalb von sechs Monaten nach erstmaliger Einführung der Wertpapiere erworben.

Fraglich ist, ob die B-Bank richtiger Haftungsadressat der Prospekthaftung ist. Voraussetzung dafür ist, dass die B-Bank die Verantwortung für den Emissionsprospekt der X-AG übernommen hat (§ 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 WpPG iVm § 8 WpPG) oder der Erlass des Prospekts von ihr ausging (§ 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 WpPG). Der Begriff des Prospektverantwortlichen wird in § 8 WpPG näher umrissen. Das ist letztendlich, wer nach außen erkennbar zu denen gehört, die den Prospekt erlassen haben. In erster Linie sind dies diejenigen, die den Prospekt unterzeichnet und damit erklärt haben, für seinen gesamten Inhalt verantwortlich zu sein[90]. Gemäß § 32 Abs. 2 BörsG sind das der Emittent und das emissionsbegleitende Kredit- oder Finanzdienstleistungsinstitut. Die B-Bank hat als Kreditinstitut die Emission der Aktien der X-AG begleitet und ist damit Prospektverantwortlicher iS der §§ 8 Satz 3, 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 WpPG.

Die haftungsbegründende Kausalität zwischen Prospektfehler und Erwerb der Aktien durch A wird nach § 12 Abs. 2 Nr. 1 WpPG vermutet. A hat im vorliegenden Fall den Emissionsprospekt gelesen und auf dessen Grundlage die Aktien der X-AG erworben, sodass die B-Bank diese Vermutung auch nicht entkräften kann. Das gilt auch für die Kenntnis bzw grob fahrlässige Unkenntnis der B-Bank von der fehlerhaften Prognose im Emissionsprospekt (§ 12 Abs. 1 WpPG). So hätte die B-Bank laut Sachverhalt erkennen können, dass es der X-AG unmöglich war, innerhalb von zwei Jahren das Medikament auf den Markt zu bringen und ein Jahr später erhebliche Gewinne zu generieren. Ein Haftungsausschluss gemäß § 12 Abs. 2 Nr. 3–5 WpPG ist ebenfalls nicht ersichtlich, sodass A dem Grunde nach einen Anspruch auf Schadensersatz gegen die B-Bank nach § 9 Abs. 1 Satz 1 WpPG hat.

A ist noch Inhaber der Aktien der X-AG und kann daher gemäß § 9 Abs. 1 Satz 1 WpPG die Erstattung des Erwerbspreises, maximal jedoch den Ausgabepreis, sowie die üblichen Erwerbskosten verlangen. Im Gegenzug ist er zur Übertragung der Aktien an die B-Bank verpflichtet. A hat 30 Euro pro Aktie bezahlt, der Ausgabepreis betrug indes nur 20 Euro. Somit kann A von der B-Bank lediglich Zahlung von 4000 Euro verlangen. Ein Haftungsausschluss nach § 12 Abs. 2 Nr. 2 WpPG (haftungsausfüllende Kausalität) ist nicht gegeben. Nach der Mitteilung der X-AG, dass die Forschung an dem Medikament keinen Erfolg verspricht, sind deren Aktien faktisch wertlos geworden. Somit hat der wahre Sachverhalt – Scheitern des Forschungsvorhabens und Ausbleiben von Gewinnen – zu einer Minderung des Börsenpreises geführt. Dementsprechend kann A von der B-Bank Zahlung von 4000 Euro nebst den üblichen Erwerbskosten Zug um Zug gegen Übertragung der Aktien der X-AG verlangen.

Ein Schadensersatzanspruch aus allgemein-zivilrechtlicher Prospekthaftung scheidet neben der Haftung aus § 9 WpPG aus, da letztere nach hM lex specialis ist. Andere Schadensersatzansprüche, etwa aus einem (vor-)vertraglichen Verhältnis mit der Bank, aus § 823 Abs. 2 BGB iVm einem Schutzgesetz oder aus § 826 BGB sind zwar grds denkbar (vgl § 16 Abs. 2 WpPG), aufgrund des Sachverhalts hier aber nicht ersichtlich.

334

Gutachtenaufbau

§ 9 Abs. 1 Satz 1 WpPG (Haftung für fehlerhaften Prospekt)


1. Prospekt (Art. 3 Abs. 1, 6 Abs. 1 ProspektVO) – Börsenzulassungsprospekt (§ 32 Abs. 3 Nr. 2 BörsG, § 9 Abs. 1 Satz 1 WpPG) oder – Verkaufsprospekt (§ 10 WpPG)
2. Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit der Angaben (Anlegerhorizont)
3. Haftungsadressat – Prospektverantwortlicher (§ 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 iVm § 8 WpPG) – Prospektveranlasser (§ 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 WpPG)
4. Ersatzberechtigung des Anspruchstellers – entgeltlicher Erwerb der Wertpapiere – innerhalb von sechs Monaten nach erstmaliger Einführung der Wertpapiere
5. Haftungsbegründende Kausalität – zwischen fehlerhaftem Prospekt und Erwerb der Wertpapiere – wird vermutet (§ 12 Abs. 2 Nr. 1 WpPG)
6. Verschulden – Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis des Prospektfehlers – wird vermutet (§ 12 Abs. 1 WpPG)
7. Kein Haftungsausschluss (§ 12 WpPG)
8. Rechtsfolge: Schadensersatz (§§ 249 ff BGB) – Erstattung des Erwerbspreises und üblicher Erwerbskosten Zug um Zug gegen Übertragung der Wertpapiere (§ 9 Abs. 1 Satz 1 WpPG) – Differenzbetrag zwischen Veräußerungspreis und Erwerbspreis und übliche Kosten (§ 9 Abs. 2 WpPG)

335

Gutachtenaufbau

§ 14 WpPG (Haftung für fehlenden Prospekt)


1. Prospektpflicht
2. Fehlender Prospekt entgegen Art. 3 Abs. 1 ProspektVO
3. Haftungsadressat – Emittent – Anbieter
4. Ersatzberechtigung des Anspruchstellers – entgeltlicher Erwerb der Wertpapiere – innerhalb von sechs Monaten nach erstmaliger Einführung der Wertpapiere
5. Haftungsbegründende Kausalität – nach hM nicht erforderlich
6. Verschulden – nach hM Kenntnis oder grobe Fahrlässigkeit – wird nach hM vermutet
7. Kein Haftungsausschluss (§ 14 Abs. 4 WpPG)
8. Rechtsfolge: Schadensersatz (§§ 249 ff BGB) – Erstattung des Erwerbspreises und üblicher Erwerbskosten Zug um Zug gegen Übertragung der Wertpapiere (§ 14 Abs. 1 Satz 1 WpPG) – Differenzbetrag zwischen Veräußerungspreis und Erwerbspreis und übliche Kosten (§ 14 Abs. 2 WpPG)

336

Gutachtenaufbau

§ 11 WpPG (Haftung für fehlerhaftes Wertpapier-Informationsblatt)


1. Wesentliche Angaben unrichtig, irreführender Inhalt oder fehlender Warnhinweis
2. Haftungsbegründende Kausalität – wird widerleglich vermutet
3. Verschulden – Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit – wird widerleglich vermutet
4. Rechtsfolge: Schadensersatz

337

Gutachtenaufbau

§ 20 Abs. 1 Satz 1 VermAnlG (Haftung für fehlerhaften Verkaufsprospekt)


1. Verkaufsprospekt über Vermögensanlagen
2. Prospektfehler (Unrichtigkeit/Unvollständigkeit wesentlicher Prospektangaben)
3. Haftungsadressat
4. Ersatzberechtigung des Anspruchstellers – entgeltlicher Erwerb – innerhalb von max. zwei Jahren nach erstem öffentlichem Angebot
5. Haftungsbegründende Kausalität – zwischen fehlerhaftem Prospekt und Erwerb der Vermögensanlage – wird vermutet (§ 20 Abs. 4 Nr. 1 VermAnlG)
6. Verschulden – Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis des Prospektfehlers – wird vermutet (§ 20 Abs. 3 VermAnlG)
7. Kein Haftungsausschluss (§ 20 Abs. 4 VermAnlG)
8. Rechtsfolge: Schadensersatz (§§ 249 ff BGB) – Erstattung des Erwerbspreises und übliche Erwerbskosten Zug um Zug gegen Übertragung der Vermögensanlage (§ 20 Abs. 1 Satz 1 VermAnlG) – Differenzbetrag zwischen Veräußerungspreis und Erwerbspreis und übliche Kosten (§ 20 Abs. 2 VermAnlG)

338

Gutachtenaufbau

§ 21 Abs. 1 Satz 1 VermAnlG (Haftung für fehlenden Verkaufsprospekt)


1. Pflicht zur Erstellung eines Verkaufsprospekts über Vermögensanlagen
2. Fehlen eines Prospekts entgegen § 6 VermAnlG
3. Haftungsadressat
4. Ersatzberechtigung des Anspruchstellers – entgeltlicher Erwerb – innerhalb von max. zwei Jahren nach erstem öffentlichem Angebot
5. Haftungsbegründende Kausalität – str., ob erforderlich
6. Verschulden – str., ob erforderlich
7. Kein Haftungsausschluss (§ 21 Abs. 4 VermAnlG)
8. Rechtsfolge: Schadensersatz (§§ 249 ff BGB) – Erstattung des Erwerbspreises und übliche Erwerbskosten Zug um Zug gegen Übertragung der Vermögensanlage (§ 21 Abs. 1 Satz 1 VermAnlG) – Differenzbetrag zwischen Veräußerungspreis und Erwerbspreis und übliche Kosten (§ 21 Abs. 2 VermAnlG)

339

Gutachtenaufbau

§ 22 Abs. 1 Satz 1 VermAnlG (Haftung für unrichtiges Vermögensanlagen-Informationsblatt)


1. Irreführende, unrichtige oder mit Verkaufsprospekt nicht vereinbare Angaben
2. Kausalität (Anleger muss beweisen)
3. Verschulden – Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis – wird widerleglich vermutet
4. Kein Haftungsausschluss
5. Rechtsfolge: Schadensersatz

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